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Weihnachtsglück in Willowbrook

Als Buch hier erhältlich:

In dem charmanten Willowbrook erfüllt sich Evie ihren Traum von einem Handarbeitsladen. Doch es läuft nicht alles rund. Neben Geldproblemen und einem Ex-Verlobten muss sie sich mit dem genauso attraktiven wie mürrischen Jake herumschlagen. Jede Begegnung mit Mr. Arktis endet im Chaos. Aber je besser sie Jake kennenlernt, desto mehr kann Evie hinter seinen Eispanzer schauen. Als die Feiertage vor der Tür stehen, will Jake der Weihnachtsidylle entfliehen. Evie selbst würde das Fest gerne aus dem Kalender streichen, um nicht mit ihrem Ex unterm geschmückten Baum zu sitzen. Kurzerhand fährt sie mit Jake nach Frankreich; auch wenn dieser trotz eines Kusses nur Freundschaft möchte. Allerdings kennt Weihnachten keine Ferien - und Liebe erst recht nicht.

»Ein kuscheliger und herzerwärmender Weihnachtsroman - ein festlicher Genuss.«
Heidi Swain

»Ein witziger und weihnachtlicher Lesespaß.«
Trisha Ashley

»Eine fantastische weihnachtliche Liebesgeschichte.«
Woman & Home


  • Erscheinungstag: 21.09.2021
  • Aus der Serie: Willowbrook
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959675758
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Widmung

Für die Quilter von Bowdon: Jay Cawley, Elizabeth Craig, Betty Croke, Val Imm, Marian Keall, Charlotte Logan, Maureen Scapens und Glenys White.

Kapitel Eins

Evie hatte ein mieses Gefühl bei diesem Haus. Vielleicht lag es schlicht an der Kälte und daran, dass sie schwer beladen von ihrem Wagen nach Old Hall eilte. Für heute Nacht war Schnee angesagt. Sie betete, dass er erst fallen würde, wenn sie hier alles erledigt hatte und wieder unten im Dorf war. Es sollte höchstens eine Stunde dauern, und sobald sie zurück in ihrem kleinen Cottage war, durfte es schneien, so viel es wollte. Dort würde sie sich mit einer Wärmflasche unter ihren warmen Quilt ins Bett kuscheln. Morgen würde sie die Rechnung per E-Mail schicken. Je schneller sie bezahlt wurde, desto glücklicher wäre ihr Bankberater. Vielleicht hörte er sogar endlich auf, ihr ständig im Nacken zu sitzen.

Sie schloss die Tür des großen Hauses auf und schaltete das Licht an, wobei sie versehentlich gegen den Garderobenständer stieß – ihn aber abfangen konnte, ehe er umkippte. Dann lief sie ins Esszimmer. Der Raum wurde von zwei Kronleuchtern erhellt, und sie sah ihr Spiegelbild in den hohen, blanken Fenstern. Ihr roter Mantel glich einem Leuchtsignal in der offenen Tür. Behutsam legte Evie den Vorhang auf den prächtigen Esstisch. Schließlich warf sie sich ihren langen Zopf über die Schulter und eilte zurück zu ihrem Auto. Bodenlang und burgunderrot mit Golddamast, der das Licht einfing, würden die Vorhänge perfekt in das Esszimmer passen, allerdings waren sie so schwer, dass Evie die vier Schals einzeln reintragen musste.

Als sie zum letzten Mal von ihrem Wagen kam, fielen die ersten Schneeflocken. Evie lächelte, da sie ihr die Wangen kitzelten, beschleunigte jedoch ihre Schritte und machte zurück im Haus die schwere Eichentür zu, um die eisige Luft auszusperren. Nicht dass es in dem riesigen leeren Haus viel wärmer wäre. Ihr Atem hinterließ kleine Wolken in der Luft, während sie durch den Flur ging. Vielleicht würde hier alles zum Leben erwachen, sobald der neue Besitzer eingezogen war.

Ihr Fuß verhakte sich hinter etwas Hartem, und sie stolperte. Ein Türstopper aus Metall lag auf der Seite. Mit der Stiefelspitze schob sie ihn unter die Esszimmertür, damit sie offen blieb. Dann legte sie ihr schweres Paket zu den anderen, hielt inne und horchte.

Komisch, sie hatte geglaubt, ein Bellen zu hören.

Was natürlich nicht sein konnte. Ihr Wagen war der Einzige in der Auffahrt, und bei ihrer Ankunft war alles dunkel gewesen. Der Eigentümer sollte erst in einer Woche einziehen.

Evie tat den Gedanken ab und trug ihre Leiter ans Fenster, die laut quietschte, als sie das Ungetüm ausklappte. Vorsichtig wickelte sie den ersten Vorhangschal aus der Plastikfolie, schwang ihn sich geübt über die Schulter und stieg auf die oberste Leiterstufe. Diese Fenster waren hoch, und es war ein Balanceakt, mit einer Hand das Gewicht des Stoffes zu stützen und mit der anderen den Vorhang aufzuhängen. Sie war mit dem ersten Schal fertig und fing mit dem zweiten an, da ertönte wieder ein Bellen, diesmal lauter, und sie verharrte regungslos ganz oben auf der Leiter. Es war nicht das hohe Kläffen eines kleinen Hundes, sondern ein tiefes, dröhnendes.

Evies Herz schlug schneller. Was, wenn hier ein Wachhund herumlief?

Nein, das konnte nicht sein. Die Assistentin des Eigentümers hatte ihr den Schlüssel übergeben, und seit Wochen gingen hier Handwerker ein und aus.

Dennoch könnte der Besitzer denken, dass sie tagsüber kommen würde. Sie blickte auf die Uhr. Es war halb zehn Uhr abends.

Sie hörte Schritte und eine tiefe Männerstimme. Nun zuckte sie bei einem erneuten Bellen zusammen, denn zugleich vernahm sie das Kratzen von Krallen – vielen womöglich? – aus dem Flur. Wie versteinert beobachtete sie die offene Tür und wagte nicht, den Vorhang loszulassen, der bisher nur an drei Haken befestigt war. Sie riss die Augen weit auf, denn ein großer Dalmatiner stürmte herein und sprang sofort an der Leiter hoch.

Schreiend klammerte sie sich an den Haltebügel, als die Leiter heftig wackelte. Die Vorhangstange wurde ihr aus der Hand gerissen, und sie hörte ein Knirschen. Sowie sie aufblickte, erkannte sie, dass die Vorhangstange in einem schiefen Winkel hing.

»Smoke! Runter!«, rief der Mann.

Der Hund ignorierte ihn und sprang wieder bellend gegen die Leiter. Evie stieß einen stummen Schrei aus, als sie ins Schwanken geriet und in einem Gewirr von Metall, Stoff und bellendem Hund zu Boden stürzte.

Verwirrt blinzelte sie. Sie und die Gardinen lagen in einem Berg auf dem Fußboden. Automatisch hob sie einen Arm, um ihr Gesicht zu schützen, da der Hund einen Satz auf sie zu machte, doch anstelle von Raubtierzähnen fühlte sie eine warme, sehr nasse Zunge, die ihre Hand abschleckte.

»Was …« Erschrocken ließ sie den Arm sinken und starrte den Hund an. Der neigte den Kopf zur Seite und beäugte sie seinerseits, bevor er freundlich winselte. Evie lachte. »Nach dem Auftritt willst du noch, dass ich dir die Ohren kraule? Das ist ja wohl nicht dein Ernst!« Sie kraulte den Dalmatiner dennoch hinter den Ohren, und er gab wohlige Laute von sich.

Ihr Lächeln erstarb allerdings, kaum dass sie die Löcher im Putz bemerkte, wo die Vorhangstange aus der Wand gerissen war. »Oh, schau dir an, was du getan hast …« Sie versuchte, sich aus den Gardinen zu befreien, war jedoch gründlich in ihnen verwickelt, und das zusätzliche Gewicht von Leiter und Hund hielten sie unten.

»Er soll sich anschauen, was er getan hat?«

Sie und der Hund drehten sich zu der strengen männlichen Stimme um.

Nun sah Evie den großen, unrasierten Mann, der wenige Schritte entfernt stand. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, war sich aber nicht sicher. Er kam näher, um den Haufen aus Leiter, Metallstange und Vorhang zu inspizieren, in dem Evie gefangen war, und sie roch eine starke Alkoholfahne. Die Bartstoppeln verliehen ihm etwas Bedrohliches, sein Haar war zerzaust, und während er sie direkt anschaute, bemerkte sie, dass seine Augen blutunterlaufen waren.

»Er schützt bloß mein Eigentum. Die Frage ist, was Sie hier machen?«

Da war keine ausgestreckte Hand, um ihr aufzuhelfen, kein »Haben Sie sich verletzt?« Nur ein vorwurfsvoller Blick, als hätte er sie bei einem Einbruch erwischt.

Ihr Herz schlug schneller. Niemand wusste, dass sie hier war – allein mit diesem wütenden Fremden und seinem Hund. Plötzlich fühlte sie sich wehrlos.

»Wie sieht es denn aus? Als würde ich hier einbrechen?«

Er starrte sie weiter erbost an. Evie seufzte. »Ich passe natürlich diese Vorhänge an«, erklärte sie.

»Natürlich«, antwortete er trocken. »Weil es völlig normal ist, das um« – er sah auf seine Uhr, die im Licht der Kronleuchter blitzte – »fast zehn Uhr abends zu tun.«

Jetzt fing Evie an, sich zu ärgern. »Ich habe einen Schlüssel!« Sie wollte sich aus dem Stoff befreien, was ihr nicht gelang. Der Dalmatiner trat vor und stupste gegen ihre Hand. Es war schwer, dem schrecklichen Mann böse zu sein, wenn sein Hund so bezaubernd war.

»Klar.«

Sein Sarkasmus war eine Beleidigung. Unwillkürlich kam Evie ihr Ex in den Sinn, doch sie verdrängte ihn gleich wieder, um sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. »Ja!« Sie wollte den Schlüssel aus ihrer Manteltasche holen, was das Vorhanggewirr leider unmöglich machte. »Heidi hat ihn mir gegeben.«

Als er den Namen hörte, blinzelte er einmal kurz, was ihr sagte, dass er zumindest wusste, wer Heidi war. »Und hat Heidi Sie eingeladen, mitten in der Nacht herzukommen?«

»Ich habe es nicht eher geschafft«, sagte sie und biss die Zähne zusammen. Endlich schaffte sie es, sich aus der Stoffumklammerung zu kämpfen und aufzustehen. Im selben Moment jagte ihr ein scheußlicher Schmerz durch den linken Knöchel, und sie verlor das Gleichgewicht. Instinktiv griff sie nach dem nächsten Objekt – einem Stuhl.

»Was ist?«, fragte der Fremde, der eher genervt als besorgt klang.

»Nichts.« Sie griff in ihre Manteltasche. »Hier ist Ihr verfluchter Schlüssel. Jetzt zufrieden?«

Voller Verachtung starrte er das mittelalterlich anmutende Ding an, bevor er wieder zu dem erbärmlichen Vorhanghaufen schaute.

»Das ist wohl kaum der passende Ausdruck. Ist Ihnen aufgefallen, was für einen Schaden Sie hier angerichtet haben?«

Sie folgte seinem Blick zu den Löchern in der Wand, wo die Vorhangstange ausgerissen war. Ihr Kiefer verspannte sich, während sie sich mehrere denkbare Erwiderungen verkniff. Ihr war klar, dass er, sollte er der neue Besitzer sein, auch ihr Kunde war, doch sie hatte bloß ihren Job erledigt. Diese Behandlung hatte sie nicht verdient, und er war mit Abstand der unverschämteste Kunde, mit dem sie jemals zu tun gehabt hatte.

Leider war er nicht der erste Mann, der ihr das Gefühl vermittelte, klein und minderwertig zu sein. Ihr Ex Tim und dieser Mann waren anscheinend aus demselben Holz geschnitzt. Doch eines hatte sie durch Tim gelernt: Nie wieder würde sie sich von einem Mann als Fußabtreter benutzen lassen.

Der Hund lief aufgeregt um sie herum, abwechselnd an den Vorhängen schnüffelnd und den Kopf an ihrem Bein reibend. Evie klammerte sich an den Stuhl und gab sich alle Mühe, das Gleichgewicht nicht zu verlieren und den linken Knöchel nicht zu belasten. »Also, anstatt dass Sie sich für das Benehmen Ihres Hundes entschuldigen, geben Sie mir hierfür die Schuld? Ich könnte ebenso gut fragen, wer Sie sind und was Sie hier zu suchen haben?«

»Dies ist mein Haus. Ich muss meine Anwesenheit Ihnen gegenüber nicht rechtfertigen.«

Aha. Also war er der Kunde. Und diese Vorhänge hatten allein an Material ein Vermögen gekostet. Sie konnte es sich nicht leisten, dass er sich weigerte zu zahlen, sonst würde sie noch größere Probleme mit der Bank bekommen, als sie ohnehin schon hatte.

»Aber … aber Heidi hat mir gesagt, dass Sie erst nächste Woche einziehen!« Hätte sie gewusst, dass er hier war, sie hätte vorher angerufen.

Und wie sehr wünschte sie sich, sie hätte!

»Mein Einzug ist meine Sache«, erwiderte er barsch. Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über sein Gesicht, bevor er zur Seite schaute.

»Tja, das ist unglücklich gelaufen. Aber ich habe bloß meine Arbeit gemacht.« Sie reckte das Kinn. »Vielleicht wäre weniger Schaden entstanden, hätten Sie Ihren Hund im Griff, und mir wäre der Schreck meines Lebens erspart geblieben.«

Sie hätte sich auch nicht verletzt. Sie tastete nach ihrem Knöchel, und der Hund leckte ihr über die Hand.

»Smoke!«, sagte der Mann streng. »Hier!«

Der Hund sah auf, als sein Name fiel, ignorierte jedoch das Kommando. Der Mann starrte seinen Hund an, als wäre er ein Verräter, seufzte und fing an, das Chaos zu beseitigen. Er hob die Leiter hoch und lehnte sie an die Wand. Der Alkoholgeruch wurde strenger, sowie er näher kam, und Evie beobachtete ihn misstrauisch. Er war aufgebracht und betrunken, und es wusste niemand, dass sie hier war.

Sie nahm den Vorhang, klopfte einen Putzbrocken ab und untersuchte ihn auf Schäden. »Es scheint alles in Ordnung zu sein, Gott sei Dank. Ich habe Stunden gebraucht, die zu nähen.«

Sie drapierte den Vorhangschal vorsichtig über dem Tisch, damit der Stoff nicht zerknitterte.

Der Mann sammelte Putzbrocken auf. »Verraten Sie mir noch mal, warum Sie hier im Dunkeln Vorhänge liefern.«

Sie ballte die Hände zu Fäusten in den Manteltaschen. Tim hatte genauso abfällig mit ihr gesprochen, wenn sie mit Kollegen aus waren und sie zu viel redete oder in seinen Augen das Falsche sagte.

»Ich habe einen Laden im Ort«, erklärte sie, »also liefere ich meine Vorhänge abends.« Die meisten Kunden schätzten diesen Service, weil sie wussten, dass die Läden üblicherweise von ihren Kunden erwarteten, ihre Vorhänge selbst abzuholen und zu Hause anzubringen.

»Und angesichts des Wetters hätten Sie nicht bis morgen warten können?«

»Nein, konnte ich nicht. Morgen hat meine Freundin Geburtstag und …« Dieser rotäugige Mann würde ihr Liquiditätsproblem nicht verstehen. Ihm gehörte dieses Herrenhaus, verdammt. Kein Haus, ein Anwesen!

»Und?«, hakte er nach.

Sie beschloss, ehrlich zu sein. »Und ich musste die fertigbekommen und ausliefern, damit ich die Rechnung schreiben kann.«

Prompt verengte er die Augen; mit dieser Reaktion hatte sie bereits gerechnet. »Also geht es hier um Geld?«

»Nein! Na ja, schon.«

Seine blutunterlaufenen Augen wurden zu roten Schlitzen.

»Ich habe die ganze letzte Woche an diesen Vorhängen gearbeitet …«, fuhr sie rasch fort. »Und die Materialkosten gingen in die Hunderte – was bei mir für ein finanzielles Problem gesorgt hat. Ich habe einen kleinen Laden, und ich muss auf sofortige Bezahlung bestehen, sonst schreibe ich rote Zahlen.«

»Hätten Sie nicht eine Rechnung schicken und die Vorhänge dann herfahren können? Hier wäre doch normalerweise gar keiner gewesen.«

Entsetzt sah sie ihn an. »Ich stelle nie eine Rechnung aus, bevor ich nicht die Vorhänge übergeben und mich überzeugt habe, dass sie richtig passen.«

»Sie haben die doch sicher vorher ausgemessen.«

Sprach jemand, der in seinem Leben noch nie Vorhänge aufgehängt hatte. »So einfach ist das nicht – deshalb bringe ich sie ja selbst an und vergewissere mich, dass alles richtig hängt.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Alles richtig hängt?«

»Ja.« Seine herablassende Haltung machte sie wütend.

»Was haben Sie denn gedacht? Dass die Gesetze der Schwerkraft in diesem Haus nicht wirken?«

Bei jedem anderen hätte sie es für einen Scherz gehalten. Doch er machte sich über sie lustig. »Sie haben eindeutig keine Ahnung von Vorhängen.«

»Stimmt. Belehren Sie mich gern eines Besseren, denn ich habe bisher noch keine gesehen, die nicht nach unten hängen, sondern horizontal schweben.«

Evie knirschte mit den Zähnen. »Vorhänge können perfekt ausgemessen sein und trotzdem nicht gut aussehen, wenn die Falten nicht richtig gesetzt sind, steif wirken – und seltsam.«

»Seltsam?« Seine Mundwinkel zuckten spöttisch, was Evies Blutdruck noch weiter in die Höhe trieb.

»Ja! Deshalb drapiere ich sie gern selbst, um das beste Ergebnis zu erzielen.« In ihrer Nähtasche befanden sich immer Gewichte, mit denen sie den Fall des Stoffs korrigieren konnte, auch wenn es gewöhnlich nur eine Frage des Faltenarrangierens war, und das wiederum hatte sie in ihrer Ausbildung gelernt.

Irgendwie war sein Schweigen schlimmer als die abfälligen Worte.

»Sie können jetzt gehen«, sagte er schließlich und deutete Richtung Tür. »Hier haben Sie genug Schaden angerichtet. Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt.«

Evie starrte ihn an, während ihr unzählige Gedanken durch den Kopf schossen. Er warf sie raus, nachdem sein Hund sie angegriffen hatte? Und sie wurde nicht länger benötigt? Hieß das, er würde sie nicht bezahlen? Ihr Herz raste bei der Erinnerung an die finstere Warnung, die ihre Bank ausgesprochen hatte. Es gebe keine Gnade mehr, sollte ihr Konto wieder in die roten Zahlen rutschen.

»Jetzt hören Sie mal zu! Sie können nicht einfach diese Vorhänge nicht bezahlen – vor allem nicht, weil Ihr Hund für den Schaden verantwortlich ist, nicht ich!«

»Ich rede nicht von der verdammten Bezahlung. Dreht sich bei Ihnen alles ums Geld?«

»Nein! Aber Sie haben gesagt …«

»Ich habe Sie gebeten zu gehen. Dort ist die Tür.«

Sie funkelte ihn wütend an, schnappte sich ihre Nähtasche und griff nach ihrer Leiter.

»Die trage ich«, sagte er und nahm ihr beide Sachen ab.

Evie hatte nicht die Kraft, sich zu sträuben. Sie humpelte hinter ihm her, doch jedes Mal, wenn sie den linken Knöchel belastete, jagten ihr Schmerzen durch das Bein. Sie zuckte zusammen. Was für ein furchtbarer Mann! Der Dalmatiner trottete fröhlich neben ihr her und stupste hin und wieder tröstend ihre Hand an, der Süße.

»Was ist mit den übrigen Vorhängen?«, fragte sie und blickte sich zu den beiden noch eingepackten Schals um.

»Zuerst lasse ich den Schaden reparieren«, antwortete er, ohne auch nur in ihre Richtung zu sehen.

»Wenn die Handwerker da waren, komme ich, hänge die Vorhänge auf und beende meine Arbeit.«

»Das wird nicht nötig sein. Ich lasse Sie wissen, falls es ein Problem gibt – ob mit der Schwerkraft oder anderem.«

Evie zuckte mit den Schultern. »Wie Sie meinen.«

Ein kalter Luftschwall blies herein, als er die Haustür öffnete, und Evie riss die Augen weit auf. Ihr Wagen war unter einer glitzernden Decke begraben, und tänzelnde Schneeflocken erhellten die Nacht. Sie fielen dicht und schnell. Zu jeder anderen Zeit wäre es wunderschön gewesen – sogar magisch –, aber heute Abend nicht. »Oh nein …«

»Haben Sie den Wetterbericht nicht gehört? Sie haben angekündigt, dass es schneien soll.«

»Weiß ich. Doch es ist der erste Dezember. Ich dachte nicht, dass es so viel wird.«

Die Flocken schwebten Federn gleich nach unten, und alles war unheimlich still – obwohl es das oben auf dem Hügel immer sein dürfte. Evie war das Leben im Dorf gewohnt, wo stets Nachbarn und Freunde in der Nähe waren.

»Wo soll ich mit der hin?«, fragte er und zeigte auf die Leiter.

»Nach hinten, bitte«, antwortete sie und ging nach draußen, um das Auto aufzuschließen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, und sie stellte erleichtert fest, dass er noch nicht allzu tief war. »Sie passt in den Fußraum.«

Er schob die Leiter hinein und betrachtete nachdenklich den Wagen. »Ich helfe Ihnen, den Schnee wegzufegen.«

Seine teuer aussehenden Budapester sanken halb ein. Zum Glück trage ich kniehohe Stiefel, dachte Evie. »Ist nicht nötig«, entgegnete sie hastig. »Ich komme zurecht.« Sie wollte nur, dass er verschwand. Bald bin ich zu Hause, sagte sie sich, als sie den Schnee von der Windschutzscheibe schabte.

»Gut, dann mache ich mich mal auf den Weg. Ich bin übrigens Evie.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Evie Miller.« Es war ein wenig spät für Nettigkeiten, doch es fühlte sich auch falsch an wegzufahren, ohne sich vorgestellt zu haben, zumal morgen ihre Rechnung an ihn rausgehen würde.

Er blickte ihre Hand an und schüttelte sie. »Jake Hartwood.«

Seine Hand war so kalt wie Evies, aber sein Händedruck war fest und stark. Aus der Nähe ließ sie der Alkoholgestank zurückweichen. Wie traurig, dass solch ein gut aussehender Mann zu einem so verbitterten und unangenehmen Menschen geworden war. Er wäre durchaus attraktiv gewesen – hätte er eine andere Persönlichkeit.

Doch zumindest hatte sie sich gegen ihn behauptet. Tatsächlich überraschte es sie selbst. Warum konnte sie es nicht gegenüber Tim? Oder ihren Eltern?

»Fahren Sie langsam und in einem niedrigen Gang. Nicht zu hoch schalten«, warnte er sie, während sie einstieg.

»Es geht schon. Es schneit ja noch nicht lange.« Sie schloss die Fahrertür und blickte zu der langen Einfahrt, die sich durch die schneegesprenkelte Dunkelheit schlängelte. Der Mann und sein Hund beobachteten von der Tür des Hauses aus, wie sie den Motor anließ.

»Niedriger Gang, von wegen«, murmelte sie und trat aufs Gaspedal. Sie konnte gar nicht schnell genug wegkommen. Weg von ihm und seinem mürrischen Gesicht.

Der Wagen machte einen Satz nach vorn, und Evie grinste. Gott sei Dank war der Schnee nicht allzu hoch … doch kaum dass der Wagen an Schwung gewann, erstarb ihr Grinsen. Sie bewegte das Lenkrad, und es passierte nichts. Ihr Auto rollte nicht die Einfahrt hinunter, sondern nach rechts. Es war schwierig, etwas zu sehen, aber sie glaubte, sich an einen steilen Hang hinunter zum Garten zu erinnern. Energisch trat sie auf die Bremse. Der Wagen schoss einfach nach vorn. Sie drehte das Lenkrad herum, als die Einfahrt einen Knick nach links machte, doch nichts geschah. Wieder drückte sie mit dem Fuß auf die Bremse. Ihr Puls beschleunigte sich vor Angst. Sie versuchte eine Vollbremsung, aber der Wagen schlitterte weiter, und das Lenkrad fühlte sich locker an.

»Nein!«, murmelte sie und umklammerte es fester. Das Auto wurde schneller, weil es bergab ging. Evie stammelte ein Gebet und einen Fluch, als sie abermals versuchte, ihren Wagen unter Kontrolle zu bringen. »Stopp!«, schrie sie, stieg aufs Bremspedal und zog die Handbremse nach oben.

Der Wagen wurde schneller. Evie riss am Lenkrad, trat alle Pedale, nahm den Gang raus und legte ihn wieder ein – doch immer noch schlitterte sie unaufhaltsam weiter. Ihr Herz wummerte wie verrückt. Sollte sie rausspringen und das Auto aufgeben? Nein. Sie konnte sich keine Reparatur leisten, sollte es einen massiven Schaden erleiden. Andererseits hatte sie keine Chance, den zu vermeiden. Sie blickte nach hinten. Beobachtete Hartwood sie noch? Sie konnte nichts erkennen, und überhaupt rutschte sie nun von der Einfahrt und nach links den Hang hinunter.

Evie rang nach Luft, als der Wagen zum Stehen kam, und blinzelte.

Das Auto stand schief und hatte sich offenbar mit irgendetwas verkantet, sie war aber unverletzt – zumindest das. Als sie versuchte rückwärts zu fahren, passierte gar nichts. Sie probierte es vorwärts, was sehr optimistisch war, doch vielleicht konnte sie wenden und den Hang wieder hinauffahren. Nachdem sie ihr Seitenfenster hinuntergelassen hatte, steckte sie den Kopf nach draußen und gab vorsichtig Gas. Die Räder drehten durch, und das Auto versank tiefer im Schnee. Verzweifelt schloss Evie die Augen. Sie musste einsehen, dass sie hier hilflos festhing.

Kapitel Zwei

Aus dem Schneegestöber tauchte Jake Hartwoods Gesicht auf. »Sind Sie verletzt?«, fragte er.

»Mir geht es gut«, antwortete sie verbissen.

Er trat einen Schritt zurück und betrachtete das verkantete Auto. »Sieht nicht gut aus.«

»Ich weiß nicht, was passiert ist – der Wagen ließ sich nicht lenken!«

»Dann hatten Sie nicht vor, in den Graben zu fahren?« Da war kein Funken Humor zu erkennen.

»Haha, sehr witzig!«

Sie stieg aus. Er sah aus wie der Sensenmann, als er sie skeptisch beobachtete.

Dies war definitiv nicht ihr Glücksabend. Erst wurde sie von der Leiter gestoßen, und jetzt war sie in einen Graben gefahren. Sie neigte von je her zu Unfällen, doch dies hier schoss den Vogel ab.

»Ist schon gut«, meinte sie munter. »Ich gehe zu Fuß nach Hause und hole das Auto morgen Vormittag.«

Sie konnte nur wenig von der Umgebung ausmachen, aber sie würde die Taschenlampenfunktion ihres Handys nutzen. Humpelnd machte sie sich auf den Weg, allerdings war der Schnee tiefer, als er aussah, und wegen ihres lädierten Knöchels war sie unsicher auf den Beinen.

»Sie wollen nach Hause laufen?«, rief er ihr ungläubig nach.

»Nein, ich wollte einen Schneemann bauen«, scherzte sie und drehte sich zu ihm um. »Ja, ich laufe. Es ist nicht weit.«

Zumindest war es ihr nicht weit vorgekommen, als sie nach Old Hall gefahren war.

»Wohnen Sie im Dorf?«

Sie nickte und versuchte weiterzugehen. Dabei konnte sie sich nicht entscheiden, was schmerzhafter war: Sich so normal wie möglich zu bewegen oder den Fuß unten zu lassen und ihn durch den Schnee zu schleifen, der sich anfühlte, als würde sie durch nassen Zement waten. Vielleicht fand sie einen abgebrochenen Ast, den sie als Gehstock benutzen könnte …

Sie machte noch einen Schritt vorwärts, allerdings gab ihr Knöchel nach, und sie plumpste in den Schnee.

Ah, super! Benommen lag sie da, während die Schneeflocken auf sie herabrieselten, ihr ins Gesicht fielen und sich in ihren Wimpern verfingen. Jetzt hatte sie sich richtig lächerlich gemacht.

Ein Paar starke Hände griffen nach ihr und richteten sie auf.

»Danke«, murmelte sie und klopfte sich den Schnee vom Mantel. Ihre Wangen brannten so sehr, dass sie bestimmt wie Glühwürmchen leuchteten.

»Sie können nicht nach Hause laufen«, sagte er ruhig. »Das Dorf ist zwei Meilen entfernt, es ist dunkel, und es schneit.« Er blickte sich um. »Ich würde ja anbieten, Sie zu fahren, aber ich habe die Promillegrenze überschritten.«

Sie folgte seinem Blick in Richtung der Garage. Das erklärte, warum sie bei ihrer Ankunft keinen anderen Wagen gesehen hatte.

Hartwood seufzte. »Kommen Sie lieber wieder rein.«

Es war nicht gerade die warmherzigste aller Einladungen. Evie schaute zum Haus und zurück zur Zufahrt. »Sind Sie sicher? Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.«

»Wir haben wohl keine Wahl«, erwiderte er. »So hatte ich mir meinen Abend nicht vorgestellt.«

»Ich mir meinen auch nicht!«, erwiderte sie und verfluchte ihn im Geiste. Hätte sie sich den Knöchel nicht verletzt, wäre sie jetzt schon halb die Zufahrt hinunter und auf dem Weg zu einem heißen Bad und ihrem gemütlichen Bett gewesen.

»Es ist sinnlos, hier in der Kälte herumzustehen.« Er hob sie hoch.

Evie schrie auf. »Was machen Sie denn? Lassen Sie mich runter!«

»Warum? Damit Sie sich wieder im Schnee vergraben können? Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, funktioniert die Heizung im Haus noch nicht. Daher rate ich davon ab, dass Sie noch nässer und kälter werden, als Sie schon sind.«

Sie atmete tief durch. Ihr Stolz sollte heute Abend wohl genauso sehr leiden wie ihr Knöchel. Hätte jemand anders angeboten, sie zu tragen, hätte sie es als ritterliche Geste zu schätzen gewusst. Nur war sie sicher, dass in Jake Hartwood gar nichts Ritterliches schlummerte. Er stapfte den Hügel hinauf durch den Schnee, und sie musste ihm zugestehen, dass er recht glaubwürdig vorgab, sie wäre nicht schwer. Derweil blickte sie starr zur Tür, denn dies hier war viel zu intim und vollkommen schräg.

Smoke bellte, als sie sich näherten. Drinnen trat Jake die Tür hinter ihnen zu, die mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

»Sie können mich jetzt runterlassen«, sagte Evie.

Er bedachte sie mit einem ungerührten Blick und ging weiter durch die Diele und am Esszimmer vorbei. Smoke trottete neben ihnen her und kläffte aufgeregt.

»Lassen Sie mich runter. Ich bin zu schwer.«

Er zog eine Augenbraue hoch.

»Wo gehen Sie hin?«, fragte sie und wurde ein wenig nervös, als er eine Tür nach der anderen passierte, nach links bog, nach rechts und wieder nach links. Dieses Haus war ein Labyrinth. Es fühlte sich an, als würde er meilenweit laufen, wobei seine Schritte laut auf dem Parkett zu hören waren.

»Zur Bibliothek«, antwortete er knapp. »Dem einzigen Raum mit einem Feuer.«

Schließlich blieb er vor einer angelehnten Tür stehen, stieß sie mit der Schulter auf und trug Evie zu einem von zwei Sesseln vor einem Kamin. Während er ihr einen Fußschemel hinschob, schaute Evie sich um. Hier war es merklich wärmer als im Rest des Anwesens, und die verkohlten Überreste eines dünnen Scheits im Kamin erklärten, warum. Evie begriff, weshalb sie irrtümlich geglaubt hatte, allein zu sein: Dieses Zimmer befand sich ganz hinten im Haus. Bei Tage hatte man von hier gewiss einen schönen Blick in den Garten und vielleicht auch zum Dorf Willowbrook im Tal. Dieser Raum war eindeutig noch nicht renoviert worden; die dunklen Samtvorhänge waren zerschlissen und ausgeblichen, und die holzvertäfelten Wände konnten eine Lasur vertragen. Aber es war gemütlich, und Evie verstand, warum Hartwood sich dieses Zimmer ausgesucht hatte und nicht eines der größeren vorn.

Ihre Panik schwand, doch sie tat zweifellos gut daran, auf der Hut zu sein, denn sie wusste nichts über diesen Mann.

»Hier.« Er zeigte auf den Schemel. »Legen Sie Ihren Fuß hoch.«

»Danke«, sagte sie und zog die nassen Stiefel aus.

Er schloss die Tür und kniete sich vor den Kamin, um mehr Scheite ins Feuer zu legen. Die Flammen züngelten auf, und prompt fühlte Evie sich besser. Sie streckte die Hände zum Kamin aus, während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Hartwood seine nassen Schuhe und Socken abstreifte, bevor er sie näher vors Feuer stellte. Dann öffnete er eine kleine Reisetasche, aus der er ein Paar trockene Socken hervorholte. Evie beäugte die Tasche verstohlen. Offensichtlich hatte er nicht vor, länger als eine Nacht zu bleiben, und sie fragte sich, warum er hergekommen war. Die maßgefertigten Bücherregale und der Schreibtisch hinter ihr waren leer; dieses Haus war noch nicht für den Einzug bereit. War er hier, um die Fortschritte der Renovierungsarbeiten zu begutachten?

»Sind Sie allein hier?«, fragte sie vorsichtig.

Misstrauisch sah er sie an. »Ja.«

Nun setzte er sich in den anderen Sessel ihr gegenüber. Neben ihm auf einem kleinen Beistelltisch standen eine halb leere Flasche und ein Glas, in dem winzige Eiswürfelreste in einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit schwammen. Er füllte das Glas bis zum Rand auf und bot ihr etwas an, doch sie schüttelte den Kopf.

So hatte ich mir meinen Abend nicht vorgestellt, hatte er gesagt. Evie fragte sich, was für ein Mann sich in einem kalten, leeren Haus verschanzte, um allein zu trinken.

»Ich hab’s – ich rufe mir ein Taxi!«, rief sie plötzlich, und diese Idee baute sie richtig auf.

Er schaute sie ungläubig an, schwieg jedoch und trank seinen Whisky, während Evie ihr Handy aus der Tasche kramte.

Bei der Taxizentrale war besetzt. Sie versuchte es immer wieder, bis sie schließlich durchkam. »Ich brauche ein Taxi«, erklärte Evie, »von Old Hall ins Dorf Willowbrook.« Weit war es nicht, weshalb sie ein großzügiges Trinkgeld geben würde, damit es sich für den Fahrer lohnte.

»Tut mir leid. Es wurde noch nicht gestreut, und die Hauptstraße ist nicht befahrbar.«

»Oh.« Evie war frustriert.

»Kein Glück?«, fragte Hartwood, als sie das Gespräch beendet hatte.

Sie schüttelte den Kopf. »Der Schnee hat alles lahmgelegt.«

Smoke lief rastlos zwischen ihnen beiden hin und her, ehe er sich schließlich neben Evie niederließ. Sie kraulte ihm die Ohren und bemerkte, dass Hartwood seinem Hund einen strengen Blick zuwarf. Die Stille im Zimmer wurde unangenehm. Evie wünschte, sie hätte ihre Patchwork-Arbeit bei sich, damit wenigstens ihre Hände beschäftigt gewesen wären. Doch ihr Nähzeug war im Auto. Wenn sie die ganze Nacht in diesem Haus festhingen, könnte es gut sein, dass es bei dem feindseligen Schweigen blieb.

»Hier waren Sie also, als Sie mich gehört haben?«, fragte sie, tastete nach dem Zipfel ihres langen Zopfes und begann, ihn gedankenverloren mit den Fingern aufzuwickeln.

»Smoke hat Sie gehört«, korrigierte er sie.

Als er seinen Namen hörte, hob der Hund den Kopf und bellte einmal kurz.

»Still, Smoke. Alles gut«, beruhigte Evie ihn.

»Ich hätte mit Freuden jeden Eindringling ignoriert, aber Smoke wollte nachsehen.«

Dass er sich von ihr einfach nur gestört fühlte, war unmissverständlich. Noch nie war ihr jemand begegnet, der so unverschämt und ungesellig war.

»Du bist also ein guter Wachhund, ja?«, sagte sie zu dem Dalmatiner, und er neigte den Kopf, damit sie ihn hinter dem anderen Ohr kraulte.

Sie verlagerte ihre Position und verzog das Gesicht, da ihr wieder ein gleißender Schmerz durch den Knöchel fuhr.

»Komisch ist, dass er, sobald er Sie gesehen hat, von Wachen auf Spielen umgeschaltet hat. Ich fürchte, er hat noch nicht gelernt, dass es nicht gut ankommt, Leute anzuspringen.«

Bei seinen Worten zuckten unwillkürlich Evies Mundwinkel. »Aber du weißt es ja nicht besser, was?«, meinte sie zu Smoke. »Er war bloß freundlich«, fügte sie an Hartwood gerichtet hinzu.

Im Gegensatz zu seinem Halter, Mr. Arktis.

Evie blickte sich wieder im Zimmer um und bemühte sich sehr, das Positive zu sehen. »Dieses Haus ist wunderschön, nicht?«

Er reagierte nicht, wovon sie sich nicht schrecken ließ.

»Ich habe gehört, dass die Aussicht von hier unglaublich sein soll, und das Haus hat solch eine lange Geschichte. Sie müssen sich privilegiert fühlen, hier zu wohnen.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte mir etwas Neues kaufen sollen, das nicht so viel Arbeit erfordert. Dann wäre auch der Umzug sehr viel leichter und schneller über die Bühne gegangen.«

»Oh, aber hier haben Sie die Chance, alles nach Ihrem Geschmack zu gestalten. Wenn es fertig ist, ist es genauso, wie Sie es wollen.«

Sie träumte von der Chance, einen Ort wie Old Hall ganz nach ihren Vorstellungen einzurichten. Ein so großes Haus, das so viel Raum bot. Hier konnte man in jedem Zimmer andere Farbkombinationen und Stile ausprobieren. Sehr moderne Gästezimmer zum Beispiel und vielleicht eine Küche im Shaker-Stil. Dieser Raum bettelte geradezu darum, dass man all die Originalelemente wie die Holzvertäfelung und den Kamin wiederbelebte.

»Bis dahin habe ich jedenfalls keine Heizung, kein warmes Wasser und lauter lästige Handwerker und Dienstleister wie Sie, die hier ein und aus gehen.«

Er blickte düster in sein Whiskyglas, und sie fragte sich, wann er das letzte Mal – sofern überhaupt – gelächelt hatte.

»Tja, wenigstens brennt das Feuer wieder richtig, und es ist warm hier«, sagte sie munter.

Er verschluckte sich an seinem Whisky und sah sie ungläubig an.

»Was?«, fragte sie.

»Na, um es mal zusammenzufassen: Ich hatte mich auf einen ruhigen Abend allein zu Hause eingestellt, doch stattdessen haben Sie in meinem neuen Esszimmer ein Chaos angerichtet, und nun sind wir eingeschneit. Was in Ordnung ist, weil ein Feuer im Kamin brennt, und es ›warm hier‹ ist.«

Sie ballte die Hände zu Fäusten. Er klang wie Tim: unfreundlich und überheblich. »Ich habe bloß versucht, es positiv zu sehen. Es könnte schlimmer sein.«

»Ah, klasse«, murmelte er in sein Glas. »Und um es noch zu toppen, sitze ich hier mit Pollyanna persönlich fest.«

»Wie haben Sie mich genannt?«

»Pollyanna.«

Nun reichte es ihr. Er mochte ihr Kunde sein, doch sie würde einen Teufel tun, sich wieder von einem Mann das Gefühl geben zu lassen, dumm und klein zu sein. »Wäre es Ihnen lieber, würde ich mich so verächtlich und unhöflich aufführen wie Sie?«

»Mir wäre es lieber, Sie wären gar nicht hier. Aber da wir nun mal in dieser Lage sind, sollten wir uns duzen.«

Sie krallte die Finger in die Armlehne, und ihr war gleich, ob es Dellen in dem braunen Leder hinterließ. »Wie nett. Und mir gefällt diese Situation genauso wenig. Aber mein Einfluss auf das Wetter scheint vorübergehend begrenzt zu sein. Und glaub mir, hätte ich mir nicht den Knöchel verletzt, wäre ich jetzt schon halb zu Hause. Lieber würde ich mir Frostbeulen holen, als den Abend mit dir zu verbringen!«

Der Hund winselte wegen ihres harschen Tons, und als sie nach unten griff, um ihn zu streicheln, wurde ihr bewusst, dass sie allmählich wie ihr Gastgeber klang: sarkastisch, schlecht gelaunt und gar nicht nett. Es stresste sie, hier mit ihm festzusitzen, und deshalb verhielt sie sich so. Normalerweise war sie ein heiterer Mensch. Und auch wenn er »Pollyanna« als Beleidigung gemeint hatte, glaubte sie fest daran, dass man nur richtig hinschauen musste, um das Gute in der Welt zu sehen.

Allerdings hatte sie momentan Probleme, irgendetwas Gutes an ihm zu entdecken.

Hartwood schaute sie von der Seite an. »Wie schlimm ist es?«

»Was?«

»Dein Knöchel.«

Er klang ehrlich besorgt. »Mir geht es gut.«

Ihr Knöchel pochte schmerzhaft, aber das würde sie nicht zugeben – nicht vor ihm.

»Lass mich mal sehen.« Er stand auf und kniete sich neben ihren Fuß.

Misstrauisch musterte sie ihn. »Warum?« Wollte er das Ganze mit einem Hammer zu Ende bringen, wie die Frau in der Steven-King-Verfilmung? Nein, natürlich nicht. Er wollte bloß, dass sie nicht länger als zwingend nötig blieb.

»Was glaubst du denn?«

Sie blinzelte und runzelte die Stirn. »Tja, jedenfalls nicht, weil es dich interessiert, also habe ich keine Ahnung.«

»Ich versuche zu helfen.« Er kniff den Mund zusammen, bevor er merklich widerwillig hinzufügte: »Ich war früher Arzt.«

»Du warst?« Er bedeutete ihr, die Jeans unten aufzukrempeln, und aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil es wirklich wehtat – befolgte sie seine stumme Anweisung. »Erzähl mir nicht, du hast mit deiner Art alle Patienten vergrault.«

Er antwortete nicht. Stattdessen neigte er den Kopf und widmete sich ihrem Knöchel. Seine Berührungen waren entwaffnend sanft, seine Finger warm auf ihrer Haut, und er drehte oder drückte nicht einmal an ihr herum, womit sie gerechnet hatte.

»Ist dir die Approbation entzogen worden?«, fragte sie und verspannte sich bei dem Gedanken.

»Nein.«

Sie beruhigte sich ein wenig, doch ihre Neugier war geweckt. »Und warum bist du dann kein Arzt mehr?«

»Ist eine lange Geschichte.«

»Und ich gehe nirgends hin«, entgegnete sie und lächelte grimmig bei der Aussicht, dass sie hier festsaß mit ihm, bis … wer weiß, wie lange? Doch da sie schon mal in dieser Situation waren, konnten sie auch die Zeit totschlagen. Außerdem wollte sie es wirklich wissen. Man brauchte Jahre, um Arzt zu werden. Warum sollte jemand sich von solch einem hart erarbeiteten Beruf abwenden?

Er seufzte. »Kannst du bitte aufhören zu reden, damit ich mich konzentrieren kann?«

Sie zuckte mit den Schultern und betrachtete ihn genauer. Seine Bartstoppeln verliehen ihm etwas Verwegenes, doch sein dunkles Haar war hübsch gelockt, und er hatte ein markantes Gesicht. Evie war beinahe enttäuscht, als er ihren Knöchel losließ und die Jeans wieder herunterkrempelte.

»Sieht nicht dramatisch aus«, sagte er.

Seine Augen waren blau, eines aber war dunkler als das andere. Oder der tänzelnde Feuerschein ließ es so erscheinen.

»Eis wird gegen die Schwellung helfen. Ich hole welches.« Er stand auf und ging zur Tür.

Der Hund folgte ihm.

»Kommst du mit?«, fragte Hartwood.

Der Hund sah wieder zu Evie, zögerte und trottete zurück zu ihr.

»Wie du meinst«, sagte Hartwood und schloss die Tür hinter sich.

Evie blickte zu der halb leeren Whiskyflasche. Der Mann konnte eindeutig eine Menge vertragen. Oder ihr unerwartetes Eindringen hier hatte ihn nüchtern werden lassen.

»Ein Arzt, was, Smoke?«, sagte sie leise. »Wer hätte das gedacht?«

Sie schaute sich im Zimmer um. In der Ecke neben seinem Sessel stand ein Hundebett, daneben lagen eine Leine und ein ziemlich zerkauter Ball.

Wenig später kehrte Hartwood mit einer Tüte Eiswürfel zurück, die er verknotete und in einen Schal wickelte. »Drück das hier so lange auf die Schwellung, wie du kannst«, sagte er.

Er war bisher nicht eingezogen, und das Haus war noch nicht beheizt, aber er hatte Eiswürfel, Whisky und ein Bett für den Hund mitgebracht? Seltsam.

»Danke«, meinte sie und hielt sich die Eispackung an den Knöchel. »Also, wenn du kein Arzt mehr bist, was machst du jetzt?«

»Ich habe einen Weinimport«, antwortete er knapp.

Er hörte sich nicht begeistert an, und Evie hätte gedacht, dass die Arbeit als Mediziner deutlich befriedigender wäre, doch offensichtlich hatten sie nicht dieselben Werte. Trotz seiner sanften Berührung konnte sie sich nicht vorstellen, dass er eine natürliche Begabung hatte, Menschen zu helfen und Kranke zu versorgen.

Sie änderte ihre Position ein wenig. Die Stille machte sie nervös. Womöglich würden sie den ganzen Abend hier sitzen, ohne zu sprechen. Wieder sah sie sich um und dachte an all die frisch renovierten Räume in diesem prächtigen Haus.

»Hast du das Anwesen geerbt?«, fragte sie.

»Geerbt? Wie kommst du darauf?«

»Weil es ein großes Haus ist, und … du bist jung.«

»Nicht so jung. Und, nein, ich habe nicht geerbt.« Er nahm sein Glas in die Hand und trank einen Schluck, schien es allerdings nicht zu genießen. Er schnitt eine Grimasse und stellte das Getränk wieder ab.

»Trinkst du jeden Abend so viel?«

»Nein!«, antwortete er barsch, doch sein Ärger wich einer solch traurigen Miene, dass er Evie fast leidtat – bis sie sich daran erinnerte, wie unhöflich er war. Ihr Mitgefühl verpuffte.

»Hör mal, es war reizend, mich mit dir zu unterhalten, aber macht es dir etwas aus, wenn ich mich jetzt irgendwo hinlege?« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. Selbst ein unbeheiztes Schlafzimmer wäre besser, als hier bei ihm zu bleiben. »Ich habe morgen eine Menge zu tun, und wenn ich nur ein paar Stunden schlafen könnte, dann stehe ich früh auf und du bist mich hoffentlich umso eher los.«

Mit ein bisschen Glück war der Schnee bis morgen früh geschmolzen.

»Die Betten werden erst nächste Woche geliefert«, erklärte er.

»Eine Matratze würde reichen.«

»Du verstehst mich nicht. Oben sind nichts als leere Zimmer.«

»Gibt es überhaupt keine Betten im Haus?«

»Kein einziges.« Er trank noch einen Schluck.

»Und warum bist du hier? Wo wolltest du schlafen?«

»Gar nicht.«

Sie wartete, dass er mehr sagte. Er schwenkte den Whiskyrest in seinem Glas und runzelte angestrengt die Stirn, als er irgendeinen inneren Kampf ausfocht.

»Ich bin hergekommen, um … zu fliehen«, murmelte er.

»Und zu trinken?«

Er blickte auf. »Du kannst den Whisky echt nicht leiden, was?«

»Ich kann Leute nicht leiden, die so viel trinken, dass sie unangenehm werden.« Wobei sie nicht wusste, ob er nüchtern nicht ebenfalls unangenehm war. Gedankenverloren streichelte sie den Hund. »Wenn du so weitermachst, bist du morgen früh sturzbesoffen. Entweder das oder an einer Alkoholvergiftung gestorben.«

Er lachte bitter. »Ich kann es kaum erwarten.«

Sie schlang sich die Arme um den Oberkörper. Der Ausdruck in seinen Augen verstörte sie ebenso wie die Aussicht, die Nacht mit ihm in dieser Bibliothek zu verbringen, ohne seinem Sarkasmus entkommen zu können. Selbst ihr fiel es jetzt schwer, dem Ganzen etwas Gutes abzugewinnen. Was, wenn er weitertrank? Er fand sie offensichtlich lästig. Und wenn seine Geduld erschöpft war und er sie erwürgte, weil sie irgendetwas zu Fröhliches gesagt hatte? Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Keiner wusste, dass sie hier war.

»Du hast recht, ich sollte aufhören zu trinken«, unterbrach er ihre Furcht einflößenden Gedanken und seufzte. Überrascht sah sie zu, wie er den restlichen Whisky ins Feuer goss, sodass die Flammen aufschossen und wieder kleiner wurden. »Es hat sowieso nicht geholfen.«

Evie stutzte. »Wobei geholfen?«

Er ignorierte ihre Frage und strich sich mit der Hand durchs Haar. »Wie wäre es, wenn ich uns beiden einen Kaffee mache? Oder eine heiße Schokolade. Ich glaube, ich habe welche in der Küche gesehen. Heidi nimmt die überall mit hin.«

Seine plötzliche Wandlung verblüffte sie, doch sie fror immer noch, und ein wärmendes Getränk war verlockend. »Eine heiße Schokolade wäre schön.«

Er warf noch ein paar Scheite ins Feuer. »Ich bin gleich wieder da.« Er schaute den Hund an und klopfte sich an den Oberschenkel. »Komm mit, Smoke.«

Der Hund öffnete ein Auge, rührte sich aber nicht von Evies Seite.

Hartwood bedachte den Dalmatiner mit einem verärgerten Blick. »Wie du willst.«

Als er weg war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, beugte Evie sich vor und streichelte Smoke. »Sehr vernünftige Entscheidung«, sagte sie. »Warum mit ihm in die Kälte gehen, wenn du hier bei mir bleiben kannst?«

Der Hund stand auf und trottete zu seinem Bett. Evie holte ihr Handy hervor und tippte eine Nachricht an ihre Freundin Natasha: Bin eingeschneit, als ich die Vorhänge nach Old Hall geliefert habe. Sitze hier mit einem sehr mürrischen Mann fest, der behauptet, Jake Hartwood zu sein. Falls morgen früh meine Leiche gefunden wird, weißt du Bescheid. Der Typ ist überhaupt nicht nett.

Während sie so darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass er von der Polizei gesucht werden könnte, doch als er mit einem Tablett mit heißen Getränken und Keksen zurückkehrte, wurde es schwierig, an diesem Gedanken festzuhalten. Er stellte einen Becher mit heißem Kakao auf den kleinen Tisch neben ihrem Sessel und nahm sich den Becher mit schwarzem Kaffee.

Dann sah er zu Smoke und zuckte merklich zusammen. »Hast du das getan?« Er wies auf Smokes Hundebett, das aus der Zimmerecke neben den Sessel gezogen worden war, in dem Evie saß.

»Nein.« Sie lachte. »Das muss er gewesen sein, als ich eine Textnachricht geschrieben habe.«

Er musterte seinen Hund mit einem strengen Blick, doch Smoke beachtete ihn nicht und schloss die Augen.

»Vielleicht wollte er näher ans Feuer«, sagte Evie.

»Kann sein«, antwortete er matt und gab ihr die halb volle Kekspackung.

»Oh, Haferkekse!«, meinte sie. »Die mag ich am liebsten.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht sind die pappig – die Handwerker haben sie hiergelassen. Milch war auch noch da, aber die ist nicht mehr gut.«

»Und du hast die Gelegenheit nicht genutzt, um mich zu vergiften?«

Diese Bemerkung würdigte er keiner Antwort, auch wenn Evie glaubte, ein Lächeln gesehen zu haben. Sie hielt ihm die Kekse hin, aber er schüttelte den Kopf. Schulterzuckend nahm Evie sich noch einen Keks.

»Anscheinend hast du Hunger«, sagte er.

Sie hörte auf zu kauen. Willst du das wirklich essen? war Tims Lieblingsfrage gewesen. Wann immer er sie dabei ertappt hatte, wie sie sich etwas Leckeres in den Mund steckte, hatte er sie mit einem Blick betrachtet, bei dem sie in sich hatte zusammensinken wollen. Sie wusste, dass sie ein paar Pfunde zu viel wog, doch wie trübsinnig wäre das Leben, wenn man ausschließlich Salat aß? Andererseits war Hartwoods Blick nicht vorwurfsvoll, sondern eher neugierig. Dennoch reckte Evie das Kinn. »Ich bin am Verhungern, denn ich habe den ganzen Abend gearbeitet, um deine Vorhänge fertigzubekommen.« Nicht dass er es ihr danken würde. Und um fair zu sein, wieso sollte er? Wahrscheinlich war es ihm vollkommen schnurz, wann seine Vorhänge geliefert wurden. »Ich wollte essen, wenn ich wieder zu Hause bin – den Rest Lasagne«, fügte sie wehmütig hinzu. Bei dem Gedanken lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

»Ich fürchte, dass ich dir nichts dergleichen anbieten kann.«

»Kein Problem. Die hier sind prima«, sagte sie, hielt einen Keks in die Höhe und biss hinein. Vielleicht nimmst du sogar ein bisschen ab, wenn du mal eine Mahlzeit auslässt. Sie verdrängte die Erinnerung an Tims schneidende Worte.

»Also verdienst du deinen Lebensunterhalt damit, Vorhänge zu nähen?«, fragte er nach einer langen Pause.

»Ich habe einen Handarbeitsladen, ich mache Patchwork-Arbeiten und quilte. Die Vorhänge sind ein Nebenverdienst, um die Kosten zu decken, bis sich das Geschäft richtig etabliert hat.«

»Patchwork-Arbeiten und Quilten?«

»Ich verkaufe Quilts, Stoff, Garn – alles, was man für einen Quilt braucht.«

»Was für Quilts?« Er sah verwundert aus.

»Solche, die man als Bettüberwurf benutzt – falls man ein Bett hat – oder zur Dekoration. Oder Patchwork-Decken.«

Jetzt schien er zu begreifen, und Evie fiel auf, dass er gut aussähe, würde er nicht so oft die Stirn runzeln.

»Von denen könnten wir jetzt ein oder zwei gebrauchen, um uns warmzuhalten«, murmelte er.

Sie fand, dass es mit dem Kaminfeuer schon recht gemütlich war, sprach es allerdings nicht aus. Stattdessen sagte sie: »Vielleicht kann ich dich überreden, welche zu kaufen, wenn deine Betten da sind.« Es war dreist, aber was hatte sie zu verlieren?

»Sprich mit Heidi. Sie ist für die Einrichtung zuständig.«

Evie wunderte sich. »Heißt das, du suchst gar nichts selbst aus?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nicht mal die Farben?«

Er umfasste den Kaffeebecher mit seinen langen Fingern. »Solche Details interessieren mich nicht im Geringsten.«

Evie starrte ihn an, unfähig, ihren Schock zu verbergen. Ihr Laden war eine Schatztruhe voller Farben und Muster. Jedes Mal, wenn sie einen neuen Quilt anfing, genoss sie es, die Regale abzuwandern, mit den Händen über unterschiedliche Stoffe zu streichen und die Farbkombinationen und Muster auszuwählen, die sie nehmen wollte. Eine warme Palette an Herbstfarben oder frische Zitrustöne, ein niedliches Blumenmuster für einen romantischen Touch oder Weiß mit modernen Farbblöcken … Es gab endlose Möglichkeiten. Sie konnte sich nicht vorstellen, in ein Haus von dieser Größe zu ziehen und alles von jemand anderem aussuchen zu lassen.

»Und wenn sie sich für ein Muster entscheidet, das du hasst?«

»Solch triviale Sachen sind für mich nicht von Bedeutung. Es sind schließlich nur Vorhänge und Tapeten.«

Trivial? Nur Vorhänge und Tapeten? Dies war sein Zuhause. Sie musterte seinen schwarzen Pullover und die Jeans. Innen an der Tür hing ein langer dunkelblauer Mantel. Er hatte offenbar nichts für helle Farben übrig. Erneut war ihre Neugier geweckt. Wie nahm jemand wie er die Welt wahr? Wo Evie schöne Farben und Muster sah, was sah er da? Nichts? Grauschattierungen?

»Wie heißt er?«, fragte er.

Evie blickte ihn verwundert an.

»Dein Laden, wie heißt der?«

»Ach so. The Button Hole, also wie das Knopfloch.«

Sie rechnete damit, dass er spöttisch grinste, doch er nickte nur. Sie erzählte ihm nicht, dass die Eingangstür passend zum Namen große Griffe aus Holz in Form von Knöpfen hatte und drinnen stoffbezogene, bunte Knöpfe von der Decke hingen. Evie fand sie witzig und ausgefallen, war sich allerdings sicher, dass er es als albern abtun würde.

»Und du wohnst im Dorf?«

»Ja, gleich um die Ecke vom Laden in der Love Lane«, antwortete Evie lächelnd.

»Im Ernst? Love Lane?«

Sie nickte. »Es ist die niedlichste kleine Straße, die du je gesehen hast. Sie ist zu schmal für Autos, deshalb ist es dort sehr ruhig, und zu beiden Seiten stehen hübsche kleine Reihenhäuser aus Sandstein mit Schieferdächern.«

»Du wohnst dicht an dicht mit deinen Nachbarn?« Er wirkte entsetzt.

»Ich habe sehr nette Nachbarn: auf der einen Seite die alte Dorothy, auf der anderen George, ein pensionierter Feuerwehrmann.«

Er starrte sie an, als spräche sie in einer ihm fremden Sprache zu ihm. Aber er wollte ja auch freiwillig ganz allein in diesem Riesenhaus hier oben auf einem Hügel leben.

Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie gar nicht wusste, ob er allein war. Er könnte in einer Beziehung sein, sogar eine Familie haben und bloß hier sein, um sich zu vergewissern, dass die Renovierung nach Wunsch verlief, ehe alle einzogen.

»Und warum hast du dich dafür entschieden, hier zu leben?«, fragte sie.

Sein Blick wurde abweisend, als hätte sie etwas Falsches gesagt.

»Ich mache einen Neuanfang«, antwortete er ohne einen Anflug von jener Vorfreude, die gewöhnlich mit einem Neuanfang einherging.

Evie hätte ihren Laden darauf verwettet, dass er sich scheiden ließ. Falls ja, galt ihr Mitgefühl definitiv seiner Ex. Niemand könnte mit ihm zusammenleben. Mit seiner finsteren Weltsicht sog er förmlich den Sauerstoff aus dem Raum. »Es ist ein riesiges Haus.« Bisher hatte sie in vier großen Zimmern Vorhänge angepasst, und sie schätzte, dass oben noch mindestens sechs Schlafzimmer sein mussten. »Ziehst nur du hier ein, oder hast du Familie?«

»Nur ich.« Er blickte zu dem Hund, der neben Evie schlief. »Und Smoke.«

Sie zuckte zusammen, als ihr Handy auf ihrem Schoß piepte und eine Textnachricht auf dem Display aufleuchtete. Sie war von Natasha: In Old Hall? Jake ist ein Freund von Luc! Hoffentlich kümmert er sich gut um dich. Halt dich warm. X.

Erleichtert atmete Evie auf. Er mochte ein echter Griesgram sein, wurde aber wohl kaum von der Polizei gesucht, wenn er mit Luc befreundet war. »Kennst du Luc Duval?«, fragte sie, wobei sie Jake ansah.

»Ja, warum?«

»Seine Frau Natasha ist eine gute Freundin von mir.«

Er schien eher genervt als erfreut, von dieser Verbindung zu erfahren. »Ich habe diesen Ort gewählt, weil er ruhig ist und ich gehofft habe, man würde mich hier in Frieden lassen«, murmelte er.

»Ha! Das wird nicht passieren. In Willowbrook kennt jeder jeden, und wir alle passen auf einander auf. Es ist ein richtig wunderbares Dorf mit einer sehr eingeschworenen Gemeinschaft.«

»Na super.« Er schloss die Augen, als würde ihm diese Neuigkeit Qualen bereiten. »Das hatte Luc vergessen zu erwähnen.«

Seine schroffe, abfällige Haltung war genau wie Tims. Doch Evie mochte Luc und vertraute seinem Urteil. Vielleicht war Jake Hartwood weniger schlimm, wenn man ihn kannte.

Sie trank ihre heiße Schokolade aus und richtete die Eispackung, die zu schmelzen begann. Der Schmerz in ihrem Knöchel ließ bereits nach, und sie war froh, denn sie konnte es sich nicht leisten, jemanden zu bezahlen, der im Laden übernahm, während sie lahmgelegt war. »Kann ich das jetzt wegnehmen? Es ist so kalt.«

»Ja.«

»Woher kennst du Luc?«, erkundigte sie sich und zog ihre Socke wieder an. Sie fühlte sich warm und weich an, und Evie wackelte mit den Zehen.

»Wir haben uns vor Jahren durch einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Als ich meine Firma gründete, hat er mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden.«

Sie gähnte. Vielleicht lag es an der Wärme des Feuers oder an der Tatsache, dass sie gestern bis tief in die Nacht seine Vorhänge genäht und danach den ganzen Tag gearbeitet hatte. »Was machst du noch gleich?«, fragte sie schläfrig.

Er sah sie an. »Habe ich doch gesagt. Ich importiere Wein.«

»Ach ja.« Sie unterdrückte ein weiteres Gähnen. »Hört sich langweilig an, aber ich schätze, es hilft, dass du gerne trinkst.« Wieder schaute sie zur Whiskyflasche.

Er presste die Lippen zusammen. »Du musst das übrigens nicht die ganze Nacht durchhalten.«

»Was durchhalten?«

»Dieses sinnlose Geplapper. Es ist spät, und du redest zu viel.«

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