×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Winterzauber im Château«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Winterzauber im Château« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Winterzauber im Château

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Weihnachtsromantik in den Schweizer Alpen

Livia hasst Weihnachten und plant deshalb, sich über die Feiertage in Arbeit zu vergraben. Als ihre beste Freundin Nane sie dann bittet, ihren großen Bruder dabei zu unterstützen, das Lieblingshotel der Familie vor dem Ruin zu bewahren, kann sie nicht anders als einzuwilligen. Marco, mit dem Livia eine ausgeprägte Hassliebe verbindet, hat ein Romantikangebot für verliebte Paare konzipiert und braucht nun jemanden, der es zusammen mit ihm testet. Widerwillig lässt sie sich darauf ein, obwohl sie seit dem Betrug ihres Ex-Freundes den Glauben an die Liebe verloren hat und mit Romantik nicht mehr viel am Hut hat. Die Sache scheint zum Scheitern verurteilt, denn jedes Mal, wenn sich die beiden in einem Raum aufhalten, fliegen die Fetzen - aber dabei liegt auch dieses ganz besondere Kribbeln in der Luft …


  • Erscheinungstag: 24.09.2024
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907533
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für alle, die den Zauber von
Weihnachten wiederfinden wollen.

Christmas isn’t a season. It’s a feeling.

(EDNA FERBER)

Playlist

Wham! – Last Christmas

Celtic Woman – O Holy Night

Righteous Brothers – Unchained Melody

Celine Dion – My Heart Will Go On

Lady Gaga & Bradley Cooper – Shallow

Bill Medley & Jennifer Warnes – (I’ve Had) The Time Of My Life

Bryan Adams – (Everything I Do) I Do It For You

Richard Beymer & Natalie Wood – Somewhere (aus West Side Story)

Meredith Brooks – Bitch

Gloria Gaynor – I Will Survive

Taylor Swift – Blank Space

Bon Jovi – Always

Bon Jovi – I’ll Be There For You

John Legend – All Of Me

Whitney Houston – I Will Always Love You

Queen – Crazy Little Thing Called Love

Mariah Carey – All I Want For Christmas Is You

Frank Sinatra – Jingle Bells

Bon Jovi – Please Come Home For Christmas

Chris de Burgh – The Lady In Red

Carrie Underwood – Before He Cheats

Leona Lewis – I See You (aus Avatar)

1

LIVIA

»Herzlichen Glückwunsch, Livia! Wie ich höre, hast du heute in der Verhandlung alle Register gezogen und die Gegenseite erfolgreich in die Schranken gewiesen.«

Die anerkennenden Worte meiner Chefin lösten die Anspannung ein wenig, die mich in den letzten Monaten fest im Griff gehabt hatte. Ich war inzwischen so daran gewöhnt, ständig unter Strom zu stehen, dass sich das Gefühl der Erleichterung und Freude im ersten Moment fremd anfühlte.

»Du weißt, wie wichtig dieser Sieg für die Kanzlei ist, und wir sind uns alle bewusst, wie hart du dafür gearbeitet hast.«

Ich beschränkte mich auf ein Nicken, da es mir trotz meiner beruflichen Erfolge immer noch schwerfiel, souverän mit Lob umzugehen. Während Monika Siebert vor ihrem Schreibtisch auf und ab ging und dabei meine Vorgehensweise analysierte, versuchte ich, mich zu entspannen, indem ich bewusst in den Bauch atmete und die Atmosphäre des Raums auf mich wirken ließ. Ich liebte die schlichte Eleganz der dunklen Büromöbel ebenso wie den dezenten Geruch nach Papier, der von den Gesetzestexten und juristischen Kommentaren ausging, die sich in den deckenhohen Bücherregalen aneinanderreihten. Sobald ich Juniorpartnerin wäre, würde ich ein größeres Büro zugeteilt bekommen, das ich nach meinem Geschmack einrichten konnte. Eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu der tristen Besenkammer, in der ich nun seit mittlerweile drei Jahren den Großteil meiner Zeit verbrachte.

»Wie wäre es, wenn du dir bis Ende Dezember freinimmst?«, brachte mich die Stimme meiner Chefin zurück ins Hier und Jetzt. Ich spürte, wie sich mein Puls bei der Vorstellung, vier Wochen nicht arbeiten zu dürfen, beschleunigte, während ich mich bemühte, möglichst gelassen zu wirken.

»Ich habe mich bereits in den Hendersen-Fall eingearbeitet und möchte mich baldmöglichst mit dir und den anderen Partnern der Kanzlei zusammensetzen, um eine Strategie festzulegen.«

»Den Hendersen-Fall wird Pierre übernehmen. Wir wissen dein Engagement hier bei Konrad, Falkner und Siebert zu schätzen, Livia, aber niemand kann auf Dauer sechzehn Stunden am Tag arbeiten, ohne auszubrennen. Zumal du auch an den Wochenenden keine Pause machst.«

Ertappt senkte ich den Blick. Es stimmte, dass ich viel arbeitete. Ich war nun mal ehrgeizig und hatte eine genaue Vorstellung davon, wie mein Leben in drei, fünf und zehn Jahren aussehen sollte.

»Eine Anwaltstätigkeit im Wirtschaftsrecht einer internationalen Großkanzlei verlangt uns ein hohes Maß an Selbstaufopferung ab und bringt unzählige Überstunden mit sich. Dennoch ist meinen Partnern und mir eine gesunde Work-Life-Balance sehr wichtig. Und soweit mir bekannt ist, hast du in diesem Jahr noch kaum Urlaub genommen. Warum gönnst du dir nicht eine kleine Auszeit in einem netten Wellnesshotel oder fährst über Weihnachten zu deiner Familie?«

Obwohl mein Brustkorb sich krampfhaft zusammenzog, verkniff ich mir die Widerworte, die mir auf der Zunge lagen, und rang mir stattdessen ein Lächeln ab. Wenn sie diesen bestimmten Tonfall anschlug, wusste ich, dass Diskutieren sinnlos war.

Auf dem Weg zu meinem Büro kämpfte ich darum, meine Mundwinkel oben zu halten und die Nerven zu bewahren. Ich schnappte mir meine Handtasche und widerstand dem Impuls, meinen Laptop unter dem Mantel aus der Kanzlei zu schmuggeln. Es kostete mich meine letzte Kraft, mich von meinen Kolleginnen und Kollegen zu verabschieden, die immer noch in kleinen Gruppen zusammenstanden und den Champagner tranken, der zur Feier meines gewonnenen Falls gereicht worden war. Dabei bemühte ich mich, die neidischen Blicke nicht persönlich zu nehmen, sondern sie als zusätzliche Bestätigung für meinen beruflichen Erfolg zu betrachten. Ich liebte meinen Job, aber ich war eine Einzelkämpferin, womit ich mir nicht immer nur Freunde machte.

Draußen spannte ich meinen Schirm auf, bevor ich mit einer Mischung aus Angst und Wut, weil ich mich ungerecht behandelt fühlte, in den Regen hinaustrat. Während ich zur U-Bahn-Station am Münchner Marienplatz lief, versuchte ich, meinen Verstand einzuschalten und mich davon zu überzeugen, dass ein paar freie Tage nicht das Ende der Welt bedeuteten. Eine Frau von dreißig Jahren sollte in der Lage sein, sich eigenständig auf sinnvolle Weise zu beschäftigen.

Zu Hause angekommen, stellte ich den tropfnassen Schirm in die Badewanne, schlüpfte mit einem erleichterten Seufzen aus meinen Pumps und tauschte den taillierten Blazer, die Seidenbluse und den Bleistiftrock gegen bequeme Yoga-Pants und einen Hoodie. Auf dem Weg in die Küche löste ich meinen Dutt und fuhr mir mit den Fingern durch mein schulterlanges Haar, bevor ich den Kühlschrank öffnete und es mir mit einem Glas Weißwein im Wohnzimmer gemütlich machte. Nachdenklich blickte ich durch die regennassen Scheiben nach draußen, in denen sich die Lichter der Stadt spiegelten.

»Auf einen weiteren gewonnenen Fall!«, murmelte ich in die Stille der Wohnung und prostete meiner Yuccapalme zu, die dringend Wasser benötigte. Es erschien mir immer noch unwirklich, dass meine Argumentation die Richterin überzeugt hatte, doch am Ende hatte sich die monatelange harte Arbeit ausgezahlt. Es war das erste große Mandat gewesen, bei dem ich die alleinige Verantwortung getragen hatte. Wieso fühlte ich mich trotz des Sieges innerlich dann so leer? Sollte ich nicht froh sein, auf der Karriereleiter wieder ein Stück vorangekommen zu sein? Wenn ich mich weiterhin anstrengte, hatte ich gute Chancen, meinem Plan gemäß zeitnah zur nächsten Juniorpartnerin ernannt zu werden. Aber alles, was ich spürte, waren Müdigkeit und Erschöpfung. Vielleicht war der Urlaub doch keine so schlechte Idee – abgesehen vom Timing. Wenn es nach mir ginge, könnte man den Dezember komplett aus dem Kalender streichen. Bei der Vorstellung, in der Adventszeit untätig in meiner Wohnung herumzusitzen, während sich alle anderen auf das »Fest der Liebe« freuten, schnürte sich mein Magen zusammen. Arbeit war das beste Mittel, um sich von dem allgemeinen Wahnsinn in Form von blinkenden Lichterketten, schnulzigen Weihnachtsliedern, mit Puderzucker bestäubten Plätzchen und der Jagd nach den perfekten Geschenken abzulenken.

Das Klingeln meines Handys verhinderte, dass ich noch tiefer in finstere Weihnachtsvisionen versinken konnte. Vom Display leuchtete mir der Name meiner besten Freundin entgegen. Wir hatten uns zu Beginn der Studienzeit kennengelernt und gingen seitdem gemeinsam durch dick und dünn.

»Nane, schön, dass du dich meldest! Wie geht es Maya?«, fragte ich, nachdem ich den Anruf angenommen hatte.

»Die Kleine blüht jeden Tag mehr auf. Kannst du dir vorstellen, dass sie erst seit drei Wochen bei uns ist? Mir kommt es vor, als wäre sie schon immer ein Teil unserer Familie gewesen, und ich frage mich, wie wir es nur all die Jahre ohne sie ausgehalten haben.«

Ihr glückliches Lachen schnitt mir ins Herz. Ich wusste, wie sehr Nane und ihre Partnerin Cleo sich gewünscht hatten, ein Pflegekind aufzunehmen. Doch nun, da sich ihr Traum endlich erfüllt hatte, war ich mir in Anbetracht der Umstände nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war.

»Was ist mit ihrer Mutter?«

»Die Kollegen vom Jugendamt in Ingolstadt haben ihr geholfen, einen Platz in einer Klinik zu beantragen. Wir können nur hoffen, dass sie stark genug ist, den Entzug durchzuziehen und danach clean zu bleiben. Im Moment kann niemand sagen, ob und wann sie wieder in der Lage sein wird, sich um ihre Tochter zu kümmern.«

Nane hatte mir erzählt, dass die vierjährige Maya knapp sechsunddreißig Stunden neben ihrer bewusstlosen Mutter auf dem Badezimmerboden ausgeharrt hatte, bevor sie von einer Nachbarin gefunden worden war. Obwohl sie als Sozialarbeiterin häufig mit schwierigen Situationen und unfassbarem familiären Leid konfrontiert war, wusste ich, dass Nane Schicksale wie das von Maya besonders nahegingen.

»Ich will nur sichergehen, dass dir bewusst ist, dass Maya vielleicht nicht langfristig bei euch leben wird.«

Sie seufzte schwer. »Als ob ich das vergessen könnte. Cleo ermahnt mich ständig, dass ich mein Herz nicht zu sehr an die Kleine hängen soll, bis geklärt ist, ob sie bei uns bleiben darf. Aber Livi, ich kann das nicht steuern. Sie muss mich nur mit ihren großen hoffnungsvollen Augen anschauen, und ich schmelze dahin. Das Mädchen hat so viel durchgemacht, und obwohl sie immer noch kein Wort gesprochen hat, habe ich das Gefühl, dass sie weiß, dass wir uns gut um sie kümmern werden.«

»Dann fällt es Cleo leichter, emotionalen Abstand zu wahren?«

»Sie bemüht sich redlich, scheitert aber genauso kläglich wie ich. Gestern habe ich sie dabei erwischt, wie sie Maya ein Schlaflied vorgesungen hat. Und als sie heute Morgen zu uns ins Bett gekrabbelt kam, hat Cleo sie direkt in ihre Arme gezogen und glücklich geseufzt, als die Kleine sich an sie gekuschelt hat.«

»Du weißt, ich wünsche euch dreien nur das Beste!«

»Das ist lieb von dir. Aber jetzt erzähl mir, wie dein großer Fall gelaufen ist!«

»Die Firmenübernahme ist rechtskräftig geworden, wodurch die Unternehmensgruppe meines Mandanten wieder ein Stück gewachsen ist.«

»Du scheinst nicht sehr glücklich darüber zu sein. Ist es nicht das, was du erreichen wolltest?«

»Doch, natürlich. Es ist großartig!« Ich hörte selbst, wie wenig überzeugend ich klang, und war froh, dass Nane nicht weiter nachfragte.

»Wie ich dich kenne, hast du dir direkt einen neuen Fall geschnappt und wirst morgen die Erste im Büro sein, nur um nicht mitzubekommen, dass bald Weihnachten ist.«

»Frau Siebert hat darauf bestanden, dass ich mir bis Ende des Jahres freinehme. Dabei ist die Arbeit das Einzige, was mir um diese Zeit hilft, nicht in Trübsinn zu verfallen.«

»Trauerst du etwa immer noch Daniel hinterher?« Ich murmelte etwas Unverständliches und hoffte, dass sie das Thema nicht vertiefen würde. »Muss ich dich daran erinnern, dass er dich nach Strich und Faden belogen und betrogen hat?«

»Nein, das ist mir bewusst. Und du hast mir auch schon tausend Mal gesagt, dass er es nicht wert ist, ihm nachzuweinen, weil ich etwas Besseres verdient habe.«

»Genau so ist es! Du brauchst einen Mann, der dir auf Augenhöhe begegnet und dich so liebt, wie du bist, der nicht erwartet, dass du dich verbiegst, damit du all seinen Erwartungen entsprichst und er ein möglichst bequemes Leben hat.«

Ich seufzte, da wir diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal führten. Obwohl ich wusste, dass Nane recht hatte, fiel es mir schwer, die Vorstellung einer harmonischen Beziehung ohne den Druck, sich ständig beweisen zu müssen, mit der Realität zu vereinbaren.

»Wirst du über die Feiertage nach Berlin zu deinen Eltern fahren?«, sprach sie ein weiteres Thema an, das ich möglichst vermied.

»Um mir zum tausendsten Mal anzuhören, wie schade es ist, dass Daniel und ich uns getrennt haben? Dass ich mich mehr hätte anstrengen müssen, damit er bei mir bleibt? Dass ich außerdem den falschen Beruf gewählt habe? Ganz im Gegensatz zu meiner ach so perfekten großen Schwester, die in die Fußstapfen meines Vaters getreten ist und kurz davorsteht, die beste Neurochirurgin an der Charité zu werden? Und die noch dazu mit einem Anästhesisten verlobt ist, den meine Eltern über alles schätzen? Nein, danke.«

»Dann haben sie sich immer noch nicht damit abgefunden, dass du dich für Jura und nicht für Medizin entschieden hast?« Ich hörte die Ungläubigkeit in ihrer Stimme und liebte sie umso mehr dafür, dass sie stets zu einhundert Prozent hinter mir stand, was nicht bedeutete, dass sie mir nicht auch schonungslos ihre Meinung sagte, wenn sie es für nötig hielt. Ohne sie hätte mich die Trennung von Daniel vermutlich komplett aus der Bahn geworfen. Und ich bezweifelte stark, dass ich das anspruchsvolle Studium, mit den zahlreichen Nebenjobs als zusätzliche Belastung, ohne sie geschafft hätte. Meine Eltern hatten mir aufgrund der Wahl meines Studienfachs jegliche finanzielle Unterstützung verwehrt.

»Du weißt doch, wie sie sind. Ich habe die Hoffnung, es ihnen irgendwann recht machen zu können, vor langer Zeit begraben.«

»Arbeitest du deshalb über achtzig Stunden in der Woche? Weil du es aufgegeben hast, ihnen beweisen zu wollen, was für eine gute Anwältin du bist?«

Ich biss mir auf die Lippe, denn wie so oft hatte Nane zielsicher ihren Finger in die Wunde gelegt. »Mein Ziel ist es, Juniorpartnerin zu werden, und dafür muss ich gewisse Opfer bringen.«

»Das sollte aber nicht bedeuten, dass du auf jegliches Privatleben verzichtest. Du brauchst einen Ausgleich, wenn du kein Burn-out erleiden willst.«

Genervt verdrehte ich die Augen, obwohl es mir zu denken gab, dass Nane nach meiner Chefin schon die Zweite war, die das heute sagte. »Was glaubst du, warum ich jeden Morgen vor der Arbeit ins Yogastudio gehe?«

»Das allein reicht nicht.« Sie hielt inne, vermutlich um den Eindruck zu erwecken, als würde sie überlegen. Dabei war ich mir sicher, dass sie längst eine Reihe von passenden Vorschlägen parat hatte, wie ich Weihnachten am besten verbringen könnte. »Erinnerst du dich an meinen Lieblingsort, an dem Cleo und ich so gerne Urlaub machen?«

»Meinst du das Hotel in den Schweizer Alpen, dessen Umbau dein Bruder betreut?«

»Genau das. Ursprünglich wollte ich zwei Wochen vor Weihnachten zu ihm ins Wallis fahren, um bei den Vorbereitungen für die Wiedereröffnung an Heiligabend zu helfen. Aber jetzt, wo Maya da ist, möchte ich nicht weg, zumal Cleo tagsüber unterrichtet und sich nicht so einfach freinehmen kann.«

»Ich ahne, worauf du hinauswillst, und die Antwort ist Nein.«

»Aber es wäre absolut perfekt – für euch beide!«, widersprach Nane mit spürbarer Begeisterung und bestätigte damit meine schlimmsten Befürchtungen.

»Du kannst unmöglich wollen, dass ich an deiner Stelle in die Schweiz fahre.« Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und das Ziehen in meinem Magen zu ignorieren, das mich immer dann überfiel, wenn es um Nanes zwei Jahre älteren Bruder ging. »In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns nicht so gut verstehen, halte ich das für keine gute Idee.«

Und das war maßlos untertrieben. Marco, der CEO der Business Consulting Firma Visions and Dreams, war nicht nur extrem erfolgreich, sondern auch unerträglich selbstbewusst. Sein Unternehmen zählte zu den Top-Ten-Beratungsfirmen in Deutschland und genoss einen hervorragenden Ruf. You dream big? We dream bigger! war der Slogan, mit dem Marco und sein Team potenzielle Klientinnen und Klienten anwarben, die davon träumten, ihre beruflichen Visionen zu verwirklichen. Dazu kam, dass Marco ziemlich gut aussah und diese außergewöhnlich starke und faszinierende Ausstrahlung hatte, die einen von der ersten Sekunde an in seinen Bann zog. Auch ich hatte mich zu Beginn von seiner aufmerksamen und charismatischen Art angezogen gefühlt, doch dann hatte ich am eigenen Leib erfahren müssen, dass er die unschöne Angewohnheit hatte, sich vorschnell über andere ein Urteil zu bilden. Seitdem ging ich ihm nach Möglichkeit aus dem Weg. Bei den Begegnungen, die ich nicht vermeiden konnte, dauerte es meist nicht lang, bis wir uns in einem hitzigen Wortgefecht wiederfanden.

»Es ist der perfekte Ort, um zu entspannen«, riss Nane mich aus meinen Überlegungen, »und nebenbei könntest du Marco ein wenig unter die Arme greifen. Bei unserem letzten Telefonat klang er ziemlich überfordert.«

Ich brach in lautes Gelächter aus. »Als ob Marco und ich uns länger im selben Raum aufhalten könnten, ohne dass nach kurzer Zeit die Fetzen fliegen.«

Nanes Stimme hatte mit einem Mal etwas Flehentliches. »Meinst du nicht, du könntest mir zuliebe über deinen Schatten springen? Wenn ich Marco richtig verstanden habe, braucht er jede Hilfe, die er kriegen kann, um das Hotel vor dem finanziellen Ruin zu retten. Du weißt, wie wichtig uns dieser Ort ist.«

Das wusste ich in der Tat nur zu gut. Nane hatte mir oft genug vorgeschwärmt, wie sehr sie die gemeinsamen Urlaube mit Cleo genoss. Auch Rosie und Hannes, das sympathische Ehepaar, das das Hotel betrieb, hatten dazu beigetragen, dass die Gegend um Zermatt zu einer zweiten Heimat für sie geworden war.

»Hast du vergessen, dass Marco mich genauso wenig ausstehen kann wie ich ihn?«

»Herrje, Livi, ihr seid beide erwachsen. Ihr werdet es doch wohl schaffen, euch ein paar Tage zusammenzureißen.«

»Warum fragt er nicht einfach eine seiner Angestellten oder seine Assistentin?« Es gelang mir nicht, den bockigen Unterton aus meiner Stimme zu verbannen.

»Jeanette hält in der Zentrale die Stellung und koordiniert die anderen Projekte, die Marcos Team betreut.«

»Hat er keine Freunde?«

»So kurz vor Weihnachten ist es schwierig, jemanden zu finden, der alles stehen und liegen lässt, um in die Schweizer Alpen zu reisen. Das tun nur wahre Freundinnen, die sich bewusst sind, dass sie mit ihrem selbstlosen Verhalten viele Menschen glücklich machen. Denn nicht nur wir wären am Boden zerstört, wenn das Hotel schließen müsste, sondern auch all die anderen Stammgäste, die seit Jahren ihren Urlaub bei Rosie und Hannes in den Bergen verbringen.« Nane wusste genau, welche Knöpfe sie bei mir drücken musste, damit ich nachgab. »Ich würde dich nicht fragen, wenn es mir nicht wirklich, wirklich wichtig wäre. Außerdem beschwerst du dich doch immer, dass du dir eine Aufgabe wünschst, die dich mehr erfüllt, als reichen Säcken zu helfen, ihre Macht und ihren Besitz zu vergrößern.«

»So habe ich das nie gesagt!«, empörte ich mich, auch wenn Nane mit ihrer Aussage meine Gedanken ziemlich gut zusammengefasst hatte.

»Sieh es doch mal so: Du bekommst einen kostenlosen Urlaub in einer wunderschönen Berglandschaft mit jeder Menge Schnee, einem gemütlichen Zimmer, leckerem Essen, netten Menschen, und damit meine ich auch meinen Bruder, denn er kann durchaus nett sein, wenn er will. Und du lernst endlich Rosie und Hannes kennen, zwei meiner absoluten Lieblingsmenschen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was aus ihnen werden würde, sollten sie das Hotel verlieren.«

Mir entwich ein lautes Seufzen. »Also schön, du hast mich überredet. Aber wenn du mich oder deinen nervigen Bruder aus einer Gletscherspalte bergen musst, weil wir uns eben doch nicht wie erwachsene Menschen benehmen konnten, gib hinterher nicht mir die Schuld.«

»Du bist die Allerbeste!«, flötete sie. »Ich kümmere mich um das Zugticket und bitte Hannes, dich in Visp abzuholen. Von da ist es eine gute halbe Stunde bis zum Hotel. Am besten fängst du gleich an, zu packen.«

Als wir das Gespräch kurz darauf beendeten, blieb ich noch einen Moment sitzen und dachte mit gemischten Gefühlen an die bevorstehende Begegnung mit Marco. An das nervöse Kribbeln, das ich in seiner Nähe empfand, während ich mich gleichzeitig von seiner selbstsicheren und unerschütterlich optimistischen Art provoziert fühlte. Ich sah nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir schafften es irgendwie, uns nicht an die Gurgel zu gehen, oder wir setzten die Sache so richtig in den Sand, wobei Letzteres keine Option war. Marco und ich mochten wenig gemeinsam haben, aber wir waren beide ehrgeizig und würden alles tun, um Nane glücklich zu machen. Ihr zuliebe würden wir einen Weg finden müssen, einigermaßen höflich miteinander umzugehen, egal wie schwer es uns fiel.

2

Marco

»Das ist ein Scherz, oder? Bitte sag mir, dass du mich gerade auf den Arm nimmst!« Ich musste mich zwingen, nicht ins Telefon zu brüllen, so sehr wühlte mich die angeblich gute Nachricht meiner kleinen Schwester auf.

»Es ist mein voller Ernst.« Ihre Stimme triefte geradezu vor Selbstzufriedenheit. Offenbar war sie auch noch stolz auf sich.

»Du willst mir also sagen, dass du Livia, die unromantischste Person auf der Welt und außerdem eine bekennende Weihnachtshasserin, überredet hast, für dich einzuspringen? Ist dir klar, was das bedeutet?«

»Dass ihr eure jahrelang liebevoll gepflegte Abneigung überwindet und endlich Freunde werdet?« Ich konnte Nanes breites Grinsen vor mir sehen.

»Wie soll ich mich mit jemandem anfreunden, der sich benimmt wie die Eisprinzessin höchstpersönlich?«

»Meinst du Elsa? Da fällt mir gerade eine fantastische Idee ein. Sobald du wieder da bist, sollten wir einen Filmabend veranstalten und zusammen mit Maya Frozen schauen. Ich bin überzeugt, sie wird es lieben – genauso wie ihren Onkel Marco.« Wenn meine Schwester derart begeistert war, fiel es mir schwer, ihr einen Wunsch abzuschlagen. »Und was Livia angeht, wirst du sehen, dass sie sehr sympathisch ist, vielleicht ein wenig angespannt, weil sie permanent arbeitet, aber das solltest du doch am besten von uns allen nachvollziehen können.«

Da hatte sie nicht unrecht. Seit ich Visions and Dreams vor vier Jahren gegründet hatte, gönnte ich mir abgesehen von meinen Abenteuerurlauben nur wenig Freizeit. Aber das war es absolut wert gewesen, denn es gab für mich nichts Erfüllenderes, als anderen dabei zu helfen, ihre Visionen umzusetzen. Neben meinem beruflichen Wissen, wie man ein Business am effektivsten und nachhaltigsten aufzog, war ich auch mit einer unerschöpflichen Portion Optimismus ausgestattet, obwohl mein Start ins Leben nicht gerade leicht gewesen war. Das war einer der Gründe, warum Nane und ich uns so nahestanden. Ich würde ihr den Mond vom Himmel holen, wenn es sie glücklich machen würde.

»Ich weiß, dass sie prinzipiell kein schlechter Mensch sein kann, sonst wäre sie wohl kaum deine beste Freundin. Aber mir gegenüber verhält sie sich irrational unfreundlich, dabei habe ich ihr nie etwas getan.«

»Sei einfach nett und höflich zu ihr. Mehr verlange ich gar nicht. Immerhin nimmt sie sich extra frei und fährt …«

»In eine der beliebtesten Urlaubsregionen in der Schweiz. Wirklich ein großes Opfer!«

»Für sie ist es das! Und vergiss nicht, dass der Ort für mich magisch ist. Wenn irgendwo Wunder geschehen, dann dort! Vielleicht versteht ihr euch am Ende sogar richtig gut.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie eine große Hilfe sein wird.«

»Du liebst doch Herausforderungen. Wieso solltest du dich sonst ständig aus Flugzeugen stürzen, mörderische Klippen emporklettern, rauschende Wildwasserflüsse befahren und mit nichts mehr als Rucksack und Zelt Länder wie Afrika oder Patagonien bereisen?« Ich sparte mir die Erklärung und wartete, dass Nane zum Punkt kam. »Sieh es mal so, wenn es dir gelingt, Livia zu überzeugen, kannst du sicher sein, dass deine Strategie, die du dir für das Château ausgedacht hast, auch wirklich funktioniert.«

Nachdem sie mir noch einmal eingeschärft hatte, meine Vorbehalte zu überwinden und die Sache entspannt und optimistisch anzugehen, beendeten wir das Gespräch.

Seufzend legte ich das Handy auf den Schreibtisch. Nane hatte einen wunden Punkt getroffen. Es war und blieb ein Risiko, ein gemütliches Familienhotel, in dem sich seit Jahrzehnten nichts geändert hatte, komplett zu sanieren und in ein exklusives Romantikhotel zu verwandeln. Aber es konnte klappen. Die Lage war perfekt, und auch die Größe des Hauses war ideal, um genug Komfort zu bieten und zugleich eine intime Atmosphäre zu schaffen. Andererseits war die Konkurrenz stark. Es gab allein vier Fünfsternehotels in der näheren Umgebung, deren Küche hochgelobt war und die eine bessere Anbindung an die Skilifte hatten. Außerdem würden Rosie und Hannes einiges dazulernen müssen, wenn sie Gäste mit hohen Ansprüchen zufriedenstellen wollten. Doch das war eine Aufgabe, die bewältigt werden konnte. Mein Konzept musste letztendlich nur so überzeugend und einzigartig sein, dass es die anderen Hotels in den Schatten stellte.

Es klopfte, und Rosie, eine rundliche Frau Anfang fünfzig mit kinnlangem dichtem grauem Haar und vor Energie sprühenden braunen Augen, betrat den Raum, der mir seit einigen Wochen als Büro diente.

»Die Maler machen für heute Feierabend und haben darum gebeten, dass du dir die Suiten im ersten Stock anschaust. Falls du noch etwas zu beanstanden hast, könnten sie Ende der Woche letzte Korrekturen vornehmen.«

»Danke, Rosie. Morgen Nachmittag kommt übrigens eine Freundin meiner Schwester, um uns zu helfen. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«

»Oh, ich weiß schon Bescheid. Nane hat mich angerufen. Ich habe das Eckzimmer im zweiten Stock für Livia fertig gemacht, und Hannes wird sie vom Bahnhof abholen.«

Ich musste mich bemühen, mir ein anerkennendes Grinsen zu verkneifen. Meine Schwester war wirklich durchtrieben. Indem sie Rosie von Livias Besuch erzählte, hatte sie für die perfekte Absicherung gesorgt. Falls ich mit ihrer Anwesenheit nicht einverstanden gewesen wäre, hätte ich mich Rosie und Hannes gegenüber rechtfertigen müssen. Und wie hätte ich erklären sollen, dass ich Livias Hilfe ablehnte, obwohl wir so dringend Unterstützung brauchten?

Während wir durch den Korridor zum Foyer liefen, konnte ich nur immer wieder staunen, wie sehr sich das Hotel in den vergangenen sechs Monaten verändert hatte. Dunkle Holzdielen, cremefarbene Seidentapeten, funkelnde Kristalllüster und antikes Mobiliar, das Hannes günstig gekauft und aufgearbeitet hatte, gaben dem Interieur den letzten Schliff. Außen hatten wir Türme und Gauben angebaut und einige Erker, Balustraden und steinerne Simse hinzugefügt, die rund um das fünfstöckige Gebäude verliefen. Dazu ein exklusiver Wellnessbereich im Untergeschoss mit Panoramaterrasse, ein Nobelrestaurant mit einer stilvollen Bar und nicht zu vergessen das Schmuckstück des Hauses: der Ballsaal im Erdgeschoss, in dem an Heiligabend die große Gala zur Wiedereröffnung des Château Romantique stattfinden würde. Ein stimmiges Konzept, wie ich fand. Und damit alles glatt lief, war ich, ob es mir passte oder nicht, auf externe Hilfe angewiesen – auch wenn ich nach wie vor stark bezweifelte, dass Livia die Richtige dafür war.

Als wir uns das erste Mal begegnet waren, hatten mich ihre selbstbewusste Ausstrahlung, die aufrechte Haltung und der sanfte Schwung ihrer Hüften, der sich unter dem eng anliegenden Kleid auf verführerische Weise abgezeichnet hatte, in ihren Bann gezogen. Ihr ansteckendes Lachen hatte in mir den Wunsch geweckt, derjenige zu sein, der es auslöste. Wir hatten uns an dem Abend stundenlang unterhalten, und ich hätte schwören können, dass die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Daher war es mir völlig unverständlich, wie der Glanz in ihren wunderschönen braunen Augen bei unserer zweiten Begegnung ein Jahr später einfach erloschen war. Sie hatte mich eiskalt abblitzen lassen, als hätte ich ihr anstelle eines Kompliments zu ihrem Aussehen ein unmoralisches Angebot unterbreitet. Ich konnte mir bis heute nicht erklären, warum sie sich mir gegenüber seitdem derart kühl und abweisend verhielt.

Vielleicht hatte Nane recht, und dieser Ort verfügte wirklich über magische Kräfte. Denn genau diese wären nötig, um dafür zu sorgen, dass Livia und ich uns ohne nervenaufreibende Auseinandersetzungen in einem Raum aufhielten.

3

Livia

Obwohl ich kein großer Fan von Winterurlaub war – man konnte schließlich genauso gut in den Süden fliegen und seine kostbare Freizeit am Strand verbringen –, musste ich zugeben, dass die majestätische Berglandschaft und die idyllischen Ortschaften inmitten verschneiter Wälder einen ganz besonderen Zauber ausstrahlten. Hannes, ein kräftiger Mann Mitte fünfzig mit feinen Fältchen um die Augen, kurzem silberfarbenem Haar und einer markanten Nase, hatte mich wie versprochen am Bahnhof abgeholt. Er hatte meine zahlreichen Gepäckstücke kommentarlos im Kofferraum verstaut, was ich ihm hoch anrechnete, und war, ohne viele Worte zu verlieren, losgefahren.

Unterwegs lief das Radio, und obwohl es gerade mal Ende November war, wurde beinahe ununterbrochen Weihnachtsmusik gespielt. Als das Intro zu Last Christmas erklang, fragte ich Hannes, ob er so nett sein könnte, den Sender zu wechseln. Doch auch in den anderen Radioshows ging es entweder um das leckerste Plätzchenrezept, die originellsten Geschenkideen oder die besten Tipps, wie man Familie und Entspannung an den Feiertagen unter einen Hut brachte.

Ich hätte mehr davon gehabt, wenn mir jemand erklärte, wie man in einem abgelegenen Hotel am Ende der Welt mit einem Mann überlebte, der sich für den Mittelpunkt des Universums hielt. Erst neulich war er als einer der erfolgreichsten Jungunternehmer auf dem Cover eines renommierten Businessmagazins gewesen. Als ob sein Ego noch mehr Bestätigung brauchte. Falls er davon ausging, dass ich es ihm leicht machen würde, musste er sich auf eine Enttäuschung einstellen. Ich war nicht bereit, mich von ihm und seinem, zugegeben, schwer zu widerstehendem Charme einwickeln zu lassen. Ich würde mir sein Konzept anhören, seinen Businessplan überprüfen und einen Blick auf die Zahlen werfen. Solange wir uns dabei nicht permanent im selben Zimmer aufhalten mussten, würden wir das schon irgendwie hinkriegen. Immerhin hatte ich Nane meine Hilfe zugesagt, und es brauchte eindeutig mehr als einen selbstverliebten Geschäftsführer, um mich mein Versprechen brechen zu lassen.

Als Hannes auf der steil ansteigenden Straße um eine Kurve bog, riss ich erstaunt die Augen auf. Vor uns erhob sich ein weitläufiges Anwesen, das mit seinen Türmchen, Erkern und Giebeln einem kleinen Schloss glich und von hochgewachsenen Tannen an beiden Seiten beschützend umrahmt wurde. Das untere Drittel der weißen Fassade war mit beigen Natursteinen verkleidet, deren warmer Farbton sich vom in der Sonne funkelnden Schnee abhob. Aus den hohen Bogenfenstern hatte man vermutlich einen fantastischen Blick auf die umliegenden Berge.

Hannes fuhr an einem lang gestreckten Nebengebäude vorbei und hielt direkt vor der doppelflügeligen Eingangstür. Ich stieg aus und stapfte durch den knöchelhohen Schnee zum Kofferraum, um Hannes mit dem Gepäck zu helfen, doch er winkte ab und bedeutete mir mit einer Geste, vorauszugehen. Gerade als ich die Tür öffnen wollte, wurde sie von innen schon aufgezogen. Eine Frau mit einem offenen Lächeln und leicht geröteten Wangen, auf denen ich Spuren von Mehl entdeckte, trat mir zur Begrüßung entgegen.

»Herzlich willkommen im Hotel Stadler! Ich meine«, sie räusperte sich, »im Château Romantique. Ich bin Rosie, Hannes’ Frau. Hattest du eine angenehme Fahrt?«

Ich nickte und reichte der freundlichen Hotelbesitzerin die Hand, doch anstatt sie zu ergreifen, umarmte sie mich. Als sie bemerkte, dass ich mich aufgrund der abrupten Nähe versteifte, ließ sie mich sofort wieder los.

»Entschuldige, ich hätte dich nicht so überfallen dürfen, aber Nane hat uns so viel über dich erzählt, dass du quasi schon zur Familie gehörst.«

Ich war froh, dass in diesem Moment Hannes, mit meinem Gepäck beladen, das Foyer betrat und einige Worte mit seiner Frau wechselte, sodass mir eine Antwort erspart blieb. Neugierig blickte ich mich um. Gegenüber der Eingangstür befand sich ein Tresen aus wunderschön gemasertem Holz, der weihnachtlich geschmückt war. An der rechten Seite standen dunkle Ledersessel in kleinen Gruppen zusammen und luden zum Verweilen ein. Die rustikalen Beistelltische waren mit Windlichtern und schlichten Engelsfiguren dekoriert. Das Herzstück des Raums bestand aus einem steinernen Kamin, auf dessen breitem Sims frische Tannenzweige lagen, die einen intensiven Geruch nach Wald verbreiteten. Im Hintergrund sang ein Ensemble ätherischer Frauenstimmen O Holy Night, was meine schlimmste Befürchtung bestätigte, nicht nur im Winterwunderland, sondern auch noch im Weihnachtsparadies gelandet zu sein. Vor dem Kamin lag ein handgeknüpfter Teppich in dunklen Erdtönen und darauf ein riesiger Hund, der nun den Kopf hob, bevor er sich aufrappelte und schwanzwedelnd auf mich zutrabte. Ich schaute zu dem Ehepaar, das sich immer noch angeregt unterhielt. Ehe ich meine Bedenken angesichts des vierbeinigen Monsters äußern konnte, drückte das Tier bereits seinen gigantischen Kopf gegen meine Hüfte und blickte mich aus seinen schokoladenbraunen Augen an.

Ich ging Hunden nach Möglichkeit aus dem Weg. Vor allem beim Joggen versetzte es mich in Panik, wenn ein oder gar mehrere Exemplare dieser unberechenbaren Spezies die Verfolgung aufnahmen und es darauf anlegten, mir in die Wade zu beißen.

»Entschuldigung …«, flüsterte ich, da ich nicht einschätzen konnte, wie das Tier reagierte, wenn ich meine Stimme erhob. Rosie wandte sich zu mir um und erkannte zum Glück gleich, wie unwohl ich mich fühlte, was vermutlich nicht schwerfiel, da ich vor Angst wie erstarrt war.

»Minnie, sei nicht so aufdringlich! Geh wieder auf deinen Platz.«

Minnie? Sollte das ein Witz sein? Jumbo oder Moby Dick wäre passender gewesen, wenn man davon absah, dass dieses Kalb offenbar ein Mädchen war. Erleichtert atmete ich auf, als die Hündin kehrtmachte und sich wieder vor dem Kamin niederlegte.

»Du brauchst keine Angst vor ihr zu haben. Sie ist zwar ziemlich groß, aber vollkommen friedlich. Berner Sennenhunde haben von Natur aus ein ruhiges Gemüt. Sie lieben Menschen, vor allem Kinder, sind gerne mitten im Geschehen und sehr treu.«

»Das ist beruhigend, zu wissen«, brachte ich hervor und fragte mich, wie ich den Aufenthalt überstehen sollte, wenn ich nicht nur mit Nanes anstrengendem Bruder zurechtkommen, sondern obendrein auch noch vor einem anhänglichen Vierbeiner fliehen musste. Doch bevor ich mir weiter Gedanken machen konnte, verschwand Hannes mit meinen Koffern Richtung Aufzug, während Rosie mich nach links durch eine Tür dirigierte, auf der »Nur für Personal« stand. Wir kamen an der Küche vorbei, in der ich zahlreiche Bleche mit frisch gebackenen Plätzchen sah, bei deren Anblick sich mir der Magen zuschnürte. Noch schlimmer als die kitschige Dekoration und die gefühlsduselige Musik war das pappsüße Gebäck, das einen bereits mit dem ersten Bissen einen Zuckerschock erleiden ließ. Wahrscheinlich gehörte das zur Taktik, um den Menschen vorzugaukeln, dass Weihnachten etwas ganz Großartiges war und nicht etwa ein jährlich wiederkehrendes Ärgernis, an dem Verwandte allen Grades in ein Wohnzimmer gepfercht wurden und eine harmonische Zeit miteinander verbringen sollten. Und das, obwohl sie sich ansonsten so gut wie nie sahen und sich, wenn sie ehrlich waren, auch nicht ausstehen konnten.

Vor einer schlichten Holztür blieb Rosie stehen, klopfte und betrat kurz darauf den Raum. Hinter einem Schreibtisch, auf dem ein rot leuchtender Weihnachtsstern einem Laptop, diversen Ordnern und Notizen den Platz streitig machte, lief Marco auf und ab. Er hatte sein Handy am Ohr, die andere Hand steckte in der Tasche seiner ausgeblichenen Jeans. Bei unserem Anblick blieb er abrupt stehen, und als sich unsere Blicke begegneten, kam mein Herz für eine Millisekunde aus dem Takt. Ich hatte vergessen, oder wohl eher verdrängt, wie gut er aussah. Es war nicht nur der muskulöse Oberkörper oder die breiten Schultern, die sich deutlich unter dem maßgeschneiderten Hemd abzeichneten. Auch sein dichtes dunkles Haar und die meerblauen Augen, aber vor allem sein aufrichtiges und bedauerlicherweise auch ziemlich atemberaubendes Lächeln, mit dem er nun Rosie bedachte und von dem ich mir insgeheim wünschte, es würde mir gelten, ließen ihn so anziehend wirken.

Stopp! Wieso sollte ich wollen, dass Marco mich anlächelte? Schließlich war ich diejenige, die ihn bei jeder Begegnung möglichst auf Abstand hielt, nur das absolut Nötigste mit ihm sprach und ihm ansonsten deutlich klarmachte, dass ich weder an ihm noch an seinem Erfolg oder seinem Vermögen interessiert war. Andere mochten seinem Charme erliegen, aber ich würde mich davon nicht blenden lassen!

Er deutete auf sein Handy, zuckte entschuldigend mit den Schultern und intensivierte sein Lächeln, wobei er mich dieses Mal ansah, woraufhin sich mein Puls merklich beschleunigte. Ich würde heute Abend eine extralange Meditation an meine Yogapraxis anschließen müssen, um sicherzugehen, dass ich diese unberechenbaren Hormonschwankungen, die er auslöste, im Keim erstickte. Marco mochte attraktiv sein und gut in seinem Job, aber ich hatte selbst erfahren, wie vernichtend sein Urteil über andere sein konnte.

Den Gesprächsfetzen entnahm ich, dass es um eine Lieferung ging, die sich offenbar verspätete, und Marco schien mit der Entwicklung nicht zufrieden zu sein. Trotzdem blieb er gelassen und höflich, was ich ihm positiv anrechnen musste. Wie viele Menschen verloren die Fassung, wenn etwas nicht nach Plan lief? Das erlebte ich in meinem Job ständig. Schließlich waren Anwälte dazu da, für das Recht ihrer Mandanten zu kämpfen.

Falls er als Business Consultant doch eines Tages scheitern sollte, könnte er Karriere als Hörbuchsprecher machen, so weich und samtig klang seine Stimme. Oder als Schauspieler. Oder auch als Model.

O weh! Ich musste mich dringend am Riemen reißen. Vermutlich war es einfach zu lange her, dass ich mit einem Mann aus war. Wenn man die letzten vier verunglückten Blind Dates nicht mitzählte, zu denen Nane mich überredet hatte. Die Trennung von Daniel war ziemlich genau drei Jahre her, und seitdem hatte ich nicht nur das Vertrauen in die Liebe, sondern vor allem in die Männer verloren.

Kein Wunder, wenn man an Weihnachten nach London flog, um seinen Freund zu überraschen, und ihn dort in flagranti mit einer anderen im Hotel erwischte, in dem er sich angeblich mit einem Kunden treffen wollte. Geschmackloser ging es wohl kaum.

»Entschuldigt, das war das Möbelhaus. Die Tische und Stühle für den Ballsaal werden verspätet geliefert. Am Ende müssen wir das Menü an Heiligabend auf dem Boden essen.«

»Ach, das ist kein Problem«, wehrte Rosie ab, »dann ändern wir einfach das Thema von Eine magische in Eine orientalische Ballnacht

Offenbar ließ sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Ob das an ihrer jahrelangen Erfahrung als Hotelière lag? Bestimmt brauchte man in dem Job ein dickes Fell, wenn man nicht ständig befürchten wollte, bei den kleineren und größeren Pannen, die im Umgang mit Gästen und Personal sicherlich entstanden, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.

»Schau, wen ich dir mitgebracht habe!«

»Livia. Wie schön, dass du es einrichten konntest.«

Wow! Seine eben noch warme und sexy Stimme war jetzt deutlich kühler. Überhaupt schien die Temperatur im Raum um einige Grad gesunken zu sein.

»Die Freude ist ganz meinerseits.« Ich konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen. Rosie blickte uns irritiert an, ehe sie mir eine Hand auf die Schulter legte.

»Wie wäre es, wenn ich dir zuerst dein Zimmer zeige? Dann kannst du dich ein bisschen ausruhen, bevor Marco mit dir die Einzelheiten des Romantikangebots bespricht. Wegen des Namens haben wir uns noch nicht entschieden. Gefällt dir Winterdreams for Two, Liebesglück im Schnee oder Winterzauber im Château besser?« Ich musste ziemlich verwirrt dreingeschaut haben, denn sie wandte sich mit gerunzelter Stirn an Marco. »Hast du Livia gar nicht erzählt, was du vorhast?«

Sein Seufzen und die fahrige Geste, mit der er sich durchs Haar fuhr, versetzten mich in Unruhe. Was zur Hölle war hier los?

»Um die Gewinnspanne des Unternehmens zu erhöhen, richten wir unser neues Konzept an Menschen, die einen ganz besonderen Urlaub verbringen möchten. Unvergessliche Erlebnisse in Kombination mit exklusiver Quality-Time.«

»Und wie soll das konkret aussehen?«, hakte ich nach, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich die Antwort wirklich wissen wollte.

»In den letzten Monaten habe ich einige Umbauarbeiten veranlasst, um das Hotel Stadler in ein Romantikhotel zu verwandeln.«

»Deswegen haben wir auch einen neuen Namen«, unterbrach ihn Rosie. »Château Romantique, damit alle gleich wissen, was sie bei uns erwartet.«

»Ein Romantikhotel?«, wiederholte ich, weil ich immer noch nicht verstand, was das Ganze mit mir zu tun haben sollte.

»Marco hat sich eine Reihe von Aktivitäten ausgedacht, die unsere Gäste dazubuchen können. Ein erstklassiges Special für Frischverliebte sowie Paare, die sich voneinander entfernt haben und wieder neu finden wollen.«

Romantische Ferien im Schnee für die oberen Zehntausend? So etwas konnte auch nur Marco einfallen. »Mir ist nicht ganz klar, wie ich dabei behilflich sein kann.«

Das Schrillen eines Weckers drang an mein Ohr.

»Oh, das sind die Plätzchen! Ich lasse euch zwei Hübschen kurz allein.«

Nachdem Rosie gegangen war, atmete Marco einmal tief durch, bevor er sich mir zuwandte, was es mir schwer machte, mich auf seine nächsten Worte zu konzentrieren.

»Ich brauche jemanden, der das Programm mit mir testet. Eine Frau, die nicht versucht, sich bei mir einzuschmeicheln, weil sie entweder auf mich, mein Geld oder einen Job in meinem Unternehmen scharf ist.«

Für einige Sekunden machte mich seine Arroganz sprachlos. Wie konnte er davon ausgehen, dass die ganze Welt sich nur um ihn drehte? Er war schließlich nicht der einzige gut aussehende und erfolgreiche Jungunternehmer auf diesem Planeten! Ich öffnete meinen Mund, um ihm eine gepfefferte Antwort entgegenzuschleudern, als mir die Bedeutung seiner Worte erst richtig bewusst wurde.

»Du hast ein Romantikkonzept erstellt und willst, dass ich es ausprobiere? Mit dir?« Die Vorstellung war so absurd, dass ich beinahe laut aufgelacht hätte. In meinem Leben gab es in etwa so viel Romantik wie Wasser in der Wüste. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber ich bin denkbar ungeeignet für diese Aufgabe.«

»Das sehe ich anders. Nur weil du nicht der romantische Typ bist, heißt das nicht, dass du nicht qualifiziert bist.«

»Du hältst mich für unromantisch?«

Er betrachtete mich mit einem provokanten Grinsen, in dem eine unausgesprochene Überlegenheit mitschwang. Ich brauchte all meine Willensstärke, um meinen Blick von seinen vollen geschwungenen Lippen zu seinen Augen zu heben, was meinen aufgeregten Puls leider kein bisschen beruhigte. Mein rasendes Herz fühlte sich durch seine bloße Gegenwart zu Höchstleistungen angespornt.

»Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber hast du dich letztes Jahr nicht gegen die kitschigen goldenen Kugeln an Nanes und Cleos Weihnachtsbaum ausgesprochen? Und haben wir wegen dir nicht am vierten Advent eine Dokumentation über die Auswirkungen des Klimawandels angeschaut, weil du Tatsächlich Liebe nicht magst? Nicht zu vergessen den Stoffhasen, den Cleo Nane geschenkt hat und den du als unpraktischen Staubfänger bezeichnet hast, weil du als Einzige nicht verstanden hast, dass es ein Symbol für ihre gemeinsame Zukunft zu dritt sein sollte.«

Ich spürte, wie die Wut in mir hochkochte und sich in meinem Magen zu einem heißen Feuerball formte. Da war er wieder, der Mann, der sich ein Urteil erlaubte, ohne die Fakten beziehungsweise die Hintergründe zu kennen. »Nur weil ich nicht an die große Liebe glaube, bedeutet das noch lange nicht, dass ich unromantisch bin. Ich habe lediglich andere Prioritäten, einen sehr anspruchsvollen Beruf, zum Beispiel.«

Er zog eine Braue hoch, was meine Aufmerksamkeit zu der dünnen Narbe auf seiner Stirn lenkte, die von einem Kletterunfall stammte, wie ich von Nane wusste. Angeblich war Marco schon immer furchtlos gewesen und hatte stets nach Höherem gestrebt. »Arbeit ist nicht alles im Leben.«

»Das sagst ausgerechnet du? Hast du nicht die letzten drei Jahre nonstop gearbeitet, um dein Unternehmen aufzubauen?«

»Es gibt Zeiten, in denen man Opfer bringen muss. Ich habe Visions and Dreams aus dem Nichts erschaffen, und schau, wie weit wir gekommen sind! Hätte ich nicht …«

»Genau davon rede ich«, fiel ich ihm ins Wort. »Wenn du in einer Beziehung bist, kannst du nicht jeden Tag bis spät in die Nacht im Büro bleiben. Man muss ständig Kompromisse eingehen und sich seine Zeit sinnvoll einteilen, wenn man in seinem Job vorankommen will. Aus diesem Grund bin ich der Überzeugung, dass man in Bezug auf seine Karriere alleine besser dran und vor allem wesentlich freier in seinen Entscheidungen ist. Wer weiß, wo dein Unternehmen jetzt stünde, wenn du eine Freundin hättest, die am Samstag erst mit dir brunchen, danach ausgiebig shoppen und am Sonntag ihre Eltern besuchen will.«

Für einen Moment schienen Marco die Worte zu fehlen. Ärgerte es ihn, dass ich ausgesprochen hatte, wovon er selbst überzeugt war?

»Manchmal ist der Preis, den wir zahlen, höher, als wir glauben«, entgegnete er beinahe tonlos.

»Redest du von Helen? Hat sie dich nicht verlassen, weil du nie Zeit für sie hattest?« Noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Ich musste dringend lernen, erst nachzudenken, ehe ich den Mund aufmachte. Für eine Millisekunde sah ich den Schmerz in seinen Augen aufflackern. Dann verfinsterte sich seine Miene. »Wie auch immer«, versuchte ich, mich aus meiner prekären Lage zu befreien, »heutzutage gibt es sowieso höchstens Lebensabschnittspartner. Wir entwickeln uns schließlich ständig weiter, da ist es doch nachvollziehbar, dass Beziehungen auseinanderdriften. Selbst wenn du weniger gearbeitet hättest, hättet ihr euch vermutlich dennoch früher oder später getrennt.«

»Ich finde, du bist ziemlich zynisch für dein Alter.«

»Nur weil ich zwei Jahre jünger bin als du, heißt das nicht, dass ich weniger Lebenserfahrung habe.« Dieser Mann konnte einen wirklich zur Weißglut bringen mit seiner Rechthaberei.

»Hältst du es nicht für möglich, dass man sich zusammen weiterentwickelt, sich bei seinen Träumen gegenseitig unterstützt und gemeinsam wächst?«

»Ist das der Werbeslogan deines Unternehmens? Falls ja, solltest du ihn dringend überdenken. Mich überzeugt er jedenfalls nicht.«

»Was ist mit Nane und Cleo? Ist das auch nur ein vorübergehender Flirt für dich?«

»Die beiden sind eine Ausnahme«, gab ich widerstrebend zu.

»Und Rosie und Hannes? Sie sind seit über zwanzig Jahren verheiratet.«

»Das muss nicht bedeuten, dass sie auch glücklich sind.«

»Du wirst deine Meinung ändern, sobald du sie besser kennst.« Der liebevolle Ton in seiner Stimme ließ meinen Ärger verpuffen, weshalb ich mich schnell von ihm abwandte, denn meine Wut war gerade alles, woran ich mich festhalten konnte.

»Hör zu«, sagte ich in versöhnlicherem Tonfall, »wenn du Hilfe mit der Organisation, der Umsetzung deines Businessplans oder sonstigen betriebswirtschaftlichen Aufgaben brauchst, unterstütze ich dich gern. Was das romantische Add-on betrifft, bin ich einfach nicht die Richtige, auch wenn ich rein theoretisch durchaus romantisch sein könnte, wenn ich es wollte.« Ich merkte selbst, wie wenig überzeugend ich klang, und konnte es Marco nicht verübeln, dass er seinen Kopf leicht schräg legte und mich mit sichtlicher Belustigung betrachtete.

»Soll ich dir sagen, was ich denke?«

»Nein,« erwiderte ich und hoffte, ihn damit zum Schweigen zu bringen.

»Meiner Meinung nach bist du genau die Richtige dafür.«

Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch, um sicherzugehen, dass ich nicht die Beherrschung verlor. Wir drehten uns im Kreis, und offenbar war Marco nicht bereit, einzusehen, dass er einen Fehler gemacht hatte und ich ihm nicht helfen konnte.

»Willst du wissen, warum?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Nicht wirklich.« Seine Mundwinkel zuckten leicht. »Wenn ich es schaffe, dich zu überzeugen, wird mein Konzept auf jeden Fall ein Erfolg werden.«

»Du meinst, weil ich die unromantischste Person der Welt bin?« Typisch, dass er so dachte. Ich konnte unmöglich hierbleiben und mich auf irgendwelche emotionalen Abenteuer mit dem Bruder meiner besten Freundin einlassen, ganz abgesehen davon, dass ich ihn nicht leiden konnte. »Es ist mein voller Ernst! Du wirst dir eine andere suchen müssen. Frag doch eine deiner zahlreichen Begleitungen. Wenn man der Klatschpresse glauben darf, wechseln sie täglich.«

Er grinste breit. »Eifersüchtig?«

»Das hättest du wohl gern.«

»Du solltest wissen, dass nicht alles wahr ist, was du in den Zeitschriften und im Internet liest.« Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, und ich konnte nicht anders, als der Bewegung mit den Augen zu folgen. »Was hältst du davon, wenn du eine Nacht darüber schläfst und wir uns morgen in Ruhe zusammensetzen? Heute Abend kommst du sowieso nicht mehr von hier weg.«

Ich wollte protestieren, musste aber einsehen, dass er recht hatte. Mit viel Glück würde ich es vielleicht noch bis Bern oder Zürich schaffen und wäre dann gezwungen, mir dort ein Hotel zu suchen. Da konnte ich genauso gut hier übernachten.

Bevor ich etwas erwidern konnte, kam Rosie zurück und strahlte uns an. »Wenn du Livia alles Nötige erklärt hast, zeige ich ihr jetzt ihr Zimmer.«

Während ich Rosie zurück in die Eingangshalle folgte, erläuterte sie mir die einzelnen Baumaßnahmen, die auf Marcos Initiative hin durchgeführt worden waren.

»Ich hätte nie gedacht, dass man mit relativ kleinen Veränderungen eine solch große Wirkung erzielen kann. Wir haben den abgenutzten Teppichboden durch Holzdielen und die schlichten Papier- durch edle Stofftapeten ersetzt. In manchen Räumen, zum Beispiel der Bar und der Bibliothek, haben wir uns für holzgetäfelte Wände entschieden, um eine besonders gemütliche Atmosphäre zu schaffen.«

Im Foyer angekommen, nahm sie mich sanft am Arm und führte mich auf eine hohe Doppeltür zu, die in einem satten Goldton gestrichen war.

»Bevor wir nach oben gehen, musst du dir unbedingt den Ballsaal ansehen.« Sie strahlte mich erwartungsvoll an.

Ich konnte nicht anders, als lächelnd zu nicken, obwohl es in mir noch brodelte, wenn ich daran dachte, dass Marco mich mithilfe seiner Schwester in den hinterletzten Winkel der Schweiz gelockt hatte, um seinen romantischen Pärchenalbtraum mit mir zu testen. Wenn es wenigstens St. Moritz oder Davos gewesen wäre, hätte ich mich noch damit anfreunden können, aber hier gab es nur Wald, Berge und schneebedeckte Wiesen. Und dass Nane mich nicht gewarnt hatte, nahm ich ihr ebenfalls übel.

Als Rosie die Tür öffnete und den Lichtschalter betätigte, weiteten sich meine Augen, und ich spürte, wie sich eine wohlige Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. Ich hatte das Gefühl, in einem Jane-Austen-Filmsetting gelandet zu sein. Es würde mich kein bisschen wundern, wenn plötzlich Mr. Darcy oder Mr. Knightley auf mich zukämen. Ich setzte einen vorsichtigen Schritt auf die marmornen Fliesen und nahm die Magie des Raums in mich auf. Ich sah alles genau vor mir: das Orchester am Ende des weitläufigen Saals, eine lange Tafel mit weißen Leinentischdecken vor der verspiegelten Wand für das üppige Büfett und in der Mitte elegant gekleidete Paare, die sich im Licht der funkelnden Kronleuchter im Walzertakt drehten.

»Gefällt es dir?« Ich bemerkte den Hauch von Nervosität in Rosies Stimme, als suchte sie nach Bestätigung für Marcos ambitionierten Plan.

»Es ist ein herrlicher Raum, in dem ihr bestimmt viele wundervolle Feste feiern werdet«, erwiderte ich, während ich versuchte, das emotionale Chaos, das in mir herrschte, rational zu analysieren. Auf der einen Seite war so ein Ballsaal der Traum eines jeden Mädchens, das wie ich mit großer Leidenschaft historische Liebesromane verschlang. Auch wenn ich überzeugt war, dass es diese Art von bedingungsloser Liebe in der echten Welt nicht gab, rief der Anblick dieser Pracht ungeahnte Sehnsüchte in mir wach. War es tatsächlich so unrealistisch, dass Menschen in inniger Umarmung die Nacht durchtanzten und sich dabei verliebt in die Augen sahen? Würden sie sich in diesem Saal das Jawort geben und danach ihr Leben lang glücklich sein?

Ich schüttelte leicht den Kopf, um die abwegigen Gedanken zu vertreiben. Nichts war so, wie es von außen schien. Meine Familie war das beste Beispiel: Meine Mutter forschte im Bereich Virale Epidemiologie an der Humboldt-Universität in Berlin und hatte dort eine hochdotierte Professur inne, wohingegen mein Vater einer der gefragtesten Kardiologen weltweit war und meine Schwester sich in der Neurochirurgie einen Namen machte. Jeder, der uns kannte, hielt uns für die perfekte Vorzeigefamilie, aber welche Dramen sich hinter verschlossenen Türen abspielten, konnte niemand erahnen.

Vielleicht würden in diesem Saal Ehen geschlossen, im Champagnerrausch Weihnachten gefeiert oder das neue Jahr eingeläutet werden, aber das bedeutete noch lange nicht, dass die Menschen auch glücklich waren. Das wusste ich aus meiner eigenen bitteren Erfahrung am besten.

»Den Rest des Hotels zeige ich dir morgen.«

Autor