Brittany Kaiser

Brittany Kaiser wurde in Chicago geboren und begann schon früh, sich politisch zu engagieren. Von 2014 bis 2018 arbeitete sie sowohl in England als auch in den USA als Director of Business Development für Cambridge Analytica – das Datenanalyseunternehmen, das sowohl Trump als auch den Brexit-Anhängern 2016 zum Wahlsieg verhalf. 2018 entschloss sich Brittany Kaiser, die illegalen Datenpraktiken von Cambridge Analytica öffentlich zu machen, und löste damit einen der größten politischen und gesellschaftlichen Skandale aus.

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Interview mit Brittany Kaiser im Rahmen der DLD (München, 19.01.2020)

Sie haben mehr als drei Jahre für Cambridge Analytica gearbeitet, bevor Sie sich dazu entschlossen haben, öffentlich über Ihre Zeit dort zu sprechen. Welche Rolle spielte Cambridge Analytica im Jahr 2016 im US-Präsidentschaftswahlkampf, und was genau machte das Unternehmen in diesem Zusammenhang mit den Daten mehrerer Millionen Facebook-Nutzer?

Cambridge Analytica half dem Wahlkampfteam von Donald Trump im Verlauf des Jahres 2016 dabei, eine Datenbank aufzubauen, das war das „Project Alamo“. Das heißt, sie kauften und lizensierten Daten von amerikanischen Bürgern, vor allem potenziellen Wählern, aus dem ganzen Land und von verschiedenen Quellen. Eine dieser möglichen Bezugsquellen war Facebook. Facebook verfügte damals über ein Datenportal namens „Friends API“, das heute recht berüchtigt ist. Es erlaubte Entwicklern, die Facebook für den Zugriff auf dessen Nutzerdaten bezahlten, die Daten von Nutzern zu sammeln, die ihre Zustimmung gegeben hatten, zum Beispiel durch ein Spiel wie Candy Crush oder einen Persönlichkeitstest. Es ermöglichte den Entwicklern also, die Daten derjenigen Person zu sammeln, die das Spiel spielte oder den Test machte, aber auch alle Daten ihrer Freunde, ihrer Familie, von jedem in ihrem Netzwerk. Dafür kann der oder die Einzelne nicht im Namen einer anderen Person zustimmen. Diese Daten wurden in einer Datenbank gesammelt und dazu verwendet, sogenannte politische Modelle zu erstellen: Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen wählen gehen? Werden sie eher an Donald Trump oder an Hillary Clinton als Kandidat bzw. Kandidatin interessiert sein? Welche politischen Themen sind ihnen am wichtigsten? Weiterhin können sie jeden einzelnen amerikanischen Wähler einer Kategorie zuordnen, um Mikro-Targeting zu betreiben. Diese Mikro-Targeting-Kampagnen sind Online-Kampagnen, bei denen alles, was man in seinem Facebook-Feed, ja sogar in seinen Google-Suchergebnissen, auf all den verschiedenen Social-Media-Plattformen sieht, direkt auf einen selbst zugeschnitten ist, basierend auf den Daten über die eigenen Interessen, Einkaufs- und Lesepräferenzen und wo man seine Zeit verbringt. Das bedeutet, vieles von dem, was man in der Zeit der Wahlkampagne auf dem Bildschirm sieht, ist kein organischer Content, sondern wurde bezahlt, um einen auf die ein oder andere Weise zu beeinflussen.

Bei Cambridge Analytica wurde auf „psychologische Operationen“ zurückgegriffen, um herauszufinden, wie sich Menschen beeinflussen lassen. Würden Sie uns erklären, wie „psychologische Operationen“ funktionieren und weshalb sie so wirkungsvoll sind?

Der Begriff „psychologische Operationen“, kurz PSYOPS, bezeichnet eine militärische Strategie, bei der nicht Gewalt und Zwang, sondern Kommunikation und die Verwendung von Daten zum Einsatz kommen. Ziel ist, Individuen so zu beeinflussen, dass sie etwas Bestimmtes tun oder lassen. Das kann etwas ganz Einfaches sein, wie Menschen dazu zu bringen, sauberes Wasser zu trinken, oder etwas Anspruchsvolles, zum Beispiel junge Leute davon abzuhalten, einer terroristischen Vereinigung beizutreten. Wenn nun also Militärstrategien bei der Zivilbevölkerung angewendet werden, wenn solche Techniken zur Datensammlung genutzt werden, um zu verstehen, wie Menschen die Welt sehen, wie sie ihre Entscheidungen treffen, was ihre „Überzeugungshebel“ sind, wenn sie für kommerzielle oder politische Werbung verwendet werden, sollten wir uns fragen, ob das in Ordnung ist oder nicht. Sollten wir aus dem militärischen Bereich stammende Maßnahmen und Strategien einsetzen, um Menschen dahingehend zu beeinflussen, sich für einen bestimmten Kandidaten oder ein politisches Thema zu interessieren? Möglicherweise kann das in Ordnung sein, wenn man etwas Positives bewirken möchte, wie Menschen dazu zu bringen, zum ersten Mal wählen zu gehen, sich für den Klimawandel zu interessieren. Aber was, wenn man es dazu verwendet, Menschen vom Wählen abzuhalten oder sie gegen ihre Nachbarn aufzubringen oder dazu anzustacheln, sich über Themen aufzuregen, die sie normalerweise kaltlassen? Das ist etwas, über das wir uns ernsthaft Gedanken machen müssen.

Sie haben gerade Ihr Buch „Die Datendiktatur - Wie Wahlen manipuliert werden“ veröffentlicht. Was ist die zentrale Aussage des Buches?

Ich möchte jeder Leserin und jedem Leser verständlich machen, wie wertvoll ihre bzw. seine Daten sind. Daten sind mittlerweile die weltweit wertvollste Ressource. Wertvoller als Öl oder Gas, und das bereits seit einigen Jahren. Nichtsdestotrotz halten wir als die Produzenten dieser weltweit wertvollsten Ressource keine Rechte daran, was aus meiner Sicht kein kleines, sondern ein ziemlich großes Problem darstellt. Was ist, wenn Unternehmen und sogar Regierungen, die unsere Daten von dem Moment an gesammelt haben, als wir das erste Mal ein Handy in der Hand hatten oder an einem PC saßen, nun über genug Informationen verfügen, um unser Verhalten vorhersehen zu können? Und nicht nur vorhersehen, was wir tun werden, sondern uns auch beeinflussen und manipulieren können, damit wir unsere Meinung entsprechend ändern? Da dies ein wirklich großes Problem ist, wie man anhand der Beispiele in dem Buch sehen kann, besonders das Brexit-Referendum und die Trump-Wahl im Jahr 2016, möchte ich dieses Buch als Aufruf zum Handeln verstehen. Ich möchte, dass Gesetzgeber und Regierungen für das Datenschutzrecht einstehen; ich möchte, dass Individuen ihre Rechte ernst nehmen, an die Gesetzgeber appellieren und sich informieren, wie sie sich online schützen können; ich möchte den Menschen das nötige Rüstzeug zu Verfügung stellen, damit sie ihre Privatsphäre schützen können, sofern sie das wollen, und ihnen erklären, warum sie Wert darauf legen sollten.

Anfang des Monats haben Sie weitere Dokumente und Informationen über die Art und Weise veröffentlicht, wie Cambridge Analytica Wähler weltweit manipuliert hat, zum Beispiel im US-Wahlkampf 2016, im Vorfeld des Brexit-Referendums früher im selben Jahr oder in Wahlkampagnen in über 50 Ländern. Was waren Ihre Beweggründe hierfür? Was muss auf politischer Ebene geschehen, um unsere Demokratien vor Manipulation zu schützen?

Ich habe mich dazu entschlossen, die „Hindsight Files“ zu veröffentlichen, weil ich feststelle, dass, obwohl es jedem allmählich dämmert, dass seine oder ihre Daten wichtig und gefährdet sind, noch immer nicht genug getan wird, um sicherzustellen, dass unsere Privatsphäre geschützt ist oder sogar dass unsere Demokratien geschützt sind. Uns allen muss klar werden, dass wir Einfluss nehmen können. Jeden einzelnen Tag können wir die Entscheidung treffen, unsere Daten zu schützen. Natürlich können wir sie auch teilen, aber nun haben wir das Recht auf Transparenz und darauf, unser Einverständnis zu geben, ob unsere Daten von Unternehmen oder Politikern genutzt werden dürfen oder nicht. Jeder Mensch muss verstehen wie wichtig es ist, sich darüber zu informieren, wie man seine Daten schützen und seine Datenschutzrechte bewahren kann, wie man sich in den sozialen Medien ethisch korrekt verhält und wie man ganz grundlegend seine Medienkompetenz stärkt und Fake News und Desinformationen identifiziert. Dies sind essenzielle Fähigkeiten, über die wir verfügen sollten, wenn wir ein digitales Leben führen. Auf politischer Ebene müssen nicht nur weitere Gesetze zum Schutz unserer Daten und unserer Privatsphäre verabschiedet werden, sondern wir müssen auch Tech-Unternehmen dazu bringen, diese neuen Gesetze als wichtig anzuerkennen und auf ihren Plattformen zu implementieren. Vor allem Facebook hat meiner Meinung nach hier großen Aufholbedarf.

Was kann jeder von uns tun, um sich vor Targeting zu schützen?

Jeden Tag hat man selbst die freie Entscheidung, ob man Apps verwenden möchte, die die eigene Privatsphäre respektieren, oder ob man so viele Daten wie möglich zu teilen bereit ist. Zum Beispiel kann man statt Google Chrome oder Safari einen Browser wie Brave verwenden oder eine Suchmaschine wie DuckDuckGo; beides gibt es bereits seit einiger Zeit. Wenn man wirklich Wert darauf legt, seine Privatnachrichten zu schützen, kann man anstelle von WhatsApp, das zu Facebook gehört, Messenger-Apps wie Signal nutzen. Man kann auch in seinen Handy-Einstellungen und in den Privatsphäre-Einstellungen jeder einzelnen Plattform, die man verwendet, festlegen, welche Informationen man teilen möchte und welche nicht. Man sollte sein Passwort regelmäßig ändern, man kann dafür einen Passwort-Manager nutzen. Man kann Werbeblocker wie Ghostery oder AdBlock verwenden, um zu sehen, wo die eigenen Daten landen würden, und das dann unterbinden. Man kann aufhören, den eigenen GPS-Standort zu teilen. Es gibt zahlreiche dieser kleinen Möglichkeiten, die, wenn man sie alle addiert, einen großen Unterschied machen, wenn es darum geht, die eigene Privatsphäre zu schützen und zu verhindern, dass man Opfer von Targeting wird.

Letzte Frage: Was machen Sie im Moment? An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Derzeit arbeite ich an zwei sehr wichtigen Projekten. Da ist zum einen die Own Your Data Foundation. Die habe ich letzten Sommer zusammen mit meiner Schwester gegründet, um dabei zu helfen, das Thema digitale Kompetenz im Schulunterricht voranzubringen. Was meine ich damit? Digitale Kompetenz (digital literacy) ist mittlerweile ein weltweiter Standard: DQ steht für Digital Intelligence Quotient, wie IQ (Intelligenzquotient) oder EQ (Emotionale-Intelligenz-Quotient). Und das bedeutet, es gibt zahlreiche Indikatoren dafür, wie man erfolgreich ein sicheres digitales Leben führen kann: Wie lauten die für einen selbst geltenden Datenschutzrechte und wie trägt man zu ihrer Bewahrung bei? Wie sehen einfache Cyber-Security-Protokolle aus, die die eigene Privatsphäre schützen? Wie erlangt oder stärkt man die eigene Medienkompetenz, um Desinformationen und Fake News von echtem Content zu unterscheiden? Wie verhält man sich ethisch korrekt in den sozialen Medien und steuert die Zeit, die man vor dem Bildschirm verbringt? Wie können sich Kinder vor Cyber-Mobbing schützen? Dies alles sind wichtige Lerninhalte, die ich helfe, in den Schulunterricht einzuführen, nicht nur im Interesse der Schüler, sondern auch für die Eltern und Lehrer. Mein anderes Projekt heißt DATA, das steht für Digital Asset Trade Association und ist eine Nichtregierungsorganisation. Wir arbeiten mit Gesetzgebern, Aufsichtsbehörden und Tech-Unternehmen zusammen, um sicherzustellen, dass neue Datenschutzrichtlinien nicht nur vernünftig sind, sondern auch einfach umsetzbar. Es geht uns nicht darum, Innovationen zu ersticken, sondern im Gegenteil sollen Tech-Unternehmen weiterhin in der Lage sein, neue Entwicklungen voranzutreiben, doch wir wollen auch mit Gesetzgebern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass es einfacher möglich sein wird, als es heute der Fall ist, Endkunden und Bürger zu schützen, vor allem wenn Wahlen anstehen.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Brittany.

Sehr gern.