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Immerwelt - Das Erbe

Als Buch hier erhältlich:

Das Schicksal von Immerwelt

Während Immerwelt in Krieg und Dunkelheit versinkt, wird eines immer klarer: Die beiden Sphären Troika und Myriad müssen sich vereinen, sonst sind sie dem Untergang geweiht. Um die ewige Feindschaft zu überwinden, wollen die junge Ten und ihr Freund Killian den mächtigen Prince of Ravens vernichten. Dafür wollen sie, die Troikanerin, und er, der Myriader, ihre Liebe besiegeln und den Bund eingehen. Aber nichts läuft wie geplant, und plötzlich müssen Ten und Killian einander neu vertrauen lernen. Ihr Ziel scheint unerreichbar. Wie weit werden sie gehen, um Immerwelt zu retten?

»Was für eine wunderbar krasse Welt.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Sarah J. Maas

»Dicht, philosophisch und fesselnd.« Kirkus Reviews

»Alle, die Tens Welt erkundet haben, sollen sich bereit machen für ein völlig neues Setting voller Überraschungen.« Romantic Times Book Reviews


  • Erscheinungstag: 09.07.2019
  • Aus der Serie: Immerwelt
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 416
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959678544

Leseprobe

WIDMUNG

Für Gott, meinen Helfer, Heiler, Erlöser, Beschützer, Hirten, Ernährer!

Für Natashya Wilson, deren scharfer Blick mich immer wieder erstaunt. Danke für dein unglaubliches Feedback während meiner Arbeit an der Immerwelt-Serie, dafür, dass du Fragen gestellt hast, die gestellt werden mussten, und mir geholfen hast, ein höheres Niveau zu erreichen.

Für Vicki Tolbert, Shonna Hurt, Michelle Quine und Christy James für die Gebete, die ich so dringend brauchte. Ein spezieller Dank an Vicki, die mich während meiner Arbeit ernährt hat!

Für Jill Monroe, die jedes Mal, wenn ich einen ersten Entwurf schreibe, tausend E-Mails bekommt. Die meisten Fragen klingen dann etwa so: »Was hältst du davon? Gut, und was davon? Schon, aber was ist damit?« Ich kann mich glücklich schätzen, dich zu kennen!

Und nicht zuletzt für die unglaublichen Tiere, die mich zu einigen der pelzigen Charaktere in diesem Buch inspiriert haben: Biscuit, Mary Ann, Ginger, Nemo, Thor, Pepper, Boots, Noel, Peanut, Athena, Boomer, Riggs, Murtaugh, Milo, Goldman, Mya, Barney, Bailey, Champ, Lucy, Roxi, Lefty, Righty, Suzi und Dixie.

»Die Zeit wird kommen, und sie wird bald kommen, die dir neue Bande bringt – Bande, die dich noch zärtlicher und stärker an die Heimat fesseln, die du so schmückst – die innigsten Bande, die jemals dein Herz erfreuen werden.«

CHARLES DICKENS,
»Eine Geschichte von zwei Städten«

The End of a Nation

Das Ende einer Nation

Alle Hoffnung ist verloren. Unsere Armeen wurden geschlagen, unsere Seelen zerbrochen. Hilflos müssen wir zusehen, wie die Nacht den Tag zerstört und uns des Lichts beraubt. Wir haben nichts. Wir sind nichts.

Zumindest lassen unsere Feinde uns das glauben.

Wenn sehen glauben heißt, dann haben sie recht. Aber wir müssen unserem Herzen vertrauen. Wir sind wie der Baum, der fest an einem Flussufer steht, so tief in der Erde verwurzelt, dass kein Sturm ihn umwerfen kann. Wir mögen uns beugen, jedoch werden wir niemals brechen.

Letztendlich entstehen Diamanten nur durch Druck.

Bald wird eine Zeit kommen, in der jeder Mann, jede Frau und jedes Kind eine Entscheidung treffen muss. Wenn man besiegt wurde – körperlich, mental oder emotional –, wenn man betrogen wurde und keine Hoffnung mehr hat, woher nimmt man dann die Kraft, aufzustehen und weiterzumachen?

Wie weit sind wir bereit, für unsere Sphäre zu gehen?

Dunkelheit mag über uns hereinbrechen, doch unser Licht kann bis in alle Ewigkeit leuchten. Auch wenn wir einer nach dem anderen fallen, werden wir uns gemeinsam erheben. Ein Körper. Ein Herz. Ein Ziel.

Eine Ewigkeit.

TEIL EINS

TROIKA

TROIKA

Von: A_T_3/23.40.29

An: L_R_3/51.3.15, J_A_3/19.37.30, S_C_3/50.4.13, C_M_3/5.20.1, Y_L_3/59.1.2, A_S_3/42.6.31, T_B_3/19.30.2, B_S_3/51.3.13, M_V_3/54.5.8, J_B_3/19.23.4, S_J_3/62.5.5, M_P_3/45.10.9

Betreff: Tenley Lockwood


Kollegen Generäle,

es gibt zwei Tagesordnungspunkte zu besprechen. Der erste: Tiere. Wegen der jüngsten Bombardierungen unserer Sphäre hat unser Zweitkönig eine Anordnung herausgegeben. Jedem Mitbürger wird ein Schutztier zugewiesen, entweder ein vierbeiniges oder eins mit Flügeln, wobei jeder das Recht hat, das Tier abzulehnen. Genau das sollten Sie meiner Ansicht nach tun und auch Ihre Leute dazu auffordern. Schließlich haben wir nicht mit diesen Tieren trainiert, somit werden sie uns aller Wahrscheinlichkeit nach eher behindern als helfen.

Der zweite Tagesordnungspunkt ist der wichtigere. Zum ersten Mal in der Geschichte der Sphäre hat der Prinz der Tauben entschieden, KEINE Wahl für die Auferstehung abzuhalten. Ich weiß nicht, weshalb, ich weiß nur, dass er seine Meinung nicht ändern wird, auch wenn wir Widerspruch einlegen. Stattdessen wurde Tenley Lockwood beauftragt zu entscheiden, welcher unserer gefallenen Soldaten die Stille verlassen wird.

Zweifellos wird sie eine der folgenden Personen wählen (nach Rang geordnet):

General Levi Nanne, ihr Ausbilder

Anführerin Meredith Cordell, ihre Großmutter

Agent Archer Prince, ihr Freund

Agentin Elizabeth Winchester, ihre Teamkollegin

Uns bleiben vierundzwanzig Stunden, um uns für unseren verehrten Bruder General Orion Giovante einzusetzen. Auch wenn ich die oben Genannten liebe und respektiere, ist gleichwohl Orion derjenige, den wir jetzt brauchen. Der Krieg gegen Myriad wird härter. Myriad ist uns zahlenmäßig und waffentechnisch überlegen, und Orion als geborener Krieger ist unsere einzige Hoffnung auf Sieg. Er besitzt etwas, das Levi fehlt: den Killerinstinkt. Levi wurde am Ende immer nachgiebiger. Er hat sogar mit Killian Flynn zusammengearbeitet, den unsere Agenten den Schlächter nennen. Mr. Flynn ist zudem Miss Lockwoods größte Schwäche. Ihre romantischen Gefühle für ihn bringen uns alle in Gefahr.

Orion wird ohne Zögern und ohne Rücksicht auf Miss Lockwoods Gefühle Mr. Flynns Zweittod herbeiführen. Er wird dafür sorgen, dass wir uns auf das konzentrieren, was wirklich zählt: Myriads Auslöschung.

Zuerst müssen wir Miss Lockwood finden. Dann müssen wir sie überzeugen, etwas zu tun, das uns hilft, ihr selbst aber schadet. Aus irgendeinem Grund bin ich nicht in der Lage, sie im Netz auszumachen.

Jane, können Sie sie durch das Auge sehen?

Licht bringt Klarheit!

General Alejandro Torres

TROIKA

Von: J_A_3/19.37.30

An: A_T_3/23.40.29, L_R_3/51.3.15, S_C_3/50.4.13, C_M_3/5.20.1, Y_L_3/59.1.2, A_S_3/42.6.31, T_B_3/19.30.2, B_S_3/51.3.13, M_V_3/54.5.8, J_B_3/19.23.4, S_J_3/62.5.5, M_P_3/45.10.9

Betreff: Törichtes Mädchen!


Miss Lockwood hat ihr Komm abgeschaltet. Ist sie vielleicht scharf darauf, von Myriad umgebracht zu werden?

Keine Sorge, ich finde sie. Ich brauche bloß etwas Zeit.

General Shamus, stellen Sie Ihr Heer zusammen und erwarten Sie am Schleier der Flügel weitere Anweisungen. In der Sekunde, in der ich Miss Lockwood ausfindig gemacht habe, befördere ich Sie an ihre Seite.

Licht bringt Klarheit!

Generalin Jane Adamson

PS: Ich habe mein Schutztier abgelehnt.

TROIKA

Von: S_C_3/50.4.13

An: J_A_3/19.37.30, A_T_3/23.40.29, L_R_3/51.3.15, C_M_3/5.20.1, Y_L_3/59.1.2, A_S_3/42.6.31, T_B_3/19.30.2, B_S_3/51.3.13, M_V_3/54.5.8, J_B_3/19.23.4, S_J_3/62.5.5, M_P_3/45.10.9

Betreff: Ich bin bereit


Werde aber zweifellos nicht besonders sanft mit ihr umgehen. Andererseits beschleicht mich das Gefühl, dass »sanft« hier weder notwendig noch gewünscht ist. Warum sonst würden Sie ausgerechnet das Scheusal beauftragen, sie zurückzuholen? Sie möchten ihr eine Lektion erteilen und ihr genug Angst einjagen, damit sie tut, was Sie wünschen.

Wird erledigt.

Licht bringt Klarheit!

General Shamus Campbell

PS: Mir wurde als Schutztier ein Pudel zugewiesen. Sie haben richtig gelesen, ein PUDEL. Sie können sich gern für mich fremdschämen. Ich habe abgelehnt – selbstverständlich.

TROIKA

Von: L_R_3/51.3.15

An: S_C_3/50.4.13, J_A_3/19.37.30, A_T_3/23.40.29, C_M_3/5.20.1, Y_L_3/59.1.2, A_S_3/42.6.31, T_B_3/19.30.2, B_S_3/51.3.13, M_V_3/54.5.8, J_B_3/19.23.4, S_J_3/62.5.5, M_P_3/45.10.9

Betreff: Ich begleite Sie, Shame-us


Und ich akzeptiere keinen Widerspruch. Wut beeinträchtigt Ihr Urteilsvermögen; Myriad arbeitet mit Angst, aber doch nicht Troika! Außerdem, wenn wir Miss Lockwood bestrafen, könnten wir sie am Ende verlieren. Wenn sie das Gefühl bekommt, in uns keine Verbündeten zu haben, wird sie sicher nicht für einen General stimmen, den sie gar nicht kennt.

Tun Sie uns allen einen Gefallen und denken Sie erst nach, bevor Sie sich äußern, General Campbell.

Licht bringt Klarheit!

Generalin Luciana Rossi

PS: Mir wurde ein Grizzlybär zugewiesen. So viel dazu!

TROIKA

Von: S_C_3/50.4.13

An: L_R_3/51.3.15

Betreff: Geben Sie’s zu


Sie sorgen sich nicht um das Mädchen und schon gar nicht um unsere grandiose Sphäre. Nein, Sie waren immer schon scharf auf Orion, und Sie würden alles tun, damit er zurückkehrt – sich sogar bei einer Strömerin einschleimen, die zu dumm ist, eine gute Entscheidung zu treffen.

Ich bin sicher, dass Orions Frau Ihnen für Ihre Bemühungen danken wird, ehehe. Sollten Sie jemals aufhören, sich wie eine Myriaderin aufzuführen, und es stattdessen mit einem ungebundenen Mann treiben wollen, fragen Sie mich. Ich bin dabei, versprochen.

Licht bringt Klarheit!

General Shame-on-you

PS: Vermutlich denkt Eron, dass Sie ein stärkeres Schutztier als ich brauchen … weil Sie schwächer sind.

MYRIAD

Von: S_A_5/46.15.33

An: K_F_5/23.53.6

Betreff: Penumbra


Ich weiß, dass du untergetaucht bist, Killian. Ich weiß, dass du in Schwierigkeiten steckst. Doch du musst nach Myriad zurückkehren. Nach Diors Auftritt vor Gericht habe ich zufällig etwas mitbekommen, das ich nicht hätte hören sollen. Uns war klar, dass Penumbra sich langsam ausbreitet, wir wussten allerdings nicht, dass unsere Sphäre eine Möglichkeit gefunden hat, diese Infektion in Massen zu produzieren. Tausende Menschen werden infiziert werden – und zwar bald.

Killian, bitte! Du musst zurückkommen. Ich kann diesen Kampf nicht allein austragen.

Macht bedeutet Recht!

MA-in-Ausbildung

Sloan Aubuchon

MYRIAD

Von: Mailer-Erratum

An: S_A_5/46.15.33/K_F_5/23.53.6

Betreff: DIESE NACHRICHT KONNTE NICHT ZUGESTELLT WERDEN


Melden Sie sich bei Zhi Chen zum Debriefing.

MYRIAD

Von: Z_C_4/23.43.2

An: S_A_5/46.15.33

Betreff: Ihre Loyalität wird nur von Ihrer Dummheit übertroffen


Ihre Ergebenheit für Killian Flynn wäre ja bewundernswert, wenn er nicht den schweren Fehler begangen hätte, sich auf die Seite einer Troikanerin zu schlagen und damit Schande über seine Sphäre zu bringen. Sobald man ihn findet, landet er entweder im Zwinger oder wird getötet. Eine andere Option gibt es nicht.

Sie sollten die richtigen Prioritäten setzen, Miss Aubuchon, andernfalls wird Sie dasselbe Schicksal ereilen wie ihn.

Nun zu angenehmeren Neuigkeiten. Ich weise Ihnen einen Mentor zu, der Ihnen helfen wird, die richtige Richtung einzuschlagen. Sein Name ist Victor Prince, und er ist ein erhabener Sohn unseres Zweitkönigs.

Vor vielen Jahren ging Victor das Bündnis mit Troika ein, um für uns zu spionieren. Erst letzte Nacht gelang ihm das Unmögliche: Er konnte sich absetzen und zu uns zurückkehren, ohne dafür vor Gericht gehen zu müssen. Leider hat er dabei beide Hände verloren.

Randbemerkung: Da Sie neu sind, wissen Sie vielleicht nicht, dass Geistwesen Gliedmaßen wiederherstellen können. Zu gegebener Zeit.

Bis Mr. Prince vollkommen gesundet ist, wird er in einer Hülle bleiben. Und Sie ebenfalls, da er jetzt für Ihre Ausbildung zuständig ist. Und für die Ihres neuen Partners, der bei uns rasant Karriere macht. Sein Name ist Leonard Lockwood, und er ist Tenley Lockwoods Vater.

Ich weiß, dass Sie ihn mit Respekt behandeln werden, da Sie wiederum wissen, was geschieht, wenn nicht.

Macht bedeutet Recht!

Sir Zhi Chen

MYRIAD

Von: H_S_3/51.3.6

An: Z_C_4/23.43.2

Betreff: Javier Diez und Dior Nichols und mehr


Yo! Wie ich von einer unserer Königinnen hörte, die es direkt von unserem Zweitkönig hörte, will Ambrosine die Geistwesen von Javier Diez und Dior Nichols in Myriad haben, und zwar pronto. Keine Verzögerung mehr. Finden Sie jemanden, der diese Aufgabe übernimmt. Ich bin damit beschäftigt, ein Lager voller tickender Zeitbomben in den Griff zu bekommen.

Da wir gerade davon sprechen, ich bin alle Nachrichten über dieses bestimmte Thema durchgegangen und habe eine von einer Ihnen unterstellten Agentin entdeckt. Sloan … irgendwas. Abadabado? Wer immer sie ist, schicken Sie sie zu mir. Ich werde dafür sorgen, dass die Troikaner das Lager heute noch entdecken. Da sie eine Sympathisantin ist, wird sie einen hervorragenden Köder abgeben.

Sie sind vielleicht bereit, ihr wegen ihrer Loyalität Killian gegenüber zu verzeihen, ich aber nicht. Wir können ihr nicht länger vertrauen, doch wir können sie benutzen.

Machen Sie sich bereit. Der Krieg wird schon bald eine drastische Wendung erfahren – zu unserem Vorteil!

Macht bedeutet Recht!

General Hans Schmidt

1. KAPITEL

»Im Leben geht es nicht um das, was du gewinnst, sondern um das, was du gibst.«

Troika

Ten

Heute

Ich sehe den unbezähmbaren Killian Flynn an, mein Herz trommelt gegen meine Rippen. Jeder Atemzug erfüllt mich mit Hoffnung, Erstaunen … und Bestürzung.

Unsere Beziehung wird sich in wenigen Augenblicken ändern. Alles wird sich in wenigen Augenblicken ändern.

Wir haben heimlich unsere Sphären verlassen, um uns im Land der Ernte zu treffen. In einer versteckten Höhle im russischen Uralgebirge, um genau zu sein. Jetzt stehen wir uns gegenüber, Hand in Hand. Das zerklüftete Gestein bildet den perfekten Rahmen für Killians wilde, umwerfende Schönheit und die unerschütterliche Kraft, die er ausstrahlt. Eine Kraft, die auf den blutigsten Schlachtfeldern der Welt geschaffen wurde.

Es gibt keinen Krieger, den ich lieber an meiner Seite hätte.

Unsere Leute mögen sich bekämpfen, doch wir werden gemeinsam Frieden schaffen. Schritt für Schritt.

Ich präge ihn mir genau ein, diesen Jungen, dem ich gleich mein Leben anvertrauen werde – und meine Zukunft. Er hat herrlich goldbronzene Haut und tiefschwarzes Haar. Dichte, maskuline Augenbrauen, die Nase scharf geschnitten wie eine Klinge, die Lippen hingegen weich und üppig. Pure Verlockung …

Sein kantiges Kinn ziert ein Dreitagebart. Unter T-Shirt und Jeans ist sein fantastisch muskulöser Körper voller Tätowierungen. Totenschädel, Rosen und andere Bilder, die alle durch Linien miteinander verbunden sind und auf diese Weise eine Art Landkarte formen. Diese Landkarte findet sich sowohl auf seinem Geistwesen wie auch auf seiner Hülle – Hüllen ähneln einem Geistwesen grundsätzlich sehr –, doch er hat mir nie gesagt, wohin diese Karte einen führt.

Eines Tages wird er mir alles erzählen – werden wir uns gegenseitig alles erzählen.

Es sind jedoch seine Augen, die mich so faszinieren und mich nicht mehr loslassen. Sie haben einen schwermütigen Goldton mit himmelblauen Flecken darin. Diese Flecken bringen eine ganz spezielle Saite in mir zum Klingen, gerade so, als streiften verschiedene Lieder meine Seele. Manche sind schnell und rhythmisch, andere wiederum langsam und verträumt; immer sind sie unvergesslich.

Heute höre ich eine verführerische Melodie, die mein Blut entflammt und mich gleichzeitig bis auf die Knochen frieren lässt. Was irgendwie logisch ist. Ich bin Feuer, er ist Eis, und doch passen wir zusammen. Schließlich kann man die Wärme eines Feuers am besten an einem eiskalten Wintertag genießen.

So viele Unterschiede. Zu viele, würden die meisten sagen.

Gerade genug, um die gesamte Welt zu erschüttern.

Ich bin Tag. Er ist Nacht.

Mich stärkt Licht. Er ist in der Dunkelheit unschlagbar.

Ich mag Regeln und Struktur. Er blüht im Chaos auf.

Ich glaube fest daran, dass wir uns niemals von negativen Gefühlen beeinflussen lassen dürfen; wir müssen helfen, vergeben und uns um andere kümmern. Gefühle sind flüchtig und ändern sich schnell. Warum sollte man sich von ihnen das Leben ruinieren lassen? Er ist hingegen davon überzeugt, dass man sich ausschließlich von Gefühlen leiten lassen sollte und dass es töricht ist, sich um andere zu kümmern. Wem man heute hilft, der fällt einem morgen in den Rücken.

Für mich sind es unsere Entscheidungen, die unsere Realität erschaffen. Er wiederum glaubt, dass allein das Schicksal für uns entscheidet.

Ich bin troikanische Strömerin. Er ist myriadischer Agent. Wir sind geborene Feinde, und doch ist er die Liebe meines Ewiglebens.

So unterschiedlich wir auch sein mögen, so sehr ähneln wir uns zugleich. Wir beide haben schmerzhafte Erfahrungen gemacht, die uns formten und stärker machten. Wir lassen nicht nach, wenn etwas – oder jemand – die Menschen und Dinge, die wir lieben, bedroht. Wir kämpfen für das, was wir für richtig halten, egal, wie viele Hürden wir nehmen müssen.

Ich bin eine von zwei Strömerinnen, die dafür sorgen, dass Troika hell leuchtet, und ich soll Killian, unseren Feind, töten. Stattdessen werde ich ihn heiraten.

Liebe kümmert es nicht, was andere von einem erwarten. Ich liebe und verehre diesen Jungen, und wie gesagt bin ich jemand, der nicht nachlässt.

Selbst wenn ich ihn hasste, würde ich »Ja, ich will« sagen, denn hier geht es um mehr als nur um unsere Herzen.

Wenn wir unsere Seelen vereinen, können wir versuchen, auch unsere Sphären zu vereinen und auf diese Weise den Frieden zu schaffen, nach dem wir beide uns so verzweifelt sehnen. Zusammen werden wir nach Myriad gehen und Ambrosine, Prinz der Raben, den korrupten Zweitkönig, vernichten.

Ein korrupter Anführer färbt immer auf sein Volk ab.

Dann wird Killian sich die Krone aufsetzen, das Kommando übernehmen und seinen Armeen Einhalt gebieten. Er wird den Waffenstillstand akzeptieren, den Troika früher schon einmal angeboten hat. Den Waffenstillstand, den Eron, Prinz der Tauben und Zweitkönig von Troika, seit Jahrhunderten herbeisehnt.

Endlich wird der Krieg enden.

Sobald das erreicht ist – oder vielleicht schon früher, wir haben uns noch nicht auf die Reihenfolge geeinigt –, retten wir die armen Seelen, die in Viele Enden gefangen gehalten werden, dieser höllenartigen Untersphäre, die an Myriad angeschlossen ist.

Ungezeichnete, die den Ersttod sterben, leben in Viele Enden, zusammen mit monströsen Lebewesen, die nur ein einziges Ziel verfolgen: jede einzelne Seele zu töten. Die Seelen werden gejagt und auf schrecklichste Art und Weise umgebracht. Wieder … und wieder. Denn sobald ein Geistwesen in Viele Enden »stirbt«, erwacht es zu neuem Leben, bereit für Runde zwei … drei … vier …

Vier, die Zahl für Stabilität, Ordnung und Gerechtigkeit. Ein starkes Fundament – wenn man bedenkt, dass ein Quadrat vier Seiten hat. Vier Himmelsrichtungen – Nord, Süd, Ost, West. Vier Jahreszeiten – Winter, Frühling, Sommer, Herbst. Vier Winde und vier Mondphasen.

Vier ist die einzige Zahl, die ausgeschrieben genauso viele Buchstaben hat wie ihr numerischer Wert.

Konzentration. Ich glaube, dass man die Geistwesen, die in Viele Enden gefangen sind, wieder zum Leben erwecken kann, doch bisher ist meine Theorie noch nicht bewiesen.

Und was auch nicht feststeht: Killians Mutter Caroline und meine Freundin Marlowe könnten sich dort befinden. Allerdings ist es so – weder Caroline noch Marlowe waren Ungezeichnete. Caroline hatte schon vor Jahren bei Myriad unterschrieben und starb den Zweittod, kurz nachdem sie in die Sphäre gekommen war. Marlowe unterschrieb bei Troika, der Vertrag wurde aber nichtig, als sie Selbstmord beging. Unterschiedliche Leute, unterschiedliche Überzeugungen.

Myriad behauptet, dass Carolines Seele an ihrem Todestag mit der Seele eines Neugeborenen verschmolz, ich vermute jedoch, dass es sich dabei um eine Lüge handelt. Ich glaube nämlich, dass alle Myriader in Viele Enden landen, so wie alle Troikaner in die Stille kommen.

Wenn die Menschen das wüssten, würden sie niemals bei Myriad unterzeichnen. Nur Unwahrheiten und Propaganda halten das Geschäft am Laufen.

Ich muss die Verdammten retten, und ich kann es. Ich weiß, dass ich es kann. Nicht, weil ich etwas Besonderes bin. Wirklich nicht. Doch ich bin ein Mädchen, das sich in dem heimtückischen Labyrinth von Viele Enden einfach besser auskennt als die meisten.

Ich zucke erschrocken zusammen.

»Ich kann nur hoffen, dass du jetzt gerade nicht an mich gedacht hast, Mädchen.«

Killian zieht meine Hand an seine Lippen und küsst meine Fingerknöchel. Mir läuft ein herrlicher Schauer über den Rücken.

»Machst du Witze? Wenn Mädchen beim Anblick des großartigen Killian Flynn erschauern, dann nur vor Lust.«

»Oder sie beginnen zu kochen vor Wut.«

Ich nicke lächelnd. »Stimmt.«

Der Ring an seinem Daumen funkelt im Feuerschein und wärmt mein Herz. Nachdem meine Großmutter Meredith den Zweittod gestorben war, wurde mir ein Erinnerungsstück von ihr übergeben. Ein Pistolenring mit Sechs-Schuss-Zylinder, 2mm Pinfire. Eine wunderschöne Waffe und zugleich ein modisches Statement. Mein wertvollster Besitz.

Ich konnte mir kein besseres Geschenk für Killian vorstellen, als er mir einen selbst gemachten Anhänger in Form eines Pi gab. Unendliche Möglichkeiten verbergen sich im Verhältnis des Kreisumfangs zu seinem Durchmesser; unendliche Möglichkeiten für jedes Leben. Eine Zahl, die niemals endet. Wenn man Buchstaben in Zahlen umwandelt, dann kann man auch diese in Pi finden. Das bedeutet, dass jede Zahl mit einer Bedeutung – von unserem Geburtstag bis hin zu unserem Todestag – und jedes Wort, das je gesagt wurde, jedes Wort, das je gesprochen werden wird, in Pi existiert.

Ich liebe dich, wird zu 9 + 12 + 15 + 22 + 5 + 25 + 15 + 21 = 124.

Oder wie Killian sagt:

I = ein Buchstabe.

LOVE = vier Buchstaben.

YOU = drei Buchstaben.

TEN = 10

143,10.

Auch jetzt trage ich den Anhänger an einem Lederband um meinen Hals, er ist zugleich wunderschön und sehr nützlich. Sollte ich irgendwann in Schwierigkeiten geraten, brauche ich bloß draufzudrücken, und schon wird mein Standort sofort auf Killians Komm übertragen. So kann er mich in Sekundenschnelle aufspüren und mir helfen.

Jetzt aber werden wir uns erst einmal gegenseitig helfen und unser beider Leben durch einen unauflösbaren Schwur miteinander verbinden.

Doch was, wenn ich dann trotzdem nicht in der Lage sein werde, Myriad zu betreten?

Zero! Zweifel zeigt sein hässliches Gesicht, gefolgt von einer ganzen Herde von Zweifeln. Wird mein Licht Killian wehtun? Wird seine Dunkelheit mir schaden? Werden wir uns gegenseitig schwächen oder stärken? Wird unser jeweiliges Bündnis mit unserer Sphäre dadurch aufgelöst? Was, wenn danach keiner von uns mehr nach Hause zurückkehren kann?

Unser Erstleben war nur die Generalprobe. Jetzt aber geht der Vorhang auf, und wir spielen vor einem Live-Publikum. Jedes Wort, jede Tat oder Entscheidung zieht Konsequenzen nach sich. Wir bekommen keine zweite Chance, können keine Fehler korrigieren.

Mir wurde gesagt, dass ich irgendwie den Ausgang dieses Krieges beeinflussen werde. Doch was, wenn sich durch meinen Bund mit Killian das Blatt zugunsten von Myriad wendet?

Vielleicht sollte ich einen Rückzieher machen. Bloß … alles in mir sträubt sich dagegen. Die Sphären sind an einem Siedepunkt angelangt. Jeden Tag werden Unschuldige hingemetzelt. Es muss sich etwas ändern, und zwar schnell. Und das hier ist unsere größte Chance für Frieden. Unsere einzige Chance. Und wirklich, ich will Myriad genauso retten, wie ich Troika retten will. Ich sollte keine Sphäre über die andere stellen.

Also Klartext. Wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, dann gewinnt die Angst, und alle haben verloren.

Ich treffe keine Entscheidung nach dem Motto »Was wäre, wenn?«. Ich tue einfach, was richtig ist, immer. Denn am Ende bin ich es, die mit meinen Fehlern leben muss.

Die Zweifel können mich mal.

Killian drückt meine Hand. »Du wirst immer blasser, Mädchen. Noch kannst du es dir anders überlegen.« Sein Akzent – eine Mischung aus Irisch, Schottisch und keine Ahnung was noch – ist stärker als sonst, seine Stimme klingt tief und heiser und unwiderstehlich sexy. »Ich will dich nicht unter Druck setzen.«

»Es ist nur … Ich wünschte, dass wir uns mit anderen gemischtsphärischen Paaren unterhalten könnten. Wir sind bestimmt nicht die Ersten aus Troika und Myriad, die sich ineinander verlieben. Das kann nicht sein.« Doch obwohl wir überall gesucht haben, konnten wir niemanden finden. Entweder verstecken sie sich … oder sie sind tot.

Er versteift sich, als würde er mit einem vernichtenden Schlag rechnen.

»Wir können die Zeremonie verschieben und erst noch weitersuchen.«

Und genau wieder hier landen, nur dass es dann vielleicht zu spät ist. »Wir ziehen das jetzt durch. Ich teile mein Licht mit dir, und du teilst deine Dunkelheit mit mir. Und danach trete ich durch den Schleier der Mitternacht.« Im Eingang zu Myriad erfrieren Troikaner normalerweise, sie sterben den Zweittod. Aber ich bin ja gleich Halb-Myriaderin. Vielleicht. Wahrscheinlich. Daumen drücken.

Er ist noch nicht zufrieden. »Wenn du das nur für deine Mutter tust …«

Mom ist im Zwinger, einem myriadischen Gefängnis, eingesperrt. Ich werde sie finden und sie befreien, damit sie sich nach Troika absetzen und dort meinen kleinen Bruder Jeremy großziehen kann. »Sie ist nur einer von vielen Gründen«, sage ich.

Er entspannt sich, allerdings nicht sehr. »Du bist erst siebzehn. Wir können auch in ein paar Jahrzehnten den Bund miteinander eingehen, okay?«

Jahrzehnte? Ich atme den vertrauten und geliebten Geruch nach Torffeuer und Heidekraut tief ein. Seinen Geruch. Ruhe, so warm und süß wie Honig, erfasst mich. »Ich bin fast achtzehn, und du bist auch erst neunzehn. Na und? Wir haben gelebt, sind gestorben und leben wieder. Ich warte nicht länger, um für das zu kämpfen, was richtig ist, und ich warte ganz sicher nicht länger auf dich.«

»Du sollst aber nichts tun, was du irgendwann bereuen wirst.«

Sein Akzent ist jetzt stärker denn je und somit süß und köstlich wie Sirup, weil es bedeutet, dass er in diesem Moment seine Gefühle nicht im Griff hat. Was mich wiederum ganz schwach macht und mein Blut erhitzt. »Wie könnte ich ein Wunder jemals bereuen?«, frage ich.

Er hebt eine dunkle Augenbraue, seine unglaublich schönen Augen glitzern. »Das musst du erklären.«

»Es gibt über einhundert Milliarden Galaxien, und es werden immer mehr! Es gibt unermesslich viele Universen, zwei Sphären in der Unendlichkeit, zwei Untersphären, neun Planeten in unserem Sonnensystem, hundertsechsundneunzig Länder, sieben Ozeane und über siebenhundert Inseln. Die Tatsache, dass wir einander gefunden haben – ist ein Wunder.«

Er lacht. »Versuchst du gerade, mich zu verführen, Mädchen? Falls ja, es funktioniert.«

Dieser Junge. Ach, dieser Junge. Er ist es, der mich verführt. Mein Herz, meine Seele, meinen Körper. Ich liebe ihn.

Aber schön. Streichen wir Liebe einmal aus dieser Gleichung. Das würde keine Rolle spielen. Auch dann würde ich ihm vertrauen. Wieder und wieder hat er gegen die Befehle seines Zweitkönigs gehandelt, um meine Familie zu beschützen. Er hat mir immer geholfen, obwohl er mich eigentlich hätte bekämpfen sollen.

»Es funktioniert zwar, bringt dich aber trotzdem nicht zur Ziellinie, hm?«, ziehe ich ihn auf. »Ich kann nicht fassen, dass du mich jetzt dich überreden lässt. Das Ganze war doch deine Idee. Vielleicht sollte ich warten, bis du auf die Knie fällst und mich anbettelst, mein Mann werden zu dürfen.«

Sein Humor ist wie weggeblasen, sein Gesicht wirkt angespannt.

»Ich werde sicher nicht betteln. Ich musste als Kind um Essen betteln, um zu überleben. Jetzt würde ich lieber sterben, als um irgendwas zu betteln.«

»Hey, hey.« Auch meine Heiterkeit ist verflogen, ich lege eine Hand an seine Wange. Ein zärtliches Gefühl steigt in mir auf. Es gibt so viel, was ich nicht über ihn weiß. So vieles, das ich herausfinden will. »Ich habe nur einen Scherz gemacht, ehrlich.«

Er stößt zitternd den Atem aus. Eine Sekunde später verzieht er die Lippen zu einem trägen Lächeln, und kleine Hitzestöße jagen durch meinen Körper. Er ist unvorstellbar schön, obwohl seine Züge durch Grausamkeit geformt wurden, gerade so, als lebte und atmete purer Schmerz in ihm. Ich sehe ihn an und würde ihn am liebsten küssen und umarmen und schütteln, alles gleichzeitig.

»Tut mir leid«, sagt er. »Du weißt, dass ich dich jeden Tag meines Lebens lieben und ehren werde, ja?«

Das reicht. Schon bin ich hin und weg. Ein Lächeln – und ich liebe ihn nur noch stärker. Ein winziger Moment – und ich kann mir keinen einzigen Tag mehr ohne ihn vorstellen. Ein Satz – und ich bin glücklicher als jemals zuvor.

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen zarten Kuss auf die Lippen zu drücken.

»Wirst du auch mich lieben und ehren? Ich meine, du trägst die troikanische Rüstung. Denkst du etwa, dass die Ehe ein Schlachtfeld ist?«

Seine Augen funkeln belustigt, aber seine Stimme klingt ernst.

Ich zerre unbehaglich am Kragen meines schwarzen Catsuits.

»Das war nur ein Witz, nur ein Witz.« Killian streicht mit den Fingerknöcheln über mein Kinn. »Du siehst immer gut aus, egal, was du trägst. Ich kann mir keine schönere Braut vorstellen.« Seine Stimme klingt heiser. »Und später, ohne alles, wirst du noch besser aussehen.«

Meine Wangen werden heiß.

Jetzt lächelt er wieder, übermütig, erstaunt und schwärmerisch, und berührt mit den Daumen meine Wangen. »Deine Augen sind wie Minibildschirme. Man kann darin alle deine Gefühle sehen.«

Andere behaupten, ich sei vollkommen undurchschaubar. Killian kennt mich besser als die meisten und will mich trotzdem. Nicht, weil ich eine seltene Strömerin bin, sondern weil ich ich bin. Tenley Lockwood. Ein Mädchen, das immer und immer wieder versagt hat, das aber auch immer wieder aufsteht, um für die gute Sache weiterzukämpfen.

»Heute erschaffen wir eine neue Zukunft«, sage ich. »Aus Feinden werden Freunde.«

»Der erste Schritt hin zum Frieden zwischen unseren Sphären.«

Wind pfeift vor der Höhle, es schneit, doch im Innern prasselt ein warmes Feuer. Mein Blick fällt auf die hintere Wand, in die die numerische Entsprechung unserer Namen eingeritzt ist: 68 + 39.

Killian: 11 + 9 + 12 + 12 + 9 + 1 + 14 = 68

Ten: 20 + 5 + 14 = 39

68 + 39 = 107

»Sonett 107« von William Shakespeare.

Not mine own fears, nor the prophetic soul

Of the wide world dreaming on things to come,

Can yet the lease of my true love control,

Suppos’d as forfeit to a confin’d doom.

The mortal moon hath her eclipse endur’d

And the sad augurs mock their own presage;

Incertainties now crown themselves assur’d

And peace proclaims olives of endless age.

Now with the drops of this most balmy time

My love looks fresh, and Death to me subscribes,

Since, spite of him, I’ll live in this poor rhyme,

While he insults o’er dull and speechless tribes;

And thou in this shalt find thy monument,

When tyrants’ crests and tombs of brass are spent.

Mit anderen Worten, Liebe ist nicht der Zeit unterworfen, nicht einmal dem Tod.

Irgendwo in meinem Hinterkopf vibriert das Netz zustimmend und schenkt mir neues Vertrauen. Ich tue tatsächlich das Richtige. Wir werden siegreich sein.

Früher mal hat mich diese unsichtbare Verbindung mit anderen Troikanern gestört. Jetzt bin ich heilfroh darüber, denn diese Unterstützung kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Ich frage mich nur, wer unsere Verbindung gutheißen sollte? Niemand außer mir weiß davon.

»Was auch immer als Nächstes geschieht«, sagt Killian, »vergiss nicht, dass ich dich liebe.«

Dieser Krieger, der zu den schrecklichsten Taten fähig ist, beugt sich herab, um seine Nase an meiner zu reiben.

»In Ordnung?«

»In Ordnung.« Ich werde es nie vergessen, und ich werde nie müde werden, diese Worte von ihm zu hören. »Ich liebe dich auch.«

Sein Lächeln kehrt zurück, und wow, es bohrt sich wie ein Liebespfeil in mein Herz. Killian ist mehr als nur schön. Er ist Leben. Die eisblauen Flecken in seinen Augen … es gibt acht davon. Acht ist die Ordnungszahl von Sauerstoff. Killian ist mein Sauerstoff, der Grund, weshalb ich atme.

»Bereit?« Er zieht erneut meine Hand an seine Lippen und liebkost die Knöchel mit seiner Zunge.

Mein Magen schlägt einen Purzelbaum. Gäbe es keine Hüllen, dann wären Myriader und Troikaner nicht in der Lage, sich ohne heftigste Schmerzen zu berühren. Hüllen dämpfen normalerweise die Sinnesempfindungen, doch heute spüre ich alles.

»Sag mir, was ich tun muss.« Ich keuche.

»Unser Wort ist unser Bund. Sprich, und es wird geschehen. Wir werden uns schlicht und ergreifend ewige Treue schwören.«

So schlicht und ergreifend, wie unser Ewigleben an eine der Sphären zu binden. Okay, das bekomme ich auf jeden Fall hin. Dass es einfach ist, ändert aber nichts an der Schwierigkeit. Ich verspreche mein Leben – meine Zukunft – einem anderen Menschen.

Er hebt das Kinn. »Ich fange an.«

Als er meine Hände loslässt, werde ich von Panik gepackt. Ich habe meinen Anker verloren. Doch dann berührt er mein Gesicht, als wäre es zerbrechlicher als Glas.

»Tenley Nicole Lockwood, du hast mir ein Leben über mein Grab hinaus geschenkt. Vor dir wusste ich nicht, wie kraftvoll es sich anfühlt, mit einer anderen Person verbunden zu sein. Du hast das Beste in mir gesehen, selbst als ich dir das Schlimmste gezeigt habe. Du hast mir vertraut, als alle Beweise auf das Gegenteil hindeuteten. Dafür schenke ich dir mein Ewigleben. Alles, was ich bin, alles, was ich habe, gehört dir.«

Ganz ruhig, mein Herz. Wie nur kann ich solch einem herrlichen Schwur gerecht werden? Nun, ich muss es versuchen.

Nein. Troikaner versuchen nicht. Troikaner tun es. »Killian …« Zero! »Ich kenne deinen zweiten Vornamen nicht.«

»Niall.«

Killian Niall Flynn. Fünf L. Vier N.

5 + 4 = 9

Killian Niall Flynn + Ten = 5 L und 5 N.

5 + 5 = 10

10 = das Dasein. 1 + 2 + 3 + 4 = 10. (1) der Erstkönig (2) die Zweitkönige (3) menschliches Leben (4) die vier Elemente: Erde, Luft, Feuer und Wasser.

Zehn ist die Vollendung: das Ende eines Zyklus, der Beginn eines neuen.

Konzentration!

Ups. Mein Fehler. Ich neige dazu, mich in Zahlenzauber zu verlieren, wenn ich nervös bin. Dabei gibt es überhaupt keinen Grund, nervös zu sein, oder? Das ist schließlich Killian. Mein Killian. Gemeinsam können wir mit allem umgehen, was auf uns zukommt.

»Killian Niall Flynn.« Ich schlinge die Finger um seine Handgelenke und sehe ihm in die Augen. »Du hast mich vor meinem Grab gefunden und mir gezeigt, wie man lebt. Vor dir kannte ich nur Enttäuschung und Betrug, doch du hast mich immer wieder aufgefangen, wenn ich fiel. Du hast mich getragen, als ich zum Gehen zu schwach war, und du hast mich immer an erste Stelle gesetzt, obwohl du damit Folter und sogar den Zweittod riskiert hast. Dafür schenke ich dir mein Ewigleben. Alles, was ich bin, alles, was ich habe, gehört dir.«

Sein Gesicht entspannt sich, und ich wünschte, wünschte so sehr, dass meine Familie und meine Freunde dabei sein könnten, wenn wir den Bund eingehen. Während meine Mutter im Zwinger gefangen ist, befindet mein Vater sich gerade in der Ausbildung zum myriadischen Agenten. Aber er hasst mich ohnehin. Meine Tante Lina, seine Zwillingsschwester, ist verschwunden. Niemand weiß, wo sie sich aufhält.

Lina kann in die Zukunft sehen. Als Kind hat sie mir ein Lied beigebracht, das mir dabei half, aus Viele Enden zu entkommen. Erst vor ein paar Wochen hat sie mir ein weiteres Lied beigebracht und mir damit das Leben gerettet, als mein angeblicher Freund – Victor Prince – mich umzubringen versuchte.

Mein Leben hat so viele falsche Wendungen genommen, doch jetzt endlich befinde ich mich auf dem richtigen Weg. Bloß … ich runzle die Stirn. »Ich fühle mich kein bisschen anders.«

»Wir sind auch noch nicht fertig.« Killian tritt zurück und lässt die Arme an den Seiten herabfallen. »Raus aus deiner Hülle, Mädchen.«

Mich verwirrt dieser Befehl, ich gehorche trotzdem. Er steigt aus seiner Hülle und gewährt mir so den Anblick von zwei potenziellen Ehemännern. Die leblose Hülle und das Geistwesen – der echte Killian. Normalerweise ist er von Dunkelheit umgeben, von seinem ganz persönlichen Rauchschleier. Jetzt wirkt diese Dunkelheit gedämpfter, auch wenn noch immer kein Licht von ihm ausgeht.

Er ist so viel größer als ich, dass ich zu ihm hochsehen muss, hoch und höher. Narben ziehen sich wie Kreise um seinen Hals wie Beweise für die Qualen, die er in seinem Zweitleben erdulden musste.

Ich strecke die Hand aus, um mit einer Fingerspitze über die vernarbte Haut zu streichen, widerstehe dem Drang aber, kurz bevor ich ihn berühre. »Du warst dein Leben lang ein Geistwesen. Warum hast du dich nicht erneuert, nachdem du verletzt wurdest?«

»Ein Geistwesen kann sich bis zum Alter der Perfektion nicht komplett regenerieren. Die Narben, die man als Kind bekommt, trägt man für immer.« Er lockt mich mit dem Zeigefinger zu sich. »Komm her. Ich würde dich jetzt nämlich gern küssen.«

Der Kuss. Natürlich! Eine Vermählung endet mit einem Kuss.

Ich gehe auf ihn zu, begierig, und er nimmt mich in seine starken Arme. Dann küsst er mich, es ist unser erster Kuss als Geistwesen, keine Barriere ist mehr zwischen uns, Killian ist nicht sanft, sondern fordernd, pure männliche Aggression, und ich genieße jede einzelne Sekunde.

Alles an ihm lässt mich an verbotene Nächte und sinnliche Gelüste denken.

Diesmal erfriere ich nicht fast bei unserer Berührung, ich verbrenne eher, Lust packt mich. Der Schmerz, den ich sonst fühlte, ist nichts als eine ferne Erinnerung.

Erkenntnis: Wir können uns berühren, ohne schmerzhafte Folgen in Kauf nehmen zu müssen.

Ich sinke gegen ihn und vergesse den Rest der Welt, während ich seinen süßen Geschmack genieße.

Es ist besiegelt. Dieser Junge ist jetzt mein Ehemann. Und das hier, dieser Kuss als miteinander verbundenes Paar, ist alles, wovon ich je geträumt habe, und mehr. Es ist …

Ein Eiszapfen durchbohrt mich und schleudert mich quer durch die Höhle. Ich knalle gegen die Wand und rutsche schwer atmend zu Boden. Schmerz jagt durch meinen rechten Arm. Keuchend senke ich den Blick und muss zweimal hinsehen. Auf meiner Haut erscheint ein Bild so schwarz wie Tinte und von der Form eines … Pferdes?

Über dem Tier stehen die Worte Loyalität, Leidenschaft, Freiheit.

Loyalität gegenüber meiner Sphäre. Leidenschaft für die Wahrheit. Freiheit für alle.

Diese Worte tauchten direkt nach meinem Ersttod auf. Besser gesagt waren es Zahlen. Doch in dem Moment, in dem ich herausfand, wofür diese Zahlen standen, haben Worte ihren Platz eingenommen.

Warum ein Pferd? Dafür muss es einen Grund geben. Es gibt immer einen Grund.

Ich durchforste mein Hirn, doch alles, was mir dazu einfällt, ist, dass Killian mich einmal mit einem Schlachtross verglichen hat.

Das Schlachtross scharrt hartnäckig mit den Hufen, freut sich über seine Kraft und stürmt in die Schlacht, es scheut das Schwert nicht. Der Köcher klappert an seiner Seite, daneben der blitzende Speer und die Lanze. In fieberhafter Erregung galoppiert es über die Erde; es kann nicht still stehen, sobald die Trompeten erklingen. Beim Schall der Trompeten schnaubt es »Aha!«. Es wittert schon von Weitem den Geruch der Schlacht, hört den Schrei eines Feldherrn und die Schlachtrufe.

Aber ich bin nicht zum Kämpfen hier. Ich bin hier, um Frieden zu schaffen. Es sei denn …

Mein Mund wird trocken. Bereit oder nicht, eine weitere Schlacht steht uns bevor.

Auf einmal sehe ich nur noch unscharf, ich stöhne auf. Ich bin Licht, und nie zuvor war es wichtiger, sehen zu können! Es hilft, heftig zu blinzeln, und jetzt kann ich mich auch nach Killian umsehen. Dasselbe schreckliche Phänomen muss ihn getroffen haben, denn er lehnt an der Wand auf der anderen Seite. Als unsere Blicke sich treffen, streckt er mir eine Hand hin, sodass ich die Zahlen, die in sein Handgelenk tätowiert sind, sehe.

143,10. I love you, Ten.

Unter den Zahlen entdecke ich ein neues Bild. Ein Pferd. Passend zu meinem, wobei seins weiß und meins schwarz ist.

Seine Augen leuchten vor … Nein, unmöglich! Die Flecken, die ich so liebe, können nicht in echte Flammen aufgegangen sein und zugleich sowohl mit Licht als auch Schatten flackern.

Ich muss sofort zu ihm, doch meine Muskeln fühlen sich wie Eisblöcke an. Und das Netz …

Das Netz! Meine Verbindung zu Troika und die stete Erinnerung daran, dass es so viel mehr auf der Welt gibt – auf meiner Welt – als das, was wir sehen und spüren können.

Schatten tanzen durch das Netz, wo sich unendlich viele Türöffnungen abzeichnen. In manchen Räumen habe ich Licht gespeichert. Andere gewähren mir eine Verbindung zum Bewusstsein verschiedener Bewohner. Und eine Tür öffnet sich in die Stille, wo unsere Toten die Ewigkeit in Frieden verbringen.

Stechendes Heimweh erfasst mich. Meredith, Archer und Levi sind dort. Ich vermisse sie schrecklich.

Die Schatten strahlen Hass aus, während sie in einen Raum nach dem anderen zu gelangen versuchen. Mit aller Macht bemühe ich mich, die Türen geschlossen zu halten, wobei ich gleichzeitig mit Informationen bombardiert werde. Dunkelheit wird anhand der Abwesenheit von Licht gemessen. Diese Schatten, was auch immer sie sind, müssen von Killian und unserem Bund gekommen sein, und zugleich erscheinen sie mir so vertraut … als ob sie alte Freunde wären. Wie ist das möglich?

Spielt keine Rolle. Ich … muss … etwas … tun. Sofort!

Da mir nichts anderes übrig bleibt, ändere ich die Taktik und öffne die Tür zu einem meiner Lagerräume. Ein kraftvoller, blendender Lichtstrahl schießt heraus. Die Schatten zischen, manche sterben in dem Moment, in dem sie in Kontakt mit dem Licht kommen, andere schlittern davon, und oh, Zero, scharfer Schmerz explodiert in meinem Kopf, und ich schreie.

Ich darf nicht aufgeben. Werde stark im Licht, stirb in der Dunkelheit.

Zwischen einem Atemzug und dem nächsten verschwindet der Schmerz, und in meinem Kopf öffnet sich eine Szene. Eine Erinnerung, die nicht meine eigene ist.

Ich stehe in einer Türöffnung und sehe, wie ein junges Paar einen Flur hinuntergeht. Dreizehn Kinder stehen neben mir aufgereiht, alle unter zehn Jahre alt. Das Paar bleibt stehen, um einem kleinen Mädchen eine Frage zu stellen, das sie anschließend wegschicken, dann wenden sie sich an einen kleinen Jungen. Auch er wird weggeschickt. Die nächsten drei Kinder ignorieren sie, dann bleibt das Paar stehen, um die Zähne des vierten Kindes zu betrachten.

Sie kommen immer näher …

Ich bin nervös. Ich würde alles dafür geben, eine Familie zu haben – wirklich alles –, aber niemand gönnt mir auch nur einen zweiten Blick. Was stimmt nicht mit mir? Was fehlt mir?

Das ist leicht zu beantworten: so ziemlich alles.

Früher einmal dachten meine Vorgesetzten, ich sei dazu bestimmt, General zu werden. Damals wollte mich jeder haben. Doch dann habe ich nicht die nötigen Fähigkeiten dafür entwickelt, und aus Wohlwollen wurde Verachtung.

Ich strenge mich wirklich an, und ich trainiere härter als alle anderen zusammen. Ich habe gelernt, wie man mit einem Schwert und mit allen möglichen Schusswaffen umgeht. Selbst mit Stag und Oxi, den gefährlichsten Waffen im Waffenarsenal eines Agenten. Eines Tages werde ich mehr Troikaner töten als jeder General in der Geschichte. Das schwöre ich.

Hauptsache, ihr gebt mir eine Chance. Bitte!

Das Paar geht weiter … sie sind jetzt so nah bei mir … die Frau mustert mich und schüttelt fast unmerklich den Kopf, bevor sie schweigend an mir vorbeigeht. Mir wird schwer ums Herz, jeden Moment werden mir Tränen über die Wangen laufen.

Mir? Ich und heulen? Niemals! Ich hebe das Kinn. Wenn sie mich nicht wollen, schön, dann will ich sie auch nicht. Ich bin im Zentrum der Lehre sowieso besser aufgehoben.

Die Szene verschwindet, und ich – Ten – öffne blinzelnd die Augen. Hier bin ich wieder, zurück in der Höhle, keuchend und schweißgebadet und zitternd vor Kälte. Ich habe mich geirrt. Der Schmerz ist nicht abgeklungen; er wurde nur immer schlimmer.

Diese Erinnerung … es ist Killians. Das weiß ich einfach. Er starb kurz nach seiner Geburt und verbrachte seine Kindheit im Zentrum der Lehre, einem myriadischen Waisenhaus.

Menschen – in Fleisch und Blut genauso wie als Geistwesen – können so grausam sein. Durch und durch verdorben. Abscheulich und erbarmungslos. Andererseits – wenn man tiefer blickt, dann entdeckt man vielleicht auch bei ihnen Verletzungen. Noch tiefer, und man findet ein Kind, das sich nach Anerkennung und Zuneigung sehnt.

Ein Kind wie Killian früher. Mein Ehemann hat das Schlimmste erlebt, was die Welt einem zu bieten hat. Ich würde diesen Jungen so gern in den Arm nehmen und ihn trösten und den Mann, der er geworden ist, bewundern.

Ich sehe ihn an. Er liegt auf dem Rücken und zerrt an seinen Haaren. Wie ich keucht und schwitzt er, aber er murmelt etwas: »Töten. Töten. Töten.«

Töten … wen? Erlebt er gerade eine meiner Erinnerungen?

»Ich bin hier«, sage ich. »Ich bin …«

Ich breche ab, denn mir bleibt fast das Herz stehen, als ein Mann und eine Frau in unsere Höhle stürmen.

2. KAPITEL

»Im Leben geht es um das, was du bekommst. Was du nicht hast, kannst du auch nicht genießen.«

Myriad

Ten

Jetzt erkenne ich die beiden Eindringlinge. Es handelt sich bei ihnen um zwei troikanische Generäle: Shamus Campbell und Luciana Rossi. Hinter ihnen tauchen vier Agenten auf, die ich nicht kenne. Insgesamt also sechs Eindringlinge.

Sechs: symbolisiert Schönheit und hohe Ideale. Der sechste Sinn: übersinnliche Wahrnehmung. Das sechste astrologische Tierkreiszeichen: Jungfrau.

Konzentration! Leises Getrappel außerhalb der Höhle. Noch mehr troikanische Agenten?

Killian ist in Gefahr.

Panik kriecht mir über den Rücken, mein Blut gefriert zu Eis. Doch sosehr ich auch versuche, mich zu bewegen, mein Körper reagiert nicht. Sobald ich die Arme nur etwas anhebe, drohen sie aus den Gelenken zu springen. Egal. Mich kann nichts aufhalten.

»Töten, töten.« Zwischen jedem einzelnen Befehl – Wunsch? – knurrt Killian wie ein verletztes Tier. »Töten!«

Shamus, ein großer, fassförmiger Rothaariger mit blasser Haut und zahllosen Sommersprossen, schlägt sich mit der Faust auf seine gepanzerte Brust, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er hat die dunklen Augen zusammengekniffen, ein Muskel in seinem Kiefer zuckt. »Was haben Sie getan, Miss Lockwood? Und jetzt sagen Sie nicht nichts.« Er hat einen ähnlichen Akzent wie Killian.

Luciana, eine schlanke Dunkelhaarige mit hübscher brauner Haut und auffallenden grauen Augen, weicht etwas vor mir zurück, das Gesicht vor Abscheu verzerrt. »Ich kann Ihnen sagen, was sie getan hat. Sie hat uns alle ins Verderben gestürzt.«

Verderben …

Hat sie recht? Das darf nicht sein. Das darf einfach nicht sein.

Ich blicke zu Killian hinüber. Mein frischgebackener Ehemann zerrt weiter an seinen Haaren.

Und meine hochfliegenden Hoffnungen stürzen in tiefste Tiefen hinab.

»Raus«, fährt Shamus die TAs an. »Sofort.«

Die vier Soldaten verlassen ohne Widerrede die Höhle.

Ich versteife mich. Der General hat den Stand ausgeglichen. Zwei gegen zwei. Ziemlich töricht für einen kriegserprobten Veteranen. Es sei denn, er will keine Zeugen haben …

Bereit, meinen Körper als Schutzschild zu benutzen, quäle ich mich durch die Schmerzen hindurch und – plopp. Meine Schulter ist tatsächlich aus dem Gelenk gesprungen. Oder vielleicht wieder zurück ins Gelenk. Ein Pfeifen kommt aus meiner Lunge. Doch das war es wert, denn endlich kann ich mich bewegen. Ich krabble auf Killian zu, wobei jeder Zentimeter, den ich ihm näher komme, den brennenden Schmerz noch verschlimmert.

Ich darf mich nicht aufhalten lassen. Nein, ich werde mich nicht aufhalten lassen. Wilde Entschlossenheit treibt mich voran – ich wünschte nur, sie würde mir Flügel verleihen.

»Töten. Ich muss töten.« Killian ist in seiner eigenen Welt gefangen.

»Du wirst überhaupt niemanden töten, du Sohn eines Myriadertrolls.« Eine Hand um den Griff seines Schwertes geschlungen, stakst Shamus auf ihn zu.

»Halt! Er weiß nicht, was er da sagt.« Meine Stimme ist kaum zu hören, ich habe den Blick auf die Liebe meines Lebens geheftet. So nah und doch so weit entfernt. Verzweiflung bohrt sich wie ein Stachel in mein Herz.

An jedem anderen Tag hätte ich das Komm benutzt, das sich im Unterarm eines Geistwesens oder einer Hülle befindet. Ich bräuchte nur ein paar Knöpfe zu drücken, und schon würde ich an Killians Seite transportiert, und solange ein Teil von mir einen Teil von ihm berührt, könnten wir beide einfach verschwinden. Irgendwohin, wo wir in Sicherheit sind. Doch ich Idiotin habe das Komm deaktiviert, damit mich meine Leute während meines Treffens mit Killian nicht aufspüren können.

Ich hätte wissen müssen, dass sie mich so oder so aufstöbern würden.

»Halt«, wiederhole ich und krieche noch einen Zentimeter näher. »Das ist ein Befehl.« Als Strömerin stehe ich einen Rang über den Generälen. Als Neuling in Ewigleben jedoch bedeutet mein hoher Rang praktisch nichts.

»Wir können ihm gar nichts antun«, faucht Luciana. Sie streckt einen Arm aus, um Shamus aufzuhalten. »Sie haben uns sehr effektiv die Hände gebunden, Miss Lockwood.«

Obwohl die Schatten nicht länger durch meinen Kopf ziehen, kann ich noch immer nicht so richtig klar denken. Ich bemühe mich, ihre Worte zu begreifen, muss aber schließlich das Handtuch werfen. »Ich verstehe nicht.«

»Sie haben mit ihm den Bund geschlossen, oder nicht?« Sie spuckt die Worte praktisch aus, als würden sie faulig schmecken. »Dieser Bund zwingt uns, den Lieblingsschlächter von Myriad zu verschonen, während wir gleichzeitig dabei zusehen müssen, wie Sie, eine von nur zwei Strömerinnen, langsam dem Wahnsinn verfallen.«

Wahnsinn? Nein. Absolut nicht. Wobei …

Vielleicht? Diese Schatten … Zwar bedrohen sie in diesem Moment das Netz nicht, doch spüre ich sie noch immer. Es ist eine kalte, feuchte Präsenz, die ich nicht loswerde, sie verbirgt sich irgendwo in meinem Hinterkopf.

Bei dieser Erkenntnis fange ich an zu zittern.

»Glauben Sie vielleicht, der Schlächter ist der erste Myriader, der eine Troikanerin heiratet?« Sie legt eine Hand auf den um ihre Hüfte geschnallten Dazer. Ein Schuss reicht, um den Getroffenen für Stunden außer Gefecht zu setzen. »Ich lebe schon sehr lange. Immer wieder einmal haben jemand aus Troika und jemand aus Myriad beschlossen, alles aufs Spiel zu setzen und den Bund miteinander zu schließen. Da ein solcher Bund beide Sphären in Gefahr bringt, werden die Parteien so schnell wie möglich eliminiert und die Namen aus der Datenbank gelöscht.«

Ich reiße die Augen auf. Irgendwann werde ich mich mit allem, was sie gerade sagte, befassen – hoffe ich. »Wagen Sie es nicht, auf mich zu schießen. Denn damit würden Sie dafür sorgen, dass mein Licht die Bewohner von Troika nicht länger erreicht.« Wenn ich mich nicht bewegen kann, kann ich auch kein Licht reflektieren.

»Das werde ich nicht, darauf haben Sie mein Wort.« Sie hebt das Kinn. »Obwohl Sie in Wahrheit nicht besonders viel reflektieren, nicht wahr, Miss Lockwood? Die Schatten des Schlächters haben Ihr Licht gedämpft, während sie zugleich unserem Netz schaden, uns allen schaden.«

Das stimmt nicht. Absolut nicht. Ja, da sind Schatten. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie anderen etwas antun. Ich werde dagegen ankämpfen.

Nicht jeder Kampf kann gewonnen werden, flüstert ein weiterer Zweifel.

»Hören Sie auf, ihn den Schlächter zu nennen«, sage ich. Um mich etwas zu beruhigen, beginne ich zu zählen. Eins. Zwei. Drei. Vier. Das olympische Symbol besteht aus fünf Ringen. Fünf Finger an jeder Hand, fünf Zehen an jedem Fuß. Take five … bedeutet eine Pause machen. Tief einatmen, langsam ausatmen.

»Aber Sie …« Lucianas Augen werden zu Schlitzen. »Wir können weder Sie noch den Schl… Mr. Flynn eliminieren. Was dem einen widerfährt, widerfährt auch dem anderen.«

Schock. Diese Information trifft mich wie ein Faustschlag, ich weiche etwas zurück.

In meinem augenblicklichen Zustand fällt es mir schwer zu begreifen, was ich da höre. Also würde ich ebenfalls getötet werden, wenn jemand Killian ersticht oder erschießt, und umgekehrt? Okay, das ist nicht gerade eine ideale Entwicklung, aber einigermaßen kontrollierbar. Was ich allerdings nicht akzeptieren kann, ist die Gefahr, in der meine Sphäre schwebt. Ich würde lieber tausend Tode sterben, als Unschuldigen ein Leid zuzufügen.

»Warum hat man mich über die Auswirkungen eines Bundes nicht informiert?«, will ich wissen.

»Man hat Ihnen schließlich gesagt, dass es gefährlich ist, sich mit Myriadern einzulassen«, fährt Shamus mich an. »Das hätte als Warnung reichen müssen. Nur eine Idiotin würde jemals ihrem Feind ewige Treue schwören.«

Autsch. Diese Worte sind wie eine Schandglocke, die läutet, ganz gleich, wohin ich gehe.

»Haben Sie vergessen, wie viele Troikaner Mr. Flynn ermordet hat?« Luciana stemmt die Fäuste in die Hüften. »Oder ist Ihnen das einfach egal?«

Wie kann sie es wagen, damit anzufangen! »Er hat gekämpft und Menschen getötet, ja, aber nicht kaltblütig, sondern auf dem Schlachtfeld. Das ist ein Unterschied. Und mal ehrlich, Sie haben sicher kein Recht, mit Steinen zu werfen. Ich könnte wetten, Sie haben mindestens genauso viele Myriader getötet, oder vielleicht nicht?«

Dank des Netzes weiß ich, dass man sie in Troika als Friedenssoldatin bezeichnet. Nach eineinhalb Jahren Folter in der Prynne-Anstalt – in die mich meine Eltern schickten, weil ich mich geweigert hatte, bei Myriad zu unterzeichnen – weiß ich nur zu gut, dass man Frieden manchmal nur mit einem Schwert erreichen kann.

Luciana errötet. Vor Wut … oder Scham? Vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen vor Stolz?

Shamus schüttelt den Kopf. »Ich kann einfach nicht glauben, dass unsere Strömerin so dumm war, sich mit einem Myriader zu verbinden, der nichts anderes im Sinn hat, als uns zu vernichten. Lieber würde ich Glas fressen.«

Doppel-Autsch. Die Antwort Sie sollten es besser glauben scheint mir nicht sonderlich klug. »Es ist geschehen. Und es kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden.« Ich will nicht, dass es ungeschehen gemacht wird. »Sie müssen mir vertrauen. Ich habe nur das Beste für uns im Sinn. Lassen Sie mich einfach weitermachen, und zwar Volldampf voraus.«

»Ich glaube ja nicht mal, dass Sie das Beste für sich tun. Und schon gar nicht für mich.« Luciana zerrt mich auf die Beine, dann schlingt sie einen Arm um meine Hüfte, um mich aufrecht zu halten.

Vor Wut schlage ich innerlich Blasen und starre sie finster an. Ich hasse Schwäche jeglicher Art, was vermutlich der Grund ist, weshalb ich mich von der ersten Sekunde an so zu Killian hingezogen fühlte. Er ist ein reißender Strom aus Energie und Ehrgeiz. Nichts kann ihn aufhalten.

Die Generalin verstärkt ihren Griff. »Vor Jahrhunderten hat sich eine Freundin von mir in einen Myriader verliebt.«

»Mit Freundin meint sie Mutter«, mischt Shamus sich ein.

Luciana wirft ihm einen vernichtenden Blick zu. »Am Ende hat sie den Bund mit ihm geschlossen. Er hat das ausgenutzt, um in das troikanische Netz zu gelangen. Und jetzt raten Sie mal! Er ließ seine Leute herein. Ihre Schatten haben unser Netz ausgefüllt. Um sie aufzuhalten, musste ich meine eigene Mutter töten – und jeden, den sie beschmutzt hatte. Jeden, den die beschmutzten. Begreifen Sie denn nicht? Wir alle sind miteinander verbunden. Was den einen berührt, berührt alle.«

Mein Magen rebelliert, aber nur kurz. Falls – wenn – ich Schatten ins Netz bringe, dann hat jeder Einzelne die Möglichkeit, sich gegen sie zu wehren wie die Generalin, und auf diese Weise von ihnen unberührt zu bleiben. Es gibt also Hoffnung, selbst wenn ich versagen sollte.

»Ein Bund, der aus Liebe geschlossen wurde, kann kein Fehler sein«, erkläre ich in ruhigem Ton.

»Sie wissen doch überhaupt nichts über die Liebe«, entgegnet sie, ihr Ton ist kühl. »Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung. Gefühle können sich von einer Sekunde auf die nächste ändern, wie der heutige Tag bewiesen hat. Als Sie nämlich entschieden haben, sich nur wegen eines hübschen Gesichts gegen Troika zu wenden.«

In gewisser Weise hat sie recht. Liebe ist eine Entscheidung. »Er ist mehr als nur ein hübsches Gesicht.« Viel mehr. »Und am Ende werden wir Troika retten. Das werden Sie schon noch sehen. Es gibt gute und schlechte Myriader, genauso wie es gute und schlechte Troikaner gibt. Wir haben eine Chance auf Frieden verdient.«

»Sie haben den Tod verdient«, faucht Shamus.

»Wenn Sie sich für was Besseres halten, dann sind Sie in Wahrheit nicht besser als irgendwer«, fauche ich zurück.

»Glauben Sie vielleicht, dass es hier nur um Vorurteile geht, Kleine?« Er betrachtet mich höhnisch. »Sie leben noch nicht lange in der Sphäre. Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe. Sie sind nicht wieder und wieder von diesen Lügnern und Dieben betrogen worden.«

»Töten.« Killian zerrt an einer seiner Haarsträhnen. »Töten, töten.«

Auf einmal fällt mir das Atmen schwer. Vergessen wir mal den Krieg, in diesem Moment ist mein Ehemann wichtiger. Meine Stimme überschlägt sich, als ich frage: »Was fehlt ihm?«

»Oh, einfach alles.« Luciana schüttelt mich leicht. »Von allen gemischtsphärischen Paaren, die ich aufgestöbert, beobachtet und getötet habe, hatte die myriadische Hälfte anfangs immer die größeren Probleme, mit dem Bund zurechtzukommen. Unser Licht attackiert ihre Schatten mit aller Kraft, während ihre Schatten unser Licht eher langsam verführen. Allerdings haben Troikaner dann am Ende einen schweren Kampf.«

Die Hitze weicht aus meinem Gesicht, dann aus meinem Oberkörper und schließlich aus meinen Füßen. Welche neuen Schrecknisse erwarten mich in der Zukunft?

»Das sollte Sie nun wirklich nicht überraschen.« Shamus stiert mich an. »Von Anbeginn der Zeiten sind Schatten gekrochen, während Licht explodierte.«

Egal, was passiert, wir werden es überwinden. Wir werden es nicht nur überwinden, wir werden triumphieren. Daran nicht zu glauben hieße, eine Niederlage zu akzeptieren.

»Töten, töten.«

»Das reicht.« Shamus runzelt die Stirn und geht erneut auf Killian zu.

Obwohl ich mich in Lucianas Griff winde, gelange ich nicht schnell genug zu ihm. »Ich sagte, sie sollen stehen bleiben, General.« Ich muss den Jungen, der von einer Familie nach der anderen abgelehnt wurde – selbst von der, die ihn schließlich adoptierte –, beschützen. Denn ich bin jetzt seine Familie. »Killian gehört zu uns. Er wird zu uns überlaufen.«

»Leere Versprechungen.« Statt Killian zu packen, umkreist Shamus ihn und nimmt ihm einen Dolch ab, den er um die Hüfte geschnallt trägt. »Aber ich bin weder ein Lügner noch ein Narr. Ich habe lediglich vor, den Jungen abzuholen. Er kommt mit uns nach Troika.«

Ich werde ganz starr, innerlich und äußerlich. »Killian kann also ohne Probleme den Schleier der Flügel passieren?«

»Ja«, faucht Luciana. »Gratulation. Sie haben dafür gesorgt, dass der Schlächter unbeschadet in unserer Mitte herumspazieren kann.«

»Sind Sie sicher?« Ich werde Killians Leben bestimmt nicht aufs Spiel setzen. Und ich werde auf Lucianas Schlächter-Kommentar nicht eingehen. Nicht schon wieder. Erstens würde sie meinen Protest sowieso ignorieren. Zweitens verstehe ich ja, dass sie Killian misstraut. Er hat unsere Leute getötet und Hunderte Menschen für Myriad rekrutiert, wenn nicht Tausende. Aber was vergangen ist, ist vergangen. Wie Gefühle können sich auch Menschen ändern. Allerdings wird nur die Zeit zeigen, dass sie sich irrt.

Sie nickt und sagt: »Ja, leider bin ich das.«

Ich werde von kühler, süßer Erleichterung erfasst. Irgendwann einmal muss ein Myriader, der mit einem Troikaner den Bund geschlossen hat, unsere Sphäre betreten haben und nicht nur unser Netz.

»Wir werden dafür sorgen, dass Mr. Flynn in Sicherheit ist«, sagt Shamus, »wenn Sie für die Auferstehung von General Orion stimmen.«

Das ist eine nur schwach verschleierte Drohung, da bin ich mir sicher. Ich bin es, die entscheiden wird, welcher der in diesem Jahr gefallenen Soldaten von den Toten auferstehen soll.

»Warum Orion und nicht Levi?«

»Unsere Gründe spielen keine Rolle.« Luciana verstärkt ihren Griff. »Eine Abmachung ist eine Abmachung.«

Ganz genau. »Und ich würde nie vorschnell eine Abmachung treffen. Egal, was für eine. Ich würde niemals einer Sache zustimmen, ohne sämtliche Einzelheiten zu kennen.«

Shamus, der nach wie vor dabei ist, Killian zu entwaffnen, geht in die Knie und schnappt sich eine Pistole, die um dessen Fußknöchel befestigt ist. »Für Orion ist Troika das Wichtigste. Und nur das zählt.«

Falsch. Etwas anderes zählt sogar noch viel mehr. Wir brauchen jemanden, für den wir alle das Wichtigste sind. Doch diese Tatsache behalte ich vorerst für mich. »Ich werde für die Person stimmen, die meine Vision einer besseren Zukunft teilt.« Bisher habe ich den Kreis auf Archer, Meredith und Levi eingegrenzt. Tut mir leid, Elizabeth.

Und ich lasse mich natürlich nicht unter Druck setzen, nicht wahr?

Killian öffnet blinzelnd die Augen. Er steht wankend auf, weicht vor uns zurück, schüttelt den Kopf und schlägt mit der Faust an seine Schläfe. Dann zieht er in Lichtgeschwindigkeit einen Dolch hervor, den Shamus übersehen hat, und richtet ihn – auf mich.

»Du lebst«, knurrt er, sein Akzent ist verschwunden.

Ich flippe fast aus. Jedes Wort, das er ausstößt, ist scharf genug, um Stahl zu schneiden.

Das Problem ist, dass mein Herz nicht aus Stahl ist, sondern aus so etwas wie Seide. Wenn das so weitergeht, wird er dieses Organ einfach schreddern und mich wund und verletzt zurücklassen.

»Was ist mit deinem Akzent geschehen?«, frage ich. Ich kenne ihn. Er unterdrückt ihn nur, wenn er jemanden auf Abstand halten will.

»Warum lebst du?«, fragt er weiter, als hätte ich nichts gesagt. »Du solltest angeblich sterben.«

Angeblich sterben? Im Sinne von: Er hat meinen Tod mit diesem Bund von Anfang an geplant?

Yep. Geschreddert.

Ich muss da was falsch verstanden haben. Mein Killian würde so etwas niemals tun. Niemals! Seine Liebe für mich war – ist – aufrichtig. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.

Dieser Irrsinn …

Ich beginne zu zittern, und Shamus wirft mir einen Blick zu: Ich hab’s doch gesagt.

Er rechnet damit, dass ich zusammenbreche. Wild entschlossen hebe ich das Kinn und sehe Killian voll an. Wir bekommen das hin. Das müssen wir. »Was du jetzt gerade empfindest, ist …«

»Halt die Klappe. Halt einfach die Klappe. Du bist … ich kann nicht …«

Er schüttelt heftig den Kopf, dann schlägt er mit dem Griff des Dolches gegen seine Schläfe, einmal, zweimal; Schmerz jagt durch meine Schläfe, ich zucke zusammen.

»Ich werde dich töten.«

Vor fünf Minuten hat er mich geküsst, als könnte er ohne mich nicht atmen. Und jetzt hasst er mich und will mich umbringen?

Immer noch nur ein Missverständnis, Lockwood?

Auf jeden Fall. So grausam kann das Leben nicht sein.

Doch wem mache ich hier etwas vor? Das Leben kann noch viel grausamer sein.

»Er erinnert sich nicht an Sie.« Luciana seufzt. »Das tun sie nie.«

Nein, nein. Killian würde mich niemals vergessen. Aber okay, mal angenommen, sie hat recht. Wissen ist Macht. Ich muss mehr herausfinden. »Wird er sich jemals an mich erinnern?« Ich schlucke den stachligen Klumpen hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. »Werde ich ihn auch vergessen?«

»Das weiß ich nicht.« Sie zuckt mit den Schultern, es ist ihr offensichtlich egal. »Wir mussten bisher dafür sorgen, dass kein Paar länger als einige Wochen zusammen überlebt.«

Das bedeutet? Dass sie die Paare getötet hat?

Oh Zero. Genau das ist es, was sie getan hat.

Ich hole hastig Luft, aber meine Lunge weigert sich zu arbeiten. Wäre ich keine Strömerin, würde sie mich ebenfalls umbringen. So viel hat sie bereits klargestellt.

Killian sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an, und mein Magen zieht sich zusammen. »Erinnere dich an mich. Bitte.« Hilf mir. Ich glaube, ich schaffe es nicht allein.

»Ich werde dich töten«, sagt er und runzelt die Stirn. »Aber ich will dich nicht töten.«

Nun, dank dem Erstkönig dafür. Mein Killian ist noch da. »Du musst dagegen ankämpfen«, sage ich, Erleichterung verleiht mir Kraft. »Kämpfe für mich. Für uns.« Für die Sache. Wir haben so viel zu tun.

»Ich soll für eine Zielperson kämpfen?«

Er grinst mich höhnisch an, als ob ich nicht nur ein Feind, sondern auch noch ein bescheuerter Feind wäre.

Halt. Er betrachtet mich als Zielperson? Er kann sich also wirklich nicht an mich erinnern.

Ich versuche, nicht die Fassung zu verlieren, obwohl meine Nerven blankliegen. Der Bund sollte uns eigentlich einander näherbringen und uns nicht auseinanderreißen.

Shamus nutzt Killians Unaufmerksamkeit aus und versucht ihm die Waffe mit dem Fuß aus der Hand zu treten. Doch Killian tritt ebenfalls zu. Darauf nicht vorbereitet, taumelt Shamus zusammengekrümmt nach hinten.

Killian ist ein geschickter Kämpfer. Der beste, den ich je gesehen habe. Jede Waffe, die er hält, wird ein Teil von ihm. Aber er ist jetzt nicht in der Verfassung zu kämpfen, was deutlich wird, als Shamus das Gleichgewicht wiederfindet, sich auf ihn stürzt und Killian mit seinen dicken Fäusten ins Gesicht schlägt.

Ich keuche auf vor Entsetzen und Schmerz, es fühlt sich an, als wäre ich es, die verprügelt wird. Ich sehe Sternchen, allerdings auch das glitzernde Lebensblut, das aus Killians Nase sprudelt. Und mir läuft ebenfalls ein warmer Schwall Lebensblut über das Kinn.

Schwer schnaufend, als wäre ich gerade einen Marathon gerannt, wische ich mir mit zitternder Hand über das Gesicht. Im Schein des prasselnden Feuers sieht die Flüssigkeit genauso atemberaubend aus, wie sie unendlich wertvoll ist. Jeder Tropfen ist wichtig, um zu leben. Je mehr ich davon verliere, desto schwächer werde ich. Zumindest stellt sich hiermit Lucianas Behauptung als wahr heraus. Jede Verletzung, die Killian sich zuzieht, erlebe ich ebenfalls.

Killian stolpert nach hinten, woraufhin Shamus ihm auch noch die letzte Waffe abnimmt. Aber ich kenne Killian, ich weiß, wozu er fähig ist – lässt er das dem General wirklich durchgehen?

Es gelingt mir, mich von Luciana loszureißen. Schon stürze ich mich mit ausgestreckten Armen zwischen die beiden Kampfhähne.

Schatten lachen hämisch, und ich zucke zusammen. Stärkt es die Dunkelheit etwa, wenn ich in Killians Nähe komme?

Flammen funkeln noch immer in seinen Augen – in seinen wilden, irre blickenden Augen. Stärkt es sein Licht, wenn ich in seine Nähe komme?

»Bitte hör auf«, sage ich. »Du bist verletzt.« Er muss Ambrosia zu sich nehmen, was Myriads Version von Manna ist. Dann wird er sich in Sekundenschnelle erholen. »Hast du …«

Er stößt einen Arm nach vorn und schlingt die Hand um meinen Bizeps. Wäre ich ein Mensch, hätte er mir mit diesem Griff den Oberarmknochen gebrochen.

Shamus und Luciana eilen zu uns, doch Killian wirbelt mich herum, presst mich mit dem Rücken an seine Brust und drückt einen Dolch an meinen Hals. Was aber noch viel schlimmer ist: Er tut es, ohne zu zögern. Kaltes Metall trifft auf warmes Fleisch, und beide Generäle erstarren zu Eis.

Mein Herz hämmert unregelmäßig, ich schlinge die Finger um sein Handgelenk. »Du willst mir nicht wehtun, Killian. Wir haben den Bund geschlossen. Unser Plan ist …« Ich presse die Lippen zusammen. Jedes Wort, das ich jetzt sage, wird den anderen Generälen übermittelt werden und sogar meinem Zweitkönig. Was auch immer hier geschieht, ich werde irgendwann an einem Debriefing teilnehmen müssen, um meine Worte und Taten zu erklären. Und eine Jury wird dann über mich urteilen.

Mich wegen eines Verbrechens verurteilen – und bestrafen?

»Du liebst mich«, sage ich.

»Da irrst du dich. Ich wäre nie so dumm, mich in eine Troikanerin zu verlieben.«

»Schön. Wenn du nicht an unsere Liebe glaubst, dann glaub zumindest an unseren Entschluss …« Argh! Wieder muss ich vorsichtig sein. Wenn andere erfahren, dass wir in Myriad und Viele Enden eindringen wollen, werden sie vielleicht für entsprechende Hindernisse sorgen.

Und Hindernisse gibt es auch jetzt schon zu viele.

Ich sage ein Gedicht auf, in der Hoffnung, dass er es versteht:

Du kannst mir nicht vertrauen.

Ich würde lügen, wenn ich sage

»Heute, morgen, für immer wirst du für mich an erster Stelle stehen.«

Und

»Du bist mein Ein und Alles.«

Ich gestehe

Ohne Zögern

Ich werde dich gehen lassen.

Es sind nur Lügen, wenn ich sage

»Wir werden das durchstehen.«

Hör zu. Hör mir jetzt zu.

Ich liebe dich nicht.

Glaub niemals

Ich liebe dich.

In schweren Zeiten spiele ich mit Zahlen, ja. Und ich mache auch Gedichte. Dieses Gedicht kann umgedreht werden und beweist somit, dass es zwei Seiten in einer jeden Geschichte gibt. Gut und schlecht. Licht und Dunkelheit. Segen und Fluch. Sollen die Generäle und alle anderen denken, dass ich Killian hasse und an einer Art Strategie zugunsten Troikas arbeite, doch bitte, bitte, bitte lass Killian die Wahrheit erkennen.

Er erkennt sie nicht. Das wird mir klar, als er die Spitze des Dolches in meine Haut pikt und ein Tropfen Lebensblut über meinen Hals rinnt. Er keucht allerdings leise auf, da er denselben Schmerz wie ich fühlen muss.

Unsere Verbindung ist wenigstens noch intakt, auch wenn er seine Erinnerung verloren hat.

»Gemischtsphärische Paare wenden sich irgendwann immer gegeneinander.« Shamus seufzt. »Aber von euch beiden hatte ich erwartet, dass es zumindest nicht sofort passiert.«

Ich würde eher sterben, als Killian zu hintergehen. Zu dumm nur, dass mein Gatte im Moment nicht dasselbe für mich empfindet.

»Ich werde jetzt zusammen mit diesem Mädchen die Höhle verlassen«, sagt Killian. »Und Sie beide werden …«

Wuuusch!

Von einem blauen Strahl durchbohrt, stöhnt er auf. Er wurde von einem Dazer getroffen und ist nicht länger in der Lage, sich zu bewegen. Zero! Ich ebenfalls nicht.

Ich starre Luciana wütend an.

»Ich habe Wort gehalten«, sagt sie unbeeindruckt. »Ich habe nicht auf Sie geschossen. Ich habe auf den Schlächter geschossen.«

Wortspielerei.

Mein Magen zieht sich zusammen wegen all der zerbrochenen Träume und Hoffnungen. Killian und ich, wir sind nun wie Anker füreinander. Wenn Troika beschließt, dass ich das Theater nicht länger wert bin, können sie uns beide gleichzeitig mit einem einzigen Schlag vernichten. Dasselbe gilt für Myriad. Tötet man den einen, tötet man den anderen.

Ich will nicht sterben, aber ich habe auch keine Angst vor dem Ende. Wovor ich Angst habe: vor Killians Ende. Er soll die Chance bekommen, das Leben zu führen, das ihm immer verweigert worden ist.

»Bringen Sie den Jungen nach Troika in einen Schutzraum«, sagt Luciana zu Shamus. »Verraten Sie niemandem, wo er ist, am allerwenigsten Miss Lockwood.«

Was? Nein. Sie werden mich nicht von Killian trennen, während er in Troika ist, und schon gar nicht, solange er mich hasst. Denn auf diese Weise kann sein Hass weiter schwären und schlimmer werden. Wenn wir hingegen zusammen sind, kann ich ihn daran erinnern, warum er mich liebt.

»Was ist aus Ihrem Wunsch geworden, die Sache mit Fingerspitzengefühl anzugehen, hm?«, fragt Shamus. »Was ist mit der Wahl?«

Sie kneift ihre grauen Augen zusammen und mustert mich. »Wenn sie herausfinden will, wo ihr Geliebter sich befindet, wird sie für Orion stimmen müssen.«

Soll das verflucht noch mal ein Witz sein? Ich werde hier erpresst, und zwar von Generälen! Liebe und Ehre werden bei uns doch angeblich so hoch geschätzt; Rache und Hinterlist dürften gar keine Option sein, niemals.

Es gibt noch einen anderen Weg, wispert eine Stimme durch das Netz. Eine Stimme, die ich nie zuvor gehört habe und die ich dennoch als meine eigene erkenne. Verführerisch und verlockend, zu gut, um wahr zu sein, und zugleich zu finster, um gut zu sein.

Die Stimme kommt aus meinem tiefsten Inneren. Ein Ort, der jetzt von Schatten getrübt ist. Ein Ort, von dem ich nichts wusste … der schlimmste Teil von mir. Dort entdecke ich Rachegefühle, Hass und tausend andere Dinge, die ich dachte, hinter mir gelassen zu haben.

Die Schatten kamen gar nicht von Killian, wie mir nun klar wird. Sie kommen aus mir selbst. Jahrelang hielten sie sich verborgen und warteten nur darauf, sich auszubreiten.

Und doch antworte ich: Welchen? Sage es mir.

Lass sie dafür bezahlen. Lass sie alle dafür bezahlen.

3. KAPITEL

»Man kann einen Narren nicht aus den Ketten befreien, die er liebt.«

Troika

Killian

Schmerz. Hitze. Ich werde aufgefressen! Flammen verschlingen mich von Kopf bis Fuß. Wenn mir die Haut von den Knochen schmilzt, werde ich vermutlich brüllen und fluchen und um Gnade winseln, aber überrascht werde ich nicht sein.

Ich werde mich wahrscheinlich nicht einmal wehren.

Ein Teil von mir ist bereit zu sterben, denn der Tod wird eine Erlösung sein. Ich werde mit einer anderen Seele verschmolzen wiedergeboren. Zwei werden zu einem. Doch ein Teil von mir will jetzt leben. Denn der Feind ist hier – zwei troikanische Generäle, die mich tot sehen wollen. Und denen tue ich den Gefallen nicht. Im Gegenteil. Statt einfach nur zu überleben, werde ich triumphieren.

Während ich um jeden einzelnen Atemzug ringe, lausche ich dem Gespräch der beiden Generäle.

Die Frau: »Nach allem, was ich in der Vergangenheit beobachten konnte, wird er sich in die schlimmste Version seiner selbst zurückverwandeln. Je mehr er sich gegen seine dunklen Triebe wehrt, desto mächtiger werden sie … wohingegen sie nach und nach verfallen wird.«

Der Mann: »Sie sind also praktisch beide am Arsch. Und wir auch.«

Ich konzentriere mich auf meinen Kern, suche nach Antworten. Wo bin ich? Wie kam ich hierher, wieso befinde ich mich in diesem Zustand? Doch ich bin wie ein unbeschriebenes Blatt und finde keine Antworten. Gefühle allerdings schon. Eine Welle von Trauer, Bedauern und Schmerz überflutet mich, als hätte sie sich seit Monaten angestaut, von einem Damm zurückgehalten, den es jetzt nicht mehr gibt.

Wut mischt sich darunter, es ist, als würde saurer Regen in meiner Brust fallen. Wem kann ich denn vertrauen, wenn nicht mir selbst? Ich brauche meine Erinnerungen.

Was hat die Generalin vorhin gesagt? Myriader haben anfangs immer die größeren Probleme, mit dem Bund zurechtzukommen. Unser Licht attackiert ihre Schatten mit aller Kraft, während ihre Schatten unser Licht eher langsam verführen. Allerdings haben Troikaner dann am Ende einen schweren Kampf.

Bund?

Wahrheit oder Lüge?

Lichtstrahlen bohren sich in meinen Schädel, sie leuchten so schrecklich hell. Dagegen winden und ranken sich die Schatten durch meine Gedanken, meine Erinnerungen und sogar durch das Netz, um … mich zu beschützen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie auch immer, diese Schatten lassen mich im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln.

Autor

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