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Am Ende der Welt, wie wir sie kennen

Als Buch hier erhältlich:

Auf Borneo sieht sie die Folgen des Palmöl-Booms – Wälder weichen Plantagen, der Lebensraum vieler Tiere, vor allem der Orang Utans schwindet, der Boden wird von der Ölpalme ausgelaugt. Und sie berichtet über Dorfbewohner, die einfach nur teilhaben wollen am Palmöl-Verdienst, die dafür ihre Wälder für geringe Prozente opfern. Sie berichtet aus Kiribati, dem kleinen Pazifikstaat. Kiribati muss womöglich als erstes Land der Welt komplett aufgegeben werden. Die Atolle liegen nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Sie schreibt über den Plastikmüll, den wir in Europa in dem Glauben sammeln, dass er woanders recycelt wird, und der dann in Malaysia, Indonesien, auf den Philippinen landet, wo er oft illegal verbrannt wird. Und darüber , dass diese Länder ihn immer öfter ablehnen und die Müllcontainer zurück schicken. Weil sie inzwischen selbst genug Plastikmüll haben. Denn Indonesien ist nach China der zweitgrößte Kunststoffabfall-Verschmutzer der Meere. Die Journalistin besucht Menschen und Gemeinschaften, die erschüttert vor diesen Veränderungen stehen. Und sie trifft Menschen, die trotzdem nicht aufgeben.
  • Erscheinungstag: 19.10.2020
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312011834

Leseprobe

Lena Bodewein

 

Am Ende
der Welt,
wie wir
sie kennen

 

Als Reporterin in Südostasien:

das Klima, der Mensch und der Müll

Für Holger –
für Sinn und Unsinn

Für meine Eltern –
für Herz und Verstand

Inhalt

Einleitung

 

1 Plastic Beach
Südostasien versinkt im Kunststoffmüll

 

2 Der Mekong
abgetrennte Lebensader

 

3 Cool City – Klimaanlagen, der Aufstieg der Tropen,
und wie man besser kühlen kann

 

4 Die Metropolen graben sich das Wasser ab
Indonesiens Hauptstadt Jakarta versinkt

 

5 Dschungelstolz statt Tropenholz:
sanfter Tourismus

 

6 Viel zu heiß und knochentrocken
Australien verdorrt und brennt

 

7 Kohle statt Korallen
Ein Weltwunder wird geopfert

 

8 Pack den Orang-Utan in den Tank
Fluch und Segen des Palmöls

 

9 Vor uns die Sintflut
Kiribati, eine Pazifik-Nation vor dem Untergang

Einleitung


Am Ende der Welt, wie wir sie kennen: Als Südostasien-Korrespondentin für den Hörfunk der ARD durfte ich in den vergangenen Jahren Ecken und Flecken kennenlernen, die mir vor meiner Zeit hier unendlich weit entfernt schienen. Nicht nur geographisch, auch von der Lebenswelt her war ich mir nicht sicher, was uns verbindet.

Aber verbunden sind wir, auf vielfältige Weise auf diesem letztlich so kleinen und fragilen Planeten. Der giftige Rauch von den verheerenden Bränden in Australien zieht durch die Atmosphäre bis nach Europa. Und weil wir cremigen Schokoaufstrich, geschmeidiges Shampoo und knusprige Kekse haben wollen, wird der Lebensraum der Orang-Utans knapp: eine Folge des Palmöl-Booms. Regenwälder in Indonesien und Malaysia mit ihrer unvergleichlichen Artenvielfalt müssen Plantagen weichen, Dorfbewohner, die ihre Familie ernähren wollen, opfern ihre Wälder für geringe Prozente, der ätzende Rauch der Brandrodungen zieht über die ganze Region.

Kiribati, der kleine Pazifikstaat, wird womöglich als erstes Land komplett von der Weltkarte verschwinden. Die Atolle liegen nur zwei Meter über dem Meeresspiegel, und der frühere Präsident hat schon Land auf Fidschi gekauft, auf das seine Bevölkerung umsiedeln kann. Mit ihm sitze ich am Ozean, trinke ein Bier und spreche über Gier und die Einsamkeit des westlichen Lebensstils.

Auch Bangkok und andere Städte Südostasiens sind von Hochwasser bedroht, meistens durch den Klimawandel, manchmal graben sich die Menschen auch direkt selbst das Wasser ab. Ich stehe auf den Hochwasserschutzmauern des versinkenden Jakartas – die Metropole mit zehn Millionen Einwohnern sackt jährlich bis zu 25 Zentimeter ab. Drei Viertel der Menschen haben keinen Wasseranschluss, kaufen Wasser vom Tankwagen oder bohren illegale Grundwasserbrunnen. Und dem sumpfigen Boden fehlt Stabilität, er sinkt zusammen und immer weiter ab.

Die Bilder aus Australien haben sich uns eingebrannt, der Horror, den der Klimawandel mit sich bringen kann, wird hier geradezu apokalyptisch deutlich. Riesige Rauchschwaden und Feuerstürme ziehen über das Land, schwarz verkohlte Kängurus und Koalas bleiben zurück. Doch schon vor den Bränden hat jahrelange Dürre den Kontinent heimgesucht; Weiden verdorren, Kühe und Schafe sterben, Bauern begehen Selbstmord.

Der Plastikmüll, den wir in Europa in dem Glauben sammeln, er würde recycelt, landet in Malaysia, Indonesien, auf den Philippinen und wird dort oft illegal verbrannt. Doch inzwischen schicken die armen Länder immer öfter die Container zurück; sie wollen nicht mehr die Müllkippe des reichen Nordens sein.

Was am Ende der Welt passiert, betrifft uns genauso. Was dort geschieht, wird uns auch ereilen, oder aber wir sind mit dafür verantwortlich. Durch unseren Konsum beeinflussen wir, ob Tierarten aussterben, ob Wälder abgeholzt werden, ob kleine Inseln langsam vom Ozean verschluckt werden. Was wir in Jülich, München oder Zürich tun, hat Auswirkungen auf das, was in Südostasien und Ozeanien und an anderen Orten der Welt passiert. Natürlich sind wir im Westen nicht alleine schuld an allem, was geschieht: Gedankenlosigkeit ist ein globales Phänomen.

Vor uns baut sich eine Sintflut auf. Wir befinden uns zwischen Plastikstrand und Untergang. Doch zur Sintflut gehören auch Rettungsboote: Ich habe Tierschützer getroffen, die Orang-Utans retten wollen, Tüftler, die aus Plastikmüll Mopedtreibstoff destillieren, eine Lehrerin, die auf ihrer Insel eine Müll-Bank betreibt.

Teilweise habe ich die Namen meiner Gesprächspartner zu ihrem Schutz geändert. Denn es ist in einigen Ländern dieser Region nicht ungefährlich, sich als Tierschützer, Umweltaktivist oder einfach als kritischer Mensch zu äußern.

Welche Chance bietet ein vernünftiger Tourismus? Wie können wir die Städte der Zukunft kühlen, ohne durch den immensen Energieverbrauch noch mehr Hitze zu erzeugen? Oft gibt es keine klaren Antworten. Es ist nicht alles schwarzweiß – das wird mir hier immer klarer: Palmöl heißt für viele Kleinbauern zum Beispiel, dass sie ein Einkommen haben, das durch einen Boykott der EU gefährdet wird. Es gibt Initiativen zum nachhaltigen Anbau – und vor allem das Argument, dass jedes andere Pflanzenöl eine vielfach größere Anbaufläche benötigt.

Es geht also auch um ein Nachdenken über die Konsequenzen unseres Konsums. Was ist wichtig? Warum müssen wir Palmöl in so großen Mengen verbrauchen, egal ob nachhaltig oder nicht? Worauf können wir verzichten, zum Wohle anderer und zu unserem eigenen? Wann hören wir damit auf, dem Wachstum nachzurennen?

Am Ende der Welt, wie wir sie kennen, habe ich gesehen: Ein Ende ist nicht immer schlecht, es kommt nur auf die Perspektive an, dann kann es auch eine Chance bedeuten. Einen Anfang.

Danke an all die wunderbaren Menschen, von deren Engagement ich hier erzählen kann, die mir ihre Welt, ihre Probleme und ihre Ideen gezeigt haben und ohne die es dieses Buch gar nicht gäbe.

 

Es beginnt beim allertäglichsten aller Gegenstände …

1 Plastic Beach – Südostasien
versinkt im Kunststoffmüll

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Plastik ist allgegenwärtig, und gerade in Asien drängt sich der Sinn dieses Materials unmittelbar auf: Es hat den Armen ermöglicht, unkaputtbare Haushaltsgegenstände zu besitzen, kostbares Wasser kann darin aufgefangen werden, als Plane schützt es vor dem tropischen Regen – so sehen wir es auch oft auf Bildern aus Flüchtlingslagern; dauernde Nässe, Rott und Schimmel hatten ein Ende mit dem Einzug des Plastiks. Das ist der Segen, der in diesem vielfältig einsetzbaren »Kunst«-Stoff liegt. Aber gerade in Asien drängt sich auch der Fluch auf, der mit ihm einhergeht, vor allem, wenn Plastik als Einwegverpackung dient. In welchem Maße uns der deutsche Müll auch nach Südostasien verfolgen würde, war mir nicht klar – sowohl in unserer Arbeit als auch in unserem Alltag. Das Thema Plastikmüllexport begleitet uns seit Jahren in der Berichterstattung, egal, wie weit weg wir von Deutschland sind. Doch es ist nicht nur der Müllhandel. Der Kunststoff taucht überall auf, egal, wie weit wir von jeglicher Zivilisation entfernt sind …

 

Weit, weit weg im Südpazifik, so weit und abgelegen, dass Tahiti geradezu an einer Hauptverkehrslinie liegt, so weit weg, dass man nicht genau weiß, ob Peru oder Neuseeland näher ist: Dort liegt Henderson Island. Das unbewohnte Eiland gehört zu den Pitcairninseln, ist britisches Territorium und Unesco-Welterbe. Denn, so heißt es zur Begründung auf der Liste der Welterbe-Organisation: »Henderson Island [ …] ist eines der wenigen Atolle auf der Welt, dessen Ökologie von der Gegenwart der Menschen praktisch unberührt geblieben ist.«

Und weiter: »Dieses Juwel in der Mitte des Pazifik ist eines der am besten erhaltenen Beispiele für ein erhabenes Korallenatoll-Ökosystem. [ …] Es ist von herausragendem universalem Wert wegen des vergleichsweise geringen Grades an Beeinträchtigung [ …], und seine Isoliertheit macht es ideal, die Dynamik der Inselevolution und natürlichen Selektion zu studieren.«

Henderson Island also, dieses unbewohnte Atoll mit weißen Stränden und wilder Vegetation, umgeben von rasiermesserscharfen Korallen, liegt vielleicht fern der Zivilisation und der Schifffahrtsrouten. Doch das hindert die Zivilisation nicht, nach Henderson Island zu kommen: Das »Juwel« ist eine Müllkippe. Siebzehneinhalb Tonnen Plastik, fast 38 Millionen Teile sind hier angeschwemmt worden, alte Bojen, Zahnbürsten und Spülmittelflaschen, Fischernetze, Toilettensitze und Spielzeugsoldaten, Einwegfeuerzeuge, Getränkeflaschen und Flip-Flops. Das waren die niederschmetternden Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern der Universität Tasmanien, die 2017 bekannt wurden. Denn Henderson Island liegt am Rande des Südpazifik-Wirbels, einem der großen Strudel, die auf den Weltmeeren Plastikteile zirkulieren lassen.

Pro Quadratmeter haben die Forscher um Jennifer Lavers 672 Teile Müll gezählt. Und jeden Tag kamen zwischen zwei und dreißig neue Teile dazu. Lavers’ Feststellung hier und bei späteren Studien: Nur zehn Prozent des Mülls liegen überhaupt an der Oberfläche, der Rest ist schon tiefer in den Sand hinabgesunken.

Die Plastikverschmutzung auf dem gar nicht mehr unberührten Eiland hat Folgen für die einzigartige Tierwelt dort: Schildkröten haben Schwierigkeiten, an Land zu kommen und ihre Eier abzulegen, einige der einheimischen Vogelarten bekamen Probleme bei der Futtersuche.

Und am Ende sind es dann vor allem wir, die es schwer haben mit unserem »Futter«.

 

Sagt der Mann an der Fischtheke:
»Kann ich noch ’nen Plastikbeutel für den Fisch haben?« »Ist schon drin.«

 

Wir stehen am Ende der Nahrungskette, und wenn überall, in den Meeren, in Flüssen, in der Antarktis, kleine Teile Plastik zu finden sind, dann sind sie es auch in uns. Allerkleinste Teile, Mikroplastik, sind überall, dafür müssen wir noch nicht einmal etwas essen, um sie aufzunehmen: Eine Studie der Universität Newcastle in Australien besagt, dass jeder Mensch in jeder Woche Plastik von der Menge einer Kreditkarte konsumiert. Und zwar hauptsächlich durch sein Trinkwasser. Der Anteil ist in den USA und Indien höher als etwa in Europa oder Indonesien. Aber dennoch ist es ein globales Problem.

Knapp 400 Millionen Tonnen Kunststoff werden pro Jahr auf der ganzen Welt produziert, zwölfeinhalb Tonnen in jeder Sekunde. Sprich: Die Müllmenge, die auf Henderson Island gelandet ist, wurde in weniger als zwei Sekunden produziert. Nicht alle 400 Millionen Tonnen der weltweiten Produktion landen im Meer, natürlich, aber zehn Millionen Tonnen, wie die Schätzungen sind, reichen schon, um Meerestiere umzubringen. Schildkröten gehen an Plastiktüten zugrunde, die sie für Quallen gehalten haben, Seevögel verhungern, weil das unzersetzte Plastik in ihrem Magen ihnen vorgaukelt, dass sie satt seien. Ich selbst musste immer wieder als Korrespondentin über tote Wale und Delfine berichten, die in Thailand, Vietnam oder Indonesien gefunden wurden – und ihre Mägen waren voller Plastik, kiloweise.

Während der größte Teil des Plastikmülls in den Meeren aus Verpackungsmaterial und Einwegprodukten besteht, ist ein anderer Teil nicht weniger gefährlich: der Müll aus der Fischerei. Er macht zwischen 10 (konservativ geschätzt) und 20 Prozent (laut Greenpeace) des Plastikmülls in den Meeren aus. Netze, Fallen, Langleinen, die nicht mehr gebraucht werden, die nicht mehr repariert werden können, werden oft im Meer hinterlassen. Und selbst wenn die Fischer sie nicht mehr benutzen, machen die Geisternetze, die herrenlos durch die Ozeane treiben, noch weiter Beute: Bilder von Schildkröten, Albatrossen oder Robben, die sich in alten Fischernetzen oder Leinen von Kilometerlänge verheddert haben, erreichen immer mal wieder die Öffentlichkeit. Oft genug locken die verwesenden Kadaver viele weitere hungrige Tiere an, die sich dann ebenfalls verfangen – und verenden.

Bei einer Geschichte über diese Geisternetze hatte ich eine beeindruckende Begegnung in einem Singapurer Museum. Künstler des australischen indigenen Volkes der Erub, das auf einer Insel der Torres-Straße zwischen Australien und Papua-Neuguinea lebt, stellten hier aus: Ihre Traditionen sind eng verbunden mit der See, den Korallenriffen und der marinen Lebenswelt. Kunstvoll geschnitzte und verzierte Kanus, steinerne Statuetten, Tanzkostüme prägen ihren Alltag.

»Wir sind ein Volk des Meeres, Salzwassermenschen, wir nehmen alles aus der See. Das Wasser ist unsere Straße, unsere Verbindung, und wir sind mit allen Lebensformen des Meeres aufgewachsen«, sagt Florence Mabel Gutchen; sie ist eine der Erub-Künstlerinnen. Immer wieder treffen sie auf die Geisternetze der globalen Fangflotten – und sie verwandeln sie: in riesige wundervolle Skulpturen. Im Singapurer Asian Civilisations Museum hängen bunte, immense Fischschwärme von der Decke der Ausstellungsräume, fünf Meter lange Haie, Korallenstrukturen, man fühlt sich wie in einem Aquarium – alles aus alten Geisternetzen gefertigt. Die Erub-Künstler reinigen das Material, verdrillen es und formen es zu ihren Skulpturen. Schöpfung und Mahnung zugleich: »Wir müssen auf unsere Meere und ihre Geschöpfe achtgeben für die kommenden Generationen«, betonen sie, »diese Netze zerstören unsere Tierwelt. 80 Prozent der Meeresschildkröten verfangen sich darin und sterben, dabei sind sie Nahrung und Totem für uns«, erklärt Florence Mabel Gutchen. Die Künstlerin mit dem graumelierten Haarschopf und dem bunt gemusterten Kleid – ein Print aus der Erub-Stoffdesign-Kollektion – steht neben einer riesigen Schildkröte – genau aus den Netzen gefertigt, die die echten Schildkröten umbringen. »Wir verwandeln die tödlichen Netze in Schönheit, und wir wollen, dass die Welt das sieht. Damit unser Lebensraum für die Zukunft gewahrt wird, für die kommenden Generationen!«, fordert Gutchen.

Geisternetze töten jährlich Hunderttausende Meerestiere. Sie treiben nur deshalb in den Ozeanen, weil riesige Fangflotten mit immer längeren Leinen, engmaschigeren Netzen und an immer neuen Orten unseren Hunger nach Fisch stillen wollen. Doch für jeden Fisch, der auf unserem Teller landet, sterben andere Tiere vergeblich: 38 Millionen Tonnen Meerestiere werden jährlich aus den Ozeanen geholt, 40 Prozent sind ungewollter Beifang. Zu jung, falsche Sorte, nicht erlaubt, oder eben in aufgegebenen Netzen verfangen. So ruinieren wir das, wovon wir leben. Mit ihrer Kunst erinnern die Erub genau daran: »Wir lieben das Land, den Himmel und das Meer. Wir hüten das Meer, wir hüten die Tiere darin, denn sie sind unsere Nahrung.«

Ein Inselvolk zwischen Australien und Papua-Neuguinea, Geisternetze in den Tiefen der Ozeane oder Plastikmüllkippen in den einsamsten Weiten des Pazifiks – das scheint alles weit weg, oder? Wie so oft, ist es auch hier die Entfernung von einer Sache, die uns faul macht, die uns nicht handeln lässt – mit wachsender Distanz schrumpft der Handlungsbedarf, so scheint es. Und so ist es eigentlich kein Wunder, dass wir auch lange versucht haben, unser Müllproblem in weite Ferne zu schieben. Doch das funktioniert seit einiger Zeit nicht mehr.

Es heißt Abfuhr für Abfall: Die Philippinen tun es, Indonesien tut es, Malaysia auch – Tausende Tonnen von Müll in die Ursprungsländer zurückzuschicken. Die reichen Länder sollen ihren Mist selbst entsorgen, sagen sie, Südostasien sei nicht die Müllkippe der Welt. Eine Szene Anfang 2019 im Hafen von Manila: Container um Container wird auf die MV Bavaria gehievt – 69 Stück enthalten brisante Fracht: mehr als 1300 Tonnen kanadischen Müll, der seit Jahren auf den Philippinen lagert. Offiziell sollte es Plastikmüll sein, der in dem südostasiatischen Land recycelt werden sollte. Aber es waren: Hausmüll, Altpapier, Plastikflaschen und – alte Windeln. Und diesen Müll wollten die Philippinen nicht haben. Jahrelang hatten die beiden Länder verhandelt, in den vergangenen Monaten heftig gestritten, was damit nun geschehen sollte, die Philippinen zogen ihren Botschafter aus Kanada ab, Präsident Duterte drohte in seiner üblichen drastischen Rhetorik sogar mit Krieg – schließlich war es soweit.

»Sie beladen das Schiff und sobald das getan ist, fährt es über den chinesischen Hafen Kaohsiung zu seiner Endstation, dem internationalen Hafen von Vancouver.« So verkündet es die Chefin der Hafenbehörde, und fügt hinzu: Das sei ein Moment des Stolzes für alle Philippiner. Der Außenminister des Landes erklärt die Angelegenheit damit für beendet. Begleitet wird die Abfahrt von Protesten, Demonstranten halten Schilder und Plakate, »Nehmt jetzt euren Müll zurück!«, steht da und: »Die Philippinen sind nicht die Müllhalde der Welt«. Lea Guerrerro von der philippinischen Greenpeace-Organisation steht an der Kaimauer und sieht dem Schiff nach: »Der Müllhandel ist nicht akzeptabel!«, sagt sie. »Das ist eine verabscheuungswürdige Methode, die vor allem der globale Norden anwendet, um den Müll loszuwerden, den sie in ihren Ländern nicht verarbeiten können. Dieser Müllhandel wirkt sich negativ auf die Menschenrechte derer aus, die den Müll annehmen.«

Seit mehr und mehr Bilder von Plastikbergen, Halden, die ganze Dörfer umgeben, illegal abgefackelten Plastikhaufen aus Indonesien, Malaysia und anderen Ländern Südostasiens auftauchen, wächst auch der Widerstand in diesen Ländern: Der reiche Norden soll seinen Müll behalten. China nimmt seit 2018 keinen Plastikmüll mehr aus den Industrieländern auf, seitdem wurde der »globale Norden«, wie Lea Guerrerro sagt, mit der Frage konfrontiert: und nun?

Also wird der Müllstrom umgeleitet, nicht etwa gestoppt, und vieles wird nach Südostasien geschickt. Offiziell zum Recyceln. Doch wie Malaysias frühere Umweltministerin erklärte: »Die Bürger Großbritanniens etwa glauben, dass dieses Material hierher zum Recyceln geschickt wird. Aber es wird nur in unserem Land als Müll abgeladen.«

Viele Unternehmen senden Abfall nach Malaysia, ohne sich darum zu kümmern, ob das Material recycelbar ist, ob die Partnerfabriken arbeitsfähig sind, und ob das Land diese Aufgabe überhaupt übernehmen kann oder möchte. Malaysia versinkt im Müll – und macht nun wie die Philippinen nicht mehr mit. Es schickt 3000 Tonnen Plastikmüll zurück in seine Herkunftsländer. »Die Malaysier haben wie die Bürger aller anderen Entwicklungsländer auch ein Recht auf saubere Luft, sauberes Wasser, nachhaltige Ressourcen und eine saubere Umwelt, so wie Bürger von Industrieländern auch«, sagt die Umweltministerin.

Malaysia und Indonesien sind die Hauptanlaufstellen der Müllexporteure, seit China ausgestiegen ist. »Der globale Norden«, die reichen Länder machen viel Müll, kommen damit nicht klar, schicken ihn weg, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern – anstatt ihren Müll selbst zu verarbeiten, ihn zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Wohlstand ist kein Anstand, wir gerieren uns als Müllionäre. Abgesehen von der prinzipiellen Unanständigkeit des Konstrukts gibt es auf beiden Seiten, bei Sender und Empfänger zu viele schwarze Schafe, um das Ganze zu einem sauberen Geschäft zu machen. Wir schicken nicht etwa reines, recyclingfähiges Material, sondern gemischten Müll, mit Batterien, Problemstoffen, Unrat voller Chemikalien. Und in Südostasien operieren häufig Akteure ohne Lizenz, die den Müll nicht recyceln, sondern einfach irgendwo abwerfen, verbrennen, schreddern oder anderweitig unsachgemäß behandeln.

Die malaysische Regierung hat bereits mehr als 200 Plastikrecycling-Fabriken geschlossen, weil sie die Vorschriften missachteten. Und Greenpeace hat im Mai 2020 berichtet, dass Schwermetalle und giftige Chemikalien in Boden und Wasserproben rund um illegale Müllplätze enthalten sind – dort, wo der Abfall aus dem Westen einfach abgekippt wurde, aus Deutschland, Japan, Großbritannien, den USA, Australien und Italien etwa. Die Dorfbewohner in Malaysia sind den Reststoffen ausgesetzt, Blei und Kadmium im Erdboden, Phospor, Nickel und Antimon in den Flüssen. »Wenn Plastik von einem Land ins andere exportiert wird, dann kann es eine ganze Reihe von gefährlichen Chemikalien mit sich bringen«, sagt Dr. Kevin Brigden, der als Wissenschaftler für Greenpeace arbeitet. »Und unsachgemäße Lagerung und Behandlung setzt diese Chemikalien in der Umgebung frei; sie zu verbrennen, kann sogar neue gefährliche Chemikalien erschaffen.«

In Indonesien berichten die Anwohner von Burangkeng, einem Dorf nicht weit von der Hauptstadt Jakarta, dass die Müllkippe in ihrer Nachbarschaft immer größer wird – aber der Müll ist kein indonesischer: Vollkornbrotverpackungen aus den USA, Quinoa aus Kanada, Gemüsechips aus Australien, das haben Reporter des Singapurer Fernsehsenders Channel News Asia gefunden. Waren, die nicht in indonesischen Supermärkten verkauft werden. Eigentlich erlaubt Indonesien nur die Einfuhr von Altpapier, um es zu recyceln. Aber die Container, die in indonesischen Häfen landen, sind voll mit allen möglichen Dingen – nur nicht mit Altpapier. Die Kontrollen an den Häfen sind zwar strenger geworden, seit immer mehr illegal ins Land gebrachter Fremdmüll auftaucht, doch wenn der Müll erstmal im Land ist, dann ist es schwer, ihn wieder herauszubringen.

Die Dorfbewohner von Burangkeng sagen, dass sie Ausschlag bekommen, wenn sie duschen, weil der Müll ihr Wasser kontaminiert. Und wer von ihnen brauchbaren Abfall auf der Müllkippe sucht, dessen Haut wird später auch oft krank, erzählen sie. Also bleibe ihnen nichts anderes übrig, als Erde unter den Müll zu mischen und zu hoffen, dass er irgendwann zu Kompost wird. An manchen Orten befeuern sie ihre kleinen Öfen mit dem Plastik – das sei schließlich gutes Brennmaterial. Doch die Dämpfe, die sie dabei einatmen, sind toxisch. Das ist eines der Probleme der illegalen Müllverfolgung in Indonesien: Der Archipel ist riesig, es gibt unglaublich viel Land und Siedlungen mit Bewohnern, die oft nicht genügend Informationen über die heiklen Stoffe haben, die vor ihren Häusern und Hütten landen.

Australien hat jetzt zugesagt, keinen Müll mehr ins Ausland zu schicken, es will einen Zeitplan aufstellen, um künftig Plastikmüll, Papier, Glas und Reifen vollständig im eigenen Land zu recyceln oder zu entsorgen. Zumindest soll es keinen Müllexport mehr in Länder geben, in denen das Risiko besteht, dass der Müll am Ende in unseren Ozeanen herumschwimmt, meinte der Premier des Landes, Scott Morrison. 80 Prozent des australischen exportierten Abfalls landen bisher in Südostasien. Und eben auch auf der Müllkippe von Burangkeng.

Bei all unserer Arroganz anzunehmen, dass es in Ordnung wäre, anderen Ländern unseren Müll aufzudrängen: Sie haben selbst genug davon. Laut einem McKinsey-Report zählen Thailand, die Philippinen und Vietnam aufgrund ihrer schnell wachsenden Wirtschaftskraft zu den größten Plastikmüll-Produzenten. Und Indonesien
ist nach China der größte Plastikvermüller der Meere. Strohhalme, Plastiktüten, Einwegflaschen, Becher, Getränketütchen – je mehr Wohlstand herrscht, desto mehr Plastikmüll wird zunächst produziert. Es scheint einen regelrechten Nachholbedarf zu geben. Und anders als in Deutschland ist wegen der Hitze der Hygienefaktor von Plastikverpackungen in diesen Ländern zumindest oberflächlich betrachtet ein Argument. Plastik bringt Komfort, so scheint es auf kurze Sicht.

Mit dem modernen Lebensstil kam auch der Müll. Unsere Beziehung zu Kunststoff war zu Beginn sogar eine Liebesgeschichte: ein günstig herzustellendes leichtes Produkt, das das Leben vereinfachte, Glasflaschen und Steingut oder auch Elfenbein ersetzte, Gewicht sparte, ein Wunderstoff, der sich formen ließ, wie man es wollte, so dünn wie ein Hauch, so stabil wie eine Wand. Und dass man es wegschmeißen konnte und nicht wiederverwenden musste, das erschien in den 1960er-Jahren wie unglaublicher Luxus!

In vielen Ländern gilt dieser Wohlstandsstatus von Einwegverpackungen immer noch. Gleichzeitig gibt es dort aber kaum Recycling und keine umfassende Müllentsorgung, sodass der Abfall in der Landschaft, in den Flüssen, im Meer landet. In Indonesien stehen die Müllkippen kurz vor der Überfüllung, dabei werden nur 60 bis 70 Prozent der städtischen Abfälle überhaupt auf Deponien entsorgt; in den Dörfern sieht es noch schlechter aus. Einige Flüsse ersticken beinahe unter der schwimmenden Mülllast, zum Teil so sehr, dass sie nicht abfließen können und über die Ufer treten.

Dabei gibt es eindrucksvolle Initiativen von eindrucksvollen Menschen, die ich in Indonesien kennengelernt habe.

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Die Thousand Islands, Pulau Seribu, liegen vor Indonesiens Hauptstadt Jakarta, sie sind beliebte Ausflugsziele – kleine Inseln im türkisfarbenen Meer, heller Sand, bunte Fischerboote, Ausflugsschiffchen in blau-rot-weiß bringen einen überall hin, kreischende Kinder sausen auf Bananenbooten übers Wasser, Taucher und Schnorchler haben hier Wochenendspaß – und überall schwimmt Plastik. Cola-, Limo-, Wasserflaschen, Tütchen mit Instanttee und Instantkaffee, Plastiktüten ohne Ende.

»2009 fiel mir auf, wie groß das Müllproblem ist: Damals wurden unsere Mangrovenpflanzungen krank und starben – sie wurden von Plastik erstickt. Dabei brauchen wir sie: Mangroven schützen unsere Inseln vor der Erosion«, sagt Maharia Sandri, einstige Lehrerin, jetzt Müllbank-Direktorin und Recycling-Aktivistin. Sie lebt auf Pulau Pramuka, der größten der Thousand Islands. Am Anleger gibt es viele kleine Restaurants, hier starten Schnorchel- und Tauchtrips in den Meeresnationalpark. Und es gibt noch eine Attraktion: die »Bank Sampah«, die Müll-Bank von Maharia Sandri. Denn sie will ihre Insel retten.

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