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Lichterzauber in Manhattan

Als Buch hier erhältlich:

Eva ist eine hoffnungslose Romantikerin und sieht nur die guten Seiten des Lebens. Kein Wunder, dass sie Weihnachten in New York liebt wie kein anderes Fest im Jahr. Um ihr Konto aufzustocken, tritt die New Yorker Food-Bloggerin eine Stelle bei dem erfolgreichen Horror-Autor Lucas Bale an. Womit sie nicht gerechnet hat: Der grimmige Brite kann die Feiertage nicht ausstehen. Mit Tannenschmuck und Plätzchenduft will Eva ein kleines Weihnachtswunder an ihm wirken - mit mehr als frostigem Ergebnis. Warum nur fühlt sie sich zu ihm hingezogen, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten?

"Das magische Finale von Sarah Morgan packt seine Leser von Seite eins an." RT Book Reviews

"Eine süß-verschneite Interpretation von "Gegensätze ziehen sich an", die den Optimismus hochleben lässt." Publishers Weekly

"Das perfekte Buch, um sich einzukuscheln." Heat

"Morgan gelingt die perfekte Mischung zwischen süß und sexy." Booklist


  • Erscheinungstag: 09.10.2017
  • Aus der Serie: From Manhattan With Love
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766467
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liebe Leserinnen und Leser,

wer schon mal ein Buch von mir in der Hand hatte, der weiß, dass ich Happy Ends liebe. Ich bin ein ziemlich optimistischer Mensch und bevorzuge meine Tasse halb voll (vorzugsweise mit starkem Kaffee gefüllt). Ich lese viel, aber selten das, was man als „Horror“ bezeichnet. Für gruselige Spannung, Serienmörder oder geheimnisvolle Geräusche in der Nacht kann ich mich nicht begeistern – darin bin ich der Heldin dieses Romans ähnlich.

Eva ist eine Romantikerin, die immer das Gute sieht. Als ein Auftrag von ihr verlangt, einige Zeit mit Lucas – einem Thrillerautor, der die dunkelsten Seiten der Menschen erforscht – zu verbringen, tut sie alles, damit es gut läuft. Auch wenn ihr von Anfang an klar ist, dass sie beide total gegensätzlich sind. Sie sucht vielleicht nach Romantik, aber Lucas ist definitiv nicht ihr Typ. Oder doch?

Lucas schreibt nicht nur über die Dämonen anderer Menschen, er hat auch selbst ein paar. Doch die warmherzige Eva ist entschlossen, Licht in die dunklen Ecken seines Lebens zu bringen.

Dies ist ein Buch über zweite Chancen, aber auch über Hoffnung und die Macht der Liebe. Ich hoffe, es gefällt euch. Wenn ihr das noch nicht getan habt, werft doch mal einen Blick in die Geschichten von Paige und Frankie, Schlaflos in Manhattan und Ein Sommergarten in Manhattan. Und besucht mich gerne auch auf Facebook, um ein wenig zu plaudern: Facebook.com/authorsarahmorgan.

Alles Liebe, Sarah

xx

www.sarahmorgan.com

Für Sue. Ich schreibe über fiktive Freundschaften, aber unsere ist echt. Ich Glückliche.

1. Kapitel

Andere Mütter haben auch schöne Söhne.
Aber das hilft nichts, wenn die nicht
in New York wohnen.

– Eva

„Wir können nicht zwei Turteltauben schicken! Ich weiß, er will ihr an Weihnachten einen Antrag machen und findet das romantisch, aber die Romantik geht ganz schnell flöten, wenn das komplette Zimmer mit Taubendreck bespritzt ist. Die Liebe seines Lebens wird Nein sagen, und wir dürfen nie wieder ein Event in dieser Location veranstalten, und keiner bekommt das Happy End, das wir uns alle wünschen.“ Eva Jordan brachte das Handy in eine bequemere Position und kuschelte sich tiefer in ihren Mantel. Vor den Fenstern des Taxis fiel der Schnee immer noch stetig und forderte alle heraus, die gegen ihn ankämpfen wollten. Je mehr sie schaufelten, desto mehr Schnee fiel – so wirkte es zumindest. In einer Schlacht zwischen den Menschen und den Elementen stand der Mensch definitiv auf verlorenem Posten. Der Schneesturm nahm ihr beinahe vollständig die Sicht auf die Fifth Avenue, deren glitzernde Schaufenster hinter einem Schleier aus fallenden Flocken verschwanden. „Ich werde ihm helfen, seine Vorstellung von ‚Romantik‘ neu zu definieren, und darin werden weder Vögel noch Hühner oder Eier legende Gänse eine Rolle spielen. Und wo wir gerade dabei sind, ein goldener Ring ist vollkommen ausreichend. Warum braucht er fünf? Er will das Außergewöhnliche, nicht die Übertreibung, und diesen Unterschied werde ich ihm erklären.“

Paige war wie immer verständnisvoll. „Laura träumt von diesem Moment, seitdem sie ein kleines Mädchen war. Er trägt die Verantwortung dafür, es perfekt zu machen.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass in ihrem Traum keine Menagerie an Wildtieren vorkommt. Ich denke mir einen Plan aus, und der wird spektakulär. Niemand kennt sich mit Romantik besser aus als ich.“

„Außer, wenn es um dich geht.“

„Danke auch, dass du mich an mein nicht existentes Liebesleben erinnerst.“

„Gern geschehen. Und nachdem wir uns jetzt über die Fakten einig sind – was willst du in dieser Sache unternehmen?“

„Überhaupt nichts. Und wir werden diese Unterhaltung nicht schon wieder führen.“ Eva wühlte in ihrer Tasche und holte ihr Notizbuch heraus. „Können wir zum Geschäftlichen zurückkehren? Es ist nur noch ein Monat bis Weihnachten.“

„Wir haben nicht genügend Zeit, um etwas Aufwendiges auf die Beine zu stellen.“

„Es muss nicht aufwendig sein. Sondern emotional. Sie muss von seinen Worten und deren Bedeutung überwältigt sein. Warte mal …“ Eva tippte mit ihrem Stift auf die Seite. „Sie haben sich im Central Park kennengelernt, oder? Beim Hundespaziergang?“

„Ja, aber Ev, der Park liegt unter einem halben Meter Schnee begraben, und es kommt immer noch mehr dazu. Ein Heiratsantrag dort könnte mit einem Ausflug in die Notaufnahme enden. Das wäre aus den ganz falschen Gründen unvergesslich.“

„Überlass das mir. Ich habe in den nächsten zwei Tagen ausreichend Zeit, darüber nachzudenken, weil ich ganz allein in der Wohnung dieses Typen sein werde, um sie zu schmücken und seinen Tiefkühlschrank für seine Rückkehr aus der Wildnis zu füllen.“ Sie machte sich eine Notiz und steckte das Notizbuch wieder weg.

„Du arbeitest zu hart, Ev.“

„Das sagst ausgerechnet du zu mir?“

„Selbst ich nehme mir ab und zu frei, um mich zu entspannen.“

„Das muss mir entgangen sein. Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, unser Geschäft wächst wahnsinnig schnell.“

„Wenn du dir mal einen Abend freinimmst, um auf ein heißes Date zu gehen, wird das unsere Wachstumskurve nicht gleich einstürzen lassen.“

„Danke, aber dein Plan hat einen kleinen Haken. Ich habe kein heißes Date. Ich habe nicht einmal ein lauwarmes Date.“

„Meinst du, du solltest es noch mal mit Onlinedating probieren?“

„Ich hasse Onlinedating. Mir ist es lieber, Menschen auf andere Weise kennenzulernen.“

„Aber du lernst niemanden kennen! Du arbeitest nur. Du gehst mit deinem Teddybären ins Bett.“

„Es ist ein Känguru, kein Bär. Mein Großmutter hat es mir geschenkt, als ich vier war.“

„Das erklärt, warum es so erschöpft aussieht. Es ist an der Zeit, es mit einem Mann aus Fleisch und Blut zu ersetzen, Eva.“

„Ich liebe dieses Känguru. Es hat mich noch nie im Stich gelassen.“

„Honey, du musst mal ausgehen. Was ist mit diesem Banker? Den mochtest du doch.“

„Er hatte nie Zeit, mich anzurufen. Das Leben ist so schon stressig genug. Da muss man nicht noch herumsitzen und darauf warten, dass ein Kerl, von dem man nicht einmal sicher ist, dass man ihn mag, anruft und einen auf ein Date einlädt, von dem man nicht sicher ist, ob man überhaupt hingehen will.“

„Du hättest ihn doch selbst anrufen können.“

„Das habe ich. Er hat nie abgenommen.“ Eva schaute aus dem Fenster. „Es macht mir nichts aus, einem Traum nachzujagen, wenn es darum geht, unsere Agentur und unsere Zukunft aufzubauen. Aber ich werde nicht einem Mann hinterherjagen. Wie auch immer, jeder weiß, dass man die Liebe nie findet, wenn man danach sucht. Man muss darauf warten, dass sie einen findet.“

„Aber was ist, wenn sie dich nicht finden kann, weil du nie deine Wohnung verlässt?“

„Ich habe meine Wohnung verlassen! Ich bin hier, auf der Fifth Avenue.“

„Allein. Um in einer anderen Wohnung zu hocken. Allein. Denk doch mal an all den großartigen Sex, der dir entgeht. Wenn du so weitermachst, wirst du Mr. Right erst dann kennenlernen, wenn du achtzig bist und keine Zähne mehr hast. Dafür hast du dann aber kaputte Hüften.“

„Viele Menschen habe mit achtzig noch guten Sex. Man muss nur ein bisschen kreativ sein.“ Sie ignorierte das Gefühl der Leere in ihrem Inneren und beugte sich zum Taxifahrer vor. „Können Sie kurz bei Dean & DeLuca anhalten? Wenn der Schneesturm so schlimm wird, wie sie vorhersagen, muss ich noch ein paar Dinge besorgen.“

Paige sprach weiter. „Ich habe dich in den letzten zwei Wochen kaum gesehen. Es war so unglaublich viel zu tun. Ich weiß, diese Zeit im Jahr ist schwer für dich. Ich weiß, dass dir deine Großmutter fehlt.“ Ihre Stimme wurde weich. „Soll ich nach der Arbeit vorbeikommen und dir Gesellschaft leisten?“

Eva war verlockt, Ja zu sagen.

Paige und sie würden eine Flasche Wein öffnen, sich in ihren Pyjamas auf die Couch kuscheln und reden. Sie würde zugeben, wie schlecht sie sich oft fühlte, und dann …

Ja, was dann? Eva senkte den Blick in ihren Schoß. Sie wollte nicht diese Art von Freundin sein. Eine Frau, die ständig nur jammerte und stöhnte. Jemand, der anderen zur Last fiel. Und überhaupt – ihren Freundinnen zu erzählen, wie schlecht es ihr ging, würde gar nichts ändern, oder? Ihre Großmutter würde sich für sie schämen.

„Du hast noch ein paar Meetings in Downtown und dann das Dinner mit Jake.“

„Ich weiß, aber ich könnte ohne Probleme …“

„Du wirst das nicht absagen“, unterbrach Eva sie schnell, bevor sie ihre Meinung ändern konnte. „Ich komme klar.“

„Wenn das Wetter nicht so schlecht wäre, könntest du nach Hause kommen, heute Nacht hierbleiben und morgen wieder hingehen. Allerdings soll der Sturm wohl ziemlich heftig werden. Vermutlich ist es daher besser, du fährst nicht hin und her. Obwohl es mir gar nicht gefällt, dass du dort alleine bist.“

Eva kaute auf ihrer Unterlippe. Es war egal, wo sie war, die Gefühle blieben die gleichen. Sie hatte keine Ahnung, ob es normal war, so zu empfinden. Sie hatte noch nie zuvor jemanden verloren, der ihr nahestand, und ihre Großmutter und sie hatten sich mehr als nur nahegestanden. Gram war vor etwas mehr als einem Jahr gestorben, und die Wunde war noch immer so frisch und schmerzhaft, als wäre es erst gestern passiert.

Nur ihrer Großmutter hatte sie es zu verdanken, dass sie behütet aufwachsen konnte. Besser gesagt: Sie verdankte ihrer Großmutter alles. Und sie versuchte, ihre Dankbarkeit zu zeigen, indem sie jeden Morgen aus dem Bett stieg und das Leben lebte, das ihre Großmutter sich für sie gewünscht hätte. Sie wollte sie stolz machen.

Wenn ihre Großmutter jetzt hier wäre, wäre sie allerdings alles andere als stolz.

Sie würde Eva sagen, dass sie viel zu viele Abende allein in der Gesellschaft von Netflix und heißem Kakao in ihrer Wohnung verbrachte.

Ihre Großmutter hatte es geliebt, von Evas romantischen Abenteuern zu hören. Sie hätte gewollt, dass sie ausging und Menschen traf, selbst wenn sie traurig war. Anfangs hatte sie genau das probiert, aber in letzter Zeit hatte sich ihr Sozialleben allein um ihre Freundinnen und Geschäftspartnerinnen Paige und Frankie gedreht. Sie fühlte sich wohl bei ihnen, auch wenn beide total verliebt waren.

Wie ironisch, dass sie, die Romantische, das am wenigsten romantische Leben führte.

Eva sah durch das Fenster auf die weißen Flocken, die vor dem dunklen Himmel herumwirbelten. Sie fühlte sich abgeschnitten. Verloren. Verdammt, wieso musste sie immer alles so intensiv empfinden? Manchmal wünschte sie, sie wäre nicht so emotional.

Zumindest hatte sie genug zu tun. Es war ihre erste Weihnachtssaison, seit sie Urban Genie gegründet hatten, ihre Event- und Concierge-Agentur, und ihre Auftragsbücher waren voll.

Ihre Großmutter wäre stolz auf das, was sie im Beruf erreicht hatte.

Feiere jede noch so kleine Gelegenheit, Eva, und genieße jeden Augenblick.

Eva blinzelte gegen die Tränen in ihren Augen an.

Das hatte sie nicht getan, oder? Sie hatte nur nach vorn geschaut, geplant, gearbeitet und noch mehr gearbeitet. Selten hatte sie innegehalten, um Atem zu schöpfen oder den Moment zu genießen. Seit einem Jahr hetzte sie von einem Termin zum anderen, während die Zeit einfach verflog. Auf einen eiskalten Winter war ein milder Frühling gefolgt, dann ein drückend heißer Sommer. Und nun war es wieder Winter. Sie hatte sich durchgekämpft, hatte die Jahreszeiten hinter sich gebracht, war Schritt für Schritt vorwärtsgegangen. Sie hatte die Augenblicke nicht genossen, weil ihr die Augenblicke nicht gefallen hatten.

Sie hatte ihr Bestes gegeben, um stark zu sein und zu lächeln, aber es war das schwerste Jahr ihres Lebens gewesen.

Trauer, dachte sie, ist ein grausamer Gesellschafter.

„Ev?“ Paiges Stimme hallte durch das Telefon. „Bist du noch da? Ich mache mir Sorgen um dich.“

Eva schloss die Augen und riss sich zusammen. Sie wollte nicht, dass ihre Freundinnen sich Sorgen machten. Was hatte ihre Großmutter ihr beigebracht?

Sei der Sonnenschein, Eva, nicht der Regen.

Sie wollte keine schwarzen Wolken in das Leben anderer Menschen bringen.

Also öffnete sie die Augen und lächelte. „Warum machst du dir Sorgen? Es schneit. Wenn der Schneesturm nachlässt, gehe ich in den Park und baue mir einen Schneemann. Wenn ich im echten Leben schon keinen Mann finde, dann suche ich eben einen aus Schnee.“

„Du wirst dir einen sexy Kerl bauen?“

„Ganz genau. Mit breiten Schultern und unglaublichen Bauchmuskeln.“

„Und zweifelsohne wirst du die Karotte nicht als Nase nutzen.“

Eva grinste. „Für diesen Teil seiner Anatomie dachte ich eher an eine Gurke.“

Paige lachte. „Bei deinen Ansprüchen ist es kein Wunder, dass du Single bist. Und übrigens hast du den Humor einer Fünfjährigen.“

„Das ist der Grund, weshalb wir schon so lange befreundet sind.“

„Es ist schön, dich lachen zu hören. Früher war Weihnachten immer deine liebste Zeit im Jahr.“ Das stimmte. Sie hatte Weihnachten immer geliebt. Jeden lächelnden Weihnachtsmann, alle fröhlichen Lieder, die in den Läden gespielt wurden, und jede glitzernde Schneeflocke. Vor allem die Schneeflocken hatte sie geliebt. Sie ließen sie an Schlittenfahrten und Schneemänner denken.

Schnee hatte schon immer etwas Magisches für sie.

Es reicht, dachte sie, genug damit.

„Es ist auch jetzt noch meine liebste Jahreszeit.“ Sie musste nicht bis Neujahr warten, um gute Vorsätze zu fassen.

Sie würde rausgehen und jeden Tag so leben, wie ihre Großmutter es gewollt hätte. Und damit würde sie sofort anfangen.

Weihnachten.

Er hasste es. Hasste jeden lächelnden Weihnachtsmann, jeden schrägen Ton, der aus den Lautsprechern der Läden schallte, und jede eiskalte Schneeflocke. Vor allem die Schneeflocken hasste er. Sie wirbelten so unschuldig herum, bedeckten die Bäume und Autos, landeten auf den Handflächen von begeisterten Kindern, die fallenden Schnee sahen und an Schlittenfahrten und Schneemänner dachten.

Lucas dachte an etwas ganz anderes.

Er saß in der Dunkelheit seines Apartments und starrte hinaus auf die winterweiße Weite des Central Parks. Seit Tagen schneite es, und es kündigte sich noch mehr Schnee an. Der Wetterbericht sagte den schlimmsten Blizzard in der jüngeren Geschichte New Yorks voraus. Als Ergebnis waren die Straßen weit unter ihm ungewöhnlich leer. Jeder, der nicht schon zu Hause war, eilte so schnell wie möglich dorthin und nutzte dazu die öffentlichen Verkehrsmittel, solange sie noch fuhren. Niemand schaute auf. Niemand wusste, dass er hier war. Nicht einmal seine wohlmeinende, aber sich in alles einmischende Familie, die glaubte, er befände sich auf einem Schreibworkshop in Vermont.

Wenn sie wüssten, dass er zu Hause war, würden sie um ihn herum glucken, nach ihm sehen, ihn zwingen, bei ihren Plänen fürs Weihnachtsfest mitzumachen.

Es ist an der Zeit, würden sie sagen. Es hat lange genug gedauert.

Wie lange war lang genug? Darauf hatte er keine Antwort. Er wusste nur, dass er diesen Punkt noch nicht erreicht hatte.

Er hatte nicht vor, Weihnachten zu feiern. Das Beste, worauf er hoffen konnte, war, diese Tage irgendwie durchzustehen, wie jedes Jahr, und er sah keinen Sinn darin, andere mit seinem Elend zu belästigen. Alles in ihm schmerzte noch. Er war noch immer in dem Wrack seines Verlusts eingeklemmt. Sein Leben war ihm geblieben, aber sonst nicht viel.

Er hätte nach Vermont reisen und sich in einer Hütte in einem verschneiten Wald verstecken können, wie er es seiner Familie gesagt hatte. Oder er hätte irgendwo hinfahren können, wo es heiß war, wo niemals auch nur eine Schneeflocke fiel, aber er wusste, es hatte keinen Sinn, denn der Schmerz würde ihn begleiten. Es war egal, was er tat, der Schmerz reiste immer mit. Er hatte ihn infiziert wie ein Virus, für den es kein Heilmittel gab.

Und so blieb er zu Hause, während die Temperaturen immer weiter fielen und die Welt um ihn herum in eine weiße Decke gehüllt wurde, die sein Apartment in eine gefrorene Burg verwandelte.

Was ihm sehr gut in den Kram passte.

Das einzig störende Geräusch war sein Telefon. Es hatte in den letzten zwei Tagen vierzehnmal geklingelt, und er hatte jeden Einzelnen dieser Anrufe ignoriert. Einige der Anrufe waren von seiner Großmutter gewesen, einige von seinem Bruder, aber die meisten von seinem Agenten.

Er dachte kurz darüber nach, wie sein Leben ohne seinen Beruf aussähe, und griff dann nach dem Telefon, um endlich seinen Agenten zurückzurufen.

„Lucas!“ Jasons Stimme klang jovial und energiegeladen. Im Hintergrund waren Gelächter und Weihnachtsmusik zu hören. „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du unter einer Schneewehe vergraben liegst. Wie sind die verschneiten Weiten von Vermont?“

Lucas sah auf die Skyline von Manhattan und den Schnee, der die scharfen Kanten der Gebäude weich zeichnete. „Vermont ist wunderschön.“

Das war die Wahrheit. Zumindest, falls sich Vermont seit seinem letzten Besuch vor einem Jahr nicht verändert hatte.

„Das TIME-Magazin hat dich gerade zum aufregendsten Thrillerautor des Jahrzehnts ernannt. Hast du den Artikel gelesen?“

Lucas schaute auf den Stapel ungeöffneter Post. „Ich bin noch nicht dazu gekommen.“

„Deshalb bist du so gut. Du lässt dich nicht ablenken. Bei dir dreht sich alles immer nur um das Buch. Deine Fans freuen sich auf dein neues Werk, Lucas.“

Das Buch.

Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Dunkle Gedanken wurden von schweißnasser Panik ausgelöscht. Er hatte noch kein einziges Wort geschrieben. Sein Kopf war leer, aber das hatte er weder seinem Agenten noch seinem Verleger gegenüber eingestanden. Er hoffte immer noch auf ein Wunder, einen Funken der Inspiration, der es ihm erlauben würde, sich von den Tentakeln der Weihnachtszeit zu befreien und sich in einer fiktiven Welt zu verlieren. Es war schon ironisch, dass die verdrehten, kranken Geister seiner Figuren eine wohltuende Alternative zu der dunklen Wirklichkeit seines eigenen Lebens boten.

Er warf einen Blick auf das Messer, das auf dem Tisch in der Nähe lag. Die Klinge verspottete ihn funkelnd.

Er hatte es den Großteil der Woche angestarrt, auch wenn er wusste, dass es nicht die Antwort war. So tief war er noch nicht gesunken.

„Hast du deshalb angerufen? Um nach dem Buch zu fragen?“

„Ich weiß, du hasst es, beim Schreiben gestört zu werden, aber der Verlag sitzt mir im Nacken. Die Verkäufe deines letzten Buchs haben unsere Erwartungen noch einmal übertroffen“, sagte Jason fröhlich. „Dein Verleger wird die Auflage für das nächste Buch verdreifachen. Kannst du mir schon irgendwelche Hinweise auf die Geschichte geben?“

„Nein.“ Wenn er wüsste, worum es in dem Buch ging, würde er es bereits schreiben.

Stattdessen war sein Kopf furchterregend leer.

Ihm fehlte das Verbrechen. Schlimmer noch, ihm fehlte ein Mörder.

Für ihn fing jedes Buch mit den Figuren an. Er war für seine unvorhersehbaren Wendungen bekannt, dafür, einen Schock zu liefern, den selbst der scharfsinnigste Leser nicht vorhersah.

Im Moment war der Schock eine leere Seite.

Dieses Jahr war es noch schlimmer als letztes Jahr. Damals war der Prozess lang und schmerzhaft gewesen, aber irgendwie war es ihm gelungen, bis November jedes Wort aus seinem Inneren herauszuziehen, bevor die Erinnerungen ihn paralysiert hatten. Es war, wie den Gipfel des Mount Everest zu erreichen, bevor der Sturm einsetzte. Das Timing war alles. Dieses Jahr war ihm das nicht gelungen – vermutlich, weil er zu spät aufgebrochen war. Er würde eine Verlängerung seiner Abgabefrist benötigen, und darum hatte er noch nie gebeten. Das war schon schlimm, aber schlimmer noch wären die Fragen, die unweigerlich folgen würden. Die mitleidigen Blicke und das verständnisvolle Nicken.

„Ich würde gerne ein paar Seiten sehen. Vielleicht das erste Kapitel?“

„Sobald ich zufrieden bin, schicke ich es dir“, sagte Lucas, bevor er die weihnachtlichen Floskeln anbot, die man von ihm erwartete, und den Anruf beendete.

Er rieb sich mit der Hand über den Nacken. Er hatte kein erstes Kapitel. Er hatte nicht einmal eine erste Zeile. Das Einzige, was bislang ermordet worden war, war seine Inspiration. Sie lag reglos auf dem Boden, alles Leben war aus ihr herausgequetscht worden. Konnte sie wiederbelebt werden? Da war er sich nicht sicher.

Stunde um Stunde hatte er vor seinem aufgeklappten Laptop gesessen. Aber es war kein einziges Wort aus ihm herausgekommen. In seinem Kopf war nur Sallyanne gewesen. Sie erfüllte seine Gedanken und sein Herz. Mein verletztes, blutendes Herz.

An diesem Tag vor drei Jahren hatte er den Anruf bekommen, der sein scheinbar so charmantes Leben entgleisen ließ. Es war wie eine Szene aus einem seiner Bücher gewesen, nur dass es dieses Mal nicht Fiktion, sondern Realität gewesen war. Er war es, der die Leiche im Leichenschauhaus identifizieren musste, nicht einer seiner Helden. Er musste sich nicht länger vorstellen, was sie fühlten, weil er es nun selbst fühlte.

Seitdem kämpfte er sich durch jeden Tag, schleppte sich von Minute zu Minute, während er nach außen hin alles tat, um den Leuten vorzuspielen, es ginge ihm gut. Er hatte schon früh gelernt, dass die Menschen das brauchten. Sie wollten nicht Zeugen seiner Trauer werden. Sie wollten glauben, dass er es verarbeitet hatte und sein Leben weiterlebte. Meistens gelang es ihm, ihre Erwartungen zu erfüllen, nur nicht um diese Zeit im Jahr, wenn sich der Jahrestag ihres Todes näherte.

Irgendwann würde er seinem Agenten und Verleger gestehen müssen, dass er nicht ein einziges Wort des Buchs geschrieben hatte, auf das seine Fans so sehnsüchtig warteten.

Dieses Buch würde seinem Verlag kein Vermögen einbringen, weil es gar nicht existierte.

Er hatte keine Ahnung, wie er die Magie hervorrufen sollte, die ihn in mehr als fünfzig Ländern an die Spitze der Bestsellerlisten katapultiert hatte.

Er konnte nur fortfahren, das zu tun, was er den letzten Monat über getan hatte. Vor dem leeren Bildschirm hocken und hoffen, dass sich aus den Tiefen seines gequälten Gehirns irgendwann eine Idee erheben würde.

Er hoffte weiter auf ein Wunder.

Immerhin war es doch die Jahreszeit dafür, oder nicht?

„Das ist es?“ Eva schaute aus dem Taxifenster. „Das ist ja unglaublich. Er hat einen Blick auf den Central Park. Was würde ich nicht dafür geben, so nah an Tiffany’s zu wohnen.“

Der Taxifahrer warf einen Blick in den Rückspiegel. „Brauchen Sie Hilfe mit den ganzen Taschen?“

„Nein danke, das schaffe ich schon“, sagte Eva und reichte ihm das Geld für die Fahrt.

Es war bitterkalt und überall war Schnee – dicke Flocken wirbelten um sie herum, schränkten ihre Sicht ein und ließen sich auf ihrem Mantel nieder. Ein paar Flocken fanden den schmalen, ungeschützten Streifen an ihrem Hals und glitten wie eisige Finger unter ihren Kragen. Innerhalb weniger Augenblicke waren ihre Taschen und sie von Schnee bedeckt. Der Bürgersteig war noch schlimmer. Ihre Füße rutschten auf dem Teppich aus Eis und Schnee, und schließlich verlor sie den Halt.

„Argh …“ Ihre Arme wirbelten durch die Luft. Der Portier trat schnell einen Schritt vor und fing sie auf, bevor sie zu Boden stürzte.

„Ganz vorsichtig. Es ist unglaublich glatt.“

„Wohl wahr.“ Sie klammerte sich an seinen Arm und wartete, bis ihr Herzschlag sich beruhigt hatte. „Danke. Ich hätte Weihnachten nur ungern im Krankenhaus verbracht. Ich habe gehört, das Essen dort soll furchtbar sein.“

„Kommen Sie, wir helfen Ihnen mit den Taschen.“ Er hob eine Hand, und zwei livrierte Männer tauchten auf und luden ihre Taschen und Kartons auf einen Gepäckwagen.

„Danke. Die müssen alle in das Penthouse. Ich sollte eigentlich angemeldet sein. Ich bleibe ein paar Tage, um das Apartment für einen Klienten herzurichten, der auf Reisen ist. Lucas Blade.“

Er war ein Thrillerautor mit einem Dutzend weltweiter Bestseller.

Eva hatte nicht einen davon gelesen.

Sie hasste Verbrechen, sowohl reale als auch fiktive. Sie zog es vor, sich auf das Positive in den Menschen und im Leben zu konzentrieren. Und sie zog es vor, nachts ruhig zu schlafen.

Sie betrat das Gebäude. Die Wärme im Inneren fühlte sich nach der eisigen Kälte draußen sehr tröstlich an. Evas Wangen brannten, und obwohl sie Handschuhe trug, waren ihre Fingerkuppen ganz taub. Selbst die Wollmütze auf ihrem Kopf hatte die beißende Kälte des New Yorker Winters nicht abhalten können.

„Ich muss Sie bitten, mir Ihren Ausweis zu zeigen“, sagte der Portier ganz geschäftsmäßig. „Wir hatten einige Einbrüche in dieser Gegend. Wie lautet der Firmenname?“

„Urban Genie.“ Der Name war noch neu genug, um sie mit Stolz zu erfüllen, wenn sie ihn sagte. Es war ihre Firma. Sie hatte sie mit ihren Freundinnen gegründet. Schnell reichte sie dem Portier ihren Ausweis. „Wir sind noch nicht lange im Geschäft, aber wir sind dabei, New York im Sturm zu erobern.“ Sie schüttelte den Schnee von ihren Handschuhen und lächelte. „Nun ja, vielleicht ist es eher eine milde Brise als ein Sturm, wenn man sich anguckt, was draußen vor den Fenstern los ist, aber wir blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. Ich habe Mr. Blades Wohnungsschlüssel.“ Sie wedelte mit dem Beweisstück durch die Luft, und der Blick des Portiers wurde milde, als er erst den Schlüssel und dann den Ausweis ansah, den sie ihm gereicht hatte.

„Sie stehen auf meiner Liste. Sie müssen sich nur noch hier eintragen.“

„Könnten Sie mir einen Gefallen tun?“ Eva unterzeichnete schwungvoll. „Wenn Lucas Blade auftaucht, sagen Sie ihm nicht, dass ich hier war. Er soll verblüfft sein, wenn er seine Tür aufmacht und seine Wohnung weihnachtlich geschmückt vorfindet. Ein wenig wie bei einer Überraschungsparty.“

Ihr fiel ein, dass nicht jeder Überraschungspartys mochte, aber wer war sie, seiner Familie zu widersprechen? Seine Großmutter war eine ihrer ersten Klientinnen gewesen, und inzwischen war sie eine gute Freundin. Sie hatte ihr ganz klare Anweisungen gegeben. Richte die Wohnung weihnachtlich her. Lucas Blade befand sich anscheinend in Vermont, tief vergaben in sein Buch, weil der Abgabetermin kurz bevorstand. In diesem Stadium hörte die Welt um ihn herum angeblich auf, sich zu drehen. Neben der Dekoration der Wohnung war es ihre Aufgabe zu kochen und seinen Tiefkühlschrank mit leckeren Gerichten zu füllen. Dafür hatte sie das ganze Wochenende Zeit, denn er sollte erst in der folgenden Woche nach Hause zurückkehren.

„Sicher, das können wir gerne machen.“ Der Portier lächelte.

„Danke.“ Sie warf einen Blick auf sein Namensschild und fuhr fort: „Albert. Sie haben mir das Leben gerettet. In einigen Kulturen bedeutet das, dass ich Ihnen jetzt gehöre. Zum Glück für Sie leben wir in New York. Sie ahnen ja gar nicht, wie knapp Sie noch mal davongekommen sind.“

Er lachte. „Mr. Blades Großmutter hat vorhin angerufen und gesagt, dass sie ein Weihnachtsgeschenk für ihren Enkel vorbeischicken würde. Ich hatte allerdings nicht mit einer Frau gerechnet.“

„Nicht ich bin das Geschenk, sondern meine Fähigkeiten. Sonst müsste ich ja eine rote Schleife um den Hals tragen. Aber ich bin hier, um zu arbeiten.“

„Also bleiben Sie ein paar Nächte in der Wohnung? Ganz allein?“

„Ganz genau.“ Das war nichts Neues. Abgesehen von den seltenen Abenden, an denen Paige bei ihr übernachtete, verbrachte sie jede Nacht allein. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal mit einem Mann in der Horizontalen befunden hatte, war aber entschlossen, das zu ändern. Das stand sogar ganz oben auf ihrem Wunschzettel für Weihnachten. „Lucas kommt erst nächste Woche zurück, und da das Wetter so schlecht ist, hat es keinen Sinn, hin- und herzufahren.“ Sie schaute auf den Schnee, der vor den Fenstern im Foyer immer noch fiel. „Ich schätze, heute Abend wird niemand mehr weite Wege zurücklegen wollen.“

„Oh ja, es ist wirklich schlimm. Man sagt, es könnten bis zu dreißig Zentimeter Neuschnee fallen mit Böen um die fünfzig Meilen pro Stunde. Es ist wohl an der Zeit, Lebensmittelvorräte anzulegen, die Batterien in der Taschenlampe zu überprüfen und die Schneeschaufeln herauszuholen.“ Albert schaute auf ihre Taschen, die vor Weihnachtsschmuck überquollen. „Wie es aussieht, sind sie vorbereitet. Das sieht mir nach verdammt viel Weihnachtsfreude aus. Ich schätze, Sie gehören zu den Menschen, die die Feiertage lieben.“

„Das tue ich.“ Zumindest hatte sie das mal getan. Und sie war entschlossen, wieder dieser Mensch zu werden. Auch wenn sie dazu erst einmal lernen musste, das leere Gefühl in ihrem Inneren zu ignorieren. „Wie sieht es mit Ihnen aus, Albert?“

„Ich werde an Weihnachten arbeiten. Vor zwei Jahren habe ich meine Frau nach vierzig Jahren Ehe verloren. Wir haben keine Kinder, also gab es an Weihnachten immer nur uns beide. Und jetzt nur noch mich. Es ist besser, an den Tagen zu arbeiten, statt mir ein Tiefkühlgericht in meiner Wohnung aufzuwärmen. Ich bin gerne unter Leuten.“

Eva verspürte einen Anflug von Mitgefühl. Sie verstand den Wunsch, unter Leuten zu sein. Ihr ging es genauso. Es war nicht so, dass sie nicht allein sein konnte. Das konnte sie. Aber wenn sie die Wahl hatte, war sie lieber mit anderen Menschen zusammen.

Aus einem Impuls heraus holte sie eine Visitenkarte aus ihrer Manteltasche und gab sie ihm. „Nehmen Sie die …“

Romano’s sizilianisches Restaurant in Brooklyn?“

„Die beste Pizza in ganz New York City. Das Restaurant gehört der Mutter eines Freundes, und an Weihnachten kocht Maria für jeden, der kommt. Ich helfe ihr in der Küche. Ich bin Köchin, auch wenn bei großen Veranstaltungen meistens andere Firmen das Catering übernehmen.“ Zu viele Informationen, dachte sie und zeigte auf die Karte. „Wenn Sie am ersten Weihnachtstag freihaben, sollten Sie uns Gesellschaft leisten, Albert.“

Er starrte die Visitenkarte an. „Wir haben uns erst vor fünf Minuten kennengelernt. Warum sollten Sie mich da einladen?“

„Weil Sie mir geholfen haben und weil Weihnachten ist. An diesem Tag sollte niemand allein sein.“ Allein. Da war es wieder, das Wort. Es schien sich überall hineinzuschleichen. „Ich werde mich auch nicht komplett verkriechen. Sobald der Schnee so weit nachlässt, dass ich wieder die Hand vor Augen sehen kann, werde ich in den Central Park hinübergehen und einen Schneemann von der Größe des Empire State Buildings bauen. Den Empire-State-Schneemann. Und wo wir gerade von großen Dingen sprechen, später wird ein Weihnachtsbaum geliefert. Hoffentlich kommt er, bevor der Schneesturm alles zum Erliegen bringt. Sie werden vermutlich glauben, ich hätte ihn vor dem Rockefeller Center geklaut, aber ich versichere Ihnen, das habe ich nicht.“

„So groß ist er?“

„Mein Kunde wohnt im Penthouse. So ein Penthouse braucht einen großen Baum. Ich hoffe nur, wir kriegen ihn irgendwie da rauf.“

„Überlassen Sie das nur mir.“ Er runzelte die Stirn. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht nach Hause zu Ihrer Familie zurückkehren sollten, solange das noch möglich ist?“

Seine Worte stachen in die Wunde, die sie versucht hatte zu ignorieren.

„Ach, hier bin ich sicher und geborgen. Aber danke, Albert. Sie sind mein Held.“

Sie ging zum Fahrstuhl und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass jeder in New York jetzt auf dem Heimweg zu seiner Familie war. Auf dem Weg zu Wärme, zu Gelächter, Unterhaltungen, Umarmungen …

Jeder, außer ihr.

Sie hatte niemanden.

Nicht einen einzigen lebenden Verwandten. Sie hatte natürlich Freunde, tolle Freunde sogar, aber aus irgendeinem Grund half das nicht gegen den Schmerz.

Allein.

Warum wurde dieses Gefühl zu Weihnachten immer so mächtig?

Der Fahrstuhl glitt lautlos nach oben, und die Türen öffneten sich.

Lucas Blades Apartment lag direkt vor ihr, und sie schloss die Tür auf. Dann dankte sie den beiden Männern, die ihre Taschen und Kartons hinaufgebracht hatten, und schloss die Tür sorgfältig hinter sich.

Sie drehte sich um und war sofort gebannt von dem spektakulären Ausblick durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster, aus denen die eine Wand der Wohnung bestand.

Sie machte sich erst gar nicht die Mühe, das Licht einzuschalten. Stattdessen schlüpfte sie aus ihren Stiefeln, um keine Schneepfützen zu hinterlassen, und ging auf Socken ans Fenster.

Was auch immer sonst mit ihm los war, eines war klar: Lucas Blade hatte Geschmack und Stil.

Außerdem hatte er eine Fußbodenheizung, und sie spürte, wie die luxuriöse Wärme sich durch ihre dicken Wollsocken stahl und langsam ihre tauben Füße auftaute.

Sie schaute auf die Skyline hinaus und ließ die Kälte und die letzten Schneeflocken auf ihrem Körper schmelzen.

Weit unter sich sah sie Scheinwerfer aufleuchten. Vermutlich waren das ein paar mutige Taxifahrer auf der Fifth Avenue, die ihre letzte Fahrt durch Manhattan wagten. Bald würden die Straßen gesperrt werden. Das Reisen würde unmöglich – und wer es trotzdem versuchte, verhielt sich äußerst unklug. New York, die Stadt, die niemals schlief, würde endlich gezwungen werden, eine Pause einzulegen.

Vor dem Fenster fiel der Schnee in großen Flocken, die herumwirbelten, bevor sie sich träge auf die schon dicke Decke setzten, die sich auf die Stadt gelegt hatten.

Eva schlang die Arme um ihren Oberkörper und ließ den Blick über die silbrig-weiße Weite des Central Parks gleiten.

Dieses verträumte, winterliche New York war wunderschön. Warum Lucas Blade das Bedürfnis verspürt hatte, sich zum Schreiben irgendwo anders hin zurückzuziehen, verstand sie nicht. Wenn das ihre Wohnung wäre, hätte sie keine Reise gemacht.

Aber vielleicht hatte er sie verlassen müssen.

Weil die Trauer einfach zu groß geworden war. Vor drei Jahren hatte er an Weihnachten seine Frau verloren. Seine Großmutter hatte Eva erzählt, wie sehr ihn das verändert hatte. Was ja verständlich war. Er hatte die Liebe seines Lebens verloren. Seine Seelengefährtin.

Eva lehnte ihren Kopf gegen die Glasscheibe. Ihr Herz schmerzte, wenn sie daran dachte.

Ihre Freundinnen sagten ihr immer, sie wäre zu sensibel, aber sie hatte ihre Feinfühligkeit inzwischen akzeptiert. Andere Menschen konnten die Nachrichten schauen und schafften es, das alles nicht an sich heranzulassen. Sie hingegen empfand alles sehr tief. Und jetzt fühlte sie Lucas’ Schmerz, obwohl sie den Mann noch nie persönlich getroffen hatte.

Wie grausam war es, die Liebe des Lebens zu finden und sie dann wieder zu verlieren?

Wie sammelte man die Scherben auf und machte weiter?

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dort gestanden oder wann genau sie gespürt hatte, dass sie nicht alleine war. Es fing mit einem warnenden Kribbeln in ihrem Nacken an, das sich sehr schnell in einen kalten Schauer der Angst verwandelte, als sie in der Nähe ein Knacken hörte.

Ganz sicher bildete sie sich das nur ein, oder? Natürlich war sie allein. Dieses Apartmenthaus verfügte über ein ausgezeichnetes Security-System, und sie hatte die Tür sorgsam hinter sich abgeschlossen.

Niemand hätte ihr hineinfolgen können, also konnte auch niemand hier drin sein, außer …

Sie schluckte, als ihr eine andere Erklärung einfiel.

… außer jemand war bereits in der Wohnung gewesen.

Ganz langsam drehte sie den Kopf und wünschte sich nun, sie hätte sich die Zeit genommen, die Lichtschalter zu finden und die Lampen einzuschalten. Der Sturm hatte den Himmel verdunkelt, und im Apartment gab es überall Schatten und dunkle Ecken. Ihre Fantasie blühte auf. Aber sie ermahnte sich, nicht durchzudrehen. Das Geräusch hätte alles sein können. Vielleicht war es von draußen gekommen.

Sie hielt den Atem an und hörte ein weiteres Geräusch, das dieses Mal definitiv aus dem Apartment kam. Es klang wie ein Schritt. Ein verstohlener Schritt, als wolle jemand unbemerkt bleiben.

Sie hob den Blick und sah eine Bewegung in den Schatten über sich.

Die Angst war scharf und paralysierend.

Sie hatte einen Einbrecher gestört. Das Wie und Warum war egal. Wichtig war nur, hier herauszukommen.

Die Tür kam ihr unendlich weit weg vor.

Konnte sie es schaffen?

Ihr Herz raste, und ihre Handflächen waren schweißnass.

Jetzt wünschte sie, sie hätte ihre Stiefel nicht ausgezogen.

Sie ging auf die Tür zu und holte gleichzeitig ihr Handy aus der Tasche. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie es beinahe hätte fallen lassen.

Als sie auf den Notrufknopf drückte, hörte sie kurz darauf eine Frauenstimme sagen: „911 Notrufannahme …“, und versuchte, ins Telefon zu flüstern.

„Hilfe. Hier ist jemand in der Wohnung.“

„Sie müssen lauter sprechen, Ma’am.“

Die Tür war direkt vor ihr.

„Hier ist jemand in der Wohnung.“ Sie musste nach unten zu Albert. Er würde …

Eine Hand drückte sich auf ihren Mund, und bevor Eva auch nur Piep sagen konnte, landete sie rücklings auf dem Boden und wurde von dem Gewicht eines kräftigen männlichen Körpers niedergedrückt.

Der Mann hielt sie am Boden fest. Eine seiner Hände lag auf ihrem Mund, die andere packte ihre Handgelenke mit brutaler Stärke.

Heilige Scheiße.

Wenn sie in der Lage gewesen wäre zu schreien, hätte sie es getan. Aber sie konnte den Mund nicht öffnen.

Sie konnte sich auch nicht bewegen. Oder atmen. Obwohl ihre Sinne immer noch so weit funktionierten, dass sie registrierten, wie gut ihr Angreifer roch.

Es war schon ironisch, dass sie sich nach zwei Jahren endlich mit einem Mann in der Horizontalen befand. Aber dieser Mann versuchte, sie umzubringen.

Eine Schande und eine tragische Verschwendung.

Hier ruht Eva, deren Weihnachtswunsch es war, einem Mann nahezukommen, doch leider hatte sie vergessen, die Umstände näher zu beschreiben.

Würde das wirklich ihr letzter Gedanke sein? Ganz eindeutig war das Gehirn in den letzten Augenblicken, bevor ihm der Sauerstoff ausging, zu seltsamen Gedanken fähig. Und nun, wo ihr Nachruf geschrieben war, würde sie sterben; direkt hier in der Dunkelheit des leeren Apartments, nur wenige Wochen vor Weihnachten, zerquetscht von diesem umwerfend duftenden und sehr muskulösen Männerkörper. Wenn Lucas Blade sich entschloss, später als geplant zurückzukehren, würde ihre Leiche vielleicht wochenlang unentdeckt bleiben. Sie befanden sich mitten in einem Schneesturm oder einem „Winterwetternotfall“, wie es offiziell hieß.

Der Gedanke sorgte dafür, dass der Kampfgeist in ihr erwachte.

Nein! Sie wollte nicht sterben, ohne sich von ihren Freundinnen verabschiedet zu haben. Sie hatte die perfekten Weihnachtsgeschenke für Paige und Frankie gefunden und hatte niemandem gesagt, wo sie die versteckt hatte. Und in ihrer Wohnung herrschte das totale Chaos. Sie hatte schon seit Wochen aufräumen wollen, war aber noch nicht dazu gekommen. Was, wenn die Polizei ihre Sachen nach Hinweisen durchsuchen würde? Ihre meisten Habseligkeiten lagen verstreut auf dem Boden. Das wäre wirklich schrecklich peinlich. Aber vor allem wollte sie New York zu Weihnachten genießen. Und sie wollte nicht sterben, ohne wenigstens einmal in ihrem Leben umwerfenden, schwindelig machenden Sex gehabt zu haben.

Sie wollte nicht, dass das hier das letzte Mal war, dass ein Mann auf ihr lag.

Sie wollte leben.

Mit größter Anstrengung versuchte sie, ihrem Angreifer einen Schlag gegen den Kopf zu verpassen, aber er wich aus. Sie hörte das Rasseln seines Atems und erhaschte einen Blick auf tiefschwarze Haare und wild glühende Augen, und dann war da ein Hämmern an der Tür und Rufe der Polizei.

Vor Erleichterung wurde sie ganz schwach.

Die Polizei musste den Anruf zurückverfolgt haben.

Sie schickte ein stummes Dankgebet nach oben und hörte ihren Angreifer fluchen, kurz bevor die Polizei, gefolgt von Albert, durch die Tür stürmte.

Es gab keine Worte dafür, wie sehr Eva Albert in diesem Moment liebte.

„NYPD, keine Bewegung!“ Alle Lichter im Apartment gingen an, und der Mann, der sie erdrückte, erlöste sie endlich von seinem Gewicht.

Eva saugte Luft in ihre Lungen, kniff die Augen gegen das Licht zusammen. Sie spürte, wie der Mann ihr die Mütze vom Kopf riss. Von der Enge der Wolle und Wärme befreit, lösten sich ihre Haare und fielen über ihre Schultern.

Einen kurzen Moment lang kollidierte ihr Blick mit seinem, und sie sah Schock und Ungläubigkeit.

„Sie sind eine Frau.“

Er hatte eine tiefe, sexy Stimme. Sexy Stimme, sexy Körper – was für eine Schande, dass er ein Krimineller war.

„Das bin ich. Oder, das war ich zumindest. Im Moment bin ich mir nicht mal sicher, ob ich noch am Leben bin.“ Fassungslos lag Eva am Boden und überprüfte vorsichtig ihre Gliedmaßen, um zu sehen, ob sie immer noch an ihrem Körper befestigt waren. Der Mann sprang mit einer geschmeidigen Bewegung auf die Beine, und sie sah, wie sich die Miene des Polizisten änderte.

„Lucas?“ Der Officer wirkte geschockt. „Wir hatten keine Ahnung, dass du hier bist. Uns hat ein Anruf von einer unbekannten Frau erreicht, die einen Eindringling gemeldet hat.“

Lucas? Ihr Angreifer war Lucas Blade? Er war kein Krimineller, er war der Besitzer des Apartments!

Sie schaute ihn genauer an und musste zugeben, dass er ihr bekannt vorkam. Sie hatte sein Gesicht auf Buchumschlägen gesehen. Und es war ein durchaus erinnerungswürdiges Gesicht. Sie musterte den Schnitt seiner Wangenknochen und den kühnen Schwung seiner Nase. Seine Haare und Augen waren dunkel. Er sah so gut aus, wie er roch. Und was seinen Körper anging … Sie musste weder die Breite seiner Schultern noch die Kraft in seinen Muskeln studieren, um zu wissen, wie stark er war. Sie war unter seinem soliden Gewicht auf den Boden gedrückt worden und wusste daher alles darüber, was sie wissen musste. Die Erinnerung daran rief ein flatterndes Gefühl in ihrem Magen hervor.

Was stimmte nur nicht mit ihr?

Dieser Mann hatte sie beinahe umgebracht, und sie hatte sexy Gedanken.

Was mehr als ausreichend Beweis dafür war, dass sie zu lange Zeit ohne Sex verbracht hatte. Das würde sie dieses Weihnachten definitiv ändern.

In der Zwischenzeit wandte sie ihre Augen von der magnetischen Anziehung seines Blickes ab und versuchte, praktisch zu denken.

Was tat er in seiner Wohnung? Er sollte gar nicht zu Hause sein.

Sie ist der Eindringling.“ Lucas’ Miene war grimmig. Eva merkte, dass alle sie anstarrten. Alle außer Albert, der so verwirrt aussah, wie sie sich fühlte.

„Ich bin kein Eindringling. Mir wurde gesagt, das Apartment wäre leer.“ Die Ungerechtigkeit des Ganzen schmerzte. „Sie sollten nicht hier sein.“

„Und woher wollen Sie das wissen? Recherchieren Sie, welche Wohnung an Weihnachten leer sind?“ Er mochte sexy sein, aber sein Lächeln verteilte er nicht gerade großzügig.

Eva fragte sich, wie sie auf einmal zum Bösewicht geworden war. „Natürlich nicht. Ich wurde darum gebeten.“

„Sie hatten einen Komplizen?“

„Wenn ich ein Eindringling wäre, hätte ich dann den Notruf gewählt?“

„Warum nicht? Sobald Sie gemerkt haben, dass jemand zu Hause war, wäre das der perfekte Weg, um unschuldig zu wirken.“

„Ich bin unschuldig.“ Eva schaute ihn fassungslos an. „Sie haben ein sehr verdrehtes Gehirn.“ Sie sah den Polizisten um Unterstützung heischend an, bekam aber keine.

„Stehen Sie auf.“ Der Ton des Officers war kühl und barsch, und Eva rappelte ihren geprellten, zerdrückten Körper in eine sitzende Position auf.

„Das ist leichter gesagt als getan. Ich habe mindestens vierhundert gebrochene Knochen.“

Lucas griff nach ihr und zog sie auf die Beine. „Der menschliche Körper hat nicht vierhundert Knochen.“

„Oh doch, hat er, wenn die meisten davon in zwei Teile gesplittert sind.“ Angesichts der Tatsache, dass er sie bereits unter sich begraben hatte, hätte seine Stärke sie nicht überraschen sollen. „Warum schauen alle mich an? Anstatt mich wegen Einbruchs zu verhören, sollte man Sie wegen tätlichen Angriffs verhaften. Was machen Sie hier überhaupt? Sie sollen in Vermont sein und nicht hier herumschleichen.“

„Mir gehört diese Wohnung. Und niemand kann in seiner eigenen Wohnung herumschleichen.“ Er zog die Augenbrauen grimmig zusammen. „Woher wissen Sie, dass ich in Vermont sein sollte?“

„Von Ihrer Großmutter.“ Eva verlagerte vorsichtig das Gewicht auf ihren Knöchel. „Und natürlich sind Sie herumgeschlichen. Haben sich hier im Dunkeln herumgedrückt.“

Sie haben sich im Dunkeln herumgeschlichen.“

„Ich habe den Schnee bewundert. Ich bin Romantikerin. Meines Wissens nach ist das kein Verbrechen.“

„Das lassen Sie mal uns entscheiden.“ Der Officer trat vor. „Wir nehmen die Frau mit aufs Revier, Lucas.“

„Warte …“ Lucas bewegte die Hand kaum, aber es reichte, damit der andere Mann sofort stehen blieb. „Sagten Sie gerade, meine Großmutter hätte Ihnen gesagt, ich wäre in Vermont?“

„Ganz genau, Mr. Blade“, schaltete Albert sich ein. „Das ist Eva, und Sie ist auf Bitten Ihrer Großmutter hier. Ich habe das persönlich verifiziert. Keiner von uns wusste, dass Sie hier sind.“ In seiner Stimme schwang ein Hauch Tadel mit, den Lucas aber ignorierte.

„Sie kennen meine Großmutter?“, fragte er Eva.

„Das tue ich. Sie hat mich engagiert.“

„Um was genau zu tun?“ Seine Augen verdunkelten sich. Es war, als würde man in den dunklen Himmel schauen, kurz bevor ein sehr böser Sturm losbrach.

Seine Großmutter hatte Eva viel über Lucas erzählt. Sie hatte erwähnt, dass er ein ausgezeichneter Skifahrer war, dass er einmal ein Jahr in einer Hütte in der Arktis gelebt hatte, dass er fließend Französisch, Italienisch und Russisch sprach, mindestens vier verschiedene asiatische Kampfsportarten beherrschte und niemals jemandem seine Bücher zeigte, bevor sie fertig waren.

Sie hatte vergessen zu erwähnen, dass er ziemlich einschüchternd sein konnte.

„Sie hat mich engagiert, um Ihre Wohnung weihnachtlich zu schmücken.“

„Und?“

„Und was? Das ist alles. Welchen anderen Grund könnte es noch geben?“ Sie sah das teuflische Glitzern in seinen Augen. „Wollen Sie etwa andeuten, ich wäre hier eingebrochen, um Sie kennenzulernen?“

„Das wäre nicht das erste Mal.“

„So etwas tun Frauen?“ Empörung vermischte sich mit Faszination. Selbst sie konnte sich nicht vorstellen, so weit zu gehen, nur, um einen Mann zu finden. „Und wie muss man sich das vorstellen? Sobald die Frauen hier drin sind, springen sie Sie an und drücken Sie zu Boden?“

„Sagen Sie es mir.“ Er verschränkte die Arme und sah sie erwartungsvoll an. „Welchen Plan haben Sie mit meiner Großmutter ausgekocht?“

Sie lachte und erkannte dann, dass er nicht scherzte.

„Ich bin gut in der Küche, aber ich habe es noch nie geschafft, eine Romanze ‚auszukochen‘. Ich frage mich, wie das Rezept wohl aussehen würde? Eine Tasse Hoffnung gemischt mit einer Prise Illusion?“ Sie neigte den Kopf. „Ich bin keine von den Frauen, die glaubt, der Mann müsse immer den ersten Schritt machen, aber ich bin nie so weit gegangen, in eine Wohnung einzubrechen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sehe ich verzweifelt aus, Mr. Blade?“ Okay, sie war verzweifelt, aber das konnte er nicht wissen, außer er hätte ihre Handtasche durchwühlt und das einsame Kondom darin gefunden. Sie hatte gehofft, dem guten Stück ein spektakuläres Ende für sein bisher so ereignisloses Leben schenken zu können, aber das kam ihr immer unwahrscheinlicher vor.

„Verzweiflung hat viele Gesichter.“

„Wenn ich wirklich bei einem Mann einbrechen würde, um ihn zu verführen, glauben Sie, dann würde ich Schneestiefel und einen unförmigen Pullover tragen? Ich verstehe langsam, warum Sie eine so große Wohnung brauchen, obwohl Sie alleine sind. Ihr Ego muss ziemlich viel Platz einnehmen. Wahrscheinlich braucht es sogar sein eigenes Badezimmer. Andererseits sind sie reich und berühmt – deshalb stimmt es wahrscheinlich, was Sie über Ihre Erfahrungen mit Frauen sagen. Ich vergebe Ihnen also für Ihre Arroganz. Der Fehler in dieser Argumentation liegt sowieso an einer anderen Stelle: Sie sollten nämlich eigentlich in Vermont sein.“

Er hielt ihren Blick fest. „Ich bin nicht in Vermont.“

„Das weiß ich jetzt auch – wie meine Prellungen beweisen.“

Der Polizist lächelte nicht. „Glaubst du die Geschichte, Lucas?“

„Unglücklicherweise ja. Das klingt genau nach etwas, was meine Großmutter arrangieren würde.“ Er fluchte leise, aber heftig und erntete dafür einen respektvollen Blick des älteren der beiden Polizisten.

„Wie sollen wir das jetzt handhaben?“

„Gar nicht. Danke, dass ihr so schnell reagiert habt, aber ab hier übernehme ich. Und wenn ihr vergessen könntet, dass ihr mich hier gesehen habt, wäre ich sehr dankbar.“ Er sprach mit der ruhigen Autorität eines Mannes, der gewohnt war, seinen Willen zu bekommen. Eva beobachtete fasziniert, wie alle dahinschmolzen.

Alle außer Albert, der robust wie ein Baumstamm im Türrahmen stand.

Lucas sah ihn erwartungsvoll an. „Danke für Ihre Sorge, aber ich habe das hier im Griff.“

„Meine Sorge gilt Miss Eva.“ Albert sah Eva an. „Vielleicht kommen Sie besser mit mir.“

Sie war gerührt. „Ich komme klar, Albert, aber danke. Ich habe vielleicht ein paar Probleme, in der Senkrechten zu bleiben, aber wenn ich in die Ecke gedrängt werde, kann ich tödlich sein. Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen.“

„Wenn Sie Ihre Meinung ändern, ich habe bis Mitternacht Dienst.“ Er funkelte Lucas an, und seine Miene verriet, dass er die Situation im Blick behalten würde. „Ich schaue noch mal nach Ihnen, bevor ich gehe.“

„Sie sind wirklich nett.“

Die Wohnungstür fiel ins Schloss.

„Sie sind tödlich, wenn Sie in die Ecke gedrängt werden?“ In Lucas Blades dunkler Stimme schwang ein Hauch Humor mit. „Verzeihen Sie mir, wenn ich das bezweifle.“

„Unterschätzen Sie mich nicht, Mr. Blade. Wenn ich angreife, werden Sie es nicht kommen sehen. In der einen Minute kümmern Sie sich um Ihren Kram, in der nächsten liegen Sie hilflos auf dem Rücken.“

„So wie vor ein paar Minuten?“

Sie ignorierte seinen Sarkasmus. „Das war etwas anderes. Ich hatte nicht erwartet, dass jemand hier ist. Ich war nicht bereit. Aber nächstes Mal werde ich es sein.“

„Nächstes Mal?“

„Wenn Sie sich nächstes Mal auf mich stürzen, um mich in den Boden zu drücken. Es war wie auf dem Walk of Fame in Hollywood, nur dass Sie versucht haben, meinen gesamten Körper zu benutzen und nicht nur meine Hände.“

Lucas betrachtete sie einen Moment. „Sie scheinen eine sehr enge Beziehung zu dem Portier meines Gebäudes zu haben. Wie lange kennen Sie ihn schon?“

„Ungefähr zehn Minuten.“

„Zehn Minuten, und der Kerl ist gewillt, seinen Job zu riskieren, um Sie zu verteidigen? Haben Sie diesen Effekt auf alle Männer?“

„Niemals auf die richtigen. Nie auf die jungen, heißen, heiratsfähigen.“ Sie wechselte das Thema. „Warum hat die Polizei keine Verhaftung vorgenommen?“

„Weil Sie laut Ihrer eigenen Aussage kein Verbrechen begangen haben.“

„Ich habe von Ihnen gesprochen. Sie haben mich zu Boden geworfen und mich halb zu Tode erschreckt.“ Sie erinnerte sich daran, wie sein Körper sich auf ihrem angefühlt hatte. Noch immer spürte sie den harten Druck seiner Schenkel, die Wärme seines Atems auf ihrer Wange und sein Gewicht.

Ihre Blicken trafen sich. So, wie er sie anschaute, erinnerte auch er sich an diesen Moment.

„Sie sind in meiner Wohnung herumgeschlichen. Und wenn ich Sie hätte umbringen wollen, wären Sie jetzt tot.“

„Soll mich das trösten?“ Sie rieb sich ihre geprellten Rippen und ermahnte sich, dass es keine romantische Begegnung gewesen war – egal, wie ihre Fantasie die Fakten interpretierte. Lucas Blade sah sie mit stählernem Blick an. Irgendetwas an ihm fühlte sich nicht wirklich sicher an. „Greifen Sie jeden an, der Ihre Wohnung betritt?“

„Nur die, die uneingeladen kommen.“

„Ich war eingeladen! Was Sie erfahren hätten, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten zu fragen. Und ich hätte gedacht, ein Mann mit Ihrer Erfahrung im Bereich Verbrechen wäre in der Lage, den Unterschied zwischen einer unschuldigen Frau und einem Kriminellen zu erkennen.“

Er sah sie kritisch an. „Kriminelle sind nicht immer so leicht zu erkennen. Sie tragen keine gezwirbelten Schnauzbärte und haben auch kein Schild um den Hals hängen. Glauben Sie wirklich, man kann einen gefährlichen Menschen mit einem Blick erkennen?“

„Na ja. Ich bin ziemlich gut darin, die Verlierertypen zu erkennen, und heiße Typen erkenne ich auch. Also bin ich mir ziemlich sicher, dass mir ein böser Kerl ebenfalls nicht entgehen würde.“

„Ach ja?“ Er kam näher. „Die bösen Kerle leben unter uns, verborgen in der Masse. Oft ist es ein Mensch, von dem man es am wenigstens erwartet. Ein Anwalt, der Taxifahrer“, er hielt inne und fügte dann hinzu: „Der Portier.“

Versuchte er absichtlich, ihr Angst zu machen? „Ihr Portier Albert ist zufällig einer der nettesten Menschen, die ich getroffen habe. Wenn Sie mir einreden wollen, dass er eine kriminelle Vergangenheit hat, werde ich Ihnen nicht glauben. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Menschen ziemlich anständig.“

„Gucken Sie keine Nachrichten?“

„Die Nachrichten zeigen nur die böse Seite der Menschheit, Mr. Blade, und zwar auf globaler Ebene. Sie berichten nicht über die Millionen von guten Taten, die jeden Tag auf der Welt passieren. Menschen helfen alten Damen über die Straße, bringen ihren Nachbarn Tee, wenn diese krank sind. Aber davon hört man nichts, weil gute Nachrichten nicht unterhaltsam sind, auch wenn es diese Taten sind, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Schlechte Nachrichten sind eine Ware, mit der die Medien handeln.“

„Glauben Sie das wirklich?“

„Ja. Und ich habe nicht vor, mich dafür zu entschuldigen, dass ich mich lieber auf das Positive konzentriere. Ich bin ein Mensch, für den das Glas immer halb voll ist. Das ist kein Verbrechen. Sie sehen das Schlechte in den Menschen, ich sehe das Gute. Und ich glaube, in den meisten Menschen steckt etwas Gutes.“

„Wir sehen nur das, was ein Mensch gewillt ist, uns zu zeigen. Sie können nicht wissen, was sich vielleicht unter der Oberfläche verbirgt.“ Seine Stimme war tief, und er hatte diesen unglaublich intensiven Blick. „Vielleicht geht der nette Mann, nachdem er der alten Dame über die Straße geholfen hat, nach Hause und schaut sich unanständige Fotos auf dem Laptop an, den er unter dem Bett versteckt. Und der nette Mensch, der seiner Nachbarin Tee bringt, könnte ein Brandstifter oder ein gefährlicher Psychopath sein, der herausfinden will, wie er später in die Wohnung seiner Opfer eindringen kann. Nur vom Anschauen können Sie nie wissen, was ein Mensch verbirgt.“

Eva starrte ihn an. Das Bild der Welt, das er gerade gezeichnet hatte, verstörte sie. Es war, als hätte jemand ein hässliches Graffiti auf ihre saubere Sicht des Lebens gesprüht. „Sie mögen äußerlich gut aussehen, Mr. Blade, aber innerlich brauchen Sie dringend eine Generalüberholung. Sie sind zynisch und denken lauter düstere, abgedrehte Dinge.“

„Danke.“ Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. „Die New York Times hat in der Besprechung meines letzten Romans das Gleiche gesagt.“

„Ich habe das zwar nicht als Kompliment gemeint, aber ich verstehe, dass Sie vermutlich so sein müssen, um Erfolg zu haben. Ihr Job ist es, die dunkle Seite der Menschheit zu erkunden, und das hat Ihre Gedanken verdreht. Die meisten Leute sind einfach das, was man sieht“, sagte sie fest. „Nehmen Sie zum Beispiel mich. Sehen Sie mich gut an. Und jetzt sagen Sie mir: Sehe ich wie eine Mörderin aus?“

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