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Tatort Nord 2

Als Buch hier erhältlich:

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Die deutsche Küste und der Norden haben so einiges zu bieten: frische Luft, tolle Landschaft, wortkarge Mitmenschen – und den ein oder anderen Mörder! Während die Sonne scheint und die Wellen glitzernd an den Strand spülen, stehen unsere Ermittler vor einer Herausforderung. In 21 Kurzkrimis untersuchen sie die Fälle, die alle nur eins gemeinsam haben: den Tatort ...

Mit Kurzkrimis von Gesine Berg, Ulrike Bliefert, Carola Christiansen, Anja Gust, Jutta Götze, Kathrin Hanke, Franziska Henze, Eva Jensen, Anke Küpper, Angela Lautenschläger, Alexa Linell, Anja Marschall, Bettina Mittelacher, Ricarda Oertel, Alex Roller, Regina Schleheck, Bea Schreiner, Regine Seemann, Carolyn Srugies, Sabine Weiß und Fenna Williams


  • Erscheinungstag: 25.04.2023
  • Seitenanzahl: 448
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365003640

Leseprobe

Liebe Leserinnen und Leser,

herzlich willkommen zur langersehnten Fortsetzung von Tatort Nord! Wir können uns vorstellen, dass Sie darauf brennen, uns so schnell wie möglich wieder auf kriminellen Pfaden durch den hohen Norden zu folgen.

In diesem Band sind einundzwanzig Kurzkrimis versammelt, die Sie an neue Tatorte in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern führen. Alle Geschichten sind Erstveröffentlichungen und gehen kriminellen Geschehnissen von den Klippen Helgolands bis zur Bernsteininsel Usedom nach.

Ob humorvoll wie in Angela Lautenschlägers »Cocktailstunde«, tragisch wie in Ricarda Oertels »Das Schweigen der Möwen« oder historisch wie in Anja Marschalls »Hanselüge« – Spannung und Gänsehaut sind garantiert.

Alle Autorinnen sind Mitglied im Verein der Mörderischen Schwestern. Wenn Sie Lust haben, uns einmal live auf der Bühne zu erleben, finden Sie hier die aktuellen Veranstaltungstermine: www.tatortnord.de

Wir freuen uns auf Sie!

Franziska Henze, Anke Küpper und Yvonne Wüstel

MÜRITZWAHN

Kathrin Hanke

Röbel an der Müritz, Mecklenburg-Vorpommern

Sie stellte das Fahrrad in dem kleinen Hofgarten, der zu ihrem Ferienapartment gehörte, ab und setzte sich auf einen der beiden Holzstühle an dem dazu passenden Klapptisch. Gleich darauf zog sie die Trinkflasche aus ihrem Rucksack, schüttelte sie und lauschte. Die Flasche war leer. Ihr Blick fiel auf das halb volle Wasserglas, das noch vom frühen Morgen auf dem Tischchen stand. Innerlich mit den Schultern zuckend, griff sie es, führte es an den Mund und trank. Das Wasser schmeckte wie erwartet etwas schal, tat aber ihrer trockenen Kehle gut. Bevor sie gleich in ihr Apartment gehen würde, wollte sie noch einen Moment in der Sonne ausruhen.

Sie war das Radfahren nicht mehr gewohnt. In Hamburg ging sie im Alltag entweder zu Fuß, nutzte öffentliche Verkehrsmittel oder für weitere Strecken ihren Wagen, und in ihrer Freizeit hatten Fahrradausflüge bislang auch nicht auf dem Aktivitätenplan gestanden. Darüber hinaus war das Rad, das sie eben für ihre erste Tour durch die historische Altstadt von Röbel bis hin nach Fincken und wieder zurückgebracht hatte, mit seinen mindestens fünfunddreißig Jahren auf dem Buckel schwer zu treten. Fincken lag nicht weit entfernt, nur knapp fünfzehn Kilometer, was früher ein Klacks für sie gewesen war. Aber heutzutage eben nicht mehr. Immerhin hatte das Rad eine funktionierende Drei-Gang-Schaltung, das war es dann aber auch schon. Und genau dies alles fand sie gut, denn die körperliche Anstrengung bei gleichzeitiger eintöniger Beinbewegung zog ihre gesamte Konzentration auf sich und brachte ihr Gedankenkarussell wenigstens für eine Weile zum Stillstand. Hätte sie das auch nur im Entferntesten geahnt, hätte sie sich schon längst in körperliche Aktivitäten gestürzt und nicht versucht, ihren Geist durch allerlei kulturellen Input abzulenken und mit chemischen Keulen ruhigzustellen. Sie lehnte ihren Kopf zurück, schloss die Augen und ließ sich von der Sonne bestrahlen, die sie in eine warme Decke zu hüllen schien. Wie schön und einfach das Leben doch sein konnte.

Das Wohlbehagen hielt nicht lange vor. Nach und nach floh die neu und als angenehm empfundene Anstrengung aus ihrem Körper und machte den gewohnten, miteinander ringenden Gedanken Platz. Dennoch schlug sie die Augen nicht auf und rappelte sich aus dem Stuhl hoch. Wozu auch? Natürlich, sie befand sich auf der Flucht. Vor sich selbst. Vor der Person, zu der sie geworden war – skrupellos und selbstherrlich. Andere sagten von ihr, sie würde über Leichen gehen und wussten nicht, wie recht sie damit hatten. Sie wollte wieder zurück zu ihrem eigentlichen Ich finden, zu dem Menschen, der sie einmal gewesen war. Das ging aber nicht überstürzt. Das ging nur planvoll und verlangte Zeit. Deswegen konnte sie ruhig noch ein bisschen in der Mittagssonne verweilen, die paar Minuten mehr waren nicht entscheidend.

Lange Zeit hatte sie es mit sich ausgehalten, indem sie sich einfach ein neues Leben mit einer makellosen Identität aufgebaut und diese als ihre eigene und einzig wahre zur Schau gestellt hatte. So gut war sie gewesen, dass sie sich selbst geglaubt hatte. Dies war nun vorbei. Ihre fugenfreie Fassade hatte einen deutlichen Riss bekommen, und ohne Unterlass sickerte seitdem all das wieder an die Oberfläche, was sie über Jahrzehnte erfolgreich unterdrückt hatte. Der Riss war von einer auf die andere Sekunde entstanden. Ohne Vorwarnung. Zunächst hatte sie mit aller Kraft versucht, ihn zu kitten, doch schnell hatte sie aufgegeben. So musste sie ihrer befleckten Vergangenheit, aber vor allem ihrer Gegenwart, mit all den so schön konstruierten Lügen, gegenübertreten. Sie verabscheute sich nahezu sofort, und bereits nach kurzer Zeit hatte sie einsehen müssen, dass sie nicht mehr mit sich klarkam. Deswegen war ihre Flucht vor sich selbst außerdem eine Suche nach der ganzen Wahrheit, denn ihre Erinnerung hatte Lücken oder vielmehr schwarze Flecken. Auch das hatte sie festgestellt, als der Riss entstanden war. Sie war hier, um die Flecken zu entfernen und zu erfahren, was sie verbargen. Sie wusste, dass vor allem die Farben Blutrot und Wachsweiß zum Vorschein kommen würden, und sie hatte sich innerlich darauf vorbereitet, diesen Farben des Todes entgegenzublicken. Was sie nicht wusste, machte sie derzeit verrückt: Wie war es genau zu dem Blutrot und Wachsweiß gekommen? Sie brauchte das vollständige Bild. Für ihre Zukunft. Sonst hatte sie keine, sondern würde täglich ein Stückchen mehr untergehen. Diese Erkenntnis hatte sie hierher in das alte Handwerker- und Ackerbürgerstädtchen mit seinen frisch gestrichenen bunten und etwas windschiefen Häusern gebracht – auch hier war die graue Vergangenheit farbenfroh übertüncht worden. So wie sie es jahrelang getan hatte.

Gestern Abend war sie angekommen. Offiziell als Feriengast. Wie so viele andere. Fast direkt nach ihrer Ankunft in dem liebevoll sanierten Fachwerkhaus, das ihr Ferienapartment beherbergte, war ihr das Fahrrad ins Auge gesprungen. Den Wagen wollte sie für ihre »Ausflüge« sowieso nicht bewegen. Dann wäre es nicht echt. Sie hatte ihn nur genutzt, um von Hamburg hierher in den Südwesten der Mecklenburgischen Seenplatte zu kommen und damit er sie beizeiten wieder zurückbrachte. Für ihre Touren wollte sie den Bus oder ein Rad nehmen. Sie hatte dabei an ein leichtgängiges oder gar ein E-Bike gedacht und vorgehabt, es sich beim Fahrradverleih zu mieten. Als die Hausbesitzerin – eine ältere Frau, die die Ferienunterkünfte mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter zusammen betrieb, wie sie ihr erzählte – sie jedoch in ihre von Hamburg aus online gebuchte Wohnung gebracht und den dazugehörigen Innenhof gezeigt hatte, hatte sie es bemerkt.

Das Fahrrad, von dessen Sattel sie eben erst gestiegen war, hatte an der mit Efeu bewachsenen Mauer gelehnt, die den Hof nach hinten begrenzte und für Vorübergehende uneinsehbar machte. Aber selbst wenn das Rad etwas im Abseits gestanden hätte, hätte es über kurz oder lang ihre Aufmerksamkeit erregt. Da war sie sich sicher, denn es sah genauso aus wie jenes, das sie selbst gefahren war, als sie noch keinen Führerschein, geschweige denn ein Auto gehabt hatte. Es war eine Ewigkeit her, berührte sie aber sofort. Abgesehen von der Marke und Farbe – ein frisches Grün – stimmte auch die Anzahl der Katzenaugen. Sie hatte damals in einem Anflug von Protzerei nicht nur die vorgeschriebenen zwei, sondern pro Reifen sechs zwischen die Speichen geklemmt. Ihre beste Freundin hatte es ebenso gemacht, und wenn sie dann abends in der Dunkelheit auf ihren Rädern unterwegs gewesen waren, hatten die Katzenaugen im Licht der Straßenlaternen geflackert, während sie lauthals »It’s My Life« geschmettert und Discoqueen gespielt hatten. Sie schluckte bei der Erinnerung, schlug nun doch ihre Augen auf und erhob sich vom Stuhl. Der Ohrwurm dudelte in ihrem Hirn weiter, als sie die nur angelehnte Tür zu ihrem Apartment – einem kombinierten Wohn- und Schlafraum mit offener Küche – aufstieß und eintrat. »It’s My Life« wurde lauter in ihrem Kopf, und sie schüttelte ihn unwillkürlich, um den Song, der Anfang der 1990er die Hitparaden gestürmt hatte, wieder aus ihm herauszubekommen. Manchmal wurde er noch im Radio gespielt, und dann stellte sie ihn jedes Mal sofort ab, und das nicht, weil der Song von Dr. Alban so überhaupt nicht mehr ihrem Musikgeschmack entsprach, sondern da er sie quälte. Das tat er auch jetzt, und um die Quälerei perfekt zu machen, tauchte zugleich das Gesicht von Stephanie vor ihrem inneren Auge auf. Ihre einst beste Freundin hatte ihren Mund zum Lachen weit aufgerissen. Sie wollte dieses Bild nicht sehen! Ein weiteres Mal schüttelte sie ihren Kopf. Jetzt noch heftiger als zuvor, doch es half nicht. Wie »It’s My Life« blieb auch Stephanies lachendes Gesicht und füllte inzwischen ihr gesamtes Sichtfeld aus. Unwillkürlich schloss sie die Augen, um in Dunkelheit zu versinken, doch Stephanies Antlitz wurde nur umso schärfer, glücklicherweise brach jedoch die Musik ab. Immerhin. Sie riss ihre Augen wieder auf und stolperte durch den Raum zum kleinen Duschbad. Schnell öffnete sie die Tür und war mit einem Schritt am Waschbecken. In der Absicht, ihr Gesicht mit Wasser zu bespritzen, drehte sie den Hahn auf. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel vor ihr. Sie schrak nicht zurück, als sie sich Stephanie und nicht sich selbst gegenübersah. Im Gegenteil stützte sie ihre Hände auf dem Waschbeckenrand ab, beugte sich nach vorn und hielt ihren Kopf direkt vor den runden Spiegel. Hinter Stephanie kam schemenhaft ihr eigenes Gesicht zum Vorschein. Das hatte sie gehofft. Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen, sodass sie besser fokussieren konnte. Sie wollte ihr Spiegelbild mehr in den Vordergrund holen und Stephanies Gesicht dadurch verdrängen. Es schien zu klappen. Langsam, wie in Zeitlupe, verschmolzen die Porträts miteinander. Doch was war das? Nun bildete sich aus ihrem Konterfei und dem der früheren Freundin ein neues, ein drittes heraus.

Ihr wurde flau, und sie begann zu zittern. Beim Anblick der Freundin verspürte sie jedes Mal einen fast nicht zu ertragenden Schmerz, doch dieses Gesicht, welches ihres und Stephanies inzwischen verdrängt hatte, verursachte ihr Gänsehaut. Es wirkte bedrohlich, obwohl es sich noch nicht einmal komplett entwickelt hatte. Es war, als ob es sich aus einer dicken Nebelwand hervorarbeitete. Wollte sie wirklich darauf warten, es gleich deutlich zu sehen? Konnte sie überhaupt etwas dagegen tun? Bei Stephanie hatte es eben durch Verdrängung geklappt, aber von deren Bild wusste sie auch, dass es in ihrem Inneren entstanden war. Bei dem, das sich ihr jetzt zeigte, war sie sich nicht so sicher. Hörte sie nicht auch ein leises Atmen? Stand jemand hinter ihr? Alles in ihr sträubte sich, sich umzudrehen. Woher kam bloß dieser Nebel? War ihr durch ihn so schwummerig Sie versuchte, sich selbst zu beruhigen. Vermutlich hatte sie bereits durch ihr Hiersein in Mecklenburg und ihre erste Tour eine schwarze Stelle in ihrer Erinnerung freigelegt, und das neue Gesicht war eine Chimäre wie Stephanies. Denn natürlich war sie vorhin nicht ohne Grund die Strecke bis nach Fincken gefahren. Als sie dort gewesen war, auf dem Finckener Friedhof, hatte sie den Anfang gemacht, indem sie das Grab besuchte. Sie hatte auf ihrem Weg dorthin an einem Feld gehalten und vom Rand einen Strauß Klatschmohn zusammengepflückt. Den Strauß hatte sie auf das Grab gelegt. Der auf der Erde aufliegende kleine Stein war ordentlich poliert gewesen, und die darauf angebrachten Buchstaben und Zahlen glänzten in der Sonne. Ihr war es vorgekommen, als hätte grad vor Kurzem jemand die Grabstätte gepflegt. Instinktiv hatte sie sich umgeblickt, doch sie war allein auf dem überschaubaren Friedhof gewesen. Sie hatte nichts gesagt, nicht zu dem Leichnam unter der vor ihren Füßen liegenden Erde gesprochen. Sie hatte nur ihren Klatschmohn mit seinen großen, orangenroten Blüten auf dem Stein gemustert. Dabei war ihr der Gedanke gekommen, dass ihn das Leben bereits unaufhaltsam verließ. Durch ihre Hand herausgerissen aus dem Boden und auf diese Weise abgetrennt von seiner Nahrungsquelle, würde er langsam, aber sicher dahinsiechen. Ihr waren Tränen gekommen, und sie hatte sie laufen lassen, sodass ihr Blick verschleiert war, als sie plötzlich eine Bewegung wahrgenommen hatte. Sie hatte geblinzelt und sich außerdem mit gekrümmten Zeigefingern die Augen einigermaßen trocken gerieben, doch ein feiner Film war wie ein Weichzeichner zurückgeblieben. Dennoch hatte sie eine Frau ausmachen können. Sie hatte nicht noch einmal auf den Stein zu ihren Füßen geschaut, als sie daraufhin gegangen war. Auf dem kleinen Schotterparkplatz angekommen, hatte sie kurz überlegt, noch runter an den Finckener See zu gehen, sich jedoch dagegen entschieden – sie wollte nicht so vieles auf einmal machen. Stattdessen hatte sie das an einen Baum gelehnte Fahrrad gepackt, es nach vorn an die Dörpstraat geschoben und war ohne Hast den Weg nach Röbel zurückgeradelt, und jetzt stand sie vor dem Badezimmerspiegel ihrer Ferienwohnung, starrte ungläubig hinein und zitterte inzwischen wie Espenlaub. Weinte sie auch? Wie auf dem Friedhof? War ihre Sicht auf das Bild im Spiegel deswegen nach wie vor so undeutlich? Allerdings würde das bedeuten, dass es doch kein Bild war, das aus ihrem Inneren kam, sondern … mit angehaltenem Atem horchte sie. Als sie nichts bis auf das Rauschen des noch immer aufgedrehten Wasserhahns hörte, atmete sie erleichtert aus. Es gab kein drittes Gesicht. Es war ihr nur so vorgekommen, da der Spiegel beschlug. Als sie eben den Wasserhahn aufgedreht hatte, hatte sie anscheinend auf Heißwasser gestellt, und nun durchzog Dampf den kleinen Toilettenraum und machte sich typischerweise auch auf dem Spiegel breit. Über sich schmunzelnd, senkte sie ihren Kopf, stellte das Wasser ab und entließ einen befreiten Seufzer, als sie jetzt feststellte, dass Stephanie völlig vor ihrem inneren Auge verschwunden war. Es musste passiert sein, als sie meinte, eine dritte Person im Spiegel zu sehen und sich darüber so dermaßen erschrocken hatte. Normalerweise suchte Stephanie sie nur in ihren Träumen heim und zeigte sich ihr dort lediglich flüchtig. Wie eine Passantin, die zufällig und ohne einen Zweck vorübergeht. Auch eben schien keine Absicht hinter Stephanies Erscheinen gesteckt zu haben. Darüber hinaus war sowieso sie selbst diejenige gewesen, die Stephanie vor sich hatte entstehen lassen. Auch das andere Bild hatte sie sich eingebildet. Dies jedoch aufgrund des beschlagenen Spiegels. Sie war einfach aktuell ein Nervenbündel. Nicht mehr und nicht weniger.

Als sie sich jetzt umdrehte, um das Bad zu verlassen, streifte ihr Blick erneut den noch immer von Dampf besetzten Spiegel. Sie erstarrte mitten in der Drehbewegung. Durch den Dampf sahen sie ein Paar graublauer Augen durchdringend an. Ihr Herz begann, sofort wieder heftig gegen ihren Brustkorb zu bummern. Grausen ergriff sie und breitete sich wie ein unerbittlicher Lavastrom in ihrem Körper aus. Die Augen kamen ihr bekannt vor, aber die Farbe war falsch. Du bildest sie dir nur ein, wie Stephanie, versuchte sie sich zu beruhigen. Und wenn nicht, fragte sie sich gleichzeitig, während in ihrer Kehle ein Klumpen wuchs. Sie hörte sich nach Luft röcheln und meinte, gleich zusammenzuklappen. Sie musste hier raus. Weg von diesen Augen. Immerhin kamen sie nicht näher. Sie sammelte all ihre Energie zusammen, spannte ihren Körper an und fühlte auf dem Waschbeckenrand vorsichtig nach der Porzellanschale mit der nach Rosmarin duftenden Seife. Sie selbst hatte sie hineingelegt. Als ihre Finger die Schale berührten, durchfuhr sie ein Glücksgefühl. Sofort umklammerte sie sie mitsamt der Seife, riss dann ruckartig ihren Arm hoch, drehte sich komplett zur geöffneten Badtür und schmiss das Porzellanstück mit aller Kraft in die Richtung, in der sie den Kopf vermutete, zu dem die Augen gehörten. Dabei stieß sie einen markerschütternden Schrei aus, der dem eines verletzten Tiers gleichkam.

»Liebes? Tine? Wach auf«, drangen die liebevoll gesprochenen Worte an ihr Ohr und holten sie aus der Tiefe ihres Selbst hervor. Noch war sie in diesem merkwürdigen Zwischenstadium und nicht gänzlich bereit, sich der Welt zu stellen.

»Es war nur ein böser Traum«, flüsterte die Stimme beruhigend, und dann weiter: »Komm her, meine Tine, ich beschütze dich.«

Ein bisschen wunderte sie sich, dass Kalle sie Tine nannte und nicht bei ihrem vollen Namen Kristine. Tine war sie früher gewesen. So wie Stephanie Steph. Sollte sie ihn fragen, wie er plötzlich auf Tine kam? Aber vielleicht hatte sie sich auch verhört. Genauso, wie sie anscheinend nur einen Albtraum gehabt hatte. Sie war noch immer etwas benommen, allerdings war die Angst aus ihrem Körper gewichen und hatte einer warmen Wohligkeit Platz gemacht. Noch immer mit geschlossenen Augen, drehte sie sich um, sodass ihr Gesicht in seiner Armbeuge lag. Sie sog seinen Duft ein und atmete kurz darauf entspannt aus.

»Danke«, hauchte sie in den Stoff seines T-Shirts, woraufhin er sanft fragte: »Hast du wieder von ihr geträumt?«

»Mhm«, machte sie bestätigend. Mehr wollte sie nicht sagen. Der Traum war zu schauerlich gewesen, als dass sie ihn noch einmal Revue passieren lassen wollte. Vergessen war da einfacher. Das war es immer. Zärtlich strich Kalle ihr über das Haar und meinte auffordernd: »Na komm, wir stehen auf und gehen was essen. Ich habe Hunger.«

»Gleich«, erwiderte sie und setzte hinzu: »Lass mich dich noch ein bisschen spüren. Ich brauche das jetzt.«

Er sagte dazu nichts, sondern nahm eine Strähne ihres langen Haars und zwirbelte sie. Auf diese Art lagen sie noch eine Weile schweigend beieinander, bis sie merkte, dass ihre Blase sie drückte. Sie schlug die Augen auf und während sie sich von seinem Körper löste, nuschelte sie entschuldigend: »Ich muss mal.« Dann setzte sie sich hoch und sah sich mit wachsender Bestürzung im Zimmer um: Sie befand sich nicht zu Hause in ihrem Schlafzimmer in Hamburg. Sie saß in dem Bett, das in dem kleinen Röbeler Apartment stand. Aber das hatte sie doch nur im Traum angemietet! Wie konnte das sein? Träumte sie vielleicht immer noch? Langsam wendete sie ihren Kopf und blickte auf die offen stehende Badezimmertür. Ja, sie war in dieser Wohnung in Röbel, das war jetzt eindeutig, aber dennoch konnte sie das Furchterregende von eben nur im Schlaf fantasiert haben. Vom Bad ausgehend, suchte sie mit ihrem Blick das Laminat ab. Bald blieben ihre Augen an der Seife hängen, die kurz vor der gläsernen Tür zum Innenhof auf dem Boden lag. Um diese herum waren wahllos Porzellanscherben verteilt. Sie wollte schreien, riss sich jedoch zusammen. Bevor sie sich ihrem Entsetzen hingab, musste sie erst etwas anderes wissen, denn wenn sie nicht geträumt hatte, war sie eigentlich ohne Kalle in Mecklenburg-Vorpommern, und dann konnte er nicht neben ihr hier im Bett liegen. Doch wer war es dann?

»Auf was für einem Trip bist du denn?«, hatte Kalle belustigt gemeint, als sie ihn mit dem Messer in der Hand und lauter Stimme gefragt hatte: »Wer bist du?«

Zuvor war sie aus dem Bett gestiegen, aber nicht ins Bad, sondern zur offenen Küche gehuscht. Von dort hatte sie sich unbemerkt das Messer geholt und war wieder ans Bett herangetreten. Da Kalle sich in die Decken gewühlt hatte, hatte sie ihn nicht gleich erkannt. Hinzu war ihre Angst gekommen, die ihre Wahrnehmung definitiv vernebelt hatte, als sie ihren Arm gehoben und das Messer in der Hand bereit zum Zustoßen gehalten hatte. Sie musste auflachen, als sie jetzt überlegte, was für ein irrwitziges Bildnis sie doch vor ihrem Freund abgegeben haben musste.

»Was ist so lustig?«, fragte Kalle, der mit seiner linken Hand sein Cabrio steuerte und mit seiner rechten ihr Knie streichelte – irgendwie störte es sie, dass er seine geliebten Autohandschuhe trug, da sie bei diesen Temperaturen nur einen Rock trug und ihr Knie entsprechend frei von Stoff war. Sie waren auf dem Weg zur Scheune in Bollewick. Zuvor waren sie in Röbel bei einem Italiener am Markt gewesen und hatten jeder eine Pizza gegessen. Sie hatten auch überlegt, an den Röbeler Hafen zu gehen, sich dort ein Fischbrötchen auf die Hand zu holen und unter Umständen eine Müritzrundfahrt auf einem Schiff der weißen Flotte zu gönnen, sich dann jedoch für einen Restaurantbesuch entschieden und beschlossen, im Anschluss zur Scheune zu fahren. Es war die größte Feldsteinscheune Deutschlands, und sie kannte sie noch aus der Zeit, als in ihr Kühe Seite an Seite gestanden hatten. Inzwischen beheimatete die Scheune Werkstätten und Geschäfte, die vor allem regionale Produkte und Kunsthandwerk anboten, und das wollte sie sich gern einmal ansehen. Vielleicht fand sie ja auch etwas, womit sie sich selbst beschenken könnte. Mal sehen.

»Ach, ich habe nur an vorhin gedacht und wie lächerlich ich mich vor dir gemacht habe«, antwortete sie jetzt.

»So ein Quatsch«, meinte er besänftigend. »Ist schon gut. Schwamm drüber.«

Sie sagte nichts weiter dazu, sondern sah nachdenklich aus ihrem heruntergelassenen Seitenfenster und kaute auf ihrer Unterlippe. Mit keinem Wort hatte Kalle den Grund seines Hierseins und vor allem auch nicht den Vorfall, der alles in Gang gesetzt hatte, kommentiert. Gut, sie hatte ihn auch nicht danach gefragt, aber seltsam fand sie sein Schweigen darüber schon. Er hatte ihr nur gesagt, dass er seine Geschäftsreise verkürzt hatte, um schneller wieder bei ihr zu sein. Woher hatte er eigentlich gewusst, dass sie in diesem Apartment in Röbel war? Sie hatte es ihm nicht erzählt. Sie hatte ihm überhaupt nichts von ihrer kleinen Reise gesagt, da sie angenommen hatte, sie sei längst wieder zu Hause, wenn er von seiner Geschäftsreise zurück war. Überwachte Kalle sie? Hatte er ihr eine Spy-App aufs Handy gespielt? Oder einfach nur die »Wo ist«-Funktion ihres iPhones ohne ihr Wissen aktiviert, sodass er stets ihren Standort kannte, wenn sie im Internet war? Sie war versucht, ihr Mobiltelefon aus der Tasche zu holen und direkt nachzuschauen, ob sie etwas finden würde, ließ es jedoch bleiben. Er sollte nicht wissen, dass sie seinetwegen unruhig war. Während sie auf die weiten, flachen Felder blickte, die ihre Heimat ausmachten, musste sie plötzlich an das Foto denken. Das Foto von Stephanie war der Grund, weswegen sie nach all den Jahren hier war. Ein Stück dickes, glänzendes Papier im Format sieben mal neun Zentimeter. Mehr nicht. Dennoch hatte es den Riss in ihr erzeugt und ihre Vergangenheit in die Gegenwart geholt. Zumindest stückchenweise. Wäre Kalle nicht schon auf seiner Reise gewesen, hätte sie ihn gebeten, auf den Dachboden zu steigen, um ihr die alte Kaffeemaschine herunterzuholen, weil ihr Vollautomat mit einem Mal nicht mehr funktionierte. So war sie selbst hochgegangen und hatte das Foto entdeckt. Es musste irgendwo herausgefallen sein, denn es lag unübersehbar mitten auf dem staubigen Dielenboden.

Sie hatte sich nicht an das Foto erinnert. Auf jeden Fall war es nach der Wende entstanden – die Freundin trug auf ihm ein T-Shirt, das sie während eines Wochenendausflugs mit ihren Eltern nach Hamburg erstanden hatte. Sie selbst hatte genau das gleiche Shirt gehabt, denn Stephanie hatte ihr eines mitgebracht. Außerdem trug Stephanie, die lachend vor einem Maisfeld posierte, eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern. Sie kannte die Brille an der Freundin nicht, und deswegen hatte sie sie eingehender betrachtet. Auf dem einen Glas hatte sich eine Person gespiegelt. Sicherlich die, die Stephanie fotografiert hatte. Es war ein Mann. In Jeans und T-Shirt gekleidet, schlank und mittelgroß. Mit etwas längeren Haaren, wie Männer sie in den 90ern trugen. Welche Farbe die Haare hatten, hatte sie nicht ausmachen können. Irgendwas zwischen blond und braun. Sein Gesicht hatte sie überhaupt nicht erkennen können, denn davor hielt er die Kamera. Wahrscheinlich war es seine Sonnenbrille, die Stephanie trug. In der darauffolgenden Nacht hatte sie von der früheren Freundin geträumt. Dieses Mal war es ein anderer Traum gewesen. Stephanie ging nicht bloß an ihr vorüber. Sie hatte dagelegen, in der Blutlache, und sie aus gebrochenen Augen angestiert.

Sie rutschte auf ihrem Sitz hin und her, während Kalle schweigend durch die Landschaft fuhr. Mein Gott, war das viel Blut gewesen! Es war direkt in die Erdmulde zwischen Weg und Böschung gelaufen und hatte sie an die Abflussrinnen in Schlachtbetrieben erinnert. Auch jetzt tat es das wieder. Ein Schauer überlief sie, und sie schüttelte sich, woraufhin Kalle sie mit einem schnellen Seitenblick bedachte. Sie wandte sich ihm zu. Er konzentrierte sich wieder auf die Straße, und sie nutzte die Gelegenheit, um ihn zu mustern. Wie es ihr wohl jetzt gehen würde, wenn er heute nicht überraschend gekommen wäre? Ob sie dann immer noch auf dem Boden ihres Apartments läge, wo er sie gefunden hatte? Sie legte ihren Kopf schief. Kalle war nicht so leicht aus der Bahn zu bringen wie sie. Das war er noch nie gewesen. Immer stark, tatkräftig und ihr Fels in der Brandung. Er sah fast noch so aus wie vor knapp dreißig Jahren, als er sie im Zug angesprochen hatte. Im Gegensatz zu ihr war er genauso schlank wie damals. Ihre Liebe war nie leidenschaftlich gewesen. Eher ruhig und ausdauernd. Kaum Tiefen, aber auch keine Höhen. Einmal, vor Jahren, hatte sie versucht, ein bisschen Pepp hineinzubringen und ihn in Reizwäsche im Bett empfangen. Den mit Spitzen besetzten Body hatte er schön gefunden, aber die halterlosen Strümpfe hatte sie ausziehen müssen. Sie hätte es wissen müssen, Nylonstrümpfe mochte er überhaupt nicht. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken und fuhr durch seine Haare am Hinterkopf, wie er es mochte. Sie waren noch immer hellbraun. Nur ein paar silbrige Fäden durchzogen es. Hellbraun. So, wie die des Jungen auf dem Foto. Was dachte sie denn da? Wie konnte sie diesen Vergleich ziehen? Sie war wirklich ein nervliches Wrack. Überall sah sie Gespenster.

»Ich möchte zurück«, platzte sie einem Impuls folgend zwei Sekunden später heraus. »Dreh bitte um.«

»Aber …«, begann er, doch sie unterbrach ihn: »Bitte.«

Er tat wie ihm geheißen. Kommentarlos. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er ohne Navi fuhr.

»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, fragte sie in die Stille zwischen ihnen hinein.

»Reiner Zufall. Du hast das Apartment online gebucht. So, wie du es auch sonst immer machst. Das habe ich beim Surfen auf unserem Computer zu Hause entdeckt, und dann dachte ich mir, ich überrasch dich mal«, erwiderte er. Erneut breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus. Er mahlte mit den Zähnen, und sie schaute wieder aus ihrem Seitenfenster. Sie hatte ihr Smartphone und nicht den Computer für ihre Unterkunftsbuchung benutzt.

Kalle war schon nach Hamburg vorgefahren, und auch sie wollte nachher wieder nach Hause. Das hatte sie ihm und auch sich selbst versprochen. Glücklicherweise musste sie nicht lange warten. Es war noch nicht spät. Der Abend war gerade erst angebrochen. Sie hatte gedacht, es würde länger dauern. Der unangekündigte, aber erwartete Besuch kam nicht über die Terrassentür, die sie nur angelehnt hatte, damit er es leichter hätte, sondern durch die Wohnungstür. Auch darauf war sie vorbereitet und brachte sich bereits in Position, als der Schlüssel leise im Schloss gedreht wurde. Bis hierhin hatte sie das meiste geplant, doch was jetzt kommen würde, musste sie ganz ihrer Intuition überlassen. Langsam wurde die Tür nach innen aufgedrückt, und ihre Muskeln spannten sich an. Gleich würde sich zeigen, ob sie recht gehabt hatte. Ein Haarschopf schob sich vorsichtig in den Raum, und dann blickte sie voll Entsetzen in das Gesicht, das ihm folgte.

»Sie?«, hörte sie sich bestürzt ausrufen. Ihre Vermieterin nickte und fragte forsch zurück: »Haben Sie jemand anderen erwartet? Ich will hier nur nach dem Rechten sehen. Falls hier noch jemand wohnt, müssen Sie das zahlen. Mir war, als hätte ich am Nachmittag einen Mann hier gesehen. Außerdem steht ein zweiter Wagen mit Hamburger Kennzeichen vor der Tür. Also nicht nur Ihrer.«

»Hier ist niemand weiteres, und der andere Wagen steht auch nicht mehr da, aber warum kommen Sie einfach herein und haben nicht wenigstens geklopft?«, erwiderte sie bärbeißig. Was sollte dieser Auftritt?

Die ältere Frau lächelte, drückte die Tür hinter sich zu, trat weiter in das Apartment ein und sah sich neugierig um, während sie krächzend sagte: »Das ist immer noch meine Ferienwohnung!«

»Das stimmt«, ging sie auf das Spiel der Frau ein, die mit einem Schritt plötzlich dicht neben ihr stand und ihr nun mit unverstellter, heller und klarer Stimme ins Ohr raunte: »Es ist wirklich ein schöner Zufall, dass du dich gerade in eine meiner Ferienwohnungen eingebucht hast. Ich freue mich sehr darüber. Tut mir leid, dass ich mich wie meine eigene Schwiegermutter zurechtgemacht habe, aber du weißt ja, wie gern ich mich verkleide und schauspielere. Außerdem habe ich Maskenbildnerin gelernt, wie ich es mir immer erträumt habe. Weißt du, ich google meine Gäste meist vor ihrer Ankunft. Schließlich muss ich wissen, wer bei mir unterkommt. Und als du dann gebucht hast … tja, dann habe ich mal wieder mein Maskenbilderköfferchen rausgeholt. Ich wollte dich erst einmal in Ruhe beobachten. Na ja, jetzt dachte ich, ich lass mal die Katze aus dem Sack und überrasch dich. Ich denke, wir haben uns viel zu erzählen.«

Sie hatte sich nicht erschrocken. Sie war auch dafür innerlich gerüstet gewesen. Natürlich hätte sie sich auch geirrt haben können, hatte sie aber nicht. Sie hatte gemeint, Stephanie schon bei ihrer Ankunft unter der dicken Schminke, dem Dutt und den ältlichen Klamotten erkannt zu haben, wollte es sich jedoch nicht eingestehen, da sie es als zu einfach empfunden hätte. Immerhin hatte sie lange recherchiert, wo die frühere Freundin sich jetzt aufhalten könnte. Außerdem hatte sie sich erst sicher sein wollen.

»Das ist kein Zufall«, presste sie durch ihre Lippen hindurch, hob blitzschnell die Arme, umfasste die Frau neben ihr und zwang sie auf den Boden, wo sie sie bäuchlings ins Liegen brachte. Spätestens jetzt hatte sich der Selbstverteidigungskurs gelohnt.

»Was soll das, Tine? Lass uns reden«, stöhnte Stephanie unter ihr.

»Ja, deswegen bin ich eigentlich hier. Aber ich habe es mir anders überlegt. Ich brauche dich nicht mehr«, hatte sie gesagt, und es war die Wahrheit. Eben gerade war die komplette Erinnerung wieder zurückgekommen. Ausgelöst durch Stephanies wahre Stimme.

»Tine, bitte. Ich kann doch nichts dafür. Es ist einfach so passiert. Es war ein Zufall …«, flehte die einstige Freundin sie an. Schon früher hatte Stephanie immer die Schuld bei anderen gesucht. Das konnte sie in diesem Moment nicht ertragen, und so erstickte sie die Worte mit einem Kissen, dass sie sich behände vom nahe stehenden Sofa schnappte. Stephanie strampelte unter ihr, aber sie war stärker. Dennoch erschien es ihr wie eine Ewigkeit, bis deren Bewegungen schwächer wurden. Damit sie durchhielt und das Kissen nicht doch noch wegriss und in die Ecke schleuderte, schürte sie ihren Hass und dachte an das, was damals geschehen war: Stephanie hatte sie gebeten, mit ihr an den Finckener See zu gehen. Es war schon spät gewesen. Die Freundin wollte sich dort mit ein paar Jungs treffen, die sie in Hamburg kennengelernt hatte, mochte dies jedoch nicht allein tun. Wider besseres Wissen und ihrer eigenen Situation hatte sie Stephanie begleitet. Die Jungs hatten auf sich warten lassen, und gerade als sie gehen wollten, waren zwei Gestalten aus dem kleinen Park des Herrenhauses an den See getreten, zwei weitere kamen aus der anderen Richtung auf sie zu. Alle vier hatten sich einen Nylonstrumpf über den Kopf gezogen und Stephanie und sie eingekreist. Drei der Vermummten hatten sie geschnappt und zu Boden gebracht. Dann waren sie nacheinander über sie drüber. Sie hatte sich gewehrt, geschrien und geweint, doch es hatte nichts genutzt. Irgendwann hatte sie zwischen dem Gestöhne und Gelächter mitbekommen, wie einer rief: »Jungs, wir müssen hier weg, die Schlampe ist abgehauen.« Tatsächlich hatte der, der sich gerade an ihr verging, von ihr abgelassen, und es war still um sie herum gewesen. Sie hatte sich vor Schmerzen nicht rühren könne. Erst am nächsten Morgen hatte eine Frau aus dem Dorf, die in der Früh im See schwimmen gehen wollte, sie gefunden. Ihr Kind hatte sie in der Nacht verloren. Der Embryo war regelrecht aus ihr herausgeblutet. In ihrem Traum war es Stephanie gewesen, die in einer Blutlache am See gelegen hatte, doch so war es nicht. Stephanie war damals einfach abgehauen. Sie hatte keine Hilfe geholt und auch niemals zugegeben, dass sie mit am See gewesen war. Die Jungen sind nie gefunden worden.

Ohne noch einmal auf den angrenzenden Friedhof zum Grab von Mario zu gehen, ihrem damaligen Freund, der kurz nach dem Vorfall unter starkem Alkoholeinfluss einen tödlichen Motorradunfall gehabt hatte, war sie direkt vom Finckener See aus Richtung Hamburg aufgebrochen. Als jetzt plötzlich »It’s My Life« einsetzte, zuckte sie zusammen. Es kam nicht aus dem Radio. Das hatte sie gar nicht angeschaltet. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass ihr auf dem Beifahrersitz liegendes Handy aufleuchtete. Sie nahm es hoch und verstand. »It’s My Life« war ihr Klingelton! Stephanie musste ihn an ihrem Handy eingestellt haben, als sie ihre Radtour unternommen und es im Apartment gelassen hatte. Vielleicht war es auch jemand anderes gewesen. Inzwischen war es gleichgültig. Sie nahm ihr Handy hoch und fühlte selbst durch das Leder der Autofahrerhandschuhe, wie erhitzt es durch die ins Auto scheinende Sonne geworden war. Die Handschuhe trug sie, seit Kalle Röbel verlassen hatte. Sie hatte sie schon häufiger getragen, obwohl sie kleinere Hände als er hatte, es aber immer lustig gefunden. Auf dem Display sah sie, dass es Kalle war, der anrief.

»Wie geht es dir? Bist du schon auf dem Weg? Hast du alles erledigt?«, fragte er sie.

»Mir geht es gut, sehr gut sogar«, sagte sie und setzte hinzu: »Ich habe alles erledigt, was ich wollte. In einer Stunde bin ich bei dir.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, legte sie ihr eigenes Handy weg und nahm Stephanies hoch. Während sie sich die Sprachnachrichten anhörte, die diese mit Kalle seit etwa einem halben Jahr ausgetauscht hatte und die eine eindeutige Sprache sprachen, klickte sie das letzte Foto auf, das sie mit dem Handy gemacht hatte. Es zeigte Stephanies vom Seewasser bedecktes Gesicht. Das Lachen war ihrer einstigen Busenfreundin darauf vergangen. Ihre Augen standen weit offen, und der Blick war leer, was nicht an den grau eingefärbten Kontaktlinsen lag, die ihre blaue Iris überdeckten. Wenn es in ihren Plan passen würde, würde sie Kalle das Foto zu gern schicken. Schließlich hatte er dieses Ende gewollt. Seine letzte Sprachnachricht an seine heimlich Geliebte und inzwischen Tote sprach Bände: Er hatte Stephanie loswerden wollen, doch diese hatte ihm mit ihrem Wissen gedroht und ihn nicht gehen lassen wollen. Nun war er seine Affäre los. Immerhin hatte er nicht umsonst Stephanies Foto für sie auf dem Dachboden platziert, das hatte sie inzwischen begriffen. Ob er mit diesem Ende von Stephanie gerechnet hatte? Und wie er wohl reagieren würde, wenn alle und vor allem die Polizei denken würden, er hätte sich die Hände schmutzig gemacht? Nein, korrigierte sie sich. Nicht die Hände. Seine Autofahrerhandschuhe.

BYE-BYE, GERONIMO!

Gesine Berg

Heidkate – Kieler Förde

Alle, die Tod und Teufel nicht fürchten,

müssen Männer mit Zaster sein.

Jan und Prime und Klaas und Pit,

die haben Zaster, die bauen mit.

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Kerstin verließ die Reetdachkate ihrer Freundin Grit im Feriengebiet Wendtorfer Schleuse an der Kieler Förde. Das zarte Licht der Morgendämmerung versprach einen heiteren Sommertag. Zu Fuß überquerte sie den Deich und spazierte direkt zur Ostsee. Die Hosenbeine bis übers Knie hochgekrempelt, wanderte sie barfuß am plätschernden Wasser entlang Richtung Hotel Achtern Diek in Heidkate. In einer Stunde würde die Sonne ideal stehen, um die dort liegenden Boote zu fotografieren. So konnte sie das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und Material für einen Auftrag zur Gestaltung von Urlaubskarten aus dieser Region sammeln.

Der Südwind hatte das Meer weit zurückgedrängt und den Strand um einige Meter verbreitert. Die klare Luft vertrieb die letzte Müdigkeit aus Kerstins Körper. Ab und an blieb sie stehen, um einen flachen Kiesel aufzuheben und übers Wasser hüpfen zu lassen. Dabei entdeckte sie ihn. Einen Hühnergott! Voller Freude bückte sie sich nach dem Stein mit dem Loch in der Mitte. Ihm wurde nachgesagt, Glück zu bringen. Ein gutes Omen? Ihre Gedanken wanderten zum vergangenen Abend, und ein Prickeln durchströmte sie.

Das sah ihrer Freundin ähnlich. Grit Gerkens, Lokaljournalistin mit Spürnase für lohnenswerte Storys, hatte es sich schon zu Schulzeiten zur Aufgabe gemacht, sie unter ihre Fittiche zu nehmen. Gestern hatte sie Kerstin zu einer Strandparty beim Achtern Diek mitgeschleppt. Freibier und Häppchen bis zum Abwinken. Für die musikalische Unterhaltung – und dafür, dass Kerstins Herz unerwartete Hopser machte – hatte die Kieler Pop-Rock-Band GeRoNiMo gesorgt. Momme Mohrmann, Drummer und das Mo von GeRoNiMo, hatte ihr den ganzen Abend intensive Blicke zugeworfen. Das hatte Erinnerungen an ihre Teenagerzeit vor dreißig Jahren geweckt. Als sie mit fünfzehn im Stillen für den Musiker drei Klassen über ihr geschwärmt hatte.

Mit einem tiefen Atemzug verscheuchte Kerstin ihre nostalgischen Gedanken. Sie hatte bereits eine Reihe von Buhnen passiert und fotografierte die Steindämme, die in Abständen von zweihundert Metern als Wellenbrecher ins Meer ragten, als sie Gerd Lütjohann entdeckte. Der Gitarrist der Band saß auf einem der Steine. Er trug noch seine Auftrittsklamotten, eine abgewetzte Lederhose gepaart mit einer speckigen Weste über einem knittrigen Hemd. Im Gegensatz zu Momme, dessen Attraktivität mit den Jahren zugenommen hatte, war er nicht gut gealtert. Geplatzte Äderchen auf den Wangen, seine einst wilden blonden Locken waren ausgefranst und ergraut, der Waschbrettbauch einer beachtlichen Wampe gewichen. Früher hatte er Momme bei den Auftritten oft die Show gestohlen, und seine Gitarrenriffs waren legendär. Was hatte ihn derart aus der Bahn geworfen?

»Moin, Gerdi.« Sein Spitzname von damals rutschte Kerstin spontan heraus. »So früh schon wieder auf den Beinen? Außer uns scheinen alle ihren Rausch auszuschlafen.«

»Moin, Kerstin.« Seine Stimme knarzte. Er räusperte sich. »Würde mich eher wundern, wenn überhaupt jemand nach dem Aufruhr gestern Abend schlafen konnte.« Gerd brummte vor sich hin, während er sich eine Zigarette drehte.

»Mir hat eure Aktion gefallen. Da war ganz schön was los.« Kerstin ließ sich neben ihm nieder und unterdrückte den unmittelbaren Impuls, von ihm abzurücken. Er roch nach Alkohol und Schweiß.

Gerd zündete seine Fluppe an, nahm eine tiefen Zug und blies Ringe in die Luft. »Eine Scheißaktion war das!« Ein weiterer Zug. Weitere Ringe. Gereizt fuhr er fort: »Das ist alles auf Mommes Mist gewachsen. Nur weil er sich darüber aufregt, dass man das Achtern Diek durch die Hotelanlage ersetzen will und dabei ein Stückchen Deich hopsgeht. Er ist überzeugt, Klaas Kaufmann hätte uns angeheuert, um uns mundtot zu machen. Das stinkt ihm gewaltig. Momme wollte dem Publikum seine Meinung über geldgeile Investoren zeigen.« Missmutig schnippte Gerd die erst halb gerauchte Zigarette ins Meer.

Wenigstens war es eine Filterlose. Kerstin hatte keine Lust, mit Gerd über Momme zu diskutieren. »War jedenfalls toll, euch mal wieder live zu erleben!«

»Wir treten nur noch selten auf, nicht zuletzt, weil Momme kaum an etwas anderes denkt als an bedrohte Viecher und Pflanzen … aber die Gage war echt überzeugend.« Gerd rieb Daumen, Zeige- und Mittelfinger gegeneinander.

Kerstin grinste. »Also, ich fand Mommes Idee mit dem Protest gut. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als er Nils das Mikro wegschnappte und seine Version des Kaperfahrtliedes anstimmte. Zu Ehren des Gastgebers.« Sie malte Anführungszeichen in die Luft. »Diesem Kaufmann sind ja sämtliche Gesichtszüge entgleist.«

Gerd schnaubte. »Jetzt ist die Band endgültig im Arsch. Wer engagiert uns denn bitte noch, wenn er befürchten muss, dass wir seine Party platzen lassen? Dabei hatten wir endlich wieder ein paar Gigs an Land gezogen.« Er holte das Tabakpäckchen aus der Westentasche und drehte sich die nächste Zigarette. »Apropos Herz, das ist dir wohl eher wegen seiner schönen blauen Augen stehen geblieben.« Spöttisch verzog er den Mund. »Aber der gute Momme kann sich ja alles erlauben. Sogar du läufst ihm noch nach.« Den letzten Satz spuckte er geradezu aus.

Kerstin erhob sich. »Ich ziehe mal weiter. Tschüss, Gerd.« Der starrte mürrisch aufs Wasser und ignorierte sie.

Die ersten Strandkörbe kamen in Sicht. Auf dem Deich thronte das in die Jahre gekommene Traditionshotel, das der überdimensionierten Anlage weichen sollte. Der Wind hatte aufgefrischt. Nichts änderte sich schneller als das Wetter an der Ostsee. Kerstin fröstelte. Sie schlüpfte in die Strickjacke, die bisher locker über ihren Schultern gehangen hatte. Schon von Weitem hörte sie das Geklapper von Fallen an den Masten der am Strand liegenden Segelboote, in das sich das Kreischen der Möwen mischte. Wohlweislich hatte sie Gerdi nach dessen Ausbruch verschwiegen, dass sie Momme hier treffen würde. Er hatte versprochen, Kaffee und frische Brötchen mitzubringen, nachdem sein Versuch, sie zu einer Übernachtung am Strand zu überreden, bei ihr nicht auf Gegenliebe gestoßen war.

Kerstin steuerte auf den von Momme beschriebenen Strandkorb ein Stück hinter den Booten zu – und taumelte zurück. »Was zum Himmel …!« Ihr brach der Schweiß aus. Verstört starrte sie auf die Gestalt im Strandkorb. Das konnte er nicht sein. Das. Durfte. Er. Nicht. Sein. Sie kämpfte gegen einen Würgereiz, um Momme genauer anzuschauen. Unter seiner Nase, an der aufgeplatzten Augenbraue und der Stirn klebte Blut. Die Augen waren zugeschwollen, der Kopf unnatürlich zur Seite gekippt. Sie hielt die Luft an. War er …? Kerstin überwand sich und tastete nach seinem Puls. Nichts. Kein Lebenszeichen. Mit zittrigen Fingern holte sie ihr Handy hervor und wählte den Notruf.

Kerstins Herz wummerte wie ein Presslufthammer. In was für einen Albtraum war sie geraten? Eisiges Entsetzen packte sie. Sie schlang die Arme um sich. Als Momme sie vor wenigen Stunden beim Abschied etwas zu lange festhielt, hatte sie seinen harzig-warmen Duft eingeatmet. Er hatte sich in ihrer Nase festgesetzt und sie bis in ihre Träume begleitet. Für die Dauer eines Wimpernschlags hätte sie fast nachgegeben und wäre geblieben. Dann hatte sie sich von ihm gelöst. Morgen früh, Momme, da komme ich zum Strandkorb. Versprochen. Die Kälte breitete sich immer weiter in ihr aus.

Ein Sausen in ihren Ohren vermischte sich mit den Erinnerungen. Sie musste etwas tun, um den Schwindel unter Kontrolle zu bekommen und nicht ohnmächtig zu werden. Kerstin holte tief Luft und ließ ihren Blick über den Strand wandern. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie stutzte. Eine Schleifspur führte von den zwanzig Meter entfernt liegenden Booten bis zum Strandkorb. Sie griff nach der Kamera, die vor ihrer Brust baumelte. Wie ferngesteuert drückte sie auf den Auslöser.

Eine Wolke blumigen Parfums brachte sie zurück in die Gegenwart. »Kerstin, mein Gott, komm da weg.« Grit legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie mit Nachdruck fort.

Die Meldung über Mommes Tod hatte offenbar die Runde gemacht. Kurz nach der Polizei trafen die beiden weiteren Bandmitglieder, Leadsänger Nils Bendixen und Bassist Roland Jansen, ein, dicht gefolgt von Klaas Kaufmann. Der hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. »Das ist ja fürchterlich! Dabei haben Mohrmanns Protestaktionen schon genug Schaden angerichtet.« Er rang die Hände. »Hätte ich mich bloß nicht darauf eingelassen, diese Band anzuheuern. Jetzt wird das Bauprojekt noch mehr negative Schlagzeilen bekommen.«

Mit geballter Faust schoss Nils auf den Investor zu. »Ich verpass dir gleich ’ne Schlagzeile! Du armseliger Schaumschläger bist doch schuld an allem!« Roland gelang es mühsam, ihn zu stoppen. Als einer der Polizisten zu ihnen trat, ließ er Nils los und entfernte sich in Richtung der Boote.

Kerstin wandte sich ab. Vergeblich versuchte sie, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Mommes verunstaltetes Gesicht würde sie bis in ihre Albträume verfolgen.

Mechanisch beantwortete sie die Fragen der Polizei. Sie war kaum in der Lage, klar zu denken. Zu guter Letzt brachte Grit sie zurück in die Ferienkate.

»Du zitterst ja am ganzen Leib.« Grit drückte ihr einen Becher heiße Schokolade in die Hand.

Kerstin atmete das Kakaoaroma ein. Nach ein paar Schlucken erwachte sie langsam aus ihrem Trancezustand. Sie bemühte sich, ihre Gedanken zu sortieren. »Wieso warst du vor der Polizei dort?«

Ohne auf ihre Frage einzugehen, zog Grit ein dickes Notizbuch aus ihrer Umhängetasche. »Das Beste ist, wir gehen pragmatisch vor und lassen uns nicht von unseren Gefühlen überrollen. Wir machen es wie früher, ja? Erzähl, was ist dir aufgefallen?«

Schon in Kindertagen hatte Grit für ihr Leben gern Sherlock Holmes gespielt. Dennoch schnappte Kerstin nach Luft. »Du bist unmöglich! Wie kannst du unter diesen Umständen Detektivin spielen wollen?«

»Gerade unter diesen Umständen! Wir können jetzt jammern und klagen, oder wir tragen unser Wissen zusammen. Ich glaube nämlich nicht, dass Momme zufällig Opfer eines Verbrechens wurde.«

Kerstin kicherte hysterisch. »Und dann stolzieren wir ins Polizeirevier und präsentieren ihnen den Mörder.« Sofort wurde sie wieder ernst. »Mein erster Gedanke war tatsächlich, dass er kein Zufallsopfer ist. Hier …« Sie zeigte Grit die Fotos auf ihrer Kamera. »Da war diese Schleifspur von den Booten zum Strandkorb, und schau, der Fleck an der Kante des Katamarans. Ist das Blut? Mommes Blut? Der Sand ist aufgewühlt. Hat es da einen Kampf gegeben?« Kerstin hielt inne. Die Vorstellung, jemand könnte einen engagierten Umweltschützer absichtlich aus dem Weg geräumt haben, erschreckte sie. »Du hast in Kiel doch mehr von den Jungs mitbekommen als ich in Hamburg. Hatte Momme irgendwelche Feinde?«

»Nicht dass ich wüsste.« Grit hob die Schultern und beugte sich über den Tisch. »Also, hör zu, die Sache mit dieser Hotelanlage stinkt zum Himmel. Schlimmer als alter Fisch! Ich sage dir, das wird eine Megastory!« Sie tippte mit der Fingerspitze auf die Tischplatte. »Diese Prime Investment Group und ihr gigantisches Bauvorhaben stößt bei der hiesigen Bevölkerung und den Umweltschützern auf massiven Widerstand. Große Teile des Gebietes um das ehemalige Achtern Diek würden zugebaut werden und Heidkate seinen ursprünglichen Charakter verlieren.« Sie holte Luft. »Momentan lebt hier gerade mal eine Handvoll Menschen. An den Wochenenden kommen die Besitzer der Katen dazu. Bodenständig eben, nach dem Motto Immer schön den Ball flach halten. Den Latte macchiato suchst du hier vergebens – noch.«

»Aber was hat das alles mit Momme und seinem provokanten Auftritt gestern zu tun?«

Grit schnaubte. »Genau wie Roland hat er geerbt. Vor zwei Jahren. Ein Häuschen in Heidkate. Kurz danach wurde das Achtern Diek für viel Geld an die P.I.G. verkauft. In so ’ner Schickimicki-Anlage bringst du hundertmal mehr Gäste unter als in Ferien- oder Wochenendhäusern, wo sich die Familien selbst bekochen, statt in die Restaurants zu gehen.«

Kerstin nickte. »Ich kann mir gut vorstellen, dass das Bauprojekt ein rotes Tuch für Momme war. Er hat bei umweltpolitischen Aktionen ja schon immer vorne mitgemischt, und jetzt war er sogar persönlich betroffen.«

Grits Handy vibrierte unablässig, nun erklang die Titelmelodie von Der rosarote Panther, und sie ging ran. Während sie sprach, merkte Kerstin, dass auch ihr Spürsinn erwachte. Ihre Freundin hatte recht. Tatenlos herumzusitzen half niemandem, und die Polizei hatte angeordnet, alle sollten sich vorerst zur Verfügung halten. »Hör mal, wie wäre es, wenn wir die Jungs heute Abend zum Essen hierher einladen?«, schlug sie vor, als Grit eine Telefonpause einlegte. »Ich besorge Fisch vom Kutter und schaue, was ich sonst ergattere. Und dann hören wir, was die drei zu alldem sagen. Ich kann hier nicht nur warten und Trübsal blasen. Ich möchte etwas für Momme tun.«

Grit hob den Daumen und griff erneut nach dem Smartphone. »Ich werde sie gleich anrufen und auch noch ein paar andere Quellen anzapfen. Ich habe bei einigen Leuten was gut.«

Die Schlange am Kutter war lang. Als der Kunde vor ihr an die Reihe kam, ertönte der tiefe Bass des Verkäufers: »Moin allerseits. Für heute ist Feierabend. Alles ausverkauft.«

Schade. Kerstin machte Anstalten zu gehen.

Vor ihr entstand Unruhe. »Das stimmt doch gar nicht!«, schimpfte der Kunde. »Dahinten liegt ja noch überall Fisch in den Kisten.«

Der Verkäufer blieb ungerührt. »Der ist reserviert, mein Herr. Da müssen Sie morgens früher aufstehen.«

Unter Protest drehte sich der verprellte Käufer um. Es war Klaas Kaufmann. Hastig setzte er seine Sonnenbrille auf und drängte sich an den Wartenden vorbei. Kerstin entging nicht sein konsternierter Blick.

Der Fischer zwinkerte ihr zu. »Was bildet sich der Schnösel ein? Wir sind hier doch nicht auf Sylt. Soll er da man seine großspurige Anlage hinbauen.«

Mit einer Tasche voll fangfrischen Dorschs verließ sie das Schiff.

Zurück im Haus fand Kerstin keine Spur von Grit. Jagte sie neuen Informationen nach? Wenigstens eine Nachricht hätte sie hinterlassen können. Angespannt packte Kerstin die Einkäufe aus. Auf der Rückfahrt hatte sie einen Hofladen entdeckt, der neben Würstchen, eigenem Gemüse und Brot auch Wein von einem nahe gelegenen Weingut anbot. Vergeblich versuchte sie, ihre Freundin auf dem Handy zu erreichen. Verdammt, wo war Grit?

Sollte sie einen Strandspaziergang machen? Sofort verwarf Kerstin die Idee. Das würde sie nur an den Morgen erinnern. Ihr Hals schnürte sich zusammen. Warum ausgerechnet Momme? Wer hatte ihm das angetan? Sich eines der Bandmitglieder als Mörder vorzustellen schien absurd. Aber was wusste sie schon über die drei? Oder über Momme? Wem war er auf die Füße getreten? Was war mit diesem Kaufmann? Würde er über Leichen gehen, um unbequeme Aktivisten und Gegner seines Bauvorhabens loszuwerden? Und warum verhielt Grit sich so seltsam? Um nicht durchzudrehen, verarbeitete Kerstin das Gemüse zu Antipasti und mischte diese mit Farfalle, Mozzarella und frischen Kräutern – fertig war der Nudelsalat. Obwohl es unangebracht schien, jetzt zu kochen, half ihr die strukturierte Arbeit, nicht den Kopf zu verlieren. Den Fisch, den sie aus den vorbestellten Kisten erworben hatte, zerlegte sie mit einem scharfen Santokumesser in Einzelportionen und würzte diese mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft. Sie durfte nicht vergessen, den Wein kalt zu stellen. Als sie das Messer säuberte, hörte sie hinter sich ein Geräusch. »Mensch, Grit, endlich! Wo warst …?«

Im Umdrehen sah sie, dass nicht ihre Freundin durch die offen stehende Seitentür neben der Auffahrt getreten war, sondern Nils. Gebannt starrte er auf das imposante Kochmesser. In jeder Hand baumelte ein Sechserträger. »’tschuldige, wollt dich nich erschrecken. Einmal Flens, einmal Dithmarscher. Wusste nich, was ihr so trinkt …« Immer noch fixierten seine Augen das Messer. »Kannste das mal wegtun? Ich tu dir schon nix.«

Kerstin bedachte den stämmigen Leadsänger mit einem gewinnenden Lächeln und legte das japanische Kochmesser vor sich auf den Küchentisch. »Danke für das Bier. Du bist früh dran.«

»Jo, ich geh auch gleich wieder. War in der Nähe, und da dachte ich … Kannste schon mal kalt stellen. Für nachher.«

Kerstin nahm ihm die Bierpacks ab. »Gute Idee! Sag mal, hat Grit dir am Telefon erzählt, wohin sie wollte?«

»Nö, ich weiß von nix. Vor zwei Stunden ist sie an mir vorbeigebraust. Grit, die rasende Reporterin. Hat wohl schon ’ne heiße Spur, was?« Er hielt betroffen inne und trat so heftig gegen den Weinkarton, den Kerstin auf dem Boden abgestellt hatte, dass es klirrte. »Mann, so ’n Mist, ich kann’s echt nich glauben.«

»Sag mal, Nils, kannst du dir jemanden vorstellen, der so etwas tun würde?«

Nils wurde zuerst blass, ehe seine Gesichtsfarbe schlagartig einen satten Rotton annahm, was zusammen mit seinen Haaren einen gewissen Leuchtbojencharakter ergab. Er knetete die Hände, dass es knackte. »Logo! Dieser Kaufmann natürlich. Dem hat Momme ordentlich eingeheizt, sach ich dir. Der meint wohl, er macht einen auf schön Wetter und wir tanzen nach seiner Pfeife.«

Motorengeräusch ertönte, auf dem Kiesplatz neben dem Haus kam mit quietschenden Bremsen Grits klappriger Fiat 500 zum Stehen. Kerstin und Nils traten in den Hof. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck faltete ihre Freundin sich aus dem Wagen und schüttelte ihre vom Fahrtwind zerzauste Mähne.

»Hi, Nils, du bist aber pünktlich.«

»Nils hat nur das Bier gebracht.« Kerstin wollte endlich ungestört mit Grit sprechen. Bei Nils schien der Wink mit dem Zaunpfahl anzukommen, und er verabschiedete sich.

Kurz nachdem sie und Grit sich an den Küchentisch gesetzt hatten, erschien Roland an der Seitentür, jeweils einen Sixpack in den Händen: »Das wollte ich vorbeibringen, damit ihr es kalt stellt. Bei uns im Wohnmobil ist nicht genug Platz. Pils für uns Herren, Radler für euch Ladys.«

»Hi, Rolli!« Grit winkte ihn mit der Hand herein. »Setz dich. Du siehst angeschlagen aus.«

Roland nickte dankbar und ließ sich auf einen freien Stuhl plumpsen, der unter seinem Gewicht knackte. Er strich sich fahrig über den kahlen Schädel, der ihm etwas Babyhaftes verlieh. Mit seinem Markenzeichen, der Hard-Rock-Cafe-Baseballkappe, gestern auf dem Konzert hatte er wesentlich markanter ausgesehen. Schimmerten da Tränen in seinen Augen?

»Es ist einfach schrecklich. Wer macht so was?« Sein Blick glitt suchend durch die Küche, als vermute er in einer Ecke des Raumes Mommes Mörder. Er schniefte, griff zur Küchenrolle, die auf dem Tisch stand, riss ein Stück davon ab und schnäuzte geräuschvoll die Nase.

Grit strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Momme hat gern provoziert, aber mir fällt niemand ein, der deswegen zu so drastischen Maßnahmen greifen würde.«

Kerstin hakte nach: »Sagtest du nicht, dass Momme diese Bürgerinitiative geleitet hat? Was, wenn die Investoren, speziell dieser Klaas Kaufmann, das Vorhaben durch die Protestaktionen und Unterschriftensammlungen bedroht sahen? Momme hätte doch kaum einfach so aufgegeben, und bei ihm wären die mit einem Schweigegeld gegen die Wand ge…«

»Mach mal halblang!«, fiel Roland ihr ins Wort. »Wir sind hier doch nicht in Hollywood! Die bringen ja wohl nicht einfach jemanden um. Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Momme hat das nur nicht einsehen wollen.« Seine Stimme klang empört. »Das Projekt wäre gut für die Infrastruktur und den Arbeitsmarkt. Kaufmann hat alles versucht, um mit ihm und der Bürgerinitiative eine versöhnliche Ebene zu finden. Sonst hätte der uns doch nicht zu dem Gig verholfen. Dass Momme gleich so über die Stränge schlagen würde, habe ich nicht erwartet.«

Kerstin verschlug es die Sprache. Dafür fand Grit umso deutlichere Worte. »Vergiss nicht, dass Momme tot ist. Ermordet. Ist dir die Natur denn völlig egal?«

»Hört bloß auf mit eurem Geseire über Moral und Ethik.« Roland schnäuzte sich erneut. Abrupt stand er auf. »Tut mir leid, hab’s nicht so gemeint. Bin echt von der Rolle. Ich geh mal und hau mich aufs Ohr. Bis später.«

Kerstin starrte ihm irritiert nach. So emotional hatte sie ihn nicht in Erinnerung.

»Na, Bier haben wir jetzt auf jeden Fall genug.« Grits Blick blieb am Weinkarton hängen. »Ein Schluck davon wäre mir allerdings lieber. Wie ich sehe, hast du den trockenen Rosé mitgebracht. Der ist gar nicht schlecht – ich meine für so ein nördliches Anbaugebiet.« Sie verteilte Eiswürfel in zwei Gläser und schenkte den Wein ein. »Muss so gehen: Ist halt noch nicht gekühlt.«

»Wo bist du gewesen?«

»Och«, Grit setzte eine Unschuldsmiene auf, »ich habe mich mit einem Informanten bei den Fischerhütten getroffen, und da kam der Herr Investor an und wollte Dorsch kaufen. Er war sichtbar aus der Fassung. Ich habe ihn auf ein Fischbrötchen eingeladen, um ein Interview gebeten und einen Strandspaziergang mit ihm gemacht.«

»Du hast was?« Kerstin verdrehte die Augen. »Das sieht dir ähnlich! Bestimmt hast du ihn in dem Glauben gelassen, einen positiven Artikel über das Projekt veröffentlichen zu wollen.«

Grit plinkerte, stützte den Kopf in die Hände und warf Kerstin einen prüfenden Blick zu. »Wie geht es dir inzwischen?«

»Ich hatte keine ruhige Minute, aber vielleicht ist das auch besser so.« Kerstin erzählte von dem aufgebrachten Nils. Ihr fiel der Vorfall mit Klaas Kaufmann am Fischkutter ein, und sie schilderte ihn. »Ich weiß nicht, was ich von diesem Menschen halten soll. Was, wenn er für die Tat verantwortlich ist? Allerdings kann ich ihn mir kaum vorstellen, wie er sich mit Momme prügelt … mit seinen manikürten Händen.«

Nachdenklich wiegte Grit den Kopf hin und her. »Ich bin verwirrt. Beim Spaziergang hat Klaas sich von einer ganz anderen Seite gezeigt.« Ein feines Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Seine Chefs in London sitzen ihm im Nacken. Wenn das Projekt platzt, muss er sich einen neuen Job suchen. Er selbst steht überhaupt nicht dahinter. Im Gegenteil, er wollte sich mit Momme aussprechen und war heute Morgen auf dem Weg Richtung Strand, als ihm Nils begegnete und ihn sofort beschimpfte. Da hat er wieder kehrtgemacht.«

Nun hieß er also schon Klaas. Hatte er Grit einer Gehirnwäsche unterzogen? »Wann war das denn?«

»Gegen sechs, meinte er.«

»Woher wusste er, dass er Momme dort antreffen würde?« Hatte Kaufmann ihr Gespräch über die Verabredung am Strandkorb belauscht?

»Das war kein Geheimnis.« Grit lachte. »Mommes Kate ist alt und baufällig, ihm fehlte das Geld für die Renovierung. In milden Nächten schlief er am liebsten unter freiem Himmel am Strand bei den Booten.«

Grit wusste ja sehr gut Bescheid. Zu gut? Kerstin fragte sich, ob ihre Freundin auch schon zum Frühstücken eingeladen worden war – oder sich sogar mit Momme aufs Sternezählen eingelassen hatte …

Sie zuckte zusammen, als Grit weitersprach: »Aber mich hat er noch nie aufgefordert, dort die Nacht mit ihm zu verbringen.«

Kerstin seufzte. Sie hätte die Info über ihr Date wohl gleich in der Zeitung veröffentlichen können. Hatte Momme womöglich damit vor den anderen geprahlt? »Was, wenn Kaufmann das nur erzählt, um von sich abzulenken?«

»Ich glaube ihm.« Grit nickte bekräftigend.

»Wenn ich an eine Prügelei denke, kommt mir sofort Nils in den Sinn.« Kerstin nippte an ihrem Wein. »Er war allerdings nicht als Einziger so früh unterwegs. Ich habe Gerd heute Morgen am Strand getroffen. Der sah nicht aus, als hätte er geschlafen, und auf Momme war er nicht gut zu sprechen.«

»Das wundert mich nicht. Gerds Frau hat sich vor einigen Jahren in Momme verguckt. Sie hat sich scheiden lassen. Auch wenn aus den beiden nichts geworden ist, hat sich Gerd nicht wieder von diesem Verrat, wie er es nennt, erholt. Aber er braucht das Geld von den Gigs. Seit der Scheidung geht es seinem Betrieb miserabel.«

»Könnte er …?«

»… Momme umgebracht haben?« Grit runzelte die Stirn. Ohne Überleitung klatschte sie in die Hände und erhob sich. »Ich fahr noch mal los. Mir kommt da gerade eine Idee, wie wir den Täter aus der Reserve locken können.«

»Aber Grit, du kannst doch nicht … warte!« Grit ignorierte ihren Einwand. Kurz danach hörte Kerstin das Knattern des Motors. Erschöpft trat sie in den Garten und sank auf die Hollywoodschaukel neben der Seitentür. Einen flüchtigen Moment stand die Welt still. Unvermittelt drängten sich Schuldgefühle in ihr Bewusstsein. Kerstin, die Vernünftige. Verdammt, sie hätte bei Momme bleiben sollen. Nun war es zu spät. Sie brach in Tränen aus.

Das sanfte Schwingen vertrieb die rotierenden Gedanken in ihrem Kopf und wiegte sie in den Schlaf.

Mommes lachende Augen. Seine zugewandte Art. Ihr dröhnendes Herz. Kerstin breitete die Arme aus. Mommes Beats durchströmten ihren Körper wie Blitzschläge. Wie ein Derwisch wirbelte sie umher. Das Publikum klatschte im Takt. Immer schneller. Ein Aufschrei ging durch die jubelnde Menge, mit seiner Tom-Jones-Stimme brachte Nils die Masse zum Brodeln. Sie hing an Rolands Arm, er schleuderte sie wie eine Marionette durch die Luft. Sie stürzte ins Bodenlose. Ein Stechen durchfuhr ihre Brust.

»Steh auf!«

Mühsam kämpfte Kerstin sich aus ihrem wirren Traum. Sie riss die Augen auf, um sie sofort wieder zusammenzukneifen. Der Realität entkam sie dadurch nicht. Der Schmerz und Roland blieben. Mit einer Hand umklammerte er ihre Schulter. Sie schnappte nach Luft und zwang sich, ihn anzusehen. Etwas Spitzes drückte unbarmherzig gegen ihr Brustbein.

»Ich wiederhole mich nur ungern.« Sein Tonfall klang scharf wie das Messer, das er in der anderen Hand hielt. Er zerrte sie hoch. »Los! Wird’s bald. Geh ins Haus.« Er schubste sie durch die Seitentür ins Innere. Seine Augen flimmerten. »Gib mir deine Kamera.«

Kerstins Schläfen pochten. Warum bedrohte er sie? Was wollte er mit ihrer Kamera? Verschwommen blitzte ein Gedanke auf, um sofort wieder in der Versenkung zu verschwinden. Reflexartig bewegte sie die Hand, als könne sie ihn noch greifen. Rolands Schraubstockgriff um ihre Schulter verstärkte sich. »Halt still! Sonst garantiere ich für nichts.« Er stieß sie vor sich her in die offene Küche.

»Um Himmels willen, Roland! Wir sind doch Freunde. Lass uns reden.«

»Reden! Dass ich nicht lache. Das wollte Momme auch immer. Über die Natur, die Blümchen und die Bienchen. Nicht mal kämpfen konnte er.« Roland ließ sie los und machte ein paar Schritte zurück. Mit dem Jackenärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schluckte hörbar. »Es war ein Unfall. Ich wollte ihn überzeugen, seine Protestaktion zu beenden. Ich habe ihn nicht … Er ist auf die Bootskante gestürzt.« Unkontrolliert fuchtelte er mit dem Messer.

»Ich habe die Spuren gesehen. Du hast Momme von dort weggeschleift und in den Strandkorb gesetzt. Wolltest du ihn da verstecken?« Kerstin wurde übel, als sich Mommes Gesicht vo...

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