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Der wunderbare Foodtruck im Schnee

Als Buch hier erhältlich:

Nächster Halt: Glühweinstand und Lichterglanz

Heimelige Weihnachtsmärkte, sanfte Schneedecken über den Cottages und mittendrin – Lucys Pizzawagen. Sie kann sich nichts Schöneres vorstellen, als mit ihrem Pizza-Business die Küste Northumberlands entlang zu fahren und ihre gebackenen Köstlichkeiten unter die zahlreichen Besucher der Märkte zu bringen. Und dann ist da natürlich noch Jack, der charismatische Besitzer des Cocktail-Campervans. Mehr als einmal stehlen sich die beiden gegenseitig Küsse unter dem Mistelzweig. Doch die verschneite Idylle hält nicht lang, denn schon bald taucht Lucys Exfreund auf und bringt ihr neues Leben gehörig durcheinander.


  • Erscheinungstag: 26.09.2023
  • Aus der Serie: Northumberland Love
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365004654

Leseprobe

Für Harry und Rowan

1. Kapitel

Lucy und Jack sangen aus vollem Hals »Ruby«, während sie an diesem Herbstabend im Vintage-Camper über die Küstenstraßen schaukelten.

Nach Jacks plötzlichem Einfall – »Komm, lass uns zum Strand fahren!« – hatten sie sich nach einem gemütlichen Abendessen mit Fisch und Chips im örtlichen Pub spontan auf den Weg gemacht. Lucy hatte sich von Jacks Abenteuerlust anstecken lassen. Bei dem Gedanken daran, dass es heute Abend an einem Sandstrand in Northumberland verdammt kühl werden könnte, bekam sie nun aber leichte Zweifel.

»Ähm, meinst du wirklich, wir sollten das machen?«, fragte sie, als sie ihr Lied beendet hatten. »Du weißt schon, es ist Oktober, nach zehn Uhr abends … und stockfinster?« Sie war plötzlich unsicher. So leicht fiel es ihr eben doch nicht, ihr Schneckenhaus der Vernunft abzustreifen. Schließlich hatte sie es ihr Leben lang mit sich herumgetragen.

»Hey, keine Sorge, wir haben Vollmond, jede Menge Licht … Und schau dir diese stille, schöne Nacht an, Luce.« Jack grinste sie vom Fahrersitz aus an. »Jetzt gibt’s kein Zurück mehr.«

Er lenkte den tiefroten, chiantifarbenen VW-Bus von der Straße auf einen unbefestigten Parkplatz bei den Dünen. Wenig überraschend waren sie die Einzigen dort. Als sie in die kühle Nachtluft hinaustraten, nahm Jack Lucy bei der Hand und führte sie über den Weg zwischen Büscheln von wogendem Strandhafer. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, und tatsächlich, der Mond war fast voll, schimmerte blass-silbern und glänzte wie das Innere einer Muschel.

Als sie das Ende der Dünen erreichten, die im Halbdunkel den Blick auf einen bogenförmigen Sandstrand freigaben, war das Rauschen der Wellen zu hören, die sich am Ufer brachen.

»Also, kommst du mit rein?« Jack war schon dabei, Turnschuhe und Socken auszuziehen.

»Machst du Witze? Ich dachte, wir gehen spazieren …?« Ein Hauch von Panik schwang in Lucys Stimme mit. Sie und Jack waren jetzt seit drei Monaten ein Paar, und er war wirklich toll – aber auch ganz schön verrückt!

»Ein Spaziergang, ein Bad … Was immer du willst …« Ein verwegenes Grinsen huschte über sein Gesicht.

Zog er sie auf? Sie wusste noch immer nicht genau, wann er scherzte.

»… ich bin dabei«, fuhr er fort.

»Das Meer ist doch eiskalt.«

»Ach was, gar nicht so schlimm. Gerade zu dieser Jahreszeit ist das Wasser wärmer als die Luft.«

»Wenn du das sagst, Herr Oberschlau.« Lucy gab vor, beleidigt zu sein, aber ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

»Also«, er zog eine Augenbraue hoch, »kommst du nun mit?«

»Ähm … ich plansche ein bisschen, aber nur bis zu den Knöcheln. Mehr ist nicht drin.«

Was zum Teufel redete sie denn da? Wie war bitte aus einem Strandspaziergang ein Bad im kalten Wasser geworden?!

Also gut, Stiefel und Socken ausziehen, und ja, die Jeans auch, die sollte ja nicht nass werden. Himmel, der Sand war eisig! Sie mochte gar nicht daran denken, wie kalt das Wasser erst war.

Und schon waren sie unterwegs und hinterließen zwei Reihen Fußabdrücke, die zum Meer hinunterführten. Jack umfasste Lucys Hand warm mit seiner. Alles im Halbdunkel des Oktobermondes.

Heiliger Strohsack! Sie waren im Wasser, bevor Lucy darüber nachdenken konnte … und ja, es war f-f-frostig!

»Wahey!«, rief Jack.

»Ahhh …!«, kreischte Lucy. Eisige Tropfen spritzten an ihren Schienbeinen hoch, und die Strömung wirbelte um ihre Knöchel. Das war so verrückt. Jack Anderson war total verrückt. Aber eines musste sie zugeben: Sie hatte sich lange – sehr lange – nicht mehr so lebendig gefühlt.

»Los, komm. Spring auf. Wir gehen ein bisschen tiefer rein.«

Was hatte er jetzt wieder vor?

»Ich nehm dich huckepack. Komm schon. Es macht mir nichts aus. Ich geh auch nicht zu weit rein, versprochen.«

Also kletterte sie auf seinen Rücken und legte die Arme fest um seine Schultern. »Du bist verrückt, aber so was von.« Trotzdem musste sie kichern.

Jack ging plötzlich in die Knie, nur ein klein wenig, um die nächste Welle abzufangen, und sie schrie auf. Das kalte Wasser spritzte an ihren Beinen hoch und benetzte ihre Oberschenkel. »Hey, es reicht. Wenn du weiter reingehst, krieg ich noch eine Lungenentzündung.«

Sie hätte sich eigentlich fürchten müssen, hier draußen im trüben nächtlichen Wasser. Doch Jack unter sich zu spüren, stark und stabil, war berauschend. Er richtete sich wieder auf, und es blieb nur ein Wellenschlag um ihre baumelnden Füße zurück. Dann schaffte er es, sie so zu drehen, dass sie einander zugewandt waren, Brust an Brust, wobei Lucy sich immer noch an ihn klammerte. Er zog sie noch fester an sich und presste seine Lippen, salzig und frisch, auf ihre. Der Geschmack von Pommes frites und ein Kuss, der so tief und zärtlich war, dass er ihren ganzen Körper zum Glühen brachte, trotz der Kälte.

Als Jack sie ein paar Minuten später wieder am Sandstrand absetzte, war Lucy sich nicht ganz sicher, ob das kalte Wasser oder er ihr den Atem raubte.

2. Kapitel

Die goldgelben Strahlen der Oktobersonne fielen durch den Spalt zwischen den Vorhängen ins Cottage. Jack kam langsam zu sich, noch in einem glücklich-schläfrigen Nebel. Lucy lag neben ihm, das herrliche kastanienbraune Haar wie ein Fächer auf dem weißen Baumwollkissen ausgebreitet. Ihr blumig-frischer Duft strich über das Bettzeug, und ihr warmer Körper war an ihn geschmiegt. Jack fuhr mit einer Fingerspitze sanft über ihren leicht gebräunten Unterarm, der auf seiner Brust ruhte. Er wollte sie nicht wecken – noch nicht. Das Liebesspiel der letzten Nacht war ihm noch zärtlich in Erinnerung.

Er nahm einen tiefen, langen Atemzug. Genau so konnte ein Sonntagmorgen im Bett aussehen. Und doch war das alles so neu für ihn, dieses Zusammensein, dass es sich zerbrechlich und kostbar anfühlte.

Er hätte nie gedacht, dass es so sein könnte. Es war so viel mehr als die kurzen Liebesabenteuer oder die Partynacht-Eroberungen. Okay, zugegebenermaßen machte ihm dieser ganze Beziehungskram immer noch Angst. Aber das hier … Er schaute auf Lucy hinunter, ihre geschlossenen Augenlider mit den langen, dunklen Wimpern, und merkte, dass sein Herz trotz seiner Angst jubilierte. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, war fasziniert von ihr. Ja, okay, die Stimme in seinem Kopf mischte sich da ein (und verdammt, er war sich nicht sicher, ob sie ihn warnte oder ihm Beifall zollte), und er musste zugeben, dass er auf dem besten Weg war, sich in sie zu verlieben, und zwar ganz gewaltig.

Er küsste Lucy sanft auf den Kopf, ihr Haar fühlte sich weich unter seinen Lippen an und kitzelte. Dabei fiel sein Blick auf eine seltsame stufenartige Vorrichtung, die sich neben der shabby-schicken Kommode auf seiner Seite des Doppelbetts befand und aus drei mit Teppich ausgelegten Stufen bestand. Hmm, das sah nicht wie ein Trainings-Stepboard aus. Die Dinger waren normalerweise aus Hartplastik und hatten eine ganz andere Form. Das hier machte eher den Eindruck, ein Hilfsmittel zu sein, wie eine alte Dame es brauchen könnte, um ins Bett zu steigen. Und, na ja, Lucy war jedenfalls letzte Nacht – und auch in den Nächten zuvor – mit ihm ins Bett gesprungen, ganz ohne Probleme. Was zum Teufel war das?

Noch während er darüber nachdachte, wachte Lucy mit einem leisen Seufzer auf und streckte sich genüsslich.

»Hey, guten Morgen, Schlafmütze.« Er lächelte.

»Hi, du.« Ihre tiefbraunen Augen suchten seinen Blick, und wie jedes Mal traf es ihn mitten ins Herz.

Er beugte sich vor, um sie sanft auf die Wange zu küssen, was alle möglichen Gefühle und »morgendlichen Körperreaktionen« hervorrief. Wow, wie schaffte sie es nur, gleichzeitig so süß und so verdammt sexy auszusehen?

Vielleicht war es ein Glück, dass die Treppe seinen Blick wieder ablenkte. »Luce …? Was ist das für ein Ding?«

»Was?«

»Das komische Treppenteil da drüben?«

»Ach das. Das ist für Daisy.«

Daisy war Lucys Hund, eine Dackeldame mit Charakter, die gerade in ihrem Bettchen in der Küche lag und zweifellos bereits auf ihr Frühstück wartete.

»Für Daisy?« Das verwirrte ihn noch mehr.

»Ja klar, sie braucht es, um zu mir ins Bett zu kommen.«

»Im Ernst? Du hast eine Felltreppe für deinen Dackel?«

»Ja«, antwortete Lucy ganz sachlich, »weil Dackel nämlich nicht viel springen sollten. Sie haben einen sehr empfindlichen Rücken wegen ihrer kurzen Beine.«

»O-kay. Schläft sie also meistens hier?«

»Früher hat sie das, ja, als du noch nicht so oft hier warst.«

»Na, das würde mich ganz schön aus dem Konzept bringen, so ein Dackel mittendrin.« Er lachte.

Und wie als Kommentar darauf, dass sie sich dort oben ohne sie unterhielten, driftete ein klägliches Winseln zu ihnen herauf.

»Kein Wunder, dass sie mich anschaut, als hätte ich sie beleidigt.«

»Stimmt. Du hast sie ja auch wirklich tödlich beleidigt, indem du dich in mein Bett und mein Leben geschlichen hast.«

»Oho, das ist gefährlich. Aber die Phase, dass sie nach meinen Knöcheln schnappt, ist hoffentlich vorbei.«

Die kleine Hündin hatte Jack von Beginn an nicht leiden können, als sie sich das erste Mal begegneten, aber immerhin war sie seitdem sehr viel zutraulicher geworden. »Also, meinst du, ein oder zwei Hundekekse würden sie so lange besänftigen, dass ich uns Kaffee kochen kann?«

»Hmm, vielleicht, aber … ein Stück knuspriger Schinken oder ein Würstchen wäre sicher noch besser – von dem Bacon-Sandwich, das du mir doch sicher auch machst.« Lucy lachte. Sie spekulierte auf ein herzhaftes Frühstück aus der Pfanne.

»Hey, werden Sie bitte nicht größenwahnsinnig, Madam.« Jack kam näher und grinste verschmitzt. »Das Angebot galt nur für die Tour zur Kaffeemaschine.« Er kitzelte sie an den Rippen. »Und das hier ist dein Haus, also solltest eigentlich du mich bedienen, finde ich.«

»Stopp, stopp«, rief Lucy und kicherte. »Okay, ich ergebe mich. Kaffee reicht.«

Er wich zurück, immer noch lächelnd. »Schon gut, ich mache die Sandwiches. Jetzt, wo du es sagst, habe ich doch Appetit. Ist noch Speck im Kühlschrank? Und gibt’s Brot?«

»Ein paar Scheiben Schinken sind noch da, aber bei dem Brot bin ich mir nicht so sicher. Das ist vielleicht nicht mehr ganz frisch.«

»Jetzt muss ich auch noch zum Dorfladen, um frisches Brot zu holen. Meine Güte, du wirst ja immer anspruchsvoller.«

Lucy wusste, dass er scherzte, und ließ sich mit einem Grinsen auf die weichen Kissen zurücksinken.

»Na gut, dann sorge ich wohl besser dafür, dieser Dame ihren gewohnten Lebensstil zu bieten. Und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich mich auch gleich dem Höllenhündchen Daisy stellen.«

Jack sprang aus dem Bett. Ihm machte es offensichtlich nicht im Geringsten etwas aus, nackt vor seiner Freundin zu stehen, als er nach seinen hingeworfenen Sachen griff, dem T-Shirt und den Boxershorts vom Vorabend. Schließlich war er gerade mal Ende zwanzig und hatte einen straffen, sonnengebräunten Körper, zumal der Sommer gerade erst vorbei war.

*

Wow, Lucy nahm den Anblick dieses herrlich durchtrainierten, männlichen Körpers in sich auf und staunte erneut, dass Jack wirklich hier war. Ja, er war in ihrem Bett und in ihrem Leben. Nach all den schmerzhaften Höhen und Tiefen, die sie in den letzten Jahren durchgemacht hatte. Wie schön war es, morgens neben diesem Mann aufzuwachen, ihn neben sich zu haben, und gerade letzte Nacht so besonders nah … Huh, ihre Haut kribbelte schon bei der bloßen Erinnerung daran.

Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Und doch war es so. Sie waren ein Paar geworden, zumindest für den Moment. Jack war hier in ihrem Bett, in ihrem Kopf … stand gerade jetzt genau neben ihr und schenkte ihr sein typisches breites Grinsen. Und das war tatsächlich auch alles, was er an sich trug, ha! Mit seinen blonden Stirnfransen und den etwas zu langen Haaren im struwweligen Surferlook strahlte er Strandatmosphäre aus, selbstbewusst und fröhlich. Sie sah zu, wie er sich anzog und dann Richtung Küche verschwand, um ihr Frühstück zu machen. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sie sich gegen die dicken Kissen. Wenn sie hätte schnurren können, hätte sie genau das jetzt getan.

*

»Hallo, ähm, Dais.« Jack hatte gelernt (auf die harte Tour, mit Wadenschnappen), dass die beste Methode, Dackel Daisy morgens zu begrüßen, darin bestand, ihr erst seine Anwesenheit mitzuteilen, bevor er die Küchentür öffnete und eintrat. Wahrscheinlich wollte Daisy nur ihr Frauchen beschützen, aber Jack war sich sicher, dass auch ein Hauch – oder wohl eher eine große Portion – Eifersucht im Spiel war. Kein Wunder, wenn man an das Treppchen am Bett dachte. Er hatte sie regelrecht verjagt von ihrem gemütlichen Schlafplatz neben der süßen Lucy! Sobald er die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte, ertönte lautes Gekläff.

»Hi, ich bin’s doch nur. Ist schon gut. Hey«, beschwichtigte er. Der Black-and-Tan-Kurzhaardackel beäugte ihn immer noch misstrauisch. Dabei war er jetzt schon mindestens ein Dutzend Male über Nacht hier gewesen. »Hey, meinst du nicht, wir sollten langsam lernen, ein bisschen besser miteinander klarzukommen, junge Dame?« Sie kamen sich zwar Schritt für Schritt und Pfote für Pfote näher, aber die Fortschritte in den letzten Monaten hatten sich doch sehr hingezogen. »Dann hole ich mal dein Essen, okay?« Als er sich dem Schrank näherte, in dem ihr Hundefutter aufbewahrt wurde, hörte das Bellen auf. Manche Dinge waren es eben doch wert, dass man sich zurückhielt. Aber sie hob ihre lange Schnauze und fixierte Jack noch einmal mit einem stählernen Blick aus ihren großen braunen Augen, als wollte sie ihm sagen, dass er nicht mit dem Herzen ihres Frauchens spielen solle.

»Das werde ich nicht, versprochen«, sagte er laut. Was war das denn? Sprach er gerade mit einem Hund?!

Verflixt, diese beiden hatten es ihm wirklich angetan. Und wie es aussah, konnte er verdammt wenig dagegen tun. Am besten sollte er wohl nachgeben und geschehen lassen, was da kam. Er würde den Hund füttern und frisches Brot holen, vielleicht auch ein paar Croissants. Er lächelte und krauste dann leicht die Stirn. Eigentlich wurde es gerade viel zu häuslich für einen Typen wie ihn. Er spürte, wie ein unliebsames Unbehagen in ihm aufstieg. Hatte er sich zu weit vorgewagt?

3. Kapitel

Ein herrlicher, wenn auch etwas kühler Oktobermorgen begrüßte Jack, als er aus der Tür von Lucys Reihenhäuschen – gebaut aus den für die Gegend typischen Feldsteinen – trat. Eine salzig-frische Meeresbrise umwehte ihn, und auf halber Strecke die Straße hinunter sah er die zinngrauen Farbtöne der Nordsee durch eine Lücke zwischen den Häusern auf der anderen Straßenseite.

Das Küstendorf Embleton lag eine Meile landeinwärts, hinter den Dünen, die sich an der lang gestreckten Bucht mit goldenem Sand entlangzogen. Es war ein typisches Dorf für Northumberland, mit traditionellen Häusern und Cottages, einer Grundschule, zwei Pubs, Hotel, Golfplatz, Dorfladen und Café, ein kleiner und freundlicher Ort, in dem Lucy erst letztes Jahr ihr Zuhause gefunden hatte. Das war, wie er erfahren hatte, nachdem ihre letzte Beziehung sehr unschön in die Brüche gegangen war. Es schien eine tolle kleine Gemeinde zu sein. Und jetzt, ein paar Monate nach Beginn ihrer Beziehung, stellte Jack fest, dass es sich auch für ihn langsam wie ein Zuhause anfühlte. Das war ein sehr seltsames und noch unbekanntes Terrain für ihn. Er hatte in seinem Leben noch nie eine längere Liebesbeziehung gehabt – zumindest nicht mehr seit einer frühen und sehr niedlichen Teenagerschwärmerei. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich nicht an eine Person oder gar an einen Ort zu binden. Nach einem Monat oder höchstens zwei – na ja, meistens nach ein oder zwei Nächten, wenn er ganz ehrlich war – hatte er die Flucht ergriffen und sein Singleleben weiter genossen. Bis Lucy zu Beginn des Sommers wie ein Blitzschlag in sein Leben getreten war. Sie zu treffen hatte ihm vor Augen geführt, wie leer und hohl dieses Leben geworden war.

Pfeifend schlenderte er die Straße entlang, grüßte gut gelaunt einen alten Mann, der mit einem freundlichen Lächeln seine Schiebermütze lüftete. Offensichtlich hatte er gerade seine Morgenzeitung geholt. Der Laden war nicht weit entfernt, nur um die Ecke in der nächsten Straße.

Er passierte einen Mann mittleren Alters, der mit seinem Hund auf dem schmalen, gepflasterten Gehweg entlanglief, freundlich grüßte und ihm einen »Wunderschönen Morgen« wünschte. Der Labrador neben ihm beschnüffelte interessiert Jacks Knöchel. Vielleicht roch er dort »Eau de Dackel«? Jack hoffte inständig, dass der kleine Teufelshund nicht am Abend zuvor aus Rache auf seine Turnschuhe gepinkelt hatte, die er immer in der kleinen Diele des Cottages abstellte.

»Guten Morgen«, antwortete Jack und lächelte.

Und es war genau das: ein guter Morgen. Die Sonne schien, das Leben war schön … und kostbar … und konnte einem so schnell genommen werden, wenn man es am wenigsten erwartete. Wahrscheinlich war er sich mehr darüber bewusst als die meisten anderen Menschen, nach der Sache, die seinem Bruder und damit seiner Familie widerfahren war … Jeder einzelne Moment war kostbar.

Jack konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Er sollte heute eigentlich positiv gestimmt sein. Es war nicht der Moment, um sich der Vergangenheit hinzugeben. So ein herrlicher Herbsttag, und in einem Cottage nahe am Meer wartete eine wunderbare Frau auf ihn. Er musste nichts weiter tun, als frisches Brot zu kaufen und ein paar leckere Bacon-Sandwiches zuzubereiten. Danach könnten sie einen Spaziergang machen. Er könnte ihre Hand halten, ihre Lippen küssen. Er hatte ein Leben, das er leben konnte. Ein schöner Tag lag vor ihm.

*

Als sie so im Bett lag, allein, wurde Lucys Glücksgefühl von einem seltsamen Unbehagen überschattet, einer Art Trauer. Sie hatte sich rettungslos in Jack verliebt, das stand außer Frage. Und sie verstanden sich wirklich gut. Er brachte sie zum Lächeln, ja zum Lachen, und sogar ihr Selbstvertrauen schien gewachsen zu sein, seit sie mit ihm zusammen war. Es machte sie glücklich, dass ihr Leben durch ihn einen Hauch von Abenteuer und Spaß bekommen hatte, etwas, was sie so lange vermisst hatte. Mit ihm lernte sie, den Moment zu genießen.

Aber … Warum musste es nur immer ein verdammtes »Aber« geben? Jack war vor vielen Jahren kurz mit ihrer besten Freundin Becky zusammen gewesen, und hatte sie betrogen. Es hatte Becky das Herz gebrochen und ihren Stolz verletzt. Natürlich war das alles lange her. Lucy hatte versucht, ihrer Freundin klarzumachen, dass Jack heute ein anderer Mensch war – er hatte zugegeben, in seiner Jugend ein Aufreißer gewesen zu sein. Er hatte Becky sogar eine Nachricht geschickt, um sich für damals zu entschuldigen und reinen Tisch zu machen, aber Becky wollte davon nichts hören. Zu Lucys Leidwesen lag ihre Freundschaft mit Becky seit einigen Wochen auf Eis, was für sie eine Katastrophe bedeutete. Sie waren einander immer so nahe gewesen, schon als kleine Mädchen in der Schule. Es machte sie so unglücklich, und Becky mit Sicherheit auch, aber Lucy musste ihrer Beziehung zu Jack eine Chance geben, das wusste sie. Sie musste ihn besser kennenlernen, um sicher sein zu können, dass ihr Instinkt sie nicht trog, und um Becky irgendwie die Wahrheit über den Mann vor Augen zu führen, in den sie sich verliebt hatte.

Ihre Auseinandersetzung von tags zuvor spukte ihr immer wieder durch den Kopf.

»Hey, wie geht’s?«, hatte sie Becky gefragt, die Finger fest ums Telefon gekrallt.

»Gut«, hatte Becky kühl geantwortet, was sich eigentlich überhaupt nicht »gut« anhörte. »Und du bist also immer noch mit ihm zusammen?«, war Becky dann direkt auf den Punkt gekommen.

Natürlich hatte sie nicht fragen müssen, wen sie meinte.

»Ja.«

Daraufhin hatte Becky frustriert aufgestöhnt und erst richtig losgelegt. »Du bist verrückt, Luce. Warum hörst du nur nicht auf mich? Begreifst du es denn nicht? Er ist toxisch!« Nach einer kurzen Pause hatte sie dann noch nachgeschoben: »Komm bloß nicht zu mir gerannt, wenn es in die Hose geht.«

Lucy hatte geschwankt und nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollte. Sie fühlte sich wie das Schweinchen in der Mitte bei dem Kinderspiel und wollte keinen von beiden verlieren. Verdammt, ob es wirklich so weit kommen konnte? Dass es nur darum ginge, entweder ihn oder sie zu verlieren? »Also, bis bald. Mach’s gut, Becky«, hatte sie schließlich gemurmelt und sich verabschiedet. Mit zitternden Fingern und schwerem Herzen hatte sie das Gespräch beendet.

Ihr war bewusst, dass Becky sich zum Teil wirklich um sie sorgte und verhindern wollte, dass sie so verletzt wurde wie sie selbst. Aber zum größten Teil wurzelte die Frustration ihrer Freundin in ihrer eigenen Erfahrung damals. Jack hatte sie zu einer Zeit betrogen, als Beckys Eltern kurz vor der Trennung gestanden hatten. Das hatte sicher etwas damit zu tun, warum es sie dermaßen hart getroffen hatte. Die große Frage war nun, ob Becky endlich darüber hinwegkommen würde. Und ob ihre Freundschaft überlebte.

Lucy klammerte sich an die Hoffnung, dass es gelingen würde, und sie war entschlossen, alles dafür zu tun. Trotzdem wusste sie eines ganz sicher: Sie konnte Jack jetzt nicht einfach fallen lassen, denn dafür bedeutete er ihr zu viel. Mit einem langen Seufzer ließ sie sich in die Kissen zurücksinken, die von Jacks nach Salz und Zitrusfrüchten duftendem Eau de Cologne erfüllt waren. Sie musste abwarten und akzeptieren, dass sie nicht alles kontrollieren konnte.

Tja, im Moment war es wohl das Beste, erst mal aufzustehen, schnell zu duschen und sich für das Frühstück mit den Bacon-Sandwiches fertig zu machen, das Jack bald zubereiten würde. Es war ungewohnt für sie, so lange im Bett zu bleiben, aber in den letzten Wochen war in ihrem Leben einfach so viel los gewesen. Nachdem sie sich mit ihrem erst im Frühjahr gegründeten Pizzaservice im Laufe des Jahres endlich etabliert hatte, bekam sie jetzt jede Menge neue Aufträge. Bisher hatte sie nicht gewagt, auch nur einen davon abzulehnen. Unter dem Namen Feuer und Flamme düste sie daher mit ihrem taubengrau gestrichenen, umgebauten Vintage-Pferdeanhänger im Schlepptau die Küste entlang und durch das Landesinnere von Northumberland und ackerte wie ein Pferd.

Zuvor hatte Lucy ein paar turbulente Jahre erlebt und es erst nach einer geplatzten Verlobung gewagt, sich ihrem Traum zu stellen, aus ihrer Komfortzone und der festen Bahn ihres Lebens auszubrechen und diesen Traum zu verwirklichen. Sie hatte auf ihr Herz gehört und war ihrer Leidenschaft für das Kochen gefolgt, inspiriert durch ihren wunderbaren italienischen Großvater – von allen »Papa« genannt –, der leider nicht mehr lebte. Ihre Familie, ihre Freunde, ja, auch Becky, hatten sie unterstützt und ihr den Rücken gestärkt, wenn ihr manchmal alles eine Nummer zu groß vorkam. Auf keinen Fall wollte sie das alles jetzt aufs Spiel setzen – weder ihr Geschäft noch ihre Freundschaft, noch ihre Beziehung zu Jack. Eigentlich müsste sie doch überglücklich sein, dass sie so viel erreicht hatte. Warum nur kam ihr plötzlich alles vor wie ein Kartenhaus?

Schon bald wehte der Duft von brutzelndem Speck die Treppe herauf und lockte Lucy nach unten, wo Jack mit der Bratpfanne hantierte und intensiver Kaffeeduft ihr entgegenschlug. Diese Aussicht hätte das Herz jeder Essen liebenden, warmblütigen Frau erfreut.

»Oh, das ist so gut. Danke.« Es war wunderbar, so verwöhnt zu werden. In ganzen sechs Jahren hatte ihr Ex Liam es genau einmal geschafft, Frühstück für sie zu machen. (Das war, als seine Eltern bei ihnen übernachtet hatten, weshalb die Mühe eher ihnen gegolten hatte als Lucy.) Jack hingegen stand nun zum vierten Mal innerhalb von vier Wochen morgens in der Küche! Es wurde regelrecht familiär bei ihnen. Ein Glücksgefühl überrollte Lucy, sie trat zu ihm und umarmte von hinten seine straffe Taille.

»Hey, du, sei vorsichtig!« Jack schwang bedrohlich die Kochzange und grinste. »Ich hab hier heiße Sachen.«

»Hmm, als ob ich das nicht wüsste.« Lucy dachte an die letzte Nacht und kicherte schelmisch.

Jack lachte schallend und widmete sich dann wieder der Pfanne. »Also wirklich, benimm dich.«

»Muss ich das?«

»Nein, auf keinen Fall. Je unanständiger, desto besser.« Sein Grinsen wurde breiter.

Lucy liebte das alberne Geplänkel zwischen ihnen. Jacks Sinn für Humor war ansteckend. Er war wie eine frische Meeresbrise. Eine Erfrischung nach dem allzu vernünftigen, seriösen (sprich: verdammt langweiligen) Liam.

Bald darauf servierte Jack das Frühstück, und zu zweit saßen sie auf den Hockern an der Küchentheke und ließen sich ihre Sandwiches aus fluffigem Brot vom Dorfladen schmecken, mit starkem Kaffee und frischem Orangensaft dazu. Dackeldame Daisy saß auf dem Boden bei ihnen und wartete aufmerksam darauf, jeden Krümel, der womöglich in ihre Nähe kam, schnell zu vertilgen.

Die Herbstsonne schien durch die vier quadratischen Scheiben des Küchenfensters, als sie aßen, und sie beschlossen, den frischen, sonnigen Morgen zu einem Spaziergang am Strand zu nutzen. So räumten sie Tassen und Teller in die Spüle und zogen ihre Sneaker an. Daisy saß bereits schwanzwedelnd in der Diele, begierig darauf, sie zu begleiten.

Von Lucys Häuschen bis zum Strand war es etwa eine Meile – vorbei am Golfplatz und über den gewundenen Pfad bis zum Rand der Dünen. Als sie Hand in Hand mit Jack über den blassgoldenen Sand schlenderte und Daisy fröhlich herumhuschte und Haken um die salzigen Pfützen schlug, die die weichende Flut hinterlassen hatte, erfüllte Lucy ein warmes Gefühl von Zufriedenheit.

Bis auf die Sache mit Becky war ihr Leben ziemlich perfekt. Lucy liebte ihr gemütliches Cottage an der Küste, in das sie vor einem Jahr eingezogen war. Nach dem Verkauf des Neubaus, in dem sie mit Liam gewohnt hatte. Die Trennung war vermutlich schon längst überfällig gewesen, aber erst durch seine Affäre ins Rollen gebracht worden. Wie eine Bombe war sie in das ohnehin schon beschädigte Gebäude ihrer Beziehung eingeschlagen. Für Lucy war es dennoch verdammt verletzend gewesen. Doch dass Jack nun an ihrer Seite war, dass er bei ihr übernachtete und ihr strandnahes Leben teilte, dass sie mit ihm über persönliche und geschäftliche Dinge sprechen konnte, ihn berühren, küssen und mit ihm schlafen … Es war schwer, das in Worte zu fassen. Aber irgendwie brachte es ihr Leben zum Leuchten. Es fühlte sich so viel erfüllter und fröhlicher an.

Die Bucht war an diesem Morgen besonders schön – der sichelförmige Bogen aus goldenem Sand und die fernen Klippen, die sich im Hintergrund zu den Ruinen von Dunstanburgh Castle erhoben. Obwohl das Blau des Himmels herbstlich gedämpft war und sich weißgraue Wolken am Horizont zu sammeln begannen, lugte immer noch die Sonne hervor und warf ein silbrig goldenes Licht auf die Wellenkämme, die ans Ufer rollten. Sie unterhielten sich, während sie spazieren gingen. Die Brise war lebensbejahend, frisch und belebend und strich durch Lucys dunkles Haar, das offen herabfiel. Der kalte Wind ließ sie näher zusammenrücken, um sich gegenseitig zu wärmen. Sie genossen die Berührung, die Zweisamkeit, ihre ineinander verschränkten Hände.

Trotzdem – nach dem gestrigen Telefonat mit Becky erfüllte Lucy noch immer eine nagende Sorge, die das Glück trübte … eine dunkle Wolke an dem ansonsten hellen, hoffnungsvollen Himmel. Lucy wurde stiller.

»Ist alles okay?« Jack verlangsamte seinen Schritt, um sich ihr zuzuwenden.

»Ja klar, alles gut.« Sie wollte den Moment nicht verderben, Jack nicht mit ihrem Kummer darüber belasten, dass sie sich mit ihrer besten Freundin verkracht hatte.

»Sicher? Du wirkst ein bisschen niedergeschlagen, Luce.«

»Ach nein, mir geht es gut.«

»Also, wenn du über irgendetwas reden willst …«

Sie spürte, wie Jack ihre Hand drückte, aber das hier war eine Sache zwischen ihr und Becky. Es war nicht nötig, Jack da mit reinzuziehen. Sie musste schon in der Lage sein, das selbst zu regeln.

Als sie über die Bucht blickte und das rhythmische Rauschen des Meeres hörte, die unendlichen Gezeiten, wollte sie den Moment auf keinen Fall verderben.

»Danke, Jack, das ist wirklich lieb von dir.«

Diese neue Beziehung fühlte sich alles andere als »toxisch« an, wie Becky es genannt hatte. So sehr konnte sie sich nicht irren. Aber sie waren immer ein Team gewesen, sie und Becky. Sie hatten das Schlimmste gemeinsam durchgestanden, dieselben Schlachten geschlagen. Doch jetzt schien es, als stünden sie auf entgegengesetzten Seiten.

Aber bitte, behauptete irgendwer, das Leben wäre einfach? Wann war bei ihr jemals alles zugleich reibungslos verlaufen? Immerhin hatte sie ihre Familie, ihre Freunde – mit einem kleinen Becky-Ausfall, mehr nicht – und noch dazu die wunderbare Unterstützung ihrer neuen Dorfgemeinschaft. Menschen, die ihr früher in schweren Zeiten beigestanden hatten, und all diejenigen, die ihr jetzt bei ihrem Neustart halfen.

Hmm, vielleicht war es an der Zeit, ihnen allen einmal richtig zu danken. Die Frage war nur, wie? Sie konnte sich weder eine große Feier leisten, noch sie alle zum Essen ausführen. Es waren ziemlich viele … Und sie war immer noch dabei, mit ihrem neuen Geschäft Fuß zu fassen. Alle ihre Ersparnisse waren dort hineingeflossen – und in die Anzahlung für ihr Haus. Aber so ein Treffen könnte auch helfen, Becky wieder näherzukommen. Sie und Jack könnten die Gelegenheit nutzen, um einander zwanglos in einer größeren Runde zu begegnen; um einander jetzt richtig kennenzulernen, statt an der Vergangenheit festzuhalten. Ja, ein Denkanstoß war die Idee allemal.

Als sie weiter an der Küste entlanggingen und Daisy zu ihren Füßen herumhüpfte, erzählte Lucy Jack davon. »Weißt du was – jetzt, wo es in meinem Leben gerade so gut läuft, finde ich, ist es höchste Zeit, dass ich mich bei allen bedanke, die mir in den letzten Jahren geholfen haben. Den Menschen, die während der miesen Trennung für mich da waren, und allen, die mich dabei unterstützt haben, Feuer und Flamme auf die Beine zu stellen.«

»Yeah, das klingt nach einer guten Idee. Und woran denkst du da? Eine Art Party?«

»Ja, vielleicht … aber das Cottage ist winzig. Ich könnte gar nicht alle unterbringen. Und auszugehen würde eine Stange Geld kosten – obwohl ich gern alle einladen würde, aber ich sollte mein Pizzageschäft wohl nicht dadurch in den Ruin führen, dass ich es mit der Feier zu seiner Existenz übertreibe und meine letzten Ersparnisse dafür ausgebe.«

»Stimmt.«

»Na ja, ich denke mal weiter darüber nach. Vielleicht fällt mir etwas in kleinerem Maßstab ein.«

Sie hatten inzwischen umgedreht und gingen zurück über den feuchten Sand, an dem sich kleine, schäumende Wellen brachen.

»Was steht diese Woche für dich an?«, fragte Jack.

»Ziemlich wenig, ehrlich gesagt. Abgesehen von meinem Marktstand in Alnwick am Donnerstag herrscht völlige Flaute, was etwas beunruhigend ist.«

Nach dem Ansturm am Ende des Sommers war der Pizzawagen in den nächsten Wochen merklich weniger gebucht.

»Ja, zu dieser Jahreszeit ist das so. Wenn der Herbst kommt und das Wetter umschlägt, ist die Außengastronomie für Geburtstagsfeiern und Ähnliches nicht mehr die erste Wahl. Aber ich würde mir keine Sorgen machen. Ich habe das schon ein paarmal erlebt, und im November geht es wieder aufwärts, wenn es mit den Weihnachtsmärkten und festlichen Veranstaltungen losgeht.«

»Ach, das ist gut zu wissen. Und immerhin habe ich auch noch eine Buchung für diese Hochzeit in drei Wochen.«

»Wo wir uns treffen.« Jack grinste.

»Das ist super.« Lucy mochte es, wenn sie auf derselben Veranstaltung waren. So machten die Buchungen umso mehr Spaß, und sie musste sich selbst gegenüber zugeben (nicht ihm, wohlgemerkt – kein Grund, Jacks Ego noch zusätzlich zu pushen), dass es ihr gefiel, ihn als Barkeeper in seinem Camper in Aktion zu sehen. Schließlich hatten sie sich so kennengelernt. Und es war gut zu wissen, dass sie etwas Unterstützung hatte, wenn es eng wurde. Sie wusste, dass er bei solchen Gelegenheiten immer da war, um ihr im Hintergrund den Rücken freizuhalten.

Als die Dünen endeten, gingen sie über den Sandweg weiter, der in Gras überging, und liefen dann bald wieder die urige Küstenstraße hinauf bis zu Lucys Steincottage, wo der Pferdeanhänger auf der einen Seite ihres Grundstücks geparkt stand.

»Jetzt weiß ich! Na klar!«

»Was weißt du?«, fragte Jack verwirrt.

Beim Anblick des hübsch in Taubengrau gestrichenen alten Anhängers mit der Aufschrift Feuer und Flamme – Holzofenpizza, wie von Papa gemacht! hatte Lucy eine Idee. Pizza für alle … genau hier serviert. Und wenn sie neben ihren Freunden und ihrer Familie auch noch Leute aus der Dorfgemeinschaft einlud, würde sich hoffentlich niemand darüber beschweren, dass in ihrer Straße ein kleines Fest stattfand. Das bedeutete zwar eine Menge Arbeit, aber – hey-ho – das war es wert.

»Na, ich kann die Party doch hier veranstalten. Das Wetter ist immer noch okay, auch wenn es etwas kühler wird. Aber wenn wir uns alle ein bisschen wärmer einpacken, geht es schon. Pizza und Prosecco!« Sie war es gewohnt, Pizzen im Dutzend zuzubereiten. Und sie konnte auch ein paar Salate und Knoblauchbrote dazu reichen … In Gedanken war sie schon ganz im Partymodus.

»Jetzt wird es interessant! Und wenn du einen schneidigen Prosecco-Kellner mit einem sehr charismatischen Camper suchst, dann … hast du ihn gefunden.« Jack grinste. Er war bereits selbst ganz begeistert.

»Kriege ich denn einen Rabatt?« Lucy lächelte ihn herausfordernd an.

»Hmm, eventuell gibt es da ein paar Klauseln, die damit verbunden wären …« Jack bemühte sich, ernst zu wirken, aber ein niedliches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

»Ha, ob es da um Zahlung in Naturalien geht?«

»So was in der Art …« Der großspurige Barmann Jack war wieder da, aber er hatte ein lustiges Funkeln in den Augen.

Sie lachten beide.

»Okay, du hast den Job.« Lucy grinste. Gegen diese Art der Zahlung hatte sie nicht das Geringste einzuwenden, im Gegenteil, es wäre eine reine Freude. »Vielen Dank, Jack.«

»Mache ich sehr gern.«

Lucy zog eine Augenbraue hoch.

»Nein, wirklich, so eine Party, das ist eine coole Idee, ich bin dabei«, ergänzte Jack.

Lucy sah es schon vor sich, den Pferdeanhänger mit seinen hübschen Lichterketten, und Ruby, Jacks roten, ausgebauten VW-T2-Camper mit der hochgeklappten Luke und den kugelförmigen Deko-Glühbirnen, die fast so hell leuchteten wie Jacks Lächeln. Ihre kleine Straße wäre voller Leben, voller Menschen, die miteinander plauderten und lachten. Was für ein schönes, persönliches Dankeschön das wäre.

Eine Pizza-und-Prosecco-Party sollte es also sein. Lucy konnte es kaum erwarten, ein Datum festzulegen und die Einladungen zu verschicken. Sie lächelte und seufzte kurz, denn alles, was ihr dann noch fehlte, war, dass ihre beste Freundin auch kommen würde.

4. Kapitel

Als die Einladungen geschrieben und Karten und Nachrichten an Freunde und Familie verschickt waren, wartete Lucy gespannt auf eine Zusage oder womöglich sogar eine längere Nachricht von Becky. Aber zwei Tage später war noch immer nichts gekommen, und sie wurde langsam unruhig.

Sie schickte eine weitere SMS:

Hey Becks, geht’s dir gut? Hoffe, du kommst am 23. zu meiner Dankesfeier. Es würde mir sehr viel bedeuten …

Nun, Gott hilft denen, die sich selbst helfen, das sagte ihre Mutter immer, und hier hatte sie ihr Bestes gegeben. Allerdings fühlte es sich so an, als würde sie bei ihrer sturen Freundin gerade auf Granit beißen.

Diese Woche stand auch der Buchclubabend im Driftwood-Café an. Dieses wunderbare Kaffeekränzchen fand einmal im Monat mit sechs bis zwölf Leuten statt, je nachdem, wer an dem Tag kommen konnte. Man traf sich nach Feierabend in der hübschen Teestube in der Straße gleich bei Lucy um die Ecke. Ob Becky wohl kommen würde? Sie war schon ein paar Mal mit Lucy dort gewesen. Schade, dass all die schönen Dinge, die sie gern zusammen unternahmen, durch diesen dummen Streit verdorben wurden.

Lucy scrollte durch ihr Telefon und schrieb eine weitere locker-flockige Nachricht:

Und vergiss nicht, dass diese Woche Buchclub ist. Hast du Die Mitternachtsbibliothek schon gelesen? Ich fand’s toll. Wäre schön, dich dort zu sehen. x

Vielleicht ging das mit der Party einen Schritt zu weit, aber etwas ganz Normales zu tun, das nichts mit ihrem Freund zu tun hatte, war vielleicht genau das, was sie beide brauchten, um alles wieder ins Lot zu bringen. Lucy merkte, dass sie sich auf das gemütliche Büchertreffen freute. Diese Abende munterten sie immer richtig auf. Jeden Monat lernte sie die Mitglieder der Gruppe ein bisschen besser kennen und fühlte sich zunehmend zur Dorfgemeinschaft gehörig, die nun ihr Zuhause war.

Auch das Buch dieses Monats hatte ihr gut gefallen, und sie brannte darauf, die Meinung der anderen dazu zu hören. Lesen war für sie schon immer ein Vergnügen gewesen und eine Möglichkeit, sich dem Alltag zu entziehen. Und weiß Gott, genau das hatte sie in den vergangenen zwei Jahren auch bitter nötig gehabt, als ihr Leben in vielerlei Hinsicht schmerzhaft aus den Fugen geraten war.

*

Das Glöckchengebimmel, das beim Öffnen der weißen Holztür erklang, wärmte jedes Mal Lucys Herz. Es klang wie »Willkommen im Driftwood-Café«.

»Hallo!«, rief Lucy, und ein fröhlicher Chor aus »Hi«- und »Hallo«-Rufen ertönte als Antwort.

Mehrere Mitglieder des Buchclubs waren bereits um den großen runden Tisch in der Mitte des Cafés versammelt. Lucy entdeckte Glynis, Paul und Sarah. Cathy stieß oft etwas später dazu, weil sie erst herüberkommen konnte, wenn sie ihren Dorfladen geschlossen hatte. Hm, keine Spur von Becky – und eine Antwort auf ihre Nachricht von vor ein paar Tagen hatte sie auch nicht bekommen. Louise, die Café-Besitzerin, eilte mit einem Tablett voller Leckereien auf sie zu. Alle schauten auf und lächelten noch breiter in der Erwartung, was heute Abend wohl für Backwaren angeboten würden. Louise war bekannt dafür, dass sie die saftigsten und leckersten Kuchen in der ganzen Grafschaft backte – also, zumindest konnte sie mit den Besten mithalten.

Auf dem Tablett befanden sich heute Abend jede Menge orangefarbene Cupcakes mit Spinnweben, gruseligen Augäpfeln und Fledermäusen aus Fondant sowie in Schokolade getauchte süße Flapjacks.

»Nichts Saures, nur Süßes hier bei uns«, verkündete Louise und grinste. »Ich weiß, es ist ein bisschen früh, denn immerhin haben wir noch eine Woche bis Halloween, aber ich konnte nicht widerstehen.«

»Oh, die sehen toll aus.« Sarah strahlte.

»Schokoladen-Cupcakes mit einem Zuckerguss mit Orangengeschmack«, erklärte Louise.

»Ganz wunderbar«, kommentierte Paul und griff nach vorn, um einen zu nehmen. »Entschuldige, ich weiß, dass die Damen zuerst dran sein sollten, aber ich kann nicht anders.«

Die Gruppe gluckste.

»Sie ist eine Hexe, ganz ohne Zweifel«, sagte Cathy frech, die gerade durch die Tür gestürmt kam und sich einen Stuhl zurechtrückte. »Sie zieht uns mit ihrem zauberhaften Gebäck in ihren Bann. ’n Abend, allerseits!«

»Hi, Cathy. Glaubt ihr bitte kein Wort. Ihr kommt ja jeden Monat freiwillig hierher. Ich habe keinen Grund, euch mit einem Zauber zu belegen.«

»Das liegt daran, dass wir uns bei dir so willkommen fühlen«, sagte Glynis.

»Ach was, das liegt an den Kuchen«, sagte Paul und kicherte.

»Frechheit!« Lou tat so, als ob sie ihn schlagen wollte. »Oh, und einen Karotten-Ingwer-Kuchen gibt es auch noch. Abby schneidet ihn gerade auf und kocht eine Kanne Tee für uns. Bist du schon bei ›Kessel brodelt, Feuer zischt‹ angelangt, Abs?«, rief sie nach hinten, um auf die Neckerei einzugehen.

»Pass auf, gleich hört ihr sie unheimlich kichern.« Cathy lachte.

Abby, Lucys Aushilfe im Pizzawagen, arbeitete auch als Kellnerin im Dorfcafé. Genau genommen hatte Lucy sie nach anfänglichen Personalproblemen von Louise abgeworben (in gegenseitigem Einvernehmen, weil sie ihre Arbeitsstunden erhöhen wollte), um gelegentlich am Wochenende und an einzelnen Abendveranstaltungen Unterstützung zu haben. Und die Achtzehnjährige hatte sich als unschätzbare Hilfe erwiesen. Sie arbeitete sehr professionell, war freundlich und fleißig.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, rief nun Helen, die durch die klingelnde Tür hereingeplatzt kam. »Ich musste auf meine Mum warten, damit sie auf die Kinder aufpasst. Sie sagte, der Verkehr auf der A1 war die Hölle.«

»Kein Problem, Schätzchen. Wir haben sowieso noch nicht angefangen«, sagte Lou.

Abby trat mit einem Tablett mit Karottenkuchen und einer riesigen Kanne Tee sowie einer Auswahl an gepunkteten und geblümten Vintage-Tassen an den Tisch. Anscheinend war nun alles vorbereitet.

»Nun denn, ich schätze, wir sind so weit. Also, Zeit für einen Buchtalk.«

»Oh, hast du eigentlich etwas von Becky gehört?«, wagte Lucy nun doch noch nachzufragen.

»Oh ja, sie hat mir vor etwa einer Stunde mitgeteilt, dass sie heute Abend auf der Arbeit noch was zu erledigen hat. Sie muss wohl länger bleiben«, antwortete Louise.

In dem Moment ertönte ein kleines Vibrationssignal aus Lucys Tasche. Diskret holte sie ihr Handy heraus und warf einen kurzen Blick darauf.

Schaff’s leider nicht zum Buchclub. Muss länger arbeiten. Komme gerade zu nichts. Bis bald. B

Wenigstens hatte sie ihr eine Nachricht geschickt, aber Lucy war doch enttäuscht, denn es klang zu sehr nach einer Ausrede.

»Und, habt ihr alle Die Mitternachtsbibliothek gelesen? Irgendwelche Kommentare?«

Louises Stimme brachte Lucy zurück ins Hier und Jetzt.

»Ich fand’s klasse«, begann Abby. »Das Buch bringt einen wirklich ins Nachdenken. Es kommen ebenso viele Fragen auf, wie beantwortet werden, mit all diesen Lebensalternativen.«

»Ja«, meldete sich Helen zu Wort, »das sagt einem, dass man aufhören soll, sich mit Reuegedanken herumzuplagen, und stattdessen einfach weiterleben soll.«

»Ich glaube, der Autor wollte zeigen, dass nicht alles im Leben perfekt sein kann«, fügte Lucy hinzu, »dass all die Sorgen, die wir haben – die Was-wäre-wenn-Fragen, das Bedauern – eigentlich ziemlich sinnlos sind. Es geht darum, sich für das Leben an sich zu entscheiden und mutig genug zu sein, es zu leben, mit allen Fehlern, weil es nie perfekt sein wird. Mir gefiel es.« Das Buch hatte Lucy so sehr berührt, dass sie sogar ein paar Tränen für die Protagonistin Nora Seed und ihre einsame Reise vergossen hatte.

»Ich mochte daran, dass es so chaotisch zuging wie im richtigen Leben, dass es insgesamt aber auch positiv war«, fügte Cathy hinzu.

Lucy biss in einen saftigen, orangefarbenen Cupcake. Köstlich.

»Es war eine wirklich clevere Idee«, fügte die sechzigjährige Glynis hinzu, »und so wunderschön geschrieben.«

»Ja, die Idee ist wirklich cool«, stimmte Abby zu. »All die verschiedenen Entscheidungen, die man trifft, so durchzuspielen. Manchmal kann es einem ganz schön Angst machen, wenn man sich fragt, ob man das Richtige tut.«

»Das Leben ist einfach verdammt kompliziert«, fügte Helen hinzu, »wie wir ja alle wissen.« Die schwierige Scheidung, die sie kürzlich hinter sich gebracht hatte, war offensichtlich noch immer ziemlich präsent.

»Es war eine kurzweilige Lektüre, auf die man sich leicht einlassen konnte«, erklärte Paul. »Obwohl ich fand, dass es ein bisschen wie diese Murmeltiertag-Geschichten war. Ziemlich gut, aber nicht meine übliche Lektüre.«

»Schon klar, du bist ja auch süchtig nach Liebesromanen«, zog Cathy ihn auf.

»Hey, in letzter Zeit hab ich sogar ein bisschen in die Krimiecke hineingeschnuppert«, konterte Paul.

»Oh, tatsächlich?« Louise lachte.

»Also ich fand es einzigartig. Es geht um Entscheidungen, um Reue, und darum, das Leben anzunehmen«, fügte Glynis hinzu.

»Danke, Glynis, das umreißt es perfekt«, sagte Louise. »Mir hat es auch gefallen. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Möchte noch jemand Kuchen?«

»Ich glaube, ich würde es bereuen, wenn ich nichts von dem Karotten-Ingwer-Kuchen esse«, sagte Sarah.

»Und ich bereue es vermutlich, ein Stück gegessen zu haben, wenn ich das nächste Mal auf der Waage stehe«, kommentierte Helen. »Aber was soll’s, der Kuchen ist ja zum Essen da. Dann gehe ich halt morgens beim Hundespaziergang eine Meile extra.«

»Bei der Größe der Stücke musst du womöglich den ganzen Strand entlangjoggen.« Sarah grinste.

Und schon wandte man sich dem Dorf- und Familienleben zu und unterhielt sich über die bevorstehenden Halloween-Aktivitäten derjenigen, die Kinder hatten. Lucy nahm sich vor, ein paar Süßigkeiten für die Süßes-oder-Saures-Kinder zu kaufen und einen Kürbis zum Schnitzen zu besorgen. Schon wurde über Rezepte für Kürbissuppe geredet und darüber, ob es sich überhaupt lohnte, eine zu kochen, bei dem bisschen Kürbisfleisch, das aus den großen orangenen Dingern herauskam. Und dann schwelgten alle in der Köstlichkeit von Driftwoods göttlichen Toffee-Flapjacks.

Der nächste Buchclub, so kündigte Louise an, sollte ein »Weihnachtsspecial« werden, da er auf Ende November fiel. Sie sollten ihre Lieblingslektüre für die Weihnachtszeit mitbringen und vorstellen. Einige Mitglieder des Clubs boten an, selbst gebackenen Christmas Cake, Mince Pies und ihre besten Festtagskuchen mitzubringen, um die ohnehin in der Zeit schon über die Maßen eingespannte Lou und ihr Team zu entlasten.

»Oh, das hört sich gut an, danke schön«, sagte Louise und sah richtig gerührt aus. »Obwohl – ich werde der Versuchung wohl nicht widerstehen können, selbst etwas Festliches zu zaubern. Ihr kennt mich ja. Aber das wäre wunderbar, und ich freue mich schon darauf.«

»Klingt perfekt.«

»Genial.«

Es war ein wunderbarer Abend gewesen, und viel zu schnell befand sich Lucy wieder auf dem kurzen Weg nach Hause. Ihr Atem dampfte in der dunklen, frostigen Nachtluft, ihr Bauch war angenehm gefüllt und ihr Kopf schwirrte noch immer von der Mitternachtsbibliothek und all den Fragen, die der Roman über das Leben aufgeworfen hatte – über Freundschaft, Reue und noch mehr …

Sie hoffte inständig, dass sie ihre Entscheidung, mit Jack zusammenzubleiben, nicht bereuen würde. Sie wollte unbedingt die Chance haben, ihn besser kennenzulernen. Und aus tiefstem Herzen hoffte sie, dass sie ihre Freundschaft mit Becky zurückgewinnen würde. Instinktiv drückte sie die Daumen in ihren Wollhandschuhen.

*

Einladung zu

Lucys »Pizza und Prosecco«-Party

Mit Feuer und Flamme und dem Cocktail-Camper

Cove Cottage, Embleton

Samstag, den 23. Oktober

Beginn: 18 Uhr

Ich hoffe, du bist dabei!

Bitte um Rückmeldung

*

5. Kapitel

Die Gäste würden in fünf – oh ja, fünf! – Minuten kommen.

Den ganzen Nachmittag über hatte sie Wimpel aufgehängt, Lichterketten verteilt, Pizzateig geknetet und Tomatensoße gerührt, und alles zu Rockklassikern aus den 80ern, dank Jacks iPhone. Living on a Prayer von Bon Jovi gehörte auch dazu, und dabei hatten sie beide Luftgitarre gespielt, begleitet von einem Glas Prosecco – nur ein Glas, denn es sollte noch eine lange Nacht werden. In der letzten Stunde hatte sich der Himmel mit grauen Wolken zugezogen, aber zum Glück schien es ein lauer Oktoberabend zu werden. Man konnte nur hoffen, dass es trocken blieb.

Auch einige Dorfbewohner hatten geholfen: Cathys Mann (vom Dorfladen) hatte eine große Leiter mitgebracht und eine Lichterkette mit Glühbirnen vom Dachvorsprung des Cottages bis zum Dach des Pferdetransporters gespannt. Helen und ihre beiden Kinder hatten am Nachmittag zwei selbst geschnitzte Kürbisse vorbeigebracht, um ein bisschen Herbststimmung in die Veranstaltung zu bringen. Lucy gab beiden einen Ehrenplatz. Einen stellte sie auf die Pizzatheke und den anderen an die Eingangstür ihres Hauses, zur Begrüßung aller Neuankömmlinge. Teelichter waren überall verteilt und bereit, angezündet zu werden, sobald die Dämmerung einsetzte.

Da Lucy keine Nachbarn beleidigen wollte, hatte sie eine kleine handgeschriebene Einladung in jeden Briefkasten in ihrer Straße geworfen. Es wäre immerhin eine Möglichkeit, die Leute kennenzulernen! Sie hatte auch einige andere Anwohner eingeladen, die sie seit ihrem Einzug kennengelernt hatte, darunter natürlich alle vom Buchclub. Es war nicht nur eine freundliche Geste, sondern sie hoffte, damit auch Beschwerden wegen des Lärms vorzubeugen. Lucy wollte niemanden verärgern, und da ihr Haus so klein war und das Essen und die Getränke aus dem Pizzawagen und dem Camper draußen serviert werden würden, musste die Veranstaltung zwangsläufig auf die Straße ausufern.

Der Pizzaofen war mit Holzscheiten beladen und wurde ordentlich angefeuert, während die Flaschen mit Prosecco, lokalem Bier und italienischem Lagerbier in den Kühlschränken von Ruby, dem Camper, abkühlten. Weitere Getränkevorräte ruhten auf Eis in Plastik-Pferdetrögen. Diese Idee und gleichzeitig die Leihgabe kamen von Sarah aus dem Buchclub, die nicht nur gern las, sondern auch zwei Ponys hatte. Einfach genial.

Lucy hatte Blumensträußchen in Marmeladengläsern und Windlichter aus buntem Glas auf den Klapptischen verteilt. Weiße Nelken aus dem Dorfladen hatte sie mit kleinen blassrosa Rosen kombiniert, die sie von dem üppigen Kletterrosenbusch hatte, der in ihrem Garten noch die letzten Herbstblüten hervorbrachte.

»So, Ruby wäre dann fertig. Bist du auch bereit?«, rief Jack von seinem Parkplatz neben dem Cottage. Er stand in dem umgebauten Barbereich des glänzend polierten chiantiroten VW T2 Westfalia-Campers, der sein ganzer Stolz war. Auf dem verchromten Tresen waren zwei Tabletts mit Flötengläsern aufgereiht, in denen jeweils eine Portion Limoncello darauf wartete, mit gekühltem Prosecco zu einem Limoncello-Fizz-Cocktail aufgefüllt zu werden. Mit dem italienischen Touch wäre es garantiert ein brillanter Auftakt für das Fest.

»Ich denke schon.« Lucy lächelte, was ihre Anspannung jedoch nicht verbergen konnte. Sie wünschte sich so sehr, dass alles gut ging. Es war ihre Chance, Feuer und Flamme ihrer Nachbarschaft, ihrer Familie und ihren Freunden vorzustellen und sich bei allen zu bedanken. Sie wollte unbedingt, dass ihre Gäste einen richtig schönen Abend hatten, und sie wusste, dass ihre Pizza und die Bewirtung tipptopp sein mussten.

»Du schaffst das schon«, versicherte Jack, als er ihre Nervosität bemerkte. »Denk dran, heute Abend sind nur Freunde hier.«

»Ja, das ist wahr.« Tatsächlich half das, die Sache ins rechte Licht zu rücken. »Und danke für all deine Hilfe.«

Ein Hupen ertönte von der Straße her, als ein dunkelblauer Kleinbus um die Ecke kam, und kündigte die ersten Besucher an. Es war Lucys Bruder Olly mit seiner Partnerin Alice und dem kleinen Freddie. Sobald ihr Neffe aus dem Kindersitz befreit war, machte er eine extrem ernste Miene, weil er sich darauf konzentrierte, eine Schachtel Pralinen als Dankeschön an Tante Lucy zu überbringen.

»Oh, danke, Freddie.« Lucy ging hin, um ihn zu umarmen. »Die sehen aber lecker aus.«

»Freddie auch eins?« Er schaute mit einem spitzbübischen Lächeln zu ihr auf.

»Es ist ein Geschenk, Freddie. Das ist nicht deins«, mahnte ihn sein Daddy.

»Oje, es ist aber zu verlockend, wenn du so viel Schokolade tragen musst.« Lucy musste grinsen. »Klar doch. Wir machen sie gleich auf und teilen sie mit allen, ja?«

Freddie strahlte und nickte.

»Und bald gibt es auch jede Menge leckere Pizza«, fügte Lucy hinzu.

Daisy trabte heran, um ihren kleinen Lieblingskumpel zu begrüßen. Sie trug einen niedlichen orangefarbenen Pulli, der ihr eigentlich das Aussehen eines Kürbisses verleihen sollte, doch ihr langer, schlanker Dackelkörper ließ sie eher wie eine orangene Zucchini aussehen. Na ja, man tat halt sein Bestes, um der Jahreszeit entsprechend gekleidet zu sein.

»Daisy!« Freddie freute sich genauso über das Wiedersehen wie der Hund, und es wurde viel geleckt und umarmt.

Nur zwei Minuten später kam Lucys Mutter Sofia, die die zwanzig Meilen aus ihrer Heimatstadt Rothbury hergefahren war und Lucys Großmutter »Nonna« mitbrachte. Nonna hatte angeboten, etwas Kuchen beizusteuern, und stieg stolz mit ihrem Lieblings-Familienkuchen aus, einer großen Schokoladenmousse-Torte nach italienischer Art, wunderschön verziert mit Erdbeeren, Himbeeren und Schokokringeln. Ein Prunkstück von einem Kuchen. Das würde bei den Gästen später garantiert super ankommen.

»Oh, vielen Dank, Nonna. Der sieht ja göttlich aus.« Lucy nahm die mit Kakao und Sahne gefüllte Köstlichkeit von ihrer Großmutter entgegen.

»Gern geschehen, mein Schatz. Im Auto ist noch eine. Ich habe gehört, dass du viele Leute erwartest, und … Oh, sieht das hübsch hier aus.«

Es war das erste Mal, dass die alte Dame Lucys Pizzastand im Pferdeanhänger in Betrieb sah. Die Lichterketten funkelten einladend an der Luke, die Wimpel mit der italienischen Flagge waren aufgehängt und eine Auswahl an leckeren Pizzabelägen war auf dem Holzregal im Inneren aufgereiht. Auf der Arbeitsplatte standen zwei umfunktionierte Kilodosen von »San Marzano«-Tomaten, in denen sich nun in rot karierte Servietten eingewickeltes Besteck befand, ein großer Topf mit frischem Basilikum und natürlich die alte und sehr geschätzte Pfeffermühle ihres Großvaters »Papa« aus seiner Zeit im Restaurant.

Eine winzige Träne kullerte Nonna über die Wange. »Oh, Lucy, das sieht so wunderbar aus, Schatz. Papa wäre so stolz auf dich gewesen.«

Papa war vor zehn Jahren gestorben und hatte eine große Lücke in ihren Herzen und ihrem Leben hinterlassen. Lucys Mutter Sofia stand neben Nonna und Lucy und nickte, mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen. Da kamen sie nun also zusammen – drei Generationen, alle einst mit demselben schönen dunklen Haar, wie es Lucy in langen, glänzenden Wellen über den Rücken fiel. Nonnas war inzwischen weiß und kurz geschnitten, und Sofias hatte die Farbe von Pfeffer und Salz und war schulterlang. Alle drei Frauen konnten hart arbeiten, waren manchmal ziemlich resolut und immer äußerst loyal.

»Ja, Papa wäre sehr stolz gewesen … und so glücklich, das zu sehen«, fügte Sofia hinzu. »Das hast du gut gemacht, Lucy, dass du das hier auf die Beine gestellt und durchgezogen hast. Es sieht fabelhaft aus.«

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