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Bille und Zottel Bd. 11 - Sensation in der Manege

hier erhältlich:

Zottel spitzt die Ohren. Zirkusmusik erinnert ihn an vergangene Zeiten. Zügig trabt das lustige Pony in die Manege, schnuppert aufgeregt und beginnt mit seiner Privatvorstellung. Das Publikum ist begeistert: Ein Pony als Clown hat es noch nicht gegeben!


  • Erscheinungstag: 06.02.2014
  • Seitenanzahl: 128
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505134524

Leseprobe

TINA CASPARI

Schriftzug.tif

Sensation

in der Manege

Der Indianer

„Nehmen Sie Whisky?“

„Wie bitte? O nein, keinen Alkohol!“

Bille schaute verwirrt auf den Mann mit dem breitflächigen, dunklen Gesicht. Die blauschwarzen glatten Haare und die ausgeprägte Hakennase erinnerten an einen Indianer, und seine leicht nach vorn geneigte Haltung ließ an ein zum Sprung bereites Raubtier denken. Aber jetzt lachte der Mann, breit und fröhlich; ein Kranz winziger Falten legte sich um die hellgrauen Augen, und sofort verlor sich der unheimliche Eindruck.

„Ich meine den Braunen da – dort drüben unter dem Baum! Neben dem Schecken und dem Schimmel.“

Bille hatte die drei Pferde noch gar nicht bemerkt. Jetzt trat sie zu ihnen heran. Ein Wallach und zwei Stuten waren es, alle drei recht betagt, aber sichtbar gut gepflegt.

„Der Boss hat mir erlaubt, sie mitzubringen. Kriegen bei mir das Gnadenbrot, verstehn Sie. Ich hätte die Stellung sonst nicht annehmen können. Will mich nicht mehr von ihnen trennen. Darf ich vorstellen? Whisky, zweiundzwanzig Jahre alt, Raubtiernummer. Maestro, fünfundzwanzig, Hohe Schule. Und Happy, dreiundzwanzig, Voltigierpferd.“

„Sie kommen vom Zirkus?“, sagte Bille überrascht. „Davon hat mir Daddy gar nichts erzählt! Er erwähnte allerdings etwas von einer Überraschung. Entschuldigen Sie, Herr John, dass ich mich so begriffsstutzig benommen habe! Herzlich willkommen in Groß-Willmsdorf! Ich freue mich, dass Sie als Pferdepfleger zu uns kommen!“

Bille schüttelte dem Mann herzlich die Hand. Die Lachfältchen in dem dunklen Gesicht vertieften sich.

„Sie können ruhig ‚Johnny‘ und ‚du‘ sagen. Das bin ich so gewöhnt.“

„Okay, Johnny, aber das Gleiche gilt für mich. Schließlich sind wir ja jetzt Stallkameraden, und außerdem bin ich erst sechzehn. Ich bin Bille – Sibylle Abromeit, Schülerin und Assistentin von Herrn Tiedjen und ein bisschen auch seine Adoptivtochter. Mit dem Schulstall habe ich eigentlich nichts zu tun, mein Gebiet sind die Ställe drüben auf der anderen Seite, wo unsere Turnierpferde und die Zuchtstuten stehen. Aber ich besuche die Schule des Reiter-Internats im Schloss hier.“

„Hat mir der Boss schon alles erzählt“, sagte Johnny grinsend. „Auch dass ich bei dir einen Kollegen vom Zirkus vorfinden würde. Wo steckt er denn?“

„Zottel? Der ist noch drüben auf der Koppel, ich werde euch nachher bekannt machen. Bringen wir erst mal deine Schützlinge in ihr neues Quartier, dann werde ich dir alles zeigen. Komm, Whisky.“

Bille band den Braunen los, und er beschnupperte sie neugierig. Gehorsam trottete er neben ihr her, als sie ihn zum Schulstall hinüberführte.

„Ich habe mich schon gewundert, weshalb Achmed die drei leeren Gastboxen hergerichtet hat. Die Überraschung ist Daddy wirklich gelungen!“

„Ich hoffe, es stört euch nicht, dass ich die drei mitbringe“, sagte Johnny besorgt und hatte nun wieder den Blick eines Indianers auf dem Kriegspfad. „Ich weiß, sie nehmen euch Platz weg.“

„Unsinn!“ Bille blieb stehen und schaute den neuen Pferdepfleger verblüfft an. „Wie kommst du auf die Idee?“

„Na ja … ich hab schon eine Menge Absagen bekommen ihretwegen.“

„Willst du meine ehrliche Meinung hören? Ich freue mich darüber, dass sie da sind! Zu einer richtigen Familie gehören doch auch die Alten, die in ihrem Leben genug gearbeitet haben und sich nun auf einen friedlichen Lebensabend freuen. Nun … in unserer Pferdefamilie in Groß-Willmsdorf haben die Senioren bisher gefehlt. Erst jetzt ist unsere Familie komplett: Von jung bis alt ist alles vertreten, das finde ich prima.“

„Freut mich, dass du so denkst. Der Boss übrigens auch. Scheint ein prima Kerl zu sein.“

„Das ist er.“

Bille öffnete das Tor zum Schulstall und führte den Braunen durch die Stallgasse. Johnny folgte mit den beiden anderen. In den Boxen herrschte Mittagsruhe, nur vereinzelt erklang ein neugieriges, dunkles Wiehern zur Begrüßung der Neuen, hier und da schob sich schnuppernd eine Nase zwischen die Gitterstäbe.

„Die drei letzten Boxen dort hinten sind es.“

„Schöner Stall, alle Achtung!“

„Ja, Daddy hat nicht gespart, das Beste war ihm gerade gut genug für unseren neuen Schulstall. Arbeiten schließlich auch hart genug, unsere Schulpferde. Außerdem meint Daddy, zur Ausbildung guter Reiter gehöre auch das Wissen über ideale Stallbedingungen für ihre Pferde. Schau, Whisky gefällt es bei uns!“

Der Braune untersuchte seine neue Box interessiert; begeistert scharrte er in der frischen Einstreu und schnaubte vergnügt. Dann prüfte er die Tränke, drückte den Deckel hinunter und trank in ruhigen, langen Zügen. Bille klopfte ihm zärtlich den Hals.

„Im Zirkus hatten wir’s nicht so komfortabel“, rief Johnny aus Happys Box herüber. „Wer hätte gedacht, dass wir’s im Alter noch mal so gut treffen, was, meine Dicke? Na, du hast es wirklich verdient.“

„Du musst mir viel vom Zirkus erzählen. Woher hat Whisky die breite Narbe auf dem Rücken?“, erkundigte sich Bille.

„Er war eine Zeit lang in einer Löwennummer. War ’n böses Erlebnis für ihn, hätte schlimm ausgehen können.“

„Armer Kerl. Hat der Löwe ihn angefallen?“

„Ach wo, der war uralt, halb blind, taub und rheumatisch. Er ist ungeschickt gesprungen, abgerutscht und hat sich festgekrallt. Trotz der gepolsterten Schabracke hat’s eine tiefe Fleischwunde gegeben. Danach wollte unser Dicker partout nicht mehr in die Manege. Der Direktor hat getobt, wollte ihn zum Rossschlächter geben. So bin ich zu meinem ersten eigenen Pferd gekommen“, berichtete Johnny grinsend.

„Mit den anderen beiden war es vermutlich ähnlich“, sagte Bille lächelnd. „Wollen wir jetzt einen Rundgang machen?“

„Klar doch. Ich will meine Schützlinge ja endlich kennenlernen.“

Netter Kerl, dachte Bille. Scheint prima zu uns zu passen. Es wurde auch Zeit, nach dem Reinfall mit dem vorigen Pferdepfleger. Jemand, dem die Rösser wirklich am Herzen liegen und der die Arbeit im Stall nicht als beliebigen Job ansieht.

„Hast du Achmed schon kennengelernt, den Stallhelfer?“

„Der Boss hat mir von ihm erzählt. Soll nicht schlecht sein, der Junge.“

„Er hat eine gute Hand für Pferde. Nur mit seinem Deutsch hapert es noch, er ist Türke.“

„Meine Kollegen im Zirkus kamen auch von überall her. Und was mich betrifft – mein Vater war Holländer und meine Mutter Indianerin. Kam aus Kanada, da hat sie sich in meinen Vater verliebt und ist einfach mit dem Zirkus mitgegangen. Mein Großvater soll sogar Häuptling gewesen sein. Jedenfalls hat er seine Pferde mehr geliebt als alles andere, und dieses Erbe hat voll bei mir durchgeschlagen. Im Zirkus haben sie mich immer nur ‚Indianer genannt.“

Johnny trat an eine der Boxen und studierte die darüberhängende Tafel. Dann schob er die Tür zur Seite und trat zu der hübschen Rappstute.

„Darling“, sagte er leise. „He, wie geht’s? Alles klar?“

Bille beobachtete, wie er sorgsam den Bau der Stute begutachtete, Augen, Gebiss und Beine untersuchte und eine gerade verheilte Satteldruckstelle betastete.

„Da tun wir von meiner Salbe drauf“, murmelte er. „Old Johnnys Zaubersalbe bringt auch den letzten Rest davon weg. Bist eine Schöne! Eine richtige Dame bist du!“

„Der prächtige Braune hier heißt Janosch“, sagte Bille und ging zur nächsten Box. „Und der Rappwallach daneben ist Luzifer. Er ist seinem teuflischen Namen zum Trotz geduldig wie ein Lamm und mit seinen elf Jahren das älteste unter den Schulpferden.“

„Eines nach dem anderen“, murmelte der Indianer und unterzog Janosch einer ebenso gründlichen Untersuchung wie zuvor Darling.

Und genauso verfuhr er mit allen anderen. Mit Natascha, der hübschen Braunen mit der breiten Blesse, dem mächtigen Schwarzschimmel Bobby und Regula, der Hellfuchsstute, die sie Reggi nannten und die der Liebling aller Internatsschüler war. Danach kamen die beiden Isländer Lucky und Rumpelstilzchen dran, und schließlich die Gastpferde, die von Lehrern oder Schülern des Internats mitgebracht worden waren.

Bille schwankte zwischen Ungeduld und Bewunderung angesichts der minutenlangen Aussprachen, die Johnny mit jedem der Pferde führte. Schließlich wandte er sich ihr zu und lächelte entschuldigend.

„So, jetzt kennen wir uns ein bisschen … Wo geht’s hier hin?“

„Das ist der Raum für den theoretischen Unterricht, der von Herrn Albert und Herrn Toellmann, dem Reitlehrer, gehalten wird.“

„Verstehe.“

„Dies hier ist die Sattelkammer und dort der Geräteraum. Hier die Futterkammer. Gehn wir erst mal zur Reithalle hinüber?“

„Die habe ich mir schon angeschaut. Vorhin, als ich jemanden suchte, dem ich meine Ankunft melden konnte.“

„Ja, sonntags um die Mittagszeit herrscht hier tiefe Stille. Herr Toellmann und Achmed haben frei, und die Pferde werden von den Schülern versorgt, unter Aufsicht eines Lehrers. Es ist Stehtag für die Schulpferde, nur die Privatpferde werden hin und wieder zu einem Geländeritt rausgeholt. Wenn du die Schulreithalle schon bewundert hast, dann hast du ja auch unseren Außenreitplatz schon gesehen. Er ist erst kürzlich fertig geworden“, erzählte Bille. „Ein Werk der Schüler – vor allem die Hindernisse.“

„Hm“, brummte der Indianer, als habe er nur halb zugehört. Sein Blick wanderte an den Stämmen der alten Eichen und Buchen hinauf bis in die bunt belaubten Wipfel. „Schön. Schön sind sie.“

„Nicht wahr? Sie schließen den Park und das Schloss wie eine Mauer ein, als wollten sie es beschützen.“

„Ich liebe Bäume, die eine lange Lebensgeschichte haben“, sagte der Indianer. „Ich höre gern Lebensgeschichten.“

„Sag nur, du kannst mit Bäumen reden!“ Bille schaute ihn amüsiert von der Seite an.

„Vielleicht …“

„Nun, diese hier könnten dir bestimmt viel erzählen. Komm, wir nehmen die Abkürzung durch den Park zum alten Stall hinüber. Jetzt möchte ich dir nämlich meine Schützlinge vorstellen.“

Bille lief dem Indianer voraus und bog in einen schmalen Pfad ein, der nach wenigen Metern in eine breite Allee mündete.

„Dies ist sozusagen ein historischer Ort“, erklärte Bille lächelnd. „Hier habe ich nämlich meine erste Reitstunde von Herrn Tiedjen bekommen.“ Bille wies nach links. „Von hier aus hast du den schönsten Blick auf unser altes Gutshaus. Sieht es nicht prächtig aus, mit den Erkern an beiden Seiten und der großen Terrasse?“

„Ein richtiges Schloss“, sagte der Indianer, aber sein Gesichtsausdruck verriet, dass ihn das imponierende Gebäude, das sich da strahlend weiß am Ende des herbstbunten Parks erhob, nur wenig interessierte. Ihn zog es allein zu den Pferden.

„Da drüben siehst du die alte Reithalle“, erklärte Bille. „Dort werden unsere Turnierpferde trainiert. Dahinter die Wirtschaftsgebäude, Ställe, Scheunen und Speicher, die zum landwirtschaftlichen Betrieb gehören. Und hier rechts unser Pferdestall!“

Billes Stimme bekam unwillkürlich einen feierlichen Klang. Sie öffnete die erste Tür und ließ den Indianer eintreten.

„Darf ich vorstellen: Feodora, unser Star. Du kennst sie sicher aus Fernsehübertragungen großer Turniere. Nach Daddys Unfall wird sie von Simon Henrich geritten, wie du weißt. Simon ist so was wie ein Meisterschüler Hans Tiedjens. Wir … wir sind sehr befreundet, Simon und ich“, fügte sie hinzu und wandte sich schnell ab, weil sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. „Dies hier ist Nathan, ebenfalls ein großer Turniersieger. Der gnädige Herr geruht gerade, seinen Mittagsschlaf zu halten.“

Die Schritte des Indianers waren kaum zu hören, so leise trat er auf, um die Mittagsruhe im Stall nicht zu stören. Hatte er drüben im Schulstall jedes Pferd einer gründlichen Prüfung unterzogen, so benahm er sich hier wie bei einem Museumsbesuch. Zärtliche Bewunderung lag in seinem Blick, als die schöne Schwarzschimmelstute sich ihm zuwandte und ihn aufmerksam betrachtete. Bille war es, als sprächen die beiden lautlos miteinander. Nathan nickte er zu, als wolle er sagen: Bleib liegen, mein Junge, nur keine Umstände, wir können uns ein andermal unterhalten.

„Der freche Fuchs hier ist Troilus, ein Sohn von Troja. Die wirst du auch gleich kennenlernen. Troilus wird von Tom geritten. Tiedjen junior. Mein großer Bruder, wenn du so willst. Der Rappe hier gehört mir. Black Arrow. Wir zwei haben uns schon ein paar Schleifen verdient.“

Bille trat in die Box und legte ihrem Liebling stolz die Arme um den Hals. Black Arrow begann sofort ihre Taschen zu untersuchen.

„Das hat er von Zottel gelernt, die beiden sind unzertrennlich.“

„Ein prachtvoller Kerl!“, lobte der Indianer und betrachtete den blauschwarzen Wallach eingehend. „Viel Kraft und dabei gutmütig und intelligent. Scheint genau das richtige Pferd für dich zu sein.“

Bille freute sich über das Lob. Der Indianer schien die Eigenschaften eines Pferdes wie mit unsichtbaren Antennen wahrzunehmen. Es war, als durchschaute er sie bis ins Innerste ihres Wesens, und Bille vermutete, dass er nicht nur mit Bäumen, sondern vor allem auch mit Pferden reden könne. Wie gut, dass ein solcher Mann als Pferdepfleger nach Groß-Willmsdorf gekommen war!

„Dein Kollege hier im alten Pferdestall ist Herr Petersen, und Hubert, unser Stallpfleger, steht ihm zur Seite. Ihr werdet euch später kennenlernen. Jetzt geht’s erst mal auf die Koppeln hinaus; unsere Stuten und die Absetzer sind bei dem schönen Wetter natürlich draußen.“

„Und wer gehört in diese Box hier?“

Über Billes Gesicht glitt ein Schatten.

„Da stand Lohengrin, unser Veteran. Er brach bei einem Turnier zusammen. Herzschlag!“

„Du hast ihn geritten?“

„Ja. Es hat mich unheimlich mitgenommen. Jedesmal, wenn ich die leere Box sehe … Nun ja, er soll demnächst einen Nachfolger bekommen. Komm, hier geht’s lang.“

Bille zeigte dem Indianer Stutenstall, Fohlenstall und die Nebenräume. Stolz führte sie die neu eingerichtete Klinik vor, ein Raum, in dem alles untergebracht war, was zur medizinischen Betreuung eines Pferdes gehörte. Dann traten sie wieder auf den Hof hinaus und gingen zu den Koppeln hinüber, die hinter dem zum Verwalterhaus gehörenden Obstgarten lagen und sich von dort aus bis an den Waldrand erstreckten.

„Hier auf der ersten Koppel kannst du unsere Mütter bewundern. Das ist Troja, mein Liebling, ich reite sie regelmäßig. Und die Rappstute da ist Iris. Die Schimmelstute heißt Jacaranda, und daneben stehen Santa Monica und Donau.“

Während Bille die Reihe der Fohlen aufzählte, die die Stuten in den letzten Jahren gebracht hatten, wandten sie sich der nächsten Koppel zu, auf der sich die Absetzer übermütig jagten. Sie galoppierten ein Stück um die Wette und standen urplötzlich still wie die Standbilder, um gleich darauf von Neuem loszutoben.

„Der freche Fuchs, da … der kupferrote, das ist Don Quichotte, ein Sohn von Donau“, erklärte Bille. „Schau, wie kraftvoll er ausgreift. Der hat bestimmt eine große Karriere vor sich!“

Doch der Indianer schaute an dem hübschen Fohlen vorbei zur Nachbarkoppel hinüber. Sein Gesicht wurde weich, und er lachte leise, als habe er einen längst verschollen geglaubten Freund plötzlich wiederentdeckt.

„Da ist er ja!“

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