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Dark Elements 3 - Sehnsuchtsvolle Berührung

Wer die Wahl hat, hat die Qual - Layla weiß bald nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, vom Herzen ganz zu schweigen. Die dunkle Seite der Macht lockt in Gestalt des sexy Dämonen-Prinzen Roth, der die Abgründe ihrer Seele besser kennt als jeder andere. Aber da ist auch noch der attraktive Wächter Zayne, ihre plötzlich gar nicht mehr so unerreichbare Jugendliebe. Während sie noch mit ihren verwirrenden Sehnsüchten ringt, droht ein höllischer Feind alles zu vernichten, was ihr wichtig ist. Hoffnungslos verstrickt in ein Gespinst aus Lügen und Geheimnissen, bleibt Layla nur die Flucht nach vorn - in einen Krieg, den sie unmöglich allein gewinnen kann …

"Rasanter Plot, überzeugende Besetzung und eine willensstarke Heldin"

Romantic Times Book Reviews

"Unterhaltung vom Feinsten - prickelnd vor Spannung und Leidenschaft"

Kirkus Reviews

"Rasant und voll aufregender Wendungen zwischen ,Romeo-und-Julia’-Schwärmereien und Zombie-Apokalypse"

Publishers Weekly

"Eine aufregende Story, von dem man nicht genug bekommen kann"

San Francisco Book Review

"Aufregend, gefährlich, abenteuerlich - alles, was wir uns von einem guten Buch wünschen"

Teen Librarian’s Toolbox

"Rasant und voll faszinierender Details"

Publishers Weekly

"Wieder eine actionreiche und mitreißende Reise durch eine übersinnliche Welt ... intensiv und toll erzählt"

Booklist

"Armentrout in Bestform ... mit umwerfenden Jungs und einer Wendung, die keiner kommen sieht."

New York Times-Bestsellerautorin Abbi Glines


  • Erscheinungstag: 15.08.2016
  • Aus der Serie: Dark Elements
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 336
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959679619

Leseprobe

Jennifer L. Armentrout

Dark Elements –
Sehnsuchtsvolle Berührung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ralph Sander

1. KAPITEL

Ich stand mitten in Staceys Wohnzimmer, und um mich herum brach die ganze Welt zusammen.

Sam war die Lilin.

Blankes Entsetzen ließ mich erstarren, und ich vergaß zu atmen, während ich die Person ansah, die zu meinen engsten Freunden auf der ganzen weiten Welt gehört hatte. Weil mein dämonischer Hausgeist Bambi es mir immer dann, wenn sie mit mir verbunden war, unmöglich machte, Seelen zu sehen, hatte ich nicht erkennen können, was sich die ganze Zeit über direkt vor meinen Augen befunden hatte. Keinem von uns war etwas aufgefallen, aber es war tatsächlich Sam. Er hatte das Chaos an der Schule angerichtet, und er war auch schuld an den jüngsten Todesfällen. Anstatt Seelen mit einer einzigen Berührung aus dem Leib zu reißen, wozu eine Lilin fähig war, hatte er sich Zeit gelassen und immer nur hier und da ein bisschen an sich genommen. Er hatte mit seinen Opfern genauso gespielt wie mit uns.

Und vor allem mit mir.

Doch das, was jetzt hier in Staceys Haus vor uns stand … das war eigentlich nur etwas, das wie in ein maßgeschneidertes Kostüm in Sams Haut geschlüpft war. Denn den echten Sam … den gab es nicht mehr. Es schmerzte bis ins Mark, mit der Erkenntnis konfrontiert zu werden, dass mein Freund tot war … dass er schon seit einer Weile tot war, ohne dass einer von uns auch nur etwas geahnt hatte.

Ich hatte ihn nicht retten können. Keiner von uns war dazu in der Lage gewesen, und seine Seele … seine Seele musste jetzt dort unten sein, wo alle Seelen hingingen, wenn sie von einer Lilin genommen wurden. Mir drehte sich der Magen um.

„Besiegen kannst du mich nicht“, sagte die Lilin mit Sams Stimme und dem ihm eigenen Tonfall, „also schließ dich mir an.“

„Sonst passiert was?“ Mein Herz hämmerte brutal in meiner Brust. „Muss ich sonst sterben? Findest du nicht, dass das unglaublich abgedroschen klingt?“

Die Lilin neigte den Kopf zur Seite. „Das ist nicht das, was ich zu dir sagen wollte. Ich benötige deine Hilfe, um unsere Mutter zu befreien. Die anderen können natürlich sterben.“

Unsere Mutter. Bevor ich darüber nachdenken konnte, wie schrecklich die Tatsache war, dass ich mit der Kreatur verwandt war, die meinen Freund ermordet und vielen anderen ebenfalls den Tod gebracht hatte, nahm Zayne seine wahre Form an und lenkte mich von diesen finsteren Gedanken ab. Sein Shirt riss auf dem Rücken auf, da sich seine Flügel entfalteten, und seine Haut nahm das dunkle Granitgrau der Wächter an. Zwei Hörner wuchsen aus der Stirn und teilten sein welliges blondes Haar, als sie sich nach hinten zu rollen begannen. Seine Nase flachte sich ab, während ich ihn ansah. Als er den Mund aufmachte, um ein warnendes tiefes Knurren auszustoßen, kamen seine Fangzähne zum Vorschein. Er ging auf Sam zu und ballte seine gewaltigen Fäuste.

„Nicht!“, rief ich. Zayne blieb stehen und drehte abrupt den Kopf zu mir um. „Geh nicht zu nahe an ihn heran. Deine Seele!“, machte ich ihm klar, während mein Herz noch immer raste. Seine Seele … oder besser gesagt das, was ihm von seiner Seele noch geblieben war, nachdem ich ihm erst vor Kurzem unabsichtlich einen Teil davon genommen hatte.

Zayne wich zurück, blieb aber wachsam.

Ich wandte mich wieder dem Bösen zu, das sich als Sam verkleidet hatte. Was es auch für ein Ding sein mochte, das da vor uns stand, es war vom gleichen Fleisch und Blut wie ich. Es war noch nicht lange her, seit ich Einzelheiten darüber erfahren hatte, wie es dazu hatte kommen können, dass ich zum Teil Dämonin und zum Teil Wächterin war. Ich war Liliths Tochter, und das da … dieses Ding war tatsächlich ein Teil von mir. Es war von Liliths und meinem Blut und verhielt sich genauso bösartig wie Lilith. Und es wollte Lilith befreien? Unmöglich! Sollte Lilith jemals wieder an die Oberfläche gelangen, würde sich die Welt, wie wir sie kannten, unwiderruflich verändern.

„Ich werde dir nicht helfen, Lilith zu befreien.“ Auf keinen Fall würde ich in diesem Zusammenhang die Worte „Unsere Mutter“ aussprechen. Bah! „Dazu wird es niemals kommen.“

Die Lilin lächelte mich an, während sie mich aus pechschwarzen Augen musterte. „Geh so nah ran, wie du willst.“ Sie ignorierte meine Worte und verhöhnte Zayne. Ach was, sie verhöhnte uns alle. „Sie ist nicht die Einzige in diesem Zimmer, die Geschmack an Wächterseelen gefunden hat.“

Unwillkürlich musste ich nach Luft schnappen, da Stacey ein leises Wimmern von sich gab. Vor meinem geistigen Auge zog ihre Beziehung mit Sam vorüber. Eine Ewigkeit lang waren sie miteinander befreundet gewesen, und erst vor Kurzem war ihr klar geworden, dass Sam sie schon immer und ewig geliebt hatte. Aber sie war auf ihn eigentlich erst so richtig aufmerksam geworden, als Sam sich zu verändern begonnen hatte …

Oh Gott!

Stacey musste kurz davor sein, komplett zusammenzubrechen, als sie jetzt sah, dass aus dem Jungen, den sie endlich zu lieben begonnen hatte, etwas Schlimmeres als jene Monster geworden war, die nachts durch die Straßen zogen. Aber ich konnte es mir nicht leisten, mich um Stacey zu kümmern, wenn ich mich ganz auf die Lilin konzentrieren musste. Die konnte jederzeit in Aktion treten, und drei von uns in diesem Raum waren momentan schutzlos der schlimmsten Art von Angriff ausgeliefert, zu dem die Lilin fähig war.

„Es geht doch nichts über eine reine Seele, aber das weißt du ja bereits, Layla. All die Wärme und Güte zergehen einem auf der Zunge, als wäre es die köstlichste Schokolade.“ Die Lilin hob das Kinn ein wenig an und stieß ein Stöhnen aus, das mir unter normalen Umständen knallrote Ohren beschert hätte. „Aber es ist noch viel dekadenter, wenn man sich viel Zeit lässt und den Geschmack genießt. Das solltest du mal versuchen, Layla, anstatt so gierig zu sein, wenn du dich nährst.“

„Und du solltest mal versuchen, die Klappe zu halten.“ Der mächtige Dämon Roth gleich hinter mir strahlte Hitze aus. Der regierende Kronprinz der Hölle hatte sich noch nicht gewandelt, aber ich merkte ihm an, dass er kurz davor war. Zorn färbte den Klang seiner Worte ein. „Was hältst du davon?“

Die Lilin warf Roth nicht einmal einen flüchtigen Blick zu. „Ich mag dich. Ganz ehrlich, Prinz. Nur schade, dass du am Ende tot sein wirst.“

Ich ballte die Fäuste, die Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen, während mich kochende, bittere Wut durchströmte. Meine Gefühle waren völlig außer Kontrolle. Nachdem schon so vieles in letzter Zeit schiefgegangen war, stand ich jetzt hier zwischen Zayne und Roth, was in diesem Augenblick noch tausendmal peinlicher war als an einem ganz gewöhnlichen Tag. Aber jetzt, nachdem Roth …

Nein, ich konnte mich jetzt nicht mit diesen Dingen befassen. „Du bist sehr mutig, solche Drohungen auszustoßen, wenn wir dir zahlenmäßig so überlegen sind.“

In einer für Sam typischen Weise zog die Lilin eine Schulter hoch, und bei dem Anblick verspürte ich einen Stich im Herzen. „Wie wäre es, wenn wir sagen, dass ich einfach nur intelligent bin?“, hakte sie mutig nach. „Und wie sieht es damit aus, dass ich mehr als ihr alle darüber weiß, wie das hier enden wird?“

„Du redest ziemlich viel“, stieß Roth wütend hervor und machte einen Schritt nach vorn. „Wie kommt es eigentlich, dass die Schurken immer zu so grässlich langen und langweiligen Monologen neigen? Können wir jetzt mal zu dem Teil kommen, in dem es ums Töten geht?“

Die Lilin reagierte mit einem schiefen Grinsen. „Bist du so darauf versessen, den letzten Tod zu sterben?“

„Ich bin mehr darauf versessen, dir das Maul zu stopfen“, konterte Roth und ging noch einen Schritt weiter, bis er genau neben mir stand.

„Bist du das die ganze Zeit gewesen?“ Staceys Stimme zitterte unter der Last der schlimmen Schmerzen, von denen sie gequält werden musste. „Du bist nicht Sam gewesen? Nicht seit …“

„Nicht seit Dean seine Fäuste hat sprechen lassen. Das war ein Spaß.“ Die Lilin lachte, während sie ihre dunklen Augen auf Stacey richtete. „Sam ist schon seit einer Weile nicht mehr zu Hause, aber ich kann dir versichern, mir hat die Zeit mit dir so gut gefallen, wie sie ihm gefallen hätte. Nur für den Fall, dass dich das ein bisschen tröstet.“

Stacey schlug sich die Hände vor den Mund, Tränen strömten ihr über das bleiche Gesicht. „Oh mein Gott!“

„Nicht ganz“, murmelte die Lilin mit seidiger Stimme.

Ich ging auf Stacey zu, um die Aufmerksamkeit der Lilin von ihr zu lenken. Es widerte mich an, was sie Stacey angetan hatte. „Warum?“, wollte ich wissen. „Du bist schon seit Wochen bei uns. Warum hast du in dieser Zeit keinen von uns angegriffen?“

Die Lilin seufzte übertrieben. „Mir geht es nicht nur um Gewalt, Tod und Blut. Ich bin sehr schnell dahintergekommen, dass man hier oben jede Menge unterhaltsame Dinge machen kann. Dinge, die mir wirklich großen Spaß gemacht haben.“ Sie zwinkerte Stacey zu, und ich sah rot.

Meine Haut kribbelte, als würden Tausende Feuerameisen auf mir hin und her marschieren. „Sieh sie nicht an. Sprich nicht mit ihr. Hauch nicht mal deinen Atem in ihre Richtung, und komm ja nicht auf die Idee, sie je wieder anzufassen.“

„Oh, ich habe längst mehr als das getan“, erwiderte die Lilin. „Sehr viel mehr. Alles, was dein Sam zu gern getan hätte, wenn er nur in der Lage gewesen wäre, den Mut dazu aufzubringen. Aber weißt du, das gehört im Moment wirklich nicht zu den Dingen, über die er sich Gedanken macht. Ich habe ihn verschlungen, ich habe seine komplette Seele geschluckt. Es gibt keinen Teil von ihm, der sich auf dieser Ebene befindet. Er ist kein Geist, er ist nicht wie die anderen, die mir über den Weg gelaufen sind. Was ihn betraf, da habe ich nicht mit meinem Essen gespielt. Ich habe mir nicht bloß ein paar Häppchen gegönnt. Nein, er ist weg. Er ist jetzt in …“

Mehrere Dinge geschahen plötzlich gleichzeitig.

Stacey stürmte auf die Lilin zu, dabei hob sie die Faust, als wollte sie ihr mit einem Schlag das spöttische breite Grinsen austreiben. Die Lilin driftete ihr entgegen, und obwohl sie bis jetzt aus mir unerfindlichen Gründen noch nicht Staceys Seele genommen hatte, wusste ich, dass so etwas jetzt niemand mehr garantieren konnte. Die Lilin war unberechenbar. Sie hatte sich zu erkennen gegeben, und ich merkte ihr an, dass ihr nicht länger der Sinn danach stand, mit uns zu spielen. Stacey befand sich bereits in Lilins Greifweite, und ich … na ja, ich verlor irgendwie die Kontrolle über mich. Rasende Wut ließ mich von innen heraus in Flammen aufgehen.

Die Wandlung überkam mich so heftig, dass ich mich gar nicht anstrengen musste. So als würde ich bloß einen Sweater ausziehen, ließ ich die menschliche Gestalt los, in der ich so lange gesteckt und an die ich mich in gewisser Weise sogar verzweifelt geklammert hatte. So leicht wie jetzt war es mir noch nie gefallen. Es wurden keine Knochen gebrochen und wieder zusammengefügt, es wurde keine Haut gedehnt und gestreckt. Stattdessen spürte ich, wie ich eine Art Panzer bekam, der den meisten Klingen und Kugeln widerstehen konnte. Mein Gaumen kribbelte, da meine Fangzähne hervortraten, die sogar die Haut eines Wächters und damit erst recht die der Lilin durchdringen konnten. Unter dem Halsansatz entfalteten sich zu beiden Seiten der Wirbelsäule meine Schwingen.

Irgendjemand im Raum schnappte erschrocken nach Luft, doch darauf konnte ich in diesem Moment nicht achten.

So schnell wie eine zuschnappende Kobra schoss ich nach vorn, packte Stacey am Arm und zog sie hinter mich, sodass ich zwischen ihr und der Lilin stand. „Ich sagte doch, du sollst sie nie wieder anfassen. Und auch ansehen sollst du sie nicht, nicht mal deinen Atem in ihre Richtung hauchen! Wenn du es trotzdem machst, werde ich dir den Kopf abreißen und ihn mit einem Tritt aus dem Fenster befördern.“

Die Lilin zuckte zusammen und tänzelte einen Schritt nach hinten. Weit riss sie die pechschwarzen Augen auf, ihr Gesicht nahm einen schockierten Ausdruck an. Dann fletschte sie die Zähne. „Du spielst nicht fair.“

Wie bitte? Sah ich da etwa Angst in ihren Gesichtszügen? „Meinst du wirklich, das kümmert mich?“

„Oh, das wird es noch.“ Die Lilin zog sich Schritt für Schritt zurück und näherte sich der Tür. „Es wird dich sogar noch sehr kümmern.“

Gleich darauf entfernte sich die Lilin, indem sie auf der Stelle kehrtmachte und so schnell aus dem Haus verschwand, dass ich wie bestellt und nicht abgeholt in der offenen Tür dastand. Ich begriff das nicht. Die Lilin hatte von Zayne und Roth praktisch keine Notiz genommen, aber wenn ich mein Aussehen veränderte, da zog sie den Schwanz ein und rannte davon?

Hm.

„Tja, das war jetzt … irgendwie enttäuschend.“ Langsam drehte ich mich um und faltete dabei die Flügel zusammen. Als Erstes fiel mein Blick auf Zayne.

Er hatte bereits wieder menschliche Form angenommen, und selbst wenn er abgekämpft erschien, wirkte er, als wäre er direkt einer Ausgabe des Town and Country Magazine entsprungen. Sein gutes Aussehen ging weit über die Bezeichnung Traummann hinaus, und für mich wirkte er schon immer wie ein Engel. Strahlend blaue Augen und himmelsgleiche Gesichtszüge – nur dass er in diesem Moment mit leicht offen stehendem Mund dastand und mich anstarrte. Sein absolut hinreißendes Gesicht war bleich, was die erbarmungslosen Schatten unter seinen Augen umso deutlicher hervortreten ließ. Er schaute mich so an, als hätte er mich noch nie gesehen, was ziemlich bizarr war, schließlich war er doch mit mir zusammen aufgewachsen. Ich kam mir vor wie irgendein Versuchskaninchen.

Unbehagen beschlich mich, als ich den Blick zur Couch weiterwandern ließ. Zayne hatte sich ein Stück weit der Stelle genähert, an der Stacey gelandet war. Ich rechnete damit, dass sie sich unkontrolliert schluchzend zusammengerollt hatte, aber sie starrte mich ebenfalls an. Die Hände hatte sie an die Wangen gepresst, und zu jeder anderen Zeit hätte ich über diesen Anblick gelacht. Aber nicht jetzt.

Mein Herzschlag gab Vollgas, als ich in den hinteren Teil des Zimmers sah, wo Roth stand. Ich schaute in weit aufgerissene bernsteinfarbene Augen mit vertikalen Pupillen. Es änderte nichts daran, dass er ein unvergesslicher Anblick war.

Roth war … tja, er war einzigartig, weil es auf der ganzen Welt niemanden gab, der so aussah wie er. Vermutlich hatte das mit der Tatsache zu tun, dass er in keiner Weise menschlich war, aber er sah atemberaubend aus. Das war schon immer so gewesen, selbst wenn er sein schwarzes Haar zu Stacheln frisierte. Mir gefiel er so besser, wie er jetzt dastand, wenn ihm die Haare in die Stirn fielen. Die goldenen Augen liefen leicht schräg aus. Wangen- und Kieferknochen waren so scharfkantig, dass man mit ihnen Glas hätte schneiden können. Es war ein Gesicht, für das zu zeichnen oder auch nur zu berühren jeder Künstler sein Leben gegeben hätte. Dazu kamen diese vollen, ausdrucksstarken Lippen, die jetzt geteilt waren.

Seine lohfarbene Haut war nicht bleich geworden, und er starrte mich auch nicht wie etwas an, das man unter einem Mikroskop genauer untersuchen sollte. Trotzdem wirkte er ebenso erstaunt wie Zayne.

Mein Unbehagen verwandelte sich in Angst, die meinen Magen in einen Würgegriff zu nehmen schien. „Was ist?“, flüsterte ich und schaute mich um. „Warum starrt ihr mich alle so an, als … als würde mit mir irgendwas nicht stimmen?“

Es konnte nicht daran liegen, dass ich der Lilin damit gedroht hatte, ihr den Kopf abzureißen. Okay, normalerweise war ich nicht gleich so brutal, aber in der vergangenen Woche hatte sich einfach zu viel ereignet. Ich hatte geglaubt, ich wäre die Lilin. Ich war von Zayne geküsst worden und hätte ihm beinahe seine Seele genommen. Danach war ich von dem Clan, der mich großgezogen hatte, in Ketten gelegt und eingekerkert worden. Und dann wäre ich von dem gleichen Clan beinahe auch noch getötet worden. Anschließend wurde ich von Roth und von einem mysteriösen Gebräu geheilt, das mir von einem Hexenzirkel überlassen wurde, der Lilith verehrte. Und gerade eben hatte ich erfahren, dass einer meiner besten Freunde tot war, dass seine Seele in der Hölle gelandet war und dass die Lilin seinen Platz eingenommen hatte. Da konnte man mir gegenüber ja wohl ein bisschen Nachsicht üben, oder war das zu viel verlangt?

Roth räusperte sich. „Shortie, guck dir mal … deine Hand an.“

Meine Hand angucken? Warum, um alles in der Welt, forderte er mich mitten in diesem ganzen Durcheinander ausgerechnet zu so etwas auf?

„Tu es einfach“, sagte er leise und viel zu sanft.

Die Angst breitete sich als eisige Kälte in meinem Magen aus, und langsam ließ ich den Blick zu meiner linken Hand wandern. Ich erwartete eine Marmorierung aus Schwarz und Grau, eine Mischung aus der Dämonin und der Wächterin, die in mir existierten und die mir mittlerweile fast schon vertraut waren. Meine Fingernägel waren länger und schärfer geworden, und ich konnte fühlen, dass sie hart genug waren, um sich durch Stahl zu schneiden. Nur dass meine Haut … immer noch fleischfarben war. Richtig fleischfarben.

„Aber …?“ Ich sah auf meine andere Hand, auch sie war fleischfarben. Meine Flügel zuckten und erinnerten mich daran, dass ich mich tatsächlich gewandelt hatte.

Zayne schluckte. „Deine … deine Flügel …“

„Was ist mit meinen Flügeln?“, kreischte ich und fasste hinter mich. „Sind sie gebrochen? Haben sie sich nicht richtig entfaltet?“ Meine Fingerspitzen berührten etwas, das so weich wie Seide war. Ich zuckte zurück. „Was ist …?“

Stacey hatte ihre bleichen Augen noch weiter aufgerissen. „Ähm, Layla … über dem Kamin hängt ein Spiegel. Ich glaube, da solltest du mal reinschauen.“

Für eine Sekunde sah ich Roth an, ehe ich mich umdrehte und fast schon zu dem Kamin rannte, bei dem ich mir sicher war, dass Staceys Mom ihn noch nie benutzt hatte. Ich umklammerte den weißen Kaminsims und betrachtete mein Spiegelbild.

Ich sah normal aus, so wie vor meiner Wandlung. Eigentlich wirkte ich so, als würde ich gleich zur Schule gehen. Meine Augen waren von einem so verwässerten Blau, dass es wie ein blasses Grau wirkte. Der Blondton meiner wie üblich in alle Richtungen abstehenden Haare ging fast ins Weiße über. Ich sah aus wie eine Porzellanpuppe, was eigentlich nichts Neues war, wenn man von den zwei Fangzähnen absah, die unter der Oberlippe hervorlugten. So hätte ich mich natürlich nicht in der Schule gezeigt, doch das war auch nicht das, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Das waren nämlich meine Flügel.

Die waren groß, wenn auch nicht so ausladend wie die von Zayne oder Roth, und normalerweise war ihre Oberfläche wie aus Leder. Aber jetzt waren sie schwarz … schwarz und gefiedert. Richtiggehend gefiedert. Das Seidige, das ich ertastet hatte, waren winzige Federn.

Federn!

„Oh mein Gott“, flüsterte ich. „Ich habe Federn.“

„Das sind eindeutig Federn“, meinte Roth.

Ich wirbelte herum und stieß mit meinem rechten gefiederten Flügel eine Lampe um. „Ich habe Federn an meinen Flügeln!“

Roth neigte den Kopf zur Seite. „Ja, hast du.“

Damit half er mir kein bisschen weiter, also wandte ich mich Zayne zu. „Wieso habe ich Federn an meinen Flügeln?“

Bedächtig zuckte er die Schultern. „Das weiß ich nicht, Layla. So etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Lügner“, zischte Roth ihm zu und unterstrich seinen Tonfall mit einem finsteren Blick. „Du hast so was schon mal gesehen … und ich ebenfalls.“

„Ich nicht“, murmelte Stacey, die inzwischen ihre Beine angewinkelt und die Arme darum geschlungen hatte. Es sah so aus, als würde sie jeden Moment anfangen, vor- und zurückzuwippen. Bis vor Kurzem hatte sie nicht gewusst, was Roth wirklich war. Ihr war ja nicht mal bekannt gewesen, was es in Wahrheit mit mir auf sich hatte. Das alles musste echt zu viel für sie gewesen sein.

„Okay. Wie und warum habt ihr so was schon mal gesehen?“, wollte ich wissen und atmete etwas zu hastig ein. „Muss ich jetzt anfangen, mir die Flügel zu rasieren?“

„Shortie …“ Roths Mundwinkel zuckten.

Ich hob die Hand und zeigte mit einem Finger auf ihn. „Wage es ja nicht, zu lachen, du Idiot! Das ist nicht witzig. Meine Flügel sind eine schräge Laune der Natur.“

Nun hob auch er die Hände. „Ich werde nicht lachen, aber ich glaube nicht, dass du zum Rasierer greifen solltest. Außerdem haben viele andere Kreaturen Flügelfedern.“

„Zum Beispiel?“, wollte ich wissen. Gab es noch mehr übernatürliche Wesen, von denen ich nichts wusste?

„Zum Beispiel … Falken“, antwortete er.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Falken? Falken?

„Und Adler.“

„Ich bin kein Vogel, Roth!“ Meine Geduld war beinahe erschöpft. „Warum habe ich Federn an meinen Flügeln?“, schrie ich nun Zayne an. „Du hast so was schon mal gesehen, ja? Wo war das? Kann mir jetzt endlich jemand sagen …“

Der Boden unter meinen Füßen begann zu zittern, und ich hörte auf zu reden. Das Zittern wurde stärker, es bahnte sich an den Wänden entlang seinen Weg nach oben, es ließ den Spiegel klirren und die gerahmten Bilder vibrieren. Putz löste sich von der Decke und rieselte zu Boden. Das ganze Haus schien zu beben, ein ohnehin schon lautes Grollen wurde ohrenbetäubend.

Stacey sprang auf und griff nach Zaynes Arm. „Was ist hier los?“

Meine Flügel waren für den Moment vergessen. Zayne und ich sahen uns an. Irgendetwas an diesen Ereignissen kam mir nur allzu vertraut vor. Das Gleiche hatte ich schon einmal gespürt, unmittelbar bevor …

Gleißendes goldenes Licht drang durch die Fenster, die winzigen Risse im Gemäuer und die Ritzen zwischen den Dielenbrettern. Sanftes, strahlendes Licht bewegte sich an der Decke entlang und tropfte zu Boden. Ich sprang zur Seite und konnte nur knapp verhindern, dass ich von ein paar Spritzern getroffen wurde. Ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern, was geschehen war, als ich das letzte Mal so dumm gewesen war, das Licht zu berühren.

Meine Art konnte das nicht, Roth ebenfalls nicht.

„Shit“, murmelte er.

Mir blieb das Herz stehen, als das Grollen abrupt endete und das wunderschöne Leuchten erlosch. Von einer Sekunde zur nächsten stand Roth neben mir und legte eine Hand um meinen Oberarm.

Stacey begann zu schnuppern. „Wieso riecht das auf einmal so, als hätte uns jemand in Tücher eingewickelt, die mit Waschmittel getränkt sind?“

Sie hatte recht. Ein neuer Geruch lag in der Luft. Ich nahm ihn als moschusartig und süßlich wahr. Der Himmel … der Himmel duftete so, wie jeder es für sich selbst wollte. Es war das Aroma, das einem am meisten bedeutete, und jeder roch dabei etwas anderes.

Zayne schob Stacey hinter sich, und mein Gefühl sagte mir, dass Roth drauf und dran war, seinen und meinen unengelhaften Hintern hier rauszuschaffen, doch ein Energieriss strahlte im ganzen Zimmer aus. Das süßliche Aroma, das Verlangen in mir geweckt hatte, wurde durch Klee und Weihrauch ersetzt. Ein warmer Hauch strich über meinen Rücken, und ich wusste, es war zu spät, um noch entkommen zu können.

Oh nein.

„Oh nein …“, keuchte Stacey, dann verdrehte sie die Augen, ihre Knie knickten ein, und sie sank zu Boden. Zayne bekam sie zu fassen, bevor sie mit dem Kopf aufschlagen konnte, aber ich hatte jetzt ohnehin keine Zeit, mir ihretwegen Sorgen zu machen.

Wir waren nicht länger allein.

Eigentlich wollte ich mich nicht umdrehen, doch ich konnte nicht anders. Ich musste es machen, weil ich sie sehen musste, bevor sie meinem Dasein auf diesem Planeten ein Ende setzten. Roth schien ganz ähnlich zu empfinden, da er sich ebenfalls umwandte. Ein sanftes Leuchten wurde von seinen Wangen reflektiert. Er blinzelte, und ich sah zur Tür.

Zwei von ihnen standen dort wie Wachposten, jeder von ihnen weit über zwei Meter groß. Sie waren so wunderschön, dass ihr Anblick fast schon schmerzte. Die Haare weizenblond, schimmernde Haut, die alles Licht um sie herum erfasste und in sich aufsog. Sie waren weder schwarz noch weiß – auch nicht irgendein Farbton dazwischen –, aber zugleich waren sie alle Farben auf einmal. Sie trugen eine Art Leinenhosen. Ihre Augen waren vom reinsten Weiß – keine Iris, keine Pupille. Einfach nur komplett weiß, was mich beiläufig zu der Frage brachte, wie sie überhaupt sehen konnten. Oberkörper und Füße waren nicht mit Stoff bedeckt, die Schultern waren so breit wie die eines Wächters, und sie hatten prachtvolle Flügel. Die leuchtend weißen Schwingen maßen jede mindestens zweieinhalb Meter.

Auch ihre Flügel waren gefiedert, doch im Gegensatz zu meinen wiesen deren Federn Hunderte von Augen auf. Richtige Augäpfel, die weder zwinkerten noch blinzelten, dafür unablässig in Bewegung waren und alles gleichzeitig zu sehen schienen.

Jede der Kreaturen hielt ein goldenes Schwert in der Hand, ein wirklich beängstigendes Schwert, das so lang wie mein Bein war. Dieser ganze Auftritt war wahrscheinlich das Unheimlichste, was ich je gesehen hatte, und dabei waren mir in den siebzehn Jahren meines Lebens eine Menge unheimliche Dinge untergekommen.

Sie waren hergekommen. Die Typen, die das kontrollierten, was wir als Leben bezeichneten. Die Typen, die die Wächter erschaffen hatten und die für Dämonen eine Art böser schwarzer Mann darstellten. Niemals im gesamten Verlauf der Geschichte hatten sie sich in der Gegenwart irgendeiner Person mit auch nur einer Spur dämonischen Bluts im Leib aufgehalten, ohne deren Leben auf der Stelle ein Ende zu setzen.

Ich spürte, wie sich meine Flügel – meine gefiederten Flügel – dicht an meinen Rücken schmiegten. Mir war nicht klar, warum ich die Flügel vor ihnen zu verstecken versuchte, aber irgendwie fühlte ich mich ein bisschen verlegen. Trotzdem war ich in der Gegenwart dieser Wesen nicht bereit, wieder meine menschliche Gestalt anzunehmen.

Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren. Ehrfurcht und Angst kämpften in mir um die Oberhand. Das da … das waren Engel, deren gefiederte Schwingen so hell waren, dass sie zu leuchten schienen. Ich war noch nie in ihre Nähe gelassen worden, nicht einmal, als sie das Anwesen der Wächter aufgesucht hatten, um sich mit Clansführer Abbot zu treffen. Mich hatte man in der Zeit immer vom Grundstück geschickt, und ich hatte schon geglaubt, ich würde sie niemals zu sehen bekommen.

In mir erwachte der widersinnige Wunsch, einfach zu ihnen zu gehen, und es kostete mich all meine Willenskraft, diesen Drang zu ignorieren. Ich atmete tief ein und stellte fest, dass sie einfach wunderbar rochen.

Plötzlich zuckte Roth neben mir, und ich bekam Angst. Hatten sie ihm etwas angetan? Dann sah ich es. Ein Schatten trieb von ihm weg und verteilte sich vor uns. Das hatte ich auch schon mal gesehen. So etwas geschah immer dann, wenn sich die tätowierten Hausgeister von seiner Haut lösten.

Ich wusste, es war weder Bambi noch die Kätzchen, denn dieser Schatten hatte seinen Ursprung dort, wo … na ja, also ziemlich genau dort, wo sich die Gürtelschnalle seiner Jeans befand. Dort existierte nur ein Tattoo, das zugleich das einzige war, das ich noch nie zu sehen bekommen hatte.

Es war der Drache, der – so hatte mir Roth erklärt – sich nur von seiner Haut löste, wenn die Lage so gut wie aussichtslos war und man ihn ganz massiv geärgert hatte.

Die Alphas waren eingetroffen, und jetzt endlich wollte Klopfer herauskommen und spielen.

2. KAPITEL

Ich machte mich auf das Erscheinen eines großen, sehr zerstörungswütigen Drachen gefasst. Gebannt hielt ich den Atem an, jeder Muskel in meinem Körper war angespannt. Wir würden alle einen schrecklichen Flammentod sterben.

Der Schatten war riesig, als er sich in Tausende von kleinen schwarzen Punkten auflöste, die gemeinsam wie ein Mini-Zyklon durch die Luft wirbelten, ehe sie sich neu zusammenzufügen begannen. Während die Sekunden verstrichen, überzogen schillernde blaue und goldene Schuppen Bauch und Rücken des Drachen, dunkelrote Flügel bildeten sich, ebenso eine lange, stolze Schnauze und mit Klauen bewehrte Hinterläufe. Die Augen erstrahlten so wie bei Roth in kräftigem Gelb.

Es war eine wunderschöne Kreatur.

Nur … war der Drache in etwa so groß wie eine Katze – wie eine sehr kleine Katze.

Nicht gerade das, was ich erwartet hatte.

Die Flügel bewegten sich geräuschlos, während der Drache links von Roth in der Luft stand und den Schwanz hin und her zucken ließ. Er war so winzig und so … so niedlich.

Ich zwinkerte ungläubig. „Du … du hast einen … einen Kompaktdrachen?“

Irgendwo hinter mir hörte ich Zayne schnauben.

Roth seufzte frustriert.

Obwohl unser Leben in Gefahr war und wir wahrscheinlich alle sterben würden, waren sich Roth und Zayne auch weiterhin nicht grün.

Der Drache wandte mir den Kopf zu, machte das kleine Maul auf und stieß ein Krächzen aus, das äußerst jämmerlich klang. Begleitet wurde dieser Laut von einer kleinen Wolke aus schwarzem Rauch. Keine Flammen, nur ein paar dunkle Rauchschwaden, die einen leichten Schwefelgeruch verbreiteten. Ich zog die Augenbrauen hoch und sah ihn nur an.

„Schafft uns den Hausgeist aus den Augen“, forderte der eine Alpha, was mich zusammenzucken ließ. Er stand auf der rechten Seite, seine Stimme war unfassbar tief und versetzte den ganzen Raum und mich dazu in Schwingungen. Ich rechnete schon bald damit, dass es mir die Trommelfelle zerreißen müsste.

Mich wunderte, dass die Alphas nicht sofort versucht hatten, Klopfer zu eliminieren. Andererseits stellte der Kompaktdrache keine nennenswerte Bedrohung dar.

Roth schien ganz gelassen dazustehen, aber ich wusste, er war innerlich auf das Äußerste angespannt, um jederzeit aktiv zu werden. „Tja, den Gefallen werde ich euch nicht tun.“

Der Alpha verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Ich könnte deine Existenz auslöschen, noch bevor du den nächsten Atemzug tust.“

„Könntest du“, erwiderte Roth, der die Ruhe selbst war. „Aber das wirst du nicht.“

Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. So mit einem Alpha zu reden hielt ich wirklich nicht für eine kluge Idee.

„Roth“, murmelte Zayne. Er schien sich uns genähert zu haben, aber ich wollte den Blick nicht von den Alphas abwenden, nur um mich zu vergewissern. „Du solltest dich vielleicht ein bisschen zurückhalten.“

Der Kronprinz grinste spöttisch. „Och nö. Willst du auch wissen, warum? Die Alphas könnten mich auslöschen, aber sie werden es nicht machen.“

Der Alpha, der vorhin gesprochen hatte, versteifte sich ein wenig, mischte sich aber nicht ein.

„Seht ihr, ich bin der Lieblingskronprinz“, fuhr Roth amüsiert fort. „Wenn sie mich töten, ohne dass ich irgendetwas getan habe, das ein solches Vorgehen rechtfertigen würde, müssen sie sich mit dem Boss rumschlagen. Aber dazu haben sie keine Lust.“

Ich war erstaunt. Sie konnten Roth nicht einfach für das, was er darstellte, umbringen? Ich war immer davon ausgegangen, dass sie tun und lassen konnten, wonach ihnen der Sinn stand.

Jetzt meldete sich der Alpha, der bislang geschwiegen hatte, zu Wort. „Regeln und Verbote gibt es aus ganz bestimmten Gründen. Das heißt aber nicht, dass wir die auch mögen müssen, deshalb solltest du dein Glück nicht zu sehr herausfordern, Prinz.“

Dann tat Roth etwas Unfassbares: Er hob die Hand und streckte den beiden den Mittelfinger entgegen. „Fällt das auch darunter, das Glück herauszufordern, Bob?“

Himmel! Er hatte einem Alpha den Finger gezeigt! Und er hatte den Alpha Bob genannt! Wer tat so was? Also ehrlich!

Ich bekam den Mund nicht mehr zu. Klopfer hustete wieder eine kleine Rauchwolke aus. „Euer Glanz kann mich nicht blenden“, erklärte Roth. „Ihr sitzt da auf euren Wolken und fällt euer Urteil über jedes Lebewesen, das existiert. Nicht alles ist schwarz oder weiß. Das wisst ihr selbst, und trotzdem wollt ihr keine Grauzonen anerkennen.“

Funken zuckten aus den Augen des Alphas. „Eines Tages wird dich dein Schicksal ereilen, Prinz.“

„Und das wird spektakulär werden“, konterte er schlagfertig. „Ich werde dabei übrigens verdammt gut aussehen.“

Ich musste für einen Moment die Augen zukneifen. Oh mein Gott …

Der rechte Alpha rührte sich, mit seiner großen Hand hielt er das Heft seines Schwertes fester umschlossen. Mein Gefühl sagte mir, dass er Roth am liebsten auf der Stelle mit seiner Klinge durchbohrt hätte. Es wurde Zeit, dass ich auch mal den Mund aufmachte. „Ihr seid wegen der Lilin hier, richtig? Wir werden sie aufhalten.“ Ich hatte zwar keine Ahnung, wie wir das anstellen sollten, und es war vermutlich keine sehr gute Idee, solche Versprechen gegenüber Wesen zu machen, die mich innerhalb eines Herzschlags auslöschen konnten. Aber im Moment blieb mir einfach keine andere Wahl. Nicht nur, weil ich sie von Roth ablenken musste, sondern weil die Lilin tatsächlich gestoppt werden musste. Alles, was eine Seele hatte, schwebte jetzt in Gefahr. „Ich verspreche es euch.“

„Um die Lilin werden sich die Wächter kümmern. Dafür wurden sie geschaffen, es ist ihre Aufgabe, die Menschheit zu beschützen. Tun sie das nicht, werden sie so wie die Dämonen dafür bezahlen müssen“, erwiderte der Alpha, der zuerst geredet hatte. „Aber wir sind hergekommen, um uns mit dir zu befassen.“

Wieder setzte mein Herz einen Schlag aus. „Mit mir?“

Der Alpha, den Roth Bob genannt hatte, kniff die Augen zusammen. „Du bist ein Sakrileg der höchsten Ordnung. Zuvor warst du eine Abscheulichkeit, der man sich hätte annehmen sollen, aber jetzt ist aus dir eine Perversion geworden, die nicht länger existieren darf.“

Während Roth den Kopf zur Seite neigte, schoss Zayne nach vorn. „Nein!“, rief er und faltete die Flügel zusammen. „Sie hat nie irgendjemandem etwas angetan, das …“

„Ach, wirklich?“, gab der andere Alpha ironisch zurück und streckte seine Schwingen in die Höhe. Die in die Federn eingelassenen Augen drehten sich hin und her, bis sie sich alle, wirklich alle, auf mich konzentrierten. „Wir sehen alles, Wächter. Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden.“

Bob hob sein Schwert, und noch bevor ich irgendetwas tun konnte, schoss Roths Arm in meine Richtung, erwischte mich oberhalb der Brust und warf mich nach hinten gegen Zaynes stahlharte Brust. Von da prallte ich ab und wäre auf dem Boden gelandet, wenn Zayne mir nicht sofort einen Arm um die Taille gelegt hätte.

Klopfer hing immer noch nahe Roths Schulter in der Luft und krächzte erneut …

… bis aus diesem Krächzen ein Brüllen wurde, von dem das Haus noch heftiger erzitterte als bei der Ankunft der Alphas.

Roth grinste in die Runde. „Wie ich schon gesagt habe, kommt es auf die Größe an.“

Daraufhin begann Klopfer in einer Geschwindigkeit zu wachsen, dass ich dem nicht mehr folgen konnte. Die Beine nahmen die Ausmaße von Baumstämmen an, die Krallen streckten sich in die Länge. Die blau-goldenen Schuppen des Drachen wirkten, als seien sie kugelsicher. Als die Hinterläufe aufsetzten, zersplitterten unter ihnen die Dielenbretter. Ein karmesinroter Flügel schlug gegen die Decke und riss den Putz herunter, der in einer dichten weißen Wolke zu Boden fiel. Die andere Schwinge warf den Fernsehsessel um.

Der Alpha brüllte etwas, aber das ging im tiefen, schwingenden Knurren des Drachen unter. Der machte einen Satz nach vorn, und der gewaltige, mit Dornen besetzte Schwanz zuckte hin und her. Möbel wurden gegen die Wand geschleudert und demolierten ein Gemälde. Ein Fenster wurde zerschmettert, kalte Luft strömte in den Raum. Klopfer blieb genau vor uns stehen, er war den Alphas zugewandt, aus seinen Nasenlöchern zuckten Flammen hervor, die alles pechschwarz verfärbten, was noch von der Decke übrig geblieben war. Wieder rief Bob etwas, das im Lärm unterging.

„Wenn ihr auch nur einen Schritt auf sie zumacht, werde ich mir ein oder zwei Alphas rösten.“ Roths Stimme strahlte unheilvolle Ruhe aus. „Und zwar extra knusprig.“

Ein Alpha wich ein Stück weit zurück, doch Bob sah aus, als wollte er vor Wut platzen. „Du wagst es, uns zu drohen?“

„Ich wage noch viel mehr.“ Roths Haut schien dünner zu werden, da sein Gesicht scharfkantiger wirkte. „Ich werde nicht zulassen, dass ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird. Wenn ihr sie haben wollt, müsst ihr es erst mit mir aufnehmen.“

Bob lächelte erfreut, als er das hörte, während sich mir der Magen umdrehte. Roth war fest entschlossen, sich meinetwegen umbringen zu lassen. Er hatte sich geopfert und war in die Feuergruben geraten, er war von dort zurückgekehrt, und danach hatte er sich mit seinem Boss angelegt, um mir das Leben zu retten. Ich konnte unter keinen Umständen zulassen, dass er sich noch einmal schützend vor mich stellte. „Halt!“ Entschlossen befreite ich mich aus Zaynes Griff, aber sofort schob Klopfer seinen Schwanz so vor mich, dass er gerade mal einen Zentimeter von meinen Hüften entfernt war.

Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren und blickte voller Panik von Roth zu den Alphas. „Wenn ihr ein Problem mit mir habt, dann wendet euch an mich, und lasst die anderen aus dem Spiel. Können wir jetzt …“

Noch während ich redete, ging Bob auf Roth zu und hob sein flammendes Schwert, doch das gefiel Klopfer gar nicht. Er bäumte sich auf, streckte den langen Hals und machte das Maul auf, in dem Fangzähne so groß wie Fäuste zum Vorschein kamen. Der Schwefelgeruch wurde intensiver, und dann schossen Flammen aus seinem Maul hervor.

Ein schmerzerfüllter Schrei verstummte abrupt, und wo eben noch Bob gestanden hatte, befand sich nur noch ein Häuflein verkohlte Asche.

Keiner rührte sich, niemand sagte ein Wort, und alle schienen sogar den Atem anzuhalten. „Das würde ich als extra knusprig bezeichnen“, erklärte Roth beim Anblick der Überreste des Alphas.

Ich bekam weiche Knie und hob hilflos die Hände. Klopfer wandte sich dem anderen Alpha zu, es folgte eine Reihe von widerwärtigen Kaugeräuschen. Der Drache schaute mich mit seinen goldenen Augen über die Schulter an und machte das Maul auf. Eine schimmernde blaue Flüssigkeit bedeckte seine Zähne, während er einen Laut ausstieß, der sich für mich tatsächlich wie ein kehliges Lachen anhörte.

Bambi hatte einen Wächter gefressen.

Klopfer hatte einen Alpha gefressen.

Diese Hausgeister besaßen wirklich keine Manieren.

Viel wichtiger war allerdings etwas anderes: Bis zu diesem Moment hatte ich nicht gewusst, dass irgendein Wesen in der Lage war, einen Alpha zu töten, ganz zu schweigen davon, einen von ihnen zu verspeisen.

„Oh, oh!“, kreischte Stacey, und als ich mich zur Seite drehte, konnte ich sehen, wie sie versuchte, sich zwischen den Kissen auf dem Sofa zu verstecken. „Da ist ein Drache in meinem Haus! Ein Drache!“ Vermutlich war sie noch nicht so ganz aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht, sonst hätte sie sich bestimmt daran erinnert, dass auch Engel in ihrem Haus gewesen waren.

„Klopfer“, rief Roth. „Komm zu mir.“

Der Drache rülpste eine dichte Rauchwolke heraus, dann drehte er sich zu Roth um. Genauso wie Zayne machte ich einen Satz zur Seite und brachte mich vor dem Schwanz in Sicherheit. Dem Kamin erging es nicht ganz so gut. Der todbringende Drache schlug mit Wucht dagegen und riss ein paar Ziegelsteine heraus, die auf dem Boden landeten und zerbrachen. Klopfer bewegte sein immenses Gewicht hin und her.

„Stampft er mit den Füßen auf?“ Zayne stutzte.

Roth verdrehte die Augen. „Er kommt nicht oft raus.“

„Der Grund dafür dürfte ja wohl klar sein“, murmelte Stacey. Klopfer hob den Schwanz und ließ ihn auf den Boden niedersausen, womit er den Dielenbrettern den Rest gab, was Roth laut aufseufzen ließ. Der Drache schüttelte den Kopf, ihn durchfuhr ein Schaudern, ehe er zu seiner kompakten Größe zusammenschrumpfte. Er machte einen Satz auf Roth zu, tauchte an dessen Wange wieder in seine Haut ein und verschwand schnell unter dem Hemdkragen.

Reglos stand ich da und sprach kein Wort, dabei bekam ich fast nichts davon mit, wie ich mich zurück in meine menschliche Form wandelte. Meine Gedanken rasten von einem schlimmen Ereignis zum nächsten. Sam, der die Lilin war. Meine Flügel, die Federn bekommen hatten. Alphas, die reingeschneit kamen. Klopfer, der …

„Mom wird mich dafür umbringen“, flüsterte Stacey, die ein beigefarbenes Kissen an sich gedrückt hielt. Verzweifelt sah sie sich um. „Wie soll ich das bloß erklären?“

Roth schürzte die Lippen. „Wie wär’s mit einer Gasexplosion?“

Stacey wiederholte tonlos das Wort, während er weiterredete. „Ich kann das hier abfackeln, damit es überzeugender aussieht. Wenn du willst, kann ich das so hinkriegen, dass der erste Stock verschont bleibt.“

„Hast wohl viel Übung darin, wie?“, fragte Zayne ironisch. „Ach, wenn Klopfer seinen Auftritt hat, ist die Ausrede von der alten brüchigen Gasleitung immer sehr praktisch.“ Roth drehte sich zu mir um. „Alles in Ordnung mit dir?“

War mit mir alles in Ordnung?

Wut vermischte sich mit Angst – Angst um ihn. Ich sah ihn einen Moment lang an, dann stürmte ich auf ihn zu. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Wütend boxte ich ihm in die Brust. „Du hast einem Alpha gedroht!“ Wieder schlug ich ihn, diesmal fest genug, damit es wehtat.

„Autsch.“ Er rieb sich die Brust, aber das Funkeln in seinen Augen verriet, dass er das Ganze einfach nur witzig fand.

Zayne ging zu dem Aschehaufen. „Er hat den Alphas nicht bloß gedroht, er hat sie auch noch von Klopfer auffressen lassen.“

„Genau genommen hat Klopfer den einen gebraten und nur den anderen gegessen“, stellte Roth klar und klopfte sich auf den Bauch, wo Klopfer sich jetzt wieder befand.

„Oh mein Gott!“ Diesmal traf ich seinen Arm. „Du wirst solchen Ärger bekommen, Roth! Unglaublichen Ärger.“

Er zuckte mit der Schulter. „Ich habe mich nur verteidigt.“

„Nur verteidigt“, ahmte ich ihn nach und schüttelte den Kopf.

„Du kannst doch nicht durch die Gegend ziehen und Alphas umbringen, Roth!“

„Hast du diese Engel getötet?“, fragte Stacey. Also konnte sie sich doch an sie erinnern.

Mit Unschuldsmiene erwiderte er: „Na ja, ich habe das nicht gemacht, aber …“

„Roth!“, brüllte ich ihn an und wich ein paar Schritte zurück, um mich davon abzuhalten, dass ich ihm an die Gurgel ging. „Das ist nicht witzig! Du …“

Wenn er wollte, konnte er verdammt schnell sein. Eben stand er noch ein Stück von mir entfernt, und jetzt war er dicht vor mir und hatte die Hände an mein Gesicht gelegt. Er ließ den Kopf sinken, bis unsere Augen auf gleicher Höhe waren. „Es gibt Regeln, Shortie.“

„Aber …“

„Regeln, an die sich sogar die Alphas halten müssen. Sie dürfen mich nicht angreifen, solange ich sie nicht körperlich provoziere. Machen sie es doch, verärgern sie den Boss, und der Boss wird sie auf eine Weise bezahlen lassen, die die Lilin wie ein harmloses Kind erscheinen lässt. Ich bin nicht irgendein x-beliebiger Dämon, ich bin der Kronprinz. Sie haben mich angegriffen, ich habe mich gewehrt, fertig.“

Aber er hatte sie provoziert, zwar nicht körperlich, dennoch war er nicht das völlig unschuldige Opfer. Als der Schock abebbte, kam mir etwas anderes in den Sinn. Was, wenn Roth die Regeln falsch verstanden hatte? Was, wenn weitere Alphas hierher unterwegs waren, um ihresgleichen zu rächen?

„Es ist alles in Ordnung.“ Er erhielt den Blickkontakt aufrecht, während er noch etwas näher an mich herantrat, bis seine Schuhspitzen meine berührten. „Mir wird nichts zustoßen, das verspreche ich dir.“

„Dieses Versprechen kannst du mir nicht geben“, wisperte ich und sah ihm forschend in die Augen. „Keiner von uns kann das.“

Er ließ mein Gesicht los und vergrub die Finger in meinen Haaren. „Ich schon.“

Diese zwei Worte klangen so, als würde er dem ganzen Universum den Fehdehandschuh vor die Füße werfen. Ich schaute nach unten, während er mir die Haare nach hinten strich. Gerade als er seine Hände zurückzog, wurde mir bewusst, dass ich nicht allein mit ihm war.

Ich zuckte zurück, mein Blick begegnete Zaynes, und für einen Moment ließ ich es zu, Zayne tatsächlich zu sehen. Ich hatte ihn nicht beinahe umgebracht, sondern ihm etwas viel Schlimmeres angetan. Wenn ein Wächter seine Seele verlor, verwandelte er sich in eine entsetzliche Kreatur. Ich wusste das so genau, weil ich mit eigenen Augen gesehen hatte, was aus einem Wächter wurde, dem die Seele genommen wurde. Das hätte ich beinahe Zayne angetan, und trotzdem war er hier und stand immer noch zu mir.

Ich verspürte einen Stich in der Brust, als mir der eindringliche Argwohn in seinem Blick auffiel. Mein Magen verkrampfte sich, ich setzte zum Reden an, aber ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, weil ich viel zu verwirrt war. Glücklicherweise wurde mir gleich darauf die Gelegenheit genommen, zu sprechen.

„Da lasse ich dich mal ein paar Stunden unbeaufsichtigt, und du hetzt Klopfer auf die Alphas, damit er einen davon schmort und den anderen vertilgt!“

Ich stieß einen erschreckten Schrei aus, Stacey kreischte los. Mitten im verwüsteten Wohnzimmer stand Cayman, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Plopp, und da war er. Er trug eine dunkle Hose und ein halb zugeknöpftes weißes Hemd. Sein blondes Haar rahmte sein kantiges Gesicht ein. Was die Hackordnung unter den Dämonen anging, gehörte Cayman als Infernalischer Herrscher laut Roth zur mittleren Führungsebene. Er war so was wie ein Dämon für alle Fälle, und mein Gefühl sagte mir, dass er mehr war als nur ein … ähm … als ein Kollege von Roth. Auch wenn Roth das nicht sagte, waren die beiden trotzdem Freunde.

„Das ging aber schnell“, kommentierte Roth das plötzliche Auftauchen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ist halt ein Zeichen der Zeit, Mann“, erwiderte er lässig. „Innerhalb der nächsten Stunde wird das bestimmt auf der Facebook-Seite irgendeines Alphas zu lesen sein.“

Alphas hatten Accounts bei Facebook?

Stacey hielt sich das Kissen so vors Gesicht, dass nur ihre großen dunkelbraunen Augen zu sehen waren. Mit gedämpfter Stimme fragte sie: „Wer ist das?“

Ich wollte es ihr erklären, doch Cayman verbeugte sich in ihre Richtung und streckte ihr schwungvoll den Arm entgegen. „Lediglich der bestaussehende, klügste und schlichtweg charmanteste Dämon, den es überhaupt gibt. Aber ich weiß, das ist sehr viel, um es sich zu merken, daher reicht es aus, wenn du Cayman zu mir sagst.“

„M-hm.“ Sie sah sich im Zimmer um. „Okay.“

Zaynes Haut hatte sich ein wenig dunkler gefärbt, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er wieder kurz vor der Wandlung stand. Ich konnte nur hoffen, dass er Ruhe bewahrte. Cayman war ein Freund, und ein Streit zwischen den beiden war nun wirklich das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten. „Steckt Roth in Schwierigkeiten?“

„Shortie, ich habe doch …“

Ich hob die Hand, damit er schwieg. „Klappe halten. Cayman, steckt er in Schwierigkeiten?“

Cayman grinste. „Steckt er denn überhaupt mal irgendwann nicht in Schwierigkeiten?“

Leicht kniff ich die Augen zusammen. Das war tatsächlich ein gutes Argument. „Okay, droht ihm jetzt mehr Ärger als üblich?“

„Hm …“ Er sah zu Roth, dann wurde aus seinem Grinsen ein diabolisches Lächeln. Er hatte wirklich seinen Spaß. „Sagen wir mal so: Dem Boss wird nicht gefallen, was sich hier vorhin abgespielt hat. Genau genommen ist der Boss wegen einiger Dinge angesäuert, und wenn sich Roth in nächster Zeit nach unten begeben sollte, wird er eine ganze Weile nicht mehr weggehen können. Also in der Größenordnung von ein paar Jahrzehnten.“

Ich schnappte nach Luft. „Das ist nicht gut.“ So viel also zu der Behauptung, der Boss sei auf Roths Seite.

„Es könnte schlimmer sein“, warf Roth amüsiert ein.

Cayman nickte. „Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich, dass es dem Boss insgeheim gefällt, was Klopfer hier veranstaltet hat. Aber du weißt ja … Politik.“ Er seufzte, während ich die Augenbrauen hochzog. „Die kann einem den ganzen Spaß vermiesen.“

Meine Schläfen begannen zu schmerzen. „Dieser Tag heute war …“

„Unglaublich?“, schlug Stacey vor, warf das Kissen zur Seite und presste die Handballen auf ihre Wangen. Ihre bleiche Miene ließ erkennen, wie mitgenommen sie war. Ihre Hände zitterten, als sie über die Haut gleich unterhalb der Augen strich.

Ich nickte bedächtig und drehte mich um. Mein Blick fiel auf Roth, dann auf Zayne. Beide sahen mich abwartend an. Am liebsten hätte ich so getan, als wüsste ich nicht, worauf sie warteten, doch das wäre glatt gelogen gewesen.

Außerdem hätte ich wie ein Feigling dagestanden.

Eine ungeheure Last legte sich auf meine Schultern, als ich mir mit den Fingerspitzen über die Schläfen strich. Es gab noch so vieles, das erst mal geklärt werden musste. „Wir müssen uns um das hier kümmern“, sagte ich und deutete auf das Chaos im Wohnzimmer, in dem es immer noch nach Schwefel roch. Insgeheim war ich froh darüber, dass ich sofort etwas gefunden hatte, worauf ich mich konzentrieren konnte. „Stacey soll schließlich keinen Ärger kriegen.“

„Dafür wäre ich wirklich dankbar“, entgegnete sie. Als ich ihr einen Seitenblick zuwarf, sah ich, wie sie sich durchs Haar fuhr.

„Warum geht ihr nicht alle zum Café Cakes and Things, während ich mich hier um alles kümmere?“, warf Roth ein. „Kannst du das machen?“, fragte er Zayne, der sofort nickte.

„Ich werde auf sie aufpassen“, versicherte Zayne ihm ruhig. Roth zögerte, dann atmete er tief durch. „Wenn andere Wächter aufkreuzen sollten …“

„Ich werde die beiden vor allem und jedem beschützen“, beteuerte Zayne und musste selbst auch tief durchatmen. „Selbst dann, wenn … wenn es mein Clan ist.“

„Ich kann auf mich selbst aufpassen“, warf ich ein, was Roth mit einem amüsierten Blick quittierte. „Was denn? Glaub mir, wenn jemand von meinem alten Clan auf mich zukommt, werde ich ihn nicht mit offenen Armen empfangen und ihn an mich drücken.“ Ich ignorierte die aufkeimende Furcht bei dem Gedanken, noch einmal einem von ihnen gegenüberzustehen. „Na ja, Nicolai und Dez ausgenommen. Ich finde die beiden …“

„Shortie“, fiel Roth mir ins Wort.

Ich seufzte. „Schon gut, lass uns abhauen.“ Dann ging ich zu Stacey und nahm ihr das Kissen aus der Hand, das sie inzwischen wieder aufgehoben hatte und krampfhaft festhielt. „Ist das für dich okay, wenn wir rausgehen?“

Sie zwinkerte einmal, dann noch einmal. „Welche Wahl bleibt mir denn? Soll ich zusehen, wie Roth hier alles abfackelt? Ganz bestimmt nicht.“

Ich war froh, dass Stacey nach einem derartigen Tag nicht ihren scharfen Verstand verloren hatte.

Roth ging zu Cayman und legte dem anderen Dämon eine Hand auf die Schulter. „Ich möchte, dass du die Augen offen hältst, okay?“

Die Liste der Dinge, bei denen Cayman die Augen offen halten sollte, war gigantisch.

„Verstanden.“ Cayman war verschwunden. Plopp, und weg. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder Stacey zu. Tränen standen ihr in den Augen, als sie mich ansah. „Sam … er ist tot, oder?“

Ich legte das Kissen neben sie auf die Couch und kniete mich hin. Da ich einen Kloß im Hals hatte, brachte ich nur mühsam heraus: „Ja, er ist tot.“

Sie kniff die Augen zu, während ihr ganzer Körper erbebte. „Ich kann mich daran erinnern, wie ihr alle über die … die Lilin gesprochen habt und darüber, was sie den Menschen antut. Wenn Sam tot ist, dann ist seine Seele …“

Dass seine Seele in der Hölle war, wusste Stacey so gut wie ich und so gut wie jeder hier im Raum. Es gab nichts Schrecklicheres, als in der Hölle gefangen zu sein. Sam hatte nichts von den grässlichen Dingen verdient, die dort den Seelen angetan wurden.

Ich nahm Staceys Hände in meine und drückte sie fest. „Ich sage dir, wir werden Sams Seele aus der Hölle zurückholen. Das verspreche ich dir.“

3. KAPITEL

„Du hättest ihr dieses Versprechen nicht geben dürfen“, sagte Zayne leise zu mir, kaum dass Stacey zur Toilette der Bäckerei gegangen war, die etliche Blocks von ihrem Zuhause entfernt war. Ich hatte ihr angeboten, sie zu begleiten, aber sie hatte mit Nachdruck erklärt, dass sie für ein paar Minuten allein sein wollte.

Ich saß auf der Sitzbank direkt am Fenster und sah die Leute draußen vorbeieilen. Ihre Auren waren ein schwindelerregendes Durcheinander an Farben. Es war so eigenartig, auf einmal wieder Auren sehen zu können. Ein Teil von mir hatte sich daran gewöhnt, sie nicht mehr wahrnehmen zu können, während Bambi auf meiner Haut war, und ich hatte tatsächlich schon vergessen, wie irritierend diese Farben sein konnten. „Wieso nicht?“

Zayne rutschte auf seiner Bank rüber, um mir gegenüberzusitzen. „Wie willst du Sams Seele aus der Hölle holen, Layla? Roth mag ja der Kronprinz sein, aber ich bezweifle sehr stark, dass er irgendwen um die Seele bitten könnte, selbst wenn das Verhältnis zu seinem Boss nicht so belastet wäre. Die Hölle wird Sams Seele nicht einfach so rausgeben.“

„So weit hatte ich nicht gedacht.“ Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass das eine Sache war, bei der Roth uns helfen konnte. Immerhin konnte er als Kronprinz Klopfer auf Alphas loslassen, damit die gebraten oder gefressen wurden. „Aber es ist das, was wir tun müssen, Zayne. Er ist mein bester Freund.“ Mir versagte die Stimme, und ich konnte merken, wie meine ohnehin schon bemühte Kontrolle über meine Gefühle allmählich ins Wanken geriet. „Und selbst wenn er das nicht wäre, könnte ich ihn nicht da unten zurücklassen. Er hat so etwas nicht verdient. Mein Gott, Zayne, Sam hat das nicht verdient.“

„Ich weiß.“ Zayne ließ den Kopf sinken, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Ich sage ja auch nicht, dass wir ihn vergessen sollen.“

„Wir müssen irgendwas tun“, wiederholte ich und holte tief Luft, während ich mich nach hinten lehnte und die Hände auf die glatte Tischplatte legte. Ich sah in die Richtung, in die Stacey weggegangen war. Sie hatte darum gebeten, Zeit für sich zu haben, aber es fiel mir verdammt schwer, ihr diese Zeit zu geben. Im Hinblick auf alles, was sich in so kurzer Zeit ereignet hatte, erstaunte es mich, dass wir hier sitzen und uns ganz normal unterhalten konnten. „Und dann müssen wir sehen, was wir wegen der Lilin unternehmen können. Und danach …“

„Hey, nicht ganz so schnell.“ Zayne legte die Hand auf meine. Ich musterte ihn, und wieder wurde mir schwer ums Herz. Wenn ich ihn jetzt ansah, fielen mir immer die Schatten unter seinen Augen und seine leicht matte Aura auf. Ich konnte einfach nichts tun, um diese Dinge nicht zu sehen. „Ich weiß, es ist viel Verrücktes passiert, aber du hast eine Menge durchgemacht, und darüber müssen wir uns unterhalten.“

Aber ich wollte über diese Sachen nicht reden, weil vieles dafür sprach, dass ich damit nicht zurechtkommen würde.

Zayne sah das anders. „Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie schwer das für mich ist, hier zu sitzen und dich nicht an mich ziehen zu können? Nur um mich zu vergewissern, dass du wirklich noch lebst?“, fragte er. Mir stockte der Atem, als ich diese unverfälschte Ehrlichkeit aus seinen Worten heraushörte. „Was passiert ist, ist nicht deine Schuld. Das musst du dir vor Augen halten. Mein Clan … unser Clan und mein Vater hätten dir nichts von diesen Dingen antun dürfen.“

Ich ließ den Blick zu seiner Hand wandern, die meine noch immer festhielt. Seufzend schloss ich die Augen und sah Zayne in meinem Schlafzimmer bleich und reglos auf dem Boden liegen. Ich erinnerte mich daran, wie Abbot – der Wächter, der mich großgezogen hatte – nach dem Auffinden seines Sohns dastand und mich anstarrte, als wäre ich ein Monster, an dessen Erschaffung er mitgewirkt hatte. Eine ungeheure Last legte sich auf meine Brust, als ich in Gedanken wieder jene panische Flucht erlebte, um aus dem Anwesen zu entkommen, und mein darauf folgendes Versagen.

Ein Versagen, das dazu geführt hatte, dass ich unter Drogen gesetzt in einem Käfig im Keller festgehalten wurde, ohne eine Hoffnung darauf, je wieder Tageslicht zu sehen. Ich konnte noch immer den modrigen Geruch wahrnehmen, der das Kellergeschoss des Anwesens durchdrungen hatte. Und ich spürte wieder die Ketten, mit denen man mich gefesselt hatte, nachdem ich in die geheime Lagerhalle gebracht worden war.

„Layla?“

Ich erschauderte, als ich mir vor Augen hielt, dass ich mich nicht länger in diesem Käfig befand. Langsam schlug ich die Augen auf und zwang mich dazu, diese düsteren Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.

„Ich weiß zu schätzen, was du sagst. Du hast völlig recht. Was sie mir angetan haben, war verkehrt. Ich verstehe ja, dass sie dachten, ich wäre diejenige, die all die Vorfälle auf dem Anwesen ausgelöst hat – verdammt, ich hab ja sogar selbst geglaubt, ich sei eine Gefahr für jeden um mich herum. Aber sie sind zu weit gegangen.“

Meine Worte erstaunten mich selbst ein wenig. Ich hatte Abbot immer verteidigt, aber ich konnte ihm und dem größten Teil des Clans nicht verzeihen, was sie mit mir gemacht hatten. Nachdem ich in mich gegangen war, wusste ich, dass diese Wunde, die mir vor Abbots Augen zugefügt worden war, mich in meinem tiefsten Inneren verändert hatte. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel. „Sie haben sich in einem Fall, in dem es nur dürftige Indizien gab, als Geschworene betätigt, und danach sind sie auch gleich Richter und Henker gewesen. Ich hätte sterben können. Ja, ich wäre gestorben, wenn nicht Dez … ach, sag mal, in welche Schwierigkeiten haben sich eigentlich Dez und Nicolai gebracht?“

Dez und Nicolai hatten alles aufs Spiel gesetzt, weil sie zu dem Entschluss gekommen waren, Roth zu warnen, damit er mich retten konnte. Hätten sie ihm nichts gesagt, dann hätte ich jetzt nicht hier sitzen können.

Zayne senkte den Blick und verzog den Mund. „Anfangs hieß es, sie würden ausgestoßen“, sagte er, und mir stockte der Atem. Ausgestoßen zu werden bedeutete, dass sie vom Clan enteignet wurden, was für einen alleinstehenden Wächter an sich schon schrecklich war. Aber Dez hatte auch noch eine Gefährtin und zwei kleine Babys. „Aber als wir erkannten, dass das Haus von Petr heimgesucht wurde, begann Abbot einsichtig zu werden. Nicolai und Dez wird jetzt nichts zustoßen.“

Durch alles, was sich in so kurzer Zeit ereignet hatte, war mir bereits entfallen, dass Zayne mir davon erzählt hatte, wie sie durch die Bilder einer Überwachungskamera herausgefunden hatten, dass Petrs Geist der Unruhestifter war. Erleichterung überkam mich. Ich … ich hatte den jungen Wächter in Notwehr getötet, als er auf Befehl seines Vaters Elijah auf mich losgegangen war. Später hatte sich herausgestellt, dass Elijah auch mein leiblicher Vater war, was bedeutete, dass Petr als die übelste Sorte Junge, die man sich nur vorstellen konnte, auch noch mein Halbbruder war. Bei diesem Gedanken wurde mir übel. Nachdem ich Petrs Seele ausgesaugt hatte, war aus ihm ein Geist geworden.

„Du hättest auch sterben können, ich hätte dir deine gesamte Seele wegnehmen können“, redete ich leise weiter. Diese Gabe verdankte ich meiner Mutter Lilith – jene wundersame Fähigkeit, mit einem einzigen Kuss eine Seele aufzusaugen. Wer eine Seele besaß, der befand sich in Gefahr, sobald er in die Nähe meines Mundes gelangte. Bis vor Kurzem war das ein echtes Problem für mich gewesen, wenn ich mich mit Jungs verabreden wollte.

Aber dann war Roth aufgetaucht, und als Dämon fiel er nun mal in die Ohne-Seele-Kategorie. Anfangs hatte ich ihn wegen seiner bloßen Existenz verabscheut. Rückblickend musste ich einsehen, dass es viel mehr mit seiner Art zu tun hatte, wie er mich mit seinen Worten und seinem Handeln dazu brachte, alles infrage zu stellen, was mir von den Wächtern beigebracht worden war. Ein Dämon war von Natur aus niemand, den man zum Abendessen zu sich nach Hause einlud, aber nicht jeder von ihnen war eine dieser elenden Kreaturen, die zu hassen man mir mit fast schon fanatischem Eifer eingebläut hatte. Dabei hatten sie auch alle ihre Existenzberechtigung. Mit jedem Moment, den ich mit Roth verbrachte, verliebte ich mich etwas mehr in ihn. Ich hatte sehr viel mit ihm geteilt, bevor er sich opferte, um Zayne vor den Feuergruben der Hölle zu bewahren. Ich war davon überzeugt gewesen, dass ich ihn verloren hatte, doch dann war er zurückgekehrt. Bloß war von da an zwischen uns alles anders als zuvor gewesen. Roth war auf Distanz zu mir gegangen, um mich zu beschützen.

Um mich vor Abbot abzuschirmen.

Und dann waren da noch all die Dinge gewesen, die Zayne betrafen. Ich war mit ihm aufgewachsen und hatte Jahre damit verbracht, ihn anzubeten und heimlich zu lieben. Lange Zeit war er mein Ein und Alles gewesen, aber er war ein Wächter und ich nur zur Hälfte eine Wächterin, was nichts ausgemacht hätte, wäre nicht meine andere Hälfte dämonisch gewesen. Wegen seiner Seele und meiner genetischen Vorgeschichte war er für mich tabu gewesen. Die Freundschaft, die mich mit ihm verband, hatte mir einen Ausblick auf die Zukunft gewährt, die für jede Wächterin garantiert war, die für mich aber niemals im Bereich des Möglichen liegen würde. Dieses Wissen hatte meine Gefühle für ihn aber nicht im Mindesten verändert, und als Roth aus den Feuergruben zurückgekehrt war und mich abgewiesen hatte, war ich geradewegs in Zaynes Arme getrieben worden – in die Arme des Jungen, von dem ich nie gedacht hätte, dass er meine Zuneigung erwidern würde.

Doch ich hatte mich geirrt.

Ich hatte mich in vielen Dingen geirrt.

Zayne riss die Augen auf. „Aber du hast es nicht gemacht.“

„Viel hat nicht gefehlt.“ Wieder legte sich dieses erdrückende Gewicht auf mich, als ich erneut das Entsetzen jener Nacht spürte, als mir klar geworden war, dass ich mich von Zayne genährt hatte, anstatt … anstatt den Kuss zu erwidern. „Ich kann erkennen, wo ich dir etwas weggenommen habe. Ich kann es deiner Aura ansehen.“

„Mir geht es gut …“

„Was du nicht mir zu verdanken hast. Vorher konnte ich dich nur küssen, weil Bambi bei mir war. Dadurch habe ich meine Fähigkeiten kontrollieren können.“ Ich zog die Hand weg, presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Du kannst nicht ignorieren, was ich dir angetan habe. Und ich weiß auch, dass es dir nicht hundertprozentig gut gehen kann.“

Zayne sah mich lange an, dann hob er die Hand und fuhr sich durch die Haare. „Du hast noch rechtzeitig aufgehört. Mir geht’s gut. Ich fühle mich nur ein bisschen müde und … na ja, etwas missmutiger als üblich, Layla, Biene.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er meinen Kosenamen benutzte. „Missmutiger als üblich?“

Er zog die Brauen zusammen, und ich dachte schon, er würde mir nicht antworten. „Mein Temperament geht etwas schneller mit mir durch. Ich weiß nicht, ob es etwas mit dem zu tun hat, was zwischen uns vorgefallen ist, oder ob das eine natürliche Reaktion auf die Dinge ist, die sich in letzter Zeit abgespielt haben.“

Ich glaubte die Antwort darauf zu wissen. Wenn jemandem nur ein winziges Stück seiner Seele weggerissen wurde, veränderte das sein Wesen mehr oder weniger stark. Vielleicht reagierte der eine oder andere mit Stimmungsschwankungen, andere wurden unbekümmert, wieder andere gewalttätig.

Bei Zayne schien es so, dass er ein wenig von seiner Güte verloren hatte, ein wenig von dem, was ihn in meinen Augen so wundervoll machte. Und das war alles nur meine Schuld. Zwar war es nicht absichtlich dazu gekommen, aber keiner von uns – und das galt vor allem für mich – hatte auch nur ansatzweise seinen Verstand eingeschaltet. Genau deswegen hatten wir uns auch nicht eindringlicher mit der Frage befasst, wieso ich auf einmal küssen konnte, ohne eine Seele an mich zu reißen.

Andererseits hatte Zayne aber auch schon darauf hingewiesen, dass wir einiges anderes hätten tun können, für das es nicht erforderlich gewesen wäre, dass sich unsere Lippen berührten.

Als ich ihm jetzt gegenübersaß, wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass ich nicht das Verlangen verspürte, mich zu nähren. Seit sich mein Clan gegen mich gestellt hatte, war ich bei Roth und Cayman untergekommen, und da keiner von ihnen eine Seele besaß, hatte ich nicht mal daran gedacht, mich zu nähren – und das, nachdem ich siebzehn Jahre lang gegen diesen Drang angekämpft hatte.

Und obwohl ich jetzt wieder von Seelen umgeben war, verspürte ich einfach kein Verlangen.

Vielleicht waren die Ereignisse des heutigen Tages so ein Schock für mich gewesen, dass sich das sogar darauf auswirkte.

„Es tut mir leid“, sagte ich schließlich und sah nach draußen. Wir hatten die zweite Dezemberwoche, der Himmel über Washington, D. C., war grau, der Wind wehte kräftig und brachte den Geruch nach Schnee mit sich. „Es tut mir so leid, Zayne.“

„Entschuldige dich nicht“, erwiderte er sofort. „Entschuldige dich niemals bei mir. Ich bedauere nichts von dem, was zwischen uns vorgefallen ist. Nicht einen einzigen Moment.“

Bereute ich es?

„Außerdem will ich jetzt nicht über mich reden. Geht es dir gut?“, fragte er. „Was haben sie …“

„Alles in Ordnung“, antwortete ich, was mir wie eine Lüge vorkam. „Ich wurde von den Hexen geheilt. Du weißt schon, diese Hexen, die Lilith anbeten. Sie gaben Cayman etwas mit, das ich trinken sollte, und das hat funktioniert.“ Das erinnerte mich daran, dass Cayman ihnen im Gegenzug irgendetwas versprochen hatte, aber noch wusste keiner von uns, was das für ein Handel war. „Ich kann nichts dazu sagen, was das für ein Trank war.“

„Das ist irgendwie beunruhigend“, gab er zurück.

Meine Mundwinkel zuckten, und als ich hochsah, trafen sich unsere Blicke. Ohne mich aus den Augen zu lassen, stützte er die Ellbogen auf dem Tisch auf. „Layla, ich …“

Ein Schatten schob sich über unseren Tisch, und als ich den Kopf hob, entdeckte ich zuerst Staceys Aura, die in einem schwachen Moosgrün leuchtete. Eine häufig anzutreffende Farbe. Reine Seelen gab es nur sehr selten, und je dunkler der Farbton einer Aura, umso wahrscheinlicher war es, dass ihr Träger gesündigt hatte. Staceys verquollene Augen brachen mir das Herz. Ich rutschte rüber und sah kurz zu Zayne, aber sein Blick war wie ein wortloses Versprechen, dass unser Gespräch noch nicht beendet war.

„Wie geht es dir?“, erkundigte ich mich, auch wenn ich wusste, es war eine dumme Frage.

„Ganz okay.“ So hörte sie sich aber nicht an. „Ich brauchte nur ein paar Minuten für mich allein.“ Es waren eindeutig mehr als nur ein paar Minuten gewesen, aber sie konnte sich so viele Minuten erlauben, wie sie nötig hatte. Sie stand da und strich sich mit den Handrücken über die Wangen. „Ich bin doch okay, oder?“

Ich konnte nur schwach lächeln, weil mir Tränen in den Augen brannten. „Ja.“ Fürsorglich legte ich ihr den Arm um die Schultern. „Aber wenn du es nicht bist, ist es auch okay.“

Ein Zittern durchfuhr sie, als sie sich gegen mich lehnte und den Kopf auf meine Schulter legte. Normalerweise war es für mich schwierig, jemanden so nahe an mich heranzulassen, aber zum Glück nagte nicht das Verlangen an mir, mich zu nähren. „Er ist tot“, flüsterte sie.

Ich kniff die Augen zu und zwang mich dazu, tief und gleichmäßig zu atmen, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. In diesem Moment wollte ich mich einfach nur an Stacey festklammern und zusammenbrechen, weil Sam … oh Gott, Sam war nicht mehr, und ich hatte das Gefühl, dass sich tausend Rasierklingen in meinem Magen austobten. Aber ich musste stark sein – für Stacey. Sie hatte Sam viel länger gekannt als ich, genau genommen seit der Grundschule, und sie war in ihn verliebt gewesen. Ihr Schmerz hatte Vorrang vor meinem.

Ich ließ meinen Arm auf ihren Schultern liegen und schwieg, weil ich nicht wusste, was ich in solchen Situationen sagen sollte. Selbst als ich davon überzeugt gewesen war, dass Roth mich für immer verlassen hatte, gab ich die Hoffnung nicht auf, dass er noch lebte. Aber das hier war etwas ganz anderes. Hier konnte es keine Überraschungen geben. Sam würde nicht eines Tages zurückkehren. Noch nie war jemand gestorben, der mir so nahestand, und ich wusste genau, dass mein Verstand noch gar nicht richtig begriffen hatte, dass Sam tot war. Also hielt ich Stacey einfach weiter fest und starrte zur Tür, ohne wirklich Notiz von den Leuten zu nehmen, die in der Zeit kamen und gingen. Irgendwann stand Zayne auf und brachte uns zwei Becher mit heißem Kakao.

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ich auf einmal ein Kribbeln wahrnahm, das mich auf die Gegenwart eines Dämons aufmerksam machte. Uns gegenüber versteifte sich Zayne, aber als die Tür zufiel, stand da nur Roth im Laden. Er schlenderte an unseren Tisch. Zayne rutschte zur Seite, um ihm Platz zu machen. Normalerweise hätte ich lachen müssen, wenn ich die beiden bei einer anderen Gelegenheit so nebeneinander hätte sitzen sehen.

Keinem von ihnen schien die Gegenwart des anderen zu behagen.

An Roths Kleidung hing ein Brandgeruch, so als hätte er eine Weile neben einem Freudenfeuer gesessen. „Alles erledigt“, sagte er zu Stacey. „Das Erdgeschoss ist weitestgehend hinüber. Die Feuerwehr ist bereits unterwegs. Denk nur daran, dass du nach der Schule nicht nach Hause gegangen, sondern hergekommen bist, weil du dich mit Layla und Zayne treffen wolltest.“

Sie schluckte angestrengt und nickte, während sie die Finger um den Becher mit heißem Kakao legte. „Schon verstanden.“

Roth neigte den Kopf zur Seite und zog die Augenbrauen zusammen, dabei musterte er sie aufmerksam. „Du schaffst das schon.“

Als Stacey wieder nickte, bewegte er eine Hand über den Tisch, griff dann aber nach links, um meinen Kakao zu ergattern. Er trank davon, ohne auch nur einen Blick in meine Richtung zu werfen.

„Ja, gern. Bedien dich ruhig“, murmelte ich vor mich hin.

Leicht verzog er den Mund. „Und wie sieht der Plan aus, Stony?“

Ein Muskel an Zaynes Kiefer zuckte. Er konnte diesen Spitznamen nicht ausstehen. „Der Plan in Bezug auf was genau?“

„In Bezug auf die Lilin“, gab Roth zurück, als wäre das offensichtlich.

Unwillkürlich verkrampfte ich mich. „Ich glaube nicht, dass wir das jetzt besprechen sollten.“

Langsam ließ er den Blick von mir zu Stacey wandern. Nach einer kurzen Pause hörte ich ihn sagen: „Gutes Argument.“

„Nein“, widersprach Stacey und drehte sich zu mir um. „Das sollten wir genau jetzt besprechen.“

„Aber …“

„Das Ding in meinem Haus war nicht Sam. Das war nicht er“, beharrte sie und wurde lauter. Ein Paar nahe der Tür sah irritiert zu uns. „Wenn wir über die Lilin sprechen, dann reden wir nicht über Sam.“ Ihre Stimme versagte kurz. „Das Ding ist nicht Sam.“

Zayne beugte sich vor. „Bist du dir ganz sicher, Stacey?“

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