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Minecraft - Der Monstertrupp: Wer hat Angst vorm Creeper?

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Ein neuer Feind treibt sein Unwesen – aber für den Monstertrupp ist kein Hindernis zu viel!
Mal, Lenna, Tom und Chug sind mittlerweile große Helden! Zusammen sind sie durch die Oberwelt gereist, in den Nether hinabgestiegen und haben wieder und wieder ihre Heimatstadt Cornucopia gerettet. Also warum erhalten sie noch immer keinen Respekt von den Stadt-Ältesten?! Die Einzige, die sie wirklich versteht, ist Nan, Mals Ur-Ur-Ur-Großmutter, die sie trainiert hat. Doch dann wird Nan schwer krank. Klar, dass der Trupp nicht untätig sitzen bleiben kann. Schließlich soll es außerhalb der Stadt einen verzauberten goldenen Apfel geben, der Nan retten könnte. Doch draußen vor den Toren schleicht ihnen ein merkwürdiges Wesen hinterher. Wer ist dieser neue Feind, der sich hinter einem Creeper versteckt?

Das dritte Abenteuer für den Monstertrupp!


  • Erscheinungstag: 24.10.2023
  • Aus der Serie: Minecraft Roman
  • Bandnummer: 12
  • Seitenanzahl: 304
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505151354

Leseprobe

Für dich.
Ja, dich.

Da draußen wartet die große, weite Welt,
und du besitzt das Herz eines Abenteurers.
Gib dich nie nur mit Kartoffeln zufrieden.

1.
ÄLTESTER STU

Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Stu, bin der älteste Älteste, die zweitälteste Person in Cornucopia, und DU BLEIBST GEFÄLLIGST INNERHALB DER STADTMAUER. Hörst du, Kindchen? WAGE DICH NIE HINAUS IN DIE OBERWELT.

Die Gründer unserer Stadt haben Cornucopia schließlich aus gutem Grund ummauert. Die Welt ist nämlich Furcht einflößend. Und mordsgefährlich. Da draußen lauern blutrünstige Tiere und Fremde, die dir ans Leder wollen.

Es mag ja sein, dass dich dort auch eine hübsche Aussicht und interessante Leute und unglaubliche Reichtümer erwarten. Wälder und Meere und Smaragde und Axolotl, was immer das sein soll. Und es mag auch sein, dass die guten Leute von Cornucopia allesamt von großen Abenteurern abstammen und wir alle potenziell mutig, erkundungsfreudig und kreativ sind, bla, bla, bla.

Alles Humbug, wenn du mich fragst.

Völliger Nonsens.

Bleib hinter der Mauer, Kindchen. Hier gibt es alles, was du brauchst.

Geh da nicht raus.

Wer weiß, was dich dort erwartet.

Womöglich dein Verderben.

Und jetzt husch, verschwinde aus meinem Laden. Kinder sind laut und anstrengend. Deshalb habe ich auch nie eigene bekommen. Ich mag mein Leben wie meine Stadt: ruhig, still und langweilig.

Ach so, bevor du gehst – willst du vielleicht eine Hacke kaufen? Der Kartoffelanbau ist nämlich das Beste, was es gibt. Reihenweise Kartoffelpflanzen, so weit das Auge reicht. Jeden Tag Kartoffeln zum Abendbrot. Eine ordentliche Kartoffel hat noch niemandem geschadet.

Schwert und Rüstung brauchst du nicht. Genauso wenig wie eins dieser neumodischen Pferde.

Lass dich lieber in der Stadt nieder, bau deine Kartoffeln an und warte aufs Altwerden.

Merk dir meine Worte – die Oberwelt ist der absolut letzte Ort, an dem du sein willst.

Die Mauer ist deine Freundin.

2.
LENNA

Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Lenna, bin bei der ältesten und eigenartigsten Bewohnerin dieser Stadt in der Lehre, und du solltest nichts darauf geben, was der Älteste Stu von sich gibt. Er war nämlich noch nie jenseits der Mauer, die Cornucopia umgibt, obwohl in ihr inzwischen ein großes Loch klafft, durch das die Leute nach Lust und Laune kommen und gehen können, wie sie wollen.

Obwohl – nicht alle.

Es passt ihnen nämlich nach wie vor nicht, wenn meine Freunde und ich die Oberwelt bereisen.

Obwohl wir seit vier Generationen die Ersten waren, die dieses Abenteuer gewagt haben, und obwohl wir Cornucopia mittlerweile schon zweimal gerettet haben, denken Stu und die anderen Ältesten immer noch, dass wir nichts Gutes im Schilde führen.

Aber wir sind daran gewöhnt, von den Stadtbewohnern anders behandelt zu werden. Früher haben sie uns als schwarze Schafe bezeichnet, und manche tun das immer noch. Wir sind eben nicht so normal, wie sie uns gern hätten.

Wie gesagt, ich bin bei der ältesten, eigenartigsten Bewohnerin von Cornucopia in der Lehre – der Ururgroßmutter meiner besten Freundin Mal. Sie heißt Nan, aber wir nennen sie alle Oma. Sie ist die Hüterin der Stadtgeschichte, und wir sind gerade dabei, eine öffentliche Bibliothek aufzubauen, damit jeder hier mehr über unsere Vergangenheit und die Welt hinter der Mauer lernen kann – zum Beispiel über die Flora und Fauna der Biome, die es in Cornucopia nicht gibt. Von Oma habe ich auch gelernt, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht, wie man bestimmte Gegenstände herstellt und wie man ihre berühmten Kekse backt. Aber das Wichtigste: Sie hat mir beigebracht, dass nichts daran verkehrt ist, anders zu sein. Meine eigene Familie hat sich ständig über mich lustig gemacht, weil ich mich leicht in Tagträumen verliere und sie mich für ein wenig verrückt hielten. Aber Oma sagt, dass es eine Gabe ist. Langsam glaube ich ihr.

Mit den Taschen voller Kekse durchquere ich das Stadtzentrum von Cornucopia. Hier, wo die Häuser hoch sind und dicht gedrängt stehen, wohnen die meisten Ältesten und die eher traditionelleren Familien. Meine Freunde und ich haben uns weiter draußen angesiedelt. Ich wohne in einer kleinen Hütte neben Omas Haus in einem Wald, der sich fernab vom Zentrum an die Mauer schmiegt. Omas Ururenkelin wohnt bei ihren Eltern auf einem Gehöft mit Kühen, wo zwischen den Häusern mehr Platz zum Atmen und Anbauen ist. Chug und sein Bruder Tok leben inzwischen hinter ihrem Laden in Neu Cornucopia, einer noch jungen Siedlung außerhalb der Mauer. Jarro, der uns früher immer getriezt hat, aber jetzt unser Freund ist, hat gleich nebenan ebenfalls ein Geschäft eröffnet, wo er Pferde und Lamas züchtet, die er an Reisende vermietet.

Ich bin zum Frühstück mit meinen Freunden verabredet. Eigentlich ist es zu spät dafür, aber zu früh fürs Mittagessen, weshalb Chug die Mahlzeit »Spätstück« getauft hat. Er liebt es, Dinge zu benennen, aber besonders gut ist er darin leider nicht – weshalb sein Hausschwein Dingsbums heißt. Mein Haustier, eine zahme Wölfin namens Mohn, läuft schwanzwedelnd und mit heraushängender Zunge neben mir her. Sie liebt unser Spätstück genauso sehr wie wir, weil es bedeutet, dass sie mit Dingsbums und Toks Katzen Candor und Clarity spielen kann.

Früher hat mir das Zentrum Angst gemacht, weil Jarro und seine Handlanger Edd und Remy mir immer dort aufgelauert haben, aber inzwischen ist Jarro auf meiner Seite, und Edd und Remy sind jetzt alt genug, um arbeiten zu gehen … und zwar in der Mine meiner Familie. Absolut passend, wenn du mich fragst. Ich habe schon immer gewusst, dass die beiden dumm wie Steine sind, und jetzt können sie den lieben langen Tag mit ihresgleichen verbringen. Es ist eine Erleichterung, durch die Stadt zu gehen, nur noch hier und dort böse Blicke zu ernten und keine verrottete Rote Bete mehr in den Rücken geschleudert zu bekommen.

Mal erwartet mich vor ihrem Haus. Sie sitzt auf einem Zaun und krault ihren Lieblings-Stier Connor hinterm Ohr. Er muht fröhlich, und ich halte ihm ein Grasbüschel hin, das ich unterwegs auf einer überwucherten Koppel ausgerupft habe.

»Du hast mehr als Gras dabei, hoffe ich?«, fragt Mal und springt vom Zaun auf die Straße.

»Ich hab die Tasche, die Tasche voller Kekse«, singe ich, und sie hält mir ihre Faust hin, die ich mit meiner berühre. Das gefällt mir. Meine Freunde wissen, dass ich es nicht besonders mag, berührt zu werden, und die Geste ist ein guter Kompromiss.

Von Mals Hof aus ist es nicht weit bis zur Mauer, und sie erzählt mir unterwegs von den Erzen und Edelsteinen, die sie aus ihrer kleinen Mine hinter der Kuhweide geholt hat. Es ist schon komisch, dass ich in eine Familie aus Bergleuten hineingeboren wurde, deren Beruf ich verabscheue, während Mal erst in der Oberwelt ihre Liebe zum Bergbau entdeckt hat. Vielleicht lägen die Dinge anders, wäre ich als Einzelkind und umgeben von Kühen aufgewachsen, anstatt als Jüngste von zehn furchtbar ernsten Kindern mit furchtbar ernsten Eltern in einer furchtbar ernsten Mine schuften zu müssen. Aber so war es nun mal nicht, also werden wir es wohl nie erfahren. Ich bin einfach froh, dass ich Oma habe, die mein Potenzial erkannt hat. Jetzt bin ich glücklich, genau wie Mal – und wenn die Jungs sehen, wie viele Kekse ich mitgebracht habe, dann werden sie ebenso glücklich sein.

Die Tür in der Mauer kommt in Sicht, und das Herz sackt mir in die Hose, als ich die Leute erkenne, die sich uns bestimmt gleich in den Weg stellen werden.

»Oh, nein«, murmele ich.

Mal folgt meinem Blick und seufzt.

Mein ältester Bruder Lars baut sich vor uns auf.

»Namen, bitte«, sagt er, steckt sein Schwert weg und holt ein Buch hervor.

Mal und ich sehen einander an.

»Namen?«, wiederholt sie, denn sie ist viel mutiger als ich, besonders wenn es um meine Familie geht. Ich würde mich lieber einhundert Zombies stellen als meiner großen Schwester Letti. Lars ist nur ein Jahr jünger als sie und kein bisschen verständnisvoller.

Lars plustert sich auf. »Ganz recht. Die Ältesten haben beschlossen, dass wir die Namen aller dokumentieren, die die Stadt betreten und verlassen. Also sagt uns, wie ihr heißt.«

Er trägt eine komplette Eisenrüstung – die übrigens mein Freund Tok angefertigt hat – und am Gürtel hängt ein Schwert. Wer auch immer es für eine gute Idee hielt, Lars eine Waffe zu überlassen, hat sie nicht mehr alle.

»Du weißt, wie wir heißen«, kontert Mal. »Ihr seid Geschwister, und wir beide sind Cousins dritten Grades.«

Die andere Wache wirbelt herum und starrt uns finster an. Es ist Jami, einer der Schafhirten unserer Stadt. Ich kenne ihn nicht besonders gut, weil er erwachsen ist und meist auf seinem Hof bleibt, aber er gehört definitiv zu denen, die uns schon oft als schwarze Schafe bezeichnet haben. Auch er hat ein Schwert.

»Die Ältesten wollen nicht euren ganzen Stammbaum, Kinder, sondern nur eure Namen. Die Regelung ist neu, und ihr solltet euch daran halten. Also gebt uns schon eure Namen, damit wir uns wichtigeren Dingen zuwenden können. Wir haben viel zu tun.«

Ich sehe mich um. Auf der Straße ist weit und breit niemand außer uns zu sehen – keine einzige lebende Kreatur, so weit das Auge reicht.

»Womit seid ihr denn so beschäftigt?«, hake ich nach.

»Damit, rüpelhaften Kindern die Regeln zu erklären«, presst Jami durch zusammengebissene Zähne hervor.

Mal und ich sehen einander verwirrt an, dann zuckt sie mit den Schultern. »Ich bin Mal. Das ist Lenna. Können wir jetzt durch?«

Lars notiert unsere Namen im Buch, wobei ihm vor lauter Konzentration die Zungenspitze durch die Lippen rutscht. Schreiben war noch nie seine Stärke. »Mal und Klapsen-Lenna.« Ich zucke zusammen, als ich den alten Spitznamen höre, den er mich einfach nicht vergessen lassen kann. »Okay, dann meine Initialen und das Datum … Ziel?«

»Ziel?«, wiederholt Mal.

Lars seufzt dramatisch. »Wohin wollt ihr? Wir halten sowohl Ankünfte als auch Abreisen fest, also sagt uns, wohin ihr geht.«

»Wir sind in Neu Cornucopia mit Chug, Tok und Jarro zum Spätstück verabredet. Du erinnerst dich? Den anderen Teil unserer Stadt, der hinter der Mauer liegt?« Mals Gesicht nimmt langsam, aber sicher die Farbe ihrer flammend roten Haare an.

Lars notiert auch diese Informationen. »Na bitte, war das so schwer? Hättet ihr euch gleich an die Regeln gehalten, wären wir längst fertig.«

»Können wir jetzt gehen?«, fragt Mal.

Jami und Lars machen gleichzeitig einen Schritt rückwärts, als hätten sie es geübt. Gruselig.

»Seid vorsichtig da draußen, Bürgerinnen«, warnt uns Jami in seinem besten gebieterischen Ton. »Die Oberwelt ist ein gefährlicher Ort.«

Ich blinzele. »Warst du schon jemals dort, Jami?«

»Das spielt überhaupt keine Rolle«, empört er sich. »Ich wurde eingeteilt, um die Mauer zu bewachen, und ich nehme meine Aufgabe ernst.«

»Verschwindet lieber, ehe ihr ihn wütend macht«, spöttelt Lars. »Die Wachen erstatten den Ältesten jetzt täglich Bericht, und ihr wollt doch keinen Verweis, oder?«

»Was für einen Verweis?«

Sein Hohnlächeln verwandelt sich in ein gemeines Kichern. »Werdet ihr schon sehen.«

Mal und ich machen, dass wir wegkommen. Den ganzen Weg bis Neu Cornucopia rümpfe ich die Nase, als hätte ich etwas Schlechtes gerochen.

»Was das wohl sollte?«, frage ich. »Ich kann nicht glauben, dass jemand ausgerechnet Lars freiwillig etwas Scharfes gegeben hat. Früher ist ihm ständig die Spitzhacke auf die Füße gefallen. Deshalb haben ihn unsere Eltern irgendwann draußen zum Sortieren verdonnert.«

Mal zupft sich nachdenklich am Zopf. »Ich wette, das waren die Ältesten – bestimmt Stu und Gabe. Ihnen passt die Tür in der Mauer nicht, und jetzt wollen sie denen, die rauswollen, das Leben schwer machen.« Kopfschüttelnd sieht sie sich um. »Früher stand dort nur eine Wache in Alltagsklamotten, und es wurde immer irgendwer eingeteilt, der gerade Zeit hatte, um Besucher willkommen zu heißen. Jetzt haben wir zwei Wachen in voller Eisenmontur samt Waffen, die obendrein Befehle erteilen dürfen. Zuletzt waren wir vor gerade einmal zwei Tagen hier draußen, und da waren sie noch nicht da. Ich frage mich, was sie dazu bewegt hat, die Regeln zu verschärfen. Wir sollten Oma fragen. Nach dem Spätstück.«

»Meinst du nicht, wir sollten es lieber Brunch nennen?«

Sie rollt mit den Augen. »Ja, aber Chug sage ich das lieber nicht. Es würde ihm nur das Herz brechen. Du weißt doch, wie stolz er auf sein ›Spätstück‹ ist.«

Auf einem Tisch vor dem Laden, in dem die Brüder alles verkaufen, was Tok an Werkbank und Braustand herstellt, erwartet uns ein Festmahl, dessen Anblick uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

Chug hat köstliche Kuchen, Steaks, Kartoffeln und Brot aufgetischt, und Mal stellt einen Eimer mit frischer Milch dazu. Jarro gesellt sich zu uns, im Schlepptau seine Katze Miaui und ein entzückendes Fohlen mit gesprenkeltem Fell. Tok höre ich wie üblich an seiner Werkbank hämmern, aber als wir uns hingesetzt haben, ruft ihn Chug zu Tisch. »Tok! Beeil dich, Zeit zum Spätstück!«

Tok sieht super aus – seine Haare und Augenbrauen sind nachgewachsen, nachdem er sie während unserer letzten Expedition eingebüßt hatte, weil er damals noch lernen musste, wie man Tränke braut. Er lächelt, und um seine Füße schleichen seine Katzen und ihre Jungen.

»Ich habe den perfekten Namen für dein Babypferd«, erklärt Chug.

»Fohlen«, korrigiert Jarro.

»Nein, das klingt doof. Ich dachte da eher an … Achtung, Trommelwirbel … Sir Pferdchen.«

Einen Moment lang ist Jarro sprachlos. Kaum zu glauben, dass er uns früher bei jeder Gelegenheit tyrannisiert hat, denn jetzt, wo er sich nicht mehr in der Nähe seiner Mutter und seiner ehemaligen Kumpel aufhält, ist er freundlich. »Nein, ich meinte, ein Babypferd nennt man Fohlen. Und er hat bereits einen Namen, und zwar Al.«

Chug sackt ein wenig in sich zusammen. »Okay, aber das nächste nennst du dann Sir Pferdchen, ja?«, murmelt er. »Der Name ist doch toll. Oder Lord Wuffels – den würde ich auch akzeptieren.«

Jarro verschluckt sich an seinem Eintopf, und Chug klopft ihm hilfsbereit auf den Rücken, ohne zu merken, dass er der Grund für den Hustenanfall ist.

»Hey, Lenna«, ruft Tok, und ich richte den Blick auf ihn. »Weißt du, ob Oma Bücher über Redstone hat?«

»Was ist Redstone?«, hake ich nach, weil ich in einer Mine aufgewachsen bin und noch nie davon gehört habe.

»Ich finde manchmal so rote Blöcke«, wirft Mal ein. »Und wenn ich sie abbaue, kommt dabei ein komisches rotes Pulver heraus.«

»Genau, ich habe ein wenig damit herumexperimentiert.« Tok beugt sich vor. Seine Augen leuchten vor Aufregung. »Es ist wieder so wie früher, als ich ständig alles Mögliche ausprobiert habe, aber nie irgendetwas funktionierte. Ich glaube, hinter Redstone verbirgt sich irgendein Geheimnis, und ich stehe kurz davor, es zu lüften …«

»Wenigstens jagt er damit nichts in die Luft«, kommentiert Chug.

Ich schüttele den Kopf. »Bisher ist mir kein Buch darüber untergekommen, aber Omas Sammlung handelt auch vor allem von Pflanzen und Monstern und Biomen, nicht vom Bergbau. Vielleicht wissen meine Eltern oder Geschwister etwas darüber.«

»Örks«, macht Chug, und ich muss lächeln, weil es sich gut anfühlt zu wissen, dass meine Freunde hinter mir stehen.

»Sehe ich ähnlich. Lohnt sich nicht, die zu fragen.« Mals Blick wandert zur Mauer, während sie kauend die Stirn runzelt. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass Lars sich zum Wachdienst gemeldet hat.«

Ich seufze. »Ich schon. Manche tun alles dafür, um sich wichtig zu fühlen.«

»Hey, wisst ihr noch, als Lars mit dem Gesicht voran in einen Kuhfladen gefallen ist?«, fragt Chug.

»Ja, weil du ihn geschubst hast.« Tok grinst.

»Wow, das warst du? Auf die Aktion war ich immer neidisch. Cool!« Jarro streckt die Hand aus, und Chug und er führen eine komplexe Abfolge aus Handbewegungen aus, die mit einem Furzgeräusch endet.

Wir lachen bei der Erinnerung an den Tag, und mir wird bewusst, dass ich mir nie hätte träumen lassen, jemals so glücklich zu sein. Wir essen, bis wir so voll sind, dass wir uns stöhnend die Bäuche reiben und Mohn im Gras einschläft, umzingelt von zahlreichen Kätzchen und einem schlammbespritzten Schwein. Als es für Mal Zeit wird, nach Hause zu gehen, um ihre Arbeit zu erledigen, helfen wir den Jungs beim Abdecken und Aufräumen und verabschieden uns.

Als Lars uns diesmal nach unseren Namen fragt, sagen wir sie ihm einfach und gehen schleunigst, um seinem arroganten Grinsen zu entkommen. Ich hätte ihn nur zu gern an den Vorfall mit dem Kuhfladen erinnert, aber ich weiß genau, er würde irgendeinen Weg finden, mich dafür büßen zu lassen – vor allem, da er sich neuerdings für stark hält. Während Mal die Kühe melkt, erfreue ich mich an der Koppel, beobachte die Bienen und skizziere Vögel für das Buch, das ich gerade über Flora und Fauna schreibe. Die Kühe lieben Mal, aber sie werden nervös, wenn ich zu helfen versuche, weil meine Gedanken früher oder später immer abschweifen und sie es nicht mögen, von jemandem gemolken zu werden, der nicht ganz bei der Sache ist.

Kaum hat Mal ihre Arbeit beendet und die vollen Eimer fein säuberlich aufgereiht, folgen wir der Straße durchs Zentrum, um Oma frische Milch zu bringen. Der Älteste Stu steht vor seinem Laden und wirft uns finstere Blicke zu, und ich frage mich, warum er so ist, wie er ist – warum er so viel Angst vor allem hat, das nicht seinen Vorstellungen entspricht. Nicht alle alten Menschen sind so – schon gar nicht Oma.

Ich lächele, als wir uns der Hütte und den bunten Blumenkästen nähern, die wir gemeinsam bepflanzt haben. Bienen summen gemächlich um sie herum. Zu dieser Tageszeit sitzt Oma normalerweise draußen auf ihrem Schaukelstuhl, liest ein Buch und lässt sich die Nachmittagssonne auf die Nase scheinen, während sie auf ihre Milch wartet. Komischerweise steht die Tür heute offen, und als wir eintreten, sehen wir auch, warum.

»Oh, nein!«, ruft Mal. »Oma!«

3.
MAL

Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Mal, und sonst fällt mir gerade nichts ein, weil meine Ururgroßmutter eindeutig in Schwierigkeiten steckt.

Sie liegt bäuchlings auf dem Boden, alle viere von sich gestreckt, als wäre sie hingefallen. Mit ihren über hundert Jahren ist sie die älteste Einwohnerin von Cornucopia, aber mir kam sie trotzdem immer stark und agil vor. Ich knie mich hin und drehe sie mit Lennas Hilfe vorsichtig um. Oma blinzelt, schüttelt den Kopf und muss prompt husten. Ihre Haut ist grau und eingefallen, und ihr Blick geht ins Leere.

»Oma«, sage ich leise. »Was ist passiert?«

»Mara, bist du das?«, murmelt sie, und ich zucke zusammen, denn das ist nicht mein Name – sondern der meiner Mutter.

»Oma, ich bin’s, Mal.«

»Und Lenna.«

»Ja, Lenna ist auch hier. Bist du gestürzt? Tut dir irgendetwas weh?«

Oma schüttelt heftiger als vorhin den Kopf und leckt sich die trockenen Lippen, während sie sich abmüht sich aufzurichten. »Nichts ist passiert. Ich bin einfach alt, das ist alles. Ich brauchte ein kleines Schläfchen. Hilf mir ins Bett, Mara, ja? Der Boden ist alles andere als bequem.«

Langsam ziehen wir Oma auf die Füße und geleiten sie zu ihrem Bett. Kaum haben wir sie zugedeckt, sinkt sie seufzend ins Kopfkissen und schließt die Augen.

»Heute früh ging’s ihr noch gut, ich schwör’s«, sagt Lenna erschüttert und besorgt. »Sie ist vor mir aufgewacht und hat mit mir geschimpft, weil ich die Blumenkästen nicht gejätet hatte.«

»Oma, beschreib mir, was du fühlst«, bitte ich und nehme ihre Hand.

Sie blinzelt, und ihre Augen suchen nach mir.

So habe ich sie noch nie erlebt, und das macht mir furchtbare Angst.

»Mara, zieh ein anderes Oberteil an«, murmelt sie. »Alles voller Kuhhaare, also wirklich …«

»Nein, Oma. Ich bin’s. Mal. Maras Tochter. Seit wann fühlst du dich schlecht?«

Sie hustet, und endlich heftet sich ihr Blick auf mich. »Ich war draußen und habe gelesen. Mein Herz fing an zu flattern, also bin ich reingegangen, um etwas zu trinken. Aber dann fing alles an zu schwanken, als wäre ich auf einem Boot. Dann bin ich hingefallen. Ich war zu müde, um aufzustehen. Wirklich eigenartig. Und jetzt lasst diesen alten Leib ruhen, ja? Hmpf. Kinder. Lästiges Volk.«

Ihre Augen schließen sich, und ich sehe Lenna an. »Hast du je von so einer Krankheit gehört? Steht vielleicht etwas darüber in einem deiner Bücher?«

Lenna schüttelt den Kopf. »Ich kann noch mal nachsehen, aber ich glaube nicht.«

Ich sehe durch die offene Tür Richtung Stadt. »Bleibst du bei ihr? Ich gehe ins Zentrum und hole Tini und den Ältesten Gabe. Vielleicht haben sie eine Idee.«

Lenna wickelt Omas Füße in die Decke, geht zu einem Regal und zieht ein altes Buch heraus. »Geh nur. Ich behalte sie im Auge.«

Ich nicke und renne los, als wären mir tausend Skelettreiter auf den Fersen. Zum Glück ist das Zentrum nicht weit weg. Atemlos stürze ich in Tinis Laden. Stirnrunzelnd richtet sie den Blick auf mich. Eigentlich runzelt sie immer die Stirn, wenn sie mich und meine Freunde erblickt. Ich schätze, wenn du seltene Tränke verkaufst, die in Glasfläschchen aufbewahrt werden, ist ein Haufen wilder Kinder dein schlimmster Albtraum.

»Hilfe«, bringe ich zustande. »Es geht um Oma.«

Tini steht auf und streicht sich das graue Haar und die Robe glatt. »Was ist passiert? Ist sie gestürzt?«

Ich schüttele den Kopf. »Sie ist … krank. Ja, sie ist auch gestürzt, aber es war kein bloßer Unfall. Sie liegt jetzt im Bett. Ich glaube nicht, dass irgendetwas gebrochen ist, zum Glück.«

Tinis Brauen senken sich. »Warum bist du dann hergekommen?«

»Ich weiß auch nicht!«, rufe ich. »Damit du sie gesund machst! Das ist doch deine Aufgabe – Leute zu heilen!«

Sie stemmt die Hände in die Hüften und reckt die Nase in die Luft. »Ja, ist es. Und deine Aufgabe ist es, die Ältesten zu respektieren. Warst du schon beim Ältesten Gabe?«

»Ich bin zuerst zu dir gekommen.«

Das weckt ihren Stolz. Tini ist die nächste Kandidatin für den Aufstieg in den Rang einer Ältesten, sobald der Älteste der aktuellen Ältesten stirbt. Als Heilerin hat sie bestimmt einen speziellen Blick auf den Tod und so weiter, aber mir kam es trotzdem immer makaber vor, dass eine Person ungeduldig darauf wartet, dass eine andere endlich abtritt.

»Dann lass uns den Ältesten Gabe holen, und wir gehen zusammen hin. Es ist gut, dass du zuerst zu mir gekommen bist.«

»Wir müssen uns beeilen!«

Sie winkt ab. »Notfälle sind selten eilig, Kind.«

Ich glotze sie an. »Sind sie doch! Deshalb nennt man sie auch Notfälle und nicht … ich weiß nicht, Teepartys!«

Tini brummt missbilligend. »Tränke heilen Krankheiten oder eben nicht. Fünf Minuten machen da keinen Unterschied.«

Ich trete ungeduldig auf der Stelle, während sie in aller Ruhe ihr Kassenbuch zuklappt, die Tränke einschließt und dermaßen langsam zur Tür geht, dass ich wünschte, Chug wäre hier, um sie zu tragen. Sie bedeutet mir hinauszugehen und verschließt auch diese Tür sorgfältig. Ich renne vor zu Gabes Laden – Tini hingegen stolziert langsam und ruhig vor sich hin, als wolle sie jedem zeigen, dass sie ihre Pflicht erfüllt.

Ich hüpfe und laufe so langsam ich kann neben ihr her, und während wir unterwegs zum ältesten und mürrischsten Trankexperten der Stadt sind, fällt mir etwas ein. »Tini, warum hast du noch keinen Lehrling?«, frage ich.

Sie wirft mir einen Seitenblick zu, die Stirn wie üblich gefurcht. »Ah, das hat noch Zeit; so alt bin ich nicht. Sobald ich bereit bin, wähle ich eine meiner Töchter aus und bringe ihr meine Geheimnisse bei. Ich denke, Livi wäre die beste Wahl.«

»Aber wenn sie jetzt schon alles wüsste, könnte sie in deiner Abwesenheit den Laden hüten. Was, wenn noch ein Notfall passiert, während du bei Oma bist?«

Wieder winkt sie ab. »Das wird sich von selbst erledigen. Du weißt, wie wir die Dinge hier handhaben. Wir beschäftigen erst dann Lehrlinge, wenn wir zu Ältesten werden oder gesundheitlich abbauen; nicht, wenn wir noch selbst arbeiten können.«

Diesmal furche ich die Stirn, denn ich weiß, was sie eigentlich sagen will. Wenn sie jemanden in die Geheimnisse ihrer Kunst einweihen würde, könnte ihr dieser Jemand bei ihren eigenen Geschäften in die Quere kommen. Deshalb war zum Beispiel Werkzeug so teuer, bevor Tok gelernt hat, wie man es herstellt. Vor ihm war der Älteste Stu der Einzige in Cornucopia, der wusste, wie man mit einer Werkbank umgeht, und dieses Wissen hat er dermaßen argwöhnisch gehütet, dass niemand auch nur ahnte, dass die Dinger überhaupt existieren. Unsere Ältesten geben ihr Wissen erst dann weiter, wenn sie absolut keine Wahl haben … was ein Grund dafür ist, dass es in der Stadt so viele frustrierte junge Leute gibt. Vielleicht haben meine Freunde und ich vor unserem Abenteuer jenseits der Mauer deshalb ständig Ärger bekommen – wir hatten einfach nichts Sinnvolles zu tun, weil uns niemand beigebracht hat, wie das geht.

Trotz Tinis unendlich langsamem Tempo, das sich für mich wie sämig tropfender Honig anfühlt, erreichen wir bald Gabes Laden. Sie fährt sich durchs Haar und glättet schon wieder die Robe, ehe sie eintritt. Kaum hat er die Türglocke gehört, tritt Gabe theatralisch hinter dem Vorhang hervor, der seine Waren verbirgt.

Als er uns erblickt, sackt er sofort in sich zusammen.

»Ah, die junge Tini«, sagt er, obwohl die Frau alt genug ist, um meine Großmutter zu sein. »Was führt dich in meinen Laden? Brauchst du noch ein paar Tränke?« Er wackelt vielsagend mit den buschigen weißen Augenbrauen.

Weil der Älteste Tini unter keinen Umständen beibringen will, wie man Tränke braut, muss sie sie ihm abkaufen, um die Leute damit zu heilen. Als Tok herausfand, wie man Werkzeug herstellt und Tränke braut, hat das die Wirtschaft in der Stadt ordentlich durchgeschüttelt – was wahrscheinlich der einzige Grund ist, warum sie ihm erlaubt haben, sich hinter der Mauer niederzulassen. Auf diese Weise verliert Gabe nämlich nicht ganz so viele Kunden.

»Nein, Ältester Gabe«, mische ich mich ein, weil ich ehrlich gesagt keinen Nerv habe, Tinis Ausführungen zu lauschen. »Wir haben ein großes Problem …«

»Wieso, wer …? Was hast du gesehen?«, bellt er, sieht sich panisch um und hebt seinen Gehstock, als wäre er eine Waffe.

Ich habe keine Ahnung, warum er so schreckhaft ist, also fasse ich das Wichtigste zusammen. »Oma ist schrecklich krank. Ich weiß nicht genau, was mit ihr los ist, aber sie braucht Hilfe.«

Er atmet erleichtert auf und nickt mitfühlend, sodass ihm der Hut von der Glatze rutscht. »Ja, nun, kleine Mal, so ist das eben, wenn man älter wird. Das widerfährt uns allen.«

Ich schüttele den Kopf so heftig, dass mein Zopf hin- und herfliegt. »Nein. Das ist es nicht. Heute früh war noch alles in bester Ordnung, aber dann ganz plötzlich aus dem Nichts ging es ihr furchtbar schlecht.«

Gabe und Tini tauschen einen überraschten Blick.

»Nun, das magst du ja glauben«, sagt der Älteste mit einem mitleidigen Blick, »aber das ist unmöglich.«

»Dann komm mit zu ihrer Hütte und überzeuge dich selbst. Denn ich kann dir versichern, es ist sehr wohl möglich.«

»Kinder haben eben eine blühende Fantasie«, kommentiert Tini schulterzuckend.

Ich starre sie finster an. »Du meinst wirklich, ich bilde mir nur ein, dass meine Ururgroßmutter todkrank ist?«

Wieder tauschen sie einen Blick, und der Älteste Gabe seufzt schwer. »Also gut. Aber ich werde den Hausbesuch in Rechnung stellen müssen.«

»Genau wie ich«, beeilt sich Tini hinzuzufügen. »Verlorene Zeit, verlorener Umsatz …«

»Meinetwegen! Schickt der ältesten Bewohnerin der Stadt eine Rechnung. Ich bin sicher, das wäre ihr lieber, als zu sterben!«, schimpfe ich. »Und jetzt kommt!«

Ich marschiere voraus zur Hütte, Gabe und Tini folgen mir. Zuerst gehen sie langsam und versuchen sich gegenseitig in Erhabenheit und Hochnäsigkeit zu übertreffen, während Gabes Gehstock auf der gepflasterten Straße klackernde Geräusche verursacht. Doch kaum haben wir das Zentrum verlassen, gehen sie schneller – wahrscheinlich, weil ihnen einfällt, dass sie ihre Läden eher wieder öffnen können, je mehr sie sich beeilen. Ich renne in die Hütte und sehe, dass sich kaum etwas verändert hat. Oma liegt schlafend und flach atmend im Bett, Lenna sitzt neben ihr auf einem Stuhl. Ein Stapel Bücher türmt sich an ihrer Seite auf; ein blaues liegt auf ihrem Schoß.

»Der kleine Gabe«, stellt Oma verärgert blinzelnd fest. »Wehe, du belästigst noch einmal meine Kuh, du Lausbengel. Davon wird die Milch sauer.«

Der Älteste räuspert sich. »Hallo, Nan. Wie fühlen wir uns?«

Tini stößt ihm den Ellbogen in die Seite und drängelt sich an ihm vorbei. »Und, wie fühlen wir uns so, Nan?«

Oma richtet sich auf und runzelt die Stirn. »Ich fühle mich wie ein Steak, das jemand im Regen liegen gelassen hat. Schwach und alles tut weh.« Sie seufzt und sackt ein wenig in sich zusammen. »Ich würde ja sagen, ich werde alt, aber das predige ich schon seit zwanzig Jahren, ohne dass irgendetwas passiert.«

Tini und Gabe untersuchen Oma abwechselnd vom Scheitel bis zur Sohle, murmeln dabei vor sich hin und tauschen leise ihre Eindrücke aus, aber keiner von beiden scheint zu wissen, was ihr fehlt. Lenna durchblättert aufgebracht ein Buch nach dem anderen und murmelt Unverständliches, während die Bände auf dem Boden landen, ohne dass sie etwas findet.

Dann seufzt Tini und streicht sich die Robe glatt. »Diese Krankheit ist nicht bekannt. Mir scheint, als hätte dich schlicht das Alter eingeholt.«

»Papperlapapp!«, protestiert Oma lautstark, und ich muss grinsen, weil ich sie endlich wiedererkenne. »Ich habe noch dreißig Jahre vor mir! Mindestens!«

»Wir können nichts tun«, stellt Gabe fest und lässt den Kopf hängen. »Am besten, du bleibst im Bett und hältst eine strikte Borschtsch-Diät ein.«

»Lieber sterbe ich!«, bellt Oma.

»Nun, mir scheint, das wird so oder so passieren. Es tut mir furchtbar leid, Oma.« Der Älteste versucht, ihre Hand zu ergreifen, aber sie fuchtelt wild mit den Armen und trifft ihn dabei fast an der Nase.

»Ich liege nicht im Sterben!«, stellt sie klar und muss prompt wieder husten. »Verschwinde von hier, du alter Quacksalber!«

»Zuerst müssen wir über die Bezahlung r-«

»Schick mir doch deine dumme Rechnung! Aber wenn ich sterbe, bezahle ich nicht!«

Der Älteste und Tini eilen nach draußen, und Oma legt sich wieder hin. Ich nehme ihre Hand, sie seufzt tief und sieht mich mit nassen Augen an.

»Sie können mir nicht helfen«, sagt sie. »Mit ihren Tränken. Was immer ich habe, Tränke sind dagegen wirkungslos.«

»Was können wir dann tun?«, frage ich, wobei auch mir die Tränen in die Augen steigen. »Vielleicht kann Tok irgendetwas für dich erfinden. Oder wir gehen in den Nether und finden dort etwas, das dir hilft. Was immer nötig ist, Oma, wir machen es. Wir dürfen dich nicht verlieren.«

Omas Blick schweift in die Ferne. »Es gibt da eine Sache …« Sie hält inne, und ihre Augen schließen sich.

Ich rüttele sie sanft. »Oma? Oma! Was denn? Was für eine Sache? Was auch immer es ist, wir holen sie dir!«

Sie sieht mich mit großen Augen und verträumtem Blick an, so als sehe sie einen schönen Sonnenuntergang.

»Der verzauberte goldene Apfel«, murmelt sie, dann verliert sie das Bewusstsein.

4.
TOK

Folgendes solltest du über mich wissen:

Nein, Moment.

Folgendes muss ich wissen: Was ist ein verzauberter goldener Apfel und wie beschaffe ich einen für Oma?

Ach ja, und: Wie halte ich Chug davon ab, ihn aufzufuttern?

Versteh mich nicht falsch, mein Bruder liebt Oma genauso sehr wie ich, aber seine Selbstbeherrschung lässt leider zu wünschen übrig.

Nachdem der Älteste Gabe und Tini übereingekommen waren, dass sie Oma nicht helfen können, ist Mal sofort zu uns gekommen. So verängstigt habe ich sie noch nie erlebt, und das will etwas heißen, denn ich war dabei, als sie einmal fast an einer Vergiftung gestorben wäre. Sie hat uns erklärt, was passiert ist, und mich gefragt, ob in meinen Büchern vielleicht ein hilfreicher Trank erwähnt wird. Chug, Jarro und ich haben uns umgehend die Taschen mit Büchern und Tränken vollgestopft und sind so schnell wir konnten zu Omas Hütte gerannt. Besser gesagt, so schnell Lars und Jami es zugelassen haben … die neue Vorschrift am Eingang ist wirklich lächerlich.

Mein Buch über Tränke konnte uns keine nützlichen Informationen liefern, weshalb Lenna und ich gerade dabei sind, Omas alte Bücher durchzugehen. Viele davon stammen aus der Zeit der Gründer, und wir hoffen inständig, bald auf Informationen über den verzauberten goldenen Apfel zu stoßen. Es fällt mir schwer, mich nicht ablenken zu lassen, denn das hier sind Omas Spezialbücher, die sie niemals ausborgt, und sie stecken voller neuer Dinge, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Während Lenna und ich Seite für Seite ein Buch nach dem anderen durchblättern, um sie dann unverrichteter Dinge auf den Boden zu werfen, läuft Chug nervös hin und her, während Mal Omas runzlige Hand hält.

»Oma, bitte«, murmelt sie. »Bitte wach auf. Du musst uns noch sagen, wo wir den Apfel finden.«

»Oder irgendeinen Apfel«, wirft Chug ein und reibt sich den Bauch. »Unser Spätstück ist schon ewig her.«

»Wisst ihr«, meint Jarro, der in einer Ecke sitzt und nach und nach eine Blume ihrer Blütenblätter beraubt, »sie haben zwar gesagt, dass Tränke sie nicht gesund machen, aber vielleicht reichen sie ja aus, um Oma so weit wiederherzustellen, dass sie zumindest wieder sprechen kann. Ich wette, der Älteste Gabe und Tini wollten ihr nichts geben, weil sie Angst davor hatten, zu versagen – oder davor, ihren Zustand noch zu verschlimmern. Wenn die Nachricht in der Stadt die Runde macht, dass unsere erklärten Experten Oma behandelt haben, sie aber nicht heilen konnten, würden die Leute bestimmt an ihren Fähigkeiten zweifeln.«

Ich sehe ihn an. Er hat recht. »Das ergibt Sinn. Sie sind nicht bereit, ein derartiges Risiko einzugehen. Aber ich schon. Ich braue Oma so viele Tränke, wie sie braucht.« Ich blicke von Jarro zu Mal. »Willst du, dass ich es versuche?«

Mals Gesicht ist gerötet und voller Tränenspuren. »Ich wüsste nicht, was dagegenspricht. Schlimmer kann’s kaum werden.«

»Kann es wohl«, mischt sich Chug ein. »Was, wenn einer deiner Tränke einen Schreiter aus ihr macht? Dann wird ihr kein Oberteil mehr passen, weil Schreiter keine Arme haben. Oder … oder noch schlimmer, einen Schleim! Obwohl, dann könnten wir sie zerteilen und viele kleine Omas erschaffen …«

»Probier’s erst mal mit einem Heiltrank«, schlägt Mal vor. »Und vermeide es möglichst, meine Ururgroßmutter in einen Schleim zu verwandeln.«

Ich stelle meine mitgebrachten Tränke in einer Reihe auf, und Lenna holt Omas aus dem Geheimfach im Kleiderschrank dazu. Ich kenne die Wirkung jedes meiner Tränke, weil ich sie selbst gebraut habe, aber Chug hat einfach wahllos alle möglichen eingesammelt, was die Sache nicht einfacher macht. Ich beginne mit einem Heiltrank, den ich Oma vorsichtig in den offenen Mund tröpfele. Sie hustet schwach und schluckt. Ihre Augen öffnen sich.

»Oma!«, ruft Mal.

Oma schüttelt den Kopf und wendet das Gesicht ab. »Nicht so laut. Ich bin alt, nicht taub.«

»Fühlst du dich besser?«, fragt Lenna.

Oma seufzt und lässt sich noch tiefer in die Matratze sinken, als wäre sie plötzlich flüssig geworden. »Nein. Und das werde ich nie, wenn ihr mich noch mal aus einem schönen Traum weckt. Jetzt lasst mich schlafen.« Sie schließt die Augen, woraufhin ich ihr etwas mehr der rötlichen Flüssigkeit verabreiche. Sie schluckt und beäugt mich misstrauisch. »Du führst doch irgendetwas im Schilde.«

»Wir wollen nur wissen, wo wir den verzauberten goldenen Apfel finden«, kläre ich sie auf.

»Oder wir geben ihr einfach für den Rest ihres Lebens alle paar Minuten Heiltränke«, wirft Chug hoffnungsvoll ein.

Oma rümpft die Nase. »Du willst mich bis in alle Ewigkeit alle zwei Minuten wecken? Darauf kann ich verzichten. Also, hört gut zu, denn ich sage das jetzt nur einmal.«

Wir stellen uns um ihr Bett auf, sie setzt sich auf und wirft jedem von uns einen strengen Blick zu. »Keine Tränen, klar?«

»Das kann ich nicht versprechen«, sagt Mal schniefend.

»Wie ihr wisst, wurde unsere Stadt von acht Menschen gegründet«, fängt Oma an zu erzählen. »Von euren Vorfahren. Als sie mit dem Bau von Cornucopia begannen, war ich noch ein kleines Mädchen – jünger, als ihr es jetzt seid. Aber es gibt da ein Geheimnis, Kinder …«

Wir beugen uns vor.

»Eigentlich gab es zehn Gründer.«

Wir tauschen erstaunte Blicke.

»Wie kommt es, dass wir nie davon gehört haben?«, hakt Mal nach.

»Weil nur diejenigen die Geschichte aufschreiben, die bleiben«, antwortet Oma. »Efram und Cleo wurden aus den Büchern entfernt. Auf ihrer Reise hierher überquerten die Gründer einen großen Ozean. Cleo starb bei einem Ertrunkenen-Angriff, woraufhin Efram in seiner Trauer verrückt wurde. Er wollte keine tolle Stadt mehr gründen, sondern in der Nähe des Ozeans bleiben, an den er seine Frau verloren hatte. Er teilte uns mit, dass er mitten im Ozean ein Haus errichten wollte, damit ihn nie wieder jemand stören könnte. Er war furchtbar zornig, dass er als Einziger seine große Liebe verloren hatte. Er sagte, es schmerzte ihn zu sehr, uns andere glücklich im Kreis unserer Lieben zu erleben, während er litt. Seine Reisegefährten versuchten alles, um ihn zum Mitkommen zu bewegen – oder wenigstens in unsere alte Heimat zurückzugehen und dort neu anzufangen. Aber Efram wollte nichts davon hören. Er tauchte ab und ward nie wieder gesehen.«

Verstört sehen wir einander an.

»Super Geschichte, Oma«, meint Chug auf diese besondere Art, die nur er draufhat. »Aber wir wissen immer noch nicht, wie wir an den verzauberten goldenen Apfel kommen.«

Oma brummt und muss prompt husten. »Dazu komme ich schon noch. Ihr Kinder von heute habt keinerlei Sinn fürs Theatralische.« Sie kuschelt sich in die Matratze wie eine Henne, die ein Nest bebrütet. »Efram war für seine Leidenschaft bekannt, an eigenartigen Orten nach Schätzen zu suchen. Eines Tages fand er einen goldenen Apfel, der vor Magie violett schimmerte. Aber er wollte ihn nicht essen, sondern hob ihn lieber für Cleo auf, falls ihr etwas zustoßen sollte. Aber als das Schlimmste eintrat, wurde sie unter Wasser gezogen, sodass er ihr den magischen Apfel nicht geben konnte, den er extra aufbewahrt hatte, um sie vor dem Tod zu retten. Die Erwachsenen befanden damals, dass es diese grausame Ironie des Schicksals war, die ihn den Verstand kostete.«

»Ganz schön brutal«, flüstert Chug mir und Jarro zu.

»Du willst also sagen, dass dieser Efram den verzauberten goldenen Apfel immer noch hat?«, fragt Lenna und bringt die Sache damit wie üblich auf den Punkt.

Oma nickt langsam. »Es war das einzige Mal, dass ich je einen gesehen habe. Vor Eframs Entdeckung wusste ich nicht einmal, dass verzauberte goldene Äpfel existieren, und seitdem habe ich keinen mehr gesehen. Ich weiß nicht, wo man sie findet. Efram hat uns nie verraten, was er tun musste, um an seinen zu kommen. Er sprach nur von einer entsetzlichen Erfahrung und bekam dabei einen eigenartig leeren Blick, als wäre er mit den Gedanken weit fort. Aber Tatsache bleibt, dass ich einen gesehen habe. Efram hat ihn mal aus der Tasche geholt, um ihn Cleo zu zeigen, und es war das Schönste, was ich je gesehen hatte.«

»Okay, und wie finden wir Efram?«, will Mal wissen. »Müssen wir zum Ozean?«

Oma nickt. »Wenn er noch lebt, ist der Apfel bei ihm. Übrigens habe ich keinen Zweifel, dass er noch am Leben ist, denn er besaß alle möglichen esoterischen und magischen Gegenstände. Wenn ich es geschafft habe, so alt zu werden, hat dieser verrückte Murrkopf das auch. Sucht den Ozean und ihr findet Efram. In einem Haus mitten im Wasser.«

»Dann sollten wir zum Dorf gehen, uns beim Kartografen eine Karte holen, zum Ozean gehen und …«

Mal unterbricht sich, aber Chug führt ihren Satz weiter.

»Und einen irren alten Kerl in seinem Einsiedlerhaus im Meer suchen, der seine verlorene Liebe betrauert, um ihn darum zu bitten, uns seinen wertvollsten Besitz zu überlassen, der ihm im tragischsten Moment seines Lebens nicht einmal etwas gebracht hat? Na, wenn der nicht überglücklich sein wird, uns zu sehen.«

Oma zwinkert Chug zu. »Klingt nach einem guten Plan.«

»Wir werden die Pferde brauchen.« Mal sieht Jarro an.

»Ich kann sie sofort vorbereiten«, sagt er nickend. Er ist immer noch froh, jetzt einer von uns zu sein, und würde so ziemlich alles für Mal tun.

»Tränke haben wir schon, aber wir werden auch Rüstungen und Waffen brauchen«, fährt sie fort.

»Kein Problem«, meint Chug mit stolzgeschwellter Brust.

»Ich kann meine Werkbank und den Braustand mitnehmen. Meine Reiseausstattung steht immer bereit«, füge ich hinzu.

Mal grinst. »Tu das und vergiss nicht, Zutaten einzupacken, die du unterwegs gebrauchen könntest.«

»Außerdem brauchen wir massig Kekse. Also richtig viele.« Chug sieht zu Lenna.

Sie nickt. »Ich habe heute früh welche gebacken.« Mal wischt sich über die Augen und richtet sich auf. Jetzt sieht sie nicht mehr wie ein verängstigtes kleines Mädchen aus, sondern wieder wie unsere mutige Anführerin. »Ich würde sagen, wir teilen uns auf. Jungs, ihr geht nach Neu Cornucopia, um die Pferde zu satteln und alles Nötige zu packen. Lenna und ich kümmern uns währenddessen um den Proviant. Danach treffen wir uns bei euch.«

Chug und Jarro rennen zur Tür, dann hält Chug inne und dreht sich mit fragend erhobener Augenbraue zu mir um.

»Ich will erst die Tränke einpacken«, sage ich. »Denk daran, meine Werkbank, den Braustand und einen Ofen mitzunehmen. Nicht vergessen, okay?«

»Alles klar«, sagt er.

Ich sehe an ihm vorbei zu Jarro, der mir zuzwinkert. Chug wird es bestimmt vergessen, aber Jarro nicht. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie gut sich die beiden ergänzen, wenn man bedenkt, dass sie einander früher tagein, tagaus beleidigt haben. Sie rennen los, und ich fange an, mir die Taschen mit Tränken und Zutaten aus Omas Geheimvorrat zu füllen. Mir juckt es in den Fingern, zusätzlich noch ein paar von ihren Büchern einzustecken, aber das Risiko ist zu groß, unterwegs überfallen zu werden. Das ist uns schon einmal passiert, als wir Krog und seine Illager davon abhalten wollten, Cornucopia zu zerstören. Damals haben wir fast alles verloren. Krog schmort zwar inzwischen im Stadtgefängnis, und die Banditen, die uns ausgeraubt haben, stecken ohne Portal im Nether fest, aber die Welt ist voller Schurken … wenn auch nicht ganz so schlimm, wie der Älteste Stu gern behauptet.

Als Lennas Taschen voller Kekse und Pfeile sind und Mal ihre mit etwas langweiligeren Nahrungsmitteln vollgestopft hat, gehen wir zur Mauer, um Neu Cornucopia zu betreten. Ohne wirklich darüber zu sprechen, nehmen wir einen Umweg ums Zentrum. Wir haben die Stadt in der Vergangenheit zweimal verlassen, beide Male gegen den Wunsch unserer Ältesten, die ziemlich streng darauf achten, dass die Vorschriften eingehalten werden – vor allem, wenn es um herumstreunende Kinder geht. Beim ersten Mal sind wir losgezogen, um die Stadt zu retten, beim zweiten Mal wurde ich entführt und meine Freunde sind mir nach, um mich zu befreien. Wir sind bereit, so ziemlich alles zu riskieren, um Omas Leben zu retten, aber weder unsere Eltern noch die Stadtältesten werden von dem Gedanken begeistert sein.

Als wir die Tür erreichen, verstellen uns Lars und Jami den Weg.

»Ihr wisst, wer wir sind, und wir haben es eilig, also lasst uns durch!«, sagt Mal entnervt.

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