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Cheri

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Cheri, eine an Krebs erkrankte Frau, begibt sich auf ihre letzte Reise und gewinnt kraft ihrer Erinnerungen eine neue Wertschätzung für die Schönheit des Lebens und die Bedeutung des Augenblicks. Werner, ein New Yorker Maler, sieht sich in seiner brennenden Wohnung gefangen und wagt mit einem Sprung aus dem fünften Stock einen heroischen Fluchtversuch. Und eine Schriftstellerin führt das herausfordernde Unterfangen, ihre acht Enten einzufangen zu erhellenden Einsichten über das eigene Schreiben.

In drei meisterhaften Erzählungen verwebt Jo Ann Beard kunstvoll Fiktion mit persönlichen Anekdoten, erzählt von Schmerz, Hoffnung und Zerbrechlichkeit.


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Seitenanzahl: 128
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312013630
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jo Ann Beard

Cheri

Erzählungen

Aus dem amerikanischen Englisch von
Anke Caroline Burger

Für Emma Sweeney

Letzte Nacht

Etwas geschah mit ihr, beim Fressen oder direkt danach. Sie fing an, sich im Kreis zu drehen und konnte nicht mehr aufhören. In meiner Küche, im Auto und dann beim Tierarzt. Zusammen saßen wir im Behandlungszimmer auf dem Boden, der Tierarzt lehnte an der Wand und beobachtete uns. Ich weinte, aber das kümmerte ihn nicht.

»Sie haben mal angedeutet«, sagte er und blätterte in den Unterlagen, »wir sollen Ihnen Bescheid sagen, wenn es so weit ist.«

Es war noch nicht so weit.

»Es sieht so aus, als sei etwas im Gehirn gewuchert, oder eine Wucherung hat sich verschoben. Wir können ein, zwei Tage abwarten, wie es sich entwickelt. Aber wenn sie nicht damit aufhört …« Er ließ den Satz unvollendet.

»Sheba, hör auf damit«, sagte ich und hielt meinen Hund fest. Sheba sah wie die Cocker-Spaniel-Dame Susi in Susi und Strolch aus, nur alt; sie war fünfzehn.

Es war, als würde man die Hand auf einen Brummkreisel legen. Sobald ich Sheba losließ, drehte sie sich sofort wieder im Kreis. Früher nannten wir sie immer »Top Dog«, weil sie sich zum Schlafen gern lang auf unseren alten, schwarzen Labrador legte, ihr Kopf auf seinem Kopf, beide hielten die Augen geschlossen. Einmal, viele Jahre war das her, kam der Labrador vorsichtig auf die Füße, trottete in die Küche, wo mein Mann kochte, und holte sich ein Leckerli, und das Ganze, ohne den auf seinem Nacken schlafenden Welpen aufzuwecken. Der Labrador wurde fünfzehn. Die Ehe nur vierzehn.

Ich nahm die Hände von Sheba, um mir die Jacke zuzuknöpfen, und die Hündin drehte sich blind auf dem glänzenden Linoleum im Kreis, bis sie gegen das Bein des Untersuchungstischs stieß.

»Kann sein, dass es so weit ist«, sagte der Tierarzt und streckte den Fuß aus, um Sheba zu stoppen. Abgesehen von seinen neonfarbenen Joggingschuhen war der Arzt vollkommen unauffällig, wie ein Schauspieler, bei dem man bis zum Ende nicht weiß, warum er überhaupt in dem Film mitspielt, und plötzlich stellt sich heraus, dass er der Mörder ist.

Zu Hause wurde es weder besser noch schlechter. Sheba verfolgte sich selbst, Nase am Schwanz, immer weiter und weiter im Kreis, während ich versuchte, sie festzuhalten. Meine Nachbarin kam kurz rüber und sah sich das Ganze mit großen, nervösen Augen an. »Das sieht gar nicht gut aus«, sagte sie schließlich.

Mittlerweile war es dunkel, und ich kniete im Lampenlicht auf dem Wohnzimmerboden, hielt Sheba fest und ließ sie sich drehen, hielt sie fest und ließ sie sich wieder drehen. Es war Winter, aber die Nachbarin trug Badelatschen.

»Hast du keine kalten Füße?«, fragte ich.

»Doch«, sagte sie und ging heim.

Wir waren das Alleinsein gewöhnt. Unser kleines, düsteres Haus stand an einem Berghang, aber dafür hatten wir einen offenen Kamin aus Naturstein und eingebaute Bücherregale und eine fliegengittergeschützte Veranda mit Blick auf einen blauen See, hatten einen eigenen Anleger und Meeresvögel, die dort nicht hinzugehören schienen, weswegen wir sie jeden Morgen verscheuchten, beziehungsweise einer von uns verscheuchte sie, und die andere stand auf einem dekorativen Stück Treibholz und trank mit der Sonnenbrille auf der Nase ihren Kaffee, dabei brauchte man in Ithaca keine Sonnenbrille.

Wir hatten so gut wie nichts aus unserem bisherigen Leben mitgebracht – ein paar Bilder, ein paar getöpferte Schalen, einen türkischen Teppich, den wir in unserem vorherigen großen Haus in Iowa kaum bemerkt hatten, der nun aber, im neuen Haus, zum Blickfang wurde, ein letztes Überbleibsel von dem, was früher war. Diesen Teppich begann Sheba irgendwann nach Mitternacht vollzupinkeln, eine Abfolge dunkler Ringe, die zusammenliefen und einander überlappten. Um ein Uhr musste ich dann auch mal, rannte auf die Toilette und fand Sheba beim Zurückkommen in der Zimmerecke, in die sie sich hineingedreht hatte und in der sie nun feststeckte und immer wieder gegen die Scheuerleiste stieß.

Drehend und drehend im sich weitenden Kreisel.

»Sheba«, sagte ich.

Kann der Falke den Falkner nicht hören.

»Sheba«, sagte ich und hielt ihr Gesicht in den Händen. Blind sah sie mich an, und mir wurde mit einem Mal klar, dass der Tierarzt recht hatte, etwas war gewuchert, oder eine Wucherung hatte sich verschoben, und jetzt war Sheba in sich selbst gefangen.

Ich wusste von Anfang an, dass ich irgendwann ohne sie würde leben müssen; ich wusste nur nicht, dass irgendwann morgen sein würde. Alles zerfällt. Das hatte ich vergessen, hier in der stillen Geborgenheit von Ithaca.

Und so blieben wir Shebas ganze letzte Nacht lang wach, sie und ich, warteten darauf, dass die Tierarztpraxis aufmachte, im Wohnzimmer auf dem türkischen Teppich, in der Küche neben ihrem Fressnapf und schließlich in die Ecke gedrückt auf dem Bett, mein Körper eine Schranke zwischen ihr und der Bettkante. Irgendwann konnte ich nicht mehr, meine Augen fielen zu, und sobald das geschah, hatte ich das Gefühl, mich ebenfalls im Kreis zu drehen, unser Leben rollte sich ab wie ein Wollknäuel, das von Ithaca bis zurück nach Iowa reichte. Ich sehe meinen Mann, wie er sich an die Brust klopft und die Arme ausbreitet, Sheba springt hinein. Ich sehe den Labrador, der Sheba wie eine Haube auf dem Kopf trägt. Ich sehe Sheba unter den Meeresvögeln rennen, die am Strand entlangfliegen. Verlass mich noch nicht, sage ich zu meinem Mann, und er verlässt mich. »Verlass mich noch nicht«, sage ich laut in die Dunkelheit des Schlafzimmers.

Früher schlief sie immer am Fußende des Bettes, und beim ersten Licht, den ersten Bewegungen, kroch sie verschlafen hoch auf mein Kissen, und wenn ich die Augen öffnete, blickte ich in ihr Gesicht. Das alternde Hundeschauspielerinnengesicht – die dunklen Augen, die langen hinreißenden Ohren. Verlass mich noch nicht. Sobald ich sie loslasse, dreht sie sich in immer weiter und weiter werdenden Kreisen, gerät zu nah an den Abgrund. Komm zurück, kleine Sheba. Mittlerweile sind wir beide dem Abgrund ganz nah und spähen darüber hinweg in das große metaphorische Jenseits.

Und dann ist die Dämmerung da, und dann ist es acht, und ich bewege mich vorwärts, in den Tag hinein, und ich denke nicht darüber nach. Ich trage Sheba hinunter an den See, damit sie noch ein wenig am Ufer stehen kann, darüber ziehen die Vögel ihre Kreise und geben Vogelgeschrei von sich. In Iowa lief Sheba einmal in ein Maisfeld und kam sehr lange nicht heraus; als sie schließlich doch wieder auftauchte, wirkte sie nachdenklich. Der Labrador machte sich mal über den Müll her und würgte hinterher etwas hoch, das wie ein ganzer Geburtstagskuchen aussah, inklusive Kerzen. Ich trage Sheba den Berg wieder hoch, und die Nachbarin, halb angezogen für die Arbeit, kommt aus ihrem Haus gerannt und hält mir die Wagentür auf.

»Ist es so weit?«, fragt sie mich.

»Noch nicht«, antworte ich.

Auf der ganzen Fahrt durch die Stadt, während ich am Steuer sitze und Sheba mit der anderen Hand auf dem Beifahrersitz festhalte, denke ich: Nicht nachdenken. Auf der ganzen Fahrt von Iowa nach Ithaca, alle endlosen achthundert Meilen, stand Sheba auf dem zusammengerollten Teppich, Schnauze auf meiner Schulter, und sah zu, wie die Landschaft vorbeizog.

Ich spüre Sheba bebend unter meiner Hand, als sie sich im Kreis zu drehen versucht, und dann biegen wir ab, fahren auf den Parkplatz und sind da.

Es ist so weit.

Werner

Werner Hoeflich verbrachte den Abend bei seinem Cateringjob und schenkte in einem weiträumigen Apartment mit Blick auf den Central Park Weißweinschorlen und Diet Coke mit Wodka aus. Orchideen, dicke Teppiche und ein Hund mit langem blonden Haar zierten das Apartment. Spät ging Werner von der U-Bahn durch die mit Metallgattern und Vorhängeschlössern gesicherten Straßen der Upper East Side nach Hause. Die Bäume in seinem Viertel waren dürr und zäh wie verwachsene Tanten.

Einmal sah Werner einen Wellensittich in einem dieser Straßenbäume sitzen, der das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und zu ihm herunterstarrte. Der Vogel wetzte beide Seiten seines Schnabels am Ast und flog dann in einer panischen Rechtskurve weit nach oben zu einem Fensterbrett. Werner sah die Welt mit den Augen eines Malers – der Kontrast zwischen dem wilden Vogel und dem zahmen Baum, das lavendelblaue Federkleid, der titanweiße Pflatsch auf dem Gehweg, so etwas fiel ihm auf. Werner liebte New York für diese kleinen Überraschungen, obwohl man ehrlicherweise zugeben musste, dass auch Oregon und Iowa und Arizona und der Rest der Welt kleine Überraschungen dieser Art bereithielten. Satt orangefarbene Sonnenaufgänge, gestreifte Kühe, Dairy Queens, es gab so viel, das nicht von Bergen schwarzer Mülltüten und dem Geruch von Hundepipi begleitet wurde. Aber in dieser Nacht roch es nicht; es war kalt und frisch auf den dunklen Straßen. Werner bog ab, und sein Wohnhaus tauchte auf, eine fast hundert Jahre alte Mietskaserne, wo ungefähr zu diesem Zeitpunkt – kurz vor Mitternacht des 19. Dezember 1991 – eine andere Art von Überraschung, die New York für seine Bewohner bereithielt, Gestalt annahm. Drei Stockwerke unter Werners Wohnung schwelte es, in einem Stück stoffummantelter Elektroleitung, mitten in der Wand, und dann öffnete sich das Stromkabel wie eine Blüte.

Zur Straße hin bildete das Haus eine geschlossene Front, aber in Wirklichkeit waren es zwei direkt nebeneinanderstehende, nur an der Fassade miteinander verbundene Mietskasernen. Werner schloss die linke Haustür auf, ging nach hinten durch und stieg das Treppenhaus hoch bis in den fünften Stock, wo er von seiner Katze Two begrüßt wurde. Sie trottete vor ihm her in die Küche und wartete auf ihr Mitbringsel, das auf einem Stück Alufolie serviert wurde – ein blasser Schmierrest Leberpastete und mehrere durchsichtige Stücke Sashimi.

Werner legte die Füße hoch, rief in Eugene, Oregon, an und führte ein angenehmes Gespräch mit seiner Mutter. Er telefonierte gern spätabends, wenn zu Hause an der Westküste der Tag gerade erst zu Ende ging, er noch genug Energie hatte und in Unterwäsche in seiner überheizten Altbauwohnung saß. Die Wände waren krumm und pockennarbig, bestanden aus dickem, mit Pferdehaar verstärktem Putz, aber er hatte sie schön weiß gestrichen und den Dielenboden abziehen lassen. Die beigeblonden Dielen schimmerten im Lampenlicht. Vereinzelt hingen seine eigenen Gemälde an den Wänden, dunkle Hintergründe, aus denen Umrisse ragten – Baumaschinen, die Nockenwelle eines Überseedampfers, einfache Werkzeuge, fast abstrakt, aber nicht ganz.

Als Werner in dieser Nacht endlich einschlief, war es, als würde er langsam im Wasser nach unten sinken, Faden um Faden, bis auf den Meeresgrund. Vielleicht träumte er gerade, als die Elektroleitung nicht mehr nur schwelte, sondern zu brennen begann. Werner glaubte, Dinge in der Dunkelheit wirbeln zu spüren, aber wenn er nach ihnen zu fassen versuchte, drückte ihn das Gewicht des Wassers hinunter ins Bett.

Irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens hörten die Mieter in 2C ein lautes Hämmern in der Decke, kurz darauf stürzte die Decke ein. Die Nachbarn darüber in 3C hörten dasselbe Geräusch, und dann stürzte auch ihre Decke ein. Die Bewohner schafften es bis zur Feuertreppe und fingen an zu schreien. Die Familie aus 2C floh mit ihren Kindern durchs Treppenhaus, auch wenn die Frau vor lauter Panik wie gelähmt war und ihr Mann sie hinauszerren musste. In ihrer völligen Verwirrung ließen sie die Wohnungstür offen stehen.

Das Feuer verschlang 2C und schlug nach draußen auf den Gang. Werner wurde von den Schreien wach. Er schlief zwei Meter über dem Boden in einem Hochbett neben einem Fenster, richtete sich auf und zog an der Kette der Lampe, einer nackten Deckenglühbirne. Im plötzlichen Licht sprangen ihn rechteckige Formen an – Schrank, Tür, Teppich. So etwas wie diese Schreie hatte Werner noch nie im Leben gehört.

In seinem Kopf drehte sich alles, wie ein Autoreifen, der keinen Halt findet: das vertraute Terrain seines Schlafzimmers, der durchdringende Geruch von Rauch, der zwischen den Blättern des Fensterventilators hereinkroch, seine angewinkelten Beine unter dem Bettlaken.

Er musste sich etwas anziehen und raus auf die Straße, den schreienden Menschen helfen. Er fasste nach seinen Kleidern, konnte aber das, was er als Erstes brauchte, nicht finden: Unterwäsche. Er drehte sich um und wieder zurück. Vor seinem geistigen Auge sah er sie – Stapel bunter Boxershorts und andere Unterhosen, ordentlich gefaltet auf dem Regal –, aber irgendetwas blockierte ihn, eine unsichtbare Barriere zwischen ihm und dem nächsten Schritt. Er stand vor dem hohen, uneinnehmbaren Schrank. Er war seit circa fünfzehn Sekunden wach. Die Schreie klangen lang und laut – Menschen am Rande des Wahnsinns.

Ohne Unterhose konnte er nicht denken.

Der Geruch war vertraut, entstammte aber ferner Vergangenheit – Lagerfeuer, früher, im Wald von Oregon. Gebrühter Kaffee, nasse Socken, Werner bewegungslos auf einem Baumstumpf, Pfeil und Bogen im Schoß. Rehe, hatte ihm jemand erklärt, benötigten mindestens zwei Sinneseindrücke, um eine Gefahr orten zu können. Sehen, Hören und Riechen mussten als Paar zusammenkommen, sonst standen Rehe stockstill da und wussten nicht weiter.

Er hörte Schreie, er roch Rauch.

Nackt stürzte Werner zur Wohnungstür, entriegelte die Schlösser, riss die Tür auf, und eine Wand aus Rauch schlug ihm entgegen. Er knallte die Tür wieder zu, drehte sich um und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Wohnung. Durchs Wohnzimmer kam noch mehr Rauch herein. Werner stellte sich das Dach oben und die Straße unten vor. Mittlerweile war er seit vielleicht fünfundzwanzig Sekunden wach und kam zu seinem ersten zusammenhängenden Gedanken. Er dachte, dass er nicht nackt sein wollte, wenn er aus dem Fenster sprang.

Er ging zurück ins Schlafzimmer, und eine trockene, papiergraue Wolke verschlang ihn. Er ließ sich auf Hände und Knie fallen und legte die Wange an den Boden. Trotz Kurzsichtigkeit sah er aus dieser Makroperspektive sehr klar, dass der Rauch sich zwischen den Dielen hindurch nach oben drückte, dunkle Partikel wirbelten umher, als seien sie ein Vogelschwarm, der sich als Ganzes durch den Himmel bewegte und im Einklang die Richtung wechselte. Schwarze Gänse am Himmel von Oregon. Am Boden würde er keinen Sauerstoff finden.

Die Zeit verlangsamte sich.

Bei Werner sah es unaufgeräumt aus wie in einem Teeniezimmer; die nackte Glühbirne wirkte billig und grell, ein wenig wie in einer Folterkammer. Auf dem Weg zum Fenster zog Werner an der Kordel der Glühbirne und mühte sich dann im Dunkeln, das Fenster nach oben zu schieben. Doch der in die obere Hälfte des Schiebefensters eingesetzte Ventilator blockierte es. Er schob die Finger in das Gitter des Geräts und zog, aber nichts bewegte sich. In diesem Augenblick wurde Werner zum Tier, riss wie ein Wilder an dem unbeweglichen Ding, die Panik kochte in ihm hoch und verschlang ihn wie Flammen.

Er ließ den Ventilator los. Schwer hingen die Arme an seinen Seiten herunter.

Als Teenager war er mal mitgegangen zur Jagd, gejagt wurde bei einem Patienten seines Vaters. Als Letzterer ihn dem Waldbesitzer vorstellte, sagte Werner nur »Hi«. Hinterher schimpfte sein Vater ihn dafür aus, dass er sich nicht höflicher verhalten habe, etwas, das sein Vater nie zuvor getan hatte. Er erklärte Werner, wenn er einem Erwachsenen vorgestellt werde, müsse er vortreten und demjenigen die Hand geben. Sein Vater war Arzt, ein anständiger, freundlicher Mann; es war mehr oder minder das einzige Mal, dass er bei seinem Sohn jemals laut geworden war.

Eine Veränderung ging in Werner vor. Er sprach freundlich, aber bestimmt mit sich selbst, als sei er sein Vater. Werner, sagte er, du musst dich beruhigen. Du bist früher auch mit diesem Ventilator zurechtgekommen.

Tatsächlich fiel es ihm wieder ein – das Gerät hing an zwei ordentlichen Haken, die er selbst dort angebracht hatte. Werner hob den Ventilator heraus, schob beide Fensterflügel nach oben, klemmte sie gut im Fensterrahmen fest, streckte seinen gesamten Rumpf aus dem Fenster und schnappte nach Luft.

Urplötzlich wurde alles in ihm ruhig und klar; er konnte wieder atmen. Er blickte um sich, lauschte, hörte Sirenen.

»Es brennt, es brennt! Ruft die Feuerwehr!«, brüllte er, wobei er sich so weit wie möglich aus dem Fenster lehnte.

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