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An Liebe stirbst du nicht

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SIE ist 30 Jahre alt und engagierte Journalistin. Soeben ist sie mit ihrem Freund in ein fantastisches Loft in der Nähe des Canal Saint Martin gezogen – Paris' trendigem Hipsterviertel. Im Juni werden sie heiraten. Am 26. Juni, um genau zu sein. Freunde und Familie haben sich das Datum im Kalender eingetragen. Die Trauzeugen sind schon aufgeregt. Da ihr Freund beruflich sehr viel auf Reisen ist, kümmert sie sich alleine um die Einrichtung der neue Wohnung und versucht anzukommen.
ER ist 30 Jahre alt. Mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter, die noch nicht einmal laufen kann, ist er gerade in eine tolle Etagenwohnung im selben Gebäude gezogen. Als selbstständiger Consultant startet er beruflich gerade voll durch.
Unausweichlich, mit voller Wucht und Begierde stürzen sie sich in eine Affäre. Eine »Amour fou«, die nicht mehr kontrollierbar scheint.


  • Erscheinungstag: 21.09.2020
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312011759
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Géraldine Dalban-Moreynas

AN LIEBE STIRBST DU NICHT

Aus dem Französischen von Sina de Malafosse

Für Milo.
Denn wenn ich Dir nur eines beibringen müsste, dann, dass es nichts Schöneres gibt, als zu lieben.

 

1.

Es ist 18 Uhr. Sie hat nichts.

Sie fragt sich, ob es normal ist, für die Suche nach einem Geschenk für Leute, die man kaum kennt, so viel Zeit aufzuwenden.

Sie sind in den Conrad Shop und zu Bon Marché gegangen. Sie haben alle Läden von Saint-Germain-des-Près durchstöbert. So wenige Wochen vor Weihnachten ist es überall rappelvoll. Ganz Frankreich denkt an nichts anderes mehr, als an die Päckchen, die es in naher Zukunft unter den Baum legen wird.

Freunde von ihnen sind übers Wochenende zu Besuch nach Paris gekommen. Alles ist gut.

Erst vor wenigen Wochen hat ihr Freund in New York um ihre Hand angehalten, mitten in der Stadt, für die sie schon immer eine besondere Schwäche hatte.

Er hat seine Sache gut gemacht: um sechs Uhr morgens aufstehen, Taxi zum Flughafen, Suite in einem Hotel in Manhattan. Oben auf der Plattform des Empire State Building zog er einen Diamantring aus seiner Tasche. Alles war perfekt. Wie immer. Er macht keine halben Sachen.

Sie hat Ja gesagt.

Die Geschichte macht seither immer ziemlichen Eindruck bei Essenseinladungen.

Sie hat immer noch nichts überzeugendes gefunden.

Ein Aschenbecher sticht ihr ins Auge. Doch ist es nicht völlig idiotisch, Nichtrauchern einen Aschenbecher zu kaufen? Eine Lampe gefällt ihr. Es ist vollkommen absurd, fremden Leuten eine so teure Lampe zu schenken.

»Hör mal, wir bringen einen Blumenstrauß und eine Flasche Champagner mit, und damit hat es sich.«

Er verliert die Geduld. Er, der perfekte Mann, der nie die Stimme erhebt, begreift es nicht. Wie sollte er auch? An dem Tag begreift sie es selbst nicht. Es ging nie ausschließlich um die Einweihungsfeier der Nachbarn aus dem Zweiten in Gebäude B.

Sie geht noch einmal zu Bon Marché. Im Bereich mit den Weihnachtsgeschenken geht es zu wie auf der Ringautobahn zur Berufsverkehrszeit. Sie entscheidet sich für eine Metallbox mit kleinen Papierzetteln darin, die ihr vage im Gedächtnis geblieben war. Für jeden Tag einen Spruchzettel. Etwas für hippe Großstädter aus Batignolles, die ihr Geld für nichtsnutzigen Schrott ausgeben. Etwas, das ihn jeden Morgen an sie erinnert. Schon jetzt.

Es ist November.

2.

Vor einigen Monaten sind sie ein Loft gezogen, das aussieht wie aus einem Einrichtungsmagazin, so eine Wohnung, bei der man denkt, dass die Bewohner garantiert viel Geld besitzen.

Sie sind nicht reich. Sie haben die ehemalige Lagerhalle einem etwas zwielichtigen Syrer abgekauft, der die Sanierung des Gebäudes leitete. Ein gewisses Vorstellungsvermögen war nötig.

»Voilà, das sind die Räumlichkeiten, von denen ich Ihnen erzählt habe, wir sind also im Erdgeschoss, Innenhofseite, zwischen zwei Gebäuden. Ich habe Sie ja gewarnt, es muss alles neu gemacht werden, doch Sie haben hier echtes Potenzial. Die Concierge nutzt die Räume zurzeit als Abstellraum für die Mülltonnen, aber in der neuen Eigentümerregelung ist festgelegt, dass dies Wohnfläche wird. Es gibt zwei verbundene Kellerräume, in die man über diese Treppe gelangt, kommen Sie, ich zeige es Ihnen, passen Sie auf die Spinnweben auf …«

»Und das Loch im Dach, ist das normal?«

»Hier sollte ein Glasdach entstehen. Sie haben erst einmal alles mit Planen abgedeckt, als Regenschutz. 150 000 Euro, das ist ein Schnäppchen für diese Lage, ich habe viele Interessenten, warten Sie nicht zu lange mit Ihrer Entscheidung.«

150 000 Euro, siebzig baufällige Quadratmeter und zwei Kellerräume, wenige Fußminuten vom Rathaus des 17. Arrondissements entfernt. Ein Schnäppchen.

Sie unterzeichnen.

Ein paar Tage später fliegt er nach Beirut. Der Golfkrieg ist ausgebrochen. Sie verbringt nun viel Zeit im Baumarkt. Und sucht Handwerker.

Sie verfolgt, wie sich die Räume verändern. Im Keller entstehen Schlafzimmer, in die durch ein großes Glasdach Licht fällt. Die Wände weichen, die Atelierfenster werden verschweißt. Zwei große Glasfronten mit Blick in den Innenhof werden neu geschaffen. Der Holzboden wird durch riesige Glasplatten ersetzt. Sie lässt die Zwischendecke einreißen, so dass die bis dahin verborgenen Metallbalken zum Vorschein kommen. Sie stellt einen großen Tontopf nach draußen, pflanzt einen Olivenbaum.

Er kommt von Zeit zu Zeit nach Hause. Um gleich wieder zu gehen. Irgendwo auf der Erde geschieht immer irgendetwas. Sie macht weiter. Allein.

Immerhin hat sie Gelegenheit, ihn zu fragen, was er von den Wasserhähnen halte, die sie für das Bad gefunden hat. Ob er einverstanden sei, dass sie für die Dusche Metrofliesen verwende. Er ist einverstanden. Packt seine Tasche. Reist ab.

Irgendwann ist es soweit, sie ziehen um. Innerhalb weniger Monate hat sie aus der Wohnung einen Ort gemacht, an dem es sich leben lässt wie in Italien. Mit einem blühenden Innenhof, in dem man morgens einen Kaffee und abends ein Glas Wein trinken möchte. Nun, zumindest stellt sie es sich so in Italien vor.

Zur gleichen Zeit tauchten auch die Leute aus dem Zweiten auf. Sie erinnert sich nicht mehr genau. Sie sah seine Frau vorbeigehen, er folgte mit dem Kinderwagen. Ihre Tochter konnte noch nicht laufen. Sie blieben nicht stehen.

Sonntage mag sie nicht. Wie so oft schleppt sie sich leicht melancholisch gestimmt durch den Tag. Ihr Freund arbeitet. Im Zweiten sind ein Dutzend Handwerker zugange. Sie hört das Hämmern, die Elektrosäge, vermutet, dass gerade die letzten Regale aufgestellt werden.

Sie sieht die Polizisten kommen. Leute mit guten Absichten gibt es immer und überall. Ein genervter Nachbar hat sie alarmiert. Sie kommen wegen des Lärms und gehen mit zehn Handwerkern ohne Papiere.

Sie will ihn warnen. Bittet die Concierge um seine Nummer. Ihr Telefon ist bereits angeschlossen. Sie werden bald einziehen.

Das Tor öffnet sich. Sie erblickt seine Gestalt im Gegenlicht. Er kommt näher. Sie sieht ihn an. Er lässt sie nicht aus den Augen. Sie hat das Gefühl, als würde alles in ihr einstürzen. Er tritt näher. Sagt immer noch nichts. Sie zwingt sich, etwas zu sagen. Sie sagt, dass sie versucht habe, ihn zu erreichen. In ihren Händen hält sie Le Monde. Er sagt immer noch nichts. Holt einen Stift aus der Tasche. Notiert seine Handynummer auf einer Ecke der Zeitung. Ihre Hände zittern. Sie schafft es nicht, die Zeitung stillzuhalten. Er auch nicht.

Da stehen sie beide mitten auf dem Weg, mit den Polizisten, den Handwerkern, den anderen Leuten, sie stehen da und schauen sich an, stehen so nah beieinander, dass sie sein Herz schlagen hören könnte. Sie versinkt in seinen Augen, die Zeit bleibt stehen; Nachbarn tauchen auf, die Uhren drehen sich weiter. Sie rührt sich nicht. Es sind nun ein Dutzend Leute. »Der muss auf die Wache, das ist sicher.«

»Auf jeden Fall ist das Unternehmen verantwortlich.«

»Haben Sie eine Genehmigung für die Arbeiten? Nun, dann muss der Unternehmer das ausbaden.«

»Ja, natürlich, Bauarbeiten am Sonntag sind wahrlich nicht ideal.« Es tut ihm leid. Die Nachbarn sagen, dass es nicht schlimm sei.

»Wegen so etwas werden wir uns doch nicht streiten.«

»Und sonst ist alles fertig?« –

»Ja.«

Ihr Umzug ist für nächstes Wochenende geplant.

Alle reden auf einmal. Und mittendrin steht sie. Hält immer noch die Zeitung in den Händen. In einer Ecke eine handschriftlich notierte Telefonnummer. Sie ist verstört. Verwirrt. Ihr Unterbewusstsein ahnt es bereits. Aber sie begreift es nicht. Noch nicht.

Sie geht wieder hinein.

Am Abend wirft sie das Exemplar von Le Monde weg. Zuvor speichert sie seine Nummer in ihrem Telefon. Als könnte sie nicht anders. Es dauert lange, bis sie sich den Grund erklären kann.

Es ist der 11. November.

3.

Sie weiß nicht, was sie anziehen soll. Auf dem Bett stapeln sich die Kleider. Schließlich entscheidet sie sich für eine Jeans, ein weißes Hemd und Stiefel. An ihrem Hals fühlt sie die langen Ohrringe. Sie ist nervös. Sie schaut auf die Uhr. Zum hundertsten Mal. Die Sekunden verstreichen nicht. Sie erschauert. Sie ist sich sicher, dass er auf sie wartet. Weil er auf sie wartet. Sie weiß es.

Aus den offenen Fenstern im zweiten Stock von Gebäude B dringt Musik. Gemeinsam mit ihren Freunden aus dem Süden gehen sie hinauf. Er öffnet die Tür. Sie küsst ihn auf die Wangen. Hält ihm die Box mit den kleinen Zetteln hin. Er legt sie ungeöffnet beiseite.

Er stellt sie seinen Freunden vor, sie bleibt bei den ihren, bei ihrem Kerl. Es ist voll, wie auf jeder Einweihungsparty. Lärm, Alkohol, Trubel, sie beide. Er verbringt den Abend mit ihr. Er zwingt sich, mit den anderen zu reden, mit seiner Frau, mit seinen Freunden, und kehrt dann zurück zu ihr. Unermüdlich.

Ihre Wege, ihre Blicke kreuzen sich. Immer wieder. Viel zu oft.

Sie unterhalten sich.

Es ist spät. Es sind nur noch ein paar enge Freunde übrig. Sie weiß, dass sie gehen müssen, dass sie hier nichts mehr zu suchen haben. Doch sie könnte bleiben, bis die Sonne aufgeht.

»Gehen wir?«

»Ja, auf geht’s.«

Nach diesem Abend sind sie ein wenig mehr als Nachbarn. Nach diesem Abend sind sie Komplizen. Sicher sprechen sie es noch nicht aus. Sicher wollen sie es nicht. Er ist gerade erst mit seiner Tochter und seiner Frau eingezogen. Sie plant ihre Hochzeit. Sie spüren ein leichtes Kribbeln und vertreiben es wieder aus ihrer Erinnerung.

Später werden sie sagen, dass sie es bereits wussten. Aber noch ist da nicht mehr als eine Ahnung.

Sie geht hinunter und legt sich neben ihren Freund ins Bett.

Es ist immer noch November.

4.

Die Nachbarn aus dem Zweiten ziehen ein. Sie begegnen sich, unterhalten sich, laden sich gegenseitig ein. Sie mag seine Frau nicht. Sie mag nur ihn. Er ist nicht vollkommen glücklich. Er liebt seine Tochter. Sie ist eineinhalb. Hat die Gesichtszüge ihrer Mutter. Seine Frau hat er in Montréal kennengelernt. Sie ist Amerikanerin und wollte nach ihrem Studium eigentlich zurück in die USA. Stattdessen kam sie mit nach Frankreich. Für ihn.

Sie unterhalten sich oft auf der Straße. Wenn sie eine Party geben, kommt er jedes Mal runter. Jedes Mal allein.

An einem Abend stößt er erst spät dazu. Es ist drei Uhr früh, vielleicht noch später. Es sind immer noch Leute da.

Sie ist allein. Ihr Freund ist irgendwo am anderen Ende der Welt. Die Hochzeitsvorbereitungen sind ins Stocken geraten. Sie würde gern in Marrakesch heiraten, er im Innenhof des Hauses.

»Eine Hochzeit in Marrakesch, das ist so versnobt. Ich hasse Snobismus.«

»Wenn du Snobismus nicht magst, was hält dich dann bei mir?«

»Du bist der einzige Snob, den ich mag. Außerdem ist das viel zu teuer. Du wirst von den Leuten ja wohl nicht verlangen, so viel Geld auszugeben, nur um an einer Hochzeit teilzunehmen.«

»Ich habe mit einer Agentur vier Tage, drei Nächte für weniger als 350 Euro ausgehandelt.«

»Tante Evelyne verträgt das Fliegen nicht, sie hat Angst, soll sie etwa dorthin schwimmen?«

»Tante Evelyne ist mir wirklich egal, sie ist nicht eingeladen.«

»Was soll das heißen, sie ist nicht eingeladen?«

»Wir werden ja wohl nichts mit Mitgliedern deiner Familie veranstalten, die ich nicht kenne, und die du seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hast. Kannst du mir etwa erklären, warum wir diesen Tag mit Leuten verbringen sollten, die dir vollkommen egal sind?«

»Es wäre meiner Mutter zuliebe.«

»Deine Mutter kann ja noch einmal heiraten, wenn sie Tante Evelyne eine Freude machen will.«

»Okay, du rufst sie an und sagst ihr, dass die Verwandtschaft nicht eingeladen ist. Sie hat bereits alle informiert, damit sie sich das Datum freihalten. Sie wird entzückt sein.«

»Wieso sagt sie allen Bescheid, bevor wir entschieden haben, wen wir einladen?«

»Ich darf dich daran erinnern, dass wir eigentlich am 26. Juni heiraten wollen. Es ist vielleicht an der Zeit, den Leuten Bescheid zu geben, oder?«

Er selbst will im Grunde gar nicht feiern.

Er will ein Kind mit ihr. Das Kinderzimmer ist fertig, es war in den Umbauplänen bereits vorgesehen.

Die Vorstellung zu heiraten gefällt ihr. Sie sieht sich in einem weißen Hosenanzug von Yves Saint Laurent, Rosen auf dem Arm. Nach mehreren Anproben mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen hat sie schließlich ein weißes Bustierkleid mit Prinzessinnenrock gefunden. Sie muss gestehen, dass es ihr sehr gut steht.

»Du siehst so schön aus, mein Schatz.«

»Mama, natürlich ist ein Kleid hübsch, aber ein Hosenanzug von Saint Laurent mit Pumps von Louboutin hat eine ganze andere Wirkung.«

»Du wirst ja wohl nicht in Hosen heiraten!«

Wenn schon heiraten, dann richtig. Sie lässt das Kleid zurücklegen und verspricht, bald zurückzukommen, um es zu bezahlen.

Sie weiß noch nicht, dass sie es nie abholen wird.

Der 26. Juni. Sie müssen nur noch das Aufgebot beim Standesamt bestellen. Der Antrag wartet unter einem Stapel Zeitschriften auf dem Wohnzimmertisch.

Eines Abends sagt sie zu ihm im Streit, dass sie sich nicht darum kümmern werde. Sie hat genug davon, sich um alles zu kümmern, während er um die Welt reist. Sie beginnt gerade erst zu ahnen, dass sie alles über den Haufen werfen wird.

Doch an jenem Abend ist das alles weit weg, auch ihr Freund … Alles erscheint ihr in weiter Ferne, sie ist betrunken.

Sie und ihre Freundinnen haben sich vor zehn Jahren am Institut d’études politiques in Paris kennengelernt. Nächtelang tanzten und knutschten sie sich durch Paris. Sie erinnern sich, wie sie sich am Morgen danach mit Mühe aus dem Bett schälten, den Geruch von Alkohol verströmend, nachdem sie von der Bar Chez Castel mit der ersten Metro nach Hause gefahren waren, an Lieben, die fürs Leben sein sollten und doch nur eine Nacht währten ... Tausend Erinnerungen, die sie unermüdlich hervorholen, sobald sich ein weinseliges Abendessen dem Ende zuneigt.

Sie weiß nicht, was sie ohne sie täte. Sie sind ihre Welt, ihr Alltag. Sie sind Freundinnen.

Aber an jenem Abend denkt sie auch daran nicht. Sie denkt an überhaupt nichts. Sie gluckst. Da ist er. Er schaut sie an. Er lässt sich von dem langsamen Schwingen der Schaukel tragen, die von der Wohnzimmerdecke hängt. Er spricht mit ihr und sie gluckst. Es ist vier Uhr morgens, sie sind betrunken. Sie unterhalten sich, sie haben die anderen, die um sie herum diskutieren, tanzen, trinken, die zu ihnen rüber sehen und denken, dass etwas vor sich geht, vergessen. Es ist ihnen egal. Sie kommen sich näher, in seinen Augen ist Lust zu erkennen, in ihren auch. Eine sich steigernde Lust, so heftig, dass sie anfängt zu schmerzen.

Und er geht.

Nun wissen sie es. Dieses Mal haben sie das Kribbeln bewusst wahrgenommen. Sie werden es nicht mehr leugnen können. Er hat die Gefahr gespürt, dass sein Leben hier und jetzt, auf einer Schaukel inmitten von Batignolles, in nur einem Augenblick auf den Kopf gestellt werden könnte … Er hat gespürt, wie die Sehnsucht in seinem Kopf explodierte, sich Raum verschaffte. Diese greifbare Spannung, die ihre Körper ausstrahlten und die alles verschlang.

Er hat gespürt, wie erregt er auf dieser Schaukel wurde … Nur von ihrem Duft, nur vom Anblick ihrer Haut. Er hat gespürt, dass er seine Seele verkaufen würde, nur, um sie in Besitz zu nehmen. Er hat gespürt, dass sie nur darauf wartete. Dass er sie in Besitz nahm. Hier und jetzt.

Später wird er ihr erzählen, dass er an jenem Abend alles dafür gegeben hätte, um in sie einzudringen. Dass er sie, einmal zu Hause, lange durch das Fenster beobachtet hat. Seine Frau schlief in ihrem Zimmer. Er legte sich auf das Sofa, schloss die Augen. Während er sich berührte, stellte er sich vor, auf ihr zu liegen. Er wird ihr erzählen, dass er gekommen ist.

Sie wird entgegnen, dass sie an jenem Abend alles dafür gegeben hätte, dass er in sie eindringt. Sie legte sich hin. Schloss die Augen. Während sie sich streichelte, stellte sie sich ihn in ihrem Innern vor. Sie wird ihm erzählen, dass sie gekommen ist.

An jenem Abend haben sie zum ersten Mal miteinander geschlafen. Ohne es zu wissen. Jeder für sich.

An jenem Abend haben sie vor allem gespürt, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Dass sie von nun an auf einem Drahtseil balancierten. Dass ein Fehltritt von einem von ihnen genügen würde, damit beide in den Abgrund stürzen. Dass es nur noch eine Frage der Zeit war.

Es ist der 13. Dezember.

5.

Der Dezember neigt sich dem Ende zu. Sie sagt die Hochzeit ab. Obwohl, eigentlich sagt sie sich von allein ab. Sie verliert ihre Großmutter, ihr Freund reist wieder nach Syrien. Sie ist allein und beruhigt sich mit dem Gedanken, dass sich in ihre Beziehung zumindest keine Routine einschleichen kann, dass sie eine schrecklich unabhängige Frau ist.

Doch sie träumt von nichts anderem als von Sonntagen zu zweit.

Die Feiertage kommen. Sie begegnen sich. Seltener als zuvor. Es ist kalt. Der Innenhof ist wie ausgestorben.

Anfang Januar geht das Leben langsam wieder los. Sie sind zu einem Abendessen im Zweiten eingeladen. Ein ihr unbekanntes Paar ist zu Gast. Es ist ihr egal. Sie hat ohnehin nur Augen für ihn. Der Rest interessiert sie nicht.

Sie sitzt neben ihm. Die logische Sitzordnung. Da sind sie und die anderen. Sie verschlingen sich heimlich mit den Augen. Streifen sich scheinbar achtlos. Sex ist das Gesprächsthema.

Zwei hippe Paare mit kleinen Kindern, sie und ihr Freund, ebenfalls hipp, aber ohne das Kriterium der Elternschaft zu erfüllen … Nun, zumindest bis jetzt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.

Sie hatte beschlossen, die Pille abzusetzen. Kind statt Heirat. Plötzlich war der Wunsch da. Eines Morgens. Sie erwachte mit schrecklichen Kopfschmerzen, wusste nicht, wer am Vorabend eine Flasche Fusel mitgebracht hatte. Wenn es nicht an der Mischung lag. Sicher war, sie hatte zu viel getrunken. Zu viel gebechert, zu viel geraucht, so konnte es nicht weitergehen. Sie wachte auf und dachte, dass es vielleicht doch der richtige Zeitpunkt war.

Unwissentlich war es der am schlechtesten gewählte Zeitpunkt, um ein Kind zu zeugen. Der Moment, als sich alles in ihr drehte. Ein letzter, verzweifelter Versuch, ein künstliches Gleichgewicht zu halten, das in Wahrheit bereits aus dem Lot war. Sie wäre bald dreißig. Ein schönes Alter, um Mutter zu werden.

Obwohl sie nie besondere Lust auf Kinder hatte. Sie versucht, es zu machen wie alle anderen. Sie reagiert begeistert, wenn jemand ihr ein Baby wie eine Trophäe vor die Nase hält. Wie junge Mütter es oft tun. Sie sieht zu, wie ihre Freundinnen vor Liebe dahinschmelzen. Sie spielt das Spiel mit, doch im Grunde ist es ihr gleichgültig. Sie gibt sich Mühe, zwingt sich, denkt, dass der Appetit beim Essen kommt. Sie hat keine Lust, schwanger zu sein, keine Lust, monatelang jemand anderen im Bauch zu tragen, keine Lust, zu gebären, keine Lust, ihre Freiheit zu verlieren.

Doch sie versucht, sich selbst zu überzeugen, indem sie sich sagt, dass es Lebensmodelle gibt, die es zu respektieren gilt. Sie sind nun vier Jahre zusammen. Eine gemeinsame Wohnung, ein gemeinsames Konto, zwar weder Wochenendhaus noch Hund, aber ein Kind würde sich auf dem Foto eines Pariser Vorzeigepaares schon gut machen.

Sie hat die Pille abgesetzt.

Ihr Freund ist glücklich.

Sie sitzen am Tisch, und sie ist vielleicht schon schwanger, ohne es zu wissen. Sie hört zu, wie die anderen vom Leben danach berichten. Es geht sehr zivilisiert, sehr höflich zu, es bleibt bei Andeutungen. Doch je weiter der Abend voranschreitet, desto spitzer werden die Bemerkungen. Sie spürt, wie die Alltagskonflikte an die Oberfläche treten, der Groll, den einer gegen den anderen, einer wegen des anderen hegt. Die Anspannung steigt mit dem Alkoholpegel.

»Natürlich ist es nicht leicht, morgens miteinander zu schlafen. Die Kinder stehen früh auf. Sie kommen zu uns ins Zimmer gerannt, aber was willst du machen? Ihnen sagen: Schätzchen, seid so lieb und spielt im Wohnzimmer, Papa will Mama vögeln

»Morgens sind die Kinder wach und abends bist du kaputt.«

»Das ist wirklich allerliebst, versuch doch mal, mein Leben zu führen, und wir werden sehen, ob du um 23 Uhr, wenn du ins Bett gehst, noch Lust auf Matratzensport hast.«

»Ich weiß ja, Schatz. Nun ja, aber unsere Kinder sind wundervoll.«

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