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Holmes & Moriarty

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Noch nie zuvor musste Sherlock Holmes so eng mit seinem größten Erzfeind zusammenarbeiten

London, 1889: Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von einem jungen Schauspieler engagiert, um einem seltsamen Fall nachzugehen. Zu seinen Aufführungen kommen jeden Tag dieselben Zuschauer – jedoch immer in anderen Verkleidungen. Zur gleichen Zeit läuft Professor Moriarty und Sebastian Moran die Zeit davon: Sie werden für einen mysteriösen Mord verantwortlich gemacht und müssen untertauchen.

Eine unsichtbare Hand zieht das Netz um die beiden verfeindeten Genies Holmes und Moriarty immer enger. Schnell wird klar, dass es hier um weit mehr geht als sie. Werden die beiden über ihre Schatten springen und zusammenarbeiten können, oder ist die Welt dem sicheren Untergang geweiht?

Ein kriminalistisches Abenteuer auf den Spuren Arthur Conan Doyles


  • Erscheinungstag: 27.05.2025
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365009895

Leseprobe

Zum Buch

London, 1889: Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von einem jungen Schauspieler engagiert, um einem seltsamen Fall nachzugehen. Zu seinen Aufführungen kommen jeden Tag dieselben Zuschauer – jedoch immer in anderen Verkleidungen. Zur gleichen Zeit läuft Professor Moriarty und Sebastian Moran die Zeit davon: Sie werden für einen mysteriösen Mord verantwortlich gemacht und müssen untertauchen.

Eine unsichtbare Hand zieht das Netz um die beiden verfeindeten Genies Sherlock und Moriarty immer enger. Schnell wird klar, dass es hier um weit mehr geht als sie. Werden die beiden über ihre Schatten springen und zusammenarbeiten können, oder ist die Welt dem sicheren Untergang geweiht?

Zum Autor

Gareth Rubin ist britischer Bestseller-Autor und Journalist. Er lebt in London und schreibt für diverse britische Zeitungen über Reisen, Kunst und Soziales.

Gareth Rubin

Holmes
&
Moriarty

Übersetzt von Marie Rahn

HarperCollins

Für Jacob

Kapitel 1

Zuweilen habe ich in diesen dürftigen Reminiszenzen an meine Zeit mit Sherlock Holmes versucht, die Gemütsbewegungen zu schildern, die ich empfand, wenn wir von den Behörden gerufen wurden, um einen Vorfall zu enträtseln, den selbst ihre klügsten Köpfe nicht erklären konnten. Allerdings muss gesagt werden, dass solche Beschreibungen meinen Gefährten stets irritierten, denn er beharrt darauf, dass das Interesse an solchen Fällen ausschließlich ihrer Funktionsweise gelten sollte, wie bei einem Handbuch über die korrekte Konstruktion einer Lokomotive, und nicht den menschlichen Seelenregungen, die damit einhergehen. Daher sollte ich derlei Färbung aus meiner Schilderung heraushalten, sagt er. Und doch, sosehr ich Holmes auch immer bewundert habe – schließlich ist er der größte beratende Detektiv, den die Welt je gesehen hat –, musste ich ihm in diesem Punkt stets widersprechen.

Daher will ich erzählen, was ich zwei Tage vor Weihnachten 1889 im Licht der untergehenden Sonne empfand.

Es war Furcht. Furcht, wie ich sie nie gekannt hatte.

Denn der Mord an Britanniens Kriegsminister, und zwar zu einer Zeit, da ganz Europa an der Schwelle zum bewaffneten Konflikt stand, konnte der Funken sein, der den Kontinent in ein explodierendes Pulverfass verwandelte. Dann hätte Krieg einen Großteil der Welt überzogen. Und ich habe Krieg gesehen. Ich habe das offene Tor zur Hölle gesehen.

Was stand zwischen uns und diesem Tor? Es war ein Anblick, den ich nicht mal in meinen aberwitzigsten Träumen für möglich gehalten hätte: der Anblick, wie der stets untadelige Sherlock Holmes und der arglistige Stammgast der kriminellen Unterwelt, Professor James Moriarty, zusammenarbeiteten, als wären sie alte Freunde und nicht zwei Gegner, die einander unwiderrufliche Vernichtung geschworen hatten. Sie arbeiteten zusammen, um ganz Europa vor dem Untergang zu bewahren.

Ja, auf einem Schweizer Berg, während ein schrecklicher Schneesturm wütete, vereinigten sich ihre Geister, verschmolzen miteinander und erschufen durch die Verbindung von Gut und Böse eine Waffe, mit der sie einer Gefahr den ersten Schlag erteilen konnten, die die Welt noch nie gesehen hatte – und, darum bete ich, die sie auch nie mehr sehen wird. Als die Nacht anbrach, sah Moriarty mich an und streckte die Hand aus. Ich nickte und reichte ihm eine Handvoll Patronen, jede einzelne dazu gemacht, einen Mann ins Grab zu bringen, da –

Doch ich greife vor. Holmes tadelt mich immer, wenn ich das tue. »Alles der Reihe nach, Watson. Ohne Ordnung, was bliebe uns da außer Chaos?« Und ich muss zugeben, da hat er recht. Also sollte ich mich an die Reihenfolge halten, in der die Ereignisse vonstattengingen.

*

Bei meinen früheren Berichten, insbesondere dem über die seltsame Affäre um den griechischen Dolmetscher, hatte ich die Gelegenheit, den Diogenes-Club zu erwähnen, die Zuflucht für die ungeselligsten Gentlemen Londons. Ein Mann, dem allein schon der Gedanke an Gesellschaft zuwider ist, kann sich in diese gedämpfte Atmosphäre zurückziehen, um dort Zeitungen oder dickere Schwarten zu lesen, ohne auch nur vom geringsten Geräusch gestört zu werden. Tatsächlich riskiert jeder, der in den öffentlichen Räumen des Clubs auch nur die Anwesenheit eines anderen zur Kenntnis nimmt, den dauerhaften Ausschluss aus diesem Club. Für Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, ist das Besucherzimmer vorbehalten, obwohl jedes Mitglied, das beim Betreten oder Verlassen dieses Raums gesehen wird, einen Vermerk im Clubverzeichnis bekommt.

Kurz gesagt stellte es den perfekten Ort für Holmes’ Bruder Mycroft dar (der in der Tat auch eines der Gründungsmitglieder war). Sherlock bescheinigt seinem Bruder einen detektivischen Scharfsinn, der sogar seinen eigenen übertrifft – ein Faktum, auf das sich unser Secret Service oft verlassen hat, wie Holmes mir versichert –, doch durch die reine Faulheit seines Besitzers in seiner Wirksamkeit stark beeinträchtigt wird.

Diese Trägheit war ihm schon immer zu eigen, zu der Zeit, von der ich berichte, war sie allerdings krankhaft geworden. Mycroft verließ sein Zimmer im Club nicht mehr, und ich war gerufen worden, um ärztlichen Rat zu erteilen.

Das Zimmer war rein zweckmäßig gehalten: Die Mitglieder des Clubs präferieren eine spartanische Umgebung. Jedes Möbel muss einen Zweck erfüllen, Schönheit ist nicht gefragt. Also gab es zwei solide Stühle und einen Schreibtisch, aber kein einziges Gemälde, keinen Druck oder gar Blumen. Wir standen am Fußende des Betts, in dem Mycroft lag und gleichzeitig eine Abhandlung über Arachniden des Vorderen Orients in seiner rechten Hand und Dantes komplette Originalfassung seiner Göttlichen Komödie in seiner linken Hand las. Der weiß gekleidete Diener des Clubs, der uns ins Zimmer geführt hatte, gab ein paar heisere Bemerkungen von sich, verweilte grundlos noch ein paar Sekunden, um uns finster anzustarren, und verschwand dann unvermittelt – worauf sich Mycrofts Mund zu einem schmalen Lächeln verzog.

»Du hast selbstverständlich bemerkt, Sherlock, dass Manning kürzlich eine schwere Schlappe erlitten hat?«, krächzte er. Während Sherlock groß, blass, dünn und kantig ist, seine schwarzen Haare zurückgekämmt hat und über scharfe, grüne Augen und die Aura eines indischen Asketen verfügt, der plötzlich in hektische Betriebsamkeit geraten kann, ist Mycroft klein und rundlich, mit einem dunkleren Teint und einem seltsamen Ziegenbart, die ihm das Aussehen eines russischen Anarchisten verleihen.

Er war mit einem Seidenpyjama und einem ägyptischen Fez bekleidet, während wir, die aus dem dichten Winternebel hereingekommen waren, dicke, feuchte Mäntel trugen: Draußen herrschte ein Smog so dick und grünlich wie Erbsensuppe, sodass allerorts Kutschen und Straßenkehrer zusammenstießen und Taschendiebe genug Beute machten, um sich zur Ruhe setzen zu können. Zudem waren wir so eng aneinandergedrängt, dass wir den Dampf spüren konnten, der den Kleidern des anderen entstieg. Und selbst unter meinen Rugbyteam-Kollegen vom Blackheath-Club gelte ich als großer Kerl, also musste ich mich in die schmale Schlafkammer geradezu hineinquetschen. Wie gern hätte ich meine tropfnassen Überkleider ausgezogen, allein, es fehlte der Platz dazu.

Um alles noch schlimmer zu machen, hatte ich in der Woche das fatale Experiment mit den Koteletten gewagt, in der Hoffnung, meinem Gesicht etwas mehr Gewichtigkeit zu verleihen – wie sich herausstellte, gewannen meine Wangen lediglich mehr an Gewicht –, und die waren jetzt ebenfalls ziemlich nass. Ich beschloss, sie abzurasieren, sobald wir in unsere behaglichen Räumlichkeiten in der Baker Street zurückgekehrt waren. Außerdem waren sie erheblich grauer als mein helles Haupthaar, und dieser deutliche Hinweis darauf, dass ich nicht mehr der Jüngste war, wollte mir gar nicht gefallen. Selbst der Hosenbund spannte ein wenig mehr als früher.

»Ich habe das Offensichtliche gesehen«, antwortete Holmes auf die Frage seines Bruders. »Dass er heute Morgen beim Rennen in Kempton zehn Shilling auf ein Pferd gesetzt hat, sein Gaul den Sieg knapp verfehlte und er jetzt einen großen finanziellen Engpass hat.«

»Was?«, stieß ich hervor. »Woher wissen Sie das?«

»Ach, Watson. Sicherlich haben Sie sein niedergeschlagenes, ja geradezu verdrossenes Auftreten bemerkt, als er uns hierherführte, und sein unziemliches Herumlungern nach Erfüllung seiner Pflicht – obwohl das Erbitten eines Trinkgelds von Mitgliedern oder ihren Gästen in dieser Institution zweifellos ein strafbares Vergehen ist.«

»Allerdings«, bestätigte Mycroft.

»Aber der Rest …«

Holmes seufzte. »Das Gras auf seinen Stiefeln. Wir haben Mitte Dezember, da findet man Gras nur auf penibel gepflegten Rasenflächen. Der Umstand, dass er keine Zeit hatte, sein Schuhwerk vor Arbeitsantritt zu putzen, zeigt, dass er direkt von dem Ort kam, wo er die Rasenspuren aufgenommen hat. Die Papierfetzen, die er einfach in seine Hosentasche gestopft hatte und von denen einer eine halb durchgerissene Zehn zeigte, ergeben sicher die Quittung, die ihm vom Buchmacher ausgehändigt wurde. Da ich bezweifle, dass Manning auf jedes Rennen zehn Guineas setzen kann, müssen es zehn Shilling gewesen sein. Desgleichen muss es Kempton gewesen sein, aus dem einfachen Grund, dass heute nirgendwo anders Pferderennen stattfinden; und es ist klar, dass das von ihm gewählte Pferd dem Sieg nahe war, denn seine Stimme klang sehr angestrengt und heiser, also hat der Mann es lautstark angefeuert, bis ihm die Stimme brach. Die Mühe hätte er sich nicht gemacht, wenn der Gaul von Anfang an weit hinten gelegen hätte.«

»Gute Güte!«, rief ich aus.

»Sehr gut, Sherlock«, sagte Mycroft lächelnd. »Nur eines stimmt nicht.«

»Und das wäre?«, erkundigte sich mein Freund mit milder Neugier.

»Es war kein Pferd.«

»Nein?«

»Ach, Sherlock. Hast du es nicht bemerkt? Den Hundegeruch, der an ihm haftete? Der war doch eindeutig. Hunderennen, Bruder. Manning war ohne jeden Zweifel in Walthamstow.«

Mein Freund zuckte die Achseln, als kümmerte ihn das nicht, doch ich wusste es besser. »Was hast du eigentlich?«

»Ach, nur eine Erkältung, glaube ich.« Mycroft schien es zu genießen, dass ihm isolierte Bettruhe vergönnt war. »Können Sie mir etwas geben, um die Schmerzen zu lindern, Doktor?«

»Ich lasse Ihnen etwas schicken. Trinken Sie zweimal täglich ein Glas davon nach den Mahlzeiten. Das sollte helfen.«

»Danke. Und Sherlock, dich wollte ich um eine Gefälligkeit bitten.«

»Und welche?«

»Ich beabsichtige, für eine Weile hierzubleiben. Allerdings befinden sich in meinem Haus gewisse Dokumente, die ich nicht für jeden Einbrecher von hier bis Konstantinopel herumliegen lassen möchte. Bring sie in mein Büro in Whitehall. Und schütze sie mit deinem Leben. Zum jetzigen Zeitpunkt sind sie höchst sensibel.«

»Sind einige vielleicht in deutscher Sprache verfasst? Oder in russischer?«

»Und in französischer und ein paar in italienischer. Ein paar Brocken Türkisch sind auch darunter. Ja, du hast richtig geraten, Bruder.«

»Das war nicht schwer angesichts dessen, was deine Kollegen in Westminster beschäftigt.«

Endlich begriff ich. In den letzten Monaten berichteten die Zeitungen immer häufiger von Unruhen in ganz Europa. Eine Reihe jüngerer Politiker und Thronanwärter hatten in ihren Heimatländern nationalistische Gefühle geweckt. Und ihr Zusammenwirken hatte die Großmächte von Europa in höchste Alarmbereitschaft versetzt und noch dazu zu gegenseitigen Schuldzuweisungen geführt.

»Allerdings, Sherlock. Allerdings. Die Dokumente sind in meinem Safe. Jarrow, der Privatsekretär von meinem Büro in Whitehall, wird wissen, was damit zu tun ist.«

»Ich sorge dafür, dass er sie bekommt. Sonst noch etwas?«

»Nein, nein.« Damit widmete er sich wieder der Lektüre der zwei Bücher, als wäre unser Besuch gleichzeitig mit dem Gespräch beendet.

»Und wie lautet die Kombination für den Safe?«, fragte ich, überrascht, dass er uns diese Information nicht gegeben hatte.

Völlig verwirrt sah er mich an. »Warum in aller Welt fragen Sie das?«

»Nun, wir werden den Safe wohl kaum ohne Kombination öffnen können«, erwiderte ich.

»Ach, nicht?« Immer noch verwirrt wandte er sich an Holmes. »Stimmt das, Sherlock?«

»Natürlich nicht«, gab mein Freund zurück.

Mycroft beäugte mich, als hätte ich behauptet, der Mond sei ein Riesenfisch. »Höchst befremdlich«, murmelte er.

»Kommen Sie, Watson«, setzte Holmes an, »wir sollten –«

Doch bevor er seinen Satz beenden konnte, klopfte es leise an der Tür.

Mycroft stöhnte auf. »Oh nein, keine Besucher mehr«, klagte er, »ich bin ein kranker Mann.«

Da ich nicht noch mehr Jammern und Stöhnen hören wollte, ging ich selbst öffnen und sah zu meiner Überraschung einen gut gekleideten jungen Gentleman – ehemaliger Harrow-Schüler, wie ich an der Krawatte erkannte (denn nicht nur Holmes besitzt die Gabe der Deduktion) – mit ordentlich geschnittenen hellen Haaren und einem angenehmen jungenhaften Gesicht. Seine große, kräftige Gestalt ließ auf viel körperliche Ertüchtigung schließen – ich selbst hätte ihn in die Abwehr gesteckt. Gerade öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, da packte ihn Holmes an der Schulter und riss ihn mit einem Ruck ins Zimmer.

»Junger Mann«, sagte er, »es ist lebenswichtig, dass Sie in diesem Club außerhalb des Besuchszimmers und der privaten Räume kein Wort von sich geben. Denn sonst würden Sie sofort mit Gewalt auf die Straße geworfen.«

Der Gentleman wirkte etwas erschüttert angesichts solcher in Aussicht stehender Behandlung, fing sich jedoch rasch wieder. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm um etwas Ernstes ging. »Mr. Sherlock Holmes?«

»Selbstverständlich.«

»Ich habe nach Ihnen gesucht, Sir.«

»Natürlich, sonst wären Sie ja nicht hier. Ich nehme an, die bewundernswerte Mrs. Hudson hat sich Ihrer erbarmt und Ihnen unseren Aufenthaltsort genannt?«

»So ist es, Sir.«

»Sherlock, ich versuche zu lesen«, murrte Mycroft, ohne den Blick von seinen Büchern zu heben. »Diese Achtbeiner sind faszinierende kleine Biester und erfordern momentan meine gesamte Aufmerksamkeit.«

Holmes wies auf den jungen Mann, der wohl hoffte, unser nächster Kunde zu werden. »Machen Sie es kurz.«

Der Gentleman wirkte leicht aufgelöst. »Mr. Holmes, mein Name ist George Reynolds, und ich bin das Opfer eines Betrugs. Allerdings eines so seltsamen Betrugs, dass ich nicht mal sicher sein kann, ob es tatsächlich ein Betrug ist.«

Holmes presste leicht die Lippen zusammen. Dies war der einzige Hinweis darauf, dass eine solche Erklärung einen Hauch Interesse bei meinem Freund geweckt hatte. »Wie das?«

Der junge Reynolds fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes Haar. »Sir, ich bin von Beruf Schauspieler. Zwar behaupte ich nicht, der größte Stern am Himmel meiner Generation zu sein, doch ich bin schon recht gut. Gegenwärtig habe ich ein Engagement.«

»Verstehe, Sie spielen die Titelrolle in Richard III und hatten heute Vormittag bereits eine Vorstellung.«

Der junge Mann starrte ihn an. »Woher wissen Sie das?«

»Der kaum sichtbare Abdruck auf Ihrer Stirn bildet einen Ring, was darauf hinweist, dass Sie während der gesamten Vorstellung einen Hut oder eine Krone getragen haben. Aber noch verräterischer ist Ihre Haltung. Als Schauspieler werden Sie geübt haben, so aufgerichtet und stolz wie möglich zu stehen, und doch ist Ihre Haltung momentan leicht gebückt, was darauf hinweist, dass Sie lange vornübergebeugt standen und Ihr Rücken sich noch nicht davon erholt hat. Aber kann man etwas anderes als eine steife Wirbelsäule erwarten, nachdem man drei Stunden mit krummem Rücken zugebracht hat?«

Als er das hörte, blinzelte der junge Mann und richtete sich auf. »Ja. Ja, verstehe.«

Mycroft seufzte vernehmlich.

»Und nun zu dem Betrug, den Sie erwähnten.«

»Es ist so, Mr. Holmes: Alle anderen in der Inszenierung, vom Schwertträger bis zur Königin, sind blutige Anfänger. Sie haben keine Ahnung, was sie da tun, sind kaum in der Lage, ihren Text zu behalten, haben eine schrecklich schlechte Artikulation und können eigentlich überhaupt nicht als Schauspieler betrachtet werden.«

Holmes schürzte leicht die Lippen vor Unmut über die Verschwendung seiner Zeit. »Dann bedaure ich das Publikum, doch derlei berufliche Enttäuschungen gehören kaum zu meinem Interessengebiet. Einen schönen Tag noch.« Und damit schob er den jungen Mann zur Tür.

»Aber das Publikum ist verzückt«, widersprach der junge Bursche und entzog ihm seinen Arm.

»Selber schuld!«

»Aber das Merkwürdigste kommt noch: Es ist jedes Mal dasselbe Publikum. Es sind etwa fünfzehn Zuschauer, von denen um die zehn bei jeder Vorstellung auftauchen, vermutlich nach einem Rotationssystem. Es gibt nie andere Zuschauer. Und jedes Mal verkleiden sie sich, um anders auszusehen.«

Bei dieser Bemerkung verharrte Holmes’ Hand. »Die Zuschauer tragen Verkleidungen?«

Als der junge George Reynolds sich jetzt noch weiter aufrichtete, bemerkte ich, dass seine Kleider gut zu einem Schauspieler passten: Sie waren in Schnitt und Farbe ein bisschen gewagt, doch gleichzeitig auch leicht schäbig. »Wir hatten bereits ein Dutzend Vorstellungen. Und jedes Mal haben sie sich in anderen Paarungen hingesetzt, manchmal auch allein. Dabei trugen sie alles von Pelzmänteln über Arbeitskleider bis zu Uniformen. Hin und wieder hatten die Männer Bärte oder tief ins Gesicht gezogene Kappen, in der Hoffnung, nicht erkannt zu werden. Nun, wenn man auf der Bühne steht und einen die Kalklichter blenden, kann man die Gesichter kaum ausmachen, aber wenn ich nicht auf der Bühne bin, stelle ich mich gerne hinten in den Saal, um zu sehen, ob das Publikum die Vorstellung genießt. Und dabei fiel mir auf, dass es immer dieselben Zuschauer sind und keine neuen dazukommen.«

»Ein treues Publikum, das nicht erkannt werden will. Das ist schon etwas ungewöhnlich«, bemerkte Holmes nachdenklich.

»Aber das ist noch nicht alles.«

»Dann fahren Sie bitte fort.«

»Sie wissen vielleicht, dass es in diesem Stück ein dramatisches Degenduell zwischen Richard und Richmond gibt.«

»In der Tat.«

Mycroft warf seufzend seinen Dante und das Buch über Arachniden auf den Boden.

»Diesen Nachmittag gab es einen schlimmen Unfall. Die stumpfe Spitze meines Theaterdegens brach ab, als ich auf Mr. Gills einstach, der den Richmond spielt, und verletzte ihn dadurch am Bauch. Es war keine ernsthafte Verletzung, doch er blutete und war ziemlich schockiert. Aber als er dann dalag, geriet er in Panik. Nicht weil er blutete, sondern weil er dachte, ich würde mein Engagement aufkündigen. Er war außer sich bei der Vorstellung und ließ mich bei meinem Leben schwören, dass ich bleiben würde. Er versuchte sogar aufzustehen, daher glaube ich, es war nur eine Fleischwunde. Er brach in meinen Armen zusammen, kam aber schnell wieder zu Bewusstsein. Was kann das alles bedeuten, Mr. Holmes?«

»Ein anonymes Publikum und eine Truppe seltsam verzweifelter Amateurschauspieler.« Holmes klatschte in die Hände und hob sie zur Decke. »Mr. Reynolds, möglicherweise steckt doch etwas hinter Ihrem Fall. Kommen Sie, ziehen wir uns in die Baker Street zurück und besprechen ihn näher.«

»Gott sei Dank«, hörte ich Mycroft murmeln, als wir gingen.

Kapitel 2

Wenn ich eins gut leiden kann, dann einen ungleichen Kampf. Ich hasse es, wenn’s fair zugeht, einmal hin, einmal her, der eine schlägt, der andere wehrt ab. Nein, man gebe mir einen großen Kerl, der einen kleinen bis ins Nirgendwo boxt, dann freue ich mich wie ein Schneekönig.

Das erzähle ich Ihnen, weil die ganze verquere Angelegenheit bei der alljährlichen Vauxhall Fair anfing: ein wildes Spektakel, das vielen besser bekannt ist als Jahrmarkt der Schurken, und zwar wegen der allgemeinen Atmosphäre von Beutelschneiderei und übler Gaunerei. Einmal im Jahr zur Weihnachtszeit öffnen die da oben die Tore der alten Vauxhall Gardens, wo einst die Lords und Ladys ihren Tee schlürften, um Männern wie mir drei Tage voller Vergnügungen zu erlauben, die Sie vielleicht als »derb« bezeichnen würden. Weg mit den feinen Tässchen mit indischem Chai, her mit den Boxkämpfen und Freak-Shows, die vom Teufel Besessene wie wir so gerne gucken. Da sah ich Merrick, den Elefantenmann, und Bess, die menschliche Hündin, die nur Hühnermagen aß. Ich sah, wie Waller, der Riese von Shropshire, im Ring vier Mann gleichzeitig zu Brei schlug, während ihre Weiber, und zwar jedes einzelne von ihnen, nach ihm schmachteten und danach lechzten, ihn nach dem Kampf zu besteigen. Glückliche Zeiten waren das. Glückliche Zeiten.

Ich sagte zu meinem Freund und Mentor – Sie kennen ihn: den großen, dünnen Herrn mit dem klügsten Kopf zum Ersinnen verbrecherischer Pläne, den die Welt je gesehen hat –, dass ich einen Kampf nur dann wirklich genießen kann, wenn er unfair ist, und er meinte, er würde das gut verstehen.

»Der Grund dafür ist, Moran«, erklärte er, »dass Sie ein Tier sind.«

»Danke, Professor«, erwiderte ich. »Das nehme ich als Kompliment.«

Da blieb er vor einem Schokoladenstand stehen, schob mit seinem Ebenholzstock ein paar mickrige Straßengören beiseite und kaufte sich einen dampfenden Becher von dem Zeug. Er trank einen Schluck und sah mich an. »Oh, ich entschuldige mich, wollten Sie auch einen?«

Ehrlich gesagt, hätte ich nichts dagegen einzuwenden gehabt. Ich hätte mir auch selbst einen leisten können, ein Penny würde kaum mein Konto sprengen (bei Coutts & Co. wie Ihre Majestät). Aber ich konnte es ihm jetzt nicht gut nachtun, schließlich war ich kein Köter, der seinem Herrchen an den Fersen klebte, sondern ein verdienter Offizier der Krone.

Doch Sie werden fragen, was macht Colonel Sebastian Moran, Eton, Oxford, Veteran der First Bangalore Pioneers, mit Professor James Moriarty, Ehemaliger der University of St. Andrews? Nun, gedulden Sie sich noch, dann erzähle ich Ihnen die ganze Wahrheit.

Am College hatte ich gute Zeiten, doch erst die Armee machte mich zu einem neuen Menschen. Die Jagd in der Steppe und der Kampf in den Hügeln bewirkten, dass es mir innerhalb eines Monats in Uniform wie Schuppen von den Augen fiel und ich erkannte, wofür ich geschaffen war. Mit einem Säbel in der Rechten und einer Pistole in der Linken war ich bereit, die Hölle loszutreten.

Ich wurde ausgezeichnet und gefeuert, in Kriegsberichten gelobt und wieder gefeuert, immer abwechselnd. Und so ging es weiter, bis ich mir zu viele Feinde gemacht hatte und fand, es wäre Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Aber wenn ein Mann sich einen Namen als bester Schütze der indischen Armee gemacht hat, wenn er Tiger nur mit einem mongolischen Säbel zur Strecke gebracht hat, nun, dann weckt die Vorstellung, an der Börse zu arbeiten oder rotznasigen Blagen Griechisch beizubringen, den dringenden Wunsch, den eigenen Schädel gegen eine Wand zu rammen.

Denn ich brauche den Kick. Und man kriegt keinen Kick, Kamerad, wenn man in einer Pension in Clapham haust und sonntags im Park spazieren geht, um den »freien Tag« zu genießen. Nein, sage ich, scheiß drauf!

Allerdings brauche ich auch Geld. Karten, Pferde, Huren, das alles kostet. Und so kam es, dass ich einen Posten beim Professor annahm.

Ich hab mir ein paar Geschichtsbücher zu Gemüte geführt und kann sagen, dass sein Hirn einmalig ist. So eins wie seins hat’s noch nie gegeben. Oh ja, die Pläne, die er schmiedet, sind wahre Kunstwerke. Politische Manöver, Raubüberfälle, Erpressung: von allem was dabei. Einiges begreife ich selbst erst dann, wenn wir am Ende angelangt sind, und ich entdecke, dass wir schon halb so reich sind wie König Krösus, aber die Bullen können uns nichts anhaben. Und was ist mein Anteil an alldem? Nun, ich regle das Organisatorische, besorge die Männer, die Schützen, wenn die Sache kitzlig werden könnte, die Verstecke für danach. Ich sorge für Disziplin, mach Druck auf Leute, wenn Druck gemacht werden muss. Ich sorg dafür, dass sie ihre Nase nicht in Dinge stecken, die sie nichts angehen.

Ja, alles in allem zahlt mir der Professor ein hübsches Sümmchen, um seinen Spaß zu haben.

Jetzt waren wir also in den Vauxhall Gardens. Ich nahm mir Zeit, um die Stände und Attraktionen zu begutachten. Es gab Tribünen und einen künstlichen See mit ein paar kippligen Mietkähnen. Und Holzpergolen, die eher aussahen wie Galgen und nicht wie chinesische Laubengänge, denen sie doch ähneln sollten. Das Ganze wirkte verdammt schäbig, aber das passte zu den dreitägigen Ausschweifungen, auf die wir alle aus waren. Für den Jahrmarkt der Schurken braucht man keine Einladung, man muss keinen kennen, um reinzukommen. Man muss nur auf Draht sein und gute Reflexe haben, um seine Brieftasche nicht zu verlieren. Sonst wäre man auf dem Heimweg wesentlich ärmer als auf dem Hinweg.

Die Sause war von der Orchard-Gang organisiert worden. Seamus Orchard, der sie von seinem Dad Ichabod geerbt hatte, wies schon eine derartige Erfolgsbilanz auf, dass man den ganzen Regent’s Canal trockenen Fußes überqueren konnte, nur wegen der Leichen, die er da versenkt hatte. Seamus hatte es echt drauf, und bei seinen Geschäften riskierte er so wenig wie ein Mungo bei einer Kobra. Ich kannte ein paar seiner Männer vom Sehen – zum Beispiel bewachten jeweils zwei von ihnen die Eingänge –, und als Verstärkung beim Gerangel mit den Kuffnucken und Paschtunen hätte ich sie gerne dabeigehabt.

Ich bemerkte jedoch auch ein paar unbekannte Gesichter unter seinen Jungs. »Seamus hat neue Kräfte rekrutiert«, sagte ich. Falls Orchard mit seinen Geschäften expandieren wollte, dann brauchte er den Segen des Guv’nors.

»Das musste er auch. Es gibt neues Blut in der Stadt.«

»Professor?«

»Haben Sie es noch nicht gehört? Nein, wohl nicht. Der amerikanische Gangboss Dutch Calhoon aus New York hat sein Interesse angemeldet, eine transatlantische Filiale zu eröffnen. Das ist ein ehrgeiziges und faszinierendes Projekt, und er ist ein interessanter Mann, vor allem, da er und sein jüngerer Bruder bis vor einem Jahr von der eigenen Familie als Enttäuschung betrachtet wurden. Es hieß, im Vergleich zu ihrem Vater, der als Tartar bekannt war, wären sie Feiglinge. Ich glaube, Dutch ist jetzt hier, zusammen mit seinem Bruder. Vermutlich sollte ich mich zu gegebener Zeit mit ihm treffen, um über seine Pläne zu sprechen.«

Ich sah zu, wie der Guv’nor seinen Kakao trank und grinsend einen der Straßenjungen heranrief, um ihm den halb leeren Becher zu überlassen, nachdem er ihn großväterlich in die Wange gekniffen hatte. Er kleidet sich auch wie ein Großvater, um unauffälliger in der Menge aufzugehen. Er schlurft ein bisschen und trägt nur ordentliche Dreiteiler, die aussehen wie alle anderen Dreiteiler im Bus von der Tottenham Court bis Gott weiß wohin. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiß eine Tarnung zu schätzen wie jeder andere auch: Genau deshalb trage ich Kaki im Feld und am Piccadilly den schicken jagdgrünen Zweiteiler aus Harris-Tweed von Gieves & Hawkes.

Aber es gibt Grenzen, wie ich mich in der Öffentlichkeit präsentiere, und sich wie einer aus Balham zu kleiden, der schon mit einem Fuß im Grab steht, kommt nicht infrage.

Wir kamen am größten Zelt vorbei, wo die Kämpfe stattfanden: ein riesiges Ding aus gestreiftem Segeltuch mit aufgedruckten gekreuzten Fäusten auf jeder Stoffbahn. Das sollte sogar der dämlichste Jahrmarktbesucher kapieren. Drei Penny Eintritt, was billig war, wenn man bedachte, dass man dafür drei verschiedene Kämpfe geboten bekam: Es gab einen Ring für Kämpfe Mann gegen Mann, einen für Hunde gegen Hunde und einen für Hunde gegen Bären, denen man die Zähne gezogen hatte.

»Sollen wir uns einen angucken?«, schlug ich vor.

»Wenn Sie möchten.« Er nickte. »Obwohl ich für Gewalt nichts übrig habe, die kein echtes Ziel hat.«

Ich erwiderte nichts, sondern folgte ihm ins Zelt. Auch dieser Eingang wurde bewacht: Ich sah Five Fingers McGill, der nie ohne sein Mädel war, Coleen, ein übles rothaariges Ding, gegen das ein ausgewachsener Orang-Utan verloren hätte.

»McGill«, sagte ich, als ich eintrat.

»Mr. Moran«, grunzte er. Ich blieb stehen und fixierte ihn mit meinem Blick. »Colonel«, verbesserte er sich leicht verlegen. Coleen hinter ihm kicherte hämisch.

Ein riesiger Schwarzer mit einer quer über die Visage verteilten Nase wurde an den Füßen aus dem Ring gezogen, wo ein winziger Chinese in der Mitte auf und ab hüpfte. Wenn man sich den dürren kleinen Kerl so ansah, hätte man meinen können, ein Windstoß würde ihn umpusten, aber ich habe gesehen, was diese Johnnys mit ihren Füßen, Knien und Fäusten anstellen, wenn man nicht damit rechnet. Es ist, als hätte man einen Tornado in den Ring geschleudert.

Geld wechselte die Besitzer. Ziemlich viel Geld. Die Buchmacher toben sich immer beim Jahrmarkt der Schurken aus, verstehen Sie, und in einer Ecke sah ich Seamus Orchard grinsen wie die Katze, die die Sahne genascht hat, weil er bereits spürte, wie sich seine Taschen mit seinen zehn Prozent füllten.

Ich ging hinüber zur Bärengrube. Also das war mal ein Kampf! Ein großer brauner Bastard, der zwar angepflockt, aber bereit war, die Pflöcke aus dem Boden zu reißen, um den Hund, der um ihn herumtanzte und nach ihm schnappte, zwischen die Tatzen zu bekommen. Ja, jetzt war ich in meinem Element: wilde Tiere, brüllende Zuschauer und die Chance, schnelles Geld zu machen. Ich schnappte mir den Kerl mit der Tafel, der gerade die Siegchancen für den Köter notieren wollte. »Eine Guinea, dass er den Bären erledigt«, sagte ich und zückte die schimmernde Münze. Er wollte sie sich schnappen, aber ich hielt ihn auf. »Nicht so schnell, Kumpel, wie ist die Quote?«

Ein paar Sekunden beobachtete er den Hund, und ich sah förmlich, wie er rechnete. Schon komisch, wie gut ein Cockney die Arithmetik beherrscht, wenn’s ihm nutzt.

»Für dich, Chef, zwei zu eins.«

»Zwei zu eins? Dass ich nicht lache! Der ist doch schon fast erledigt.« Tja, das passte ihm nicht, aber wir einigten uns auf drei zu eins, und dann verschränkte ich meine Arme, um den Kampf zu genießen. »Ho ho!«, sagte ich, als der Hund dem Bären ein fettes Stück Fleisch aus dem Bein riss. »Der kleine Scheißköter könnte es doch schaffen.«

Kapitel 3

Zurück in der gemütlichen Wohnung von Baker Street 221b, nachdem wir uns durch den Nebel nach Hause getastet hatten, war Mr. George Reynolds nicht zu überreden gewesen, sich auf dem Samtsessel niederzulassen, auf dem Holmes’ Kunden für gewöhnlich Platz nahmen. Stattdessen lief er unruhig auf und ab und stieg dabei über die Haufen kurioser Gegenstände, die das Wohnzimmer bevölkerten.

Es liegt eine seltsame Gemütlichkeit in der Unordnung, die Holmes in diesem Raum anrichtet: Überall sind Unterlagen, Teströhrchen und befremdliche Objekte afrikanischer Stämme verstreut. Entweder pflügt man sich durch das Chaos oder bahnt sich vorsichtig seinen Weg, doch dann gewöhnt man sich ein, als hätte man schon immer dort gewohnt. Und tatsächlich betrachte ich es seit meinem Einzug als Zuhause. Mrs. Hudson, unsere Vermieterin, umsorgt uns wie eine Glucke ihre Küken, bereitet uns schmackhafte Gerichte und beklagt sich laut, wenn Holmes nicht aufisst. Mit mir hatte sie noch nie Probleme.

Die zwei großen Fenster gaben ihr Bestes, um den Raum mit Licht zu versorgen, aber im flackernden Schein der Gaslampen wirkte unser herumtigernder Besucher alles andere als heiter. Ich nahm an, dass er ein liebenswürdiger Bursche war, der jetzt unter einigem Druck stand. Holmes stopfte seine Pfeife mit dem türkischen Tabak, den er in einem persischen Pantoffel am Kamin aufbewahrt, und setzte sich in der Erwartung, dass die Geschichte weitererzählt würde.

»Wie Sie wissen, ist mein Name George Reynolds. Ich wuchs in Sussex auf und bin fünfundzwanzig Jahre alt. In der Schule entdeckte ich das Theaterspielen für mich. Meine Eltern jedoch versuchten, mich in eine respektablere Laufbahn zu lenken.« Er lächelte ziemlich gewinnend. »Aber hier stehe ich nun.«

»Und Ihre jüngste Vergangenheit?«

»Meine Eltern sind beide vor ein paar Jahren gestorben und haben mir einen kleinen Geldbetrag hinterlassen, mit dem ich nach London ziehen konnte, um meine schauspielerischen Ambitionen zu verfolgen. Ich habe ein paar Rollen bekommen – nichts Spektakuläres, aber doch genug, um mir ein Zimmer in Cheapside leisten zu können und genug zu essen zu haben. Vor ein paar Wochen hatte ich schon zwei Monate keine Rolle mehr ergattern können und machte mir langsam Sorgen, denn meine Ersparnisse waren fast aufgebraucht. Ich hatte mich bei allen gemeldet, die ich kannte, und gefragt, ob sie von Produktionen oder Ensembles wüssten, die noch jemanden suchten. Keiner konnte mir helfen. Und dann vor genau vier Wochen kam aus dem Nichts die Rettung.«

»Eine Rolle?«, fragte ich.

»Und was für eine, Mr. Watson! Ich saß gerade in meinem Zimmer und zählte zum hundertsten Mal an diesem Abend meine Pennys, da rief meine Vermieterin nach mir. ›Mr. Reynolds! Hier ist ein Gentleman, der Sie sprechen möchte.‹« Er imitierte meisterhaft eine alte Matrone. »Tja, ich war überrascht. Denn ich hatte noch kein einziges Mal Besuch in meiner Bude gehabt. Ich ging also nach unten, wo am Fuß der Treppe ein kleiner Herr mit einer dicken Brille wartete.«

»Beschreiben Sie ihn!«, verlangte Holmes.

»Oh … nun, er wirkte wie ein Akademiker. Auf jeden Fall wie ein Bücherliebhaber. Er hatte kleine Haarbüschel über den Ohren, aber ansonsten war er vollkommen kahl.«

»Gut. Fahren Sie fort.«

»›Sir?‹, sagte ich. ›Mr. Reynolds?‹ ›Ja.‹ ›Ich hätte ein Anliegen, Sir.‹ ›Davon gehe ich aus.‹ Mittlerweile war ich etwas verwirrt, denn vor jedem Satz, den er von sich gab, musterte er mich von Kopf bis Fuß wie ein Bauer, der eine Kuh kaufen will. Ich hakte nach: ›Ihr Anliegen?‹ Er merkte auf und schüttelte mit kurzem Lachen den Kopf. ›Ich muss mich entschuldigen. Wissen Sie, ich sah Sie letztes Jahr in der Oper, in Mozarts Entführung aus dem Serail. Ein Wunder, Sir, ein Wunder.‹ Das freute mich, denn ich hatte meine Rolle in dem Stück sehr genossen. ›Und als ich die Schauspieler für meine neueste Produktion auswählen musste, wusste ich, Sie sind mein Mann. In vierzehn Tagen gehen wir auf Tournee.‹«

An diesem Punkt hob Holmes die Hand. »Watson?«, sagte er. Der Mime brach ab und sah mich um Erklärung heischend an.

»Er will wissen, ob ich etwas bei der Beschreibung der Ereignisse bemerkt habe«, informierte ich ihn. »Und ja, das habe ich in der Tat«, sagte ich, vielleicht ein bisschen arrogant.

»Ausgezeichnet, dann legen Sie es für uns dar«, erwiderte Holmes.

»Der Mann kann nicht die Wahrheit gesagt haben. Er behauptet, er wäre von Ihrer vorherigen Darstellung so beeindruckt gewesen, dass er Sie ausgesucht hätte. Aber wieso musste er sich dann vergewissern, dass Sie George Reynolds sind, als Sie vor ihm erschienen?«

Holmes applaudierte leicht. »Bravo, Watson, bravo. Ihre Erklärung ist nicht korrekt, aber tapfer vorgetragen. Denn sehen Sie, dieser seltsame Besucher musste sich vergewissern, da Die Entführung aus dem Serail tatsächlich eine Oper von Herrn Mozart ist und es nur eine einzige Rolle darin gibt, die nicht singen muss, und zwar die des türkischen Paschas. Da Sie, Mr. Reynolds, sich als Schauspieler und nicht als Sänger bezeichnet haben, können wir ganz einfach herleiten, dass Sie diese Rolle übernommen hatten. Dann aber trugen Sie Bart und Perücke, wahrscheinlich auch noch eine falsche Nase und dicke, dunkle Schminke, um wie ein Türke auszusehen. Selbst beim Applaus am Schluss können Sie nicht ohne Ihre Kostümierung vor den Vorhang getreten sein, daher konnte dieser Gentleman Sie in Ihrer spärlich beleuchteten Behausung, von der wir wohl ausgehen dürfen, gar nicht erkennen. Allerdings gibt es eine andere einfache Frage, die schwieriger zu beantworten sein wird. Und zwar folgende: Woher wusste er, wo er Sie antreffen konnte? Ihre Adresse kann nicht öffentlich bekannt gewesen sein, es ist unwahrscheinlich, dass frühere Arbeitgeber sie ohne Ihre Erlaubnis herausgegeben hätten, und der erwähnte Auftritt lag ein Jahr zurück, also hätte der Besucher Ihnen nicht vom Theater nach Hause gefolgt sein können – was allein schon merkwürdig gewesen wäre.«

Als er das hörte, fuhr unser junger Gast zurück. »Ach, daran hatte ich noch gar nicht gedacht, Mr. Holmes.«

»Dann können Sie von Glück sagen, dass Sie zu mir gekommen sind. Aber bitte, fahren Sie fort. Was dann?«

Ich spürte, dass ich angesichts meines Fehlers rot geworden war, konzentrierte mich aber auf die Eröffnungen unseres neuen Kunden.

»Nun, ich muss sagen, ich war ziemlich aus dem Häuschen. Normalerweise hätte ich Fragen über die Produktion gestellt, aber angesichts meiner Lage kam ich direkt zum Wesentlichen. ›Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mr. …?‹ ›Oh‹, sagte er, ›Bart. Edgar Bart.‹ ›Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mr. Bart. Darf ich fragen, ob die Rolle bezahlt wird?‹ ›Was? Ja, natürlich‹, erwiderte er. ›Mit zehn Pfund pro Woche. Wir spielen jeden Abend einmal und mittwochs zweimal.‹ Mr. Holmes, das war das Dreifache von dem, was ich je gezahlt bekommen habe!«

»Dann muss er ein wahrer Theaterliebhaber sein.«

»Er sagte mir, wir würden eine Woche proben, dann vierzehn Tage in Gemeindesälen, Temperenzlervereinen, ein paar Wirtshäusern und kleinen Theatern in Südwestengland auftreten und danach vierzehn Tage in den Universitätsstädten Oxford und Cambridge. Das war mir mehr als recht. Also besiegelten wir es mit Handschlag, und ich erschien ziemlich glücklich zu unserer ersten Probe – die bei uns als ›Leseprobe‹ bezeichnet wird. Und schon da kamen mir erste Zweifel.«

»Oho.«

»Wie ich schon sagte: Der Rest der Truppe schien noch nie einen Fuß auf eine Bühne gesetzt zu haben. Ich musste ihnen sogar sagen, was ›Bühne links‹ und ›Bühne rechts‹ bedeutet. Keiner von ihnen wusste, wie man seinen Text vorträgt, wie man sich schminkt oder auch nur auf der Bühne steht. Die Kampfszenen wären das reinste Gemetzel geworden, wäre ich nicht dazwischengegangen und hätte Mr. Bart, der Regie führte, gezeigt, wie man die sicher spielt.«

»Aber Sie bewältigten das alles«, sagte ich.

»Das taten wir. Und wir gingen auf Tournee und fingen mit einer Woche in Exeter an. Die erste Überraschung war meine Unterkunft.«

»Entsprach Sie nicht Ihren Erwartungen?«

»Ganz im Gegenteil! Sie war prächtig. Geradezu fürstlich. Die beste Suite im besten Hotel der Stadt.«

»Dabei haben Sie den König nur gespielt«, bemerkte Holmes. »Und der Rest der Truppe?«

»Hatte billige Buden in ein paar Kaschemmen.«

»Sie waren die Hauptattraktion«, sagte ich in dem Versuch, diesen Umstand zu erklären.

»Sehr nett, dass Sie das sagen, Dr. Watson. Aber in Wahrheit hat keiner je von mir gehört. Man kann mich wirklich nicht als Zuschauermagnet bezeichnen. Nun, wir gaben unsere Vorstellungen, und ich schob meine Zweifel beiseite. Aber jetzt sind wir in Cambridge, und alles ist wie gehabt: Man behandelt mich besser als König Richard persönlich.«

»Und die anderen Schauspieler?«, erkundigte sich Holmes.

»Das ist genauso seltsam. Schauspieler sind normalerweise ein munteres Trüppchen, bei dem immer alle mit anpacken. Das ist eines der Dinge, die ich an meinem Beruf liebe. Aber in diesem Fall werde ich mit derselben Ehrfurcht behandelt, die mir auch ein Hotelzimmer gesichert hat, mit dem jeder Lord zufrieden gewesen wäre. Kaum öffne ich den Mund, klappen sie ihren zu, um zu hören, was ich zu sagen habe. Wenn es nicht genügend Stühle gibt, besteht immer einer darauf, seinen an mich abzutreten. Es wird alles unternommen, damit ich es so bequem und angenehm wie möglich habe. Und dann ist da noch die Sache mit den Zuschauern.«

»Dass es immer dieselben sind, die sich sozusagen in Schichten abwechseln.«

»Genau.«

Holmes lehnte sich auf seinem Sessel zurück und blies bläulichen Rauch zur Decke. »Watson«, sagte er nach einer Weile, »das erinnert mich an ein, zwei Fälle in unserer Vergangenheit. Zum Beispiel an den mit dem Angestellten des Börsenmaklers.« Da hatte er recht. Es war der Fall, in dem ein junger Mann von seiner Stelle in London auf einen besser bezahlten Posten nach Birmingham gelockt wurde, weil dadurch jemand seine Position einnehmen und einen Raub durchführen konnte. »Sie hatten schon eine Weile keine Engagements mehr. Erzählen Sie mir von Ihrer Unterkunft vor diesem Engagement.«

Das schien ihn etwas zu verwirren. »Es war ein ganz gewöhnliches Zimmer in einer Pension.«

»Gab es über Ihrem noch ein Zimmer?«

»Ja, unter meinem auch.«

»Worauf blickte Ihr Fenster?«

»Auf eine nackte Mauer. Die gehörte zum Nebenhaus. Einem ganz normalen kleinen Haus.«

»Wohnten Sie lange dort?«

»An die sechs Monate. Aber da ist nie was Ungewöhnliches passiert.«

Holmes zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Wenn jemand unbedingt in Ihr Zimmer hätte gelangen wollen, hätte er sich vermutlich am Spielplan Ihrer vorigen Engagements orientieren können. Nein, ich denke, diese Idee können wir verwerfen. Was uns zu … Watson?«

»Holmes?«

»Wir brauchen mehr Informationen. Informationen für eine Hypothese. Mr. Reynolds, wir werden uns Ihre Angelegenheit mal ansehen.«

Unser junger theaterbegeisterter Freund seufzte erleichtert auf und wollte schon etwas sagen, da hob Holmes die Hand. »Dennoch sind meine geistigen Kapazitäten im Augenblick weitestgehend für die Riesenratte von Sumatra reserviert, eine wahrhaft diabolische Angelegenheit.« Ah ja, die Riesenratte von Sumatra. Noch jetzt überkommt mich bei der Erwähnung ein Schauer. Wenn die Welt für diese Geschichte gerüstet ist, werde ich sie erzählen. »Um es ganz schlicht auszudrücken: Meine Tage haben einfach nicht genügend Stunden, um jedem Ruf nach mir zu folgen. Daher muss ich in London bleiben.« Wieder versuchte Reynolds ihn zu unterbrechen, und wieder kam Holmes ihm zuvor. »Aber Watson, alter Freund, ich bitte Sie, die Voruntersuchung durchzuführen.«

»Das werde ich«, antwortete ich. Reynolds wirkte ein wenig skeptisch.

»Es wird Ihnen helfen, wenn Sie sich morgen der Truppe in Cambridge anschließen.«

»Sie meinen … als Schauspieler?«, fragte ich.

Holmes warf den Kopf zurück und lachte. »Aber nicht doch, Watson! Ich glaube, Sie sind nicht mehr jung genug, um jetzt noch den Beruf zu wechseln. Nein, ich meine, Mr. Reynolds sollte Sie als, sagen wir mal, seinen Onkel vorstellen. So können Sie sich vor und nach der Vorstellung unter die Truppe mischen und mehr Informationen für unsere Ermittlung gewinnen. Schreiben Sie mir, was Sie entdecken.«

Das erleichterte mich schon. Zwar habe ich mich während meines Medizinstudiums auch mal als Amateurschauspieler versucht, muss aber zugeben, dass ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe. Tatsächlich vergaß ich bei der Premiere die Hälfte meines Texts und war gezwungen zu improvisieren, was meine Schauspielkollegen derart verwirrte, dass das Stück zweimal von Neuem angefangen werden musste. Sie waren danach wohl sehr nett zu mir, aber ich wusste, was sie wirklich dachten, und als ich wieder in meiner Unterkunft war, musste ich mir kaltes Wasser über den Kopf gießen, damit meine Wangen nicht mehr so brannten.

Der junge Reynolds blickte auf seine Uhr. »Verdammt«, murmelte er. »Es ist schon später, als ich dachte. Ich muss zurück zur Abendvorstellung.«

»Dann eilen Sie sich. Shakespeare wartet. Watson wird sich Ihnen morgen anschließen.«

Kapitel 4

Tja, der liebe Gott, an den ich nicht glaube, war mir an diesem Tag gewogen, denn nach kaum fünf Minuten lag der Bär im Sand, und der Hund stand mit blutverschmierten Lefzen über ihm. Er wirkte sogar begierig, es mit dem zweiten Bastard dieser Art aufzunehmen: einem weißen, den ein geschäftstüchtiger Abenteurer in Kanada oder noch weiter nördlich gefangen haben muss. Wie sein brauner Verwandter war er an ein paar fest in die Erde gerammte Pflöcke aus Metall gebunden.

Der Buchmacher murrte, der Bär wäre nicht ganz koscher gewesen und sicher betrunken gemacht worden. Aber als ich ihn bei den Jackenaufschlägen packte, gab er mir sofort meine Münzen. Ich wischte sie ab und steckte sie in die Tasche, um mir später damit einen schönen Abend im Bagatelle-Club zu machen. Da gibt es eine kleine, feine Molly, die ich zum Vernaschen gemästet habe.

»Nun, Moran, es ist Zeit …«, setzte der Professor an, doch dann verstummte er und legte den Kopf schräg wie ein Fasan. Oder eher wie ein Storch, so groß und mager, wie er ist. Und ich stockte ebenfalls, denn jetzt hörte ich es auch. Erst Geschrei und dann Kreischen. Beides ist Musik in meinen Ohren, nur nicht, wenn ich die Ursache nicht erkennen kann. Plötzlich erstarrten alle im Zelt. Denn sie alle erkannten, dass das Geräusch von draußen kam. Und noch etwas war zu hören: etwas Mechanisches, wie eine Lokomotive, die sich näherte.

Das tosende Verderben, das war es. Denn ich hatte nicht mal Zeit zu blinzeln, da wurden die Stoffwände des Zelts niedergerissen, und die Leute ergriffen in einem heillosen Chaos die Flucht. Ich habe schon ein paar militärische Überfälle zu Fuß und zu Pferd erlebt, aber noch nie habe ich gesehen, wie fünfhundert Männer, Frauen und Kinder um ihr Leben rennen, während vier Dampfwalzen in voller Geschwindigkeit auf sie zuhalten. Die Maschinen, dicht gefolgt von einem Dutzend Schlägern mit Knüppeln und Ketten, brachen einfach ins Zelt. Auf dem Höhepunkt des Pandämoniums sprangen die Fahrer herunter und fingen an, alles kurz und klein zu schlagen, was ihnen in die Finger kam. Einer, ein großer Hindustani mit langem Schnurrbart, warf meinen Buchmacher zu Boden, durchwühlte seine Taschen und nahm sich das ganze Papiergeld.

»Das ist ein Raubüberfall«, murmelte ich dem Professor zu, der als Einziger im gesamten Umkreis ruhig blieb.

»Selbstverständlich, Moran. Aber wer steckt dahinter? Das ist es, was ich wissen möchte.«

Mittlerweile hatte ich bereits weit über ein Dutzend Krawallmacher gezählt und fingerte an meiner kleinen Sechs-Schuss-Derringer, die ich immer bei mir habe. Ein paar der Schläger hatten Beulen an ihren Taschen oder Armbeugen – ich war nicht der Einzige mit einem Schießeisen.

Ein Türsteher von der Orchard-Gang stürmte mit seinem Totschläger herein, wurde aber sofort von dem Hindustani ausgeschaltet. Der Braune blickte auf sein Werk hinunter – das muss man ihm lassen, besser hätte ich es auch nicht machen können –, da erblickte er uns und hielt inne. Vermutlich weckte der Umstand seinen Argwohn, dass wir nicht in Panik waren. »Die da!«, brüllte er. Zwei seiner Männer – einer so fett wie ein Nashorn, der andere so dürr wie eine Gazelle – stürzten auf uns zu. Ich zog meinen Ballermann, aber in dem Moment sprang mich die Gazelle an, und der Schuss ging durch den Fuß des Nashorns. Er jaulte auf, rannte aber auf mich zu und rammte mich mit gesenktem Kopf. Nun, ich weiß meinen Mann zu stehen, aber wenn ein Schläger mir die Arme festhält, während der andere auf mich einprügelt, dann ist das nicht so einfach.

Da schwang der große Hindu zu uns herum. »Wer ihr?«, fragte er mit zu Schlitzen verengten Augen. Oh ja, er konnte sehen, dass wir keine feigen Duckmäuser waren.

»Ich … ich muss mich entschuldigen, Sir, untertänigst«, stammelte der Professor und sank zu Boden. »Ich bin nur ein Niemand. Nur ein Zuschauer. Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwartet und wollte lediglich etwas Kühles trinken, als ich hier hereinkam.« Er faltete die Hände. »Oh, verschonen Sie uns, bitte«, jammerte er.

Verblüfft über diese Zurschaustellung von Unterwürfigkeit starrte der braune Riese mich an. Aber dann machte es bei ihm klick, und er kniff noch mehr die Augen zusammen. »Etwas Kühles trinken?«

Schließlich war es mitten im Winter. Tja, in der Sekunde, als er das letzte Wort aussprach, sah ich, wie der Guv’nor die Spitze seines Stocks abdrehte. Die Stahlklinge, die er herauszog, fand ihren Weg ins Hinterteil des Mannes, der laut aufschrie. Das überraschte meine Gazelle so sehr, dass ich mich umdrehen und ihm mein Knie in die Eier rammen konnte. Als Nächstes kam ein gut platzierter Fuß in den Bauch des Nashorns, dann griff ich nach meiner Knarre – und das Blatt hatte sich vollkommen gewendet.

Der Professor stand auf und fegte sich den Staub von den Knien. »Umdrehen«, befahl er dem Hindu. Als ich den Abzug spannte, verstand der die Botschaft. »Liebe Güte, das sieht aber schmerzhaft aus. An Ihrer Stelle würde ich mich zwei Wochen lang nicht mehr setzen. Kommen Sie, Moran. Ich glaube, das hier könnte uns den Weg ebnen.« Mit seinem Ebenholzstock zeigte er zu den Pflöcken, an die der Polarbär gebunden war. Ich ging dorthin, riss sie so weit aus dem Boden, dass sich unser weißer Freund befreien konnte, und schoss einmal in die Luft, um ihn zu ermutigen, Richtung Ausgang Amok zu laufen. Tja, die Schläger, die uns im Weg standen, nahmen die Farbe des Bären an und gaben Fersengeld. Wieder spannte ich den Abzug der Derringer.

»Erinnern Sie mich, mir auch so was zu besorgen«, sagte der Guv’nor. »Es scheint mir recht nützlich zu sein.«

»Eine Waffe, Professor?«

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