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Verrat im Zombieland

Was machst du, wenn deine große Liebe dich aus dem Jenseits um Hilfe anfleht? Du hilfst. Auch wenn es dich das Leben kosten kann.

Gibt es noch größere Feinde als die Zombies, die Menschenfleisch wollen? Jetzt schon.

"Du musst helfen!" Zombie-Jäger Ashton "Frosty" traut seinen Augen nicht: Seine große Liebe Kat hat eine Botschaft aus dem Jenseits für ihn. Sie wirkt so lebendig, dabei ist sie doch bei der letzten monumentalen Schlacht gegen Anima Industries gestorben. Sofort geht er zu dem Ort, den Kat ihm beschreibt. Und sieht schockiert, wer seine Hilfe braucht: Milla Marks, die verantwortlich für Kats Tod ist! Am liebsten würde er die miese Verräterin den gierigsten Zombies zum Fraß vorwerfen. Aber als Anima Industries zurückkehren, um aus den Zombies endgültig das Geheimnis der Unsterblichkeit zu pressen, müssen er, Ali Bell und ihr Freund Cole umdenken. Bevor es für die Zombie-Jäger zu spät ist. Und für die Welt.

"Wow, Gena Showalter nimmt uns wie immer mit auf eine fantastische Reise!"

Bestsellerautorin Merline Lovelace

"Steht Gena Showalter auf dem Buchcover, darf man sicher sein: Fantasy vom Feinsten"

Romantic Times Book Reviews

"Showalter erzählt humorvoll und eindringlich"

Booklist


  • Erscheinungstag: 18.07.2016
  • Aus der Serie: The White Rabbit Chronicles
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 432
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959679695

Leseprobe

1. KAPITEL

Frosty

Der Tod hat angeklopft, aber ich war nicht zu Hause

Ich krieche aus dem Bett wie eine dieser wandelnden Leichen und reibe mir die zugekleisterten Augen. Hinter meinen Schläfen hämmert es, und ich habe einen Geschmack im Mund, als hätte sich da drinnen irgendwas Pelziges eingenistet und Kinder auf die Welt gebracht, bevor es abgekratzt ist. Auf dem Weg ins Bad, wo ich mir die Zähne putzen und mit literweise Mundwasser spülen will, stelle ich fest, dass ich hier fremd bin. Ohne auf den Schwindel zu achten, der mich plötzlich überfällt, lasse ich den Blick durch das Schlafzimmer schweifen. Blümchenbilder hängen an rosa Wänden, aus dem überdimensionalen Kleiderschrank quellen funkelnde Tops und Röcke, eine Kommode ist mit allen möglichen Schminkutensilien übersät.

Nicht direkt mein Stil.

Ein verschlafenes Seufzen vom Bett her lässt mich zurückblicken, und schon holt mich die Erinnerung wieder ein. Ich habe bei einer Frau übernachtet – der aktuellsten in einer langen Reihe von One-Night-Stands –, die ich aus einem einzigen Grund aufgerissen habe: weil sie Kat ähnelt. Diese spezielle Eroberung hat dunkles Haar und sonnengeküsste Haut … so dachte ich jedenfalls. Jetzt, im grellen Morgenlicht, muss ich feststellen, dass die Haare nicht dunkel genug sind und die Haut eher von der Sonne geprügelt als geküsst aussieht.

Mir zieht sich der Magen zusammen, automatisch balle ich die Hände zu hammerharten Fäusten. Normalerweise mache ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub, nachdem der Akt vorbei ist. Nehme mir gerade noch Zeit, um den Reißverschluss meiner Hose zu schließen, bevor ich abhaue. Was soll ich sagen? Ich bin ein echtes Arschloch. Wenigstens bin ich auf meinem Gebiet erstklassig. Das zählt doch was, oder nicht?

Es widert mich an, was ich tue, aber ich werde nicht damit aufhören. Ich glaube, das könnte ich gar nicht. Nach ein paar Whiskys kann ich mir einbilden, die Frau, mit der ich herummache, ist meine süße kleine Kitty Kat. Ich berühre sie wieder, ihr gefällt es, sie bettelt nach mehr, und alles scheint in Ordnung zu sein, weil wir für immer zusammen sein werden. Ich stelle mir vor, wie sie sich nachher an mich kuschelt und Sachen sagt wie: „Du bist der glücklichste Typ der Welt. Eigentlich hast du mich gar nicht verdient, aber mach dir keine Sorgen, das hat keiner.“ Ich würde lachen, weil sie so albern und so anbetungswürdig ist und meine Welt vollkommen im Lot. Am nächsten Morgen wird sie mich auffordern, mich bei ihr zu entschuldigen, weil ich in ihren Träumen Mist gebaut habe.

Sie wird mein Leben lebenswert machen.

Dann wird es Morgen, und mir wird klar, dass nichts von allem passiert, weil sie nicht mehr lebt und ich der Versager bin, der sie nicht hat retten können. Diese Tatsache quält mich ständig. Aber ich hab’s verdient, gequält zu werden. Es ist richtig, dass ich bestraft werde.

Kat hat es verdient, dass ich ihr bis zum Ende treu bleibe – bis zu meinem Ende. Und dieser Mist? Ich trample auf der Erinnerung an sie herum, indem ich mit Frauen ins Bett gehe, die ich nicht kenne, die ich nicht mal mag, und ärgere mich darüber. Sie sind nicht meine Kat, sie werden es niemals sein, und sie haben kein Recht, sich an Kats Eigentum zu vergreifen.

Zur Hölle. Trotzdem haben sie was Besseres verdient.

Was ich hier tue … ist nicht richtig. Das ist echt krankhaft. So ein Typ bin ich gar nicht. Nur Arschlöcher verhalten sich so, vögeln herum und machen sich aus dem Staub. Irgendwann in einem früheren Leben hätte ich so einem Typen wie mir eine Abreibung verpasst.

Fragt mich mal, ob mich das interessiert.

Bevor mein aktueller Fehltritt aufwacht, sammle ich meine verstreuten Klamotten auf und ziehe mich in Windeseile an. Mein Hemd ist zerknittert, an einer Stelle aufgerissen, voller Lippenstift und mit Whisky bekleckert. Ich mache nicht mal meine Hose richtig zu, lasse die Schnürsenkel der Kampfstiefel lose. Ich sehe aus wie einer, der ich tatsächlich bin: ein verkatertes Stück Mist, das auch als Zombie durchgehen könnte. Nachdem ich die Tür nach draußen gefunden habe, stelle ich fest, dass ich mich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses befinde. Unten werfe ich einen Blick über den Parkplatz, kann aber nirgends meinen Truck entdecken.

Wie zum Teufel bin ich hierhergekommen?

Ich erinnere mich, dass ich in einem Klub war und ein Glas nach dem anderen getrunken habe, mit einer Brünetten tanzte, wieder ein paar Gläser kippte und … ja, okay, mich in ihren winzigen Wagen gequetscht habe. Ich war zu besoffen, um zu fahren. Jetzt muss ich wohl zum Klub zurücklaufen, denn auf keinen Fall werde ich meinen One-Night-Stand wecken, damit sie mich fährt. Dann müsste ich Fragen über meine nicht existierenden Absichten beantworten.

Ich gehe die Straße hinunter. Die Luft ist wärmer geworden, der Winter verabschiedet sich endgültig, um dem Frühling Platz zu machen. Die Sonne geht auf und färbt den Himmel in Gold- und Pinktöne. Das ist einer der schönsten Anblicke, die ich je gesehen habe.

Scheiß drauf.

Die Welt sollte vor Trauer um einen verlorenen Schatz weinen. Zum Teufel, sie sollte Rotz und Wasser heulen.

Wenigstens muss ich mir gerade keine Sorgen machen, dass ich von Zombies angegriffen werden könnte. Diese Plage der Menschheit schleicht sich normalerweise nur nachts heraus, das helle Sonnenlicht ist für diese Monster nicht erträglich.

Ich komme an eine Tankstelle und kaufe mir eine Zahnbürste, Zahnpasta und eine Flasche Mineralwasser. Auf der Toilette kümmere ich mich um dieses pelzige Ding samt Nachwuchs, das immer noch in meinem Mund lauert. Langsam fühle ich mich wie ein Mensch.

Wieder draußen, laufe ich ein bisschen flotter. Je eher ich zu meinem Auto komme, desto schneller kann ich …

„Was machst du denn hier, Hübscher?“, ruft mir ein Typ zu. Seine Freunde grölen, als hätte er was äußerst Einfallsreiches von sich gegeben. „Willst du mal ’nen richtigen Kerl kennenlernen?“

… nach Hause fahren.

Ich befinde mich in einem Viertel von Birmingham, Alabama, das die meisten Kids wenn möglich nicht betreten, weil hier eine hohe Kriminalitätsrate herrscht. Sie haben Angst in den Straßen mit von Graffiti besprühten Häusern, von denen der Putz abfällt, mit Autos, an denen die Radkappen und Reifen fehlen. Sie trauen sich nicht, durch die Gassen zu laufen, in denen Drogenhandel und Prostitution auf der Tagesordnung stehen und hier und da auch Raubüberfälle passieren. Ich halte den Blick gesenkt, lasse die Arme nach unten hängen. Nicht weil ich Angst habe, sondern weil ich in meiner gegenwärtigen Laune nicht übel Lust zu kämpfen habe und dabei womöglich jemanden umbringen könnte.

Als Zombiejäger bin ich gut genug trainiert, um einen „richtigen Kerl“ so weit zu bearbeiten, dass er sich zusammenkauert und nach Mami jammert. Mir eine Gruppe von Punk Kids vorzunehmen oder auch Gangmitglieder wäre wie Fische in einer Tonne abschießen – mit einem Raketenwerfer.

Ja. Ich habe so ein Ding, tatsächlich sogar zwei. Aber ich bevorzuge meine Dolche, weil ich den Gegner lieber im Nahkampf fertigmache.

Mein Handy vibriert. Ich ziehe das Telefon aus der Tasche und stelle fest, dass mein Display von Cole, Bronx und Ali Bell, Coles Partnerin und früher Kats beste Freundin, vollkommen zugetextet ist. Sie wollen wissen, wo ich bin und was ich mache, ob ich bald mal vorbeikomme. Wann werden sie kapieren, dass ich es nicht ertrage, mit ihnen zusammen zu sein? Sie haben ein perfektes Leben wie im Bilderbuch – ein Leben, wie ich es nicht habe und nie mehr haben kann. Sie genießen das Happy End, von dem ich seit der achten Klasse träume – als Kat Parker am ersten Schultag nach den Sommerferien in die Asher Highschool kam. Innerhalb von Sekunden war ich diesem Mädchen verfallen.

Wie Cole und Ali konnten wir nie die Hände voneinander lassen. So wie Bronx und seine Freundin Reeve beteten wir den Boden an, den der andere betreten hatte. Jetzt bleiben mir nichts als Erinnerungen.

Nein, das stimmt nicht. Dazu kommen noch der Schmerz und die Qualen.

Ein Tier von einem Typ tritt plötzlich in mein Blickfeld. Ich sage „Tier“, weil er einen Schatten wirft, der etwa meiner Größe entspricht. Ich bin fast eins neunzig, und meine Muskeln sind auch nicht zu verachten.

Wahrscheinlich glaubt der Typ, er wäre tough. Offensichtlich erwartet er, dass ich mir in die Hose mache und um Gnade bettle. Na, dann viel Glück. Wenn er sich nicht vorsieht, wird er nach einer Auseinandersetzung mit mir nicht nach Hause laufen – sondern kriechen. Aber als ich meinen Blick von seinen Stiefeln löse und den Kopf hebe, verschwindet mein Kampfgeist.

Cole Holland steht leibhaftig vor mir. Mein Freund und furchtloser Anführer. Seit der Grundschule kenne und liebe ich ihn wie einen Bruder. All die Jahre haben wir Seite an Seite gekämpft, wurden verletzt und haben uns gegenseitig wiederholt gerettet. Ich würde mein Leben für ihn geben und er seins für mich.

Zu dumm für ihn, dass ich nicht in der Stimmung bin, um mich mal wieder von ihm aufmuntern zu lassen.

„Tu’s nicht“, sage ich. „Lass es einfach sein.“

„Was sein lassen? Mich mit meinem besten Freund zu unterhalten? Wie wär’s denn, wenn du einfach mal keinen Scheiß redest?“

Ja, wie wär das? „Wieso wusstest du, wo ich bin?“

„Wegen meiner erstaunlichen Superdetektivfähigkeiten, warum sonst?“

„Wenn ich raten müsste, würde ich aufs GPS meines Smartphones tippen.“ Fick die neuen Errungenschaften der Technologie.

Coles Augen sind violett und unglaublich cool, vor allem, wenn sie im Sonnenlicht leuchten – aber sein Blick ist mir ein bisschen zu spitzfindig, während er meinen ramponierten Hemdkragen mustert.

„Lippenstift?“ Er zieht die Augenbrauen hoch.

„Ich bin auf der Suche nach meinem perfekten Farbton“, erwidere ich ausdruckslos.

„Vergiss das Magenta. Deine olivfarbene Haut schreit nach Dunkelrot.“

Er ist noch schlagfertiger als ich.

Mein altes Ich hätte das seelenruhig gehandhabt. Mein neues Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden. „Danke für den Tipp. Ich werd’s mir merken.“ Ich versuche, an ihm vorbeizugehen.

Er stellt sich mir in den Weg. „Komm schon.“

Cole gibt mir einen Klaps auf die Schulter; wenn ich schwächer wäre, hätte der mich wahrscheinlich auf den Betonboden befördert.

„Lass uns was essen. Sieht aus, als könntest du jetzt eher was Handfestes vertragen als einen Drink.“

So wenig Lust ich auch habe mitzugehen, ich will mich nicht mit ihm streiten. Kostet mich zu viel Energie. Sein Jeep ist am Straßenrand geparkt, und ich schiebe mich auf den Beifahrersitz, ohne zu protestieren. Darauf folgt eine zehnminütige Fahrt. Glücklicherweise versucht er nicht, mir ein Gespräch aufzudrängen. Was gibt es auch zu sagen? Die Situation ist, wie sie ist, und nichts kann sie ändern.

Wir landen beim Hash Town, und als ich durch die Tür trete, wünsche ich sofort, ich hätte mich doch gesträubt. Ali, Bronx und Reeve warten am hinteren Tisch auf uns. Reeve und ich standen uns nie besonders nahe; sie war Kats Freundin, und das Zombiejagen ist, wie bei Kat, nicht ihr Ding. Sie kann Zombies weder hören noch sehen, aber nachdem sie uns unzählige Male hat kämpfen sehen, akzeptiert sie es im Gegensatz zu anderen Normalsterblichen. Die Monster sind Realität, und sie leben direkt unter uns.

Reeve hat ihren Dad – das letzte Familienmitglied, das ihr geblieben war, und unser wohlhabendster Sponsor – am selben Tag verloren wie ich Kat. Zum ersten Mal überkommt mich ihr gegenüber ein Gefühl der Nähe. Vielleicht ist diese erzwungene Begegnung nicht das Schlechteste.

Als sie mich allerdings zur Begrüßung anlächelt, kehrt mein anfängliches Unwohlsein zurück. Sie hat dunkles Haar und noch dunklere Augen, und viele Jahre lang hatten Kat und sie so getan, als wären sie Halbschwestern. Jetzt gerade tut es einfach weh, sie zu sehen.

Wem mache ich was vor? Alles tut weh.

„Soll das eine Einmischung sein?“ Ich nehme einen der beiden freien Stühle und gebe der Kellnerin ein Zeichen, mir Kaffee zu bringen. Den werde ich brauchen.

„Nein“, sagt Ali. „Wäre aber offensichtlich notwendig. Du siehst aus wie Hundescheiße, die ein bisschen zu lange in der Sonne gebraten wurde.“

Sie hat schon immer ungefiltert alles rausgelassen, was ihr durch den Kopf geht. Eine schlechte Angewohnheit, die wegen ihrer Weigerung zu lügen noch schlimmere Auswirkungen hat. Und eine Garantie dafür bietet, dass aus jeder Unterhaltung unweigerlich eine Schlacht wird. Aber das ist okay. Die schonungslose Wahrheit ziehe ich höflicher Schmeichelei jederzeit vor.

Cole, der neben ihr sitzt, gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Daraufhin lehnt sie sich an ihn, eine instinktive, völlig natürliche Reaktion.

So war das bei Kat und mir auch immer.

Stechender Schmerz schießt mir durch die Brust, und ich muss mich zusammenreißen, um das Gesicht nicht zu verziehen.

„Die gute Nachricht ist, dass andere so aussehen, wenn sie besonders gut drauf sind“, erwidere ich.

„Oh, mein Freund“, sagt Ali kopfschüttelnd, „ganz bestimmt hast du noch nicht in den Spiegel gesehen.“

Ich zucke mit den Schultern. „Na, wenigstens siehst du gut aus.“

„Das denke ich auch.“

Das hört sich genauso an, als hätte Kat geantwortet. Wir erstarren beide.

Diesmal habe ich meinen Gesichtsausdruck nicht im Griff. Noch schlimmer, ich brauche einen Moment, um meine Atmung zu beruhigen. Die Unterhaltung kommt langsam wieder in Gang, freundschaftliche gegenseitige Beleidigungen machen die Runde.

Ali beugt sich zu mir. „Ich vermisse sie auch“, flüstert sie.

Ich zucke nur wieder mit den Schultern. Das ist alles, was ich im Augenblick fertigbringe.

Rein äußerlich ist Ali genau das Gegenteil von Kats Typ. Sie ist ziemlich groß, hat langes weißblondes Haar, und ihre Augen sind von einem unglaublich hellen Blau. Kat ist – verdammt, sie war – klein und kurvig mit dunklem Haar und faszinierenden braunen Augen, in denen eine perfekte Mischung aus Grün und Gold schimmerte.

Im Märchen wäre Ali die unschuldige Schneeprinzessin und Kat die verführerische böse Königin.

Es könnte keine geben, die schöner ist als meine Kat. Oder geistreicher. Oder witziger. Oder anbetungswürdiger. Und wenn ich meine Gedanken weiter in diese Richtung schweifen lasse, werde ich dieses Gebäude auseinandernehmen, Stein für Stein.

Die Kellnerin erscheint endlich mit der Kaffeekanne und füllt meine Tasse.

„Deine Bestellung kommt in wenigen Minuten, Süßer.“

Ich bekomme einen freundlichen Klaps auf die Schulter, bevor sie sich wieder davonmacht.

„Wir waren so frei, für dich zu bestellen“, erklärt mir Reeve. „Zwei Spiegeleier, vier Scheiben Schinken, zwei Bouletten, zwei Puffer und ein Stapel Pekanpfannkuchen.“ Sie knabbert an ihrer Unterlippe. „Wenn du noch was dazu möchtest …“

„Ich bin sicher, dass ich mit dem bisschen auskomme.“ Ich bin sowieso nicht hungrig. „Wie läuft die Z-Jagd?“

„Besser denn je.“ Ali trinkt einen Schluck Orangensaft. „Erklär ihm, was du vorhast“, sagt sie zu Reeve.

Reeve errötet. „Ich habe mithilfe der Aufzeichnungen meines Dads und mit Alis Blutproben ein neues Serum entwickelt.“

Ali schießt förmlich von ihrem Stuhl hoch. „Es ist der Hammer, weil sie – ein Tusch bitte! – weil sie es geschafft hat, die Essenz meines Feuers herauszufiltern und zu nutzen. Wir impfen die Zombies damit; das wirkt, als hätten sie mich gebissen. Innerhalb von Minuten sind sie praktisch reingewaschen, weil ich nämlich so unglaublich bin … was denn?“ Sie sieht Cole an, der ihr in die Seite gestoßen hat. „Du weißt genau, dass es stimmt. Wie auch immer. Wenn sie vollständig gereinigt sind, werden die Zs zu Zeugen und schweben ins Jenseits.“

„Es ist schon wie ein Wunder, dem man zusieht“, sagt Cole. Alle Zombiejäger können geistiges Feuer produzieren – eine innere Flamme –, die einzige Waffe, die für Zombies wirklich endgültig tödlich ist. Doch nachdem die Firmenchefin von Anima mit Ali experimentiert und sie mit ungetesteten Drogen abgefüllt hatte, entwickelte Ali die Fähigkeit, Zombies zu retten. Eine Fähigkeit, die sie auf die anderen Zombiejäger übertrug, indem sie diese mit ihrem Feuer berührte.

Mehrmals hat sie mir angeboten, mich ebenfalls teilhaben zu lassen, ich habe jedoch abgelehnt. Ich bin nicht daran interessiert, meine Feinde zu retten. Zombies haben Kat gebissen. Das bedeutet, dass ich sie wegen des Gifts sowieso verloren hätte, auch wenn sie nicht durch eine Bombe und den Kugelhagel umgekommen wäre. Aber was mich wirklich umbringt? Das Gift hat dafür gesorgt, dass sie einen noch viel qualvolleren Tod ertragen musste, weil sich ihre Schmerzen dadurch potenziert hatten. Deshalb müssen Zombies vernichtet werden.

Die andere Seite der Medaille? Ich leide nicht nur, wenn ich gebissen wurde, ich leide unglaublich. Unerträglicher Schmerz frisst mich fast auf; ich werde vom Drang, alles in meiner Reichweite zu zerstören, völlig überwältigt. Ich kann auch nur durch das Feuer eines anderen Zombiejägers oder mit einer Spritze mit dem Antiserum geheilt werden – und ich muss innerhalb von zehn Minuten eins von beidem bekommen, ansonsten bin ich erledigt.

„Höre ich da ein Aber heraus?“, frage ich.

Alis Aufregung schwindet wieder. Mit einem Finger streicht sie über den Rand ihres Glases. „Der Vorrat ist begrenzt, deshalb müssen wir uns öfter von den Zs beißen lassen. Je mehr wir gebissen werden, desto länger brauchen wir, um uns zu erholen.“

„Das scheint logisch. Je mehr Bisse, desto mehr Gift, das der Geist reinigen muss.“

„Noch einen Kaffee?“, erkundigt sich die Kellnerin.

Ali und Reeve schrecken hoch, als sie plötzlich ihre Stimme neben sich hören. Ich nicke einfach. Seit ich durch die Tür ins Café kam, bleibe ich in Alarmbereitschaft. Die Kellnerin habe ich die ganze Zeit im Blick gehabt. Die Mädchen, beide relativ neu in unserer Runde, müssen noch einiges lernen.

„Eure Bestellung ist fertig. Ich bring sie gleich“, sagt die Kellnerin, nachdem sie nachgeschenkt hat. Sie entfernt sich wieder, ohne uns diesen „Ihr-seid-echt-Punks“-Blick zuzuwerfen. Wir sind eben Kids (eigentlich) und haben festgestellt, dass alle annehmen, wir reden über Videospiele.

„Wir müssen eine andere Möglichkeit finden, um uns und den Zs zu helfen“, sagt Bronx. „Nach einem Kampf bin ich für eine Woche geschafft.“

„Er fällt im Grunde genommen ins Koma.“ Reeve legt die Wange an seine Schulter, und er streicht ihr unwillkürlich durchs Haar. „Nicht mal Liebesküsse können ihn erwecken“, fügt sie trocken hinzu.

Cole grinst. „Dann musst du irgendwas falsch machen. Vielleicht solltest du nicht seine Lippen küssen, sondern …“

Ali hält ihm den Mund zu. „Wehe, du redest weiter!“

Er zieht ihre Hand weg und knabbert an ihren Fingern. „… sie beißen“, sagt er, um den Satz zu beenden.

Alle lachen. Alle außer mir. Ich rutsche unbehaglich auf meinem Sitz hin und her und werfe einen Blick zur Tür. Wäre es zu unhöflich, jetzt abzuhauen?

Das Essen kommt ein paar Sekunden darauf, die Kellnerin stellt vor jeden einen dampfenden Teller. Meine Freunde hauen rein, als hätten sie monatelang gehungert. Während ich gestern Nacht Kats Andenken beschmutzt und es in Alkohol ertränkt habe, waren die anderen garantiert auf Zombiejagd und in Biss-Kämpfe verwickelt gewesen. Alis Ärmel ist ein Stück hochgerutscht und gibt den Blick auf heftige Blutergüsse frei, direkt über dem Tattoo mit dem weißen Kaninchen.

Auch Cole und Bronx sind voller Blutergüsse, der Anblick versetzt mir einen Schlag. Sie sind ohne mich in den Kampf gezogen. Sie hätten sich ernsthaft verletzen können oder Schlimmeres. Diese Zombieerrettung ist was Neues und genauso unerprobt wie die Drogen, die sie Ali verabreicht haben. Das heißt, wir wissen nicht, was alles passieren kann. Irgendwas hätte fürchterlich schieflaufen können, und ich war nicht dabei, um zu helfen.

Ich unterdrücke einen Fluch. Ich muss unbedingt die Kurve kriegen. Und zwar am besten gestern. Aber so schnell dieser Anfall von Beschützerenergie mich überfallen hat, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Meine Freunde kommen gut ohne mich klar. Wahrscheinlich sogar besser ohne mich.

Der Griff meiner Gabel verbiegt sich.

„Also, ich habe noch mehr Neuigkeiten“, verkündet Reeve in die plötzlich entstandene Stille. „Ich habe ein Haus gekauft.“

Bronx schluckt einen Bissen von seinem roten Pfannkuchen hinunter. Er stand schon von jeher auf Süßkram, was mich immer wieder amüsiert. Mit seinem wild abstehenden grünen Haar und den vielen Piercings im Gesicht wirkt er eher wie jemand, der gern rostige Nägel und Glasscherben verdrückt.

„Es hat alles, was wir brauchen. Riesige Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad. Ausreichend für alle in unserer Crew und jeden, den wir rekrutieren. Es gibt einen Fitnessraum. Eine Sauna. Einen In-nenraumpool. Sogar einen Basketballplatz. Außerdem, wenn ich mich darum gekümmert habe, wird es top gesichert sein.“

Mein erster Gedanke: Kat hätte es gefallen, mit der Gruppe zusammenzuwohnen. Himmel, sie hätte auch mein kleines, spärlich möbliertes Apartment geliebt, das ich mit meinem Anteil des Treu-handvermögens von Reeves Dad bezahlt habe. Jeder hat einen Teil bekommen. Wir sind alle reicher, als wir uns jemals hätten erträumen können. Aber das Geld ist für mich genauso ein Fluch wie ein Segen. Was ich nicht mit Kat teilen kann, ist es nicht wert zu besitzen. Das betrifft auch mein erbärmliches Leben.

Ich knirsche dermaßen heftig mit den Zähnen, dass ich schon fast erwarte, ein Stück Backenzahn zu verschlucken. Als ich sie plötzlich wieder vor mir sehe, schließe ich schnell die Augen. Das Bild erscheint so klar und deutlich wie ein Film in Technicolor. Sie sitzt auf meinem Schoß, und ich spiele mit den Spitzen ihres seidenweichen Haars.

„Wenn ich nur noch zehn Tage zu leben hätte“, sagt sie, „was würdest du dann gern mit mir tun?“

Ich merke sofort, was sie beabsichtigt, weiß, dass sie mich vorbereiten will. Sie hat ihr ganzes Leben an einer Nierenkrankheit gelitten und ahnte, dass es bald vorbei sein würde. „Dich festhalten und nie wieder loslassen.“

„Wie langweilig.“

„Dich an mein Bett fesseln.“

Ihre Mundwinkel zucken. „Schon besser.“

Plötzlich ernst, sage ich: „Mit dir sterben.“ Diese Worte waren mit jeder Faser meines Seins so gemeint.

Sie hockt sich vor mich hin und umfasst mein Gesicht, damit ich sie ansehe. Als würde ich jemals den Blick von ihr abwenden. Wenn sie in der Nähe ist, sehe ich nichts anderes.

„Du wirst leben, Frost. Du wirst aufs College gehen und neue Freunde finden, Sport treiben und, ja, dich mit anderen Mädchen treffen.“

„Ich würde niemals irgend so einen Sch…wachsinn machen.“ In ihrer Gegenwart will ich nicht fluchen. Ich möchte keinen schlechten Einfluss ausüben.

„Du wirst jemand anders kennenlernen, jemand Besonderes, und sie …“

„Es gibt niemand anders“, unterbreche ich sie. Ich bin diesem Mädchen von der ersten Minute an verfallen.

Sie dreht den Kopf zur Seite, die sanfte Brise weht ein paar Strähnen ihres Haars durcheinander. „Garantiert wirst du mit ihr nicht so viel Spaß haben wie mit mir, und eure Kinder werden nicht ansatzweise so gut aussehen, wie unsere es getan hätten. Aber ich bin sicher, dass sie dich glücklich machen wird … irgendwann.“

Das wird nicht passieren. Niemals. „Du bist diejenige für mich, Kitten, das wird sich nie ändern.“

Plötzlich tippt mir jemand auf die Schulter und holt mich in die Gegenwart zurück. Ich blicke in Coles violette Augen. Die Besorgnis in seinem ruppigen Gesicht macht mich fast fertig. Er liebt mich. Ich weiß, dass er mich liebt, und er will nur das Beste für mich. Aber ich kann das Beste nicht haben, und ich werde nicht so tun, als gäbe es noch irgendwas anderes, für das es sich zu leben lohnt. Okay, was anderes als Rache.

„Komm mit, um dir das Haus anzusehen“, sagt er. „Such dir ein Zimmer aus.“

Ein Zimmer, das ich nicht mit Kat bewohnen würde. „Ich habe schon eine Wohnung.“ Ich atme tief durch … ein, aus, aber ich kann mich nicht beruhigen. Als ich aufstehe, schlittert mein Stuhl nach hinten. „Ich muss jetzt gehen.“

Ein Muskel zuckt unter Coles Auge.

„Wohin?“

Irgendwo anders hin, wo auch immer, nur weg. „Ich … wir sehen uns dann.“ Ohne einen Blick zurückzuwerfen, marschiere ich aus dem Café.

2. KAPITEL

Milla

Einschenken und auslöffeln

Ich hocke wie ein Gargoyle auf dem Grabstein und warte darauf, dass sich die Geister der kürzlich Verstorbenen erheben. Dass es sich um die Guten, die Zeugen, handelt, brauche ich nicht zu befürchten. Die Zeugen verlassen ihren Körper im Moment des Sterbens und steigen auf. Zombies verharren gewöhnlich noch ein paar Stunden oder sogar ein, zwei Tage, in seltenen Fällen eine ganze Woche. Fragt mich nicht, warum das so unterschiedlich abläuft. Zombiephysiologie ist nicht unbedingt meine Stärke. Alles, was ich weiß, ist, dass diese Kreaturen Zeit brauchen, um Kraft für ihren Auftritt zu schöpfen.

Sie gieren immerfort nach dem, was sie verloren haben, dem Wertvollsten auf dieser Welt. Leben.

Ich habe den Polizeifunk abgehört, bin in Krankenhäuser geschlichen, um die Listen der Verstorbenen einzusehen, ich suche auf Friedhöfen nach Gräbern von Leuten, die am Antifäulnis-Syndrom gestorben sind. In den vergangenen Tagen waren es sechs, und alle sechs werden zu funkelnagelneuen Zombies mutieren.

AS nennen die Ärzte den Tod durch Zombiebiss. Nicht dass irgendwelche Experten im Medizinbereich tatsächlich wissen, dass die Infusion des Bösen der Grund dafür ist, dass sich Hautpartien des Opfers schwarz färben und Eiterbeulen entstehen, während die Organe verrotten … bis ein qualvoller Tod das Leiden beendet. Nun, jedenfalls so lange, bis das eigentliche Elend beginnt. Das ewige Dasein als Untoter.

Niemand würde mir glauben, wenn ich die Wahrheit erzählte. Himmel, ich würde womöglich in einem Raum mit gepolsterten Wänden enden, vollgedröhnt mit Medikamenten. Das ist ein paar Freunden von mir passiert.

Ehemaligen Freunden.

Wie auch immer.

Mit etwas Daumendrücken werde ich heute Nacht alle sechs Zombies erledigen.

Das Vernichten von Zombies ist mein Geschäft, und wie das bei allen so ist, bin ich am zufriedensten, wenn das Geschäft gut läuft.

Und ich brauche dringend was Gutes in meinem Leben. Ich bin die am meisten gehasste Zombiejägerin des Landes. Aus triftigem Grund. Aber obwohl mich meine ehemaligen Freunde hassen, liebe ich sie immer noch, weshalb ich hier bin. Je mehr Zs ich vernichte, desto weniger müssen meine Exfreunde kämpfen. Ich möchte ihnen das Leben erleichtern – um Rivers Leben leichter zu machen.

Jahrelang hat mein Bruder mich beschützt, mich und meine …

Daran darf ich jetzt nicht denken. Es macht mich sofort so depressiv, dass ich mir wünsche, von Zombies gebissen zu werden.

So, noch mal von vorn. Jahrelang hat mein Bruder mich vor unserem gewalttätigen Vater beschützt. Er hat mich versteckt, obwohl er dafür bestraft wurde und die für mich bestimmten Schläge dann selbst bekam. Ich stehe in seiner Schuld. Weit wichtiger, ich bete ihn an. Es gibt nichts, was ich nicht für ihn tun würde.

Stehlen, töten und vernichten? Ja, ja und noch mal ja.

„Kommt schon, ihr Fleischklopse“, murmele ich. „Seht das hier als offizielle Einladung zu meiner Stiefelvorführung.“ Zu meiner Unterhaltung und okay, okay, um ein bisschen Dampf abzulassen, habe ich vor, ihnen die Fäule direkt aus dem Gehirn zu kicken.

Alles, was ich brauche, ist vorhanden. Vor Kurzem habe ich meine Körperhülle verlassen und sie am Eingang des Shady Elms Friedhofs, unter dicken Büschen verborgen, abgelegt. Abnehmender Mond und unheimliche Schatten. (Im Geistzustand wird alles mitgenommen, was ich im Normalzustand dabeihatte. Ich bin also immer noch bis an die Zähne bewaffnet und kampfbereit.)

Trotzdem muss ich vorsichtig sein. Ich darf nicht den kleinsten Kratzer abbekommen. Eine Verletzung im Geistzustand wird auf die Körperhülle übertragen, die durch unsichtbare Kräfte mit dem Geist verbunden ist, egal, wie weit beide voneinander entfernt sind. Das ist normalerweise kein Problem, aber ich bin allein und muss meine Wunden selbst versorgen. Im Grunde bin ich die schlech-teste Patientin der Welt.

Um mich herum summen und zirpen Heuschrecken und Grillen, doch die Insekten sind nicht meine einzige Gesellschaft. Ein paar Gräber entfernt steht eine Gruppe von minderjährigen Kids, sie trinken Bier und spielen Wahrheit oder Pflicht. Ganz entschieden der falsche Ort dafür. Und womöglich auch der falsche Zeitpunkt. Zombies fallen bevorzugt über uns Jäger her – wir sind wohl so was wie deren Katzenminze –, aber Normalbürger verachten sie ebenfalls nicht.

Wenn du mit dem Feuer spielst, kannst du dich verbrennen. Wie wahr.

Meine Nackenhaare stellen sich auf, ich bin voll konzentriert und halte mich ruhig. Manchmal spürt mein Geist etwas, das mein Verstand noch nicht registriert hat.

Zombies auf dem Weg nach oben?

Ich blicke mich um, entdecke aber kein Anzeichen von irgendwelchen Untoten in der Nähe. Ein weiterer störender Normalbürger? Wieder negativ. Nicht dass es was ausmachen würde. Ich könnte tanzen, singen und schreien, für die Zivilgesellschaft bin ich ein unsichtbarer Geist.

Vielleicht ein weiterer Zombiejäger, der mir zu Hilfe kommt?

Ja, träum weiter. Als Ausgestoßene aus Rivers Team bin ich für meinesgleichen so gut wie tot. Und das habe ich verdient. Wirklich. Während meiner aufrichtigen Bemühungen, meinen Bruder zu retten, habe ich schreckliche, tödliche Fehler begangen.

Wer nicht hören will, muss fühlen.

Ich drücke die Fingernägel in den Grabstein unter mir. Das ganze Objekt ist in Blutlinien getaucht, eine Chemikalie, die es ermöglicht, die Dinge der Normalwelt für die Geisterwelt spürbar zu machen. Mein Bruder hortet überall im Land Vorräte davon für den Fall eines Falles. Normalerweise hätte ich ihn angerufen und ihn um das, was ich brauche, gebeten. Er hätte mir versichert, dass ich mehr als genug bekommen könnte. Jetzt muss ich mich heimlich von seinen Vorräten bedienen.

Ein Teil von mir will sich nur noch zusammenkauern und um das trauern, was ich verloren habe. Freunde, ein Zuhause. Von den anderen akzeptiert werden, sich sicher fühlen. Eine Familie haben. Der andere Teil, der stärkere, sagt mir, ich soll es schlucken und weitermachen. Was passiert ist, ist passiert.

Außerdem habe ich ein Ziel, und das hat nicht jeder.

Lachen tönt von der Gruppe der Kids herüber. Ich nenne sie Kids, obwohl sie bestimmt nur ein, zwei Jahre jünger sind als ich. Während sie wahrscheinlich den größten Teil ihres Lebens damit verbringen, Spaß zu haben, bin ich damit beschäftigt, zu kämpfen, um die Welt zu retten. Ich bin neunzehn, durch meine Erfahrungen jedoch schnell reifer geworden.

„Willst du jetzt einen Rückzieher machen?“, fragt einer der Jungs die einzige Brünette aus der Gruppe. „Du kneifst?“

„Ich weiß genau, was du beabsichtigst, Mister Manipulator“, erwidert sie grinsend. „Aber du kannst mich nicht dazu bringen, was zu machen, wenn ich’s nicht will.“

„Hör auf zu quatschen und zeig ihm deine Titten“, sagt ein anderer Junge und bewirft sie mit einer Handvoll Blätter. „Ein Versprechen ist ein Versprechen.“

Die anderen glucksen.

„Zum Glück will ich es auch.“ Sie stellt sich in die Mitte der Gruppe, und während ihr Herausforderer sie mit seiner Smartphone-Lampe anleuchtet, hebt sie ihr Top, um ihre Brüste zu zeigen.

Die Jungen pfeifen und klatschen sich mit High-Fives ab. Die Mädchen buhen und stoßen die Fäuste in die Luft.

Ich will schreien: Hört auf, in der Dunkelheit zu leben, und öffnet eure Augen. Eine ganze unbekannte Welt existiert um euch herum.

Ein Schatten erhebt sich aus dem frisch aufgeworfenen Grab vor mir. Sofort vergesse ich die Kids, greife über meine Schulter und umfasse die Griffe meiner Kurzschwerter. Metall gleitet über Leder, pfeift ein wundervolles Lied, und mir läuft das Wasser im Mund zusammen beim Gedanken an einen Vernichtungskampf.

Wie bei einem Pawlow’schen Hund.

Ein weiterer Finger gräbt sich durch die Erde … bald eine ganze Hand. Die Haut hat eine graue Färbung angenommen, mein Herz hüpft vor Aufregung.

Die Kreatur setzt sich auf den Boden und schüttelt den Kopf, Erdklümpchen fliegen aus dem grau melierten Haar. Ich grinse voller Erwartung, bis ich die offenen Wunden an ihrer Stirn und den Wangen entdecke, aus denen verwesende Muskeln und zersplitterte Knochen vorscheinen. Frische Zombies erscheinen normalerweise fast menschlich und sind nur wegen der roten Augen und der grauen Haut als solche zu erkennen. Warum ist das hier anders?

Sie sieht mich an und verzieht die Lippen, sodass die gelben Zähne und dicklicher schwarzer Speichel zu sehen sind.

Mach sie jetzt fertig, stell die Fragen später.

Sie streckt die Hände nach mir aus und schnappt mit den Zähnen.

„Tut mir leid, Süße, aber ich stehe nicht auf der Karte.“ Ich springe vom Grabstein auf und lande genau an der richtigen Stelle – in ihren Armen. Verrückt vor Hunger, umfasst sie meine Taille, um mich näher heranzuziehen, doch ich schwinge bereits meine Schwerter. Die Klingen kreuzen sich an ihrem Hals, bevor ich in Gefahr gerate, gebissen zu werden. Ihr Kopf klappt zurück, schwarzer Schleim spritzt aus ihrer durchschnittenen Arterie.

Die Kids nebenan spielen weiter ihr albernes Spiel.

Trotz der Enthauptung bewegen sich der Körper und der abgetrennte Kopf des Zombies wie zuvor, Zähne schnappen nach mir, Arme versuchen, mich zu greifen. Zeit, sie für immer ruhigzustellen. Ich kämpfe lange genug gegen Untote, das Entwickeln des Feuers – meine Dynamis – fällt mir so leicht wie das Atmen. Während ich eins meiner Schwerter in die Scheide zurückschiebe und meine Hand flach auf die Brust des Zombies presse, flackern die Flammen bereits bis zu meinen Handgelenken hoch. Eine Minute vergeht, zwei … Dynamis dringt durch ihre Haut in die Venen, verbreitet sich im ganzen Körper der Kreatur. Plötzlich explodiert sie, dunkle Asche fliegt durch die Luft.

Ich wiederhole die Prozedur „Feuer an und warten“ an ihrem Kopf, nachdem ich dafür gesorgt habe, dass ihre Zähne fest auf den Boden gepresst sind. Als erneut Ascheregen mit der kühlen Frühlingsbrise davonschwirrt, stecke ich mein zweites Schwert in den Lederhalter und reibe mir die Hände nach dem exzellenten Job.

Ich muss durch den Kreis der Minderjährigen hindurchgehen, um zum nächsten AS-Opfer auf meiner Liste zu gelangen. Jeder der Jungen hat sich inzwischen mit einem der Mädchen zusammengetan. Die Pärchen liegen auf Decken und machen rum, ohne sich um eventuelle Zuschauer zu kümmern. Verlangen und Neid nagen an mir. Ich hatte seit Ewigkeiten keinen „Freund“. River ist so beschützerisch – war so beschützerisch. Mir dreht sich der Magen um, während ich mich im Stillen korrigieren muss. Jeder, der an mir interessiert war, beschloss ziemlich schnell, dass es den Aufwand und den Ärger nicht lohnte … aber gewöhnlich erst, nachdem ich die Ware geliefert hatte. Wenigstens kann ich mir sagen, dass River der Grund ist, weshalb ich so oft zurückgewiesen wurde, und nicht meine zahlreichen Schwächen.

Jetzt würde es River nicht mehr interessieren, ob ich alles vögele, was atmet. Oder vielleicht auch alles, was nicht atmet.

Ich hätte sein Vertrauen in mich niemals missbrauchen dürfen, hätte niemals versuchen sollen, sein Leben zu retten, indem ich das Todesurteil für Ali Bell unterschrieb, der Freundin des Teamleaders der anderen Zombiejäger-Gruppe. Doch zu der Zeit erschien es mir in Ordnung, ein Leben gegen ein anderes zu tauschen. Wenn es nur so gelaufen wäre. Ali hat überlebt, aber zwei Unschuldige mussten dran glauben. Kat Parker und Dr. Richard Ankh. Ich weiß nicht, ob ich mir jemals vergeben kann, welche Rolle ich dabei gespielt habe.

Streich das. Ich werde mir das niemals vergeben.

Zu meiner Linken höre ich ein Grunzen; ich wirbele herum und sehe, dass zwei weitere Zombies aus den Gräbern gestiegen sind. Zwei Zombies, die ich nicht auf meiner Liste hatte. Was zum Teufel … Während ich mit wild klopfendem Herzen die Kurzschwerter aus den Scheiden ziehe, begutachte ich meine neuen Gegner. Zwei männliche Untote. Der eine extrem korpulent, der andere klein und dünn. Beide haben diese graue Haut, genauso wie die weibliche Untote sind sie bereits in stark verwestem Zustand.

Doch sie kommen auf mich zu, ohne zu straucheln, ihr Knochengerüst ist noch nicht zu brüchig, um zusammenzufallen.

Ich schieße nach rechts, sie verfolgen meine Bewegungen aufmerksam. Gut. Ich bewege mich weiter weg, locke die beiden von den Zivilisten fort … übersehe dabei jedoch einen kleinen Grabstein auf meinem Weg. Ich stolpere, lande auf meinem Hintern und schnappe nach Luft. Nur für eine oder zwei Sekunden liege ich flach auf dem Boden, aber das reicht. Die beiden stürzen sich auf mich. Ich mache eine Rolle rückwärts, springe mit gezückten Schwertern auf und ritze beiden gleichzeitig den Bauch auf. Die Innereien quellen heraus, aber keinen der Zs scheint es zu stören, dass ich sie ausgenommen habe. Sie kommen näher.

Ich kicke einem in die Leisten, sodass er zur Seite stolpert, während ich mit einem einzigen Hieb meines Schwertes dem anderen den Kopf abschlage. Der Kopflose, jetzt hinter mir, bekommt meine Haare zu fassen und reißt mich zurück. Idiot! Er kann nichts weiter, als seine Krallen ausstrecken. Ich stoße ihm meinen Ellbogen in die Brust und trete nach ihm. Als er zur Seite taumelt, hacke ich seinen linken Arm ab, wirbele herum und lasse den rechten folgen. Beide Gliedmaßen fallen mit einem dumpfen Schlag auf den Boden.

Druck an einem meiner Stiefel lässt mich nach unten blicken. Der abgetrennte Kopf versucht, sich durch die Ledersohlen zu beißen. Ich ziehe meinen Fuß mit einem Ruck hoch und stoße dem Schädel das Schwert in den Hörkanal. Wenn wir in der Serie „The Walking Dead“ wären, meiner Lieblingsserie trotz der Ungenauigkeiten, wäre er jetzt erledigt. Wieder. Aber das sind wir nicht, und er knabbert weiter an mir. Doch zumindest ist er am Boden festgenagelt. Er kann mir keinen Schaden zufügen, während ich mich um den anderen kümmere …

Ein Felsen rammt mich nieder. Der andere Zombie ist wieder da und will mehr. Beim Aufprall bleibt mir die Luft weg, Sterne blitzen vor meinen Augen, und mir rutschen die Schwerter aus der Hand. Ich schaffe es, seinen Biss abzuwehren, indem ich ihm eine Hand gegen die Stirn presse. Er schiebt sich zwischen meine Beine und greift nach meinem Hals, den er ganz offensichtlich schon als Snack anvisiert hat.

Wenn er ein Mensch wäre, bräuchte ich nur meine Arme zwischen seinen hochzureißen und ihn mit einem Kick auf beide Füße zu Fall zu bringen. Er würde Halt suchend von mir ablassen. Ich könnte dann mit der einen Hand seinen Hinterkopf, mit der anderen sein Kinn packen, um seinen Kiefer zusammenzupressen, ihn herumzurollen und mich auf ihn zu setzen. Auf ein Knie gestützt, würde ich ihm mit einem Faustschlag die Nase brechen, und, während er sich vor Schmerz windet, aufspringen und ihm in sein dummes Gesicht treten. Game over. Aber er ist kein Mensch, also kann ich nichts von alldem tun. Seine Zähne wären mir zu nahe, und er würde keinen Schmerz empfinden.

Ich kann nichts weiter unternehmen, als meine freie Hand zwischen uns zu schieben. Am Taillengurt hängt mein Dolch … da! Nachdem ich die Waffe aus der Halterung gezogen habe, stoße ich damit nach oben und in seinen Hals, immer wieder. Schwarzer Schleim spritzt mir entgegen, brennt sich in meine Haut. Dampf steigt auf. Als sein Kopf nur noch von der Wirbelsäule gehalten wird, lasse ich die Klinge sinken und packe seinen Schädel mit beiden Händen, immer darauf bedacht, seinen Zähnen auszuweichen – sieht aus, als könnte ich einen meiner Kunstgriffe doch noch anwenden. Mit einem Ruck bricht der verdammte Kopf von seinem verdammten Rumpf.

Schwer atmend wuchte ich diesen neu kreierten Boxsack hoch und stoße ihn von mir. Mir wird schwindlig, jetzt ist jedoch nicht der Moment, um sich auszuruhen. Ich entwickle mein Feuer und lege eine Hand flach auf den Rücken des Zombies. In meinem geschwächten Zustand sind die Flammen nicht mehr so stark und die Verwandlung des Zombies von verwesendem Fleisch in Asche dauert länger als sonst, aber es klappt letztendlich.

Auf wackligen Beinen stolpere ich vorwärts, erleichtert, suche nach dem Kopf, um damit das Gleiche zu wiederholen, da sehe ich mich mindestens einem Dutzend glühender roter Augenpaare gegenüber – und jedes einzelne starrt mich an.

3. KAPITEL

Frosty

Einen wunderschönen versauten Tag wünsche ich dir

Überraschung, Überraschung, ich bin wieder im Hearts und halte Ausschau nach meiner nächsten Beute.

Aus reiner Gewohnheit scanne ich meine Umgebung. Vor vier Monaten, nur ein paar Tage, bevor Kat …

Okay. Wie auch immer. Ein Teil des Klubs war von Anima zerstört worden. Deren Agenten hatten die Wände gesprengt und waren zum Angriff hereingestürmt. Wir hatten ihnen einen harten, fetten Kampf geliefert, aber der Klub war hinüber. Glücklicherweise hatten wir nur einen Monat benötigt, um alles wieder aufzubauen. Das Alte raus, Neues rein. An der Decke hängen jetzt Schwarzlichthalogenstrahler, von denen die Spezialfarbe hinter und neben der Bühne, wo eine Band spielt, im Dunkeln zum Leuchten gebracht wird. Auf die Wände ist ein Zauberwald gemalt, eine Grinsekatze schwebt dort und ein Kaninchen mit Taschenuhr. Alis Vorschlag. Im Andenken an Kat und Alis jüngere Schwester Emma.

Der Klub hat mal Reeves Vater gehört. Nach seinem Tod hinterließ er den größten Teil seines Vermögens seiner Tochter – seine einzige noch lebende Familienangehörige – und uns aus dem Team jedem eine Million Dollar. Den Klub hat er Tyler Holland vererbt, Coles Dad. Ich bin auf der VIP-Liste, obwohl ich erst achtzehn bin. Auf meiner Karte steht, ich sei vierundzwanzig.

Mein Smartphone vibriert. Ich checke das Display und finde eine SMS von Cole.

Wieder im Klub? Echt? Warum bist du nicht ein guter Junge und denkst dir was Schönes? Jawohl, hatte ich auch schon. Hör auf rumzuvögeln und komm nach Hause. Hierher, wo du hingehörst.

Einer der Angestellten muss ihn angerufen haben. Freunde, die sich wirklich Sorgen machen, sind echt klasse – bis sie einen nerven.

Es gibt noch mehr Textnachrichten.

Ali: Hab über einen Titel für ein Zombiedatingbuch nachgedacht. Achtung … Ich könnte sterben für ein Treffen mit dir. Und???

Mein lieber Gavin, ein Zombiejäger, der genauso respektlos ist, wie ich’s mal gewesen bin: Ich hörte, du machst gerade alle Brünetten fertig. Alter! Das ist mein Terrain. Sattle auf Blondinen um, ist besser für deine Gesundheit (soll heißen, ich bring dich um, wenn du nicht auf mich hörst).

Bronx: Ein neuer Rekrut hat gefragt – was tut ein Zivilist, der gegen einen Zombie kämpft? Ich antworte – lecker schmecken. Er hätte sich fast in die Hose gemacht. Du solltest hier sein.

Wieder Ali: Wenn die Zombieapokalypse in Vegas stattfindet, wird sie in Vegas bleiben???

Ali gleich noch mal: Wenn Chuck Norris von einem Zombie gebissen wird, verwandelt er sich dann in einen Zombie – oder wird der Zombie zu Chuck Norris?

Sogar Derek, der nach Oklahoma gezogen ist, um dort ein neues Team zu leiten und zu trainieren, hat mir eine SMS geschrieben: Sieh das als eine beständige Einladung, mich zu besuchen. Du fehlst mir, Mann.

Sie wollen mir helfen, weil sie mich lieben. Wann sehen sie endlich ein, dass es zu spät ist? Ich bin zu kaputt, um repariert werden zu können.

Ich ignoriere die Textnachrichten und werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist kurz nach zwölf und ich habe bereits einen Whisky zu viel intus. Wenn „eins“ das neue Wort für „vier“ ist. Was soll’s. Ich will gar nicht hier sein. Sondern in einem Bett und mir was vormachen.

Wer ist die Unglückliche heute Nacht? Ich entdecke eine Kandidatin auf der Tanzfläche. Sie ist um die zwanzig und hat lange dunkle Haare. Ob die Augen grün sind? Ist wohl auch egal. Wenn ich nicht hinsehe, können sie jede Farbe haben, die ich mir wünsche.

Ich leere mein letztes Glas und stehe, überwältigt von schlechtem Gewissen und Scham, auf. Das hier sollte ich sein lassen. Morgen werde ich es bereuen. Die Gier nach einem Kick, der mir den Blackout verschafft, ist jedoch stärker. Und das ist die einzige Möglichkeit, ihn zu bekommen.

Ich bewege mich auf das Objekt meiner Begierde zu und bleibe plötzlich auf halbem Weg stehen. Mein Herz hämmert mir gegen die Brust. Ich glaube, ich sehe … Kat? Meine Kat? Sie erwidert meinen Blick und schenkt mir ein umwerfendes Lächeln. Dieses Lächeln kenne ich. Ich kenne alle ihre Arten zu lächeln, die gut gemeinten, die hinterhältigen und die, ja, traurigen.

Ich bin wie gelähmt, während ich sie anstarre. Das schwarz glänzende Haar. Ihre schönen haselnussbraunen Augen. Ihr zierlicher Körperbau. Die aufregenden Kurven. Die blasse Haut, die ich so oft gestreichelt und geküsst habe, deren Zartheit und Wärme sich in meine Seele eingeprägt haben.

Sie ist es wirklich.

Ich bin wesentlich betrunkener, als ich glaubte, und verwechsle meine Erinnerungen mit der Realität. Oder ich fange an zu halluzinieren. Es ist mir egal. Ich nehme sie, wie ich sie bekommen kann. Innerhalb von Sekunden habe ich den Saal durchquert. Kurz bevor ich sie erreicht habe, dreht sie sich um und schwebt davon. Ich hetze hinterher. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass sie mir entwischt, in welcher Form ich sie auch immer sehe. Lieber würde ich sterben.

Sie bleibt am Hinterausgang stehen, dreht sich zu mir um und winkt mich sogar zu sich. Ich werde ihr überallhin folgen, egal, wohin sie mich führt. Aber … eine Sekunde später ist sie im Nebel verschwunden.

Voller Panik dränge ich mich an den Leuten vorbei zum Ausgang. Eine kühle nächtliche Brise empfängt mich, die unangenehme Gerüche mit sich trägt: vergammeltes Essen, Urin und Kotze. Eine Straßenlaterne beleuchtet die Reihe von Müllcontainern, zwischen denen eine Maus herumhuscht. Papierschnipsel fliegen durch die Luft wie Schneeflocken.

Kat ist kurz nach einem Schneesturm getötet worden.

Ich darf sie nicht noch einmal verlieren. „Kat!“, rufe ich jetzt verzweifelt. Wenige Meter entfernt fliegt ein schwarzer Vogel davon. „Kat!“

„Mann. Es ist besser, wenn du nicht so laut schreist. Wie wär’s mit einer Stufe leiser – oder lieber zwölf Stufen?“

Ihre sanfte Stimme ertönt direkt hinter mir. Ich wirble herum, jeder Muskel in mir ist vor freudiger Erwartung angespannt … und da ist sie. Die Liebe meines Lebens.

Plötzlich habe ich das Gefühl, als hätte sich ein Elefant auf meinen Brustkorb gesetzt. Ich schnappe nach Luft. Ich zittere am ganzen Körper. Ich wünsche mir, dass sie real ist. Dass sie mir erzählt, sie hätte ihren Tod nur inszeniert, um zu sehen, wie viele Leute wohl auf ihre Beerdigung kommen – das sollte ein Spaß sein, Frosty. Aber sie schweigt, und ich strecke eine Hand nach ihr aus.

Sie bleibt bewegungslos stehen. Dann …

Meine Finger erfassen nur Luft, als ich durch ihr Haar streichen will, und ich stoße eine Reihe von Flüchen aus.

„Wow“, sagt sie grinsend. „Ich glaube, ein paar von diesen Ausdrücken entbehren jeglicher anatomischer Grundlage.“

Ihr souveräner Humor beruhigt mich wieder etwas.

Sie trägt die Sachen, in denen sie gestorben ist, ein weißes Shirt und eine von meinen Boxershorts. Sie sieht anbetungswürdig und wunderschön aus. Die Wunden vom Schutt, unter dem sie in Ankhs Haus begraben lag, und von den tödlichen Schüssen in die Brust sind verschwunden. Sie hat keinerlei Verletzung und sieht kerngesund aus.

Sie ist alles, was ich im Leben vermisst habe.

„Du bist hier“, sage ich ehrfürchtig. „Du bist wirklich hier.“

„Das bin ich. Aber du, Frosty, bist ein Idiot.“

Ich grinse. Das erste Mal seit ihrem Tod. „Sogar als Halluzination riskierst du eine dicke Lippe. Das gefällt mir.“

„Ich bin keine Halluzination, du Dummkopf. Ich bin eine Zeugin und ich bin hier, um dir zu helfen – sei also so lieb und übe dich in Ehrfurcht vor meiner Güte.“ Sie stößt die Faust in die Luft. „Super-Kat kommt zu deiner Rettung!“

Jetzt runzle ich die Stirn. Was ich nach Kats Tod etwa eine Million Mal getan habe. Ich habe noch nie eine Zeugin gesehen, aber Ali und Cole schon, daher weiß ich, dass es das gibt. Doch meine Kat ist vor vier Monaten gestorben, und sie hätte nicht so lange gewartet, zu mir zu kommen, wenn es möglich gewesen wäre. Also … vielleicht ist sie eine Zeugin, vielleicht aber auch nicht. Selbst in meinem desolaten Zustand sollte ich nach einer logischen Erklärung für eine solche Präsenz suchen.

Es ist mir egal. Sie ist hier, sie ist bei mir, und nichts anderes zählt.

„Du willst mir helfen“, sage ich, und meine Stimme hört sich krächzend an. „Dann bleib hier. Verlasse mich nicht wieder.“

„Tsk-tsk. Denkst dauernd nur an dich.“

Sie geht um mich herum, so wie sie es immer getan hat, wie eine Jägerin, die sich ihre Beute ausgewählt hat. Eine Geste, die sie von mir gelernt hat.

„Ich weiß, es fällt ist dir schwer, dich von mir zu trennen. Wem ginge es nicht so? Ich bin eben unglaublich! Aber, mein Li-hie-ber. Ich hätte keinen totalen Abstieg erwartet. Du hattest das vorzüg-lichste Filet und jetzt knabberst du an vergammelten Resten.“

Eine sehr kattige Art, meine Reihe von One-Night-Stands zu kommentieren. Ich senke den Blick, beschämt über mein Verhalten. Tausend Entschuldigungen würden nicht ausreichen. „Es tut mir leid, Kat, es tut mir so leid. Du warst nicht mehr da … ich glaube, ich wollte uns beide bestrafen. Dabei verabscheue ich, was ich …“

Sie hebt eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. „Das reicht. Ich will deine Entschuldigungen nicht hören. Du ruinierst dein Leben, und das kann ich nicht akzeptieren.“

„Machst du Witze? Mein Leben ruinieren? Kitten, ohne dich habe ich kein Leben!“ Die Worte schießen mit einer Heftigkeit aus meinem Mund, die ich nicht beabsichtigt habe. „Tut mir leid“, sage ich noch einmal. „Ich schneide mir lieber mein linkes Ei ab, als dich anzuschreien. Es war nicht so gemeint.“

„Na schön, ich nehme die Entschuldigung nicht an!“ Sie stemmt die Hände in die Taille. „Seit ich da oben bin …“ Sie hebt den Daumen in Richtung Himmel. „… habe ich die Möglichkeit, dich und dein Treiben zu beobachten. Und weißt du was? Du hast aus dem ‚Beefcake TV‘ die ‚Bama’s Crappiest Videos‘ gemacht. Von heute an wirst du rausgehen und gute Taten vollbringen.“

Für sie? Alles! „Was nennst du eine gute Tat?“

„Zuerst mal wirst du deinen Freunden beim Kampf gegen die Zombies helfen. Und zwar mit einem Lächeln auf dem Gesicht!“ Sie stampft mit dem Fuß auf. „Hast du mich verstanden?“

„Jawohl. Den Freunden helfen. Kämpfen. Lächeln. Wenn ich das mache, bleibst du dann bei mir?“

Sie schließt kurz die Augen und seufzt. „Und ich habe dem Rat gesagt, ich hätte das in der Tasche. Böse Kat. Böse, böse!“

„Rat?“ Wenn sie das Produkt meiner Einbildung ist, sollte ich da nicht ein bisschen Kontrolle über ihre Erscheinung haben? Sollte sie nicht nach meiner eigenen verkaterten Logik funktionieren? Ganz offensichtlich habe ich das hier nicht unter Kontrolle, und ich kapiere ganz sicher nicht, wovon diese Frau redet.

Plötzlich trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag mit der Keule. Sie ist tatsächlich eine Zeugin, real, aber nicht körperlich, und sie ist wirklich hier.

Freude überkommt mich. „Egal, vergiss es.“ Ich trete einen Schritt vor.

Sie weicht zur Häuserwand zurück. Eine Wand, die mit meiner Hilfe wöchentlich neu in Blutlinien getaucht wird, sodass sie nicht von Geistern durchdrungen werden kann. Auf diese Weise wird verhindert, dass Zombies ins Gebäude kommen.

Als ich fast vor ihr stehe, verlasse ich meine Körperhülle, um in die Geistform einzutreten. Dazu benötige ich das Vertrauen in diese Fähigkeit, die alle Zombiejäger haben müssen, bevor ich sie umsetze. Das ist unsere Kraft, so wie Nahrung die Quelle für die Kraft unseres Körpers ist.

In Geistform empfinde ich die Luft um viele Grade kälter. Doch das ist mir egal, denn Geister können nur von anderen Geistern berührt werden, und ich will Kat mit jeder Faser meines Seins berühren. Aber als ich die Hand ausstrecke, springt sie zur Seite und weicht mir aus.

„Warte, du Grapscher.“ Sie schüttelt den Kopf, sodass ihr dunkles Haar über ihre Schultern fällt. „Ich habe mich nicht immer an die Regeln gehalten – oder sagen wir, ich habe es nie getan. Doch das liegt jetzt hinter mir. Du hast keine Ahnung, was ich alles anstellen musste, um hierherzukommen. Oder was passieren wird, wenn ich das hier verbocke. Für Erklärungen ist aber keine Zeit. Nicht jetzt bei diesem Besuch. Merk dir nur, dass eine einzige Berührung von dir dafür sorgen wird, dass ich nie wieder zurückkommen darf.“

Ich balle die Hände zu Fäusten, öffne sie und trete in meine Körperhülle zurück. Wir dürfen uns nicht berühren, okay. Wir werden uns nicht berühren.

Was auch immer nötig ist, um sie zu bekommen, sage ich mir.

Ihr Gesichtsausdruck wird weicher. „Ich bin deine Vergangenheit, Frosty, und im Augenblick bin ich deine Gegenwart. Aber du musst dich endlich damit abfinden, dass ich niemals Teil deiner Zukunft bin.“

„Du bist meine Vergangenheit, Gegenwart und meine Zukunft, Kitten.“ Mit nichts anderem werde ich mich zufriedengeben.

„Frosty …“

„Kat. Warum sehe ich dich erst jetzt? Warum warst du so lange weg?“

Sie erwidert meinen Blick, aber ein paar Herzschläge lang habe ich das sichere Gefühl, dass sie mich nicht mehr sieht. Sie scheint mit ihrer Aufmerksamkeit ganz woanders zu sein, irgendwo, wo ich noch nie gewesen bin. Wo ich nicht hingehen kann.

„Wie ich schon sagte, wir können uns jetzt nicht mit dem Kleinkram befassen.“

„Wann wirst du mich wieder besuchen?“

Sie neigt den Kopf. „In den nächsten Monaten wirst du das unglaubliche Glück haben, mit einem Besuch pro Tag von mir beehrt zu werden.“

Das reicht mir nicht. „Ich bin erst zufrieden, wenn du ein Teil von mir bist.“

Sie verdreht die Augen. „Das hier ist keine Verhandlung und du hast mich nicht ausreden lassen. Ich werde dich jeden Tag einmal besuchen … solange du etwas Gutes für unsere Sache getan hast.“

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. „Willst du mich bestechen?“

„Ah, gut. Du kapierst.“ Sie lächelt mich an und sofort verspüre ich einen dumpfen Schmerz in der Brust. „Und nein, heute Nacht war kein Bonus. Du musst dir dein Privileg noch verdienen.“

Das ist meine Kat, immer entschlossen zu bekommen, was sie will. Das ist eine der tausend Eigenschaften, die ich an ihr liebe. Sie nimmt sich, was sie will, wenn sie was will, pfeift auf die Folgen.

Ich wünschte, ich könnte sie küssen, aber wenn ich sie deshalb verliere, werde ich meine Hände – und meine Lippen – im Zaum halten. „Mach dich bereit, mich sehr oft zu sehen, Kitten. Ich tue alles, um mit dir zusammen zu sein.“

„Mann. Ich bin so Torte, ich bin die Torte.“

Ihr Bild beginnt zu verblassen, und ich schüttle wild den Kopf.

„Kat!“

„Hör zu, Frosty, ich habe keine Zeit mehr. Und ich habe dir noch nicht gesagt, was du machen sollst. Das ist ein Befehl …“

„Nein. Du bleibst hier bei mir. Verstehst du? Wir sind noch nicht fertig.“

Ihr Kopf ruckt zur Seite, als horche sie auf etwas, das ich nicht hören kann, und sie reißt die Augen auf. Ich folge ihrem Blick … und erkenne ein verschwommenes Bild von Alis jüngerer Schwester Emma. Deren Lippen bewegen sich, aber ich kann sie nicht verstehen.

„Verdammt, verdammt, verdammt. Es ist schlimmer, als wir dachten“, sagt Kat, als sie sich mir wieder zuwendet. „Sie ist allein, und sie haben sie umzingelt. Sie braucht dringend Hilfe, Frosty. Du musst zu ihr gehen.“

„Zu wem? Emma?“

„Nein, es ist …“

„Zu wem?“

„Es tut nichts zur Sache, wer sie ist“, sagt Kat und betrachtet mich besorgt. „Sie ist ein Mensch und braucht Hilfe, also zieh dir deine Große-Mädchen-Hose an, mach, dass du zum Shady Elms kommst, und hilf ihr verdammt noch mal! Es ist fast schon zu spät!“

Kurz darauf ist Kat verschwunden.

Fluchend ramme ich eine Faust in die Wand. Meine Fingerknöchel protestieren, aber okay. Alles klar. Mein Mädchen ist weg, doch sie kommt wieder. Diesmal ja. Ich muss nur dieser mysteriösen „Sie“ helfen.

Shady Elms ist etwa zehn Minuten entfernt. Fünf, wenn ich den Geschwindigkeitsrekord breche. Ich flitze zu meinem Truck, stoppe mich jedoch, als ich hinter dem Steuer sitze. Ich habe getrunken. Das würde nicht gut gehen. Okay. Ich bewaffne mich mit der Ausrüstung, die ich im Wagen aufbewahre, und schlüpfe aus meiner Körperhülle, die ich auf dem Fahrersitz zurücklasse.

Während ich mit übermenschlicher Geschwindigkeit losrenne, schlendern mir Fußgänger entgegen. Da sie mir ohne es zu wissen im Weg sind, bin ich gezwungen, entweder durch sie hindurch-zuschweben oder um sie herumzurennen. Ich umrunde sie, um nicht mit ihrem Geist zu kollidieren. Mir wird schwindlig und ich verspüre Übelkeit, aber ich behalte das Tempo bei. Ich lasse die Häuserreihen hinter mir und befinde mich auf einer langen asphaltierten Straße. Die ganze Zeit achte ich auf Anzeichen von Untoten – ein Grunzen, das zu hören ist, der üble Gestank von Verwesendem und auf rot glühende Augen, in denen der Hunger und das Böse aufleuchten.

Als der Friedhof in Sicht kommt, renne ich durch eine Baumreihe. Ich komme an einer riesigen Eiche vorbei, da dringt das schreckliche Ächzen und Grunzen in meine Ohren. Dann höre ich eine weibliche Stimme frustriert fluchen und laufe noch schneller. Ich springe über Grabsteine und renne an einem Mausoleum vorbei … bis ich schließlich die Horde sehe. Mindestens zwanzig Zombies haben sich um ein einziges Mahl versammelt, während unzählige weitere Kreaturen sich in Stücke geschnitten wie altes Gulasch am Boden winden.

Die mysteriöse „Sie“ ist eine Zombiejägerin. Gut. Dann kann sie mir helfen, ihr zu helfen.

Ich ziehe meine Halbautomatikwaffen und arbeite mich durch die Versammlung, schieße auf jedes verrottende Hirn, das sich mir in den Weg stellt. Die Wucht der Patronen schickt die Kreaturen zu Boden. Keine endgültige Lösung, aber wenigstens halte ich den Feind dadurch auf.

Die Zombies drehen sich zu mir um, als sie mich wittern. Ich wirble die Schusswaffen herum, sodass ich jeweils den Lauf in der Hand halte. Durch Druck auf einen versteckten Hebel springen gezackte Äxte aus den Griffen. Ich beginne, auf die Angreifer einzuhacken, bleibe dabei ständig in Bewegung. Gliedmaßen fallen zu Boden, verwestes Fleisch wird zerteilt.

Da wir im Geistzustand nicht den physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Normalzustands unterworfen sind, bin ich in der Lage, in einer Geschwindigkeit zu kämpfen, mit der die vor Hunger benebelten Zombies nicht mithalten können. Bevor eine Kreatur nach mir greifen kann, habe ich bereits deren Arm abgehackt … gefolgt von deren Kopf. Da mehr und mehr wandelnde Untote in Stücke geschnitten werden, breitet sich eine Lache von Schleim und schwarzem Blut auf dem Boden aus. Zumindest öffnet sich mir jetzt ein Pfad, durch den ich zur Zombiejägerin gelange. Sie steht mit dem Rücken zu mir. Eine Blondine.

Ihre Bewegungen sind geschmeidig, und sie kämpft mit einer wilden Entschlossenheit, die ich bewundern muss. Ihre Kurzschwerter wirken wie die Verlängerung ihrer Arme, wenn sie mit perfekter Präzision zusticht und aufschlitzt. Sie trägt ein pinkfarbenes Shirt, das ihren schlanken Körper zur Geltung bringt. Unwillkürlich muss ich grinsen. Kat hätte wahrscheinlich etwas Ähnliches getragen, wenn sie eine Zombiejägerin wäre.

Zum ersten Mal denke ich an mein Mädchen, ohne gleich zu wünschen, ich wäre ebenfalls tot.

Die Blonde schickt mit einem einzigen Schwertstreich drei Zs zu Boden, sieht aber nicht, dass die letzten beiden wieder auf die Füße kommen … und sich von hinten an sie anschleichen. Ich wirble meine Pistolen herum und feuere schnell zwei Schüsse ab, sodass die Kreaturen rückwärts fliegen. Ich stürze nach vorn und hacke ihnen die Kiefer auseinander, kaum dass sie auf dem Boden gelandet sind. Sie würden mich oder andere nicht mehr beißen können.

Heftig atmend und in Schweiß und Schleim gebadet wende ich mich der Blonden zu. Unsere Blicke treffen sich und plötzlich erstarre ich vor Entsetzen. Ihr muss es genauso gehen, ihre Kinnlade sackt herunter.

Schulterlanges blondes Haar umrahmt ihre feinen Gesichtszüge, denen auch die silbernen Ringe in den pechschwarzen Augenbrauen nichts von ihrer Zartheit nehmen. Ihre Augen sind von einem dunkelgolden schimmernden Braun wie die Farbe von Honig, ihre gebräunte Haut ist mit schwarz-weißen Tattoos bedeckt. Sie ist auf eine punkige Barbieart schön. Das war mir schon früher aufgefallen.

Als wir für ein paar Monate zusammen in derselben Sechstausend-Quadratmeter-Villa gewohnt haben, waren wir nie miteinander ins Gespräch gekommen. Ich hatte keine Zeit für sie, hatte ihr nie mehr als einen kurzen anerkennenden Blick zugeworfen. Meine Aufmerksamkeit war immer auf Kat gerichtet oder auf einen Auftrag, es gab wenig, was mir meine Zeit sonst noch wert war. Aber es besteht kein Zweifel, ich stehe vor Camilla Marks. Milla, wie ihre Freunde sie nennen.

Ich bin nicht ihr Freund.

Sie ist Rivers Schwester und war einmal seine Stellvertreterin in einer Gruppe von Zombiejägern, die Cole und mir nicht von Anfang an freundschaftlich gesinnt war. Milla ist diejenige, die ihr eigenes Team betrogen hat, ihres und meins. Sie hat das Sicherheitssystem unserer Villa zerstört, sodass Animas Leute Ali entführen konnten. Alles unter dem Vorwand, ihren Bruder zu retten – indem sie Alis Leben gegen das von River aushandelte.

Sie ist die Hexe, die an Kats Tod schuld ist.

Ich verstehe das Bedürfnis, die Familie zu beschützen, doch ich werde es nie akzeptieren, wenn dabei Unschuldige in Gefahr gebracht werden. Okay, das ist eine Lüge. Ich hätte alles getan, jeden betrogen, um Kat zu retten. Das heißt aber nicht, dass ich diesem Mädchen jemals vergeben werde.

Es ist unmöglich, dass Kat mich losgeschickt hat, um Camilla Marks zu retten. Meine Kitten hat wohl nicht gewusst, wer da Hilfe benötigte. Sie hat sich geirrt. Das kann ich richtigstellen.

„Danke.“ Camilla wischt sich den Schweiß von der Stirn, und ich bemerke das Wort „Verrat“ als Tattoo an ihrem Handgelenk. „Du hast mir das Leben gerettet.“

„Behalte deinen Dank für dich. Darauf verzichte ich“, knurre ich wütend. Ich bin kurz davor auszurasten, und ich weiß nicht, was dann passiert. Bisher habe ich noch nie jemanden mehr gehasst als sie – nicht mal mich selbst. „Warum trägst du ein pinkfarbenes Shirt? Du willst dich doch nicht in Candyland verstecken.“

Sie blinzelt, scheint von meiner Feindseligkeit jedoch nicht überrascht zu sein.

„Ich nehme an, du erinnerst dich an mich.“

„Ich bin gerade dabei, mächtig rasende Wut zu unterdrücken, und ja, ich erinnere mich.“ Du bist eine Verräterin und der Abschaum der Welt, möchte ich schreien. Aber jedes Wort, das in Geistform gesprochen wird, wenn man wirklich daran glaubt, bewahrheitet sich in der normalen Welt unwiederbringlich. Ich glaube, dass sie eine Verräterin und Abschaum ist, doch wenn ich die Anschuldigung laut ausspreche, verleihe ich den Worten Kraft und könnte vielleicht ihre böse Seite noch verstärken.

Manchmal ist es besser, seine Meinung für sich zu behalten.

Sie zuckt zusammen. „Ich werde meinen Dank aber nicht zurücknehmen.“

Als ich den metallischen Geschmack im Mund spüre, merke ich, dass ich mir auf die Zunge gebissen habe. Ich spucke vor ihre Füße. „Hast du mit einer Zeugin gesprochen? Mit Kat Parker? Du erinnerst dich doch an Kat, oder? Meine Kat.“ Was ich wirklich von ihr wissen will: Hat Camilla sie belogen? Hat sie mein Mädchen dazu gebracht, einer Feindin zu helfen? „Die Unschuldige, die wegen deiner kaltblütigen Tat ermordet wurde.“

Wieder zuckt sie leicht zusammen, dann hebt sie das Kinn. „Natürlich erinnere ich mich an sie. Aber nein, ich habe nicht mit ihr gesprochen.“

„Du lügst“, stoße ich wütend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie muss lügen.

Ein Zombiekopf mit schnappenden Zähnen rollt mir entgegen. Ich kicke dem Ding in die Nase, sodass es wie ein Fußball zu einem Hügel mit Grabsteinen rollt. Ein Punkt für Frosty.

Camilla schüttelt wild den Kopf und reibt sich das Handgelenk mit dem Tattoo. „Ich lüge nicht. Glaub mir, ich habe meine Lektion gelernt.“

Ich glaube ihr nicht, aber ich werde das hier nicht tun. Ich werde mich nicht mit ihr unterhalten. Ich drehe mich um und verlasse den Friedhof. Den Blick gen Himmel gerichtet, sage ich: „Ich habe meine gute Tat für heute getan. Ich habe Camilla Marks am Leben gelassen. Ich erwarte dich morgen, Kat. Ansonsten …“

4. KAPITEL

Milla

Weißes Kätzchen, schwarzes Kätzchen

Ich bin keine, die heult. Wenn du zusehen musstest, wie zahlreiche deiner Freunde auf die schrecklichste Art umgekommen sind, stumpfst du irgendwann ab, du bist desensibilisiert und kaum noch fähig, Schmerz zu empfinden. Und wenn du deine eigenen Wunden nähen und deine Knochenbrüche selbst richten musst, schnellt die Leidenstoleranzschwelle in schwindelnde Höhen. Doch heute Nacht, während ich durch das Meer von Zombiekörperteilen wate, um das Böse mit meiner Dynamis einzuäschern – das Licht verdrängt die Finsternis –, rollt mir eine einzelne Träne über die Wange.

Der Junge … Frosty. Ich erinnere mich an jede Begegnung mit ihm, die ich jemals hatte. Wie auch nicht? Er ist einer der bestaussehenden Typen dieses Planeten. Er betritt einen Raum und alle Blicke richten sich auf ihn, meiner eingeschlossen. Die Mädchen wollen mit ihm ins Bett, die Jungen möchten mit ihm befreundet sein.

Er ist wundervoll groß mit dem muskulösen Körperbau eines Footballspielers. Dazu diese Bad-Boy-Attitüde – abfällig, bissig, nervtötend, aber trotzdem irgendwie süß. Er ist die personifizierte Stärke und so tödlich wie die Schusswaffen, die er bei sich trägt.

Viele Zombiejäger steigen in den Boxring, um neue Tricks zu lernen, andere auch nur zum Vergnügen. Wenn er in den Ring steigt, ist klar, dass er nur eins im Sinn hat: den anderen fertigzumachen.

Warum hat er mich einfach stehen lassen, wo er doch so auf Rache aus ist?

So wie er sich vor mir aufgebaut hat, stolz und wütend, überall am Körper die schmierigen Spuren des Kampfes, die Strähnen seines blonden Haars, das einige Nuancen dunkler ist als meins, klebten ihm an den Wangen, seine Hände zuckten, als wollte er jeden Augenblick zu seinen Waffen greifen … ja, er wollte mich niedermachen. Seine dunkelblauen Augen blickten bohrend und eiskalt – ein Serienkiller, der dir gerade erklärt, wie er dich zerhacken und deine Einzelteile im Kühlschrank verstauen wird. Er hat auf mein Herz gestarrt, als wollte er es zum Stillstehen bringen. Andererseits erinnere ich mich unwillkürlich an andere Momente, wenn er seine Freundin Kat angesehen hat, wie das Eis geschmolzen ist und sein Blick heißer als Feuer wurde.

Mich hat noch nie jemand so angesehen. So als wäre ich etwas Wertvolles. Das Wertvollste überhaupt. Kostbarer als die Sonne, der Mond und die Sterne. Als wäre ich etwas Unbezahlbares. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand mich heute so ansehen würde. Oder irgendwann jemals. Nicht nach dem, was ich getan habe.

Aber das ist in Ordnung. Ich habe den Tod gebracht, jetzt muss ich das ernten, was ich gesät habe.

Ich betrachte mein neuestes Tattoo. Verrat. Eine bleibende Erinnerung an das Schlimmste, das ich meinen Freunden antun kann. Der Preis ist zu hoch. Ich seufze und mache mich wieder an die Arbeit. Als ich die letzten Reste der Zombieteile eingeäschert habe, sind die Kids, die überhaupt nicht bemerkt hatten, dass um sie herum eine Schlacht stattgefunden hat, verschwunden. Ich bin total erschöpft.

Ich trotte zu meiner Körperhülle zurück und vereine mit einer Berührung Körper und Geist. Es fällt mir so leicht, wie einen Handschuh überzustreifen. Ein paar Kratzer habe ich auf den Armen, und an den Beinen entdecke ich Blutergüsse, ansonsten bin ich unverletzt. Das verdanke ich Frosty, der mich mit glühender Leidenschaft hasst. Ohne ihn hätte ich den Kampf heute Nacht womöglich nicht überlebt.

Womöglich. Ha! Es waren zu viele Zombies, als dass ich sie allein hätte erledigen können.

Ich gehe weiter, bleibe jedoch vor dem Ausgang des Friedhofs stehen. Um mich herum entdecke ich Haufen von Asche. Wunderbar. Vernichtete Zombies. Nur habe ich die Untoten hier nicht erledigt. Das muss also jemand anders gewesen sein. Frosty auf dem Weg nach draußen? Oder vielleicht jemand, mit dem er zusammen hergekommen war? Ich drehe mich um, sehe aber nur meine eigenen Schuhabdrücke. Nicht viele Zombiejäger denken daran, ihre Spuren zu beseitigen. Warum auch diese Mühe?

Egal. Ich bin zu müde, um jetzt darüber nachzudenken. Ich brauche eine Dusche und ein paar Tausend Stunden Schlaf.

Ich wohne in einem heruntergekommenen Motel einige Kilometer entfernt. Mehr kann ich mir nicht leisten. Als ich aus dem gemeinsam mit River bewohnten Haus außerhalb von Birmingham geflogen bin, hatte ich nur meine Klamotten, die ich auf dem Leib trug. Aber all die Jahre über habe ich Bargeld beiseitegelegt. Nur für den Fall. Ein Mädchen muss auf alles vorbereitet sein. Jetzt sind noch tausendvierhundert Dollar und siebenunddreißig Cent übrig, und es muss eine Weile reichen. Ich kann nicht die ganze Nacht aufbleiben und gegen Zombies kämpfen, wenn ich mich tagsüber mit einem Job abrackere.

Auf meinem Weg durch die Hauptstraßen stellen sich mir plötzlich die Nackenhaare auf. Ich bücke mich, als würde ich mir die Schnürsenkel zubinden, und verlasse meine Körperhülle. So kann ich mich in Ruhe umsehen, ob hinter mir etwas Verdächtiges geschieht, ohne dass es jemandem auffällt. Doch ich sehe keinen Verfolger. Keine sich bewegenden Schatten oder abgetrennten Z-Teile, die nach mir schnappen wollen. Kein Klicken einer Waffe, die entsichert wird. Kein Grunzen oder Ächzen.

Erleichtert schlüpfe ich in meine Körperhülle zurück und gehe weiter. Schließlich bin ich am Motel angekommen. Auf dem Parkplatz davor lehnt ein Typ an einem abgewrackten Nova und nuckelt an einem Sargnagel. Die Nacht ist pechschwarz, es gibt keine Straßenlaternen in der Nähe, deshalb kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Aber er hat etwa die Größe meines Bruders.

Mein Herz setzt einen Schlag aus. „River?“

„Wie bitte?“

Die Stimme kenne ich nicht.

Meine Enttäuschung überwältigt mich fast. „Ach, nichts.“ Oben an meiner Tür angelangt, überprüfe ich das Klebeband am Rahmen. Wäre es zerrissen, wüsste ich, dass jemand während meiner Abwesenheit in meinem Zimmer war, trotz des Bitte-nicht-stören-Schilds an der Türklinke.

Die Jahre, in denen ich von Anima verfolgt worden bin, haben mich paranoid werden lassen.

Das Tape ist intakt, und ich betrete mein Zimmer unbesorgt. Nachdem ich mein eigenes Spezialschloss angebracht habe und die Glocken oben an der Tür, damit ich aufwache, falls jemand es schafft, meine Sicherheitsmaßnahmen zu überwinden, gehe ich ins Bad, um den Schweiß und all das klebrige Zeug von mir abzuwaschen und meine Kratzer mit einem Antiseptikum zu versorgen. Dann ziehe ich ein weißes T-Shirt und Shorts an.

In meinem Zimmer gibt es keine Kochnische oder eine Mikrowelle, also gebe ich mich mit zwei Scheiben Brot zufrieden, auf die ich Erdnussbutter schmiere. Schnell und einfach und genug Prote-ine. Hallo, Frühstück, Mittag- und Abendessen. Auf diese Art sorge ich wohl dafür, das Peter-Pan-Syndrom am Leben zu erhalten.

Ich habe bereits das halbe Sandwich aufgegessen, bevor ich mich auf die Bettkante setze. Mein Rücken und meine Füße schmerzen wie die Hölle.

„Für einen Bösewicht ist deine Lasterhöhle ja ziemlich ätzend.“

Die Stimme lässt mich erschrocken hochfahren. Sofort bin ich wieder auf den Beinen, das kostbare Sandwich liegt auf dem Fußboden und die 9mm in meiner Hand. Ich habe im ganzen Raum Waffen verteilt, sodass ich im Notfall immer eine griffbereit habe, wo ich auch gerade bin.

Eine zierliche Brünette steht an der Tür. An der geschlossenen Tür. Die Glocken darüber haben keinen Ton von sich gegeben. Ich mustere sie stirnrunzelnd. Irgendwoher … kenne ich sie. Das ist die Freundin! Frostys Freundin Kat Parker. Aber sie ist … tot. Ich habe heimlich ihre Beerdigung besucht – mir die Leiche im Sarg angesehen … und mich für das Vergangene verflucht, das ich niemals rückgängig machen kann.

Sie sollte nicht hier sein.

War sie mir gefolgt? Hatte ich deshalb dieses Gefühl, jemand wäre hinter mir? Nein, nein, das kann nicht sein. Sonst hätte ich sie gespürt, bevor sie mich ansprach. Und was zum Teufel mache ich gerade? Ich kann es mir nicht leisten, jetzt meine Gedanken schweifen zu lassen.

„Wie bist du … was …?“ Moment. Vorhin hat Frosty erwähnt, dass Kat eine … Zeugin sei. Ich habe von Z-Jägern, denen ich vertraue, und von Angestellten bei Anima gehört, dass Zeugen den Menschen erscheinen, die sie lieben. Deshalb weiß ich, dass die Geister der Toten sehr wohl in das Land der Lebenden zurückkehren, um gute Nachrichten zu überbringen … oder Warnungen aus-zusprechen.

„Ich bin kein Zombie, falls du das denken solltest. Ich bin eine Zeugin“, stellt sie klar.

„Ich weiß, dass du kein Zombie bist. Wenn du einer wärst, hätte ich dir bereits den Kopf abgeschlagen.“

„So, so. Da ist jemand sehr von sich überzeugt. Zu dumm für dich, ich werde nie wieder ein so leichtes Ziel abgeben.“

„Ich hatte nie vor, dir was anzutun.“ Ohne die Waffe zu senken, gehe ich auf sie zu. Und strecke meine freie Hand nach ihr aus … die aber lediglich in die Luft greift. Ich sehe sie mit großen Augen an. Sie ist das, was sie behauptet hat. Ich lasse den Arm sinken. Mein Herz pocht mir wild in der Brust. „Es war nicht vorgesehen, dass dir was passiert.“

„Und damit ist das, was du getan hast, wieder okay? Die Absicht zählt nicht. Alles, was zählt, ist die Tat.“

Sie hat recht. „Bist du hier, um mich zu bestrafen?“

Weiß sie als Zeugin, was hinter den Kulissen geschieht? Warum ich das getan habe, was ich getan habe?

Interessiert es sie überhaupt?

Anima hatte vor Wochen meinen Bruder entführt. Ich bin mit der verzweifelten Absicht, ihn zu retten, in deren Institut eingebrochen. Innerhalb von Minuten war ich von Agenten Animas umringt gewesen. Die Chefin dort, Rebecca Smith, hatte mich jahrelang beobachtet. Sie kannte meine Gepflogenheiten, wusste, wozu ich fähig war, wenn River bedroht würde.

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