Kapitel 3
Pal tippte auf das zerknitterte Papier, das zwischen ihnen ausgebreitet lag. »Schon wieder? Komm schon, Majestät, dieser Mann ist eindeutig nur ein weiterer Betrüger … und diese Karte nur eine weitere – wenn auch sehr gute – Fälschung.«
Rajah blickte ihn finster an. »Ich lasse dir den kumpelhaften Ton durchgehen, weil ich weiß, dass mein Vater dich schätzt, Pal. Aber ich bin der Anführer dieser Gruppe. Ich treffe die Entscheidungen. Vergiss das nie.«
»Hast du ihm gesagt, wer du bist?«
»Natürlich. Wieso auch nicht?«
»Dann weiß er Bescheid, Majestät. Er weiß genau, wie viel es dir und deiner Familie bedeutet. Lass dich nicht von ihm an der Nase herumführen. Wir müssen vernünftig handeln.«
Der Kartenmacher seufzte – ein wenig theatralisch – und machte Anstalten, seine Karte zusammenzufalten. »Nun, wenn ihr die Echtheit dieses Dokuments bezweifelt … ich habe genug potenzielle Käufer. Einen schönen Abend noch.«
Der Mann erhob sich, und Rajah griff nach seinem Ärmel, um ihn aufzuhalten. »Warte noch, guter Mann. Niemand hier zweifelt an der Echtheit deiner Karte. Jedenfalls niemand, der etwas zu sagen hätte.«
»Majestät, ich versuche doch nur, dich zu beschützen. Dieser Mann ist …«
»Genug jetzt, es reicht!« Rajah beugte sich über den Tisch. Sein Blick brannte vor unterdrücktem Zorn. »Wer hat hier das Sagen? Hm?«
Pal hätte sich gern dieses eine Mal gegen ihn aufgelehnt. Rajah war noch ein Junge, dem gerade die ersten flaumigen Härchen am Kinn wuchsen und der verzweifelt versuchte, sich in einer Welt als großer, starker Mann zu beweisen, die sich nicht um ihn scherte. Pal war schon viel herumgekommen und wusste, dass Leute wie Rajah früher oder später untergingen, wenn sie niemand beschützte. Genau darum hatte ihn Lord Maharajah gebeten … seinen Sohn zu beschützen.
»Ich warte«, hakte Rajah nach.
»Du, Majestät.« Pal konnte nicht anders. Er hatte zu viele Jahre als Diener hinter sich, um dem Jungen die Stirn zu bieten. Er war nicht wie Faith.
»Vergiss das niemals, Knappe.«
Was sollte er tun? Pal sah den Triumph in den Augen des Kartenmachers aufblitzen. Der Schwindler konnte es sich leisten, selbstgefällig vor sich hin zu grinsen, denn er wusste, was immer Pal tat oder sagte, würde auf taube Ohren treffen. Das Einzige, worauf Rajah jetzt noch reagieren würde, waren die Worte »Schloss Redstone«.
Pal wünschte, er hätte diesen Namen nie gehört. Er wurde langsam zu einem Fluch.
Der Kartenmacher strich seine Ärmel glatt und nahm erneut Platz. »Wie ihr seht, ist diese Karte sehr alt und empfindlich … und zugegebenermaßen nicht makellos. Die linke Ecke ist beschädigt, sodass manche Details verschwommen sind. Dennoch schwöre ich, dass sie euch nach Schloss Redstone führen wird – dem Ort des Verderbens zahlreicher großer Helden. Wie viele Gruppen sind in die Wildnis hinausgezogen, um es zu suchen …? Dieses Herz einer uralten, lange vergessenen Zivilisation, bestehend aus Meistern einer Technologie, die wir heute kaum noch verstehen … des geheimnisvollen Redstone.«
Rajah hing verzückt an seinen Lippen und strich sanft mit den Fingern über das Papier. »Mein Vater hat sein halbes Leben mit der Suche nach dem Schloss zugebracht – ein Mann, der sich ins Ende gewagt und sogar den Enderdrachen besiegt hat, aber nie das Glück hatte, auch nur in die Nähe von Schloss Redstone zu gelangen. Sieh dir die Schrift an, Pal. Sie stammt aus uralten Zeiten.«
»Wenn du es sagst, Majestät.«
Rajah streifte ihn mit einem neuerlichen ärgerlichen Blick, aber widmete sich sogleich wieder der Karte. »Sie bestätigt einen Teil der Geschichte, die mir mein Vater erzählt hat. Am anderen Ufer des unbekannten Meeres liegt der Sumpf … und dort ist der Bergpass über den Grat der Blitze. Stell dir vor, wir erreichen das Schloss … die Schätze, die wir dort finden werden!«
Aber Pal wusste, das war nicht alles, was sich der Junge von dieser Karte versprach. Rajah lebte im Schatten seines Vaters. Einfach jeder hatte schon vom großen Lord Maharajah gehört. Wie musste es sich anfühlen, der Sohn des größten Helden im ganzen Reich zu sein? Wenn auch nur die kleinste Chance bestand, sich zu beweisen, musste Rajah sie ergreifen. Eine Chance wie diese. Schloss Redstone zu finden. Falls diese Karte nicht wie ihre fünf Vorgänger war und sich als Fälschung entpuppte. Aber vielleicht hatte Faith ja recht. Vielleicht hatte ihre Pechsträhne endlich ein Ende. Das Problem war nur, dass Pal längst die Hoffnung darauf aufgegeben hatte.
»Ich will sie«, verkündete Rajah.
Natürlich willst du sie. Du Narr.
Der Kartenmacher lächelte väterlich. »Nichts würde mir größere Freude bereiten, als sie dem Sohn des hochgeschätzten Helden des Reiches zu überlassen. Aber an diese Karte zu kommen, hat mich einiges gekostet. Ihr würdet kaum glauben, wie viel … die Summe ist wahrlich schockierend.«
»Komm zum Punkt und nenne deinen Preis«, drängte Pal.
Der Kartenmacher beugte sich über den Tisch und senkte verschwörerisch die Stimme. »Ich komme ohne Weiteres an alles, was es hier auf dem Markt zu kaufen gibt – alles, was in der Oberwelt hergestellt, gezüchtet und gehegt wird. Davon lockt mich nichts … anders als die enormen Schätze, die es in anderen Reichen zu holen gibt.« Er machte eine wedelnde Geste. »Gefährliche Orte, wo nur wahre Helden überleben. Nur dort gibt es Netherit zu finden.«
»Du willst in Netherit bezahlt werden?«, kreischte Pal. »Soll das ein Witz sein?«
Der Kartenmacher zuckte mit den Schultern und griff nach der Karte. »Nun, wenn es euch zu gefährlich ist …«
Rajah ließ beide Handflächen auf die Karte niederfahren. »Warte.«
Was hatte er vor? Pal beugte sich über den Tisch. »Netherit gibt es nur an einem Ort, Majestät, und zwar im Nether. Du glaubst, das Leben hier oben ist hart? Es ist gar nichts im Vergleich zum Nether.«
»Die Geschichten über die Gefahren sind übertrieben, Pal.«
»Selbst dein Vater fürchtet den Nether!«
Kaum hatte er es ausgesprochen, erkannte er seinen Fehler. Nichts spornte den jungen Rajah so sehr zu neuen Großtaten an wie die Erkenntnis, dass sein Vater sie nicht vollbracht hatte. Hilfe suchend wandte sich Pal an Faith, aber die war ganz und gar in die Betrachtung der Karte versunken – und ihren glänzenden Augen nach zu urteilen war sie mindestens ebenso begeistert wie Rajah. Sie strebte nach großen Abenteuern, und eine Reise in den Nether wäre genau das. Falls sie überlebten.
Was nicht passieren würde.
Pal musste an ihren Verstand appellieren. »Kartenmacher, würdest du uns einen Moment allein lassen? Hol dir ein Stück Kuchen.«
Pal sah dem Mann an, dass er langsam ungeduldig wurde. Sie beide wussten, je mehr Zeit sie mit Reden verschwendeten, desto wahrscheinlicher war es, dass Pals übereifrige Gefährten Vernunft annahmen und das Angebot des Händlers doch noch ausschlugen. Widerwillig steckte er die Karte ein, stand auf und verbeugte sich knapp. »Ich lasse euch allein, aber vergesst nicht, dass bereits viele Käufer Schlange stehen, um meine Waren zu erstehen.«
Pal wartete ab, bis er mit der Menge verschmolzen war. »Es ist zu gefährlich. Wir haben kaum unseren Ausflug in den Wald überlebt. Unsere Hinterteile wurden von den Knochengerüsten förmlich durchsiebt. Wie kannst du nur glauben, dass es uns im Nether besser ergehen würde?«
»Wie viel schlimmer kann es schon sein?«, konterte Faith.
»Oh, glaub mir, sehr viel schlimmer.« Wo sollte er anfangen? Er kannte alle Geschichten, genau wie Rajah. »Es ist das finstere Reich, aus gutem Grund getrennt von unserem und beherrscht von Monstern. Wenn dich die Lohen nicht kriegen, tun es die Piglins.«
Faith lachte. »Piglins? Das klingt ja niedlich.«
»Sind sie aber nicht. Darüber hinaus ist der gesamte Nether von Lava überflutet. Wir sind nicht so weit, uns dorthin zu wagen.«
Rajah schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und wann sind wir es? Wenn wir Diamantrüstungen haben? Eimerweise Tränke? Verzauberte Gegenstände? All das kommt erst danach, Pal. Nachdem wir große Siege erlangt, mächtige Bastionen erobert und uns unseren Ruhm verdient haben! Die Karte ist echt. Ich habe inzwischen genügend Fälschungen gesehen, um eine echte Karte zu erkennen. Das ist die Chance, Pal. Wir können uns endlich einen Namen machen und aus dem Schatten meines Vaters treten.«
»Aber du musst nicht in seine Fußstapfen treten, Majestät. Finde deinen eigenen Weg. Du musst nicht diesem Heldenunsinn nachjagen. Nicht jeder ist dafür gemacht.«
Rajahs Blick verfinsterte sich. »Was willst du damit sagen? Dass ich nicht das Zeug zum Helden habe?«
»Äh … ich will nur sagen, deine Talente liegen vielleicht anderswo. Wir müssen sie nur noch … äh, finden.«
»Hör auf deinen Knappen, Rajah. Die Stimme der Vernunft.«
Wer hatte das gesagt? Pal drehte sich abrupt um und entdeckte eine Gruppe am Nebentisch.
O nein.
Die Bravos. Die härteste und erfolgreichste Heldentruppe des ganzen Reichs. Jeder Einzelne von ihnen trug die besten Rüstungen, allesamt auf Hochglanz poliert. Ihre Waffen lagen auf dem Tisch oder hingen an ihren Gürteln, und jede einzelne war ein Glanzstück der Handwerkskunst. Ihr Anführer Sir Tyrus hob wie zum Gruß eine Hammelkeule. »Widme dich lieber dem Schafehüten. Obwohl ich gehört habe, dass du selbst vor denen fliehst. Wie kommt’s? Ist ihr Blöken zu Furcht einflößend?«
»Ich bin allergisch gegen Wolle!«, antwortete Rajah ungehalten.
Pal seufzte. »Ich wünschte, du hättest das nicht gesagt.«
Einen Moment lang saßen die Bravos wie vom Donner gerührt da. Dann brachen sie in lautes Gelächter und Geblöke aus. Einer von ihnen erhob sich, um wie ein Schaf durch die Gegend zu staksen. Ein Zweiter rannte ängstlich um den Tisch. Es war nicht schwer zu erraten, wen er imitierte.
»Kommt, lasst uns gehen. Ich habe einen Schlafplatz für uns gefunden. Der Besitzer hat ein paar Betten in der Scheune aufgestellt, und die Pferde sahen friedlich aus.«
»Ich schlafe in keiner Scheune!«, schimpfte Rajah.
»Etwas Besseres können wir uns nicht leisten, Majestät. Bitte, komm jetzt.«
»Mäh! Määh! Määääh!«, krakeelten die Bravos. »Seht nur, sie rennen schon wieder weg! Määääh!«
Pal ergriff Rajahs Arm. »Komm, Majestät.«
Rajah leistete nur für einen Moment Widerstand, um sich noch einmal zu den Bravos umzusehen. Was er wohl empfand? Dann versteifte er sich, und Pal wusste, was der Junge verspürte, war Neid. Was sonst sollte es sein? Die Bravos verkörperten alles, was sein eigener Trupp nicht hatte. Stolz und Vernunft bekriegten sich in Rajahs dunklen Augen. Da war er, dieser schreckliche, ewig pochende Gedanke in Rajahs Kopf … genau der Gedanke, der ihn und seine ganze Gruppe immer wieder aufs Neue in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Was würde Vater tun?
Rajah ließ die Hand sinken und berührte Herzensbrechers Heft.
Die Bravos verstummten. Ein Stuhlbein schabte laut über den Bruchstein, als Sir Tyrus demonstrativ die Hand auf den Griff seiner Axt legte. Die Klinge war rasiermesserscharf, von zahllosen Schlachten schartig und bestimmt mehr als geeignet, um mit einem einzigen Hieb drei Zombies auf einmal zu enthaupten. Anders als Herzensbrecher bestand sie aus altem, hartem Eisen, und sie diente Sir Tyrus schon sein ganzes Leben. Einen Namen hatte sie nicht, aber diese Axt war eine Waffe, vor der man sich fürchten sollte.
Rajahs Hand glitt vom Schwertheft. »Lasst uns die Scheune suchen. Ich bin müde.«
Puh! Er hatte gerade noch rechtzeitig Vernunft angenommen. Das hier war kein Wegrennen, sondern ein taktischer Rückzug. »Komm, Faith.«
Sie rührte sich nicht. Saß nur da und starrte finster die Bravos an. »Das sind die reinsten Mobber. Wir sollten ihnen eine Lektion erteilen.«
»Ein andermal, okay? Rajahs Wunden sind noch immer nicht ganz verheilt.«
Widerwillig … sehr widerwillig stand sie auf. »Na gut, Pal. Ein andermal.«
Die Scheune war nicht weit entfernt. Dort würden sie sich ausruhen und neue, vernünftige Pläne für morgen schmieden. Ohne diesen Nether-Unsinn. Sie würden ihren überschäumenden Ehrgeiz im Zaum halten … klein anfangen und sich von dort hocharbeiten.
»Määäh.«
Rajah hielt abrupt an.
Pal versuchte, ihn hinter sich herzuzerren, aber der Junge bewegte sich kein Stück.
»Määäh. Määäh.«
Warum nur musste ihm das ausgerechnet heute passieren? Er hatte doch nur in Ruhe etwas essen, einen warmen, sicheren Schlafplatz finden und vielleicht die Aussicht auf etwas Warmes zum Frühstück genießen wollen. War das zu viel verlangt?
»Määäh.«
Anscheinend schon.
Rajah drehte sich um. »Was hast du gesagt?«
Sir Tyrus stand auf. »Du hast mich gehört. Jetzt zieh ab, Jungchen. Dieser Bereich ist für Erwachsene.«
»Ich bin kein Kind. Mein Name ist Rajah, und ich bin der Sohn von Lord …«
»Wen kümmert’s? Wäre dein Schwertarm so rege wie dein Mundwerk, könntest du es vielleicht zu etwas bringen, aber – und das sage ich jetzt im Namen aller hier – dein Windbeutel von einem Vater interessiert hier niemanden. All die Abenteuer, die er erlebt hat?« Sir Tyrus schnipste mit den Fingern. »Das sind nur Geschichten irgendwelcher Barden, die er dafür bezahlt hat. Ich wäre nicht überrascht, wenn sein Hinterteil ebenfalls von zahlreichen Pfeilwunden gezeichnet wäre – so oft, wie er in seinem Leben schon vor irgendetwas weggelaufen ist. Genau das hast du von ihm geerbt, Jungchen. Seine Feigheit.«
Das war ein großer Fehler. Sir Tyrus hätte damit davonkommen können, Rajah mit verbalem Dreck zu bewerfen, aber nicht Rajahs Vater.
Der junge Abenteurer zog Herzensbrecher. »Nimm das zurück.«
»Und was, wenn nicht?«
»Dann machen wir die Sache auf der Stelle unter uns aus und finden heraus, wer hier der Feigling ist.«
Sir Tyrus griff grinsend nach seiner Axt. »Nichts lieber als das.«