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Das Geheimnis der Mackenzies

Joe Mackenzies größter Traum hat sich erfüllt: Er ist Pilot bei der Air Force geworden. Jetzt soll er zusammen mit seinem Team und einigen Wissenschaftlern an einem Geheimprojekt arbeiten. Doch ausgerechnet Dr. Caroline Evans wird von Washington zu dem einsamen Camp in der Wüste entsandt. Prompt befürchtet Joe Komplikationen: Die außergewöhnlich attraktive Wissenschaftlerin könnte seine Männer zu sehr ablenken! Er sieht nur einen Ausweg: Er und Dr. Evans werden eine Scheinbeziehung eingehen. Zum Glück kann er die ebenso intelligente wie unerfahrene Caroline von der kühlen Logik seines Vorschlags überzeugen. Doch dann verlangt seine Rolle, dass er Caroline vor versammelter Mannschaft innig küsst, und dabei beginnt für Joes Herz ein steiler Sturzflug in Richtung Liebe.


  • Erscheinungstag: 15.02.2016
  • Seitenanzahl: 203
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955765934
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Er war schon eine Legende, bevor er die Akademie abgeschlossen hatte, vor allem für seine gleichaltrigen Kameraden und bei den Jüngeren. Als Bester seines Jahrgangs konnte er frei wählen, wie es für ihn weitergehen sollte. Dass er sich für Kampfjets entschied, überraschte niemanden. Jeder wusste, dass man als Pilot am schnellsten die Karriereleiter in der Air Force erklomm, und die Jets mit ihren glänzenden Flügeln waren nun mal Vorzeigeobjekte. Doch diejenigen, die Joe Mackenzie, den frischgebackenen Offizier der United States Air Force, kannten, wussten, dass die Karriere ihn keinen Deut interessierte. Er wollte einfach nur fliegen.

Seine Vorgesetzten hegten zunächst leichte Zweifel an seiner Eignung für den Kampfjet. Aber es war das Training, das er sich ausgesucht hatte, und sie würden ihm diese Chance geben. Gut einsneunzig groß, war Mackenzie eigentlich zu groß für einen Kampfflieger. Das Cockpit eines Jets würde eng für ihn werden, vor allem kamen Männer unter einsachtzig und von massiverer Statur besser mit den Gravitationskräften zurecht. Aber zu jeder Regel gab es Ausnahmen. Die Angaben für den Körperbau eines Kampfpiloten waren allgemeine Richtlinien, keine streng einzuhaltenden Anweisungen. Joe Mackenzie wurde zum Kampfflugtraining zugelassen.

Seine Ausbilder mussten bald feststellen, dass Joe Mackenzie trotz seiner Größe nicht nur gut war, er war herausragend. Er galt als seltene Ausnahmeerscheinung, die für alle nachfolgenden Piloten neue Maßstäbe setzen würde. Er schien für das Fliegen geboren zu sein. Seine Augen waren schärfer, seine Reflexe schneller, und er hielt die Gravitationskräfte besser aus als seine kleineren und bulligeren Trainingskameraden. In Physik und Aerodynamik blieb er weiterhin an der Spitze, er bediente die Instrumente mit fließender Perfektion, und er war bereit, endlose Stunden im Flugsimulator zu verbringen, um seine Fähigkeiten zu perfektionieren. Vor allem besaß er die Eigenschaft, eine Situation blitzschnell zu erfassen und entsprechend zu reagieren. Alle Piloten brauchten diese Fähigkeit, aber bei Joe Mackenzie war sie extrem hoch entwickelt. Joe Mackenzie wurde als “Hot Stick” bekannt, einer von denen, die den magischen Touch hatten.

Als junger Captain im Golfkrieg schoss er an einem Tag drei gegnerische Maschinen ab. Zu seiner Erleichterung wurde das nicht publiziert. Die Gründe waren politischer Natur: Um die Beziehungen zu stärken, wollten die USA den Ruhm vorerst den Piloten der Alliierten überlassen. Captain Mackenzie hatte überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Eigentlich war es Zufall gewesen, dass er sich am zweiten Tag des Krieges mitten im heißesten Kampfgetümmel wiederfand. Das Können der gegnerischen Piloten beeindruckte ihn nicht.

Das Resultat war jedoch eine sofortige Ernennung zum Major, und alle wussten, dass Joe Mackenzie, der unter dem Emblem “Breed” flog, sich auf der Überholspur zum Stern eines Generals befand.

Im zweiten Golfkrieg gingen zwei weitere Abschüsse auf das Konto von Major Mackenzie, sein Ruf als Fliegerass stand fest. Dieses Mal wurden seine Erfolge nicht aus den Medien herausgehalten, das Pentagon wollte es auch gar nicht mehr. Die Verantwortlichen hatten erkannt, welche Goldmine man mit dem gut aussehenden amerikanisch-indianischen Halbblut aufgetan hatte, das alle Qualitäten in sich vereinte, die man so unbedingt nach außen projizieren wollte. Er hatte freie Wahl hinsichtlich des Einsatzbereichs und der Aufgaben und wurde im Alter von zweiunddreißig Jahren in den Rang eines Lieutenant-Colonel erhoben.

Niemand zweifelte daran, dass es für Breed Mackenzie nur eine Richtung gab – aufwärts.

1. KAPITEL

Sie war eine Schönheit, die heißeste Braut, die er je gesehen hatte. Schnell und schlank – und tödlich. Allein bei ihrem Anblick schlug sein Puls schneller. Selbst hier im Hangar, mit kalten Motoren und Bremsklötzen an den Rädern, wirkte sie wie die lebendige Verkörperung der Schnelligkeit.

Colonel Joe Mackenzie strich mit langen schlanken Fingern über ihren Rumpf, zärtlich wie ein Liebhaber. Die dunkle Metallhülle fühlte sich glatt und seidig an, anders als bei jedem Jet, den er bisher geflogen hatte. Dieser Unterschied berauschte Joe. Er wusste, es lag an der revolutionären Legierung, einer Mischung aus Thermokunststoff, Graphit und Glasfasern, die weit härter, widerstandsfähiger und zugleich dehnbarer war als Stahl. Sie würde größeren Kräften standhalten als jedes Flugzeug vor ihr. Das war die rationale Erklärung. Emotional jedoch war er der festen Überzeugung, dass sie lebendig war und deshalb alles aushalten würde. Sie fühlte sich nicht an wie Metall, war nicht so kalt. Wahrscheinlich lag das an der Glasfaser.

Entwicklungsprojekte erhielten normalerweise Codenamen, die nichts über die Art des Programms verrieten. Aus diesem Grund war der Vorläufer, der SR-71 Blackbird, “Ochsenkarren” genannt worden. Die Entwicklung dieser zweiten Generation von Kampfjets lief unter dem Projektnamen “Night Wing”. Erst wenn die Serienproduktion anlief, würde man sich wohl für einen weniger poetischen Namen wie F-15 Eagle oder F-17 Falcon entscheiden. Für Colonel Mackenzie jedoch hieß die Maschine “Baby”. Es gab fünf Prototypen, und er nannte sie alle “Baby.” Die Testpiloten, die dem Projekt unter seinem Kommando zugeteilt worden waren, beschwerten sich darüber, dass Baby – welche es auch gerade war – bei anderen Piloten aufmuckte, weil er sie mit seinem Flugstil verwöhnte. Daraufhin hatte Colonel Mackenzie seine Leute mit seinem berüchtigten eisblauen Blick bedacht und erwidert: “Ich weiß, das sagen auch alle meine Frauen über mich.” Sein Gesicht war dabei so ausdruckslos geblieben, dass die Männer nicht wussten, ob das nun als Scherz oder ernst gemeint war. Sie nahmen an, es war sein Ernst.

Joe Mackenzie hatte schon eine Menge Flugzeuge geflogen, aber Baby war etwas ganz Besonderes, nicht nur wegen der neuartigen Konstruktion und der Kraft, die in ihr steckte, sondern auch wegen ihres Waffensystems. Sie war eine wahrhaft revolutionäre Neuerung. Und sie gehörte ihm. Als Leiter des Entwicklungsprojekts lag es in seiner Verantwortung, ihr über die ersten Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, damit die Produktion anlaufen konnte. Das hieß, wenn der Kongress die Gelder bewilligte. General Ramey war allerdings zuversichtlich, dass es da keine Schwierigkeiten geben würde.

Baby war so außergewöhnlich, dass nur die Besten der Besten zu dem Projekt zugelassen worden waren, es herrschte höchste Geheimhaltungsstufe. Bei den strengen Sicherheitsvorkehrungen kamen nichts und niemand ohne entsprechende Berechtigung in den Hangar.

“Brauchen Sie etwas, Sir?”

Joe drehte sich um und richtete seinen Blick auf Staff Sergeant Dennis Whitside, von allen nur “Whitey” genannt. Whitey hatte feuerrotes Haar, unzählbar viele Sommersprossen und war als Flugzeugmechaniker ein unübertroffenes Genie. Whitey betrachtete Baby als sein Flugzeug. Er ließ nur zu, dass die Piloten es anfassten, weil er bis jetzt noch keine Möglichkeit gefunden hatte, das zu verhindern.

“Ich wollte nur noch mal nach ihm sehen, bevor ich für heute Schluss mache”, antwortete Joe. “Hatten Sie nicht auch schon vor Stunden Dienstschluss?”

Whitey zog ein Tuch aus der hinteren Hosentasche und polierte den Fleck weg, den Joes Finger auf der Hülle hinterlassen hatten. “Es gab da ein paar Arbeiten, die ich beaufsichtigen wollte. Sie steigen morgen früh mit ihm auf, nicht wahr, Sir?”

“Ja.”

Whitey schnaubte. “Zumindest gehen Sie nicht so grob mit ihm um wie manch anderer von den Jungs.”

“Wenn Ihnen auffällt, dass meine Jungs falsch mit den Maschinen umgehen, lassen Sie es mich wissen.”

“Na, das kann man eigentlich nicht sagen. Es ist nur … Die haben eben nicht Ihr Fingerspitzengefühl.”

“Trotzdem. Ich meine, was ich sagte.”

“Jawohl, Sir.”

Joe klopfte Whitey auf die Schulter und ging in Richtung seines Quartiers. Der Sergeant schaute ihm lange nach. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass der Colonel jeden Piloten zur Rechenschaft ziehen würde, sollte er nachlässig oder leichtsinnig mit dem Prototyp verfahren. Colonel Mackenzie war dafür berüchtigt, nicht weniger als absolute Perfektion von seinen Piloten zu verlangen. Im Gegenzug wussten alle, dass er das Leben seiner Männer über alles stellte. Die Wartung der Maschinen hatte also oberste Priorität. Deshalb war Whitey auch noch im Hangar. Mackenzie erwartete von allen seinen Leuten vollen Einsatz, ohne Ausnahme. Ein Fehler der Bodencrew konnte den Verlust eines der Achtzig-Millionen-Dollar-Vögel bedeuten, oder schlimmer noch, den Verlust eines Mannes. Jemand mit einer lässigen Einstellung hatte in diesem Projekt keinen Platz.

Als Joe durch die Wüstennacht ging, sah er in einem der Büros noch Licht brennen und lenkte seine Schritte zu dem Container. Er hatte nichts dagegen, wenn jemand noch spät arbeitete. Aber er erwartete auch von seinen Leuten, dass sie am nächsten Morgen frisch und ausgeruht zum Dienst antraten. Es gab ein paar Workaholics beim Night Wing-Projekt, die zwanzig Stunden durcharbeiten würden, wenn er sie nicht aufhielt.

Seine Schritte waren kaum zu hören. Nicht weil er sich anschleichen wollte, sondern weil man es ihm so beigebracht hatte, von dem Moment an, da er Laufen gelernt hatte. So oder so hätte ihn niemand hören können, die Klimaanlage in den Containern lief ständig, um die Juli-Hitze zu vertreiben. Kühl wurde es dennoch nicht, da die Sonne die Metallhütten stets stark aufheizte.

Nur ein Fenster des Gebäudes war beleuchtet. Der Arbeitsbereich beherbergte das zivile Team, das vor Ort an der Laserzieltechnologie arbeitete. Macken tauchten immer auf, sobald ein neues System getestet wurde, und diese Fehler sollten so schnell wie möglich behoben werden. Jetzt fiel Joe wieder ein, dass heute ein neuer Techniker ankommen sollte, als Ersatz für einen Mann aus dem Team, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Mann hatte sich zwar wieder erholt, doch der medizinische Offizier war der Meinung, dass eine weitere Arbeit bei über dreißig Grad Hitze nicht mehr möglich sei. Also hatte die Firma einen Ersatz geschickt.

Joe war neugierig auf das neue Crewmitglied, eine Frau namens Caroline Evans. Er hatte die anderen drei Zivilisten stöhnen hören, als ihr Name gefallen war. Sie hatten sie “die Schönheitskönigin” genannt; das hatte sich nicht gerade nach einem Kompliment angehört. Das Team mochte aus Zivilisten bestehen, aber Joe würde keine Spannungen in der Gruppe zulassen, die sich auf die Arbeit auswirkten. Wenn sie nicht miteinander auskamen, würde er nach einem Ersatz für den Ersatz verlangen. Wer immer dort so spät noch arbeitete, er würde sich bei ihm erkundigen, ob Miss Evans angekommen war und warum genau ihre Ankunft eine solche Reaktion hervorgerufen hatte.

Joe ging leise auf die offene Tür zu und blieb einen Moment im Rahmen stehen. Die Frau in dem Büro musste die Schönheitskönigin selbst sein, denn sie hatte er noch nie hier gesehen. An sie würde er sich auf jeden Fall erinnern.

Es war alles andere als unangenehm, sie zu betrachten. Unmerklich versteifte er sich, als jeder Muskel in seinem Körper sich anspannte und in Alarmbereitschaft ging. Er war müde, doch plötzlich pulste Adrenalin durch ihn hindurch, alle Sinne waren geschärft. Das geschah sonst nur, wenn er im Cockpit saß, die Rückstoßraketen einschaltete und jäh vorwärts schoss.

Sie trug einen gerade geschnittenen, roten Rock, der knapp über den Knien endete. Die Schuhe hatte sie ausgezogen, die nackten Füße auf die Schreibtischkante gelegt und sich mit dem Stuhl, in dem sie saß, nach hinten gelehnt. Joe stützte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und studierte die bloßen Schenkel, die sich seinem Blick darboten. Auf Strümpfe hatte Miss Evans bei der Hitze verzichtet. Es waren hübsche Beine, wie er zugeben musste. Nein, nicht hübsche … umwerfende Beine.

Ein fetter Computerausdruck lag auf ihrem Schoß. Sie las jede Zeile und prüfte ab und zu etwas in dem Buch, das aufgeschlagen neben ihr lag. Eine Tasse grünen Tees stand in unmittelbarer Reichweite. Ohne hinzuschauen griff sie relativ häufig danach und nippte daran. Ihr Haar war hell und schulterlang, klassisch aus dem Gesicht zurückgekämmt. Obwohl er nur einen Teil ihres Gesichts sehen konnte, fiel ihm auf, dass sie hohe Wangenknochen und volle Lippen hatte.

Er wollte sie von vorn, nicht nur im Profil sehen. Ihre Augen interessierten ihn, und er wollte ihre Stimme hören.

“Zeit, für heute Schluss zu machen”, sagte er.

Mit einem unterdrückten Aufschrei zuckte sie auf dem Stuhl zusammen, der Tee spritzte in die eine Richtung, der Ausdruck flog in die andere, die langen Beine kamen ruckartig auf den Boden, und der Stuhl rollte abrupt rückwärts und landete krachend vor dem Karteischrank. Sie wirbelte herum, eine Hand an der Brust, so als könne sie dadurch ihren Herzschlag beruhigen. Eine sehr wohlgeformte Brust, wie Joe auffiel, denn mit ihrer Geste hatte sie den dünnen Baumwollstoff fest zurückgedrückt.

Ärger huschte über ihre Züge, schnell wie ein Blitz, und war auch wie der Blitz verschwunden. Sie riss die Augen auf. “Ach, du meine Güte, das ist ja G.I. Joe!”, entfuhr es ihr.

Der Sarkasmus war ihm nicht entgangen. Er hob eine schwarze Augenbraue. “Colonel G.I. Joe.”

“Ja, das sehe ich”, meinte sie bewundernd. “Ein richtiger Air Force Colonel. Und ein Ringträger.” Sie deutete auf seine Hand, an der er den Ring trug, der ihn als Akademieabsolventen auswies. “Entweder Sie haben einen Colonel überfallen und ausgeraubt, sich ein Facelifting machen lassen und Ihr Haar schwarz gefärbt, oder Sie haben einen Sponsor mit einer dicken Brieftasche im Rücken, der Sie die Ränge hinaufgehievt hat.”

Seine Miene blieb völlig ausdruckslos. “Vielleicht bin ich auch einfach nur verdammt gut in dem, was ich tue.”

“Beförderung auf Grund von Verdiensten?” Sie fragte es mit einer Betonung in der Stimme, als sei das völlig abwegig. “Nein, bestimmt nicht.”

Bei Frauen war Joe an die unterschiedlichsten Reaktionen gewöhnt. Sie reichten von Faszination bis Verschüchterung und basierten immer auf dem Bewusstsein seiner körperlichen Präsenz. Er war ebenso daran gewöhnt, automatisch Respekt einzuflößen, wenn auch nicht unbedingt Sympathie zu wecken. Doch in Caroline Evans’ Augen stand nichts dergleichen. Sie hielt den Blick unverwandt auf ihn gerichtet und musterte ihn abschätzend, wie einen Revolverhelden. Ja, das war es. Sie musterte ihn wie einen Gegner.

Er stieß sich vom Türrahmen ab und beschloss, die Situation auf eine professionelle Ebene zu bringen. Sie sollte wissen, mit wem sie es tun hatte. “Colonel Joe Mackenzie, Projektleiter.” Laut Protokoll war es die Frau, die entschied, ob man sich per Handschlag begrüßte. Ein männlicher Offizier bot nie zuerst seine Hand an. Aber Joe wollte ihre Hand in seiner fühlen und ahnte, dass, sollte er ihr die Wahl überlassen, es nicht zu dieser Berührung kommen würde.

Sie zögerte nicht, sondern schlug ein. “Caroline Evans. Ich übernehme Boyce Waltons Platz im Laserteam.” Einmal fest zugedrückt, dann zog sie ihre Hand zurück.

Da sie barfuß war, reichte sie ihm gerade bis zum Schlüsselbein, Joe schätzte sie auf einsdreiundsechzig. Der Größenunterschied schüchterte sie nicht ein, auch wenn sie aufblicken musste, um seinem Blick begegnen zu können. Ihre Augen waren dunkelgrün und umrahmt von schwarzen Wimpern und schwarzen Brauen, was darauf schließen ließ, dass blond nicht ihre natürliche Haarfarbe war.

Mit dem Kopf deutete er zu dem auf den Boden gefallenen Ausdruck. “Warum arbeiten Sie noch so spät, vor allem an Ihrem ersten Tag? Stimmt vielleicht etwas nicht, über das ich informiert werden sollte?”

“Nicht dass ich wüsste.” Sie ging in die Hocke, um den Packen Papier aufzuheben. “Ich wollte nur ein paar Dinge noch einmal überprüfen.”

“Wieso? Warum glauben Sie, das tun zu müssen?”

Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. “Ist chronisch bei mir – alles zweimal zu prüfen. Ich schaue immer zweimal nach, ob ich den Herd abgestellt habe, ob das Bügeleisen auch wirklich aus ist, ob die Tür abgeschlossen ist. Ich sehe mich auch zweimal um, bevor ich eine Straße überquere.”

“Und Sie haben nichts gefunden, das nicht stimmt?”

“Nein, natürlich nicht. Das sagte ich doch schon.”

Er entspannte sich. Mit dem System war also so weit alles in Ordnung. Damit hatte er wieder Muße, sich der Betrachtung von Caroline Evans zu widmen. Sie zog jetzt zwei Tücher von der Haushaltsrolle in der Schreibtischschublade und wischte den verschütteten Tee auf. Ihre Bewegungen waren fließend, perfekt koordiniert … und sexy, fand Joe. Überhaupt würde er alles an ihr, selbst die kaum verheimlichte Herausforderung in ihrem Blick, als sexy bezeichnen.

Sie warf die nassen Papiertücher in den Abfallkorb und schlüpfte in ihre Schuhe. “Nett, Sie kennengelernt zu haben, Colonel.” Bei den Worten sah sie ihn nicht an. “Wir sehen uns ja dann morgen früh.”

“Ich begleite Sie zu Ihrem Quartier.”

“Nein, danke.”

Die lässige Ablehnung verärgerte ihn. “Es ist spät und Sie sind allein. Ich begleite Sie.”

Jetzt sah sie ihn an und stemmte die Hände in die Hüften. “Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Colonel, aber ich brauche diese Art Sonderbehandlung nicht.”

“Diese Art Sonderbehandlung? Wovon reden Sie überhaupt?”

“Die Art, die nur Schaden anrichtet. Sehen Sie, Sie sind hier der große Boss. Wenn jemand sieht, wie Sie mich zu meinem Quartier begleiten, macht es innerhalb von zwei Tagen die Runde. Ich muss mir dann die dummen Bemerkungen anhören, dass ich nie hier wäre, wenn ich mich nicht bei Ihnen eingeschmeichelt hätte. Darauf kann ich gut und gerne verzichten.”

“Ah.” Er begann zu verstehen. “Das ist Ihnen schon öfter passiert, oder? Man traut Ihnen bei Ihrem Aussehen keinen Verstand zu, ist es das?”

Ihr Blick wurde herausfordernd. “Was soll das heißen, ‘bei meinem Aussehen’? Wie sehe ich denn aus?”

Sie war stachelig wie ein Igel, und trotzdem wollte Joe am liebsten die Arme um sie legen und ihr versichern, dass er von jetzt an für sie kämpfen würde. Begrüßen würde sie eine solche Geste wohl kaum, das war ihm klar. Sie schien durchaus in der Lage, ihre eigenen Schlachten zu schlagen. Am cleversten wäre, er würde jetzt auf Nummer sicher gehen und irgendetwas Unverfängliches von sich geben, damit er ihr nicht noch weiter auf die Füße trat. Aber er war nicht Kampfpilot geworden, weil er auf Nummer sicher ging.

“Bezaubernd”, antwortete er, und sein Blick war vielsagend.

Sie blinzelte, so als sei sie überrascht, wich einen Schritt zurück und stieß ein verwirrtes “Oh” aus.

“Sie müssen doch wissen, dass Sie attraktiv sind”, meinte er nüchtern.

Sie blinzelte noch einmal. “Das Aussehen sollte keine Rolle spielen. Sie sehen ja auch aus wie ein wandelndes Rekrutierungsposter, aber Ihrer Karriere hat es nicht geschadet, oder?”

“Ich setze mich hier nicht für Diskriminierung ein. Sie haben gefragt, und ich habe geantwortet. Sie sehen appetitlich aus.”

“Oh.” Sie beäugte ihn argwöhnisch, als sie an ihm vorbeiging.

Er hielt sie am Ellbogen fest. Ihre warme weiche Haut an seiner Handfläche reizte ihn, mehr zu erforschen, doch er beherrschte sich. “Wenn irgendjemand Sie behelligt, kommen Sie zu mir, Caroline.”

Ihr Blick fiel alarmiert auf seine Hand. “Äh … ja, sicher.”

“Auch wenn es jemand aus Ihrem eigenen Team ist. Sie sind Zivilistin, aber das hier ist mein Projekt. Ich kann jeden jederzeit austauschen, wenn er Probleme macht.”

Die Berührung machte sie nervös, Joe konnte es ihr ansehen. Er betrachtete sie einen langen Moment mit zusammengezogenen Augenbrauen, bevor er sie losließ. “Ich meine es ernst”, sagte er jetzt milder. “Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, kommen Sie zu mir. Mir ist klar, dass Sie sich nicht von mir begleiten lassen wollen. Aber ich muss sowieso in die Richtung, da ich auch ins Bett will. Ich gebe Ihnen dreißig Sekunden Vorsprung, so dass wir nicht zusammen gehen.”

“Dreißig Sekunden sind nicht sehr viel.”

Er zuckte die Schultern. “Das reicht für dreißig Meter.” Er schaute auf seine Armbanduhr. “Die Zeit läuft.”

Sie drehte sich um und floh. Anders konnte man es nicht bezeichnen. Am liebsten hätte sie wohl noch den engen Rock gerafft und wäre gerannt. Joe sah ihr mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend nach. Als die dreißig Sekunden um waren, verließ er den Container und erhaschte noch die Konturen ihrer schlanken Gestalt in der Ferne. Sie hastete durch die Dunkelheit. Auf dem Weg zu seinem eigenen Quartier fragte er sich, was wohl eine solche Amazone in ein scheuendes Fohlen verwandelt haben mochte.

Caroline schlug die Tür ihres spartanischen Quartiers hinter sich zu und verschloss sie hastig. Dann lehnte sie sich atemlos dagegen. Sie hatte das Gefühl, gerade einem gefährlichen Raubtier entkommen zu sein. Was dachte die Air Force sich nur dabei, diesen Mann frei herumlaufen zu lassen? Er sollte versteckt im Pentagon hinter irgendeinem Schreibtisch sitzen. Für ihre Poster konnten sie ihn ja ruhig benutzen, aber sie sollten die Frauen Amerikas vor ihm schützen!

Vielleicht lag es an seinen Augen, hell und durchdringend wie die Laserstrahlen, mit denen sie arbeitete. Vielleicht war es auch die Art, wie er vor ihr gestanden und sie überragt hatte. Oder sein muskulöser Körper, der so viel Kraft ausstrahlte. Oder seine tiefe samtene Stimme, als er “bezaubernd” gesagt hatte. Oder die warme schwielige Hand, die an ihrem Ellbogen gelegen hatte. Vielleicht war es ja alles zusammen. Doch die Panik war gekommen, als sie den hungrigen Schimmer in seinem Blick erkannt hatte.

Bis dahin hatte sie sich eigentlich gut gehalten. Sie hatte eine ihrer besten Shows geliefert, war sowohl arrogant als auch abweisend gewesen. Das hatte bisher noch bei jedem Mann gewirkt. Zwar förderte es nicht gerade Freundschaften mit ihren Kollegen, aber dafür wurden auch jegliche Annäherungsversuche von vornherein im Keim erstickt. Während ihrer Schul- und Universitätszeit und in den ersten Jahren im Berufsleben hatte Caroline so viele Kämpfe ausfechten müssen, dass sie zu der Überzeugung gekommen war, Angriff sei immer die beste Verteidigung. Eigentlich hätte sie auf Grund ihrer Erfahrungen die Haltung mühelos wahren müssen. Doch ein Blick von Colonel “Laserblick” Mackenzie, ein winziges Kompliment von ihm, und schon hatten sich sowohl Haltung als auch Vernunft verflüchtigt. Sie war soeben vernichtend geschlagen worden.

Nun, so etwas kann passieren, wenn man Intellektuelle als Eltern hat, sagte sie sich. Vater und Mutter mit Doktortitel hatten die Begabung ihres einzigen Sprösslings sofort erkannt und alles darangesetzt, Caroline die bestmögliche Ausbildung zukommen zu lassen. Während ihrer gesamten Schulzeit war sie immer die Jüngste gewesen, einfach weil sie schneller vorankam als die anderen. In der High School hatte sie nicht eine einzige Verabredung gehabt. Sie war zu jung, zu schlaksig, zu wenig interessant. Die Pubertät hatte bei ihr erst drei Jahre nach den Klassenkameradinnen eingesetzt. Als sie mit der Uni anfing, wurde es auch nicht viel besser. Welcher Student mit einigermaßen Verstand ließ sich schon mit einem sechzehnjährigen Mädchen ein, wenn es doch so viele andere hübsche, willige und vor allem nicht mehr minderjährige Alternativen gab?

Isoliert und einsam, hatte Caroline sich ganz auf ihr Studium konzentriert und feststellen müssen, dass sie mit achtzehn sämtliche notwendigen Hauptseminare absolviert hatte. Ungefähr zur gleichen Zeit fiel den Vertretern des männlichen Geschlechts in ihren Kursen auf, dass die kleine Evans zwar ein Bücherwurm, aber doch eigentlich recht nett anzusehen war. Da Caroline allerdings kaum Verabredungen mit Gleichaltrigen kannte, hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie mit den Jungen umgehen sollte, mit diesen … diesen Tintenfischen, die plötzlich ihre Hände nicht mehr von ihr lassen konnten. Verwirrt und beunruhigt, zog sie sich noch weiter in ihre Studien zurück und legte sich spitze Stacheln als Schutzmantel zu.

Es war nicht so, als hätte sich das hässliche Entlein über Nacht in einen stolzen Schwan verwandelt. Sie war einfach von einem schlaksigen Teenager zur Frau geworden. Die körperliche Entwicklung verlief langsam, so als wolle Mutter Natur Carolines davonsputenden Geist durch einen trödelnden Körper ausgleichen. Eigentlich war es immer schlechtes Timing gewesen. Während ihre Klassenkameradinnen die Pubertät durchliefen, spielte sie im wahrsten Sinne des Wortes noch mit Puppen; als sie in die Pubertät kam, hatten die anderen schon ihre festen Freunde, mit denen sie ausgingen. Und als Caroline begann, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, da waren die Jungs bereits alle an ein sehr viel höheres Maß an Intimität gewöhnt, als sie ihnen zu geben bereit war.

Letztendlich war es einfacher, alle auf Distanz zu halten.

Und hier stand sie nun, achtundzwanzig Jahre alt, ausgestattet mit einem selten hohen IQ und einem Doktortitel in Physik, eine Kapazität auf dem Gebiet der Lasertechnologie, reduziert auf Idiotie und Panik, weil ein Mann gesagt hatte, sie sehe “bezaubernd” aus.

Es war abscheulich.

Es war auch beängstigend. Denn Colonel Mackenzie war keineswegs so brüskiert gewesen, wie sie beabsichtigt hatte. Nein, er hatte eher so ausgesehen, als würde er eine Herausforderung mit Freuden annehmen.

Caroline schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Der Colonel war ein Jetjockey, Herrgott noch mal! Das war eine ganz andere Spezies. Das waren Männer, die die Herausforderung suchten. Je größer die Herausforderung, desto mehr reizte es sie. Um sich jemanden wie ihn vom Leib zu halten, musste sie sich schwach und nachgiebig geben, vielleicht sogar hier und da einfältig lächeln. Das Problem war nur – das hatte ihr nie gelegen. Gäbe es einen Kurs in diesen Dingen, sie würde ihn sofort belegen und üben, bis sie es durch und durch verinnerlicht hätte.

Vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Sie würde sich ab jetzt lieb, nett und hilflos benehmen, um ihn zu narren. Nein, das ging auch nicht … damit würde sie nur die Aufmerksamkeit der anderen Männer auf sich lenken, die so etwas an Frauen mochten.

Sie steckte in der Klemme. Was sie auch tun würde, es wäre verkehrt.

Nun, dann blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich auf einen guten Kampf einzustellen.

In seinem Quartier angekommen, legte Joe die Uniform ab und stellte sich unter die kalte Dusche, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Die Hitze in der Wüste war unerträglich, sie zog einem die Feuchtigkeit aus dem Leib, bis man meinte, dass sogar die Augäpfel trockenlagen. Doch Baby brauchte ein engmaschiges Sicherheitsnetz, und hier auf der Nellis Air Force Base in Nevada gab es das. Allen Unbequemlichkeiten und Entbehrungen zum Trotz war er dankbar für die gebotene Sicherheit. Joe grauste jetzt schon vor dem Moment, in dem der Mantel der Geheimhaltung gelüftet werden würde. Sobald der Kongress das Budget bewilligte, würden die Medien angeströmt kommen und Baby begutachten wollen. Allerdings waren dem Flugzeug die revolutionären Neuerungen nicht anzusehen. Vom Design her unterschied es sich nicht viel vom F-22. Deshalb war es ihnen ja auch möglich gewesen, die Testflüge hier von Nellis aus zu starten, anstatt von der Edwards-Militärbasis in Kalifornien, die normalerweise für so etwas benutzt wurde. In Edwards lungerten immer Schnüffler herum, um etwas Neues aufzuspüren. Hier in Nellis, unter so vielen verschiedenen Flugzeugtypen, fiel Baby weniger auf.

Die anderen Piloten, die hier stationiert waren, wussten natürlich, dass sie ihre Testflüge mit einem Flugzeug unternahmen, das nicht in allen Details dem F-22 entsprach, aber nicht mal diejenigen, die am Projekt beteiligt waren, hatten bisher einen Blick auf die Night Wing-Prototypen werfen können. Die Unterschiede lagen in der Ummantelung, in der Elektronik, im Waffensystem. Wenn ihre Existenz bekannt werden würde, würde das die Nachrichtendienste aller Herren Länder auf den Plan rufen und die Sicherheitsmaßnahmen müssten weiter verschärft werden, auch wenn Joe sich nicht denken konnte, wie das überhaupt möglich sein sollte.

Während er noch über den Jet nachdachte, schob sich plötzlich das Bild von Caroline Evans in seine Gedanken. Er grinste. Musste sicher interessant sein, diesen kleinen stacheligen Igel handzahm zu machen. Seine Haut prickelte plötzlich heiß, trotz des kalten Wassers. Er stellte die Dusche ab und stieg aus der Kabine. Wenn er mit ihr unter der Dusche stände, dann würden sie das Wasser sicherlich zum Verdampfen bringen …

Von dem Ventilator der Klimaanlage ließ er sich trocknen. Er genoss die kalten Schauer, die in Wellen über seine feuchte Haut liefen, aber die Kälte half nicht besonders, um das Ziehen in seinen Lenden zu entspannen. Grimmig verdrängte er die Gedanken an Miss Evans. Als er nicht mehr tropfte, ging er, noch immer nackt, in die Küche und bereitete sich ein Sandwich zu. Frei von Kleidung, entspannte er sich langsam. Fast sein halbes Leben hatte er nun in der Armee verbracht, umgeben von Regeln und in Uniform, und er fühlte sich auch zu Hause wohl in Dienstkleidung. Aber da war immer noch ein Teil in ihm, der ab und zu aufbegehrte und laut schrie, dass es nun reiche, und dann musste er sich einfach seiner Kleider entledigen.

Aufgewachsen war Joe auf einer Pferderanch in Wyoming. Wann immer es ihm möglich war, kehrte er dorthin zurück. Dann verbrachte er eine oder zwei Wochen damit, die wildesten Broncos auf der Ranch zu reiten. Doch jetzt war er vorerst mit dem Night Wing-Projekt beschäftigt und hatte keine Freizeit, also mussten die Kleider weg. Er verspürte nur Bedauern, wenn er seine Fliegermontur ausziehen musste. Könnte er seine gesamte Zeit in der Luft verbringen, er wäre zufrieden.

Es war ein Elend. Je höher er befördert wurde, desto weniger flog er. Verwaltungspflichten und Papierkram nahmen mehr und mehr seiner Zeit in Anspruch. Die Position als Projektleiter hatte Joe nur übernommen, weil man ihm zugesichert hatte, dass er Baby würde fliegen können. Die Air Force wollte die besten Piloten im Cockpit sitzen haben; die zugeteilten Jungs waren die Crème de la Crème. Allerdings wollte die Air Force auch den Besten dabei haben, und Colonel Joe Mackenzie war nun mal noch immer unerreicht.

Joe bildete sich nichts ein auf seine Fähigkeiten als Pilot. Er hatte hart dafür gearbeitet. Geboren worden war er mit dem Intellekt, mit der Sehstärke und den Reflexen. Doch alles andere beruhte auf endlosen Stunden des Lernens, des Trainings und des Drills im Flugsimulator, bis jede seiner Reaktionen automatisch erfolgte und nahezu fehlerlos saß. Selbst mit fünfunddreißig war seine Reaktionszeit immer noch kürzer als die der jungen Draufgänger, die gerade von der Akademie kamen. Auch seine Augen waren besser. Er war noch lange nicht genug geflogen. Wenn die Armee ihn nur lassen würde! Er war die Ränge so schnell hinaufgeklettert, dass er sich wahrscheinlich in einem Jahr den ersten Generalsstern anstecken konnte. Und wenn er Glück hatte, würde er auch genügend Flugstunden einlegen können, um nicht aus der Übung zu kommen.

Eine Alternative war es, den Dienst zu quittieren und als Testpilot bei irgendeinem Flugzeugbauer anzufangen. Doch damit würde er die Jahre beim Militär wegwerfen, und Joe gefiel es in der Air Force, er wollte nicht gehen. Aber die Vorstellung, am Boden festzusitzen, war ihm unerträglich. Das Leben wäre fad und öde, ohne die Herausforderung, sowohl die Natur als auch die Technik gleichzeitig zu meistern. Zu wissen, dass es ihn sein Leben kosten konnte, wenn er versagte.

Caroline kam ihm wieder in den Sinn. Sie war eine andere Art von Herausforderung, mit ihren Desperado-Augen. Er sah diese Augen genau vor sich. Dunkelgrün, etwas Blau beigemengt und goldene Punkte, die irgendwo tief da drinnen leuchteten. Sich vorzustellen, wie diese Augen ihn anblickten, während er sich langsam im Bett über sie schob, ließen seinen Puls hart und schnell schlagen.

Er wollte diesen kleinen Igel zum Schnurren bringen wie ein kleines Kätzchen.

2. KAPITEL

Caroline stellte höchste Ansprüche an ihre Bequemlichkeit, was wiederum bedeutete, dass es manchmal recht lange dauern konnte, bevor sie angezogen war. Wenn sie sich an einem Tag in etwas Bestimmtem nicht wohl fühlte, zog sie es wieder aus und probierte etwas anderes an. Bevor sie zur Arbeit ging, setzte sie sich hin, streckte und reckte sich, hob die Arme über den Kopf und drehte sich in der Hüfte, um zu sehen, ob irgendein Kleidungsstück sie im Laufe des Tages behindern würde. Es gab nichts Schlimmeres für sie, als von einem kneifenden Saum oder einer spannenden Bluse abgelenkt zu werden.

Mode war ein wunder Punkt bei ihr. Wieso waren eigentlich alle Modeschöpfer Männer? Männern sollte es per Gesetz verboten werden, Mode für Frauen zu entwerfen. Schon als Teenager war Caroline zu dem Schluss gekommen, dass Männer nicht die geringste Ahnung hatten, wie unbequem die Frauenmode war. Wahrscheinlich war es ihnen auch egal, denn sie mussten ja nicht stundenlang in hohen Absätzen herumstöckeln, waren nicht eingezwängt von Miedern, Hüfthaltern und BHs. Sie mussten keine Kleider tragen, die ein Dekolleté teilten oder zusammendrückten, je nach Vorgabe des Anlasses.

Und warum waren Frauenkleider immer aus dünnem Soff gemacht, während die Temperaturen in einem Büro oder einem Restaurant so niedrig eingestellt waren, dass nur ein Mann im Anzug nicht fror? Das waren sogar zwei hirnrissige Faktoren. Erstens: Warum trugen Männer ständig Jackett und Krawatte? Gerade dieser Zivilisationsstrick war das Allerletzte. Er behinderte doch jeden Mann bei so grundlegenden Tätigkeiten wie Atmen und Schlucken. Und wenn den Frauen kalt war … warum durften sie nicht ihren Mantel anbehalten, wenn die Herren Jackett trugen? Carolines Meinung nach bestand Mode hauptsächlich aus zwei Komponenten: Dummheit und Idiotie. In einer vernünftig organisierten Welt sollte es den Leuten erlaubt sein, funktionelle Kleidung zu wählen wie Jeans, Sweatshirt und flache Schuhe.

Nun, die Welt konnte sie nicht ändern, aber sie hatte immerhin die Kontrolle über ihre eigene kleine Nische darin. Und deshalb wählte sie an diesem Tag einen weißen Faltenrock, der ihr bis zu den Waden fiel, ein überweites T-Shirt und weiße flache Sandalen. Um die Taille band sie sich als lockeren Gürtel zwei Schals, einen in Türkis, den anderen in Gelb-Orange. Damit wirkte sie frisch, und sie fühlte sich wohl in den bequemen Sachen.

In der vergangenen Nacht hatte sie versucht zu analysieren, was genau es an Colonel Mackenzie war, das sie so in Panik versetzt hatte. Sie hatte andere, sehr viel aufdringlichere Männer kühl abserviert, ohne mit der Wimper zu zucken. Warum also hatte seine relativ harmlose Bemerkung, zusammen mit einem Blick, der nicht ganz so arglos gewesen war, sie aus der Fassung gebracht? Der Blick war es gewesen, definitiv. Sie hatte noch nie solche Augen gesehen – hellblaue Diamanten, die in einem bronzefarbenen Gesicht strahlten, so durchdringend, als würden sie ihr ins Fleisch schneiden. Sie hatte gespürt, dass ihr ein Mann wie Colonel Mackenzie noch nie begegnet war.

Es gab mehrere Gründe, aber keiner davon bot eine ausreichende Erklärung für ihre Reaktion. Sie würde also gute Miene zum bösen Spiel machen, auf der Hut sein und sicherstellen, dass immer andere dabei waren, sobald sie mit dem Colonel zu tun hatte. Warum hatte er gestern nicht früher auftauchen können, als die anderen vom Team auch noch gearbeitet hatten? Dann hätte sie zumindest eine ruhige Nacht verbringen können.

Caroline sah sich ein letztes Mal um, überprüfte, ob alles abgestellt und ausgeschaltet war, und fasste in ihre Rocktasche nach dem Schlüssel. Taschen waren einfach unerlässlich, jedes Kleidungsstück, das sie trug, hatte Taschen. Denn Handtaschen konnte Caroline nicht leiden. Warum waren Frauen zu lebenslangem Handtaschentragen verdammt? Warum konnten Frauen nicht Taschen haben, wie Männer auch? Weil Taschen auf Kleidern angeblich die “Linie” ruinierten. Weil Frauen angeblich eitel waren. Weil Männer Frauen ständig etwas in die Hand drückten mit den Worten: “Nimm das mal in deine Handtasche”, gleichbedeutend mit: “Hier, trag du, dann muss ich das nicht tun”. Wenn Frauen sich wirklich emanzipieren wollten, dann sollten sie ihre Handtaschen verbrennen, nicht ihre BHs, fand Caroline. Und die Schuhe mit den hohen Absätzen sollten gleich mit ins Feuer fliegen.

Um keine Handtasche tragen zu müssen, hatte sie bereits am Vortag ihren Schreibtisch mit den persönlichen kleinen Dingen bestückt, die sie im Laufe des Tages brauchen würde. Schließlich war die Abneigung gegen Handtaschen kein Grund, auf Lippenstift zu verzichten. Caroline hatte durchaus einen gewissen Standard, den sie einzuhalten gedachte.

Normalerweise war sie immer die Erste bei der Arbeit, der heutige Morgen bildete keine Ausnahme. Caroline arbeitete gern in der Frühe, und das Morgengrauen in der Wüste war etwas Besonderes. Alles war so klar und frisch. Später am Tag würde die Hitze den Horizont zum Flimmern bringen, aber so wie jetzt war es perfekt. Während Caroline Kaffee aufsetzte, summte sie vor sich hin. Ganz gleich, wie heiß es wurde, ohne Kaffee kam niemand aus dem Team aus.

Sie riss das Zellophan von einem Muffin. Frühstück war fertig. Während sie abwesend kaute, machte Caroline es sich in ihrem Stuhl gemütlich und begann, den Bericht über die aktuellsten Testergebnisse des Zielsystems zu lesen.

Eine halbe Stunde später schlenderte Cal Gilchrist herein. Überrascht schaute er sie an. “Du bist aber früh dran”, sagte er auf dem Weg zur Kaffeemaschine. “Ich habe dich gar nicht in der Kantine gesehen.”

“Ich hab hier einen Muffin gegessen.” Sie warf den durchgelesenen Bericht auf den Tisch. Von den anderen drei Teammitgliedern war Cal der Netteste. Zugegebenermaßen sogar netter als ich, gestand Caroline sich ein. Er hatte ein sonniges Gemüt, war freundlich und kompetent. Ungefähr dreißig, war Cal noch ungebunden und genoss ein reges gesellschaftliches Leben. Caroline kannte ihn von früher, auch wenn sie jetzt zum ersten Mal bei einem Projekt zusammenarbeiten. Ansonsten waren sie bei zwei verschiedenen Firmen angestellt. Caroline arbeitete bei Boling-Wahl Optics, dem Unternehmen, das das Zielsystem hergestellt hatte, Cal hatte bei DataTech das dazugehörige Computerprogramm entwickelt.

“Um 0800 findet wieder ein Test statt.” Cal nippte an seinem Kaffee. “Wenn Adrian und Yates hier sind, gehen wir in den Kontrollraum rüber, dann kriegen wir alles mit. Colonel Mackenzie fliegt heute. Nach dem Flug kommt er immer in den Kontrollraum, dann kann ich euch miteinander bekannt machen.”

“Wir haben uns schon kennengelernt. Gestern Abend, als ich noch hier war.”

“Und? Dein erster Eindruck?”

Caroline dachte über eine treffende Antwort nach und entschied sich schließlich für “Furcht einflößend.”

Cal lachte. “Allerdings. Mit dem möchte ich mich nicht anlegen. Bisher dachte ich immer, Kampfpiloten haben vor nichts und niemandem Respekt, aber vor ihm haben sie alle einen Heidenrespekt, in der Luft und auf dem Boden. Einer von denen sagte, Mackenzie sei der beste Pilot in der gesamten Air Force. Das will was heißen. Schließlich sind das alles keine Stümper.”

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