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Verliebt im Café Inselglück

Als Buch hier erhältlich:

Seit Langem träumt Hannah davon, ihre kleine Pension auf Amrum in ein Café umzubauen. Sie weiß auch schon genau, wie es aussehen soll. Das Café Inselglück soll der perfekte, unverwechselbare Wohlfühlort sein. Und dazu gehören natürlich auch süße Köstlichkeiten. Da kann es nur Schicksal sein, dass Hannah beim Aufräumen ein altes Backbuch ihrer Urgroßmutter hinter dem Bücherregal findet. Sofort wird sie vom Kuchenfieber gepackt, und ist von da an kaum aus der Küche fortzubekommen. Doch ausgerechnet jetzt, wo alles so perfekt läuft, bekommt Hannah von ihrem Verlobten Lennard nicht die Unterstützung, die sie sich erhofft hat. Mit einem Mal ist Hannah sich nicht mehr sicher, ob sie wirklich den richtigen Mann an ihrer Seite hat.


  • Erscheinungstag: 18.02.2020
  • Aus der Serie: Amrum
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959679336
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für alle Heldinnen, die den Mut haben, ihren eigenen Weg zu gehen.

Und für jene, die noch auf der Suche sind nach diesem Mut.

Und ganz besonders für Beate, die an meine Träume glaubt.

KAPITEL 1

»Gute Fahrt!« Ich winkte meinen Pensionsgästen, die gerade in ihrer funkelnden S-Klasse Richtung Vormittagsfähre davonbrausten, erleichtert hinterher.

Himmel und Hölle … waren die mäkelig gewesen. Vermutlich würden wir sie bei uns auf der Insel nicht noch mal sehen, und das war wahrlich kein Verlust. Sie hatten überhaupt keinen Sinn gehabt für den Zauber von Amrum.

Die Insel war ihnen zu piefig, zu klein, zu unspektakulär, zu unprätentiös – im Vergleich zu Sylt einfach viel zu wenig schillernd gewesen. Das hatten die Herrschaften in den letzten Tagen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit lautstark zum Besten gegeben – natürlich immer so, dass ich es auch hören konnte.

Am liebsten hätte ich ihnen gesagt, sie sollten doch einfach ihre Koffer packen und abreisen – wozu Zeit verschwenden an einem Ort, der einem nicht gefiel? Aber ich hatte Haltung bewahrt, und darauf war ich stolz.

Das hatte ich allerdings nur geschafft, weil Lennard sich Tag für Tag geduldig meinen Frust angehört hatte. Schließlich war er ein richtiger Schatz – mein Schatz!

Obendrein hatte ich mich bei meinen Freundinnen Fenja und Elisabeth über mein Los als Pensionswirtin ausgeweint und meinem Unmut über die Arroganz der Gäste ordentlich Luft gemacht.

»Atme«, hatte Elisabeth mir geraten. »Immer wenn du glaubst, du platzt, atme durch die Nase tief in den Bauch, halte kurz die Luft an und lass sie dann zügig durch den Mund aus dir herausfließen. Du wirst sehen, die Luft nimmt auf dem Weg nach draußen deinen Ärger mit.« Ohne dass ich es verhindern konnte, musste ich über diese Anleitung lachen.

Elisabeth war eine zarte Person mit einer unfassbar tiefen Stimme. Fenja behauptete immer, sie sähe nicht nur aus wie die Frau Staatsanwalt aus dem Münster-Tatort, sie klinge auch so. In unserem Mädels-Dreiergespann war Elisabeth einerseits die praktisch Veranlagte mit großem handwerklichem Geschick, andererseits hatte sie einen schlimmen Hang zu Esoterik und strapazierte damit immer wieder meine Nerven. Esoterik und ich – das war wie Feuer und Öl: eine ziemlich entzündliche Verbindung. Aber es war eben Elisabeth.

»Du brauchst gar nicht die Augen zu verdrehen«, hatte Elisabeth prompt reagiert, und ihre sowieso schon tiefe Stimme war noch eine Nuance tiefer geworden. »Atemübungen sind ein wesentlicher Teil des Yoga. Versuch es, dann reden wir weiter.«

Sicher hatten wir schon häufiger anstrengende Gäste in der Pension gehabt, immerhin war das Haus bereits in fünfter Generation im Besitz meiner Familie. Außerdem waren Menschen nun mal nicht alle gleich, und ich wollte nicht ungerecht sein. Die meisten Gäste waren nett und kamen gerne wieder. Ich freute mich immer, wenn das passierte. Es zeigte mir, dass sie sich auf Amrum und bei mir wohlfühlten. Mit manchen verstand ich mich so gut, dass sich über die Jahre echte Freundschaften entwickelt hatten. Andere waren einfach nur sympathisch, ohne dass mehr daraus entstand.

Und natürlich waren Gäste auch unterschiedlich anspruchsvoll und dadurch auch mehr oder weniger anstrengend. Ich versuchte, so gut es mir möglich war, allen gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass sie ihren Aufenthalt genießen konnten. Das gehörte zum Führen einer Pension dazu und brachte mich im Normalfall nicht aus der Ruhe.

Aber solche Lackaffen hatte ich noch nie beherbergt, solche Gäste brauchte ich nie wieder.

Ich hatte die Pension übernommen, als meine Mutter die Arbeit nicht mehr erledigen konnte. Es war nie eine Frage für mich gewesen, ob ich auf Amrum bleibe und die Familientradition weiterführe oder nicht. Ich liebte meine Insel und konnte mir keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen. Nur das mit der Zimmervermietung war nicht ganz das, was mir Spaß machte. Ich hatte schon als kleines Mädchen von einem Inselcafé geträumt, aber dann war ich in den Familienbetrieb hineingewachsen und hatte akzeptiert, dass wir nun einmal Pensionsbesitzer waren. Und auch wenn das nicht mein Traumjob war, tat ich es mit Herzblut – immer wieder aufs Neue. Deshalb hatte mich die Arroganz dieser Menschen auch persönlich getroffen.

Und dann hatte ich mir – als Atmen, Abprallenlassen und Jammern nicht mehr ausreichten – bei Jens Quedens im Strandgut ein paar seiner geknickten Becher besorgt. Sie waren aus Porzellan, hatten aber die Form von Einwegplastikbechern, die man mit der Hand zerdrückt hatte. Auf der Seite mit dem Knick stand »Sylt kannst du knicken«, auf der geraden Seite dagegen »Amrum nicht«.

Wie jedes Mal, wenn ich bei Jens in Wittdün im Laden war, hatte ich am Ende des Einkaufs nicht nur das, was ich eigentlich hatte besorgen wollen, sondern darüber hinaus den ein oder anderen hübschen Schnickschnack mehr in der Tasche. Es gab aber auch so viele hübsche Kleinigkeiten dort, da fand ich einfach immer was.

Die Becher mit dem Knick hatte ich gut gelaunt gleich am nächsten Morgen auf dem Frühstücksbuffet drapiert. Ich musste jetzt noch kichern, wenn ich an die spontane Schnappatmung dachte, die bei Frau Ich-bin-ja-so-anspruchsvoll eingesetzt hatte. Sie hatte den Becher erst erstaunt mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet und ihn dann so schnell zurückgestellt, als hätte sie sich die Finger daran verbrannt. Köstlich!

Und das Beste an der Sache war: Es hatte gewirkt. Die Herrschaften hatten ihre Nasen zwar immer noch reichlich hoch getragen, doch weitere Spitzen gegen Amrum hatten sie sich in meiner Gegenwart wohlweislich verkniffen. Und jetzt waren sie abgereist.

Halleluja!

Erleichtert blies ich mir den Pony aus der Stirn.

Ich atmete tief durch und versuchte, den Ärger loszulassen, der immer noch in mir köchelte. Ganz genau so, wie Elisabeth es mir erklärt hatte – durch die Nase ein, Luft anhalten, durch den Mund aus.

So richtig gepackt hatte sie mich mit ihrem Yoga bislang nicht, und mit ihrem Hokuspokus mit Horoskop und Tarotkarten konnte sie mir gern gestohlen bleiben, aber die tiefe Atmung tat tatsächlich gut, das musste ich zugeben – auch wenn ich mir dabei reichlich albern vorkam.

Ein paar Minuten blieb ich an den Türstock gelehnt stehen und genoss die wunderbar warme Luft und die Sonne, die mir ins Gesicht schien. Um die Petunien herum summte und brummte es, ein paar Vögel trällerten, und etwas weiter entfernt hörte ich Kinderlachen – das kam vom Honigparadies herübergeweht, wie fast immer war ordentlich Leben im Schullandheim.

Es war Mitte Mai, und der Frühsommer hatte Amrum erreicht. Auch wenn der Frühling schon toll gewesen war, freute ich mich jetzt auf die heißer werdenden Tage, auf das Barfuß-durch-den-Sand-Laufen, Wellenglitzern und endlos scheinende Sonnenstunden.

Dieses Jahr hatte meine Vorfreude allerdings auch noch einen anderen, einen sehr besonderen Grund. Lächelnd drehte ich den Ring an meinem Finger hin und her und ließ ihn in der Sonne funkeln. Lennard und ich hatten nach einigem Hin und Her beschlossen, die Hochzeit auf September zu legen, um nicht mitten in der Hochsaison zu feiern.

Bis zum Fest gab es noch reichlich zu tun, und ich war entschlossen, trotz Arbeit und Trubel den Sommer zu genießen und so oft wie möglich ans Wasser zu gehen. Ich wollte nicht nur als strahlende, sondern auch als sonnengebräunte Braut am Altar stehen.

Ich musste mir meine Zeit für den Strand während der Saison immer erkämpfen, aber es lohnte sich. Für mich war das ein Stück Lebensqualität. Und weil ich den Kniepsand so liebte, radelte ich so oft wie möglich an die Westseite der Insel. Aus den letzten Jahren wusste ich, dass das natürlich nicht jeden Tag klappte, und das würde diesen Sommer nicht anders sein.

Oft genug ging es auch bei traumschönem Wetter darum, in der Pension die Dinge am Laufen zu halten. Dann musste ich meine Strandlust unterdrücken und Betten aufschütteln oder mit Buchungen, Umbuchungen und Sonderwünschen aller Art jonglieren.

Lennard und ich hätten auch gerne ein wenig mehr Wohnkomfort gehabt, doch das war leider nicht möglich. Ich hatte neun Pensionszimmer, die gerade so dafür sorgten, dass die Pension genug abwarf. Würden wir ein oder zwei Zimmer davon für unsere private Nutzung abzweigen, wäre die Pension nicht mehr rentabel. Also begnügten wir uns seit Jahren mit einem Schlafzimmer, einem kleinen Wohnraum und einer noch kleineren Küche im ersten Stock des Hauses. Darin zu zweit zu kochen war unmöglich, und selbst allein war es eine Herausforderung. Es war alles zu eng und es gab nicht ausreichend Arbeitsflächen.

Das war auch der Grund, weshalb wir sehr oft die Frühstücksküche der Pension für uns privat nutzten. Wenn beruflich und privat so eng beieinanderlagen, blieb es nicht aus, dass die Grenzen verschwammen. Und dennoch fehlte mir, obwohl die Pension oft ausgebucht war, der Kontakt zu Menschen.

Die Urlauber sah ich meist nur beim Frühstück, und trotzdem musste ich immer parat stehen – für den Fall, dass jemand etwas brauchte.

Selbst die Abende gehörten nicht richtig mir. Ich hatte bei allem, was ich tat, immer das Handy dabei, um im Notfall erreichbar zu sein. Es war beinahe unmöglich, einmal ungestört gemütlich draußen neben dem Haus zu sitzen und den Sommer zu genießen. Auch wenn ich meinen eigenen Teil des Gartens mit einem Privat-Schild markiert hatte, ließ es sich fast nicht vermeiden, dass trotzdem jemand vorbeikam, um nur eine ganz kurze dringende Bitte loszuwerden. Wenn man mit den Gästen im gleichen Haus wohnte, hatte man eben nie Feierabend.

Das war die Schattenseite des Sommers, aber es war auch mein Leben – immerhin hatte ich mit meiner kleinen Pension ein gutes Auskommen und hielt die Familientradition in Ehren.

Also motz nicht rum, sondern sei dankbar, wies ich mich in Gedanken selbst zurecht. Es half nur leider nichts.

Die Arbeit machte mich nicht mehr glücklich. Es waren mir eindeutig zu viele Betten, zu viel Wäsche, zu viele Putzstunden, zu viel Bürokram und im Vergleich dazu viel zu wenig Inselglück. Früher war mir das alles viel leichter von der Hand gegangen. Doch jetzt spürte ich schon seit Monaten eine wachsende Unzufriedenheit.

Hatte sie lange nur leise in mir geblubbert, kam sie in letzter Zeit immer öfter an die Oberfläche. Das sachte Blubbern wurde langsam, aber sicher zu einem unangenehmen Brodeln, diese nervigen Gäste waren der berühmte Tropfen gewesen, der mein Unmut-Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Jetzt, in diesem kurzen Moment der Ruhe, wo ich diese Gedanken endlich einmal zuließ, wurde mir klar: Die Pension mit allem Drum und Dran machte mich nicht mehr nur nicht glücklich, sondern sie ging mir zunehmend auf die Nerven. Ich fühlte mich ausgelaugt und lustlos, daran hatten auch die ruhigeren Wochen der Nebensaison nichts geändert. Ich wollte es ja gar nicht ruhiger, nur anders.

Fenja und Elisabeth hatten auch schon gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte, aber bislang hatte ich mich immer rausgewunden, wenn sie das Thema anschnitten. Nicht mal mit Lennard hatte ich darüber gesprochen. Er dachte, dass meine immer wieder aufkommende gedrückte Stimmung am noch nicht überstandenen Winterblues lag. Und ich ließ ihn in dem Glauben. Ich scheute mich, meinen Frust beim Namen zu nennen, das würde es nur noch schlimmer machen. Ändern würde es nichts.

Außerdem hatte ich streng genommen überhaupt keinen Grund zu jammern. Andere hatten es mit ihrem Leben echt schlechter getroffen. Ich dachte an die armen Menschen, die ihre Heimat verloren hatten und über Jahre nicht wussten, wie es weitergehen würde. Seit ich Tahmineh kannte, fand ich mich selbst reichlich undankbar, wenn die Unzufriedenheit wieder einmal – so wie jetzt gerade – in mir hochkochte.

Tahmineh unterstützte mich seit einiger Zeit stundenweise in der Pension. Sie war aus dem Iran geflohen und hatte schlimme Zeiten hinter sich. Und trotz des ganzen Leids war sie eine warmherzige junge Frau geblieben, die man einfach nur gernhaben musste.

Ich seufzte, genoss einen letzten Augenblick ganz bewusst die wärmende Sonne und raffte mich dann auf und ging zurück ins Haus. Schluss mit dem Müßiggang – es gab einiges zu tun.

KAPITEL 2

»Du glaubst ja wohl nicht, dass du jetzt den Besen schwingen darfst, Liebling?«, raunte Lennard mir ins Ohr, als ich im Flur Richtung Putzschrank steuerte.

Kichernd zog ich die Schultern hoch, als Lennard mir sanft in den Nacken biss. Er hatte die Arme um mich gelegt und streichelte meinen Bauch. Ich warf einen kurzen Blick in den großen Spiegel im Flur und stellte wieder einmal fest, dass wir wirklich ein schönes Paar abgaben.

Der kurz gehaltene Vollbart stand Lennard ausgezeichnet. Sein Teint war selbst jetzt, im frühen Sommer, schon gut getönt. Kein Wunder, schließlich war er regelmäßig mit seiner Kamera kreuz und quer über die Insel unterwegs und suchte nach schönen Fotomotiven.

Ich hob meine Hand und massierte Lennards Ohrläppchen. Diese Ohren waren einfach perfekt, ich liebte sie. Nicht zu klein und nicht zu groß, sie standen gerade so viel ab, dass es total süß aussah, aber sich keine Assoziation zu Dumbo, dem fliegenden Rüsseltier, aufdrängte.

Lennard war einen guten Kopf größer als ich. Wir hatten beide braune Haare, nur dass er sie kurz trug und ich schulterlang mit Pony.

»Ich dachte, du willst gleich los in die Redaktion«, sagte ich und kuschelte mich rückwärts an meinen Liebsten heran.

»Och, Pläne sind doch nur Optionen, die zwischendurch geändert werden können. Und da wir jetzt quasi sturmfrei haben, dachte ich …« Er beugte sich zu mir vor und küsste meine Halsbeuge, was mir eine wohlige Gänsehaut verursachte. »Was ist, hat die Pensionswirtin mit der süßesten Stupsnase von ganz Amrum ein bisschen Zeit für ihren kuschelhungrigen Verlobten?«

Lennard hatte recht, wir hatten wirklich sturmfrei.

Das waren vorläufig die letzten Gäste gewesen – ich hatte keine Reservierungen mehr angenommen. In den Wochen bis zum Start der Hauptsaison wollte ich mich um anstehende Arbeiten im und am Haus kümmern. Es wurde höchste Zeit, dass einiges instand gesetzt und erneuert wurde!

»Hm«, machte ich und tat so, als müsse ich überlegen. »Ich könnte mich vielleicht überreden lassen, aber ein bisschen überzeugender solltest du schon sein. Du willst mich ja wohl nicht auf meine Stupsnase reduzieren«, neckte ich ihn.

Jetzt drehte ich mich in seiner Umarmung um und legte meine Arme um seinen Hals. »Was ist mit meinen Lippen?«, fragte ich und machte einen Schmollmund.

Lennard beugte sich zu mir hinunter und küsste mich. Erst sanft, kleine Küsse, er knabberte leicht an der Unterlippe, doch dann vertieften wir den Kuss. Unsere Zungen trafen sich und begannen, zärtlich miteinander zu spielen.

»Der schönste Kussmund, den ich mir vorstellen kann«, raunte Lennard ein wenig außer Atem, als wir den Kuss kurz unterbrachen. »Ich muss dir näher sein, um auf weitere Einzelheiten eingehen zu können«, murmelte er und nahm mich kurzerhand auf den Arm, trug mich zur Treppe und stellte mich auf die unterste Stufe.

»Wir müssen deinen Kopf untersuchen lassen«, stellte ich fest und verfing mich in seinem zärtlichen Blick. »Du hast offensichtlich Gedächtnisprobleme. Soweit ich mich erinnere, hast du erst gestern Abend alles an mir ziemlich genau inspiziert.«

»Das ist Stunden her, woher soll ich wissen, ob das alles noch so ist, wie es gestern Abend war?«

Der nächste Kuss ließ meine Knie weich werden und meine Lust auf weitere Plänkeleien dahinschmelzen.

Ich schnappte Lennards Hand, und wir rannten kichernd wie zwei frisch verliebte Teenager die Treppe hinauf und in unser Schlafzimmer.

»Du bist ein ganz schlimmer Kerl, Lennard Lüpken«, schimpfte ich einige Zeit später und kuschelte mich wohlig entspannt in Lennards Arme. »Ich sollte längst etwas tun.«

»Och, also ich finde das, was du gerade getan hast, war ziemlich wichtig. Außerdem unaufschiebbar und ziemlich wundervoll.« Er streichelte meinen Rücken und schloss zufrieden lächelnd die Augen.

Es fiel mir schwer, aber ich widerstand der Versuchung, auch noch einmal die Augen zu schließen und einfach mit Lennard gemeinsam den Vormittag zu verschlafen.

Es gab wirklich einiges zu tun, ich musste in die Gänge kommen.

Die Zimmer mussten dringend renoviert werden – zumindest brauchten sie einen neuen Anstrich. Die Böden hatten eine Grundreinigung nötig, einige würde ich vielleicht sogar erneuern müssen. Auch die Fenster brauchten neue Farbe, das Salz in der Luft zerfraß den Lack hier einfach viel zu schnell, und auch das Dichtungsband musste ausgetauscht werden – was sonst noch alles anstand, würde ich wahrscheinlich während der Arbeit herausfinden.

Was für ein Glück, dass Elisabeth mit ihrem enormen handwerklichen Talent mir beistehen wollte, alleine hätte ich mich echt schwergetan, und Lennard war in Sachen Renovierung keine große Hilfe. Stattdessen war er verantwortlich dafür, Fotos für die Website zu machen, wenn Zimmer und Haus erst einmal in neuem Glanz erstrahlten. Ich hatte vor, meinen Internetauftritt ganz neu zu gestalten. Mit mehr Pepp und Inselflair. Webdesign liebte ich, ich nutzte die ruhige Winterzeit immer, um Kurse zu belegen und mich auf dem neuesten Stand zu halten.

Lennard würde aber nicht nur für die Fotos sorgen, sondern ganz sicher auch dafür, dass während der Arbeiten niemand verhungerte.

Wenn mein Liebster Freunde bekochen durfte, war er glücklich. Und das wiederum machte natürlich mich glücklich, deshalb überließ ich ihm meistens das Feld am Herd, obwohl ich selbst auch ganz gern kochte und backte.

»Auf jetzt, Liebling. Es wird Zeit, dass wir uns dem Tag stellen.« Ich gab ihm einen Kuss, stand auf und ging ins Bad. Als ich gerade aus der Dusche stieg, kam auch Lennard herein. Er beugte sich hinab, stibitzte sich einen Kuss und stupste mich auf die Nase.

»An so einen Start in den Tag könnte ich mich durchaus gewöhnen«, meinte er und zwinkerte mir zu.

Nachdem Lennard in die Redaktion abgedüst war, stand ich unentschlossen im Flur und überlegte, womit ich beginnen sollte. Alle Betten abziehen und Decken und Kissen wegpacken? Wäsche waschen, Teppiche und Deko wegräumen, die Vorhänge abhängen? Es gab so viel zu tun, dass ich keinen Anfang fand, und wenn ich ehrlich war, hatte ich auch keine richtige Lust.

Irgendwo zwischen dem ersten Kaffee und dem Abschiedswinken musste ich meine Motivation verloren haben.

Während ich immer noch unentschlossen dastand und versuchte, eine Entscheidung zu treffen, ging die Haustür auf, und Fenja samt Coco stürmte herein. Ich freute mich sehr, die beiden zu sehen. Seit Fenja vor etwas über einem Jahr nach Amrum gezogen war, verging kaum ein Tag, an dem wir nicht zumindest miteinander telefonierten oder uns Nachrichten schrieben. Oft besuchten wir uns gegenseitig – und wenn es nur auf eine schnelle Tasse Tee war.

Fenja arbeitete in ihrem Haus in Süddorf, in ihrem eigenen Atelier. Dort entwarf und nähte sie für ihr eigenes Label Kleidung und Accessoires für Mensch und Tier. Sie hatte richtig viel Talent und machte nebenbei aus Strandfunden auch noch Inselkunst. Eine ihrer ersten Lampen im Inseldesign hatte ich bei mir im Frühstücksraum stehen.

»Moin, Hannah! Und? Sind die doofen Nasenlüfter weg? Coco und ich dachten, du hättest vielleicht Lust auf einen Strandspaziergang. Erst mal ein bisschen raus und den Kopf freikriegen, bevor du dich in die Renovierung stürzt.«

»Fenja! Moin, ihr zwei kommt wie gerufen, und, ja, sie sind abgefahren.« Ich verdrehte die Augen und grinste erleichtert. Weil Coco winselte, beugte ich mich zu ihr hinunter und kraulte sie hinter den Ohren. Die Mopsdame sprang an mir hoch und versuchte, mir einen Kuss zu geben. »Du Süße, danke, aber Lennard hat mich heute schon geküsst. Ja, ich freu mich auch, dich zu sehen«, begrüßte ich sie, die Stimme etwas übertrieben überschwänglich klingen lassend.

Und wie Lennard mich geküsst hatte! ging es mir durch den Kopf, und die Erinnerung ließ mir einen kleinen Glücksschauer über den Rücken laufen. Lennard war ein unglaublich zärtlicher und aufmerksamer Liebhaber. Und überhaupt, er war das Beste, was mir hatte passieren können. Wie gut, dass Fenja heute Morgen nicht zehn Minuten früher aufgetaucht war, dachte ich erleichtert.

Coco drehte sich ein paarmal um sich selbst, wedelte wie wild mit ihrem Ringelschwänzchen, drückte sich dann fest gegen meine Beine und hob ihr Pfötchen, damit ich sie ausgiebig am Bauch streicheln konnte.

»Kann es sein, dass deine Fenja-Mama dich nie, nie, nie streichelt und dich total vernachlässigt?«, fragte ich, und Coco warf mir einen Blick zu, der genau das zu bestätigen schien.

Fenja kicherte. »Weißt du doch. Sie ist der ärmste Mops auf ganz Amrum – mindestens. Sie wird nicht gestreichelt und bekommt auch nie was zu fressen. Feinis schon mal gar nicht.«

Das war Cocos Stichwort.

Sofort tänzelte sie wieder um mich herum und bellte zweimal kurz. Ich vermutete, das hieß: »Feinis? Hab ich Feinis gehört? Her damit!«

»Also, was ist? Kommst du mit?«, wiederholte Fenja ihre Frage. »Frau Mops braucht dringend ein bisschen Bewegung.« Sie bog ihren Rücken durch und stöhnte. »Und ich auch. Ich sitze schon seit Stunden an Hagrid und nähe.« Fenja hatte ihre Nähmaschine wie den Wildhüter von Hogwarts getauft. Sie meinte, beide – Nähmaschine und der Wildhüter – hätten Zauberkraft, und bei beiden ging hin und wieder etwas schief.

»Wisst ihr was? Ihr habt mich überredet. Komm, Coco, wir gucken noch schnell, ob wir ein Leckerchen für dich finden. Und dann nichts wie ab zum Kniepsand. Die Arbeit läuft bestimmt nicht weg.«

»Wem sagst du das?« Fenja zog eine Schnute. »Malte beschwert sich schon, weil ich so wenig Zeit für ihn habe. Ich glaube, er ist eifersüchtig auf Hagrid.«

Ich musste lachen. »Ist natürlich auch nicht einfach für einen Mann, mit einer männlichen Nähmaschine zu konkurrieren.«

Aber ich war sicher, dass sie übertrieb. Malte liebte seine Fenja über alles, genau wie sie ihn. Die beiden waren als Jugendliche schon mal ein Paar gewesen, hatten sich dann durch ziemlich üble Umstände, bei denen Maltes verstorbener Vater die Hände im Spiel gehabt hatte, verloren und erst letztes Jahr wieder zueinandergefunden. Seither waren sie unzertrennlich, genau wie Lennard und ich. Manchmal tat mir Elisabeth leid, wenn wir alle zusammen gemütliche Stunden verbrachten und um sie herum die Luft vibrierte vor lauter Turtelei. Aber darüber konnten Fenja und ich mit ihr absolut nicht reden, bei diesem Thema stellte die sonst sehr gutmütige Elisabeth sofort ihre Stacheln auf.

Während ich mit Coco im Schlepptau in die Küche ging, grinste ich immer noch über die Vorstellung, dass Malte auf die Nähmaschine eifersüchtig sein könnte.

Fenja war echt eine Marke. Und sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der seiner Nähmaschine einen männlichen Namen gegeben hatte. Allerdings passte das auch ganz hervorragend, denn auf Hagrid entstanden die zauberhaftesten Näharbeiten und immer neue Modelle für Fenjas Modelabel Dogissimo.

***

Coco jagte mit fliegenden Ohren an der langen Leine am Wassersaum entlang und bellte vor Vergnügen. Ihre gute Laune schwappte auf mich über und wischte den letzten dunklen Schleier von meinen Gedanken.

Als sie nicht aufpasste, erwischte eine etwas größere Welle die Mopsdame am Hintern. Coco nieste empört. Sie warf sich herum und blaffte dem Angreifer hinterher. Im letzten Moment schaffte sie einen Satz rückwärts, um nicht die nächste Wasserladung abzubekommen.

Fenja und ich prusteten amüsiert. Das tat so gut!

Ich atmete die salzige Meeresluft tief ein und genoss den Blick über den Sand und die glitzernden Wellen. Diese Weite ließ allen Kummer klein werden, immer wieder. Wie sehr ich es liebte, hier am Strand zu sein.

»Es ist perfekt, dass du mit Coco vorbeigekommen bist und mich aus meinem Trott gerissen hast. Danke!«

Fenja gab mir ein Küsschen auf die Wange.

»Da nich für«, sagte sie und nickte mir lächelnd zu. »Trott ist das richtige Stichwort. Bei mir ist es ähnlich, ich komme fast nicht hinterher mit den Dogissimo-Aufträgen. Wenn das so weitergeht, muss ich einen Bestellstopp ausrufen. Coco brauchte dringend Bewegung und ich unbedingt mal wieder ein bisschen Hannah-Energie. Weißt du, ich freue mich richtig auf deine Renovierung. Endlich können wir uns mal wieder gemeinsam in ein Abenteuer stürzen. Dafür nehme ich sogar den Zeitdruck beim Nähen gern in Kauf. Hauptsache, mal wieder raus aus der Routine. Ich wollte Elisabeth fragen, ob sie auch mitkommt an den Strand, dann hätten wir gleich Pläne schmieden können, über Farben sprechen und neue Vorhänge und so. Aber ich habe sie nicht erreicht.«

»Vermutlich ist sie längst hier und steht wieder mal kopf«, mutmaßte ich. »Komm, wir sehen mal nach, ob sie an ihrem Lieblingsplatz ist.«

Gleich darauf stapften wir zielgerichtet nebeneinanderher über den Strand. Ich hatte die Schuhe ausgezogen und genoss das Gefühl des karibisch feinen weißen Sandes unter den Füßen. Das war wie eine intensive Fußmassage. Die Sonne auf der Haut und der Wind, der mit meinen Haaren spielte, taten ihr Übriges.

Mir schlüpfte ein tiefer Seufzer über die Lippen.

»Du wirkst ziemlich fertig«, stellte Fenja fest. »Wie gut, dass die Schnösel weg sind. Vergiss die Deppen einfach. Die nächsten Gäste werden garantiert netter.«

Während sie das sagte, bückte sie sich, hob eine Muschel auf und steckte sie nach kurzer Begutachtung in die Tasche, die sie über der Schulter hängen hatte. Typisch Fenja, sie sammelte bei jeder Gelegenheit Muscheln, Steine und Treibholz, um aus den Funden neue Designideen zu entwickeln.

»Netter ist in diesem Fall wirklich keine Kunst«, sagte ich und zog eine Schnute. »An diese Arroganz kommt so schnell keiner ran.« Müde wischte ich mir die Haare aus der Stirn. »Du hast recht, ich bin absolut und völlig k. o.!«, setzte ich nach.

Ich hatte auch eine schöne Muschel entdeckt und bückte mich danach. Während ich wieder hochkam und Fenja mein Fundstück übergab, redete ich auch schon weiter. Ich wollte gar nicht, aber die Worte ließen sich nicht aufhalten. »Die Schnösel waren nur der letzte Tropfen, fürchte ich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich die Nase voll habe von der Bettenmacherei und überhaupt von diesem ständigen Den-Gästen-Hinterherputzen und dem vielen Bürokram. Ich träume sogar schon davon! Und das, obwohl die Saison ja noch gar nicht gestartet ist. Ich würde viel lieber mehr Menschen um mich herum haben und nicht nur, wenn sie die Schlüssel holen, zum Frühstück kommen oder irgendwas reklamieren wollen.«

Ich hatte mich so hineingesteigert, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Missmutig trat ich in den Sand, dass es staubte.

Coco stutzte kurz, dann kam sie zu mir rüber und versuchte, mir die Hand zu lecken. Sie konnte es nicht ertragen, wenn in ihrer Gegenwart jemand traurig oder aufgewühlt war, da kam sofort ihr Trösterinstinkt durch.

Den hatte sie mit ihrem Frauchen gemeinsam, denn während Coco meine Hände übernahm, streichelte Fenja mir tröstend über den Rücken. Die beiden waren ein unschlagbares Gespann. Ob ich wollte oder nicht, in meinen Missmut hinein musste ich schon wieder ein bisschen lächeln.

»Ach komm, mach dich nicht verrückt«, sagte Fenja. »Du brauchst nur mal wieder ein bisschen Ablenkung. Wie wäre es, wenn Malte und ich heute kochen? Die letzten Male stand immer Lennard am Herd, eine gute Gelegenheit, das mal wieder auszugleichen.« Sie überlegte, dann sprach sie weiter: »Als Vorspeise könnte ich diese tolle Quiche machen, von der du mir neulich das Rezept gegeben hast. Und danach Hühnchen mit Gemüsereis. Wir könnten gemütlich essen und später gepflegt in der Blauen Maus versumpfen. Was meinst du?«

Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

»Klingt nach einem guten Plan. Und weißt du was? Ich werde es Lennard erst kurz vorher sagen, sonst besteht er doch wieder darauf, das Kochen zu übernehmen. Du weißt ja, wie ungern er den Kochlöffel aus der Hand gibt. Aber ich hab so gar keine Lust auf Chili-Gulasch und anschließend Chili-Eis. Vermutlich sind meine Geschmacksnerven inzwischen sowieso schon alle weggebrannt.«

Fenja schüttelte den Kopf. »Jetzt übertreibst du aber«, sagte sie. »Die Chili-Avocado-Creme letzte Woche war doch echt lecker.«

»Ja, war sie«, gab ich ohne Umschweife zu. »Aber ich esse seit Wochen nur noch feurig. Ich bin echt froh, wenn das Buch fertig ist und wir die Chili-Phase abschließen können.«

»Dann also kein Chili-Hähnchen heute Abend?«, neckte Fenja mich weiter.

Ich streckte ihr die Zunge raus und gab ihr einen Schubs, was Fenja allerdings nicht beeindruckte.

Sie lachte und sagte: »Wir können Lennard ja Chili über die Brownies streuen, damit er keine Entzugserscheinungen bekommt. Ich werde Malte überreden, dass er welche für das Dessert macht.«

»Lennard wäre sicher begeistert.« Ich streckte meinen Daumen nach oben und nickte. Wäre er vermutlich wirklich.

Wenn mein Liebster an einem neuen Kochbuch arbeitete, dann machte er immer einen Kopfsprung in das Thema. Diese Phasen waren oft sehr köstlich, aber meistens auch früher oder später reichlich anstrengend. Seine Fantasie schlug Purzelbäume, denen meine Geschmacksnerven hin und wieder nicht folgen konnten. Lennard liebte es, kulinarische Grenzen weit zu dehnen und auch zu sprengen. Manchmal sehr gelungen und zwischendurch auch nur, um festzustellen, dass ein Rezept nicht funktionierte – so wie zum Beispiel das Experiment mit den Kakaokrabben. Als ich daran dachte, schüttelte es mich unwillkürlich.

Während unserer Unterhaltung waren Fenja und ich weitergegangen und hatten Elisabeths Lieblingsplatz schon fast erreicht. Wie ich es erwartet hatte, war sie da und machte ihre angeblich entspannenden Verrenkungen. Sie hatte uns auch schon entdeckt.

»Wie schön, Gesellschaft«, tönte Elisabeths dunkle Stimme über den Strand zu uns. »Was ist, wollt ihr mitmachen?«, fragte sie zwischen ihren Beinen hindurch.

»Wir dachten eher, du bist bestimmt gerade fertig und läufst noch ein Stück mit uns – vielleicht so Richtung Strandpirat. Dort könnten wir ein Päuschen machen, mit Kaffee und einer leckeren Waffel mit roter Grütze«, sagte ich.

Das Gespräch über das Essen hatte meinen Appetit angeregt. Noch drei Schritte, dann hatten wir Elisabeth erreicht. »Genug wedelnder Hund für heute«, kommandierte ich und klapste ihr auf den Hintern, den sie sehr einladend in die Höhe gestreckt hatte.

»Herabschauend, Hannah, nicht wedelnd«, erklärte Elisabeth. Coco stürzte sich auf Elisabeth und versuchte, sie feucht schlabbernd zu begrüßen. Sie war begeistert, ihre drei Lieblingsfrauen beieinanderzuhaben.

Elisabeth beeilte sich, ihr Gesicht aus der Reichweite von Cocos Zunge zu bringen. »Für das Wedeln ist unsere Coco zuständig – und das macht sie wieder mal mit vollem Körpereinsatz!«, stellte sie fest.

Elisabeths Lachen dröhnte über den Strand. Sie ließ sich in den Sand fallen und knuddelte Coco gehörig durch. »Süße, wie schön, dich zu sehen. Geht es dir gut? Hast du deine Mama von ihrer Arbeit weglocken können? Gut gemacht, Liebes. Richtig gut!« Sie streichelte noch mal über Cocos schwarzes Fell, dann kam sie mit Schwung auf die Füße. »Zu dritt eine gemeinsame Übung, dann gehe ich mit. Okay?«

Ich verdrehte die Augen und grinste Fenja an. Wir nickten synchron. »Aber nur eine. Und nichts, wo wir nachher einen Knoten in den Beinen haben«, kommandierte ich.

»Stell dich nicht so an. Wer so oft am Computer sitzt, braucht auch mal ein Gegengewicht. Also los. Wir machen den Baum. Das bringt neue Energie und Standhaftigkeit. Schaut mir zu und macht es nach.«

Wir stellten uns so, dass wir Elisabeth ansahen, und hoben wie sie das rechte Bein an. Die Fußsohle wurde gegen den inneren Oberschenkel des linken Beines gestellt. Die Hände hielten wir – Handflächen gegeneinander – vor der Brust und bewegten sie dann langsam nach oben. Dort gingen die Hände auseinander und wurden nach rechts und links zur Seite gestreckt. Himmel, war das eine wacklige Angelegenheit.

»Atmen, Hannah. Konzentriere dich auf deine Körpermitte, atme tief in den Bauch und fühle, wie du dich stabilisierst. Du bist der Baum. Du stehst fest und sicher.«

»Ich versuch es ja«, sagte ich und wackelte wie ein Baum bei Orkanböen. Im nächsten Moment war es passiert. Mit einem Aufschrei kippte ich gegen Fenja, und wir landeten beide im Sand. Sehr zu Cocos Freude, die sich sofort auf uns stürzte, um uns abzuschlabbern.

Elisabeth schüttelte den Kopf und gab auf. »Okay, okay, ich hab es verstanden. Also gut. Ihr wollt laufen? Na, dann los. Worauf wartet ihr?«

Schon setzte sie sich in Bewegung.

KAPITEL 3

Nach einem köstlichen – und tatsächlich chilifreien – Abendessen bei Fenja und Malte hatten wir es uns in der Blauen Maus gemütlich gemacht und genossen die gemeinsame Zeit. Vorher hatten wir Coco ordentlich müde gespielt, sodass sie jetzt vermutlich an ihren Katerfreund Pablo gekuschelt den Schlaf der braven Möpse schlief.

Da ich keine Pensionsgäste hatte, war ich nicht auf Abruf. Mein Handy schlummerte still zu Hause auf der Kommode. Ich genoss diese ungewohnte Freiheit, und die Stimme in mir, die mich aufforderte, endlich den richtigen Schluss aus meiner Unzufriedenheit zu ziehen, wurde immer drängender.

Noch war ich aber nicht sicher. Der Mut, diesen Schritt wirklich zu gehen, verließ mich immer dann, wenn ich anfing, Worte zu suchen, um meinen Freunden meine Idee zu präsentieren und damit wirklich einen Entschluss zu fassen.

Ich konnte mir ausmalen, was für einen Sturm ich damit auslösen würde.

Fenja war ohnehin schon ausgehungert nach neuen Abenteuern. Als wir nachmittags die notwendige Renovierung besprochen hatten, war sie vor lauter Ideen kaum zu bremsen gewesen und hätte mein Haus am liebsten einmal von innen nach außen gestülpt.

Zimmer für Zimmer hatten wir inspiziert, die Küche, den Frühstücksraum. Fenja hatte Design-Luftschlösser entworfen, während Elisabeth Fotos gemacht und mit mir zusammen alles ausgemessen hatte. Um die Pension wirklich richtig auf Vordermann zu bringen, war leider einiges mehr nötig, als ich erwartet hatte. Ich hatte meine Freundinnen sich austoben lassen und war dabei selbst ungewöhnlich passiv gewesen. Für mich war die Renovierung eine lästige Pflicht, natürlich würde ich wieder alles liebevoll gestalten, damit die Gäste sich wohlfühlten. Aber Fenjas Designträumereien konnte ich nicht folgen, dazu fehlte mir für dieses Projekt das Herzblut. Mir ging es darum, Standards zu erfüllen, um mit meiner Pension den Anschluss nicht zu verlieren, mehr nicht.

Während ich darüber nachdachte, was alles zu tun wäre, kam Fenja gerade von der Theke zurück und rutschte wieder auf ihren Platz. Sie flüsterte Malte etwas ins Ohr, woraufhin er amüsiert auflachte. Was für ein Glück, dass die beiden sich wiedergefunden hatten, sie passten perfekt zueinander, und das Knistern zwischen ihnen konnte man fast hören – auch jetzt noch, nachdem sie schon einige Zeit ein Paar waren.

Lennard saß neben mir und hatte einen Arm um mich gelegt. Wie sich zeigte, war er in Gedanken noch bei seiner Arbeit und bei dem leckeren Essen, das wir gerade bei Fenja und Malte genossen hatten.

»Das war wirklich köstlich heute Abend«, sagte er. »Diese Quiche – Fenja, du hast es echt drauf. Vielleicht wäre das sogar eine gute Idee für das nächste Buch. Quiche von herzhaft bis süß oder so ähnlich. Mit dem Chili-Buch bin ich fast fertig, Zeit für neue Pläne!«

»Danke, Lennard, aber das war nicht mein Verdienst, es ist ein Rezept von Hannah. Aber wenn du sie lieb bittest, verrät sie es dir vielleicht.«

Prompt klimperte Lennard mich mit einem Hundeblick an. »Würdest du?«, fragte er.

Ich tat so, als müsse ich darüber nachdenken, und ließ meinen Süßen ein bisschen zappeln.

»Hannah, Liebling! Schnuckelchen«, bettelte er.

»Und was gibt es als Gegenleistung?« So leicht war ich nicht rumzukriegen.

Lennard überlegte.

»Quiche!«, triumphierte er dann. »Frisch gebacken und in allen Varianten.«

Ich prustete und musste lachen. »Genau das habe ich befürchtet«, gab ich zurück. Trotzdem zuckte ich mit den Schultern und gab mich geschlagen. »Also gut. Meinem Liebsten kann ich ja sowieso nichts abschlagen. Aber du könntest wenigstens noch einen Kuss drauflegen«, sagte ich und spitzte die Lippen.

»Doch nicht in aller Öffentlichkeit«, neckte mich Lennard und stupste mir mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Was sollen denn die Leute denken? Immerhin bin ich ein verlobter Mann.«

»Und ich bin eine verlobte Frau«, konterte ich trocken. »Na so ein Zufall.«

Lennard gab mir nun doch ein Küsschen. »Das trifft sich ja ausgezeichnet. Du bist so süß! Und jetzt, wo ich weiß, dass du in Besitz dieses tollen Quiche-Rezeptes und damit eine ausgezeichnete Partie bist … Wenn ich es nicht schon getan hätte, müsste ich glatt um deine Hand anhalten.«

Ich lachte und ließ mich in seinen warmen Blick fallen, wie in gold funkelnde Schokoseen.

Während Lennard und ich miteinander turtelten, kam Jan, der Betreiber der Blauen Maus, zu uns an den Tisch.

»Moin«, grüßte er und stellte ein Glas mit einer roten durchsichtigen Flüssigkeit vor Lennard auf den Tisch; dabei zwinkerte er Fenja zu. »Hab von deinem neuen Buch gehört und dass du heute auf Entzug bist. Da kann ich abhelfen. Wohlsein!«

Lennard hob fragend die Augenbrauen. »Entzug?«, fragte er.

Doch Jan hob nur kurz die Augenbrauen und nickte auffordernd zu dem Glas hin. »Schnack nicht, trink, dann weißt du, was Sache ist.«

Fenja kicherte. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie legte nur den Finger auf ihre Lippen.

Was hatte sie denn jetzt wieder ausgeheckt?

Nach kurzem Zögern zuckte Lennard mit den Schultern, schnupperte und nahm einen ordentlichen Schluck.

Im nächsten Moment riss er Augen und Mund auf und holte scharf Luft. Er keuchte, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nahm trotz dieser Reaktion direkt den nächsten Schluck.

»Hölle, Jan!«, hauchte er, als er wieder etwas sagen konnte. Er hob das Glas und betrachtete den verbliebenen Rest. »Jetzt versteh ich, du hast von Chili-Entzug gesprochen. Ist dein Strandhafer in den letzten Jahren schärfer geworden? Im Übrigen finde ich diesen Namen für so ein Höllenfeuer echt gemein harmlos! Aber ich muss zugeben, das Gebräu ist wie gemacht für mein Chili-Buch. Was ist, bekomm ich das Rezept? Ich schreib natürlich dazu, dass es von dir ist und der Drink hier in der Blauen Maus ausgeschenkt wird. Ehrensache!«

»Mal sehen, ich denk drüber nach.« Jan wandte sich an Elisabeth und zwinkerte ihr zu. »Na, wie sieht es aus? Lust, ein paar neue Schätze zu probieren? Ich hab da ein paar, die wirst du lieben.«

Das war klar.

Jan und Elisabeth verband eine intensive Liebe zu Whisky. Ehe wir uns versahen, fachsimpelten die beiden munter drauflos, und ich verstand nur noch Blumenladen. Torfig, rauchig, blumig, maritim, leicht, schwer, buttrig, intensiver Abgang …

»Pass auf«, sagte Jan jetzt. »Wir fangen mit dem Bladnoch an, der ist nur leicht getorft. Und dann kommen wir zum ganz Feinen. Der Arran Marsala Cask, ich sag dir, der hat einen leckeren Gaumen, unglaublich!«

»Den wollte ich längst probieren«, rief Elisabeth und klatschte vor Begeisterung in die Hände. Ihr tiefes Lachen verschluckte für Sekunden den nicht zu geringen Geräuschpegel des Gastraums. »Ich habe gelesen, bei dem spielt die Frucht mit Karamell und Vanille. Im Abgang soll er süße Eiche und kandierte Äpfel bringen. Na dann, her damit! Ich bin gespannt!«

Das brauchte sie Jan nicht zweimal zu sagen. Umgehend verschwand er hinter der Theke und kam gleich darauf mit einem Tablett voller Gläser wieder. »Fassstärke, versteht sich. Nur straight gibt es den vollen Genuss, mit Wasser wasch ich mir die Füße, das hat im Whisky nichts zu suchen.«

Ich nahm ein Glas und prostete den anderen kurz zu, dann überließ ich die Runde ihren Fachsimpeleien über Whisky, Chili und Quiches. Meine Gedanken wanderten wieder zum Nachmittag zurück, zu der ersten Inspektion, die ich mit Elisabeth in der Pension gemacht hatte.

»Kilchoman Sanaig«, präsentierte Jan seinen nächsten Schatz mitten in meine Renovierungsüberlegungen hinein. »Schön torfig, von der Insel Islay.« Er schob mir das nächste Glas über den Tisch hinweg zu.

»Na, mal sehen, was der kann, mein Lieber«, sagte Elisabeth. Sie hielt die Nase über ihr Glas und gab ein genüssliches »Hmmm« von sich, das mehr wie ein tiefes Brummen klang. Dann hielt sie ihren Whisky in die Höhe und dröhnte: »Prost, ihr Turteltäubchen, auf das Leben!«

Es war ihr fünfter, wenn ich richtig mitgezählt hatte, und wie es aussah, würde es nicht ihr letzter bleiben.

Ich grinste zu Fenja rüber und hielt prostend mein Gingerale hoch.

Als wir kurz nach unserem Kennenlernen im vorigen Jahr das erste Mal mit Elisabeth in der Blauen Maus versumpft waren, hatten Fenja und ich uns eingebildet, mit ihr mithalten zu können. Der Brummschädel am nächsten Tag war uns eine Lehre gewesen – seither spülten wir regelmäßig mit Wasser, Orangensaft oder Gingerale zwischen.

Elisabeth war wirklich ein Wunder. Sie konnte arbeiten und saufen wie ein Ackergaul und zwang Fenja und mich mit ihrer unglaublichen Energie immer mal wieder in die Knie. Durch ihre dunklen Haare und die noch dunklere Stimme wirkte sie manchmal ein wenig poltrig, aber dieser Eindruck täuschte, denn sie hatte ein sehr feines Gespür für Zwischentöne und ein Herz, das die Grenzen ihrer Brust weit sprengte.

Allein die Tatsache, dass ich sie so lieb gewonnen hatte und zu meinem engen Freundeskreis zählte, sprach Bände, denn eigentlich hätte sie mit ihrem Faible für Esoterik bei mir keine Chance haben dürfen. Jeder andere wäre damit sofort unten durch gewesen, nur Elisabeth nicht.

Inzwischen wusste sie, dass ich diesen Quatsch nicht leiden konnte, und ließ mich meistens damit in Ruhe. Und wenn sie doch mal etwas in der Richtung sagte, dann immer so dosiert, dass es mir nicht die Luft abschnitt. Sie drängte mir nichts auf.

Im Grunde war das, was sie tat, gar nicht so schlimm. Leider hatte ich das Pech gehabt, vor vielen Jahren an ein Arschloch zu geraten, das mir den Kopf verdreht hatte. Der Kerl hatte mich mit falschen Versprechungen und Hokuspokus ins Bett gelockt und hinterher fallen lassen. Und ich Idiotin war aus dem siebten Himmel direkt auf die Erde zurückgeknallt. Ohne Fallschirm. Ich hatte wirklich geglaubt, er würde mich lieben – und ich ihn.

Es hatte so unglaublich wehgetan, ich war überzeugt davon gewesen, an gebrochenem Herzen zu sterben. Es war eine schreckliche Zeit gewesen, und ich konnte von Glück reden, dass ich Fenja an meiner Seite hatte. Sie hatte mich getröstet – nächtelang und über Wochen – und sich meinen Kummer immer und immer wieder angehört, bis er nach einer Ewigkeit endlich schwächer geworden war. Heute war es nur noch eine schale Erinnerung.

Aber wenn dieser vermaledeite Inselguru nicht gewesen wäre, der meine mädchenhafte Naivität ausgenutzt hatte, hätte ich vermutlich heute meinen Spaß mit Elisabeths Hobby. Denn was sie manchmal vom Stapel ließ, war schon echt witzig. Ein Teil von mir konnte sich sogar darüber freuen, aber ich konnte mich nicht ernsthaft darauf einlassen.

Der Grat von okay bis zu geht gar nicht war ziemlich schmal. Das Erlebnis damals hatte eine Art Trauma bei mir hinterlassen. Ob ich wollte oder nicht, auf Esoterik reagierte ich ganz schnell mit aufgestellten Stacheln. Es war, als würde man einen Knopf drücken, sobald die entsprechenden Trigger kamen.

Durch Elisabeth hatte ich zumindest gelernt, nicht jeden sofort zu beißen, der in meiner Gegenwart von Horoskopen und Weissagung sprach. Inzwischen begnügte ich mich mit Augenrollen – aber das musste sein!

»Lennard, was ist, willst du nicht noch einen Strandhafer trinken? Immerhin musstest du beim Essen ja schon auf Chili verzichten«, neckte Malte ihn und zwinkerte Jan zu.

Lennard winkte ab. »Danke, aber mein Bedarf ist gedeckt. Ich halte mich noch ein bisschen an dem hier fest«, er hielt sein Whiskyglas in die Höhe. »Der Torf ist perfekt, der legt sich wie eine warme Decke auf die Zunge.«

Jan grinste, reckte den Daumen nach oben zum Zeichen der Zustimmung und hob dann die Hand zum Gruß. »Ich muss mal wieder. Viel Spaß euch noch.« Damit verschwand er, schlängelte sich zwischen seinen Gästen hindurch zur Theke und übernahm dort wieder die Stellung.

Kaum war der Wirt weg, ging die Tür auf, und Bianca kam herein. Sie sah sich kurz um; als sie uns in der Ecke entdeckte, zog ein Strahlen über ihr Gesicht. Mit ein paar Schritten war sie bei uns und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Moin. Was ist, habt ihr noch ein Plätzchen für en altes Wiif?«, fragte sie.

Allgemeines Gelächter war die Antwort. »Na, so ein, zwei Jährchen wird es schon noch gehen, bevor das Alter richtig zuschlägt. Was meinst du?«, nahm Malte sie nun auf den Arm, während Elisabeth bereitwillig rutschte, damit Bianca sich noch neben sie setzen konnte. Mit einem völlig übertriebenen Ächzen, das uns allen zeigte, dass sie schauspielerte, nahm sie Platz.

»Knapp, Malte, das kann ich dir sagen. Wenn die Kunden so weitermachen, bin ich in ein paar Tagen reif für den Abgang.« Jetzt grinste sie. Na also.

»Wie läuft’s in der Tee-Insel?«, fragte ich und überging Biancas Kokettiererei mit dem Alter. Die paar Jährchen, die sie uns voraushatte, machten den Fisch nicht bunt.

Bianca war die Inhaberin des Teeladens und versorgte mich seit Jahren mit tollen Teemischungen für meine Pensionsgäste und natürlich für mich selbst. Sie war eine Institution in Sachen Tee und Aromenkombination. Es gab keine Frage auf diesem Gebiet, die sie nicht beantworten konnte. Abgesehen davon war sie auch eine sympathische Person, mit der ich immer gern schnackte. Meistens hatten wir am Ende eines Treffens beide Bauchweh vom vielen Lachen.

»Läuft schon«, antwortete sie. »Ich werde deinen Ausfall verschmerzen. Wann machst du denn wieder auf?«

Beim letzten Einkauf hatte ich sie vorgewarnt, dass ich in nächster Zeit keinen Nachschub brauchte, weil ich die Pension renovieren musste.

»Frag nicht«, stöhnte ich. »Ich wollte ein bisschen neue Farbe verteilen, und jetzt sieht es so aus, als könnte ich direkt ein neues Haus bauen.«

»Ach was, Liebchen, das kriegen wir alles hin. Mach dich nur nicht verrückt«, mischte sich jetzt Elisabeth ein.

»Ich hoffe es«, gab ich zurück, obwohl mir klar war, dass ich etwas ganz anderes hoffte, als die anderen annahmen.

Ein kurzes Schweigen legte sich über unser Trüppchen. Das gab mir Gelegenheit, das Wort zu ergreifen.

Jetzt oder nie!

»Hört mal, ich muss euch was sagen.« Ich räusperte mich. Bis zu dieser Sekunde war ich mir nicht sicher gewesen, aber jetzt war es klar.

Der Entschluss hatte sich still und heimlich in mir geformt.

Die anderen spürten den Ernst des Momentes und sahen mich gebannt, ja beinahe erschrocken an, besonders Lennard. Der Geräuschpegel in der Blauen Maus trat in den Hintergrund, alles in mir war auf meine nächsten Worte fokussiert.

Ich räusperte mich erneut, versuchte ein Lächeln, merkte aber sofort, dass es verrutschte, und wurde wieder ernst.

»Ihr wisst ja, dass ich in den letzten Monaten immer mal wieder etwas … hm, sagen wir … unausgeglichen war. Und ihr wisst auch, dass ich schon lange den Traum habe, ein eigenes Café zu eröffnen. Tja, und heute, als wir durch die Pension gegangen sind und deutlich wurde, dass der Renovierungsbedarf weit höher sein wird, als ich das vorab eingeschätzt hatte, wurde mir klar: Ich will das nicht.«

Lennard öffnete den Mund, genau wie Fenja. Doch ich hob die Hand, um beide zu stoppen, und sprach schnell weiter. Mit jedem Wort fühlte ich mich freier.

»Ich meine, wieso soll ich jetzt meine ganzen Ersparnisse in eine Renovierung von etwas stecken, an dem mein Herz nicht hängt? Viel besser wäre es doch, wenn ich schon so viel am Haus machen muss, dass ich es gleich in das verwandle, was ich mir wünsche, und genau so, wie ich es mir wünsche.« Ich machte eine kleine dramaturgische Pause. Alle hingen wie gebannt an meinen Lippen. Dann ließ ich meinen Traum fliegen: »Was haltet ihr von Hannahs Café Inselglück? Mein Herz behauptet, das sei mein Weg zum Glück.«

Und genau dieses Herz, von dem ich hier sprach, klopfte jetzt ganz gewaltig. Ich spürte die Ader an meinem Hals pochen, und mir stockte der Atem.

Die Bombe war geplatzt – was würden meine Freunde sagen?

KAPITEL 4

Ich sah von einem zum anderen und beobachtete, wie die Information ins Bewusstsein sackte. Es war durchaus spannend, die Reaktionen an den Gesichtern abzulesen.

Fenja strahlte, als hätte ich ihr ein wunderschönes Geschenk überreicht. Elisabeth rieb sich die Hände, ihre Augen funkelten vor Begeisterung. Ich sah ihr an, dass sie schon über die Einrichtung nachdachte und was sie alles mit unserem Insel-Zimmerer Jan bauen könnte. Die beiden hatten bereits beim Umbau von Fenjas Atelier Hand in Hand zusammengearbeitet. Irgendwie schien Elisabeth ein Faible für Männer mit dem Namen Jan zu haben – mit dem einen teilte sie ihre Leidenschaft für Whisky, mit dem anderen die fürs Handwerken, ging es mir kurz durch den Kopf, bevor ich wieder die Reaktionen der Runde auf meine Worte beobachtete. Malte hob genau wie Bianca anerkennend die Augenbrauen. Lennard suchte meinen Blick, und ich erwiderte ihn fest. Als er sicher war, dass ich es ernst meinte, nickte er und zeigte ein Lächeln. Er war der Erste, der Worte fand.

»Das kommt ziemlich überraschend, wieso hast du denn nie mit mir darüber gesprochen?«, fragte er und klang ein wenig pikiert.

Ich zuckte mit den Schultern. »Vermutlich, weil ich es bis gerade selbst nicht glauben konnte. Nicht böse sein, dieser Entschluss musste wohl in Ruhe in mir wachsen.«

»Ich bin nicht böse, nur etwas irritiert. Ich meine, immerhin bin ich dein Verlobter, ich hätte mich schon gefreut, wenn du mit mir über deine Gedanken und Sorgen gesprochen hättest.«

Ich lehnte mich zu Lennard hinüber, gab ihm einen Kuss und sah ihm fest in die Augen. »Ich verstehe dich, Liebling, aber es ging wirklich nicht. Keine Ahnung, wieso, aber ich konnte einfach nicht drüber reden. Ich hab mich ja lange nicht mal getraut, drüber nachzudenken. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht übergehen. Ganz bestimmt nicht«, säuselte ich und hoffte, Lennard konnte verstehen, wie ungeheuerlich diese Entscheidung für mich war und dass ich das wirklich mit mir hatte ausmachen müssen.

Lennard kippte seinen Whisky und schenkte mir ein kleines Lächeln. »Es ist echt ’ne Nummer und wird sicher viel Arbeit. Aber hey, wenn es dich glücklich macht, dann muss es eben so sein. Natürlich helfe ich dir, das ist ja klar.«

Ich atmete erleichtert aus und nickte. »Es ist ganz bestimmt ziemlich viel Arbeit, ich hab ordentlich Muffensausen und keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Aber ich spüre auch sehr deutlich, dass ich gar nicht anders kann. Danke.«

Ich hob Lennard mein Gesicht entgegen, und wir küssten uns. »Dass ich kein Renovierungsgenie bin, weißt du ja«, sagte er und lächelte mich zärtlich an.

»Mach ihr keine Angst, Lennard. Wir sind schließlich auch noch da!«, mischte sich jetzt Fenja ein. »Wir haben letztes Jahr den Dogissimo-Start geschafft, und wir werden dieses Jahr Hannahs kleines Café Inselglück an den Start bringen. Frauenpower! Oder Elisabeth, was sagst du? Das wäre doch gelacht!«

»Ich bin dabei, das ist ja wohl selbstverständlich! Herzlichen Glückwunsch zu diesem Entschluss, Hannah. Ich bin sicher, du wirst es nicht bereuen. Was ist, fangen wir morgen direkt mit der Planung an? Wobei – wieso morgen? Ich besorg Papier und Stift, wir können direkt die Eckdaten festlegen!« Schon schob sie sich zwischen den Gästen hindurch Richtung Theke.

»Mensch Leute, bei euch ist echt immer was los. Langeweile kennt ihr nicht, oder? Echt super! Wenn dein Herz das will, ist es auf jeden Fall richtig! Ich kann zwar nicht vom Laden weg und helfen, aber ich hab da schon so eine Idee. Ich glaube, ich kann auch einen kleinen Beitrag zu deinem Café Inselglück leisten.« Bianca nickte anerkennend.

»Was hast du vor?« Meine Stimme quietschte ein bisschen vor Aufregung.

Dieser ganze Zuspruch tat mir unendlich gut, und wohlige Aufregung kribbelte mir durch den Körper. So viel positives Feedback musste doch ein gutes Omen sein, oder?

Ich sah auffordernd zu Bianca rüber, doch sie legte Zeigefinger und Daumen der rechten Hand aneinander und fuhr sich damit über ihre Lippen. »Lass dich überraschen«, sagte sie noch, dann schwieg sie und grinste mich schelmisch an.

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