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Warrior Fairies. Die Macht der Jahreszeiten-Krone

hier erhältlich:

Ein Königreich voller Intrigen und Geheimnisse. Zwei Feenmädchen auf ihrer gefährlichen Suche nach der Wahrheit

Im Reich der Feen regieren die Höfe im Wandel der Jahreszeiten. Als sich der Frühling dem Ende neigt, wartet Feenprinzessin Eliane am zentralen Baumpalast vergeblich auf ihren Vater, den König des Sommers. Die Frühlingsfeen bleiben an der Macht, und schnell verbreiten sich rebellische Stimmen und ängstliches Geflüster über das Ausbleiben des Jahreszeitenwechsels. Eliane begibt sich gemeinsam mit Rosa, der königlichen Tierpflegerin, auf die Suche nach ihrem Vater - und deckt ein Komplott auf, das die Zukunft des gesamten Reichs gefährdet.

Ein rasantes Fantasyabenteuer voller Geheimnisse, höfischer Intrigen und mit jeder Menge Feenmagie für Fans von »Lia Sturmgold« und »Keeper of the Lost Cities«


  • Erscheinungstag: 27.12.2023
  • Seitenanzahl: 272
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505151323

Leseprobe

1. Kapitel

Der Sommer muss warten

Eliane

»Hier kommt der Sommer!«, rief Eliane und lehnte sich aus der Wieselkutsche, die den Sommerhofzug anführte. Sie schlug ein paarmal mit den Flügeln und landete auf dem gefiederten Dach des Fahrzeugs. Es war der perfekte Aussichtspunkt – vor ihr erstreckte sich der Wald in seiner ganzen smaragdgrünen Pracht. Die Akrobaten und Musikanten tanzten und sprangen zwischen Ästen und Baumstümpfen umher, während sie die Ankunft der neuen Jahreszeit bejubelten.

Wenn die Sonne am nächsten Morgen, dem Tag der Sommersonnenwende, aufging, war der Frühling vorbei. Drei heitere Monate lang würde der Sommer herrschen. Wenn es nach Eliane ging, konnte er gar nicht schnell genug kommen.

Eliane schwang die Beine im Takt der Feenmusik. Eine Hand griff nach ihrem Knöchel, und sie quiekte.

»Prinzessin! Prinzessin! Das ist äußerst unangemessen! So benimmt sich eine Prinzessin nicht!« Meisterin Irida blickte aus dem Inneren der Kutsche streng zu ihr auf. Mit ihrer alten, knotigen Hand umklammerte sie Elianes Fuß.

Eliane schnitt eine der schrecklichen Grimassen, die sie extra für Irida einstudiert hatte.

»Hör sofort auf zu schielen! Denk nur, was König Galvan dazu sagen würde!« Irida liebte es, Eliane mit dem König zu drohen, obwohl das zwecklos war. Elianes Vater kannte seine Tochter nur zu gut. Er wusste, dass sie sich nicht ändern würde.

»Für Euch, Prinzessin!« Eine Waldfee warf Eliane einen Strauß Sonnenblumenknospen zu. Sie fing ihn geschickt auf und sah vor ihrem inneren Auge die Sonnenblumenfelder, die ab morgen blühen würden.

Der Druck um Elianes Fuß verstärkte sich. »Das darfst du nicht annehmen! Eliane!«

Eliane trat ihr ganz leicht auf die Finger. »Irida, kannst du mich den Tag nicht einfach genießen lassen? Wenigstens ein Mitglied der Königsfamilie hat es verdient.«

Statt einer Antwort ertönte nur ein missbilligendes Räuspern aus der Kutsche.

Eliane streckte sich auf dem Bauch aus und spähte durch das hauchdünne Kutschendach zu Irida hinunter.

»Hör auf zu knurren. Vater hat jede einzelne Sonnenwendfeier verpasst, seit er König ist. Stell dir mal vor, wie das sein muss, wenn man immer erst am Ende kommt, um die Zeremonie durchzuführen. Es ist meine Pflicht, ihm von ein paar lustigen Dingen zu erzählen!«

Meisterin Irida redete gerne von Pflicht.

Irida schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Es werden noch echte Pflichten auf dich zukommen, und zwar schneller, als dir lieb ist, Prinzessin. Die Zeit kennt keine Gnade.«

»Ich bin dreizehn!«

»Das war ich auch mal.« Meisterin Irida wandte sich ihrer Häkelarbeit zu. Das war ihre Art, das letzte Wort zu behalten.

Eine langweilige Art, wenn man bedachte, was hier alles los war.

»Du verpasst was!« Die Feenjongleure warfen einander Rotkehlcheneier zu, und die Akrobaten vollführten einen kunstvollen Salto nach dem anderen.

Eliane ließ ihre Flügel in der kühlen Frühlingsluft flattern. Sie fühlte sich ganz anders an als die des Sommers. Man musste schon verrückt sein, um den Frühling vorzuziehen.

Das erinnerte sie an etwas. Sie hatte eine Wette mit Volance, dem Frühlingsprinzen, darüber abgeschlossen, welcher Hof der Vier Reiche der beliebteste war.

Wenn mehr Sommerfeen zum Jahreszeitenwechsel kämen als Frühlingsfeen, musste Volance vor seinem gesamten Hofstaat ein Lied singen und einen Tanz aufführen. Und er durfte sich nicht hinter seiner geliebten Harfe verstecken! Das hatte sie sogar schriftlich in einem Brief festgehalten.

Eliane stützte sich auf die Ellbogen.

»Wird der Frühlingshof auch so schön empfangen?«, rief sie zu ein paar Waldfeen hinunter.

»Niemals!«, rief eine kleine Fee mit glänzenden Augen und warf den Kutschenwieseln Rotkehlcheneier zu.

»Nicht mal halb so schön!«, rief eine andere. Sie schlug Eichelhüte im Takt der Musik.

Bei diesen Worten wurde Eliane heiß vor Stolz. Die vier Jahreszeiten und ihre Höfe hatten alle ihren Anteil daran, die natürliche Welt im Gleichgewicht zu halten. Aber nichts kam an die hellen, heißen Tage des Sommers heran. Die Umzüge der anderen Jahreszeiten zogen nicht einen Bruchteil der Feiernden an. Was Volance garantiert wusste.

Die Grenzen der Reiche wurden durch die Wurzeln des Weltenbaums markiert, der auch als Baumpalast bekannt war – und dorthin war der Sommerhofstaat heute unterwegs.

Eliane hob die kleine Holzflöte, die sie um den Hals trug, und rief mit einer kurzen Tonfolge nach ihrem Libellenpferd. Odona schwirrte auf schimmernden Flügeln herbei, die fast doppelt so lang waren wie ihre eigenen. Eliane machte einen Salto aufwärts und fand mühelos ihren Platz.

»Ooh!«, staunte die Waldfee. Man bekam nicht alle Tage ein Reittier wie Odona zu Gesicht. Man konnte von Glück reden, wenn man eine Waldmaus sah. Oder ein Eichhörnchen.

Eliane trieb die Libelle mit den Knien an und ließ sie eine Reihe schwindelerregender Loopings und Sturzflüge vollführen. Jubel und Pfiffe ertönten von den Waldfeen, ein Trommelwirbel von den Hofmusikern.

Hoffentlich sah Irida nicht zu – sie würde in Ohnmacht fallen.

Ein winziger Feenjunge, der gerade erst flügge geworden war, flatterte über die Menge. Eliane warf ihm eine Kusshand zu.

»Na, so was!« Der Vater des Jungen strahlte. »Ein Kuss von einer Prinzessin! Auf den Sommer!«

»Eigentlich mag ich den Herbst viel lieber«, brummelte der Junge.

»Na, na.« Der Vater legte einen Arm um den Jungen und lächelte Eliane kopfschüttelnd zu. »Kinder!«

Eliane lachte. In diesem Alter war sie genauso schonungslos ehrlich gewesen. Als sie Kester, den Turmfalken ihres Vaters, zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie ihn »viel zu gefiedert und viel zu schnabelig« genannt.

»Tja, ich fürchte, da kann man nichts machen, Eliane«, hatte ihr Vater erwidert und den beleidigten Turmfalken gestreichelt. »Kester bleibt hier.«

Als Eliane und Odona jetzt über die begeisterte Menge schwebten, wünschte sie, König Galvan und sein Reitfalke könnten wenigstens einmal den Hofzug genießen. Aber die Herrscher der kommenden Jahreszeit verbrachten den Tag vor der Sonnenwende immer in Abgeschiedenheit. Es kostete viel Kraft, die Magie aufzubringen, die nötig war, um von einer Jahreszeit in die nächste zu wechseln.

Morgen würde ihr Vater mit ihnen vor dem Baumpalast das Ritual der Toröffnung vollziehen. Er würde den Sommer hereinholen und zum Sommerkönig gekrönt werden.

Eliane hatte das komplizierte Ritual, das schon Hunderte von Jahren alt war, immer mit Ehrfurcht verfolgt. Manchmal machte sie sich Sorgen, dass es ihrem Vater zu viel abverlangte, aber König Galvan wischte ihre Bedenken stets beiseite.

»Eine ganze Jahreszeit zu leiten, vor allem eine so wichtige wie den Sommer, ist eine große Verantwortung«, pflegte er zu sagen. »Wir schaffen die Bedingungen für Wachstum, Bestäubung und reiche Ernten. Ohne den Sommer würde das ganze Reich hungern.« Und dann, mit einem Augenzwinkern: »Und alle hätten den Regen gründlich satt!«

Nur der König konnte den Sommer in die Reiche bringen. Aber das hieß nicht, dass Eliane ihre Jahreszeit nicht mit den Waldfeen feiern konnte.

Eliane ließ Odona zu einem offenen Wagen hinunterfliegen, der mit knospenden Sommerblumen und Säcken voll bunter Samen gefüllt war. Sie zog ihr Schwert, warf mit dessen Hilfe mehrere Bündel in ihre freie Hand und schleuderte sie mit einem Arm, der durch jahrelanges Fechttraining stark und sicher war, in die Menge. Über Verantwortung musste Eliane noch viel lernen – aber ihre Wurftechnik war unübertroffen.

»Auf den Sommer!«, rief sie.

Die Waldfee flog in die Höhe, um einige der Sträuße und Samentüten zu erhaschen, und ihre Flügel summten vor Anstrengung.

»Guter Wurf, Prinzessin!«, rief ein Feenjunge, der einen Schwung Samen in einer Nussschale auffing.

Eliane hörte ein vertrautes Zetern und gab sich Mühe, nicht zu lachen. Sie trieb Odona vor Iridas Kutsche und winkte ihr durch die Blättertür.

»Möchtest du aufspringen? Es ist genug Platz.«

Meisterin Irida schlug die Hände aufs Herz. »Ach du liebe Zeit! Auf keinen Fall. Eine Libelle, mit all dem Zickzack? Mir würde schlecht werden!«

Irida bevorzugte Reittiere, die am Boden blieben. Und möglichst langsam waren.

»Es geht noch besser. Schau mal!« Eliane wies mit dem Finger auf die Akrobaten des Sommerhofs, die in faszinierenden Formationen durch die Luft wirbelten – wie fliehende Füchse, flatternde Vögel und Pusteblumen.

»Da schau ich nicht hin!« Irida hielt sich die Hände vor die Augen. »Obwohl die Musik nicht schlecht ist«, fügte sie zähneknirschend hinzu.

Der Sommerhof war für seine hervorragenden Musiker bekannt, und heute war ihre Meisterschaft in vollem Umfang zu bewundern. Feenkinder hüpften zwischen den Lauten- und Flötenspielern herum und tanzten zu den fröhlichen Melodien und schwungvollen Rhythmen. Sogar einige Waldtiere wagten sich bis an den Waldrand hervor und lauschten.

»Sie folgt dem Takt des Herzschlags, wie jede gute Feenmusik«, hatte Prinz Volance in einem seiner Briefe geschrieben. Die Harfe war seine Berufung. Er hatte Eliane gestanden, dass er Musiker geworden wäre, hätte er nicht das Pech gehabt, als Prinz geboren worden zu sein.

»Tja, und ich wäre eine Kriegerin geworden«, hatte Eliane gesagt.

»Da gibt es kein ›wäre‹!«, hatte er erwidert. »Du bist eine Kriegerin.«

Die Hoftrommler schlugen nun einen Rhythmus an, der nur für Eliane und Odona bestimmt war. Es dauerte einen Moment, bis Eliane den Takt raushatte. Dann aber drehten und wirbelten sie herum, und die Menge feuerte sie an.

Tanzen war gar nicht so anders als Kämpfen. Auch wenn Kämpfen mehr Spaß machte.

»Aufgepasst!« Eliane trieb ihr Reittier zu einem komplizierten Seitwärtssalto und einer Finte an, die sie beim Fechttraining geübt hatten. Sie schafften den ersten Teil flüssig, patzten aber bei der Landung und wären fast gegen den Waffenwagen geprallt.

»Vorsicht!«, kreischte eine rotwangige Fee und schubste ihre Kinder aus dem Weg.

Odona fing sich im letzten Moment und sauste hoch in den Himmel.

»’Tschuldigung!«, rief Eliane der Fee zu. »Nächstes Mal schaffen wir es.« Sie tätschelte den schimmernden Brustkorb ihrer Libelle.

Allmählich wich der schattige Wald den zartgrünen Feldern des Ackerlands. Sie kamen an moosbewachsenen Teichen voller Schildkröten vorbei, an felsigen Bachbetten, in deren Wasser sich Kaulquappen tummelten, und schließlich an der knorrigen Eiche, die Eliane immer als Wegmarke diente.

»Es ist nicht mehr weit«, flüsterte sie.

Im schwindenden Licht tauchten die hellen Punkte der Glühwürmchenlaternen aus der großen Feenstadt Ryndal auf. Mitten in der Stadt lag der Baumpalast, das pulsierende Herz der Feenwelt – hier würde Eliane den ganzen Sommer über leben.

Auch Prinz Volance wohnte dort. Allerdings nur noch bis morgen. Ab dann würden Eliane und der Rest des Sommerhofs und die Palastdiener dort residieren. Doch mit ihnen konnte Eliane nicht so reden wie mit Volance. Sie verstanden nicht die Last der Verantwortung, die zukünftige Feenkönige und -königinnen auf den Schultern trugen. Eliane machte sich vielleicht einen Spaß daraus, Irida zu ärgern, aber sie wusste genau, dass ihre Zukunft nicht wie die der anderen Feen aussah.

Vielleicht konnten Volance und sie noch einen gemeinsamen Ausritt machen, bevor der Frühlingshof abreiste. Auf jeden Fall musste sie ihm sagen, dass sie ihre Wette gewonnen hatte.

»Prinzessin!«, rief Meisterin Irida aus der Kutsche. »Der Palast!«

»Ich habe selbst Augen, Irida!«, rief Eliane zurück, während sie durch die Luft sauste. Irida meinte es ja gut. Sie war nur ein bisschen … herbstlich.

Der Palast war unübersehbar. Ein riesiger Baum, so alt wie das Feenreich selbst, überragte die ganze Stadt und funkelte im Licht der Glühwürmchen. Seine Wurzeln reichten so weit, dass sie sich über die gesamte Länge der vier Reiche erstreckten, und wo sie sich erhoben, teilten sie die vier Reiche der Jahreszeiten und schützen das Feenreich vor allem, was dahinter lag. Teile dieses Wurzelwerks bildeten einen nahezu perfekten Kreis – die Verteidigungsmauern der Stadt.

Die Stadtmauer war knorrig und knotig, und die Stadtfeen hatten in ihren Ritzen und Löchern Blumenopfer für die Jahreszeiten niedergelegt. Die vier größten Knoten beherbergten die vier Stadttore – eines für jeden Hof.

Heute Abend folgte der Sommerhof dem wohlbekannten Weg zum Sommertor. Beim Anblick des leuchtenden Sonnenblumenwappens hellte sich Elianes Stimmung auf, und sie winkte den Wächterfeen in ihren Rüstungen aus Birkenrinde.

Sie winkten nicht zurück, das taten sie nie. Man konnte mit den Fingern direkt vor ihrer Nase schnippen, und sie zuckten nicht einmal mit der Wimper. Eliane hatte es mehr als einmal ausprobiert.

Eliane trieb Odona zur Landung. Sie übergab ihr Reittier einem Stallburschen und ging auf die Knie, um beide Hände auf den Boden zu drücken. Die Erde fühlte sich feucht und silbrig an – Frühlingserde. Aber nicht mehr lange. Schon in wenigen Stunden würde sie von der goldenen Wärme des Sommers durchdrungen werden.

Doch bis dahin würde der Sommerhof auf dieser Seite des Tores warten, aus Respekt vor der Frühlingskönigin, deren Herrschaft bis Tagesanbruch dauerte. Eliane musste grinsen, als sie sich an die strengen Worte der Frühlingskönigin erinnerte, weil sie Prinz Volance eine Steinschleuder geschenkt hatte, zusammen mit einer begeisterten, aber recht ungenauen Gebrauchsanweisung. Damals waren im Gewächshaus ein paar Fenster zu Bruch gegangen.

Meisterin Irida kam gerade herbeigeeilt und sah noch besorgter aus als sonst, was schon etwas heißen wollte. Sie hatte mit den Beratern des Königs gesprochen, die mit ernsten Mienen beieinanderstanden.

»Ist alles …«, begann Eliane.

»Pfui, Prinzessin!«, fiel Irida ihr ins Wort. »Du siehst aus, als hätte dir eine Windfee einen Streich gespielt. Wir müssen dich sofort herrichten.« Meisterin Irida schirmte Eliane mit dem weiten Ärmel ihres Gewands ab, ordnete ihr die vom Wind zerzausten Locken und bearbeitete ihr Kleid mit einem Glättzauber. Dabei zitterten ihre Hände.

»Vater ist das egal«, sagte Eliane, wenn auch nur halbherzig. Sie musste Irida wohl wenigstens ab und zu ihren Willen lassen.

»Er kann nicht mehr weit sein.« Irida steckte Eliane die Glockenblumen-Krone ins Haar. Sie brauchte zwei Anläufe, weil ihr beim ersten Mal eine Nadel aus den Fingern glitt. »Pünktlichkeit ist eine der vielen Stärken des Königs. Du kannst eine Menge von ihm lernen, mein Täubchen.«

Eliane bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen, während Irida sie mit den Nadeln pikste, und spielte an dem zur Krone passenden Armband herum, einem Geschenk ihres Vaters zu ihrem dreizehnten Geburtstag. Die Blumen trugen noch Knospen. Morgen, mit der Ankunft des Sommers, würden sie aufblühen.

Meisterin Irida trat zurück und bewunderte ihr Werk. »Jetzt, Prinzessin, bist du bereit, den Sommer zu begrüßen!«

Eliane richtete sich auf. Obwohl sie es Irida gegenüber nie zugegeben hätte, fühlte sie sich wirklich wie eine richtige Prinzessin. Sie drehte sich um, um einen erwartungsvollen Blick auf den Weg zu werfen, auf dem ihr Vater bald erscheinen würde. Doch anstelle von König Galvan stand einer seiner Berater in goldenen Gewändern vor ihr. Thallan war einer der engsten Vertrauten ihres Vaters, aber er hatte sie noch nie direkt angesprochen.

»Prinzessin.« Thallans Tonfall war gemessen. »Normalerweise beginnen die rituellen Feierlichkeiten, wenn unsere Kundschafter die Nachricht bringen, dass Euer Vater in der Nähe ist.«

Eliane schaute sich um und erwartete, die Hof-Feen zu sehen, die Fackeln anzündeten und der traditionellen Dekoration den letzten Schliff verliehen. Stattdessen standen die Feen in kleinen Grüppchen beisammen und tuschelten. Auch die Musikanten schwiegen und hielten ihre Instrumente in den Händen, während sie auf das Signal zum Weiterspielen warteten. Nur ein kleines Feenkind quietschte fröhlich.

Thallan schlug die Hände zusammen. »Wir haben noch nichts von ihm gehört.«

Eliane bohrte ihren Eichenlaubstiefel ins Frühlingsgras und wartete darauf, dass der Berater ihr erklärte, was als Nächstes geschehen würde. Das tat er jedoch nicht. Er erwartete, dass sie einen Vorschlag machte, wurde ihr plötzlich klar. Schließlich war sie die Sommerprinzessin und Vertreterin des Königshauses. Auch wenn sie erst dreizehn war.

Eliane lächelte, während sie in Gedanken alle Möglichkeiten einer vernünftigen Erklärung durchging.

»Wir fangen trotzdem an. Er wird bald hier sein.«

»Wie Ihr wünscht, Prinzessin.« Thallan verneigte sich und kehrte zu den anderen Höflingen zurück.

Eliane schluckte. »Irida? Kann ich einen Tee haben?«

Irida hatte die Bitte vorhergesehen und reichte Eliane eine Tasse mit Butterblumenmuster, aus der der Duft von Löwenzahn stieg. Löwenzahn war das Lieblingskraut von Elianes Mutter gewesen, und seit ihrem Tod hatte auch Eliane begonnen, in schwierigen Momenten Löwenzahntee zu trinken. Der Tee war kein Ersatz für die sanfte Gegenwart Königin Zinnias, aber er beruhigte die Nerven.

Eliane nippte an der Tasse, und die Hitze des Sommers durchströmte sie.

»Auf den Sommer!«, rief sie und hob die Tasse.

»Auf den Sommer!«, ertönte die Antwort des Sommerhofs. Anfangs noch zögerlich, doch dann immer lauter begannen die versammelten Feen zu jubeln, und ihr Stirnrunzeln wich einem Lächeln, als sie sich daranmachten, das nächtliche Fest zu beginnen. Sogar Meisterin Irida stimmte mit ihrer nervösen Stimme in den Jubel ein.

Fackeln flammten auf, und wieder erfüllte Musik die Luft. Eliane stürzte sich in die Feierlichkeiten, tanzte und lachte und zog die Höflinge mit ins Getümmel, wenn sie ihr allzu ernst schienen. Die Dämmerung wurde zur Dunkelheit, und irgendwann wurde die Dunkelheit wieder heller. Erst als der von Pastellfarben überzogene Himmel die letzten Frühlingsminuten anzeigte, erlaubte sich die Prinzessin innezuhalten.

Es war so weit: die Morgendämmerung der Sommersonnenwende. Zeit, das Tor zu öffnen.

Eliane blickte zum Himmel und suchte die regenschweren Frühlingswolken nach Kesters geschwungener Silhouette ab. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Armband. Die Glockenblumenknospen waren immer noch fest verschlossen.

Der Anblick durchfuhr sie wie ein Blitz, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den am Tor versammelten Höflingen zu. Alles war still geworden. Statt der lebhaften Rituale und des Trommelwirbels, mit dem der König normalerweise begrüßt wurde, war nur ein leises Murmeln zu hören, wie ein Bach, der sich nervös seinen Weg über Felsen bahnt, und die Feen starrten wie Eliane zum Himmel.

Eliane spürte ein ungutes Gefühl im Bauch. Ihr Vater sollte längst hier sein. Kester war sehr zuverlässig und stellte mit seiner Schnelligkeit die meisten königlichen Reittiere in den Schatten. Auch die Wünschelrutengänger hatten nichts Ungewöhnliches angezeigt. Und selbst die furchterregendsten Raubtiere wussten, dass sie dem König freie Bahn lassen mussten.

Während die Sonne über den Horizont kletterte, wurde das Gemurmel immer lauter. Obwohl die Tuschelnden sich von ihr abwandten, konnte Eliane einige Gesprächsfetzen aufschnappen:

»Wo ist er?«

»Ist ihm etwas passiert?«

»Wenn ja, was machen wir dann?«

Als die Schlossglocke erst fünf und schließlich sechs Uhr schlug, wurde das Geflüster immer unruhiger. Eliane lief auf und ab, und unter ihren Stiefeln stieg der unverwechselbare Frühlingsgeruch von feuchtem Gras und Zwiebeln auf.

Inzwischen stand die Sonne bereits ein ganzes Stück über dem Horizont, begrüßte aber diesen ersten Sommertag mit den schrägen Strahlen und silbernen Farben des Frühlings.

»Prinzessin.« Meisterin Irida trat heran und raffte ihren gefiederten Hosenrock über dem Morgentau. Thallan und die anderen Höflinge blickten mit ernsten Mienen herüber.

Eliane wünschte nichts sehnlicher, als dass vor den Wolken die vertraute Gestalt auftauchte, die der ganze Hof erwartete. Ihre Glockenblumen-Krone rutschte zur Seite. Sie rückte sie gerade und hielt sie fest, als wäre sie das Einzige, das den Sommerhof zusammenhielt.

»Er kommt nicht, oder?«, flüsterte sie.

Der Morgen war für die Jahreszeit ungewöhnlich kalt.

2. Kapitel

Eine aufkeimende Besorgnis

Rosa

Rosa biss die Zähne zusammen, als sie Balsam auf die Blasen an ihren Händen rieb. So war es immer am Morgen der Sonnenwende, wenn ein Hofstaat abreiste und der nächste eintraf. Neben dem Polieren des aufwendigen Zaumzeugs und dem Füttern und Satteln der Reittiere musste sie jeden Winkel der Ställe ausmisten und umräumen, um für eine völlig neue Gruppe von königlichen Reittieren und deren Anforderungen gerüstet zu sein – und das alles vor Sonnenaufgang.

Mit den Tieren kam Rosa besser zurecht als mit den Hof-Feen. Die Angehörigen der Königshäuser ertrug sie, manche mehr, andere weniger. Aber die Tiere verstand sie. Diese Gabe hatte sie von ihrem Vater geerbt, damals der jüngste königliche Hofmeister des Baumpalasts aller Zeiten. Rosa selbst liebäugelte mit dem Titel der Stallmeisterin, und sie hatte fest vor, ihn sich zu verdienen. So machte man das in ihrer Familie. Man bekam nicht einfach einen Titel verliehen. Man erarbeitete ihn sich.

Mayfew, der andere Stallgehilfe, schlenkerte seinen Eimer. »Ich werde den Kaninchen vom Frühlingshof nicht nachweinen. Was die für eine Sauerei machen!«

»Wenigstens ist sie gut für die Gärten.« Grinsend wischte Rosa den überschüssigen Balsam an ihrer Hose ab. Sie war schon seit Stunden bei der Arbeit und mistete und polierte im goldenen Schein der Lampe. »Wie spät ist es?«

Die Ställe lagen tief zwischen den knorrigen Wurzeln des Palasts. Da war es manchmal schwer, den Sonnenstand zu erahnen.

»Bald vier Uhr. Und ich weiß ja, dass du Ratschläge nicht ausstehen kannst, aber wenn du die Zähne noch fester zusammenbeißt, brichst du dir einen ab.«

»Es ist noch so viel zu tun.« Seufzend wandte sich Rosa dem Schneehasen in der nächsten Box zu – ihn hatte sie sich absichtlich als Letzten aufgespart. Jonquil. Die Nase des Kaninchens zuckte zur Begrüßung, und Rosa legte zärtlich eine Hand auf seine Stirn. Sie lächelte – Tiere brachten immer ihre sanfte Seite zum Vorschein, die sie vor den anderen Feen zu verbergen suchte.

»Nur weil du so eine Perfektionistin bist«, stichelte Mayfew.

»Einer von uns muss es ja sein«, entgegnete Rosa, aber leichthin. Mayfew war fast so tüchtig wie sie selbst. »Und außerdem …«

»Ja, ja, die Sache mit dem Stallmeister.« Mayfew hatte einen weiteren Eimer gefüllt und machte sich daran, ihn nach draußen zu schleppen. »Du hast ja nichts anderes im Kopf.«

»Gar nicht wahr!«, rief Rosa ihm nach.

Und es stimmte, sie hatte noch anderes im Kopf. Jetzt gerade dachte sie, wie sie es vielleicht ein bisschen zu oft tat, an Jonquils Reiter, Prinz Volance. Er war das einzige Mitglied des Königshauses, das sie nicht nur ertrug, sondern sogar erträglich fand.

Es war Wochen her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, und Rosa war sicher, dass er ihretwegen nicht mehr kam. Verband sich Perfektionismus mit einer Leidenschaft für Tiere, konnte es passieren, dass man Mitglieder des Königshauses wegen ihrer Reitkünste korrigierte. Das war nichts Persönliches gewesen. Rosa hatte sich nur Sorgen um Jonquils zarte Schnauze gemacht. Und sie hatte sich entschuldigt.

Der Prinz hatte abgewinkt und gesagt, sie habe recht und er müsse wirklich an seiner Technik arbeiten.

»Ich will doch nicht, dass meine beste Stallgehilfin sauer auf mich ist.« Seine zedernfarbenen Augen hatten gefunkelt.

Rosa hatte vor allem das Wörtchen »meine« gehört.

Es schien alles in Ordnung gewesen zu sein – und doch hatte sie ihn seitdem nicht mehr gesehen. Und nun bereitete sich der Frühlingshof schon auf den Auszug vor. Es würde ein ganzes Jahr vergehen, bis sie wieder mit dem durchaus erträglichen Prinz Volance ausreiten konnte.

Jonquil stupste sie mit seiner weichen Nase an.

»Komm, mein Freund, wir zäumen dich auf.«

Das silberne Zaumzeug, das sie Jonquil über den Kopf zog, war ein anderes als an dem Tag, an dem sie Prinz Volance getadelt hatte, weil sich der Hase daran die Mundwinkel eingerissen hatte. Noch am selben Nachmittag hatten die Sattler auf Geheiß des Prinzen ein neues Zaumzeug geliefert: Es war aus den allerzartesten Ranken und Blumen gefertigt. Aber es war unbenutzt geblieben. Rosa war in Versuchung geraten, es auszuprobieren, wenn sie Jonquil auf seinen täglichen Ausritt führte – es war einfach so schön –, aber sie selbst benutzte nie Zaumzeug. Sie wollte die besondere Beziehung, die sie zu den Tieren hatte, nicht gefährden. Die Gabe hatte sie von ihrem Vater geerbt, sie glaubte allerdings, dass ihre Mutter sie ebenfalls gehabt hatte. Auch wenn sie das nie mit Sicherheit wissen würde.

Jonquil wartete geduldig, während Rosa ihm das Zaumzeug anlegte und sein Fell noch einmal bürstete. Und noch mal. Beim zweiten Mal zuckte die Nase des Kaninchens schelmisch, und Rosa wurde rot.

»Ich will nur, dass du gut aussiehst, mein Freund«, murmelte sie, wovon sie sich selbst ebenso zu überzeugen versuchte wie das Kaninchen.

»Es ist Tag!« Mayfew stürmte mit Zaumzeug und Decken bepackt herbei, die in den Reisetruhen des Frühlingshofs verstaut werden sollten. »Hui, da ist aber einer rausgeputzt! Willst du jemanden beeindrucken?«

»Blödsinn!«, entgegnete Rosa ein wenig zu entrüstet. Dann ließ sie den Striegel sinken. »Was meinst du mit Tag? Das kann nicht sein.«

»Nicht mal dein Gejammer hat es geschafft, den Sonnenaufgang zu verscheuchen.« Mayfew lachte.

Doch das war nicht der Grund, warum Rosa die Stirn runzelte. Wenn die Sonne schon aufgegangen war, müssten eigentlich die fröhliche Musik und die rumpelnden Kutschen des Sommerhofs zu hören sein. Und Prinzessin Eliane – die war nie zu überhören, wenn sie ihren dramatischen Auftritt hatte. Die Sommerprinzessin konnte weder kommen noch gehen, ohne für Aufregung zu sorgen. Bei ihrer letzten Ankunft hatte sie den Frühlingsreittieren zum Abschied Wasser in die Tröge gefüllt, das mit Rosenblüten gefärbt war. Die Frühlingskönigin war stinksauer geworden, weil ihre kostbaren Tiere von rosaroten Flecken übersät gewesen waren, und hatte sich geweigert abzureisen, solange sie nicht sauber waren. Rosa hatte Stunden gebraucht, bis sie wieder ihre ursprüngliche Farbe gehabt hatten. Eine harmlose Spielerei, sicher, aber eine, die sich nur gedankenlose Königstöchter leisten konnten – und niemand, der wirklich Verantwortung trug.

Rosa begriff nicht, wie man so unüberlegt sein konnte. Eliane war deutlich weniger erträglich als Prinz Volance.

Doch je länger die Stille andauerte, desto mehr lauschte Rosa auf Zeichen des Tumults, der normalerweise mit Eliane einherging.

Aber davon war nichts zu hören. Sie vernahm nur aufgeregtes Feengetuschel. Und sie roch den metallischen Angstschweiß der besorgten Tiere.

»Warte mal kurz.« Rosa streichelte Jonquils weiche Wange. »Ich komme gleich wieder.«

Sie eilte durch die labyrinthartigen Gänge der Ställe. Sie kannte jede Windung, genau wie die Wurzelknoten, von denen man die beste Aussicht hatte. Mit ein paar schnellen Flügelschlägen erreichte sie eine Erhöhung, auf der sie in besonders lauen Sommernächten manchmal übernachtete.

Rosa spähte über die Gipfel der Palastwurzeln hinweg und versuchte zu erkennen, was draußen vor sich ging.

»Hier oben! Hier oben!« Eine Putzfee zerrte Mayfew nach oben und half ihm auf einen anderen Wurzelknoten. Mayfew, der immer über seine schwachen Flügel klagte, landete mit einem unbeholfenen Plumps.

»Mayfew!«, zischte Rosa und kletterte an der Wurzelwand hoch. Sie war von zottigem Moos bedeckt.

Der Stallknecht winkte ihr verstohlen zu. »Rosa, du wirst es nicht glauben! Komm her!«

Rosa huschte zu Mayfew und der staubgesichtigen Fee hinüber und landete leichtfüßig. Dieser Platz war zwar nicht so gemütlich wie ihrer, aber der Blick auf das Sommertor war besser. Das geschlossene Sommertor.

»Warum ist das Tor …« Sie verstummte, brach eine Knospe ab, hielt sie in der ausgestreckten Hand und schnippte mit dem Fingernagel dagegen. Sie sollte längst aufgeblüht sein.

Als ihr das klar wurde, registrierten ihre scharfen Sinne alles andere, was nicht stimmte: Der Gesang der Vögel war zurückhaltend und frühlingshaft. Tauperlen lagen auf den Wurzeln des Palasts, anstatt in der Sonne zu verdampfen. Und der Wind kam von Norden, nicht von Süden, wie es sich im Sommer gehörte.

Sie war nicht die Einzige, die diese Zeichen bemerkt hatte. Feendiener eilten hin und her. Ihre Bewegungen hallten in den Wurzeln und Ästen des Palasts wider, die sich in der frischen Frühlingsbrise wiegten. Rosas Nackenhaare richteten sich auf. Sie sprang auf die Füße.

»Ich muss zurück zu den Tieren.«

Mayfew blinzelte. »Aber willst du nicht sehen, wie …«

Doch Rosa wirbelte bereits mit einem Salto in die ausgetretenen Wurzelgänge hinunter, die zu den Ställen führten. Dort stieß sie mit dem Feenkoch zusammen, der mit einem Zettel in der Hand vorbeirannte. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, der Zettel war feucht und zerknittert.

Rosa legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Comfrey!«

Der Feenkoch zuckte zusammen, dann wischte er sich erleichtert über die glänzende Stirn. »Ach, du bist es nur! Rosa, du wirst es nicht glauben, aber König Galvan«, er senkte die Stimme zu einem Flüstern, »ist verschwunden!«

Rosa verschränkte die Arme, um ihre zitternden Hände zu verbergen. »Und Kester?«

»Ach du! War ja klar, dass du dich nur um seinen Falken sorgst!« Comfrey lachte gutmütig. Er konnte ihr schlecht vorwerfen, dass sie ein Herz für Tiere hatte. »Ist ja schön und gut, aber du solltest dich auch fragen: ›Was ist mit dem König? Was ist mit dem Sommer?‹«

»Wie meinst du das?«

Comfreys dicke Augenbrauen trafen sich fast in der Mitte. »Ich meine, dass die Frühlingskönigin und die Königinmutter geheime Gespräche mit ihren Beratern abhalten. He, warte! Wohin gehst du denn?«

»Zum Stall. Die Tiere spüren, dass etwas nicht stimmt. Ich muss sie beruhigen.«

Doch bevor Rosa einen Schritt machen konnte, fiel ein Schatten auf ihren Weg. Es war ihre Majestät, die Frühlingskönigin persönlich, in ihrem beeindruckenden Gewand: Ihre Röcke waren so weit, dass sie beinahe den Gang versperrten. Darüber trug sie einen Umhang aus Federn, die, wenn sie sich bewegte, wie Sterne funkelten. Ihre blauen Augen waren mit Käferpanzerstaub umrandet und wirkten riesig in ihrem herzförmigen Gesicht.

Mit ihrem Blick spießte sie Rosa förmlich auf.

»Du da! Mein Reittier. Sofort!« Der königliche Ton war knapp und präzise, aber längst nicht so furchterregend wie dieser herrische Blick. Prinz Volance kam ganz nach seinem verstorbenen Vater, dem sanftmütigen König Erinaceus.

Rosa erwachte so weit aus ihrer Erstarrung, dass sie einen Knicks zustande brachte. »Sehr wohl, Majestät.«

Die Königin fegte auf den Hof hinaus, und Rosa rannte zum Stall, um Narziss, das nebelgraue Reitkaninchen der Königin, zu holen. Narziss trug Zaumzeug und Sattel aus Glyzinien und eine Unterdecke aus Filz, die Rosa selbst ausgesucht hatte. Doch unter der königlichen Aufmachung wirkte das Kaninchen nervös, und das Weiße seiner Augen zeigte sich, als Rosa es aus dem Stall führte. Ein Eichelkübel klapperte, als es mit dem Hinterlauf dagegenschlug.

Rosa zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen – ihre eigenen Ängste verstärkten die des Tiers. Eine gute Stallmeisterin ließ das nicht zu. Die Ställe sollten ein ruhiger, friedlicher Ort sein, an dem sich die Tiere sicher und geborgen fühlten.

Narziss entspannte sich, und auch Rosa wurde ruhiger. Alles würde gut werden.

»Bereit?«, rief sie Mayfew zu, der gerade zwei schwarze Hasen für die Bannerträger der Königin brachte. Die Königin ritt nie allein.

»Ich komme dich bald holen, mein Freund«, flüsterte Rosa Jonquil zu, als sie an seiner Box vorbeikam. Das Kaninchen hob zustimmend die Nase.

Es dauerte eine Weile, bis die Königin Rosas Ankunft im Oberhof bemerkte, dem größeren der beiden Palasthöfe, die durch eine perfekte Acht aus verschlungenen Ästen miteinander verbunden waren. Die Königin erteilte einem Heer von Höflingen und Palastfeen unwirsch Befehle. Endlich verstummte sie und sprang auf Narziss, wobei sie die zum Steigbügel geformten Hände ignorierte, mit denen Rosa ihr aufhelfen wollte. Die Bannerträger folgten ihrem Beispiel, schwangen sich auf ihre gefilzten Sättel und trieben ihre Reittiere in Formation, bevor sie durch das große Haupttor sprengten.

»Wetten in den Hut! Wetten in den Hut!« Poppy, die Teppichfee, die für die Blumenteppiche und Wandbehänge im Palast zuständig war, hielt Rosa einen Hut hin. Darin klapperten bereits einige Baumringmünzen und Silberkerne, die in den Reichen als Zahlungsmittel verwendet wurden. »Kann die Königin das Sommertor von innen öffnen? Ja oder nein? Die Chancen stehen fifty-fifty!«

Rosa warf Poppy einen düsteren Blick zu und entfernte sich schnell. Auf Mitglieder der Königsfamilie zu wetten war nicht Rosas Vorstellung von Spaß, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit und an einem Tag wie diesem. Sie warf einen nervösen Blick auf die Adligen auf ihren Reittieren. Zu Poppys Glück schienen sie nichts gehört zu haben.

Unbeeindruckt von der Menge zog sie sich auf ihren Wurzelknoten zurück, untersuchte die fest geschlossenen Blütenknospen und beobachtete die Königin.

Die Königin erreichte das Sommertor, und die ganze Stadt schien den Atem anzuhalten. Aber sie machte nicht einmal den Versuch, es zu öffnen. Sie sah es kaum an. Es gab keine Beschwörung, keine Zauberkräuter, keine Begrüßungsformel.

»Freunde der Frühlings- und Sommerhöfe.« Die Königin lächelte mit geschlossenen Lippen. »Dies sind nie da gewesene Zeiten. Besorgniserregende Zeiten. Noch nie zuvor habe ich mich durch ein geschlossenes Tor an den ankommenden Hof gewandt. Keine regierende Jahreszeit hat das jemals getan. Ich habe mit meinen Beratern gesprochen, und wir sind uns einig: Wir müssen die Tradition wahren. Bis König Galvan eintrifft, werde ich auf dem Thron bleiben. Das Sommertor bleibt geschlossen. Ich hoffe, ihr könnt die Knospen und Regenschauer des Frühlings noch eine Weile genießen.«

Die Königin wendete ihr Reittier und ritt zurück. Ihre Bannerträger drehten mühsam um und folgten ihr.

Unsicherer Beifall ertönte. Die Feen, die Sommerbanner und Wimpel hielten, ließen sie sinken und schauten sich fragend an. Einige blickten zum Himmel, als könnte der die ersehnte Antwort bringen.

Irgendwo ertönte ein Rauschen. Es dauerte einen Moment, bis Rosa begriff, dass es nicht die Frühlingsinsekten waren, sondern ihr Blut, das in ihren Ohren rauschte.

3. Kapitel

In die Wälder

Eliane

Als die Frühlingskönigin in ihrem wehenden Sternenmantel und mit ihrer dramatischen Krone aus Pfingstrosenblättern davonschwebte, musste Eliane sich sehr beherrschen, um nicht an den goldenen Gitterstäben des Tores zu rütteln.

Tradition! Jetzt war nicht die Zeit für alte Gebräuche! Die Tradition hatte sich aufgelöst und musste durch irgendetwas ersetzt werden.

»Prinzessin.« Irida legte ihre knotige Hand auf Elianes Schulter.

Eliane ließ die Fingerknöchel knacken, und Irida seufzte laut – sie hatte ihr schon oft eingeschärft, dass sich eine so ungehobelte Angewohnheit für eine Prinzessin nicht gehörte. Aber das Knacken der Fingerknöchel gehörte zu Elianes Kampfvorbereitungen. Sie brauchte einen klaren Kopf und Zielstrebigkeit.

Sie wandte sich an Thallan und hielt zugleich nach Loran, der Sommergeneralin, Ausschau. Als sie sie entdeckte, winkte sie sie heran. Lorans Birkenrindenpanzer knirschte beim Näherkommen, und Eliane nahm den leichten Harzgeruch des Rindensafts wahr, der ihn geschmeidig hielt. Thallan und Loran beäugten einander misstrauisch – Berater und Krieger hatten meist sehr unterschiedliche Ansichten.

»Gibt es Neuigkeiten? Habt ihr irgendwas gehört?«, fragte Eliane leise.

Thallan stieß die Luft durch seine langen, schmalen Nasenlöcher aus. »Nichts, Prinzessin.«

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