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Dir bleibt der Tod

Wer macht Jagd auf Obdachlose? Schon wieder wurde in London eine verstümmelte Leiche gefunden. Niemanden scheint es zu kümmern - bis auf Ex-SAS-Captain David Shelley. Denn das jüngste Opfer war sein Kamerad. Und die Leiche weckt einen schrecklichen Verdacht: Offenbar betreibt jemand ein mörderisches Geschäft, bei dem Menschen zu Gejagten werden. Um die Hintermänner zur Strecke zu bringen, bleibt Shelley nur eine Wahl: Er selbst muss an dem grausamen Spiel teilnehmen, bei dem es keinen Sieger gibt …


  • Erscheinungstag: 04.05.2017
  • Aus der Serie: James Patterson Bookshots
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959676991
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Zwei Männer bewegten sich vorsichtig zwischen den Bäumen entlang auf der Suche nach ihrer Beute. Glockenblumen und Bärlauch breiteten sich unter ihren Füßen aus. Ringsum ragten Buchen und Kiefern auf, und der Morgennebel hing noch über den feuchten Hängen. Irgendwo hier im Wald versteckte sich das Ziel.

Lord Oakleigh, der voranging, fühlte sich dank des morgendlichen Sherrys, des Purdey-Repetiergewehrs und des Sicherheitsmannes, der ihm Rückendeckung gab, ziemlich mutig. Er war Kronanwalt mit makelloser Ausbildung, beeindruckenden Einträgen im Debrett’s, dem britischen Who is Who des Adels, ließ seine Roben bei Ede & Ravenscroft maßanfertigen und hatte schon vor Längerem festgestellt, dass all diese Errungenschaften im Vergleich mit dem, was er im Moment verspürte, total verblassten – diese besondere Mischung aus Adrenalin und Angst, dieses Gefühl, dem Tod so nahe zu sein.

Dies hier, fand er, war das echte Leben. Und er würde es auskosten.

Der Wagen hatte ihn um vier Uhr morgens abgeholt. Oakleigh hatte die Augenmaske, die man ihm gereicht hatte, angelegt, es sich auf der Rückbank des Bentleys gemütlich gemacht und die Chance genutzt, noch ein wenig zu schlafen. Gut zwei Stunden später war er auf dem Anwesen angekommen. Er erkannte einige der versammelten Jäger, aber nicht alle – ein paar Amerikaner und einen Japaner hatte er noch nie gesehen. Man begrüßte sich mit einem kurzen Nicken. Curtis und Boyd von The Quarry Co. machten die Männer miteinander bekannt. Sämtliche Waffen wurden gecheckt, um sicherzustellen, dass sie smart-modifiziert waren, bevor sie ins Netzwerk eingebunden und mit der Zentrale verlinkt wurden.

Die in Tweed gekleideten Engländer beobachteten amüsiert, wie der Assistent dem japanischen Teilnehmer half, einen offenbar maßgeschneiderten Tarnanzug anzuziehen. Unterdessen bewunderten die Sicherheitsleute das TrackingPoint-Präzisionsgewehr, das er mitgebracht hatte. Es war wie bei Frauen und Neugeborenen: Alle wollten es einmal halten.

Als der Beginn der Jagd näherrückte, wurden die Spieler schweigsam. Techniker mit Headsets luden die Überwachungsdrohnen aus einem Transporter. Männer in schwarzer Livree und mit regloser Miene reichten Sherry auf silbernen Tabletts. Curtis und Boyd brachten einen Toast auf die Jäger und – in Abwesenheit – auf das Ziel aus. Abschließend wurde jedem Spieler ein Sicherheitsmann zugeteilt – Oakleighs war wie immer Alan –, ehe die Jagd für eröffnet erklärt wurde. Bis an die Zähne bewaffnet und zitternd vor Erwartung, marschierten die Spieler anschließend über den Rasen in Richtung Wald.

Jetzt, mitten im Wald, hörte Oakleigh in der Ferne das Brummen der Motoren der Land Rover und Quads, das von einer leichten Brise zu ihnen herübergeweht wurde. Von oben erklang hin und wieder das Surren einer Drohne, aber ansonsten herrschte mehr oder weniger Stille, vor allem, als sie immer tiefer in den Wald vordrangen. So mochte er es am liebsten. Nur er und das Ziel.

„Vor Ihnen, Sir“, ertönte Alans Stimme, dringlich genug, dass Oakleigh sich auf ein Knie fallen ließ und leicht hektisch die Purdey von der Schulter riss. Der Wald wirkte riesig in seinem Fadenkreuz, das Unterholz voller Geheimnisse.

„Nichts zu sehen“, rief er über die Schulter zurück, bevor er sich räusperte und es noch einmal versuchte, diesmal mit nicht ganz so zittriger Stimme. „Vor uns ist nichts zu sehen.“

„Warten Sie bitte einen Moment, Sir“, erwiderte Alan, und Oakleigh hörte, wie er sein Sturmgewehr über die Schulter warf und nach dem Walkie-Talkie griff. „Hier ist Team Rot. Erbitte Lagebericht …“

„Neuigkeiten, Alan?“, fragte Oakleigh über die Schulter gewandt.

„Nein, Sir. Keine optische Bestätigung von den Drohnen. Kein Spieler meldet irgendwelche Aktivitäten.“

„Dann versteckt er sich noch.“

„So scheint es, Sir.“

„Wieso versucht er nicht, zur Spielfeldgrenze zu gelangen? Das machen sie doch meistens.“

„Die erste Regel im Kampf lautet, das Gegenteil von dem zu tun, was der Feind erwartet, Sir.“

„Aber das hier ist kein Kampf. Das ist eine Jagd.“

„Ja, Sir.“

„Und es ist keine richtige Jagd, wenn sich das Ziel versteckt, oder?“ Oakleigh hörte den Anflug von Entrüstung in seiner Stimme und fürchtete, es klang weniger nach echter Verärgerung als nach Angst, also richtete er den Blick wieder nach vorn und schwenkte den Gewehrlauf von rechts nach links und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Er suchte eine Herausforderung. Doch er wollte nicht sterben.

Sei nicht albern. Du wirst nicht sterben.

Da ertönten aus der Ferne Schüsse, prompt gefolgt vom elektrostatischen Knistern des Walkie-Talkies.

„Ziel gesichtet. Wiederhole: Ziel gesichtet.“

Oakleighs Herz hämmerte wie verrückt, und er merkte, dass er im Zweispalt war. Einerseits wollte er mittendrin sein, dort, wo die Action stattfand. Letzte Nacht hatte er davon geträumt, der Gewinner zu sein, hatte sich vorgestellt, wie die anderen Spieler ihn bewundern würden, wie sich sein Ruhm bis nach London verbreiten würde, bis hinein in die Machtzentralen, hinein in seinen ehrwürdigen Privatclub und sogar in die Kammern des Oberhauses.

Andererseits wurde ihm jetzt, nachdem das Ziel es geschafft hatte, den Jägern und Drohnen so lange auszuweichen, doch ein wenig mulmig zumute.

Hinter sich hörte er ein Rascheln und dann einen dumpfen Schlag. Alan gab ein gurgelndes Geräusch von sich.

Zu spät erkannte Oakleigh, dass etwas nicht in Ordnung war. Er wirbelte herum, versuchte, das Gewehr in Anschlag zu bringen.

Ein Schuss ertönte, und Alans Walkie-Talkie knisterte.

„Team Rot, erbitte Bericht. Wiederhole: Team Rot, berichten Sie.“

2. KAPITEL

Cookie hatte sich in den unteren Zweigen einer Buche versteckt gehalten. Vom Baum hatte er sich einen passenden Ast ausgesucht und ihn nicht abgebrochen, sondern so abgedreht, sodass er eine Spitze bekam. Die war nicht wirklich scharf, aber auch nicht stumpf. Es war besser als nichts.

Er hatte den Spieler und seinen Bodyguard von oben beobachtet und auf den richtigen Moment gewartet, um zuzuschlagen.

Den nervösen alten Knacker konnte man vergessen. Der hatte zwar eine hübsche Purdey, aber er zitterte wie ein scheißender Hund. Der Bodyguard war gefährlich, aber kaum hatte Cookie mitbekommen, dass er sein Gewehr baumeln ließ, wusste er, der Kerl war Geschichte.

Und tatsächlich, der Bodyguard bekam nicht mal mit, was ihn traf. Keiner der beiden ach so überlegenen Jäger hatte sich die Mühe gemacht, nach oben zu schauen, daher konnte Cookie, der barfuß war, still und leise hinter Alan auf dem kühlen Moosboden landen. Mit dem linken Arm umschlang er Alans Hals, den Ellenbogen so abgewinkelt, dass die Halsschlagader seines Opfers prall hervortrat, und mit der rechten Hand stieß er den Stock in genau diese Ader.

Aber die Jahre des Drogen- und Alkoholkonsums sowie das Leben auf der Straße hatten ihren Tribut gefordert, und noch während er Alan zu Boden sinken ließ, damit der innerhalb weniger Sekunden verblutete, wirbelte der alte Kerl vor ihm herum und zielte mit seinem Gewehr auf Cookie. Und im Gegensatz zu früher, als er genauso schnell handeln wie denken konnte, stellte er jetzt fest, dass beides nicht mehr synchron funktionierte.

Oakleigh drückte ab. Cookie hatte bereits gesehen, dass er Linkshänder war, und wusste, wie die Waffe reagieren würde, daher hechtete er in die entgegengesetzte Richtung. Trotzdem war er zu langsam.

Er hörte, wie die Baumrinde abplatzte und sah nur Mikrosekunden später Splitter durch die Luft fliegen. Eine Sekunde später spürte er den Schmerz in seiner Seite und fühlte, dass sich Blut im Bund seiner Jeans sammelte.

Noch immer hielt er den Ast in der Hand, also machte er einen Schritt nach vorn und rammte ihn dem Alten in die Kehle, während er ihn im Stillen als Feigling verfluchte. Im nächsten Moment sackte Oakleigh mit dem Stock im Hals zu Boden.

„Team Rot, erbitten Bericht. Team Rot, erstatten Sie Bericht“, quäkte es aus dem Walkie-Talkie. Aber obwohl Cookie wusste, dass gleich noch mehr Leute auftauchen würden, brauchte er einen Augenblick, um sich zu sammeln. Er lehnte sich an einen Baum und presste die Handfläche auf die Stelle, wo die Kugel ihn getroffen hatte. Vorsichtig zog er sein Sweatshirt hoch, um die Wunde zu inspizieren. Es sah nicht gut aus, aber er wusste aus schmerzhafter Erfahrung, dass es nichts war, warum er sich ernsthaft Sorgen machen musste. Blutverlust und die Tatsache, dass er nun leichter aufzuspüren war, waren die unangenehmsten Folgen.

Er machte Bestandsaufnahme. Der Alte zuckte noch. Alan war tot. Cookie griff nach dem Sturmgewehr des Bodyguards, aber als er sich den Griff näher ansah, stellte er fest, dass dort eine Art Sensor eingebaut war. Er fluchte leise, als er vergeblich versuchte, die Waffe zu entsichern. Das konnte nur eins bedeuten: Smart-Technology, die auf den Handabdruck des Benutzers programmiert war. Und wenn er richtig vermutete …

Verdammt! Die Purdey des Alten war mit der gleichen Sicherung ausgestattet. Er warf die Waffe zur Seite und nahm stattdessen Alan das Jagdmesser ab. Der alte Typ hatte zwar noch eine Faustfeuerwaffe, die jedoch ebenfalls gesichert war und daher nutzlos.

Immerhin hatte er das Jagdmesser, das würde reichen müssen. Aber jetzt wurde es Zeit herauszufinden, ob diese Typen von The Quarry Co. ihren Teil des Abkommens erfüllen würden. Er presste eine Hand auf die Seite und begann zu laufen. Blätter stachen ihm in die Augen. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Er stolperte über Baumwurzeln und versuchte mit einer Hand, die Äste zur Seite zu drücken, während er auf der Suche nach Zuflucht weiterrannte.

Hinter ihm ertönten Gewehrschüsse. Über ihm wurde das Surren der Drohnen lauter. Jetzt hatten sie ihn entdeckt. Das Versteckspiel hatte ein Ende. Er konnte nur hoffen, dass er mittlerweile genügend Verwirrung gestiftet hatte und dass die beiden Opfer die Verfolger ausbremsen würden.

Die Zähne zusammengebissen und von Hass getrieben, lief er weiter. Der Wald begann sich langsam zu lichten. Vor ihm erstreckte sich ein sanft ansteigender Hügel, den er so schnell es ging erklomm. Als er keuchend oben angekommen war, wurde ihm bewusst, dass er hier zu einer Zielscheibe wurde, doch er war schon so nahe. Ganz nahe an der Ziellinie.

„Wenn Sie die Straße erreichen, gewinnen Sie. Dann gehört das Geld Ihnen.“

„Egal, wen ich auf dem Weg dorthin umbringen muss?“

„Unsere Spieler erwarten Gefahr, Mr. Cook. Und nur wer wagt, gewinnt.“

Er hatte ihnen geglaubt, und verdammt, warum auch nicht?

Und da war sie – die Straße. Sie trennte ihn von einem weiteren Waldstück, aber es war definitiv die richtige Straße. Eine Drohne flog über ihn hinweg. Von links hörte er das Geräusch eines sich nähernden Wagens und sah im nächsten Moment einen Land Rover Defender um die Kurve biegen und mit hohem Tempo auf ihn zukommen. Vorn saßen zwei Männer.

Sie sahen nicht so als, als wollten sie seinen Sieg feiern. Cookie verspannte sich. Hinter ihm kamen die Jäger immer näher.

Der Defender blieb mit quietschenden Reifen stehen, die Beifahrertür wurde aufgestoßen. Einer der Sicherheitstypen, der das gleiche Heckler-&-Koch-Sturmfeuergewehr trug wie Alan, sprang heraus und bezog Stellung hinter der Wagentür.

„Wo ist mein Geld?“, rief Cookie und warf hektisch einen Blick über die Schulter zurück in den Wald. Vage konnte er die Silhouetten der Spieler und deren Bodyguards zwischen den Bäumen ausmachen, hörte das Knacken der Walkie-Talkies. „Ihr habt gesagt, wenn ich die Straße erreiche, habe ich gewonnen“, fuhr er drängend fort.

Ohne auf seine Worte zu achten, hatte der Beifahrer seine Waffe auf die Oberkante der Wagentür gelegt und sprach in sein Walkie-Talkie. Er sagte etwas, was Cookie nicht verstehen konnte. Anscheinend erhielt er weitere Befehle.

„Kommt schon, ihr Arschlöcher. Ich habe diese verdammte Straße erreicht, wo ist jetzt also mein Geld?“

Der Beifahrer beendete sein Gespräch am Walkie-Talkie, und Cookie hatte schon oft genug unter Beschuss gestanden, um zu erkennen, dass es gleich wieder so weit sein würde. Es gab kein Preisgeld. Keinen Gewinn. Kein Überleben. Es gab nur Jäger und ein Ziel. Nur einen alten Idioten und einen Mann, der ihn über den Haufen schießen würde.

Der Beifahrer drückte ab, und Cookie flogen die Kugeln um die Ohren. Er duckte sich und hastete den Abhang wieder hinunter.

Ich schaffe das, dachte er. Er hatte in Afghanistan gekämpft. Er hatte mit den Besten gekämpft, gegen die Besten. Da würde er es doch wohl mit einem Haufen reicher, altersschwacher Typen auf Abenteuersuche aufnehmen und als Gewinner hervorgehen können – egal, ob die ihre Aufpasser dabei hatten oder nicht. Ja. Er würde hier rauskommen, und dann würde er es diesen verdammten Wichsern heimzahlen.

Er konnte es schaffen. Wer wagt, gewinnt.

Dann riss eine Kugel Cookie den oberen Teil seines Kopfes weg – eine Kugel, die aus einem Präzisions-Repetiergewehr mit Zielfernrohr stammte.

„Oh, guter Schuss, Mr. Miyake“, sagten die Spieler, als sie aus dem Unterholz hervortraten, um den Abschuss zu begutachten.

Sie freuten sich bereits auf das Essen nach der Jagd.

3. KAPITEL

Es war dunkel, und Shelley war genervt, weil er stundenlang vergeblich durch verschiedene Londoner Dreckslöcher gestreift war. Und jetzt würde der Typ an der Bar ihm auch noch Ärger machen.

Es war das letzte Pub, das er für heute auf der Liste hatte: das Two Dogs am Exmouth Market, eine Kneipe, die immer geöffnet hatte und immer düster wirkte. Außer den frühmorgendlichen Händlern, den Postmitarbeitern, die nachmittags vom nahegelegenen Mount Pleasant hereinschauten, und den Gruppen von Gleisbauarbeitern, die nachts auftauchten, traute sich hier kaum jemand her.

Ohne große Hoffnung hatte Shelley den Blick über sie schweifen lassen und sofort gespürt, dass von den Leuten hier nichts Gutes zu erwarten war. Die meisten waren ziemlich angetrunken und würden ihn nur zum Spaß an der Nase herumführen.

Also ein vergeudeter Tag. Das einzig Positive war, dass Lucy stolz auf ihn sein würde. Sie waren sich beide der Gefahr bewusst gewesen, dass er schon im ersten Pub, den er ansteuerte, der Versuchung erliegen und am nächsten Tag mit einem Kater und dem üblichen schlechten Gewissen eines Trinkers aufwachen würde. Aber nein. Er hatte es geschafft, sämtlichen Versuchungen und sogar der einen oder anderen Einladung zu widerstehen. Er hatte seine Runde stocknüchtern gemacht. Ein Mann auf einer Mission.

Was sich anscheinend inzwischen herumgesprochen hatte, so wie der Typ, der an der Bar lehnte, ihn ansah.

„Du suchst jemanden, wie ich höre?“, sagte er jetzt mit einer Stimme wie ein Zementmischer.

Shelley starrte in tränende, vom Alkohol gerötete Augen und ahnte sofort, dass der Kerl ihn erpressen wollte. Wenn man wie er einen schwarzen Wollmantel und eine leicht schräg auf dem Kopf sitzende Ballonmütze trug, stach man deutlich aus der Menge hervor. Das war Kalkül. Aber genau diese Aufmachung, die ihn als seriösen Kunden erscheinen ließ, machte ihn gleichzeitig zum Ziel von Erpressern, und so wie es aussah, dachte der Typ hier an weit mehr, als nur einen Drink für weitere nutzlose Informationen spendiert zu bekommen. Ein Indiz war zum Beispiel das Messer, das er dabeihatte.

„Stimmt, ich suche jemanden“, erwiderte Shelley lächelnd.

„Deinen Bruder, richtig?“, krächzte der Trunkenbold. Er trug eine Adidas-Sportjacke, deren Reißverschluss bis zum Hals hochgezogen war. Von dem Mann ging eine spürbare Gefahr aus, die für Shelley genauso markant war wie der Geruch von Scheiße.

„Nein, er ist nicht mein Bruder. Ein Freund.“

Bester Freund, dachte er. Ich geb’ dir immer volle Rückendeckung.

„Aber Waffenbrüder, oder? Ihr wart doch zusammen beim Militär – du und dieser Kumpel, nach dem du suchst.“

Das war interessant. Der Typ ließ sich von Shelleys Hintergrund und Vergangenheit nicht beeindrucken. Das bedeutete entweder, dass er ausgesprochen dumm war oder irgendwo Verstärkung bereitstand.

Shelley beugte sich zu ihm vor. „Da hast du recht, Kumpel, wir waren tatsächlich zusammen beim SAS. Cookie und ich waren in Afghanistan Teil eines geheimen dreiköpfigen Teams. Wir haben Auftragsmorde ausgeführt, Geiselnahmen verhindert, Verdächtige verhört. Unser Team hatte eine Spezialausbildung in Überwachung, Spionageabwehr, Risikoerkennung sowie Schusspräzision. Jeder von uns war Experte im unbewaffneten Nahkampf – dazu gehörten Filipino Kali, Krav Maga und Jeet Kune Do, gespickt mit ein bisschen ordinärem Straßenkampf, einfach, weil wir Spaß dran hatten. Wir waren anti-fragil. Weißt du, was das bedeutet? Es bedeutet, je schlimmer wir in der Scheiße steckten, desto effizienter wurden wir.

Nimm zum Beispiel das Messer in deiner Jeans. Dagegen würde Cookie schon mal präventiv vorgehen. So wie ich ihn kenne, und ich kenne ihn wirklich gut, würde er ein Bierglas als Waffe benutzen. Er würde es dir über den Schädel ziehen, dir das Messer abnehmen, und während du dir die Glasscherben aus der Kehle pulst, würde er dich zusammenscheißen, weil du die Klinge nicht ordentlich geschärft hast.

Die Sache ist die, Cookie war immer impulsiver als ich. Schlag zuerst zu, schlag kräftig zu und stell sicher, dass sie wissen, wessen Schlag sie getroffen hat, das war immer sein Motto. Ich gehöre eher zu denen, die sich an die Regeln halten. Ich würde warten, bis du das Messer ziehst, ehe ich es dir abnehme und dir dabei den Arm breche, und dann würde ich dich zusammenscheißen, weil deine Klinge nicht scharf genug ist.

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