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Betrüg mich!

hier erhältlich:

Sophies Augen sind verbunden, sie ist an ein Bett gefesselt und Peter erregt sie mit einer Feder bis zur Raserei. Sie will ihn in sich spüren. Doch erst zwingt er sie zu einem Liebesgeständnis, ehe er ihre Lust befriedigt. Sind wirklich nur sechs Wochen vergangen, seit Sophies Ehemann Andrew ihr einen Seitensprung vorschlug, damit sie ihm seine Affäre verzeihen kann? Sophie ist verletzt, schockiert, wütend. Aber dann geht sie mit einer Freundin zum Tanzen und trifft Peter. Vom ersten Moment an prickelte es zwischen ihnen. Und als er sie plötzlich wild küsst, verspürt sie eine nie gekannte Erregung. Spontan stürzt sie sich in ein frivoles Abenteuer und genießt ihre neu entdeckte Sinnlichkeit. Bis Peter auf einmal mehr will als nur hemmungslosen, unverbindlichen Sex.


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955762612
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kayla Perrin

Betrüg mich!

Roman

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Obsession

Copyright © 2008 by Kayla Perrin

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Übersetzt von Juliane Korelski

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Getty Images, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-261-2

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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PROLOG

Die Federspitze bahnte sich langsam ihren Weg entlang meiner Unterlippe. Eine so leichte und zarte Berührung, dennoch ließ sie eine Hitzewelle durch meinen Körper rasen und brachte mich dazu, den Mund zu öffnen und ein zittriges Stöhnen hervorzubringen.

Ein weiteres Streicheln. Diesmal über meine Oberlippe. Mein nackter Körper bebte.

Bebte voller Vorfreude auf die Lust, die mir bevorstand.

Die Feder fuhr weiter nach unten, über mein Kinn. Dann strich sie über meinen Hals, hin und her. Von recht nach links. Die ganze Zeit so qualvoll langsam.

Dann verharrte die Feder. Plötzlich. Fünf Sekunden vergingen. Ich hielt den Atem an und wartete, was als Nächstes kam. Die Augenbinde über meinen Augen verhinderte, dass ich irgendetwas sehen konnte. Zugleich erhöhte dieses Blindsein meine Erregung. Ich konnte jedes Geräusch im Raum hören und alles riechen. Zumeist hörte ich nur meinen eigenen heiseren Atem und das Wirbeln des Deckenventilators über dem Bett. Aber ich konnte den Duft der Leidenschaft wahrnehmen, der in diesem Raum wie schwere, feuchte Tropfen hing. Ich konnte den Schweiß riechen, der seine Haut bedeckte. Der Geruch war moschusartig und schwer.

Und erregend.

Als die Feder meinen linken Nippel liebkoste, wand sich mein Körper. Meine Handgelenke und Knöchel wehrten sich gegen die Fesseln, die mich ans Bett banden.

“Gefällt dir das?”, fragte er.

“Ja”, antwortete ich. Überrascht stellte ich fest, wie matt meine Stimme klang. “Ja”, wiederholte ich lauter.

Erneut geschah nichts. Meine Hüften wanden sich. Ich stöhnte leise. Ich war für seine Berührungen bereit. Ich sehnte mich verzweifelt danach.

“Geduld, bella”, flüsterte er.

“Du hast leicht reden”, erklärte ich. “Du hast im Moment die absolute Kontrolle über meinen Körper.” Absolute Kontrolle über meine Lust.

“Habe ich dich je enttäuscht?”, fragte er.

“Nein”, gab ich ehrlich zu. “Nie.”

“Und ich werde dich auch jetzt nicht enttäuschen.”

Die Feder fuhr an meinem Brustbein hinab, dann bewegte sie sich nach Süden und tauchte in meinem Bauchnabel ein. Sie führte ihre langsame Reise fort und berührte den schmalen Streifen meines Schamhaars. Da verharrte sie plötzlich. Ausgerechnet in dem Augenblick, als ich sie am meisten spüren wollte.

Ich wimmerte: “Bitte, lass mich dich nicht anbetteln.”

Doch er sagte kein Wort. Einige Sekunden vergingen, und nichts passierte. Ich konzentrierte mich und versuchte, Geräusche jenseits des wischenden Deckenventilators zu erkennen.

Sanfte Schritte auf dem Teppich, dann das Quietschen der Schlafzimmertür.

Bitte was? Ließ er mich hier allein?

Ich zählte weitere zehn Sekunden. Als er nicht zurückkam, begann ich gegen meine Fesseln anzukämpfen. Das Kopfteil des Bettes klapperte, als ich an ihnen riss und zog. Vergebens. Die Knoten waren zu fest. Ein Entkommen war unmöglich.

Und dann hörte ich erneut Schritte. Er kam zurück in den Raum. Ich atmete hörbar aus.

“Sieh dich nur an”, raunte er. “Dein Körper windet sich. Hast du wirklich gedacht, ich würde dich hier liegen lassen? Nach nebenan gehen und mir ein Baseballspiel ansehen?”

Ich antwortete nicht. Plötzlich fühlte ich mich so dumm! Ich hatte Angst gehabt, dass er mich so zurückließ, völlig entblößt und hilflos. Ohne die Möglichkeit zu entkommen, bis er mich befreite. Ich habe mich auch zuvor schon völlig unter seiner Kontrolle befunden, doch heute verspürte ich zum ersten Mal einen Anflug von Panik.

Warum?

Weil er heute so anders wirkte. Von dem Moment an, als ich bei ihm ankam, konnte ich eine sonderbare Eindringlichkeit seiner Blicke und Berührungen spüren.

Irgendwie dunkler. Finsterer.

“Ich würde dich nicht verlassen”, versprach er. “Ich würde dich nie verlassen. Du und ich sind auf eine Weise verbunden, die wir nicht kontrollieren können.”

Ich schluckte. Spürte ich da etwas Unheilvolles in seinem Tonfall? Oder verlor ich ein wenig die Nerven, weil ich gefesselt war und er mir die Augen verbunden hatte?

Wie konnte eine Person gleichzeitig die Nerven verlieren und extrem erregt sein?

“Vertraust du mir?”, fragte er. Er war mir jetzt sehr nah. Vielleicht dreißig Zentimeter entfernt, weiter nicht. Ich erkannte es an seiner Stimme.

Ich ließ meine Hüften kreisen. Eine Bewegung, die ihm gefiel, gab sie ihm doch den Blick auf meine gespreizten Beine frei. “Berühre mich”, bat ich. Meine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug. “Berühre mich, bevor ich sterbe.”

“Vertraust du mir?”, wiederholte er. Ich nahm das Gewicht seines Körpers auf dem Bett wahr, doch konnte ich nicht sagen, wo genau er sich jetzt befand.

“Ja. Ja, ich vertraue dir.”

“Absolut?”, fragte er. Plötzlich kitzelte sein warmer Atem meine Klitoris. Mein Gott, in diesem Moment wäre ich fast gekommen.

“Ja, ja! Ich vertraue dir absolut. Bitte berühr mich, Baby …”

Ich schrie auf, als etwas Kaltes und Nasses meine Perle streichelte. Was war das? Diese Empfindung verwirrte mich, denn ich hatte die Wärme seiner Zunge erwartet.

Dieses kalte und nasse Ding strich die Innenseite meines Schenkels entlang, und endlich wurde mir bewusst, worum es sich handeln musste. Ein Eiswürfel.

Wieder streichelte er mich mit dem Eiswürfel. Ich zog mich zusammen, meine Hüften warfen sich hin und her.

“Ich frage mich, ob ich dich so zum Höhepunkt bringen kann”, sagte er leise und streichelte mich weiter mit dem Eis.

“Ich weiß es nicht. Es fühlt sich gut an, aber es ist so kalt.”

Das Bett quietschte, als er aufstand. Wohin ging er jetzt schon wieder? “Bitte, Baby”, protestierte ich.

Seine Lippen strichen über meine. Sie waren kalt und feucht. Vom Eiswürfel. Mein Körper wand sich, um ihm auf nicht gerade subtile Art klarzumachen, dass ich ihn wollte. Auf mir. In mir. Er sollte mich ficken, bis ich vor Erschöpfung einfach zusammenbrach.

Er küsste mein Kinn, dann ließ er seine Zunge zu meinem Ohrläppchen gleiten und saugte daran. Er wisperte: “Liebst du mich?”

“Du weißt, dass ich alles liebe, was du mit mir machst”, erwiderte ich rasch. Und das war die reine Wahrheit. Ich ersehnte die Berührungen dieses Mannes auf eine Art und Weise, von der ich nicht sicher war, ob sie gesund war. “Selbst wenn du mich darauf warten lässt.”

Der Eiswürfel umkreiste meinen Nippel. Sofort zog sich die Haut beinahe schmerzhaft zusammen. Im nächsten Moment spürte ich das Vorschnellen seiner heißen Zunge. Obwohl es nur ein kurzes Lecken war und längst nicht genug, um mich zufriedenzustellen, drückte ich den Rücken durch und kam ihm mit meinen Brüsten entgegen.

“Liebst du mich?”, wiederholte er.

Langsam sank ich zurück auf die Matratze. Heute war er definitiv anders. Warum fragte er mich plötzlich, ob ich ihn liebte? Er kannte doch meine Situation, kannte die Umstände, unter denen wir zusammengekommen waren.

“Ich weiß, du liebst das hier.” Mit dem Daumen begann er meine Klit zu streicheln. Vor und zurück. Vor und zurück.

“Mmmh, ja. Ich liebe es.” Ich begann zu keuchen, dem Höhepunkt immer näher. “Ich kann nie genug davon bekommen, deine Hände auf meinem Körper zu spüren.”

“Wie ist es mit meiner Zunge?” Er glitt zwischen meine Beine, machte es sich dort bequem. Ich biss erwartungsvoll auf meine Unterlippe. In dem Augenblick, als seine Zunge sich auf mich legte, kamen meine Hüften ihm entgegen, und ich begann zu wimmern.

“Süßer, ich liebe deine Zunge. Von ihr kann ich gar nicht genug bekommen. Ohhh!”

Er saugte an mir, bis ich vor Lust schrie und kurz davor stand, zu explodieren. Dann zog er sich zurück und verwehrte mir meine Erlösung.

“Nein, nein! Bitte”, flehte ich. “Ich brauche dich, Süßer. Ich brauche …”

“Liebst du mich?”, fragte er erneut.

“Ja!”, rief ich. “Ich liebe dich, ich liebe dich!”

“Oh Süße, ich liebe dich auch.” Hastig band er meine Beine los und legte sie über seine Schultern. Dann begann er mich mit dem Mund zu verwöhnen. Er saugte, er biss, er vergrub seine Zunge in mir und genoss mich auf so gierige Art, als wäre meine Muschi die letzte Mahlzeit, die er je haben würde.

Mein ganzer Körper bebte, als der Orgasmus mich erfasste. Er erfasste mich heftiger als alles, was ich je zuvor erlebt hatte. Er raubte mir all meine Energie. Raubte mir den Atem. Ließ mich zitternd zurück. Als würde gerade ein Schnellzug durch meinen Körper rasen.

Selbst in diesem Augenblick größter Lust war ich mir bewusst, dass sich irgendetwas zwischen uns verändert hatte. Ich war nur nicht sicher, was es war.

1. KAPITEL

Sechs Wochen früher

Ich wachte von den eindeutigen Geräuschen eines Liebesspiels im Nebenzimmer auf.

Einige Momente lag ich still auf meinem Bett. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Meine rechte Schläfe schmerzte und erinnerte mich daran, dass ich am Abend zu viele Margaritas getrunken und in den letzten Tagen zu wenig Schlaf bekommen hatte.

Gähnend drehte ich mich um und schaute auf die Nachttischuhr.

Halb vier Uhr morgens.

“Genau da … ja, genau da! Ohhh …”

Trotz meiner Kopfschmerzen konnte ich ein Kichern nicht unterdrücken. Vielleicht glaubte Marnie, dass ich tief und fest schlief und sie müsste deshalb nicht leise sein. Oder aber es war ihr egal. Während ich still dalag, wusste ich nur, dass sie und dieser Typ, den sie aufgegabelt hatte, so heftig vögelten, als wäre es ihre letzte Nacht auf Erden. Jedenfalls wenn das laute Stöhnen und Schreien, das aus dem anderen Zimmer kamen, Anzeichen für wilden Sex waren.

“Ja, ja! Fick mich, Baby, ja!”, schrie Marnie.

Ich umarmte mein Kissen und schloss die Augen. Aber ich wusste, dass ich so bald nicht wieder in den Schlaf finden würde. Nicht mit diesem geradezu olympischen Liebesspiel, das nebenan gerade abging.

Ich hörte ein regelmäßiges Krachen an der Wand … vermutlich das Kopfteil ihres Betts. Zumindest hoffte ich, es war nicht ein Körperteil von einem der beiden, das gegen die Wand knallte. Und wie dünn waren denn bitte schön diese Wände, dass ich jedes Stöhnen und jedes Ächzen hörte?

Ich überlegte, ob ich aufstehen und an Marnies Zimmertür klopfen sollte. Aber das Letzte, was ich wollte, war sie und ihren Hengst in Verlegenheit zu bringen.

Darum blieb ich, wo ich war, hielt meine Augen geschlossen und hoffte, irgendwie wieder einzuschlafen.

Ein lautes Krachen ließ mich hochfahren. Besorgt lauschte ich. Was um alles in der Welt …

Gelächter.

Ich legte mich wieder hin. Was auch immer passiert war, es hatte Marnie und ihren Liebhaber nicht ernstlich getroffen. Die Geräusche ihres Liebesspiels begannen sogleich wieder dort, wo sie aufgehört hatten.

Das Stöhnen und Keuchen und das gelegentliche Kichern ließ mich plötzlich meinen Mann vermissen. Ich vermisste es, wie wir zu Beginn unserer Beziehung gewesen waren. Spontan und ausgelassen und auch so, wie Marnie gerade war – unbekümmert darüber, ob uns jemand hörte, wie wir es im Hotelzimmer trieben.

Es war vier ganze Tage her, dass ich ihn gesehen habe, seit ich mit Marnie, meiner langjährigen und besten Freundin, zu dieser Reise nach Grand Bahama aufgebrochen war. Nach der Trennung von ihrem Verlobten war sie so niedergeschlagen gewesen – sie hatte dringend eine Luftveränderung gebraucht.

Ich hatte diesen Kurztrip vorgeschlagen, um sie von ihrem gebrochenen Herzen abzulenken. Und es war der absolute Wahnsinn! Marnie und ich hatten in den letzten vier Tagen viel Spaß, machten Party, als wären wir wieder auf dem College und verfügten über endlose Energie. Und Marnie erwähnte nicht ein einziges Mal Brian. Ich bezweifelte, dass sie zwischen den Flirts mit heißen jungen Männern und dem Runterstürzen brennender Sambucas überhaupt Zeit hatte, an ihn zu denken. Auf jeden Fall trug diese Reise eine Menge dazu bei, ihr gebrochenes Herz zu flicken.

Ich vermutete, dass sie einfach nach einigen Jahren Verlobungszeit das Recht hatte, ein bisschen durchzudrehen.

Selbst wenn ich im Nebenzimmer schlief.

Ich konnte nicht anders und musste ihnen einfach zuhören. Aber ich fühlte leisen Neid in mir aufsteigen. Was ich aus Marnies Schlafzimmer hörte, war genau die Art Sex, die ich mit meinem Mann haben wollte. Nach acht Ehejahren waren Andrew und ich ein bisschen in Routine erstarrt. Sex am Samstagabend. Manchmal auch Sonntagmorgen. Es war eine gute Woche, wenn wir es auch irgendwann an anderen Tagen schafften.

Zu Beginn unserer Beziehung waren romantische Wochenendtrips die Regel, und wir trieben es wie die Karnickel. Da wir inzwischen beide einen Vollzeitjob hatten, war diese Art der Spontaneität nicht länger möglich. Aber ich begehrte meinen Mann noch immer, und er begehrte mich. Er konnte mich noch immer von der anderen Seite eines Raums anblicken und meinen Körper allein mit diesem Blick zum Prickeln bringen, wie er es vor zehn Jahren im College vermocht hatte.

Plötzlich wollte ich mit ihm reden. Ihn anrufen und spontan mit ihm Telefonsex haben. Ihn in Stimmung bringen, damit er mir genau den Empfang bei meiner Heimkehr bereitete, den ich mir wünschte.

Ja, es war nach drei Uhr morgens, aber das macht Spontaneität schließlich aus, wenn man sich nicht darum kümmert, wie spät es ist oder wo man sich gerade befindet.

Ich nahm mein Handy, denn es war um ein Vielfaches teurer, wenn ich die Kreditkarte benutzte, um ihn vom Hoteltelefon aus anzurufen. Ich tippte die Ziffern unserer Telefonnummer daheim in Orlando ein, dann lehnte ich mich zurück und wartete, dass Andrew abnahm.

Meine Lippen leicht geöffnet, war ich bereit, im nächsten Moment etwas Schmutziges zu sagen, sobald Andrew abhob. Aber nach dem vierten Klingeln sprang die Mailbox an.

Enttäuscht seufzte ich. Ich überlegte, ob ich auflegen und erneut anrufen sollte. Ich wollte ihm erzählen, wie sehr ich mich danach sehnte, ihn zu berühren und zu streicheln. Wie sehr ich mir wünschte, ihn in mir zu spüren. Und wenn ich schon mal dabei war, konnte ich ihn auch fragen, ob er nicht den nächsten Flug nehmen und mich hier treffen wollte. Oder in Fort Lauderdale, wo Marnie und ich an Bord der Discovery Cruise Line gegangen waren.

Eben ganz spontan.

Aber die Vernunft siegte, als das Piepen erklang und ich meine eigene Stimme hörte, die mich aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Es war mitten in der Nacht, und auch wenn ich mich verzweifelt danach sehnte, mit ihm zu reden, konnte ich Andrew nicht wecken. Es wäre ihm gegenüber nicht fair. Morgen musste er aufstehen und arbeiten gehen. Im Übrigen sah ich ihn ja schon in weniger als vierundzwanzig Stunden wieder.

Echter Sex wäre sowieso viel besser als Telefonsex.

Obwohl ich schon nicht mehr daran geglaubt hatte, dämmerte ich im Laufe der Nacht immer wieder ein. Mit einem Ruck wachte ich am nächsten Morgen auf. Marnie saß auf meiner Bettkante.

“Guten Morgen, Schlafmütze”, trällerte sie, als sich unsere Blicke trafen.

Ich brauchte einen Augenblick, ehe mir bewusst wurde, dass sie wirklich da war und ich nicht träumte. Ich konnte den Geruch einer blumigen Seife riechen, konnte sehen, dass ihr schwarzes kurzes Haar feucht war. Sie hatte es glatt zurückgekämmt. Ja, sie war es wirklich. Und sie wirkte überraschend ausgeruht für eine Frau, die den Großteil der Nacht damit verbracht hatte, sich den Verstand wegzuvögeln. Ihre dunkle Haut gab nie etwas preis.

“Du würdest auch noch schlafen, wenn du nachts von Geräuschen wilder Vögelei geweckt worden wärst.”

“Du hast uns gehört?”, fragte Marnie. Sie klang überrascht.

“Du beliebst zu scherzen. Wie hätte ich euch nicht hören können?”

“Ups!”, machte Marnie kleinlaut.

“Ist dein Schlafzimmer jetzt zum Katastrophengebiet erklärt worden oder so? Es hörte sich wirklich so an, als würdet ihr das Zimmer auseinandernehmen.”

“Wir haben eine der Nachttischlampen zerbrochen.” Marnie klang beinahe stolz.

“Wie bitte?” Aber ich fragte mich eher, wie sie das geschafft hatten. “Und da kannst du auch noch drüber grinsen?”

“Mach dir keine Sorgen. Ich bin schon zur Rezeption gegangen, habe Bescheid gegeben und den Schaden bezahlt.”

“Ah, okay.” Obwohl ich todmüde war, richtete ich mich auf einen Ellbogen auf. Ich rekelte mich, und ein Gähnen entschlüpfte mir.

Marnie grinste von einem Ohr zum anderen. “Und vertrau mir, ich grinse nicht, weil wir die Lampe ruiniert haben.”

Gespielt tadelnd schüttelte ich den Kopf. “Ich kann nicht glauben, dass du bereits auf bist. Nach der sportlichen Betätigung von letzter Nacht …”

“Ich weiß.” Marnie seufzte zufrieden. “Er ist leider vor einer Stunde abgereist, daher wusste ich, dass ich keinen Schlaf bekommen würde, wenn ich es später zum Schiff schaffen will. Ich habe geduscht, ein paar Tassen Kaffee getrunken und fühle mich erstaunlich gut.”

“Man weiß ja nie. Jedenfalls nicht mit diesem ‘Ich wurde so heftig gefickt, ich könnte heute als glückliche Frau sterben’-Lächeln auf deinem Gesicht.”

“Ich weiß.” Marnie kicherte. “Es war unbeschreiblich, Sophie. Nicht von dieser Welt.”

“Das musst du mir nicht sagen. Ich fühle mich, als wäre ich Zuschauerin gewesen. Alles was mir fehlte, waren das Popcorn und ein Dildo.”

Marnie brüllte vor Lachen. “Ich sollte jetzt eigentlich verlegen sein, stimmt’s? Aber was soll ich sagen, ich bin so schamlos!”

Erneut gähnte ich, ehe ich fragte: “Du magst den Typen also?”

“Ich mag seinen Schwanz. Nein, ich liebe seinen Schwanz.”

Seit der achten Klasse war Marnie meine beste Freundin, und nie hatten wir ein Problem damit gehabt, untereinander offen zu sprechen. Aber schließlich waren wir Lehrerinnen, und wenn die Eltern unserer Schüler uns so reden hören könnten, wenn wir zu zweit unterwegs waren, hätten sie ihre Kinder vermutlich aus unseren Klassen genommen.

Natürlich mussten wir uns hier keine Sorgen darum machen. Und wir redeten natürlich auf keinen Fall so, wenn wir vor unserer Grundschulklasse standen.

“Ich mag ihn wirklich”, fuhr Marnie fort, “aber wir reisen heute ab. Vielleicht wäre er jemand für mich, wenn er in Orlando lebte. Nein, auch wenn er auf den Bahamas leben würde. Aber er reist übermorgen zurück in die Dominikanische Republik.”

“Es war süß zu beobachten, wie ihr zwei versucht habt, euch an der Bar zu unterhalten.” Was Soriano an Vokabeln fehlte, hatte er mit seinem Charme wieder wettgemacht. Und sein strahlendes Lächeln hatte auch nicht geschadet.

“Wenigstens hat er seinen Zweck erfüllt”, sagte Marnie. “Und das heißt, er hat mich absolut vergessen lassen, dass es Brian gibt. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es nur ein One-Night-Stand war, aber nichts, was Brian je mit mir im Bett angestellt hat, war auch nur annähernd so aufregend wie das, was Soriano und ich getan haben.”

“Vermutlich war es mit Brian am Anfang auch so aufregend”, betonte ich. “Neues Spiel, neues Glück.”

Marnie zuckte die Schultern. “Vielleicht. Aber jetzt weiß mein Körper, dass es ein Leben nach Brian gibt. Und dass dieses Leben sehr aufregend sein kann.”

Ich lächelte meine Freundin an und freute mich für sie. Nach dem Ende ihrer Beziehung mit Brian hatte sie jetzt über drei Monate Trübsal geblasen. Sie brauchte einfach jemanden, der sie aus ihrer Lethargie riss.

Ihre erste Ehe war bereits zerbrochen, nachdem ihr Mann sie immer und immer wieder betrogen hatte. Jetzt da Brian und sie ihre Beziehung für beendet erklärten, wusste ich, dass sie der Gedanke, ihrem Mr. Right nie zu begegnen, deprimierte.

Ich setzte mich auf und schwang meine Beine aus dem Bett. “Ich nehme erst mal eine Dusche. Gibt’s noch Kaffee?”

“Ich mach dir einen.”

“Danke, Süße. Ich werde ihn brauchen.”

2. KAPITEL

Es war kurz nach neun Uhr abends, als ich meinen Wagen in die Einfahrt unseres Hauses in Orlando lenkte. Der Cadillac Escalade meines Mannes stand dort – etwas anderes hätte ich sonntagabends auch nicht erwartet – und aufgeregt lief ich ins Haus. Ich wollte ihn in die Arme schließen und ihn küssen, bis wir nackt auf dem Wohnzimmerfußboden landen würden.

Ich hoffte, er hätte mein Kommen gehört und würde mich an der Eingangstür erwarten. Doch das tat er nicht. Dafür begrüßte mich Peaches, unsere rotweiße Tigerkatze. Sie schnurrte zur Begrüßung, und ich beugte mich hinunter und kraulte kurz ihren Kopf, ehe ich ins Wohnzimmer ging.

Peaches folgte mir. Sie forderte eindeutig mehr Aufmerksamkeit von mir. Ich aber brauchte Andrew. Und seine Aufmerksamkeit.

Aber er war auch nicht im Wohnzimmer. Hatte er mich nicht gehört? Irgendwo im Haus musste er sein. Warum war er mir also nicht entgegengekommen, um mich zu begrüßen? Wir hatten uns seit fünf Tagen nicht gesehen. Vielleicht war ich da ein bisschen altmodisch, aber ich erwartete schon, dass er alles stehen und liegen ließ, um mir entgegenzueilen. Mich in die Arme zu schließen und nicht mehr loszulassen, bis wir beide vor Lust aufschrien, wenn wir den Höhepunkt erreichten.

“Andrew?”, rief ich. Als er nicht antwortete, runzelte ich die Stirn. Heute Abend war mir nach Spontaneität. Und Kreativität.

Und Sex, der die ganze Nacht lang dauerte.

Ich spazierte in unser Schlafzimmer. Dort fand ich Andrew auf dem Bett liegend. Mein Stirnrunzeln verschwand und machte einem glücklichen Lächeln Platz. Er lag auf dem Rücken, die Lippen leicht geöffnet, und schnarchte leise.

“Oh Baby”, sagte ich leise. “Wenigstens bekommst du Ruhe, damit du in Bestform bist, wenn ich dich aufwecke.”

Die Katze rieb ihren Leib an meinen Beinen und schnurrte. Ich beugte mich hinrunter, hob sie hoch und setzte sie vor die Tür, die ich vor ihrer Nase schloss.

“Tut mir leid, Peaches, aber hierfür benötige ich keine Zuschauer.”

Ich schlich durch den Raum zum Bett und ließ mich neben meinem Mann nieder. Er regte sich nicht. Ich streckte mich neben ihm aus und legte meine Lippen auf seine.

Andrew wachte ruckartig auf. Seine Augen weiteten sich, als er mich erkannte.

Ich kicherte. “Hey, Baby.”

“Hi”, erwiderte er mit heiserer Stimme. Er räusperte sich.

“Sieht so aus, als hätte hier jemand einen harten Tag hinter sich”, bemerkte ich und legte meine Hand auf seinen Bauch, ehe ich sein Kinn küsste. “Aber ich hoffe, dein kleines Nickerchen hat dir geholfen, Kräfte zu sammeln.”

“Wie spät ist es?”

“Kurz nach neun”, antwortete ich. Jetzt küsste ich ihn auf den Mund.

“Wie war eure Reise?”

“Lustig. Marnie hatte auf jeden Fall eine gute Zeit.” Ich lächelte, als ich mich daran erinnerte, wie gut ihre Zeit gewesen war. Doch das würde ich nie mit Andrew teilen. “Der Kurzurlaub war großartig für sie.”

“Das ist gut, Liebling.”

Gut? Warum nahm Andrew mich nicht in die Arme und küsste mich endlich richtig?

Ich dachte, er wäre immer noch erschöpft, aber ich war fest entschlossen, ihn zu wecken. Ich ließ meine Hand an seinem Unterleib hinabgleiten und streichelte ihn durch die Hose. Dann drückte ich meinen Mund auf seinen und küsste ihn innig.

Sein Schwanz wurde hart, und ich schnurrte zufrieden. Es gab mir das Gefühl weiblicher Macht. Ich ließ mich auf ihn gleiten und setzte mich rittlings auf ihn. Seine Hände fuhren zu meinen Brüsten hinauf und massierten sie sanft.

Ich rieb mich an ihm und spürte durch den Stoff meiner Shorts seinen Penis. Mein Mund löste sich von seinem, küsste seinen Kiefer, biss sanft in sein Ohrläppchen.

“Ich habe letzte Nacht ein paar überaus unartige Gedanken gehabt”, flüsterte ich.

Er schob seine Hände um meine Taille. “Hast du das?”

“Mhm.” Ich hob meinen Kopf und blickte in sein Gesicht. “Ich habe dich sogar angerufen. Aber du bist nicht drangegangen.”

Andrews Hände verharrten. Er blickte mich an, als wäre er nicht sicher, ob er mich richtig verstanden hatte. “Du hast letzte Nacht angerufen?”

“Ja”, antwortete ich.

“Um wie viel Uhr?”

“Es war schon spät”, erwiderte ich. “Aber entweder hast du schon geschlafen, oder du warst noch unterwegs und hast dich amüsiert.”

Es war nur ein Scherz, aber der fragende Blick, den er mir zuwarf, zeigte mir, dass er meine Worte nicht für einen Scherz hielt. “Ich vermute, ich war einfach ziemlich müde. Bei der Arbeit war es sehr stressig. Im Moment findet bei uns eine Tagung statt, an der ich gestern noch teilgenommen habe, weil du ja nicht da warst. Du hättest sehen sollen, wie diese Schadenssachverständigen an der Bar einen Drink nach dem nächsten gekippt haben. Und ich hatte gedacht, sie wären langweilig.”

Ich schob meine Hand zwischen unsere Körper. Sein Schwanz war nicht mehr hart. “Hey, großer Junge. Was ist los?” Ich schmollte. “Bist du nicht froh, mich wiederzusehen?”

“Natürlich bin ich froh.” Bildete ich mir das nur ein, oder klang er einen bisschen zurückhaltender als sonst?

“Und warum brauchst du dann so lange, um mich auszuziehen?” Meine Beine schlossen sich weiterhin um seinen Unterleib, als ich mich aufrichtete und meine Bluse über den Kopf zog. Rasch löste ich die Häkchen meines BHs. “Berühr mich, Baby. Leck meine Nippel. Ich will von dir so heftig gefickt werden, dass es mich von den Füßen haut.”

“Sophie”, sagte Andrew. Seine Stimme klang so abweisend …

“Tut mir leid, Baby”, entschuldigte ich mich. Andrew mochte es nicht, wenn ich so sprach. “Ich habe dich einfach vermisst, und du zierst dich heute wirklich sehr.”

Andrew musterte mich aufmerksam.

“Baby, jetzt sag mir nicht, du bist dafür im Moment zu müde.” Erneut begann ich ihn zu streicheln. “Ich kann auch alles machen. Ich brauche nur deinen steifen Schwanz.”

“Was genau ist auf dieser Reise passiert?”, fragte er.

“Wie meinst du das?”

“Ich weiß nicht. Du bist irgendwie so ungewöhnlich geil auf mich.”

Jetzt setzte ich mich auf und blickte Andrew perplex an. “Bedeutet das, ich benötige irgendeinen verrückten Grund, warum ich mit meinem Ehemann Sex haben will?”

Andrews Schultern zuckten leicht.

Was ging hier eigentlich vor? “Denkst du etwa, ich habe irgendetwas Verbotenes getan, während ich fort war?”

“Das habe ich nicht gesagt.”

Er hätte kaum weniger überzeugend klingen können. Er war nie der eifersüchtige oder besitzergreifende Typ gewesen, und ich gab ihm nie einen Grund, mir nicht zu vertrauen. Daher hatte ich keine Ahnung, was hier tatsächlich vor sich ging.

“Um jegliche Missverständnisse auszuräumen” begann ich langsam und rutschte von ihm herunter, “ich habe nicht das Geringste getan, das es rechtfertigt, auf mich böse zu sein. Ja, ich habe eine Menge getrunken, bin lange aufgeblieben und habe so viel getanzt wie seit dem College nicht mehr, aber jeder Typ, mit dem ich geredet habe, wusste, dass ich verheiratet bin.”

Andrew zeigte mit keiner Regung, dass er mir zuhörte. Stattdessen stand er auf und verließ das Schlafzimmer. Er ließ mich verwirrt zurück. Glaubte er mir nicht? Oder war er einfach auf Streit aus? Wenn das der Grund war, so fragte ich mich, warum. Weil ich mit Marnie weggefahren war? Er hatte mit keiner Silbe erwähnt, dass er gegen meinen fünftägigen Kurztrip mit meiner besten Freundin war.

Ich ging ihm nicht nach. Wenn er unbedingt streiten wollte, dann gefälligst nicht mit mir. Ich zog meine Bluse wieder an und wusste, dass ich aus irgendeinem dämlichen Grund heute Abend keinen Sex bekommen würde.

Jetzt öffnete sich die Schlafzimmertür, und Peaches spazierte herein. Sie sprang auf meinen Schoß und verlangte zielstrebig nach meiner Aufmerksamkeit. Ich begann ihren Hals zu kraulen und zog seltsamerweise Trost aus der Tatsache, dass wenigstens mein Haustier froh war, mich zu sehen.

Wenige Minuten später kehrte Andrew zurück und verharrte in der Tür zum Schlafzimmer. Er stand da, lehnte sich gegen den Türrahmen und wirkte hin und her gerissen.

“Bist du böse, weil ich mit Marnie verreist bin?”, fragte ich, um gleich zur Sache zu kommen.

Andrew atmete tief ein und ließ den Atem langsam entweichen. “Es ist etwas passiert”, antwortete er einfach.

Also hatte er Ärger bei der Arbeit. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Stress seiner Arbeit ihn auch zu Hause belastete. Ich war enttäuscht. Mich wiederzusehen hatte ihn anscheinend nicht von seinen Problemen abgelenkt. Aber zugleich war es auch eine Erleichterung zu wissen, dass er nicht glaubte, ich wolle ihn irgendwie verletzen.

“Ist es etwas Ernstes?”

Er nickte.

Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte das Gefühl, es wäre nicht nur ein alltägliches Problem bei der Arbeit. Vielleicht hatte Andrew irgendwas ziemlich Großes im Hotel verbockt und die Zentrale war jetzt sauer auf ihn. Vielleicht war er auch in einen Konflikt mit einem seiner Mitarbeiter verwickelt. Es wäre nicht das erste Mal.

“Ist schon okay”, erklärte ich ihm. “Was es auch ist, du kannst es mir ruhig erzählen.”

Er starrte in meine Augen, dann blickte er zur Seite. Seinem Gesicht war Angst abzulesen.

“Andrew.” Himmel, wie schlimm konnte es schon sein? “Du weißt, ich werde dich unterstützen, was auch immer es ist.”

“Da bin ich mir nicht so sicher.”

Finster blickte ich ihn an. Peaches rollte sich auf den Rücken und bot mir ihren Bauch dar. Sie aalte sich voller Erwartungsfreude auf das, was jetzt kam. “Warum sagst du das? Bin ich nicht immer für dich da gewesen?”

Als Andrew nicht antwortete, spürte ich die Kälte, die mein Rückgrat hinaufkroch und ein Gefühl von Furcht erzeugte. Es sah Andrew nicht ähnlich, nicht direkt zum Punkt zu kommen. Mein Gott, etwas wirklich Schreckliches musste passiert sein.

Mein Herz begann schneller zu schlagen, und diverse verheerende Szenarien kamen mir in den Sinn. War mit seinen Eltern etwas passiert? Hatte er vom Arzt eine schlechte Nachricht über seinen Gesundheitszustand erhalten, während ich nicht da war? Hatte er ein Kind angefahren?

Andrew seufzte schwer. Er nahm sich Zeit und machte sich bereit, mir die schreckliche Nachricht zu verkünden, doch ich war nicht sicher, ob mein Herz diese Anspannung noch länger aushielt.

“Bitte, Andrew. Sag mir einfach was los ist!”

“Du weißt, dass ich dich liebe, ja?”

“Ja, das weiß ich”, erwiderte ich ein bisschen ängstlich. “Aber ich will jetzt wissen, was passiert ist.”

Er konnte mich nicht ansehen, und das vergrößerte nur noch meine Angst. Mein Blick trübte sich. Offensichtlich war das, was passiert war, ernst genug, dass Andrew mich nicht in meinem Urlaub hatte stören wollen.

Ich krächzte: “Jemand ist gestorben?”

“Nein.”

“Nein?” Ein erleichtertes Kichern entrang sich meiner Kehle. “Gott sei Dank, Andrew.” Ich verstummte. Atmete tief durch. “Aber etwas wirklich Ernstes ist doch passiert, oder?” Vielleicht hatte er tatsächlich eine schlechte Nachricht von seinem Arzt bekommen.

“Ich …”

Ich wartete. Hörte zu. “Was denn, Baby?”

“Ich wollte dir nie wehtun.”

Das waren nicht die Worte, die ich zu hören erwartete, und sie erwischten mich auf dem falschen Fuß. Als würde ich in einen Apfel beißen und feststellen, dass er von innen verfault war.

Verwirrt blickte ich ihn an. “Ich verstehe nicht, was du meinst.”

“Ich … ich habe etwas getan. Etwas, auf das ich nicht stolz bin.”

Es musste sich um etwas Berufliches handeln, irgendein riesiger Schlamassel, den die Bosse auf ihn abgewälzt hatten. Gott, vielleicht hatten sie ihn sogar gefeuert! Andrew arbeitete als Manager im Pelican Hotel & Resort in Kissimmee, das in der Nähe von Disney World lag. Der Job brachte eine Menge Stress mit sich. Die Leute in der Zentrale waren nicht immer damit einverstanden, wie Andrew und sein Team das Hotel führten.

Aber bestimmt war das, was auch immer er getan hatte, nicht schlimm genug, um ihn zu feuern.

“Jesus, das hier ist so …” Andrew vervollständigte den Satz nicht.

“So was?”, hakte ich nach.

“Ich hatte eine Affäre”, brachte er so schnell hervor, dass ich im ersten Moment nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Immerhin schnurrte die Katze so laut, dass ich mich verhört haben könnte.

“Was hast du gesagt?”, fragte ich, um mich seiner Worte zu vergewissern; ich erwartete, dass er etwas anderes sagte. Ich wollte sichergehen, dass ich mich verhört hatte.

Jetzt blickte er mich an. “Ich hatte eine Affäre.”

Wie in Trance setzte ich die Katze auf den Boden. Sie lief durch die Schlafzimmertür hinaus, als spürte sie die Spannung, die den Raum plötzlich erfüllte.

“Du …” Ich konnte nicht wiederholen, was er gesagt hatte.

“Es tut mir so leid”, erklärte er. Er betrat das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. “Ich wollte dir nie wehtun.”

Alles was ich tun konnte, war, Andrew anzustarren. Es war, als hätte er sich vor meinen Augen in einen Fremden verwandelt.

“Bitte, Sophie. Sag doch etwas.”

Das hier passierte nicht. Es war nicht real.

Andrew kam auf mich zu. Langsam, als versuchte er, einen ängstlichen Hund in die Ecke zu drängen. Ich sagte kein Wort. Ich konnte nicht. Ich war zu betäubt.

Aber als er die Hand nach mir ausstreckte, reagierte ich instinktiv und schlug sie beiseite. “Rühr mich nicht an!” Plötzlich hörte ich die abgehackten Atemzüge, die sich meiner Brust entrangen. Ich klang schrecklich. “Wage es nie wieder, mich anzufassen.”

“Das ist das Schwerste, das ich dir je sagen musste …”

“Halt die Klappe. Halt einfach die Klappe!” Ich legte die Hände auf meine Ohren. Ich wollte seine Worte ausblenden, als würde das, was er getan hatte, verschwinden, wenn ich es ihn nicht aussprechen hörte.

Die Hände noch immer auf die Ohren gepresst, starrte ich Andrew an. Meine Augen beschworen ihn, seine Worte zurückzunehmen. Er hielt meinem Blick stand, aber nur für wenige Sekunden. Dann blickte er zu Boden.

“Oh mein Gott.” Ich sprang auf. “Oh mein Gott!”

“Sophie …”

Keuchend stolperte ich an Andrew vorbei. Ich wollte aus dem Haus rennen, an einen Ort flüchten, an dem Andrews Worte mir nicht länger wehtaten. Aber als ich das Wohnzimmer betrat, gaben meine Knie unter mir nach, und ich hatte Glück, das Sofa zu erreichen und nicht auf dem Fußboden zusammenzubrechen.

Eine Affäre? Mein Mann hatte eine Affäre gehabt?

Andrew, der Mann, den ich kannte, seit ich neunzehn war, der mir am College so lange nachgelaufen war, bis ich nicht mehr Nein sagen konnte. Der Typ, der mir einen Plastikring in einem Strauß Löwenzahn schenkte und mir erzählte, auch wenn er damit nicht um meine Hand anhielte, wolle er mich wissen lassen, dass er es eines Tages tun würde.

Wenn es irgendjemanden gab, auf den ich zählen konnte, jemanden, von dem ich dachte, ich könne ihm absolut vertrauen und er würde mich nie auf diese Weise betrügen, dann war es Andrew.

Meine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Warum, warum, warum? Warum sollte er mir das antun? Wie konnte er mir das antun?

Es war ja nicht so, dass ich mich abends auf die Seite drehte und erklärte, ich sei zu müde, um Sex mit ihm zu haben. Eher war ich es, die häufiger wollte als er. Er war nicht mehr so energisch wie zu Beginn unserer Beziehung, wenn es zwischen uns beiden zum Sex kam. Aber er war auch noch nie der Typ gewesen, der mir die Klamotten vom Leib riss. Er war nicht der Typ Mann, der sich nach Gelegenheiten umschaute, während er eine Frau an seiner Seite hatte, die bereit und glücklich war, ihm zu gefallen.

Nein, was für Andrew wichtig war – oder was er zumindest stets behauptet hatte –, war unsere enge Bindung. Leidenschaft konnte abflauen, aber er versicherte mir, dass unsere Liebe immer stark sein würde.

“Sophie.” Er sprach leise. Mein Kopf schnellte nach oben. Er stand am Fußende des Sofas.

Ihn dort mit diesem schmerzlichen Ausdruck auf dem Gesicht stehen zu sehen war alles, was ich im Moment brauchte, damit meine Verwirrung sich in Wut verwandelte. Er wagte es, mich verletzt anzusehen? Nachdem er mich betrogen hatte?

“Was willst du, eine Medaille? Du denkst, nur weil du den Mut aufbringst, es zu gestehen, soll ich dir gefälligst verzeihen, dass du durch die Gegend vögelst?”

“Nein”, sagte er leise. “Das ist es nicht, was ich erwarte.”

“Was zum Teufel willst du dann?” Ich war stinksauer und kümmerte mich nicht um meine Umgangssprache, die ihm oft nicht passte.

Er zuckte die Schultern. “Ich wollte, dass du es weißt.”

“Ach, was bist du doch für ein Ausbund an Ehrgefühl. Geh zum Teufel.”

Ich stand auf und marschierte ins Schlafzimmer. Aber sobald ich dort war, wirbelte ich herum. Ich wollte Antworten von diesem Mann, dem ich mein Herz geschenkt hatte. Antworten von dem Mann, den ich geheiratet und dem ich Treue geschworen hatte.

Nein, ich verdiente Antworten.

Ich schäumte vor Wut, und meine Nasenflügel bebten mit jedem wütenden Atemzug. “Du hast eine andere gevögelt. Sag mir, warum.”

Er sagte nichts.

“Sag mir, warum! War ich dir nicht gut genug? Gott weiß, du hast dich nie so verhalten, als wäre Sex für dich das höchste Ziel, also warum zum Teufel musstest du im Bett einer anderen Frau landen?”

“Ich weiß es nicht.”

“Du weißt es nicht?” Ich starrte ihn an. “Was denn, wurdest du von Außerirdischen entführt, die dein Gehirn entfernt haben?”

Andrew sagte nichts.

“War es ein One-Night-Stand?”, verlangte ich zu wissen. “Irgend so eine Schlampe, die du in einem Club kennengelernt hast?”

Keine Antwort.

Mir drehte sich der Magen um. “Jemand, den du im Hotel kennengelernt hast?”

Andrew antwortete nicht.

Ein schrecklicher Gedanke kam mir. Er war so schmerzhaft, als hätte Andrew mich mitten ins Gesicht geschlagen. “Sie war nicht bloß ein One-Night-Stand … Oh Gott.”

Andrew fuhr sich aufstöhnend mit einer Hand durchs Gesicht. “Es ist nicht … es ist ja nicht so, als hätte sie mir etwas bedeutet.”

“Mein Gott, du bist ein verdammtes Klischee auf zwei Beinen.”

“Um Himmels willen, Sophie. Können wir nicht einfach … können wir darüber reden? Ich weiß, ich habe etwas falsch gemacht. Ich habe einen riesigen Fehler begangen.”

“Ich habe mir genug Scheiße von dir angehört.” Ich fluchte wie ein Trucker, aber ich war auch wirklich wütend.

“Ich versuche nur, hier und jetzt das Richtige zu tun.” Andrew klang verzweifelt. “Darum habe ich dir davon erzählt. Ich wollte, dass du es von mir erfährst.”

Einige Herzschläge geschah gar nichts. Ich war so wütend und zitterte am ganzen Körper. Ich musste mich beruhigen. Nicht um Andrews willen, sondern um meinetwillen.

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen. Ich fragte mich zugleich, ob ich mich je wieder beruhigen würde.

“Ich habe gedacht, ich würde dich kennen”, sagte ich. “Ich habe gedacht, du liebst mich.”

“Denkst du, ich liebe dich nicht?”, fragte Andrew. “Darum erzähle ich es dir doch – weil ich dich liebe. Und ich will es wiedergutmachen.”

Es wiedergutmachen … Als ob das so einfach wäre. Als ob das, was er getan hatte, rückgängig gemacht werden könnte.

“Verschwinde”, sagte ich.

Er wirkte wie betäubt. “Wie bitte?”

“Ich will, dass du verschwindest. Verschwinde aus meinem Leben, du Hurensohn.”

Noch während ich die Worte aussprach, konnte ich mir ein Leben ohne Andrew nicht einmal vorstellen. Erst vor ein paar Monaten hatten Andrew und ich überlegt, endlich Kinder zu bekommen. Nachdem wir die ersten acht Jahre unserer Ehe dem Nestbau gewidmet hatten, waren wir für diesen Schritt bereit.

Ich holte erneut Luft und hielt sie an, bis meine Lungen brannten. Ich wollte nicht weinen, aber verdammt … Andrew hatte alles zerstört.

Der Damm, der von meinem letzten Rest Selbstbeherrschung gehalten wurde, brach, und ich begann zu weinen. Große, schwere Schluchzer.

Andrew schloss mich in die Arme, und obwohl ich das nicht wollte, hatte ich keine Kraft, ihn wegzustoßen. Er hielt meinen Kopf an seine Brust gedrückt, und ich heulte, bis keine Tränen mehr kamen.

“Gott”, seufzte Andrew. Zärtlich streichelte er mein Haar, als tröstete er mich wegen einer völlig anderen Sache. “Das ist das Letzte, was ich wollte. Dir so wehzutun.”

Seine Worte durchbohrten mein Herz. Ich trat einen Schritt zurück und wischte die Tränen von meinen Wangen. Irgendwie war ich erstaunlich ruhig, als ich fragte: “Was hast du geglaubt? Dass es mir nicht wehtut, wenn du mich betrügst?”

“Ich weiß, ich weiß. Ich klinge wie ein Idiot. Ich wollte damit nur sagen … Nein. Alles was ich sagen kann, ist, dass es mir leidtut.”

Mir war plötzlich kalt, und ich schlang die Arme um meinen Körper. Obwohl ich wusste, dass meine Arme mich nicht wärmen konnten, denn die Kälte strömte aus meinem Innern. “Eine Entschuldigung kann das hier nicht aus der Welt schaffen.”

Andrew nickte. “Ich verstehe.”

“Hör auf, mich so anzusehen.”

“Wie sehe ich dich denn an?”

“Dieser verletzte Blick. Als ob dir das hier mehr wehtut als mir.”

“Ich bin auch verletzt”, sagte Andrew leise.

“Oh, ich bin sicher, es ist schrecklich hart für dich”, erwiderte ich grob und wandte mich von ihm ab. Ich konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Ihn anzusehen und zu wissen, dass der Mann, den ich liebte, mich betrogen hatte.

Langsam ging ich auf die Wand neben der Schlafzimmertür zu. Erschöpft lehnte ich mich an sie.

Andrew folgte mir, aber er blieb ein paar Schritte entfernt von mir stehen. “Ich habe dir davon erzählt, weil ich es wollte. Weil du verdienst, es zu wissen. Und weil ich hoffte, dass du tief in deinem Herzen einen Weg findest, mir zu verzeihen, dass ich so schwach war. Und so dumm. Ich hab’s vermasselt, aber das muss nicht das Ende unserer Ehe sein.”

“Wow. Danke für diesen zu Herzen gehenden, überaus parteiischen Ratschlag, du Arschloch. Wage es nicht, mir zu sagen, wie ich mich fühlen soll und was ich tun soll, denn ich werde entscheiden, was als Nächstes passiert. Du hast jedenfalls keine Affäre und entscheidest danach noch immer über unsere Zukunft. Wenn dir unsere Zukunft wichtig wäre, hättest du nie etwas so …” Meine Stimme verlor sich in erstickten Schluchzern.

Andrew streckte die Hand nach mir aus. “Baby.”

“Fick dich!”, fauchte ich. Die Wut war zurück und genoss ihren großen Auftritt. “Und jetzt verschwinde. Ich ertrage deinen Anblick nicht länger.”

3. KAPITEL

Ich fragte Andrew nicht, wohin er ging. Es interessierte mich nicht. Er konnte meinetwegen direkt zu seiner Freundin laufen und anfangen zu planen, wie er mich mit den Scheidungspapieren abservieren wollte. Es war mir egal. Wenn er die Schlampe wollte, die er gevögelt hatte, konnte er sie haben.

Das sagte ich mir, doch tief in meinem Herzen glaubte ich mir meine mutigen Worte nicht. Vielleicht wollte ich Andrew hassen, weil er meine Welt auf den Kopf stellte, aber kein Mensch kann seine Gefühle von einem Moment auf den nächsten abstellen. Die Wahrheit war, dass ich ihn liebte, und das verstärkte den Schmerz nur. Das und die Tatsache, dass das, was er getan hatte, für mich ein absoluter Schock war. Ich hatte geglaubt, Andrew und ich führten eine gute, glückliche Ehe. Und Leute in glücklichen Ehen betrügen einander nicht.

Ich verbrachte die Nacht abwechselnd damit, zu weinen, zu fluchen und mir zu wünschen, ich könnte diesen Tag noch mal von vorn anfangen. Ich würde alles dafür geben, noch mal auf den Bahamas zu sein, mit einem mächtigen Kater und Schlafentzug. Zumindest wäre ich dann unausgeschlafen, weil ich zu viel Spaß gehabt hätte.

Jetzt aber, als das Sonnenlicht durch die Fensterläden blinzelte und den neuen Morgen ankündigte, war mir übel, und ich fühlte mich wie betäubt. Mein Hals war ausgedörrt und mein Bauch krampfte. Ich brauchte Wasser. Etwas in meinen Magen. Aber ich hatte nicht mal genug Energie, um aus dem Bett zu steigen.

Warum? Das war die Frage, die ich mir in den Momenten stellte, wenn ich nicht weinte oder vor mich hin döste. Warum hatte Andrew mir das angetan? Uns angetan. Und er besaß die Unverfrorenheit, mir zu erklären, dass er noch immer mit mir zusammen sein wollte. Dass er an unserer Ehe festhielt.

Ich verstand es einfach nicht.

Mein Kopf schmerzte, weil ich ihn mir über Andrews geplatzte Bombe zerbrach. Darum schloss ich meine Augen. Schloss meine Augen und zwang den Schmerz zu verschwinden.

Ich muss wieder weggedämmert sein, denn ich schreckte auf, weil ich glaubte, ein Geräusch im Haus zu hören. Langsam hob ich meinen Kopf. War das Peaches?

Es musste die Katze sein. Sie war nicht bei mir im Schlafzimmer, und das bedeutete, sie musste irgendwo im Haus herumstreunen. Vermutlich hatte sie etwas umgeschmissen, aber ich konnte mich nicht aufraffen, aufzustehen und nachzusehen.

Ich schloss die Augen und riss sie wieder auf, als ich hörte, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde. Jetzt wusste ich, dass es nicht Peaches war.

War Andrew zurückgekommen?

Marnie steckte ihren Kopf durch den Türspalt.

“Marnie?” Kurz fragte ich mich, ob ich halluzinierte.

Sie stürzte ins Zimmer. “Oh Liebes. Was ist denn los?”

“Was machst du denn hier?”, fragte ich mit heiserer Stimme.

Sie plumpste neben mir aufs Bett. Ihr Gesicht spiegelte ihre Sorge wider, während sie mich musterte. “Andrew rief mich an. Und ich bin froh, dass er das getan hat. Mein Gott – deine Augen sind fast zugeschwollen.”

“Andrew hat dich angerufen?”

“Ja.” Marnie legte ihre Hand auf meine Stirn, als wollte sie fühlen, ob ich erhöhte Temperatur hatte. “Du bist nicht zu heiß, aber ich habe noch nie erlebt, dass du so schrecklich aussiehst. Ich sollte dich zum Arzt bringen.”

“Andrew hat gesagt, ich sei krank?”

“Er sagte mir nur, du könntest mich vielleicht brauchen.”

“Hmmm.” Auf Marnies Arm gestützt richtete ich mich auf. “Ich habe Durst.”

“Natürlich.” Im nächsten Augenblick stand Marnie auf, verließ das Schlafzimmer und kam nach einer Minute zurück. In der Hand hielt sie ein großes Glas, das mit Eis und Wasser gefüllt war.

Ich nippte daran, dann stürzte ich das komplette Glas herunter. Ich hatte mehr Durst, als ich gedacht hätte.

“Ich bin nicht krank”, erklärte ich, noch immer mit zittriger Stimme.

“Dann erzähl mir, was hier los ist.”

“Entschuldige.” Ich stieg aus dem Bett. “Erst muss ich ins Badezimmer.”

Langsam bewegte ich mich in Richtung des anliegenden Badezimmers. Ich wusste, dass Marnie besorgt und verwirrt war, aber sie würde die Wahrheit früh genug erfahren.

Als ich mein Spiegelbild sah, schnappte ich nach Luft. Schrecklich war eine Untertreibung. Mein Haar war ein einziges Durcheinander, meine Augen rot und geschwollen. Meine Miene war schon mehr als niedergeschlagen. Ich sah aus wie ein Gespenst.

Wenn man mein Aussehen und meine Kleidung betrachtete, die ich noch vom Vortag trug und die inzwischen zerknittert war, hätte ein Fremder mich ansehen und denken können, ich hätte mit knapper Not einen Raubüberfall überlebt.

Ich erleichterte mich, wusch mein Gesicht und trank noch mehr Wasser. Mein Magen knurrte, und zum ersten Mal seit letzter Nacht verspürte ich bohrenden Hunger statt der Übelkeit.

Marnie wirkte nicht bloß besorgt, sondern regelrecht verängstigt, als ich das Schlafzimmer wieder betrat. “Eins muss ich dir sagen, langsam beginne ich auszuflippen, Sophie.”

“Andrew …” Ich verstummte. Schluckte. “Andrew hatte eine Affäre.”

“Was?”, fragte Marnie bestürzt.

Ich konnte die Worte nicht wiederholen und nickte nur.

“Er verlässt dich?”

Ich sank neben Marnie auf die Matratze. “Er behauptet, er liebt mich noch. Und er will mit mir zusammenbleiben.”

“Wie bitte?” Marnie war außer sich vor Empörung.

Ihr Zorn half mir, meine eigene Wut anzufeuern. Am Boden zerstört, hatte ich eine komplette Nacht mit dem Gedanken an Andrews Betrug verbracht, aber ich musste mich zusammenreißen. Andrew hatte mich zwar furchtbar verletzt, aber wenn ich mich jetzt im Selbstmitleid suhlte, würde das meinen Schmerz nur verschlimmern.

“Ja.” Ich nickte. “Schockierend, nicht wahr?”

“Ach Süße. Mein Gott. Es tut mir so leid.” Marnie zögerte. “Hast du irgendetwas gegessen?” Als wäre Essen die Antwort auf meine Krise.

“Nichts.”

“Lass mich dir etwas zu essen machen.”

“Wo ist Peaches?”

“Sie ist rausgelaufen, als ich die Tür öffnete. Schau, deiner Katze geht es gut. Du bist es, um die ich mich sorge.”

Ich nickte.

Marnie nahm mich an die Hand und zog mich vom Bett. “Ich weiß, was du jetzt durchmachst, glaub mir. Und ich werde dir helfen, damit zurechtzukommen.”

“Danke.”

Ich folgte ihr in die Küche, aber sie bestand darauf, dass ich mich im Wohnzimmer hinsetzte und die Füße hochlegte. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, schaltete ich den Fernseher ein.

Die Maury Pauvich Show lief. Es ging um widerspenstige Kinder, die in ein Bootcamp geschickt werden sollten. Ich hatte schon einige Shows dieser Art gesehen, in denen freche und fluchende Kids sich gegen jede Form von Autorität auflehnten, bis sie schließlich nach wenigen Tagen der militärisch geprägten Unterwerfung weinten und nach ihren Müttern riefen.

“Sie sollten Bootcamps wie das hier für Männer einrichten, die ihre Ehefrauen betrügen”, kommentierte ich.

“Was sagst du?”, fragte Marnie.

Ich konnte sehen, wie sie in der Küche werkelte und die Pfanne erhitzte, um Eier zu braten. Sie hatte bereits Kaffee aufgesetzt.

“Ich sehe gerade Maury Pauvich, und sie zeigen diese Kinder, die außer Kontrolle geraten sind und in ein Bootcamp geschickt werden. Ich finde, er sollte eine Sendung machen, in der sie treulose Ehemänner in Bootcamps dieser Art schicken. Das würde ich mir ansehen.”

“Ist Pauvich nicht auch fremdgegangen?”, fragte Marnie.

“Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie das allesamt”, fügte ich leise hinzu. Marnie und Brian hatten sich getrennt, weil sie letztlich verschiedene Dinge wollten. Aber ihr erster Mann Keith hatte sie betrogen, als müsste er irgendeinen Weltrekord knacken.

Marnie kam ins Wohnzimmer und brachte mir einen Becher heißen Kaffee. “Zwei Stücke Zucker, zwei Päckchen Kaffeesahne – genau so wie du ihn magst.”

“Danke.” Mit einem Lächeln nahm ich den Becher entgegen und beobachtete, wie Marnie zurück in die Küche schlenderte. Ich war froh, dass sie hier war. Durch ihre Anwesenheit befand ich mich nicht länger an einem kalten, dunklen und deprimierenden Ort. Freunde bewahrten einen vor dem Wahnsinn, wenn man so einen Liebeskummer durchlebte wie ich. Ohne jemanden, an den man sich in dieser Situation wenden könnte, würde man sich im Kummer verlieren und wäre nicht in der Lage, wieder zur Vernunft zu kommen.

Während Marnie Rühreier zubereitete, widmete ich mich wieder dem Fernseher. Eine junge Frau verhöhnte das Publikum mit ihrem “Ja, dann habe ich eben mit fünfzehn Kerlen geschlafen – wo ist das Problem?”, sie wurde ausgebuht und ihre Mutter schluchzte. Eine Bildunterschrift bezeichnete das Mädchen als die dreizehnjährige Cathy.

Ich kicherte sogar, als Maury seine Hand auf die Schulter der Mutter legte und sie fragte, wie sie sich angesichts dieses schockierenden Geständnisses ihrer Tochter fühle. Die Mutter plärrte, aber sie brachte hervor: “Ich kann nicht glauben, dass sie mir das angetan hat.”

Ich verdrehte die Augen. Ich war keine Mutter, aber ich war Lehrerin, und ich bekam aus erster Hand die Probleme mit, die aufkamen, wenn Eltern eine unterwürfige Rolle einnahmen und ihren Kindern alles durchgehen ließen. Wenn sie keine Grenzen setzten. Oder wenn sie ihre Kinder nicht bestraften, sobald diese die Regeln brachen.

“Willst du vorm Fernseher essen?”, fragte Marnie. “Ich kann das Essen auf zwei Tabletts packen.”

“Nein, nein.” Ich stand auf und ging quer durchs Wohnzimmer zum Essbereich der Küche. “Obwohl es bestimmt hilft, die eigenen Probleme zu vergessen, wenn man Shows wie die von Maury sieht.”

Marnie servierte mir einen Teller mit Eiern und Toast und setzte sich rechts neben mich. Für sie gab es nur Kaffee.

“Ich danke dir”, erklärte ich. “Wenn du nicht aufgetaucht wärst, würde ich immer noch halb im Koma unter meiner Decke liegen.”

Marnie nippte an ihrem Kaffee. “Okay, und jetzt erzähl mir, was passiert ist. Du bist gestern Abend nach Hause gekommen und hast irgendwelche Spuren von einer anderen Frau gefunden?”

“Nein.” Mit der Gabel zerteilte ich das Ei. “Er rückte einfach so damit heraus.”

“Was für ein hübscher Willkommensgruß. Scheibenkleister!”

“Ich wusste, irgendwas stimmte nicht, aber ich hätte nie vermutet …” Meine Stimme verlor sich, und ich seufzte. Dann fuhr ich fort und versuchte, emotionslos die Fakten aufzuzählen. “Er verhielt sich eigenartig. Ich wollte mit ihm schlafen, aber er hatte keine Lust. Das Nächste war, dass er mir todernst sagte, er müsse mir etwas mitteilen. Ich habe wirklich geglaubt, jemand wäre gestorben.” Bei der Erinnerung daran schüttelte ich den Kopf und stopfte das Ei in meinen Mund.

“Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich überrascht bin”, begann Marnie. “Aber ich muss gestehen, was Männer betrifft, überrascht mich nichts mehr.”

“Letzte Nacht war ich am Boden zerstört”, fuhr ich fort. Und ich war es noch immer, aber jetzt war ich bemüht, meine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. “Erst war ich zornig, dann entsetzlich traurig. Aber weißt du was? Nicht ich habe uns das hier angetan, sondern Andrew. Ich will damit nicht sagen, es würde nicht wehtun, aber verdammt, wenn das die Hand ist, die mir das Leben reicht, werde ich damit klarkommen und weitergehen.”

Marnie warf mir einen leicht skeptischen Blick zu. Aber zum Glück besaß sie so viel Taktgefühl, keine Zweifel zu äußern. Ich hatte sie erlebt, nachdem ihre Ehe in die Brüche gegangen war, und obwohl sie es hatte kommen sehen, brauchte sie lange, um sich davon zu erholen.

“Es wird nicht einfach”, gab ich zu. “Das weiß ich. Aber weißt du was, es gibt noch andere Fische im Meer.”

Ich spürte, wie bei dem Gedanken an ein Leben ohne Andrew meine Gefühle wieder in mir aufwallten. Rasch aß ich mehr, ehe ich anfing zu weinen. Offensichtlich belog ich mich selbst.

“Ich bin für dich da”, bekräftigte Marnie. “Wir können shoppen gehen, durch die Clubs ziehen, was auch immer du brauchst, um dich abzulenken.”

Ich nickte. “Ich weiß.” Dasselbe hatte ich für sie getan. “Ich meine, ich weiß, wie schwer es wird. Ich habe Andrew geliebt. Ich liebe ihn noch immer. Aber ich kann nicht zulassen, dass er mein Leben ruiniert.”

Marnie nickte und trank ihren Kaffee. “Hat er dir irgendwas über sie erzählt?”

“Nicht viel. Aber es klingt, als wäre es nicht bloß ein One-Night-Stand gewesen.” Ich biss vom Vollkorntoast ab.

“Was für ein Arschloch”, murmelte Marnie. “Sorry, aber …”

“Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du hast absolut recht. Und ich kann nicht glauben, dass er mir davon erzählt hat und erwartet, ich würde ihm einfach vergeben.”

“Wenn ich dir einen Rat geben darf – ich weiß zwar, dafür ist es zu früh, und ich versuche auch nicht, dich zu beeinflussen –, aber vergibst du einem Kerl, nachdem er dich betrogen hat, dann gibt es nichts, das dir garantiert, dass er es nicht wieder tun wird. Tatsächlich begreifen sie dein Vergeben beinahe als Erlaubnis, es wieder zu tun. Vertrau mir, diese schmerzliche Erfahrung hat mir Keith nicht erspart.”

Würde Andrew auch so sein? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Andererseits hätte ich mir auch nie vorstellen können, dass er mich überhaupt je betrügen würde. Er wirkte zu bodenständig, zu kontrolliert, zu seriös, um etwas Derartiges zu tun – er war einfach immer das Gegenteil von spontan.

“Ich weiß nicht, was ich tun werde”, gestand ich. “Ein Teil von mir hasst ihn, ein Teil von mir liebt ihn.”

“Du wirst es herausfinden”, beschloss Marnie. “Aber das musst du nicht heute tun. Wie wäre es, wenn wir ins Einkaufszentrum fahren und ein bisschen Frustshopping betreiben? Und wir können in die Frühvorstellung gehen und diesen neuen Film mit Will Smith ansehen. Zwei Stunden lang schamloses Schmachten.” Ihr Gesicht erhellte sich. “Was hältst du davon?”

“Will Smith? Was kann ich dem schon entgegensetzen?”

Das Frustshoppen war lustig und brachte mir ein neues Paar Schuhe und ein hautenges schwarzes Kleid ein, das zu tragen ich Marnie versprach, wenn wir am Wochenende in einen Club gingen. Auch Will Smith wirkte wie eine doppelte Schmerztablette und linderte in den zwei Stunden, in denen er auf der Leinwand erschien, meinen Herzschmerz. Marnie hatte laut gejubelt, als er in einer Duschszene nackt war, und auch wenn ich meiner Begeisterung nicht so laut Ausdruck verlieh, hatte ich den Anblick seines herrlichen Körpers aufrichtig genossen.

Kurz nach fünf fuhren wir in meine Einfahrt. Ich nahm die Tüten mit meinen Einkäufen und stieg aus Marnies schwarzem Nissan Sentra.

“Ich meine es ernst”, bekräftigte Marnie. “Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Egal wie spät es ist.”

“Du hast doch schon den ganzen Tag damit zugebracht, auf mich aufzupassen”, protestierte ich.

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