×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Dämonenrache«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Dämonenrache« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Dämonenrache

hier erhältlich:

Die Grenzen zwischen der Menschenwelt und den dunklen Reichen fallen schneller als befürchtet, außerdem wird die Auserwählte Ivy nach ihrem Etappensieg über die Mächte der Finsternis von rachsüchtigen Dämonen gejagt. Notgedrungen tut sie sich erneut mit Adrian zusammen, obwohl er sie verraten hat. Sie weiß nicht, was schwieriger ist: die heilige Waffe zu finden, mit der die Dämonen in ihre Schranken gewiesen werden können. Oder ihrem gefährlich attraktiven Verbündeten zu widerstehen. Zumal der wild entschlossen ist, sein Schicksal, das ihn zu ihrem Todfeind bestimmt hat, zu überwinden und ihre Liebe zurückzugewinnen - auch wenn er dafür Himmel und Hölle herausfordern muss …

"Ich öffne jedes neue Frost-Buch in freudiger Erwartung und werde niemals enttäuscht."

Bestsellerautorin Charlaine Harris

"Eine Geschichte voller Leidenschaft, dunkler Sinnlichkeit und rasanter Action"

Bestsellerautorin Kresley Cole

"Wildromantisch und voller Action"

RT Book Reviews

"Jeaniene Frost gehört auf jede Must-Read-Liste"

New York Times-Bestsellerautorin Lara Adrian

"Eine spannende neue Welt"

Publishers Weekly

"Ein weiteres aufregendes Abenteuer."

Romance Reviews Today

"Der atemberaubende Mix aus Urban Fantasy und Love-Story ist einfach phänomenal."

Romantic Times


  • Erscheinungstag: 07.08.2017
  • Aus der Serie: Broken Destiny
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499111
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meinen Mann Matthew – aus tausend Gründen, die mir einfallen, und zehntausend weiteren, die ich vermutlich vergessen habe.

1. Kapitel

„Brutus, was soll das?“, murmelte ich, während ich am Strand entlanglief. Ich kuschelte mich tiefer in meine Strickjacke, um die salzige Brise abzuhalten. Es würde schon bald heiß sein, wie üblich in Miami, aber jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, war die Frühlingsluft noch etwas zu kühl für das leichte knielange Sommerkleid, das ich übergezogen hatte, um nach meinem entlaufenen Haustier zu suchen.

„Brutus!“, rief ich laut. „Wo bist du?“

Seit mehr als fünfzehn Minuten rief ich vergeblich nach ihm und fing langsam an, mir Sorgen zu machen. Er war noch nie so knapp vor Tagesanbruch von zu Hause fortgeblieben. Ich hatte Brutus zwar nicht haben wollen, als man ihn mir aufgedrängt hatte, und er war definitiv nicht das, was sich normale Menschen unter einem Haustier vorstellten, aber während der vergangenen zwei Monate war er mir doch ans Herz gewachsen.

Jeden Abend verließ er bei Anbruch der Dämmerung das Haus und war spätestens um fünf Uhr früh wieder da. Vor seiner Zeit mit mir hatte er sein ganzes Leben in Finsternis verbracht; Brutus hasste die Sonne nicht nur, er hatte sogar regelrecht Angst vor ihr. Daher war ich losgezogen, um nach ihm zu suchen, als er heute Morgen um halb sechs immer noch nicht wieder aufgetaucht war. Der North Shore Open Space Park in Miami Beach war einer seiner Lieblingsplätze, und zu dieser frühen Stunde lag der Strandabschnitt, den ich ablief, noch völlig verlassen da.

Finster starrte ich auf den langsam heller werdenden Horizont und wurde immer nervöser. „Brutus!“, brüllte ich wieder. Wehe, wenn er mir aus dem Weg ging, weil er die Regeln gebrochen und jemanden gefressen hatte.

Selbst wenn er sich bislang nichts hatte zuschulden kommen lassen, würde er, wenn ich ihn nicht schnellstens fand, vermutlich in ein fremdes Haus eindringen, um dem Sonnenlicht zu entkommen. Und falls das passieren sollte, dann gnade Gott dem Hausbesitzer, der ihn entdeckte und versuchte, ihn zu verscheuchen.

„Hast du was verloren?“, ertönte da eine unbekannte männliche Stimme hinter mir.

Ich erstarrte. Vor einem Augenblick war noch niemand außer mir am Strand gewesen. Meine erst kürzlich aufgerüsteten Sinne hätten selbst durch das Rauschen der Brandung hindurch registrieren müssen, dass jemand direkt auf mich zugerannt kam. Und er hätte schon ziemlich schnell rennen müssen, um die Strecke binnen Sekunden zu bewältigen.

Es gab noch eine andere Erklärung, wie der Mann so plötzlich und lautlos hinter mir auftauchen konnte, aber sollte sie zutreffen, würde einer von uns diesen Strand nicht mehr lebend verlassen.

Ich durfte ihm nicht zeigen, dass ich wusste, dass womöglich etwas nicht stimmte.

„Du hast mich erschreckt!“, sagte ich. Hoffentlich klang das eher überrascht als verängstigt.

Der Fremde lächelte. Eine schwarze Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. „Tut mir leid. Ich habe dich schreien hören und bin rasch rübergekommen, um zu sehen, ob du vielleicht Hilfe brauchst.“

Er schien ein paar Jahre älter zu sein als ich, so ungefähr Anfang bis Mitte zwanzig. Obwohl er eher schmächtig wirkte, war er auf jungenhafte Art ziemlich süß. Wäre ich ihm letztes Semester am College begegnet, hätte ich die Schatten, die unter seiner Haut auftauchten und wieder verschwanden, für reine Einbildung gehalten. Immerhin hatten diverse Ärzte Halluzinationen bei mir diagnostiziert. Das Problem war jedoch, dass ich inzwischen wusste, dass ich nicht verrückt war, auch wenn es Tage gab, an denen ich mir wünschte, ich wäre es.

Dann sah ich seine Augen aufleuchten wie die eines Tiers im Scheinwerferlicht – das war der Beweis für das übernatürliche Äquivalent von Tapetum lucidum, der reflektierenden Schicht hinter der Netzhaut des Auges von Hunden und Katzen, Rindern oder Pferden. Damit hatte sich mein Verdacht bestätigt. Der Typ vor mir mochte für alle, die nicht über meine Fähigkeiten verfügten – also gut 99 Prozent der Weltbevölkerung –, aussehen wie ein Mensch. Aber er war keiner. Er war ein Dämonen-Lakai.

„Ich könnte schon etwas Hilfe gebrauchen“, erwiderte ich, noch immer lächelnd, obwohl mein Herz wie wild schlug. „Ich suche nach meinem, äh, Hund.“

„Klar doch.“ Er nahm beiläufig meinen Arm. „Ich glaube, ich habe da hinten einen gesehen.“

Wir logen beide. Brutus war kein Hund, und hier lief auch sonst nirgends ein Hund herum. Trotzdem ließ ich mich von dem Fremden zu dem Gestrüpp führen, das an der Ufermauer wuchs. Während ich neben ihm herging, schob ich mein Kleid auf der Seite, die er nicht sehen konnte, vorsichtig nach oben. Ich hatte in den vergangenen Monaten, seit ich entdeckt hatte, dass es so etwas wie Lakaien und Dämonen gab, ein paar Dinge dazugelernt. Die wichtigste Lektion? Verlass niemals unbewaffnet das Haus.

Ich griff nach dem Messer, das ich mit einem Riemen um meinen Oberschenkel geschnallt hatte, und warf einen prüfenden Blick gen Himmel. Brutus war fast drei Meter groß, so breit wie zwei ausgewachsene Gorillas und hatte ledrige Flügel, die er wie Schwerter einsetzen konnte. Jetzt wäre also ein wirklich guter Moment für ihn, sich endlich blicken zu lassen.

Doch das tat er nicht, und ich holte tief Luft, um mir Mut zu machen. Okay, ich war also allein an einem dunklen, verlassenen Strand mit einem Lakaien, der von irgendeinem Dämon mit übermenschlicher Kraft ausgestattet worden war. Keine besonders tolle Situation, aber Hysterie würde jetzt gar nichts bringen. Das wusste ich aus Erfahrung.

„Du scheinst nervös zu sein“, bemerkte der Lakai.

Sein amüsierter Ton wirkte auf mich wie ein Adrenalinstoß. Lakaien und Dämonen hatten zahllose Menschenleben ruiniert, mal abgesehen davon, dass sie meine Eltern umgebracht, meine Schwester entführt und mich, öfter als ich zählen konnte, beinahe getötet hatten. Dieses Arschloch hier dachte, dass ich einfach nur eine weitere menschliche Sklavin war, die er ins Reich seines dämonischen Meisters verschleppen konnte. Nun denn, ich hatte eine Überraschung für ihn.

Ich wirbelte herum und verlagerte mein Gewicht dabei allein auf das rechte Bein, während ich mit dem linken zielsicher ausholte. Gleichzeitig zog ich das Messer aus der Scheide und rammte es dem Typen ins Gesicht – mit deutlich mehr Kraft, als ein normaler Mensch aufbringen könnte. Der Lakai, der ohnehin schon ins Straucheln geraten war, nachdem ich ihm die Füße unter dem Leib weggetreten hatte, fiel um wie ein Mehlsack. Mein Mitbewohner Costa hatte mir diverse Nahkampftechniken beigebracht, was sich jetzt auszahlte. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke, und das ungläubige Entsetzen in den Augen des schockierten Lakaien versetzte mir einen Kick und spornte mich noch mehr an.

Wer hat jetzt Angst? dachte ich aufgeregt.

Aber ich hätte mir diesen kurzen Moment des Triumphs besser verkneifen sollen. Denn auch mit einem Messer im Kopf war mein Gegner immer noch tödlich. Seine Finger schlossen sich um meine Knöchel, und blitzschnell riss er mir die Füße weg. Ich verlor das Gleichgewicht und landete mit Karacho rücklings am Boden. Sofort rollte ich mich zur Seite, um der unmittelbaren Attacke des Lakaien auszuweichen. Er landete im Sand anstatt auf mir, doch dann rammte er seine Fäuste mit aller Wucht in meinen Unterleib. Ich krümmte mich vor Schmerzen. Es fühlte sich an, als ob ich von einem Laster erfasst worden wäre. Er krallte sich an mir fest und schob sich über mich. Sein Grinsen war trotz der Blutbäche zu erkennen, die aus der tiefen Wunde in seiner Stirn flossen, in der noch immer das Messer steckte.

Ich konnte mich unmöglich aus seinem Griff befreien, also versuchte ich es gar nicht erst. Als er sich auf Höhe meiner Schenkel befand, schlug ich ihm mein Knie ins Gesicht, so fest, wie meine übermenschliche Stärke es zuließ. Ein scharfer Schmerz schoss durch mein Bein, doch diesmal verschwendete ich keine Sekunde, bevor ich zum nächsten Angriff überging. Ich packte seinen Kopf und riss ihn mit aller Kraft zur Seite. Es knackte, und der Körper des Lakaien erschlaffte.

Endlich gelang es mir, mich zur Seite abzurollen. Meine Knie und Rippen pochten so schmerzhaft, dass ich mich zur Feier meines Sieges am liebsten übergeben hätte, und dennoch war mir zum Jubeln zumute. Wie es aussah, hatten sich meine Nahkampf-Lektionen gelohnt! Das Training bei Costa war sogar derart erfolgreich gewesen, dass sich jede Bewegung wie eine Intuition angefühlt hatte und nicht wie die bewusste Entscheidung, mein Gegenüber zu töten. Aber ich hatte einen Lakaien ausgelöscht, und das nicht zum ersten Mal. Allerdings war er der erste, den ich allein und nur mit einer herkömmlichen Waffe zur Strecke gebracht hatte.

Der Berufswunsch Killerin hatte vor sechs Monaten noch nicht auf meiner Liste von Lebenszielen gestanden. Doch seitdem hatte ich lernen müssen, wie man tötet – neben vielen anderen seltsamen und unangenehmen Dingen. Schönen Dank auch, unerwartete übernatürliche Erblinie. Du bist echt das beste Geschenk, das man sich wünschen kann.

In einer Geschwindigkeit, die mich immer wieder aufs Neue überraschte, begann der Körper des Lakaien zu zerfallen, bis nur noch Asche übrigblieb, deren Staubkörner von derselben Meeresbrise davongetragen wurden, die mein Haar durch die Luft wirbelte. Dass Lakaien und Dämonen sich unmittelbar nach ihrem Tod in ein Häufchen verbrannter Substanz verwandelten, war die einzige rücksichtsvolle Eigenschaft, die sie an den Tag legten.

Obwohl jede Zelle meines Körpers schmerzte, rappelte ich mich mühsam auf. Prellungen hin, Blutergüsse her – ich musste Brutus finden.

Ich war noch dabei, den Sand von mir abzuklopfen, als sich meine Umgebung von einer Sekunde auf die andere veränderte. Der Strand wurde zu einer Fläche aus Eisschichten, die Dämmerung zu tiefster Finsternis und das Geräusch der Brandung stoppte derart abrupt, dass dieser neuen Stille etwas Unheilvolles anhaftete. Das Schlimmste war die Kälte. Meine Zähne fingen an zu klappern, und die eisige Luft fühlte sich an, als ob jemand Rasierklingen auf meine nackte Haut prasseln ließ.

Genauso schnell, wie sie aufgetaucht war, verschwand die dunkle gefrorene Welt wieder und ließ mich am Strand zurück, in der warmen, nach Salz duftenden Brise und unter den rosig-violetten Lichtstreifen, in die die Morgenröte den Horizont tauchte. Trotzdem waren meine Muskeln noch immer völlig verkrampft, und das lag nicht nur an der Kälte, die weiter in der Atmosphäre zu hängen schien. Die trübe alternative Version dieses Strandabschnitts war keine Wahnvorstellung gewesen – auch wenn jeder meiner früheren Ärzte die Hand dafür ins Feuer gelegt hätte –, sondern ein flüchtiger Blick in ein Reich, das direkt über unserer Dimension schwebte.

Die Vorstellung, dass verschiedene Dimensionen nebeneinander existieren, wird von den Physikern M-Theorie genannt. Ich nenne sie einen verdammten Haufen Ärger, denn die sonnenlose, eisige Welt von eben war ein Dämonenreich. Dank meiner Erblinie besaß ich die Fähigkeit, in diese tödlichen Gefilde zu schauen, aber aus irgendeinem Grund war mir dieses hier bislang entgangen. Wenn ich gewusst hätte, dass direkt über dem Strand ein Dämonenreich existierte, wäre ich nie dort langgegangen, schon gar nicht allein und vor Sonnenaufgang.

Bevor ich mich umdrehen und davonmachen konnte, öffnete sich plötzlich ein riesiger Spalt in der Luft, durch den drei Leute traten. Sofort fing das übernatürliche Tattoo auf meinem rechten Arm an zu brennen. Ich umklammerte es, ohne den Blick von den Neuankömmlingen zu wenden, und der Teil meines Gehirns, der nicht vor Angst ausflippte, ließ mich wissen, was hier gerade vor sich ging.

Der Lakai, den ich vor wenigen Minuten getötet hatte, war mir nicht mithilfe seiner übernatürlichen Geschwindigkeit und seiner geräuschlosen Schritte unbemerkt gefolgt – er war direkt aus dem Dämonenreich getreten, durch eine Pforte, von deren Existenz ich nichts geahnt hatte.

Mir blieb keine Zeit, zu überlegen, ob das Reich neu war oder ob es schon immer existiert und erst jetzt durch diesen Spalt einen Zugang zu unserer Welt erlangt hatte. Die drei neuen Lakaien schienen zunächst überrascht, mich zu sehen, doch dann ließen sie die Blicke von den Blutflecken auf meinem Kleid und meiner Strickjacke bis zu dem äußerst verfänglichen Häuflein Lakaienasche vor meinen Füßen wandern. Als der blasseste von ihnen seine Hände ausstreckte und die sich in lebendige, züngelnde Schlangen verwandelten, musste ich all meine innere Stärke aufwenden, um nicht vor Entsetzen loszuschreien.

Es waren nicht drei Lakaien. Sondern zwei Lakaien und ein unsterblicher, gestaltwandelnder Dämon.

Zu bleiben und zu kämpfen wäre Selbstmord gewesen, also schnappte ich mir mein Messer, das noch immer inmitten der Lakaienasche lag, und rannte los. In einer Sprache, die ich nur allzu gut wiedererkannte, blaffte der Dämon einen Befehl, und die Lakaien nahmen die Verfolgung auf. Sie waren verdammt schnell. Wäre ich ein normaler Mensch gewesen, hätten sie mich binnen fünf Sekunden eingeholt, aber ich war nicht normal, und in diesem Moment kam mir das durchaus gelegen.

Ich war auch heilfroh, dass ich wusste, wo sich der nächstgelegene geweihte Boden am North Shore Park befand. Tatsächlich hatte ich mir die Lage jeder geheiligten Stelle in der Nähe meines Hauses eingeprägt, nur für den Fall, dass so etwas wie jetzt passierte. Die katholische Kirche St. Joseph lag nur sieben Straßen entfernt. Wenn es mir gelang, sie zu erreichen, war ich vor dem Dämon sicher, da Dämonen keinen heiligen Boden betreten konnten. Lakaien schon, aber ich hatte heute bereits einen getötet. Warum also nicht noch ein paar mehr?

Da es anstrengender war, auf Sand zu laufen, steuerte ich den Gehweg an, der am Rand des Parks verlief. Der flache, feste Boden würde mir helfen, mein Tempo weiter zu beschleunigen. Hinter mir hörte ich die Lakaien fluchen, was mich mit grimmiger Genugtuung erfüllte. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass ich es ihnen so schwer machen würde. Ich flitzte um die Tische und Bänke der menschenleeren Picknick-Anlage herum. Meine Knie und Rippen pochten noch immer von meinem Zusammenstoß mit dem ersten Lakaien, aber es gibt kein besseres Schmerzmittel als den Selbsterhaltungstrieb. Während ich rannte, zählte ich die hölzernen Straßenschilder im Park. Dreiundachtzigste Straße. Vierundachtzigste. Die Kirche befand sich gleich hinter der siebenundachtzigsten Straße. Ich würde es schaffen.

Doch dann hörte ich den Dämon, obwohl er noch viel weiter hinter mir war. „Sie ist die Nachfahrin Davids!“, brüllte er wutentbrannt, und damit war das Rennen wieder offen. Meine Geschwindigkeit mochte die Lakaien auf Abstand gehalten haben, aber sie hatte mich auch als die Nummer eins auf der Fahndungsliste des Dämons geoutet.

Jetzt gab er sich nicht mehr damit zufrieden, seine Lakaien vorzuschicken wie ein Rudel Jagdhunde. Ein Blick über die Schulter verriet mir, dass er nun höchstpersönlich die Verfolgung aufgenommen hatte, und gegen ihn wirkten die Lakaien, als ob sie sich in Zeitlupe bewegten. Tische, Bänke und andere schwere Gegenstände flogen in meine Richtung. Der Dämon hatte sich nicht nur auf die Jagd nach mir gemacht, er wollte mich töten.

So gut ich konnte, wich ich den Objekten aus und lief in Zickzacklinien, aber einige seiner Würfe trafen doch ihr Ziel. Ich fluchte, als mir etwas Schweres in den Rücken knallte, kam ins Taumeln, zwang mich aber dazu, auf den Beinen zu bleiben und mich aufs Laufen zu konzentrieren. Dabei achtete ich darauf, innerhalb des Parks zu bleiben, obwohl der Dämon hier mehr gefährliche Wurfgeschosse fand. Auf der Hauptstraße wäre ich auf direktem Weg zur Kirche gelangt, aber selbst zu dieser frühen Stunde waren dort Autos unterwegs. Ich konnte nicht riskieren, dass Unbeteiligte in die Schusslinie gerieten; Dämonen hatten eine besondere Vorliebe für Kollateralschäden.

Ich bog um eine Kurve, die mich wieder an den Strand führte, als etwas von hinten in meine Beine krachte und mich umwarf. Hastig rollte ich zur Seite, darauf bedacht, mich nicht mit meinem eigenen Messer aufzuspießen, und stand bereits wieder, als über mir ein lautes, trompetenartiges Fauchen ertönte.

Mein Haus-Gargoyle Brutus flog auf mich zu. Die Strahlen der Morgensonne tauchten seine riesige, bestialische Gestalt in diverse Pinktöne. Ich wäre erleichtert gewesen, ihn zu sehen, wenn mich der Anblick des Mannes, den er mit seinen Klauen umklammerte, nicht so schockiert hätte.

Die Lakaien und der Dämon entdeckten die beiden ebenfalls, und ihre verwirrten Mienen erinnerten mich daran, dass sie nicht etwa einen großen Mann vor Augen hatten, der zwischen den Krallen eines gewaltigen graublauen Gargoyle hing. Dank des Archonten-Zaubers sahen sie nur eine wütend krächzende Möwe, die es irgendwie schaffte, ihren muskulösen Passagier zu transportieren. Und so ratlos, wie die drei ihre Köpfe zur Seite neigten, hatten sie keine Ahnung, was sie davon halten sollten.

„Ivy, duck dich!“, rief der Mann.

Noch immer fast gelähmt vor Schock, warf ich mich in den Sand. Es gab nur einen Menschen auf der Welt, der den tödlichen Gargoyle behandeln konnte wie ein geflügeltes Pony, und das war derselbe Mensch, der mir vor ein paar Monaten das Herz gebrochen hatte und dann verschwunden war.

Adrian.

2. Kapitel

Brutus schwebte so knapp über mir, dass Adrian fast meinen Rücken gestreift hätte. Sekunden später hörte ich diverse dumpfe Schläge und einen Schrei und drehte mich gerade noch rechtzeitig, um die Lakaien zu Boden sinken zu sehen. Wo ihre Köpfe gewesen waren, klafften nur noch blutige Löcher, und Brutus’ ledrige Flügel waren von roten Spritzern bedeckt.

Der Gargoyle ließ Adrian los, und Adrian warf sich schwungvoll auf den schlangenarmigen Dämon, der dem Aufprall von knapp hundert Kilo wütender Männlichkeit nicht standhalten konnte und rückwärts in den Sand fiel. Adrians Gewicht hielt ihn am Boden fest, aber die Schlangen richteten sich zischend auf und bleckten ihre glitzernden Fangzähne, bereit, jederzeit zuzuschlagen.

„Pass auf!“, rief ich.

Noch bevor mir die letzte Silbe über die Lippen gekommen war, hatte Adrian die Schlangen unter ihren zuschnappenden Kiefern gepackt und riss brutal ihre Köpfe ab. Der Dämon stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Aus den kopflosen Schlangenkörpern, die noch immer an seinen Handgelenken hingen, strömte schwarzes Blut.

„Adrian“, zischte der Dämon. „Tu das nicht! Dein Vater …“

„… ist tot“, fiel Adrian ihm ins Wort, dann riss er dem Dämon die Gurgel heraus. Ich erhaschte noch einen Blick auf etwas Breiiges, dann wandte ich mich rasch ab. Mein Magen zog sich vor Ekel und Erleichterung zusammen. Dämonische Körper waren anders gebaut als menschliche; was Adrian da gerade herausgerissen hatte, war das Äquivalent des Herzens.

Leider würde das den Dämon nicht umbringen. Es gab nur drei Waffen auf der Welt, mit denen man Dämonen töten konnte, und eine davon war in das Tattoo auf meinem Arm geschmolzen, das nun brannte, als ob es Feuer gefangen hätte.

Adrian gab den Dämon frei. Ich starrte auf die Schlangenköpfe, die nicht zu Asche wurden, genauso wenig wie der Dämon, der nicht wirklich tot war, nur bewusstlos. Er würde sich nicht auflösen, und das galt offenbar auch für seine abgetrennten Schlangenarme.

„Waren sie giftig?“, fragte ich, noch immer ziemlich mitgenommen von dem, was gerade passiert war.

Adrian schaute auf die Köpfe hinab. „Oh ja.“ Er klang seltsam belustigt. „Es gibt nichts Tödlicheres als Dämonengift.“

„Und warum hast du dann diese Schlangen mit deinen bloßen Händen gepackt?“

Die Angst um ihn verschärfte meinen Ton. Ich musste all meine Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht zu ihm zu laufen, ihn abzutasten und mich zu vergewissern, dass keiner dieser tödlichen Zähne ihn geritzt hatte. Aber natürlich würde ich das nicht tun. Ich war zwar überglücklich, dass er nicht umgekommen war, aber wegen anderer Dinge immer noch schrecklich wütend auf ihn.

Adrian stieß einen abfälligen Laut aus. „Ich kenne diesen Dämon. Vritra ist daran gewöhnt, dass alle vor seinen Schlangen wegrennen, daher hat er nicht damit gerechnet, dass ich sie direkt angreife. Manchmal ist die stärkste Waffe einer Person auch gleichzeitig die größte Schwachstelle.“

Mir stand noch vor Augen, wie nah diese Schlangen daran gewesen waren, Adrian zu beißen. „Wie das?“, murmelte ich und versuchte, die raue Melodie seines Akzents zu ignorieren, der ebenso ungewöhnlich war wie er selbst.

Adrian musterte mich von oben bis unten, während er langsam näher kam. „Die Leute verlassen sich zu sehr auf ihre stärkste Waffe. Nimmt man sie ihnen, wissen sie erst mal nicht mehr, was sie tun sollen. Dieser kurze Moment, bevor sie sich etwas anderes überlegt haben, ist deine beste Chance, sie zu töten.“

Eine kaltblütige Feststellung, doch seine Unbarmherzigkeit überraschte mich nicht. Was sollte man auch anderes erwarten? Schließlich war er von Dämonen aufgezogen worden, daher auch die Bemerkung des schlangenarmigen Dämons über Adrians „Vater“. Pflegevater wäre allerdings eine bessere Bezeichnung für Demetrius, den Dämon, der Adrian geraubt hatte, als der noch ein Kind gewesen war. Aber Demetrius würde keine anderen Kinder mehr stehlen. Dafür hatte ich gesorgt, indem ich ihn getötet hatte.

„Was hast du da?“, fragte er plötzlich und war mit einem Satz bei mir. Ich sprang zurück, doch Adrian hatte mich bereits gepackt. Er ließ seine großen Hände über den Cardigan gleiten, der meine Arme bedeckte, aber ich entzog mich hastig seinem Griff. Ich wollte nicht, dass er mich berührte. „An deinen Kleidern klebt Blut.“ Er klang besorgt. „Hat einer von denen dich verletzt?“

„Nein“, log ich. Ja, ich war verletzt, es tat immer noch weh, und das galt nicht nur für meine physischen Wunden. „Das Blut stammt von dem anderen Typen, der mittlerweile wohl vom Winde verweht ist.“

Seine dunkelblauen Augen verengten sich. „Hat dich etwa noch ein dritter Lakai attackiert?“

Diese Vorstellung ging auch Brutus gegen den Strich. Er stapfte zu den Aschehäufchen der anderen beiden Lakaien und kratzte wütend fauchend darin herum, als ob das die beiden noch toter machen könnte. Ich ging zu ihm hin und tätschelte seine Flügel, dankbar für den Vorwand, Adrian meine Aufmerksamkeit zu entziehen.

„Mach dir keine Sorgen, mein Junge“, säuselte ich. „Du hast sie erledigt.“

Er senkte den gorillaartigen Kopf und leckte eine Schleimspur über meine rechte Gesichtshälfte. Ich zog eine Grimasse, aber so, dass er es nicht sehen konnte. Es hätte seine Gefühle verletzt. Der furchterregende Zwei-Tonnen-Gargoyle war manchmal so sensibel wie ein Golden Retriever.

„Wo hast du überhaupt gesteckt?“ Ich rechnete nicht mit einer Antwort. Brutus konnte grunzen, schnaufen, knurren, fauchen und brüllen, brachte aber kein verständliches Wort heraus. Zum Glück wurde ich immer besser darin, die diversen Laute seiner jeweiligen Stimmung zuzuordnen.

„Bei mir“, erwiderte Adrian. „Tut mir leid, dass wir heute so spät dran waren.“

Heute? Ich starrte ihn wortlos an, während ich diese Information verarbeitete. In den vergangenen zwei Monaten hatte Adrian sich nicht mal die Mühe gemacht, mir wenigstens eine SMS zu schicken, aber mit meinem Gargoyle traf er sich regelmäßig? Verärgert funkelte ich Brutus an. Warte nur, bis wir zu Hause sind, drohte ich ihm in Gedanken. Nach diesem Affront würde ein gewisser Jemand garantiert keinen rohen Rinderbraten zum Frühstück kriegen!

In den hellen Sonnenstrahlen des Morgenlichts begann sich die Haut des schlangenarmigen Dämons schwarz zu färben und zu verbrennen. Nach alldem, was ich durch Dämonen verloren hatte, gebe ich gern zu, dass ich bei diesem Anblick tiefste Genugtuung empfand. Wäre ich etwas rachsüchtiger veranlagt, hätte ich das Ganze mit der Handykamera aufgezeichnet, damit meine Schwester Jasmine sich ebenfalls daran erfreuen konnte.

„Was machen wir denn jetzt mit ihm?“ Ich deutete mit dem Kopf auf den Dämon. „Noch ist der Strand leer, aber das wird nicht mehr lange so bleiben.“

Statt mir zu antworten, sagte Adrian etwas zu Brutus, und zwar auf „Dämonisch“, wie ich es nannte. Dieser schroffen und gleichzeitig verstörend schönen Sprache hatte er seinen ungewöhnlichen Akzent zu verdanken. Ich erkannte nur das Wort für „Los!“, aber Brutus verstand alles. Kaum hatte Adrian aufgehört zu sprechen, packte der Gargoyle den Dämon und flog mit ihm aufs offene Meer hinaus.

„Was hat er vor?“

„Er wirft ihn so weit draußen ab, dass der Dämon keine Gefahr mehr für die Leute am Strand darstellt. Wenn wir Glück haben, verwandelt sein ausgedehntes Sonnenbad ihn in eine verdorrte Hülse. Ich habe dir doch erzählt, dass Dämonen das Tageslicht in unserem Reich nicht ertragen können.“

Stimmt, das hatte er – womit sich die Frage aufdrängte, warum dieser Dämon es riskiert hatte, so kurz vor Sonnenaufgang in unsere Welt einzudringen.

„Ivy.“ Als er mit dieser tiefen, klangvollen Stimme meinen Namen sagte, überliefen mich lustvolle Schauder, aber ich wäre lieber gestorben, als ihn das wissen zu lassen. „Schön, dich zu sehen.“

Obwohl ich das keinesfalls zugeben wollte, war ich ebenfalls froh, ihn zu sehen, und das nicht nur, weil er so gut darin war, Schlangenarme zu entsorgen. Zwei Monate lang hatte ich versucht, mir meine Gefühle für ihn auszureden – seit er gestanden hatte, mich betrogen zu haben, und dann verschwunden war. Ich sagte mir, dass das, was ich für ihn zu empfinden glaubte, nur den extremen Umständen geschuldet war, mit denen wir uns herumschlagen mussten, und ein bisschen natürlich auch dem verlockenden Reiz der verbotenen Frucht. Und an manchen Tagen, wenn ich mich allein auf die kalte Logik der Situation konzentrierte, gelang es mir sogar, mich davon zu überzeugen. Die Tatsache, dass Adrian keinen Anlauf unternommen hatte, mich zu kontaktieren, schien diese Theorie zu bestätigen. Und nun, nach dieser ganzen langen Zeit, bildete er sich ein, mit einem Lächeln und einem glühenden Blick alles wieder in Ordnung bringen zu können?

„Ach ja?“ Ich drehte ihm den Rücken zu. „Na gut, jetzt hast du mich ja gesehen.“ Damit marschierte ich davon. „An deiner Stelle würde ich zusehen, dass ich Land gewinne“, warf ich ihm noch über die Schulter zu. „Hier am Strand ist nämlich eine Pforte. Ich habe das dazu gehörende Dämonenreich gerade erst bemerkt, ein paar Sekunden bevor Schlangenarm und seine Freunde von dort hergekommen sind.“

„Wo genau?“ Viel zu mühelos holte er mich ein.

„Ungefähr vier Blocks in diese Richtung“, erklärte ich, nur um mich gleich darauf zu verfluchen, weil er nun einen guten Grund hatte, an meiner Seite zu bleiben.

Er streckte eine Hand nach mir aus und legte sie sanft an meinen Arm. „Ivy, warte doch …“

„Sehr komisch“, fiel ich ihm ins Wort und entzog mich seiner Berührung. „Ist es etwa das, was du dir so gedacht hast? Dass ich einfach auf dich warte, bis dir danach ist, dich mal wieder blicken zu lassen?“

„Du hast mich doch gebeten, zu gehen.“ Er klang jetzt schroff und frustriert. „Oder besser gesagt, darauf bestanden, weißt du noch?“

Ich ging schneller. „Ich brauchte halt ein bisschen Zeit, nachdem ich herausgefunden hatte, dass du mich über mein wahres Schicksal belogen hast. Ist doch klar, oder? Aber hast du danach vielleicht versucht, dein Verhalten wiedergutzumachen? Nein, du bist einfach monatelang verschwunden, ohne auch nur ein Wort von dir hören zu lassen. Du wusstest doch ganz genau, dass ich, als ich mich auf diese Sache eingelassen habe, dachte, alles wird gut, wenn ich Davids heilige, goliathmordende Schleuder benutze, um meine Schwester zu retten. Aber nachdem ich bei dieser Aktion fast gestorben wäre, hast du die Bombe platzen lassen, dass das nur der erste Schritt einer Bestimmung war, der ich nicht entgehen kann. Weißt du noch?

Von Phase zwei und drei meines offensichtlich unausweichlichen Schicksals wollte ich gar nicht erst anfangen – zumal alles darauf hinauslief, dass Adrian buchstäblich mein Tod sein würde.

Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. Das war vorn immer noch länger als hinten, und der Meereswind verfing sich in den dicken dunkelgoldenen Wellen. Adrians Augen waren dunkelblau – bis auf einen silbrig schimmernden Ring, der die Iris umgab –, und nicht einmal seine finstere Miene konnte von den vollen und gleichzeitig vollkommen männlichen Lippen ablenken. Adrian war ebenso schön wie gefährlich; ein weiterer Beweis, dass das Schicksal, das uns so gegensätzliche Bestimmungen zugeteilt hatte, einen sehr grausamen Sinn für Humor hatte.

Hastig schaute ich weg und gab dem temporären Wahnsinn nach der Schlacht die Schuld für mein hemmungsloses Starren. Einmal hatte ich sogar einen Lachkrampf bekommen, nachdem ich von einem Dämon, der Schatten in Waffen verwandeln konnte, beinahe in Stücke gerissen worden war. Adrenalin konnte einem manchmal nachhaltiger den Verstand rauben als so manche harte Droge.

„Ja, weiß ich“, gab Adrian kurz angebunden zurück. „Zu sagen, dass es mir leidtut, bringt nichts, also lasse ich es lieber. Ich kann nur versprechen, dass es nie wieder vorkommt.“

Ich wünschte mir, dass dem so wäre, und zwar aus vielen Gründen. Aber wie konnte ich seinem Versprechen glauben, wenn er sich immer noch nicht für seine letzte Lüge entschuldigen wollte? Und es – was noch viel schlimmer war – mein unausweichliches Schicksal war, dass er mich wieder betrügen würde? Noch zwei Mal, und sein letzter Betrug würde zu meinem Tod führen. Damit wäre ich nur eine weitere tote Nachfahrin Davids, die von einem aus der Linie Judas’ umgebracht worden war.

Mit dem Unterschied, dass ich der letzte Spross aus der Blutlinie des biblischen Königs David war und somit der einzige Mensch, der imstande war, die heiligen Waffen zu handhaben, mit denen man Dämonen vernichten konnte. Adrian war der letzte Nachkomme von Judas und hatte neben seinen unglaublichen übersinnlichen Kräften auch die Bestimmung geerbt, alle Nachfahren Davids betrügen und töten zu müssen. Als wir uns kennenlernten, dachte ich, dass er diesem Schicksal entkommen könnte, wenn er es nur versuchte. Ich hatte sogar so fest daran geglaubt, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher, hatte aber gerade andere Sorgen. Zum Beispiel, die Dämonen, die garantiert hinter mir, meiner Schwester und Costa her sein würden, nachdem wir nun noch mehr von ihnen getötet hatten.

Adrian packte meinen Arm. „Könntest du mal einen Moment stehen bleiben, damit wir reden können?“

„Nein.“ Ich riss mich los. „Und wenn du mich noch einmal anfasst, wirst du das bereuen.“

Er wechselte die Taktik. „Warum hast du es denn überhaupt so eilig?“

Ich warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich mache mir Sorgen um meine Schwester und deinen besten Freund. Costas Haus steht zwar auf geweihtem Boden und ist bis auf Weiteres sicher, aber aus diesem Reich werden zwei Lakaien und ein Dämon vermisst, was kaum unbemerkt bleiben dürfte, wie ich ausgerechnet dir ja wohl nicht zu sagen brauche. Da kein normaler Mensch sie hätte besiegen können, werden die anderen Dämonen schnell dahinterkommen, was passiert ist. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sie hier das Unterste zuoberst kehren, um uns zu finden. Bevor es dazu kommt, müssen Jasmine, Costa und ich uns aus dem Staub machen.“

Er hob eine Braue. „Nun ja, dann sollte ich wohl in der Nähe bleiben, um für deine Sicherheit zu sorgen.“

„Ich kann auf mich selbst aufpassen, was ein sehr toter Lakai dir bestätigen würde, wenn er könnte“, fuhr ich ihn an.

Sein Lächeln war aufreizend selbstgefällig. „Wie es aussah, hast du mit den anderen aber ein bisschen Hilfe gebrauchen können.“

Er hatte recht, aber das einzuräumen wäre gleichbedeutend mit dem Zugeständnis, dass ich ihn hierhaben wollte. Und das wollte ich definitiv nicht. „Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein. Ich hatte einen Plan. Noch zwei Blocks weiter, und ich wäre auf geweihtem Boden gewesen. Der Dämon hätte mir nicht dorthin folgen können und auch nicht auf mich warten, weil die Sonne schon aufging. Und Lakaien sind, wie du selbst mal gesagt hast, leicht zu töten.“

„Nicht zwei gleichzeitig, schon gar nicht, solange du noch Anfängerin bist.“

Ich wirbelte zu ihm herum und biss die Zähne zusammen, als ich den triumphierenden Ausdruck in seinen Augen sah. Er hatte mich zum Reden bringen wollen, und ich war auf seinen Trick hereingefallen.

Ich marschierte weiter und schob im Gehen mein Kleid bis zu dem Riemen hoch, den ich um meinen Oberschenkel gebunden hatte. Adrian schaute interessiert zu. Tadelnd sah ich ihn an und zog mein Handy aus der improvisierten Halterung. Nein, ich wollte ihn keineswegs provozieren. Ich musste Costa und Jasmine vorwarnen, dass sie ihre Sachen packen sollten. Armer Costa. Er hatte meine Schwester und mich bei sich aufgenommen, weil wir nicht in unser altes Zuhause – und unser altes Leben – zurückkehren konnten, nachdem ich ein Dämonenreich in Schutt und Asche gelegt hatte, um Jasmine zu befreien. Und nun war er gezwungen, sein eigenes Zuhause aufzugeben, und ich hatte nicht den Hauch einer Idee, wohin wir jetzt gehen sollten.

Nach einem kurzen Blick auf das Handy stöhnte ich entnervt auf. Das Display war so zertrümmert, dass ich das Plastikgehäuse dahinter sehen konnte. Offenbar waren meine Rippen nicht das Einzige, auf das der Lakai eingeschlagen hatte, als er versuchte, mich umzubringen.

„Hast du dein Telefon dabei?“, fragte ich und brach damit mein neues Schweigegelübde.

Er verzog den Mund. „Nein.“

„Wer bitte geht denn ohne Handy los?“, murrte ich.

Adrians Miene verschloss sich, als ob das irgendwie ein heikles Thema war. „Ich hatte Probleme mit meinem.“

Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. Die Sonne war jetzt vollends aufgegangen, und ich dachte mit schlechtem Gewissen an Brutus, der bei Tageslicht unterwegs war, um den Dämon aufs Meer hinauszubringen. Er tat mir leid, obwohl ich immer noch sauer war, dass er sich hinter meinem Rücken mit Adrian getroffen hatte.

„Weißt du, was das Schlimmste daran war, mich monatelang von dir fernzuhalten?“, fragte Adrian. „Ich dachte erst, es wäre die Erinnerung an alles, was zwischen uns passiert ist, doch stattdessen musste ich ständig an das denken, was wir nicht getan haben.“

Ich sagte nichts. Falls er mich wirklich derart vermisst haben sollte, dann hatte er eine wirklich einzigartige Art, mir das zu zeigen – indem er mich zwei Monate lang ignorierte.

Er kam näher, so nah, dass sein Körper den Wind abschirmte. Ich schaute ihn noch immer nicht an, sondern blickte weiter starr geradeaus, als könnte ich mich durch schiere Willenskraft in Costas Haus beamen.

„Ich habe dir nur schreckliche Orte gezeigt, obwohl ich dir doch die schönen hätte zeigen sollen“, fuhr er fort. „Ich habe dir grässliche Details aus meiner Vergangenheit erzählt, statt zuzulassen, dass du den Menschen kennenlernst, zu dem ich geworden bin, und ich habe dir beigebracht, wie man diese Schleuder benutzt, statt dir tausend andere Dinge zu offenbaren, die wir viel, viel mehr genossen hätten.“

Die Art, wie er die letzten Worte hervorbrachte, machte unmissverständlich klar, was er meinte. In meine Überraschung mischte sich prickelnde Hitze, während ein verräterischer Teil meiner selbst sich auszumalen versuchte, was für Dinge das sein mochten. Ich konnte diesbezüglich zwar nicht auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen, aber meine Fantasie schien zum Improvisieren aufgelegt. Schnell versetzte ich mir einen mentalen Klaps auf den Hinterkopf, um diese Gedanken zu verjagen.

„Dazu ist es jetzt zu spät“, antwortete ich knapp.

Adrian drehte mich zu sich um, seine Hände schlossen sich wie warme Stahlbänder um meine Arme.

„Ivy, hör zu. Als wir uns kennengelernt haben, glaubte ich nicht, dass ich mein Schicksal bezwingen könnte. Deshalb war ich so abweisend, deshalb habe ich dir zunächst nicht gesagt, wer ich bin, und auch nicht, was ich für dich fühlte, bis es, ja, bis es fast zu spät war. Aber es ist nicht zu spät.“ Er starrte mich so durchdringend an, dass ich seinen Blick förmlich körperlich fühlen konnte. „Ich weiß, was ich für dich empfinde, und das ist stärker als jedes Schicksal. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, habe ich dir gesagt, dass ich dich dazu bringen würde, wieder an uns zu glauben. Und das meinte ich ernst. Und wenn du mir schon kaum widerstehen konntest, als ich meine Gefühle für dich bekämpft habe … dann hast du jetzt, da ich das nicht mehr tue, nicht die geringste Chance, egal, wie wütend du auf mich bist.“

Mir fiel die Kinnlade herunter, und mein Stolz vertrieb die gefährliche Wärme, die mich dazu bewogen hatte, ihm ein kleines bisschen näher zu rücken. Als wir das letzte Mal umständehalber Zeit miteinander verbringen mussten, hatte ich mich ihm praktisch an den Hals geworfen, und was war die Folge gewesen? Er hatte mich hintergangen und sitzen gelassen. Ich wollte verdammt sein, wenn ich zuließ, dass die Geschichte sich wiederholte.

„Ganz schön anmaßend.“ Ich entzog mich ihm und ging weiter. „Ich bin auch nicht mehr derselbe Mensch wie damals, also spar dir deine Bemühungen. Ich lasse bestimmt nicht die Hosen runter, nur weil du schließlich doch zu dem Schluss gekommen bist, dass dir das recht wäre.“

Sein Lachen verfolgte mich, sinnlich und herausfordernd. „Oh, Ivy, du brauchst sie auch nicht runterzulassen. Ich reiße sie dir mit Vergnügen vom Leib.“

Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus. Adrian ging nicht weg, und er hörte mir nicht zu; es war genau wie bei unserer ersten Begegnung. Damals hatte er mich davor gerettet, von einem Lakaien entführt zu werden, und mir gleichzeitig klargemacht, dass meine angeblichen „Halluzinationen“ real waren. Und ob es mir nun passte oder nicht, wenn die Geschichte sich wiederholte, dann bedeutete seine Anwesenheit, dass mein Leben sich unwiderruflich ändern würde.

Schon wieder.

3. Kapitel

Da Adrian mich also weiterhin mit seiner Gegenwart beehren würde, beschloss ich, ihn seinen Beitrag leisten zu lassen. Als wir die Stelle am Strand erreichten, an der ich mich mit dem Lakaien herumgeschlagen hatte, zeigte ich in die ungefähre Richtung, in der ich das Dämonenreich vermutete. Im Augenblick konnte ich nichts entdecken, aber das war nicht weiter überraschend. Das Erbe meiner Blutlinie sah vor, dass mein innerer Radar vor allem auf heilige Objekte eingestellt war, auf dunkle erhaschte ich bestenfalls zufällige Blicke, selbst wenn sie sich direkt unter mir befanden. Adrians Erblinie bedeutete, dass sein Radar vor allem auf dunkle Objekte eingestellt war, und es gab kaum etwas Dunkleres als das Tor zu einem Dämonenreich.

„Die Pforte zu diesem Reich war da hinten. Kannst du sie sehen?“

Er ging zu dem Punkt, auf den ich gedeutet hatte, und streckte die Hände vor sich aus, als ob er nach einer Türöffnung tastete, was er im Grunde auch tat.

„Komisch“, sagte er nach einer Weile. „Ich sehe das Reich, und ich spüre auch etwas, aber nicht so stark wie bei einer normalen Pforte. Es fühlt sich nicht nach einer Tür an, eher nach einem … Riss.“

„Das habe ich befürchtet“, murmelte ich, von einer neuen Welle des Entsetzens gepackt. „Jetzt, da die Mauern zwischen den Dämonenreichen und unserer Welt bröckeln, gibt es wahrscheinlich bald überall diese Risse. Und wenn es schlimmer wird, dann werden aus diesen Spalten klaffende Löcher, und die Reiche schwappen in unsere Welt hinein. Und dann …“

Ich verstummte, weil ich nicht laut aussprechen wollte, was als Nächstes passieren würde. Das Einzige, was noch schlimmer war als das Wissen um die Folgen, war die Erkenntnis, dass ich der einzige Mensch war, der etwas dagegen unternehmen konnte. Deshalb hatte ich während der vergangenen beiden Monate die Hälfte meiner Zeit damit verbracht zu trainieren und die andere Hälfte mit dem Versuch, meiner Schwester Jasmine über den posttraumatischen Stress ihrer Gefangenschaft bei den Dämonen hinwegzuhelfen. Man sollte zwar meinen, dass ich bei alldem nicht auch noch die Energie aufbringen konnte, mich auf Adrian zu fokussieren, aber das klappte prima. Ein gebrochenes Herz war offenbar die Wunde, die am langsamsten heilte.

„Ich glaube, im Moment sind wir sicher“, meinte Adrian, ohne auf meinen unvollendeten Satz einzugehen. „Der Riss fühlt sich nicht stark genug an, um noch jemanden durchzulassen. Vielleicht schwächt das Sonnenlicht ihn.“

Fürs Erste vielleicht. Ich rieb meine rechte Hand, dort, wo der Umriss eines geflochtenen Seils begann, der sich von meinem Finger bis hoch zu meinem Ellbogen zog. Die Überreste der uralten heiligen Schleuder brannten zwar nicht mehr auf diese seltsame Weise, aber sie waren immer noch eine greifbare Erinnerung daran, dass Adrian und ich unser Schicksal zu erfüllen hatten. Meine Bestimmung war möglicherweise, alle Menschen zu retten, die in den Dämonenreichen gefangen waren – und seine, mich zu betrügen.

„Okay, gut, die Lakaien sind tot und der Dämon ist weg. Brutus müsste eigentlich jeden Augenblick zurückkommen, und ich bin fast zu Hause. Du kannst also wieder verschwinden. Jetzt“, fügte ich hinzu.

Spöttisch grinsend sah er mich an, und die silbernen Ringe um das dunkle Blau seiner Iris schienen zu glimmen.

„Ich gehe nirgendwohin, Ivy. Ob du nun bereit dazu bist oder nicht, ich bin zurück in deinem Leben und werde bleiben.“

„Aber ich will dich hier nicht.“ Ich kämpfte gegen den Drang an, ihm so lange auf den Kopf zu schlagen, bis meine Worte zu ihm vordrangen.

Er lächelte nur, blendend und so arrogant, dass ich mich auf dem Absatz umdrehte, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. „Ja, ich höre, was du sagst, aber selbst wenn du mich nicht wollen solltest – noch nicht –, ändert das nichts an der Tatsache, dass du mich brauchst.“

Plötzlich stand er wieder vor mir, seine blitzartige Geschwindigkeit nutzend, und drückte mir eine kleine Schachtel in die Hand. „Da wir gerade von Dingen sprachen, zu denen ich vorher nicht gekommen bin: Herzlichen Glückwunsch, wenn auch einen Tag zu spät.“

Ich war so schockiert, dass ich wie angewurzelt stehen blieb und auf die Schachtel starrte. Der einundzwanzigste Geburtstag war ein Wendepunkt, aber niemand sonst hatte daran gedacht. Weder meine Schwester, die gleichzeitig meine beste Freundin war, noch mein Mitbewohner Costa, der mir inzwischen so nahestand wie ein Bruder, noch Zach, der Archont, der so etwas wie mein Mentor war und die übernatürliche Fähigkeit besaß, über wirklich alles Bescheid zu wissen. Nur Adrian, dem ich nie erzählt hatte, wann ich geboren worden war.

Ich konnte nicht anders, als das unerwartete Geschenk zu öffnen, und schnappte unwillkürlich nach Luft, als ich den runden Stein an der langen Goldkette sah, der das Licht der ersten Sonnenstrahlen in einem Regenbogen von Farben brach, die so hell glitzerten, dass ich die Augen zusammenkneifen musste. Falls es sich nicht um das funkelndste Glas aller Zeiten handelte, hatte Adrian mir gerade einen Diamanten geschenkt, der so groß war wie eine dicke Murmel.

„Das kann ich auf keinen Fall annehmen“, stammelte ich und fügte hinzu: „Hast du ihn gestohlen?“, denn wie sonst sollte er an etwas kommen, das so viel kostete wie mehrere Luxusautos zusammen?

In seinem Lachen lag ein Anflug von Dunkelheit. „Ich darf dich daran erinnern, dass ich mal ein Dämonenprinz war. Ich mag das alles hinter mir gelassen haben, aber ich bin nicht mit leeren Händen gegangen.“

„Du bist kein Dämon, nur von Dämonen aufgezogen worden“, murmelte ich.

Er zuckte mit den Schultern. „Dann halt Dämonenprinz ehrenhalber. Jedenfalls kann ich es mir leisten. Außerdem hast du meinetwegen deine andere Kette verloren, also sag nicht, dass du diese hier nicht als Ersatz annehmen kannst.“

Die Kette war so schön, dass ein oberflächlicher Teil von mir nichts lieber getan hätte, als sie umzuhängen und zum nächstgelegenen Spiegel zu rennen. Aber das war natürlich ausgeschlossen. Erstens hatte ich nicht mehr in einen Spiegel geschaut, seit ich eines Nachts auf die harte Tour lernen musste, dass Dämonen Spiegel als Tore in unsere Welt benutzen konnten. Und zweitens …

„Das fühlt sich an wie Bestechung.“ Ich hielt ihm die Kette hin. „Und du kannst all das, was mit uns passiert ist, nicht mit einem sündteuren Geschenk wiedergutmachen. Zwischen uns ist nicht alles in Ordnung, Adrian, nicht mal ansatzweise, und wenn ich die Kette annehme, dann würde ich damit stillschweigend andeuten, dass dem so wäre.“

Er verschränkte die Arme und nahm eine mir sehr vertraute sture Haltung ein. „Ich versuche nicht, dich zu bestechen. Ich schenke dir etwas zum Geburtstag. Schmeiß es in die Brandung, wenn du willst, aber es gehört dir, also nehme ich es nicht zurück.“

Ich spürte, wie mein Kiefer sich verkrampfte. Er mochte ja in einem Milieu groß geworden sein, in dem Geld keine Rolle spielte, aber ich konnte diesen Diamanten genauso wenig ins Meer werfen, wie ich einen Stapel Hundertdollarnoten verbrennen würde, um mich daran zu wärmen, und aus dem herausfordernden Halblächeln, zu dem sein Mund sich verzog, schloss ich, dass er das wusste. Was aber noch lange nicht hieß, dass er seinen Willen bekam.

Ich schloss meine Hand um die Kette und ging weiter. Auch ohne mein erweitertes peripheres Gesichtsfeld wäre mir sein spöttisches Grinsen nicht entgangen, als er mir folgte. Er glaubte, er hätte diese Runde gewonnen. Aber da liegst du total falsch, teilte ich ihm stumm mit.

„Wenn du so reich bist, warum sind wir dann immer nur in diesen miesen Motels abgestiegen, als wir das erste Mal zusammen unterwegs waren?“, fragte ich, während wir auf Costas Haus zugingen.

Sein Lachen ließ mich erschauern.

„Weil ich alles getan habe, was ich konnte, um die Stimmung kaputt zu machen. Hat allerdings nicht geklappt. Selbst in der hässlichsten Umgebung wollte ich dich so sehr, dass es mich fast umgebracht hat, dich nicht in jedem schäbigen Zimmer zu nehmen, das diese beschissenen Hotels zu bieten hatten.“

„Hör auf“, murmelte ich. Zum Glück wählte Brutus genau diesen Moment, um an uns vorbeizufliegen und sich in den größten Abschnitt von Strandgestrüpp zu stürzen. Ich rannte hinterher, um den Gargoyle zu beruhigen, der hektisch versuchte, sich mit Zweigen und Blättern zu bedecken, um der Sonne zu entkommen.

„Alles okay“, sagte ich gerade, als Adrian „Carparata!“ rief, laut genug, um Brutus’ Kopf hochfahren zu lassen.

Das dämonische Wort verwandelte Brutus von einer verängstigten Kreatur in sein übliches, eindrucksvolles Selbst. Der Gargoyle mochte zwar jetzt mein Haustier sein, aber im Grunde gehörte er immer noch mit Haut und Haar Adrian. Der war es schließlich gewesen, der Brutus zu meinem Beschützer ernannt hatte. Die Tatsache, dass er das getan hatte, weil er glaubte, sein Leben opfern zu müssen, um meins zu retten, war einer der Gründe, warum es mir so schwerfiel, ihn mir aus dem Herzen zu reißen.

Aber ich würde nicht aufhören, es weiter zu versuchen. „Hier, mein lieber Brutus“, sagte ich und schloss die Kette um sein riesiges ledriges Handgelenk. Sie passte ihm wie ein Armband. „Ich habe etwas Glänzendes für dich.“

Der Gargoyle hob den Arm und schaute auf den Diamanten, der auf seiner graublauen Haut lag. Dann schnaufte er beifällig.

„Siehst du?“, sagte ich grinsend zu Adrian. „Er ist begeistert.“

Sein Blick war unbezahlbar. Doch dann deutete er mit einem Lächeln, das für meinen Geschmack viel zu selbstsicher war, in die Richtung von Costas Haus.

„Du kannst mein Geschenk an Brutus weitergeben, und du kannst weiter auf Costas Bleibe zustürmen, aber das ändert nichts daran, dass ich mitkomme. Überall zwischen den Reichen entstehen gerade diese Risse, und Dämonen und Lakaien haben sich wieder in Bewegung gesetzt. Du magst Demetrius getötet und mir damit die Rache gegeben haben, die ich seit Jahren suchte, aber damit ist der Kampf für mich nicht beendet. Mein Lebenszweck ist es nach wie vor, den Dämonen in den Arsch zu treten, daher werde ich das hier für keinen Preis der Welt tatenlos aussitzen, das sollte dir eigentlich klar sein, wenn du mich auch nur ein bisschen kennst. Abgesehen davon weiß Zach das vermutlich auch alles und wartet bereits bei Costa auf uns. Und wie du dich vielleicht erinnerst, sind Archonten zwar nahezu unsterblich, aber nicht sehr geduldig.“

4. Kapitel

Costa lebte in einer ehemaligen Kirche, daher der geweihte Boden, den Dämonen nicht betreten konnten. Der Anblick des schräg zulaufenden Daches mit dem Kreuz, das Costa nie entfernt hatte, erfüllte mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Traurigkeit. Ich konnte nicht behaupten, dass ich hier glücklich gewesen war, aber ich hatte mich sicher gefühlt, und das bedeutete in dieser Welt eine ganze Menge. Jetzt war es an der Zeit zu scheiden, und ich wusste nicht, ob ich diesen Ort je wiedersehen würde.

Adrian hatte recht, im Haus waren mehr Leute als vor einer Stunde, als ich aufgebrochen war. Meine Schwester Jasmine schien verdutzt, Adrian zu sehen, aber es entging meiner Aufmerksamkeit nicht, dass Costa keineswegs überrascht wirkte. Ich unterdrückte ein Schnauben, als wir die Küche betraten. Hatte Adrian etwa die ganze Zeit auch mit Costa in Kontakt gestanden? War ich buchstäblich die einzige Person, die er in den vergangenen zwei Monaten gemieden hatte?

Ich ging zum Tisch. Adrian zog einen Stuhl für mich zurück, aber ich ignorierte die Geste. „Ich stehe lieber.“

„Streitet ihr beide euch schon wieder?“ Costa warf uns einen wissenden Blick zu. „So weit wäre dann ja alles normal.“

Die andere Person, die ich seit zwei Monaten nicht gesehen hatte, war Zach, aber wie Adrian vorausgesagt hatte, saß der Archont am Küchentisch, so lässig, als sei er spontan zum Frühstück vorbeigekommen. Wie bei Lakaien und Dämonen würde man auch bei Zach zunächst nichts Ungewöhnliches vermuten. Seine Jeans und der verwaschene blaue Kapuzenpulli passten zu seinem vermeintlichen College-Alter, und seine dunklen Brauen, das kurzgeschnittene Haar und die mokkabraune Haut bildeten einen großartigen Rahmen für seine tiefgründigen nussbraunen Augen.

Doch wer tief in diese Augen schaute, musste spüren, dass Zach etwas Überirdisches umgab. Sein Blick schien einem tief in die Seele zu dringen, und wenn er beschließen würde, seine wahre Natur zu enthüllen, würde sich der Raum mit explodierenden Lichtblitzen und ohrenbetäubend schönen Stimmen füllen. Ein einziges Mal hatte er seine menschliche Tarnung fallen lassen, um mir das zu zeigen, und ich war, ohne mir dessen bewusst zu sein, tränenüberströmt auf die Knie gesunken. Man merkt erst dann, wie unwichtig man ist, wenn man mit einer Kreatur konfrontiert wird, die die Macht und Herrlichkeit der Ewigkeit ausstrahlt.

Archonten – Engel – waren solche Kreaturen, daher sollte man meinen, dass ich froh war, Zach zu sehen. Doch stattdessen empfand ich einen immer stärker werdenden Anflug von Furcht. Entgegen dem populären Bild, das familienfreundliche Filme und Fernsehsendungen verbreiteten, waren Archonten keine niedlichen Wesen, die ihre Zeit damit verbrachten, mit glitzerndem Sternenstaub um sich zu werfen. Sie waren fürchterliche Krieger, die während der wichtigsten Schlacht aller Zeiten dazu verdonnert worden waren, im Abseits zu stehen und daher jetzt darauf brannten, zu kämpfen, egal, wie das Ganze für die Menschheit ausging. Außerdem waren sie unsere Verbündeten gegen die Dämonen und daher für uns unverzichtbar – trotz ihrer offenkundigen Gleichgültigkeit, was das Schicksal meiner Spezies betraf.

„Mir läuft die Zeit davon, stimmt’s?“, sagte ich statt einer Begrüßung.

Zach fühlte sich nicht auf den Schlips getreten. Er war vermutlich der Erfinder des Nichtgrüßens. „Stimmt. Da die Mauern zwischen den Reichen immer schwächer werden, bilden sich ständig neue Spalten, die den Zugang in diese Welt erleichtern. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis einige der Mauern ganz brechen und Teile der Dämonenwelt in euer Reich reinschwappen.“

„Das habe ich gerade auf die harte Tour mitgekriegt.“ Ich seufzte. „Drei Lakaien und ein Dämon haben versucht, mich am Strand zu schnappen.“

Jasmine wurde kreidebleich und stürzte auf mich zu. „Bist du okay? Wie bist du ihnen entkommen? Wussten sie, wer du bist?“

Ich drückte meiner kleinen Schwester beruhigend die Schulter. Während ich sie ansah, spürte ich einen Stich im Herzen. Sie hatte das blonde Haar meiner Adoptivmutter, doch während ihrer höllischen Gefangenschaft hatte sich vom Scheitel abwärts eine lange weiße Strähne gebildet. Ihre hellblauen Augen hatten dieselbe Farbe wie die meines Adoptivvaters, und sie erinnerte mich gerade so sehr an ihn, dass ich plötzlich mit den Tränen kämpfte.

Oh, wie ich meine Eltern vermisste! Sie hatten es nicht verdient, durch die Hand von Lakaien und Dämonen zu sterben, nur weil sie sich nicht mit Jasmines Verschwinden abfinden wollten. Aber natürlich hatte überhaupt niemand verdient, durch die Hand von Dämonen und Lakaien zu sterben, egal aus welchen Gründen.

„Ich bin okay“, versicherte ich Jaz. „Ich habe den ersten erwischt, Adrian und Brutus haben sich um den Rest gekümmert. Und zunächst wussten sie nicht, wer ich war. Sie waren nur auf der Suche nach neuen Sklaven.“

Zach senkte zustimmend den Kopf. „Je leichter der Zugang zu dieser Welt für Dämonen wird, desto dreister verhalten sie sich.“

Vielleicht war es die frische Welle der Trauer um meine Eltern, vielleicht auch die Angst vor dem, was mir, wie ich wusste, bevorstand. Jedenfalls konnte ich mir eine schroffe Antwort nicht verkneifen.

„Kannst du mich bitte noch mal daran erinnern, warum Archonten zulassen, dass unschuldigen Menschen schreckliche Dinge zustoßen, obwohl sie die Macht hätten, das zu verhindern?“

Der Blick, mit dem Zach mich bedachte, war eisig. „Wir haben unsere Gründe. Bessere als die, die deine Rasse dazu bringen, eher anderen die Schuld zu geben, als selbst an Lösungen zu arbeiten.“

Ja, die Menschheit hatte ihre Schwächen, aber das bedeutete verdammt noch mal nicht, dass wir es nicht wert waren, gerettet zu werden! Und ich hatte immer noch nicht herausgefunden, ob Zach das überhaupt wollte. Manchmal verhielt der Archont sich so, als ob es ihm etwas bedeutete, dann wieder schien es ihm ebenso recht zu sein, die Menschheit in Flammen aufgehen zu lassen, wenn das dem Krieg zwischen Archonten und Dämonen endlich ein Ende setzen würde.

„Wenn du wirklich glaubst, dass deine Spezies es wert ist, gerettet zu werden, bist du ja sicher ganz wild darauf, loszulegen“, erwiderte Zach, seine Fähigkeit des Gedankenlesens nutzend. Wie hatte ich das bloß vergessen können?

Finster funkelte ich ihn an, nicht gerade angetan von dem Hinweis, dass sich in diesem Fall die Feststellung, „jemand“ müsste etwas tun, zwingend auf mich bezog.

„Ich bin bereit“, behauptete ich, was die dickste Lüge der Welt war, aber was sollte ich sonst sagen? Wir werden alle sterben! kam mir dann doch zu pessimistisch vor, auch wenn es vermutlich stimmte.

Gewohnt anmutig erhob sich Zach und warf einen Seitenblick auf Brutus, der in der dunkelsten Ecke der Küche kauerte. Er hätte sich längst in sein Zimmer zurückgezogen, wenn er nicht auf sein Frühstück aus rohem Fleisch warten würde.

„Kann mir mal irgendjemand erklären, warum dieser Gargoyle den Stein des Salomon um sein Handgelenk trägt?“, erkundigte der Archont sich.

„Den was?“, wollte Jasmine wissen.

Das fragte ich mich auch gerade, aber bevor ich etwas sagen konnte, wandte Adrian sich an meine Schwester, um Zachs Frage zu beantworten. „Ivy mochte ihr Geburtstagsgeschenk nicht, also hat sie es an Brutus weitergereicht.“

Jasmine schnappte entsetzt nach Luft. „Geburtstag? Oh, Mist, Ivy. Ich habe deinen Geburtstag vergessen!“ Costa wirkte ähnlich schockiert, aber aus einem anderen Grund.

„Du hast Brutus einen dreitausend Jahre alten Diamanten mit legendären mystischen Eigenschaften gegeben?“

Zach schaute mich ebenfalls an, als zweifele er an meinem Verstand. Ich nahm eine defensive Haltung ein, obwohl diese Neuigkeit mich ziemlich umhaute. „Ich dachte halt, es sei ein normaler Diamant“, murmelte ich.

„Ist es aber nicht.“ Adrian hob eine Braue, um anzudeuten, dass ich ihm vorhin die Chance hätte geben sollen, sein Geschenk zu erklären. „König Salomon hat diesen Diamanten einem Dämonenkönig namens Asmodeus gestohlen, weil der Stein der Sage nach denjenigen, der ihn trägt, vor Schaden bewahrt. Nach Salomons Tod holte Asmodeus sich den Diamanten zurück, und als ich ein Kind war, hat man ihn mir gegeben, weil die Dämonen den letzten Nachfahren von Judas beschützen wollten.“

Ich war total geplättet von der Geschichte des Diamanten, ganz zu schweigen von seiner Schutzfunktion. Adrian hatte nicht einfach versucht, sich meine Vergebung mit einem teuren Klunker zu erkaufen. Er hatte mir den Talisman geschenkt, der ihn seit seiner Kindheit begleitete. Ich kämpfte mit meinen widersprüchlichen Emotionen. Der Teufel soll ihn holen, weil er es mir so schwer macht, weiter wütend auf ihn zu sein.

„Na schön.“ Zach, der meinen inneren Konflikt garantiert bemerkt hatte, ging zur Tagesordnung über. „Ivy, du brichst sofort auf. Adrian und Costa werden dich auf deiner Suche nach dem Stab Mose unterstützen.“

„Adrian nicht“, platzte ich raus.

„Doch, Adrian auch“, sagte Zach in seinem besten Leg-dich-nicht-mit-einem-engelsgleichen-Wesen-an-Ton. „Ohne ihn findest du die Karte nicht.“

„Es gibt eine Karte, die zu dem Stab führt?“ Das war eine Überraschung. „So was wäre auch hilfreich gewesen, um die erste heilige Waffe zu finden.“

Zach zuckte die Schultern. „Es gab durchaus etwas Ähnliches wie eine Karte, die dir auch nicht entgangen wäre, wenn du etwas genauer hingeschaut hättest, als du nach der Schleuder gesucht hast.“

Archonten und ihr Krypto-Jargon – nur noch getoppt von ihrem Mangel an Initiative, der schon an Apathie grenzte! Klar hatte es damals eine Karte gegeben, wovon Zach mir aber nichts gesagt hatte. Gut möglich, dass er auch jetzt eine in seiner Tasche stecken hatte, sich aber nicht dazu herabließ, es zu erwähnen. Ich hatte jedenfalls die Nase voll von diesem Mist. „Warum sagst du mir nicht einfach, wo der Stab ist, wenn du es weißt?“

„Weil das deine Aufgabe ist, Nachfahrin Davids, ob du sie nun meisterst oder an ihr scheiterst“, gab Zach unerbittlich zurück.

Du darfst den Archonten nicht verprügeln, rief ich mir in Erinnerung, während meine Hände sich unwillkürlich zu Fäusten ballten. Wir brauchten ihn noch.

Zachs Mund zuckte, als ob meine ohnmächtige Wut ihn amüsierte. „Adrian kommt mit, Ivy. Mach dir nicht die Mühe, alle Gründe aufzuführen, warum dir das nicht in den Kram passt. Sie ändern nichts an der Tatsache, dass er mit dir gehen muss, da du andernfalls nicht nur scheitern, sondern auch sterben wirst. Daher habe ich heute Morgen seinen Bann widerrufen, der ihn von dir fernhält.“

Ich schaute zu Adrian. „Was meint er damit: den Bann widerrufen, der dich von mir fernhält?“

Adrian stieß einen tiefen, beinahe knurrenden Laut aus. „Zach hat ein übernatürliches Kontaktverbot über mich verhängt. Sobald ich mich dir in einem Umkreis von einer Meile nähern wollte, war ich gelähmt. Costa vergaß auf magische Weise jede Botschaft, die ich dir durch ihn zukommen lassen wollte, und wenn ich versuchte, dich anzurufen oder dir eine SMS oder E-Mail zu schicken, explodierte mein Telefon.“

„Echt?“ Costa sah verwirrt aus. „Du und ich haben öfter miteinander gesprochen, aber an irgendwelche Botschaften erinnere ich mich nicht.“

Adrian stieß einen missbilligenden Laut aus. „Genau!“

„Von einem Engel die Tour vermasselt kriegen“, murmelte Costa. „Das ist mal was ganz Neues.“

Autor