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Das Habitat

Als Buch hier erhältlich:

»Dieser Roman ist besser als gut. Sein wunderschön umgesetztes Lamento einer verlorenen Sprache und kultureller Nachhaltigkeit ist von universeller Relevanz.« Canberra Times

»Mein Lieblingsbuch des Jahres.« Nicole Seifert 

Ein Londoner Künstler und ein französischer Linguist landen im Sommer 1979 auf einer abgelegenen irischen Insel. Der Künstler ist angereist, um die zerklüfteten Klippen im Atlantik zu malen, der Linguist, um den Niedergang der irischen Sprache zu verfolgen. Jeder der Männer will die unberührte Insel und seine Bewohner für sich alleine haben: Der eine, um sie in Ruhe zu malen und endlich ein besonderes Kunstwerk zu schaffen, der Andere, um eine Sprache zu retten, die gar nicht die seine ist. Die Spannung zwischen den beiden zieht im Laufe des Sommers Kreise über die gesamte Insel.

Vor dem Hintergrund Nordirlandkonflikts, erzählt der Roman vom harten Leben der Inselbewohner und von ihren Träumen – die sie über die harschen Grenzen ihrer abgeschiedenen Realität hinausführen.


  • Erscheinungstag: 28.01.2025
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312012893

Leseprobe

Für Maeve
und im Gedenken an John Magee

Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass es welche sind.

FRIEDRICH NIETZSCHE
Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

Er streckte sich über die Ufermauer Richtung Meer und reichte dem Bootsmann die Staffelei.

Haben Sie sie?

Ja, Mr. Lloyd.

Seine Pinsel und Farben befanden sich in einer Mahagonitruhe, die in mehrere Schichten dickes weißes Plastik gewickelt war.

Die ist schwer, sagte er.

Passt schon, Mr. Lloyd. Geben Sie sie mir runter.

Er kniete sich auf den Beton und ließ die Truhe über die Mauer auf den Bootsmann zurutschen, das weiße Plastik entglitt seinen Fingern.

Ich kann sie nicht halten, sagte er.

Lassen Sie los, Mr. Lloyd.

Er saß auf den Hacken und beobachtete, wie der Bootsmann die Truhe und die Staffelei unter dem Sitz am Bug verstaute und beides mit einem leuchtend blauen Seil aneinanderband.

Ist das sicher?

Das passt schon, Mr. Lloyd.

Ich hoffe, es ist sicher.

Wie gesagt, das passt schon.

Er stand auf und strich sich Staub und Schmutz von der Hose. Der Bootsmann streckte den Arm aus und bot ihm die Hand.

Fehlen nur noch Sie, Mr. Lloyd, Sir.

Lloyd nickte. Er reichte dem Bootsmann seinen Segeltuchrucksack und betrat vorsichtig die Leiter, die in den bröckelnden Anleger eingelassen war.

Andersrum, Mr. Lloyd. Mit dem Rücken zu mir.

Er sah nach unten, sah das kleine Boot, das Meer. Er zögerte. Hielt inne.

Das passt schon, Mr. Lloyd.

Er drehte sich um und streckte das rechte Bein nach unten aus, um die nächste Sprosse unter ihm zu ertasten, die Hände fest an dem rostigen Metall, das Bein herabhängend, die Augen fest geschlossen angesichts der Möglichkeit

sich die Haut aufzureißen

die Finger zu schneiden

die Hände zu verletzen

abzurutschen

auf Stufen

bedeckt mit Algen und Schleim

zu fallen

ins Meer zu fallen

Die Sprosse ist direkt unter Ihnen, Mr. Lloyd.

Ich weiß nicht, wo.

Sie müssen das Knie beugen, Mr. Lloyd. Beugen.

Ich kann nicht.

Das passt schon.

Er beugte das Knie und fand die Sprosse. Er hielt inne, immer noch fest an die Leiter geklammert.

Nur noch zwei Sprossen, Mr. Lloyd.

Er bewegte die Hände an der Leiter nach unten, dann folgten die Beine. Auf der dritten Sprosse machte er halt. Er blickte nach unten, sah die Lücke zwischen seinen Füßen und dem tief liegenden Boot.

Das ist zu weit.

Einfach das Bein ausstrecken, Mr. Lloyd.

Lloyd schüttelte den Kopf, den ganzen Körper. Er blickte noch einmal nach unten, zu seinem Rucksack, seiner Staffelei, seiner Truhe mit Farben, die schon bereit waren für die Fahrt übers Meer in einem selbst gebauten Boot. Er streckte das rechte Bein nach unten aus, dann das linke, sich immer noch an die Leiter klammernd.

Selbstporträt I: fallend

Selbstporträt II: ertrinkend

Selbstporträt III: entschwindend

Selbstporträt IV: unter Wasser

Selbstporträt V: der Verschwundene

Und loslassen, Mr. Lloyd.

Ich kann nicht.

Das passt schon.

Er krachte ins Boot, sodass es zur Seite kippte, seine Hose, seine Stiefel und Socken wurden durchnässt, Wasser sickerte ihm zwischen die Zehen, während der Bootsmann mit dem rechten Bein gegen den Ansturm des Meeres anruderte, das Bein ganz wild, bis das Curragh wieder im Gleichgewicht war. Der Bootsmann beugte sich vor, stützte sich mit den Händen auf den Knien ab. Er keuchte.

Ich habe nasse Füße.

Zum Glück sind’s nur die Füße, Mr. Lloyd.

Der Bootsmann zeigte Richtung Heck.

Setzen Sie sich da hin, Mr. Lloyd.

Aber ich habe nasse Füße.

Der Bootsmann atmete tief durch.

So ist das, wenn man Boot fährt, Mr. Lloyd.

Lloyd schleppte sich zum hinteren Teil des Bootes, sich an den schwieligen Händen des Bootsmanns festhaltend, als er sich umdrehte und sich auf das schmale, zersplitterte Brett setzte.

Ich hasse es, nasse Füße zu haben, sagte er.

Er streckte dem Bootsmann die Hände entgegen.

Ich nehme meinen Rucksack jetzt selbst. Danke.

Der Bootsmann reichte ihm den Rucksack, und Lloyd setzte ihn sich auf die Knie, mit Abstand zum Wasser, das immer noch auf dem Boden des Bootes herumschwappte.

Ich habe nichts dagegen, wenn Sie Ihre Meinung ändern, Mr. Lloyd. Ich berechne es Ihnen auch nicht. Nicht den ganzen Preis, jedenfalls.

Ich mache es wie geplant, danke.

Üblich ist das nicht mehr. So überzusetzen.

Das ist mir bewusst.

Und es kann eine heftige Überfahrt werden.

Das habe ich gelesen.

Heftiger als anderswo.

Danke. Ich komme schon zurecht.

Er schloss die Knöpfe seines gewachsten Mantels und setzte seine neue Tweedkappe auf, deren Grün- und Brauntöne zum Rest seiner Kleidung passten.

Selbstporträt: Vorbereitung auf eine Meeresüberquerung

Er beugte sich vor und schnippte die Wasserperlen von seiner Hose, von den Socken, von den Schnürsenkeln seiner Stiefel.

Bleiben Sie länger, Mr. Lloyd?

Den ganzen Sommer.

Das wird wohl reichen.

Lloyd richtete den Rucksack auf seinen Knien aus.

Ich bin so weit, sagte er.

Bestens.

Brechen wir dann auf?

Nicht mehr lange.

Wie lange noch?

Nicht lange.

Aber es ist nicht mehr lange hell.

Der Bootsmann lachte.

Es ist Juni, Mr. Lloyd.

Und?

Der Himmel da ist noch lange hell.

Wie ist die Vorhersage?

Der Bootsmann sah nach oben.

Ist Gott sei Dank ein ruhiger Tag.

Aber das kann sich ändern.

So ist es, Mr. Lloyd.

Wird es sich ändern?

Oh, ganz bestimmt, Mr. Lloyd.

Dann sollten wir jetzt aufbrechen. Bevor es sich ändert.

Noch nicht, Mr. Lloyd.

Lloyd seufzte. Er schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne, überrascht, wie warm sie war. Er hatte nördliche Kälte, nördlichen Regen erwartet. Er sog ein paar Minuten lang die Wärme ein und öffnete die Augen dann wieder. Der Bootsmann stand da wie zuvor und blickte Richtung Land, den Körper im Rhythmus des Wassers wiegend, das sacht an die Ufermauer schlug. Lloyd seufzte erneut.

Ich finde wirklich, wir sollten aufbrechen, sagte er.

Noch nicht, Mr. Lloyd.

Mir liegt sehr daran, loszukommen. Anzukommen.

Es ist noch früh, Mr. Lloyd.

Der Bootsmann griff in die Innentasche seiner Jacke und zog eine Zigarette hervor. Er knipste den Filter ab und schnippte ihn ins Meer.

Wenn den ein Fisch frisst, sagte Lloyd.

Kann passieren.

Das wär nicht gut für den Fisch.

Der Bootsmann zuckte mit den Schultern.

Dann passt er beim nächsten Mal besser auf.

Ich möchte jetzt los, sagte er.

Noch nicht, Mr. Lloyd.

Ich habe Ihnen viel Geld bezahlt, sagte er.

Das haben Sie, Mr. Lloyd, und das weiß ich zu schätzen.

Und ich würde jetzt gern aufbrechen.

Das verstehe ich.

Also dann los.

Wie gesagt, noch nicht, Mr. Lloyd.

Aber warum denn nicht? Ich bin so weit.

Der Bootsmann nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Lloyd seufzte, blies durch die Lippen und bohrte Hacken und Finger in das mit Teer und Segeltuch bespannte Holz des Bootes.

Haben Sie das gebaut?, fragte Lloyd.

Hab ich.

Hat das lange gedauert?

Ja.

Wie lange?

Lange genug.

Selbstporträt: im Gespräch mit dem Bootsmann

Er zog einen kleinen Zeichenblock und einen Stift aus einer Seitentasche des Rucksacks. Er schlug eine leere Seite auf und fing an, den Anleger zu zeichnen, gedrungen und unelegant, aber überzogen mit Seepocken und Algen, die in der Sonne glitzerten, Muscheln und Farnwedel waren noch nass von der morgendlichen Flut. Er zeichnete das Seil, das vom Anleger zum Boot führte, und wollte gerade mit der Form des Curraghs beginnen, als der Bootsmann sagte:

Da ist er ja. Höchstpersönlich.

Lloyd sah auf.

Wer?

Francis Gillan.

Wer ist das?

Der Bootsmann warf seinen Zigarettenstummel ins Meer. Er hielt sich die Hände vor den Mund, blies hinein und rieb sie aneinander.

Ist ein weiter Weg, Mr. Lloyd.

Und?

Das kann ich nicht allein rudern.

Sagen Sie das doch.

Hab ich ja gerade, Mr. Lloyd.

Francis ließ sich von der Leiter ins Curragh fallen und kam leicht auf dem Boden des Bootes auf, seine Bewegungen kräuselten kaum das Wasser.

Lloyd seufzte

graziös

souverän

anders als ich

Er nickte Francis zu.

Hallo, sagte er.

Francis zog das Seil von dem Ring in der Mauer.

Dia is Muire dhuit, sagte er.

Der erste Bootsmann lachte.

Er spricht kein Englisch, sagte er. Jedenfalls nicht heute Vormittag. Der Bootsmann hob lange, schmale Stangen auf und nahm in jede Hand eine.

Jetzt geht es los, sagte der Bootsmann.

Lloyd steckte Zeichenblock und Stift wieder in die Tasche.

Na endlich, sagte er.

Der Bootsmann ließ die Stangen ins Wasser.

Sind das die Ruder?

So ist es, Mr. Lloyd.

Die haben ja gar keine Schaufeln. Keine Paddel.

Manche schon, andere nicht.

Braucht man die denn nicht?

Nicht, wenn wir auch so ankommen.

Die Männer stießen sich von der Mauer ab, und Lloyd hielt sich an den Seiten des Bootes fest, grub die Finger in Segeltuch und Teer, in die grobe Fragilität eines selbst gebauten Bootes, das auf dem Weg in den Atlantik war, in die Fremde, das Unbekannte

das Nicht

zu unbewaldeten Flüssen

Steuermannrufen

muskulösen Schultern, gebräunter Haut

Sonnenbrillen, Hüte und so was

nicht das

das Vertraute

nein

Sie bewegten sich auf die Mündung des Hafens zu, vorbei an kleinen Schleppern und Ruderbooten mit Außenbordmotoren. Der Bootsmann deutete auf ein Schiff, das kleiner war als die Schlepper, aber größer als das Curragh.

Das bringt dann ihr Gepäck, sagte er.

Lloyd nickte.

Damit setzen die anderen Besucher über.

Gibt es denn viele Besucher?

Nein.

Dann ist gut.

Auf dem Schiff da wären Sie besser aufgehoben, Mr. Lloyd.

Lloyd schloss die Augen, blendete den Bootsmann aus. Und öffnete sie wieder.

Ich bin froh, auf diesem zu sein.

Das große ist sicherer, Mr. Lloyd. Es hat einen Motor und Segel.

Ich bin hier schon richtig.

Dann ist gut, Mr. Lloyd, Sir.

Sie verließen den Hafen, passierten schwarz gewordene, von den Wellen rund gewaschene Steine, auf deren unbewegter Oberfläche Möwen sie anstarrten.

Selbstporträt: mit Möwen und Steinen

Selbstporträt: mit den Bootsmännern, Möwen und Steinen

Wie lange wird es dauern?

Drei, vier Stunden. Kommt drauf an.

Es sind zehn Meilen, oder?

Neun. Mit meinem anderen Boot brauche ich etwas über eine Stunde.

Ich mag dieses Boot. Man ist näher am Wasser.

Der Bootsmann zog an den Rudern.

Das stimmt allerdings.

Lloyd beugte sich zur Seite und ließ eine Hand ins Meer hängen, mit gespreizten Fingern, um das Wasser zu durchpflügen.

Selbstporträt: auf dem Weg zum Inselbewohner

Selbstporträt: heimisch werden

Er rieb mit der kühlen Hand über die Hose. Er hob den Rucksack an und legte ihn hinter sich.

Das ist riskant, sagte der Bootsmann.

Das passt schon, sagte Lloyd.

Er lehnte sich an den Rucksack und bewegte die Finger, als würde er die Bootsmänner beim Rudern zeichnen

kleine Männer

schmale Männer

Hüften, Schultern, Rücken

fließend

über sicher stehenden Beinen

Ihr Boot hat eine andere Form als auf den Bildern in meinen Büchern.

Verschiedene Boote für verschiedene Zwecke, Mr. Lloyd.

Dieses wirkt tiefer.

Tiefere Boote für tiefere Gewässer. Die flachen Boote sind besser geeignet für Inseln, die nahe beieinanderliegen.

Also in diesem Fall nicht?

Nein, ist zu weit.

Aber es ist sicher?

Das Boot hier?

Ja.

Der Bootsmann zuckte mit den Schultern.

Die Frage kommt ein bisschen spät.

Lloyd lachte.

Ja, ist wohl so.

Selbstporträt: mit den Inselbewohnern vertraut werden

Und lecken die?

Ja, Mr. Lloyd.

Der Teer auf meinem Garagendach leckt dauernd, sagte er.

Kommt vor bei Teer.

Bei diesem Boot auch?

Hab’s grad erst geflickt.

Und sinken die?

Oh, ja.

Dieses auch schon?

Der Bootsmann schüttelte langsam den Kopf.

Jetzt sitzen wir drin, Mr. Lloyd.

Ja, sagte er. Ist wohl so.

Er griff hinter sich und zog Zeichenblock und Stift wieder aus der Tasche. Er betrachtete den Himmel und fing an zu zeichnen

Möwen

wirbelnd und drehend

schwebend, in Schräglage

über

wolkenlosem Blau

Inselserie: Ausblick vom Boot I

Dann betrachtete er das Meer

ans Ufer rollend

auf Fels und Land

von

weiß gesäumtem Blau

zu

grün gerändertem Grau

Inselserie: Ausblick vom Boot II

Neben ihm flog ein Vogel vom Wasser auf

schwarze Federn

spritzendes Weiß

rote Beine

leuchtend

eins noch hängend

Inselserie: Ausblick vom Boot III

Er schlug den Zeichenblock zu.

War das ein Papageientaucher?

Eine Trottellumme, Mr. Lloyd. Eine schwarze.

Sah aus wie ein Papageientaucher.

Finden Sie?

Ich würde wirklich gern einen Papageientaucher sehen.

Werden Sie bestimmt, Mr. Lloyd. Wenn Sie lange genug bleiben.

Wie lange wohl?

Vielleicht einen Monat.

Er hatte ein Buch über Vögel im Gepäck, einen Führer mit Fotos, Maßen, Namen, Rufen, Winter- und Sommergefieder, Informationen über die Brut und die Ernährung, mit Einzelheiten über Vögel, die tauchen und hüpfen und sich steil hinabstürzen, und mit Details, um Küstenseeschwalben von Möwen zu unterscheiden, Kormorane von Krähenscharben, Details, die es ihm erlauben würden, sie zu zeichnen und zu malen, sie in ein Seestück einzufügen, in ein Landschaftsgemälde

sie so zu schaffen

wie sie bereits sind

Gibt es hier auch Robben?

Auf dieser Seite nur selten, aber auf der Insel lebt eine Kolonie.

Wunderbare Wesen.

Schnarchen ganz furchtbar.

Wirklich?

Grauenhafter Lärm.

Das Boot machte einen Satz nach vorn, sodass er gegen den Bootsmann prallte und der Rucksack ihm in den Rücken fiel. Er richtete sich auf, nahm den Rucksack wieder auf den Schoß und schob Zeichenblock und Stift in die Tasche. Ein Wasserschwall schlug ihm gegen den Kopf und ins Gesicht. Der Bootsmann schrie ihn an.

Festhalten.

Er hieb dem Boot die Füße in die Rippen und die Hände in die Flanken. Er schrie zurück.

Ich hab ja gesagt, wir hätten eher aufbrechen sollen.

Der Bootsmann brüllte.

Das ist der Atlantik, Mr. Lloyd. In einem Curragh.

Wellen warfen das Boot nach links, dann nach rechts und schleuderten ihn von einer Seite zur anderen, stießen ihn, zogen ihn, wälzten ihn, ruckten an seinem Hals, seinem Rücken.

Sie gewöhnen sich schon dran, Mr. Lloyd.

Er rammte Hände und Füße tiefer ins Boot.

Ich will mich gar nicht dran gewöhnen.

Wir können umkehren, Mr. Lloyd.

Nein. Nein. Wir fahren weiter.

In dem größeren Boot wären Sie besser aufgehoben.

Ich will es so.

Gut, Mr. Lloyd. Ihre Entscheidung.

Lloyd beobachtete die beiden Männer dabei, wie sie von einer Welle zur nächsten ruderten.

Inselserie: die Bootsmänner I

sehnig

agile Stärke

in einem Flachbodenboot

Inselserie: die Bootsmänner II

sonnenverbrannte Hände

schmale Stangen

die das Meer peitschen

Inselserie: die Bootsmänner III

beugen sich Richtung Land

dann vom Land weg

hin und wieder weg

Inselserie: die Bootsmänner IV

Blick

aufs offene Meer

in die Endlosigkeit

Er schloss die Augen.

Es ist besser, Sie behalten die Augen auf, Mr. Lloyd.

Er schüttelte den Kopf.

Nein, ist es nicht.

Wie Sie meinen, Mr. Lloyd.

Er riss sich die neue Kappe vom Kopf, beugte sich zur Seite und kotzte. Er wischte sich Mund und Kinn mit dem Ärmel seines neuen Mantels ab. Die Möwen kamen und verschlangen, was seins gewesen war, hackten mit den Schnäbeln um sich.

Ekelhafte Kreaturen, sagte er.

Sie sind jedenfalls nicht wählerisch, sagte der Bootsmann.

Lloyd schloss die Augen wieder.

Wie lange noch?

Wir sind gerade erst aufgebrochen, Mr. Lloyd.

Ja, natürlich.

Wie gesagt, Mr. Lloyd, wir können umkehren, wenn Sie wollen.

Nein. Es geht schon.

Er sackte ins Heck.

Ich hasse Boote, sagte er. Schon immer.

Das hätten Sie sich vielleicht vorher überlegen sollen, Mr. Lloyd.

Lloyd übergab sich ein zweites Mal. Wieder schossen die Möwen heran.

Ich hatte es mir nicht so rau vorgestellt, sagte er.

Heute ist es noch ruhig, Mr. Lloyd. Bisschen Wind auf dem Wasser, das ist alles.

Fühlt sich schlimmer an.

So ist das in einem Curragh.

Über den Bug kam ein Schwall Wasser und ergoss sich über die Truhe mit seinen Farben.

Sind meine Farben sicher?

So sicher wie wir, Mr. Lloyd.

Sehr tröstlich.

Selbstporträt: auf dem Meer

Ich möchte, dass Sie singen, sagte er.

Wir singen nicht, Mr. Lloyd.

Aber ich muss mich auf irgendwas konzentrieren. Zählen oder singen.

Nicht in diesem Boot.

Ich habe in einem Buch gelesen, dass ihr hier beim Rudern immer singt.

Dann ist das wohl kein gutes Buch, Mr. Lloyd.

Aber deshalb bin ich hergekommen.

Der Bootsmann sah an Lloyd vorbei zum Land hinter ihnen.

Sie brauchen ein besseres Buch, Mr. Lloyd.

Scheint so.

Lloyd betrachtete die Weite des Meeres um sich herum.

Woher wissen Sie überhaupt, wo es langgeht?

Bei Nebel ist es manchmal schwer.

Was, wenn plötzlich welcher aufzieht?

Dann sind wir auf uns gestellt.

Und wer weiß dann von uns?

Der Bootsmann zuckte mit den Schultern.

Sie merken ja, wenn wir zum Abendessen nicht zurück sind.

Und das war’s dann.

Das war’s dann.

Selbstporträt: ertrinken I

weiß bekrönte Wellen

schließen das Boot ein

Selbstporträt: ertrinken II

kaltes, salziges Wasser

wühlt sich in die Farben

ins Fleisch

Selbstporträt: ertrinken III

verwässert die Farben

zerteilt Fleisch

Selbstporträt: ertrinken IV

treibt ab

graubraun

rotgelb

blaugrün

Wie lange noch?

Noch eine ganze Weile, Mr. Lloyd.

Die Frau des Polizisten wartet an der Haustür auf ihre Freundin. Es ist Samstagnachmittag, der 2. Juni. Sie wollen in Armagh einkaufen gehen, wie jede Woche. Die Sonne scheint. Ihre fünf Kinder sind im Haus, und ihr Mann David steht vor ihr auf der Straße, in Uniform, beugt sich ins Auto seines Freundes, plaudert mit ihm.

Ein dunkles Auto fährt vorbei. Sie hört einen lauten Knall und nimmt an, das Auto sei irgendwo gegengefahren, aber David krümmt sich zusammen, über sein weißes Hemd fließt Blut. Er fällt zu Boden. David Alan Dunne, sechsunddreißig, Protestant, ist tot. Sein Freund, David Stinson, einunddreißig, verheiratet, drei Kinder, Protestant, ist ebenfalls tot.

Die Irische Nationale Befreiungsarmee bekennt sich zu der Tat.

Sehen Sie, Mr. Lloyd?

Was?

Direkt vor uns.

Er sah eine Welle, höher als die anderen.

Halten Sie sich fest. Die nehmen wir.

Die Männer ruderten auf den Kamm der Welle, und er sah einen großen Felsen, umgeben von Meer.

Ist das die Insel?

Das ist sie.

Und dann war sie verschwunden hinter einer Wand aus Wasser.

Ich hatte mehr erwartet. Etwas Größeres.

Mehr ist da nicht.

Er spähte durch die Lücken, die sich unregelmäßig zwischen den Wellen auftaten, sah die Insel größer und farbiger werden, das Grau des Felsens wurde beim Näherkommen von grünen Grasflecken durchbrochen, von gelben Sandstreifen, gefleckt mit weiß getünchten Häusern.

Sie sind ganz allein hier draußen, sagte er.

Ja, so ist es, Mr. Lloyd.

Am Rande Europas.

So ist es, Mr. Lloyd.

Selbstporträt I: de novo

Selbstporträt II: ab initio

Sprechen sie Englisch?

Wenig. Sie werden sich verständlich machen müssen.

Aber Sie sprechen Englisch.

Ich bin länger zur Schule gegangen als die meisten.

So kriegen Sie bestimmt besser Arbeit. Mit Englischkenntnissen.

Ein Boot rudern ist in jeder Sprache gleich, Mr. Lloyd.

Er sah jetzt eine Ausbuchtung im Felsen, eine Helling und einen Strand. Er konnte die Überreste von Häusern erkennen und weiter hügelaufwärts, mit Abstand zum Meer, eine Reihe neuerer Häuser mit farbenfrohen Türen und schiefergrauen Dächern. Und auf einem Feld am Rand der Insel sah er Esel.

Inselserie: Anblick vom Curragh aus

Eine Welle traf das Boot und warf ihn auf die Seite. Die Bootsmänner schrien sich etwas zu.

Festhalten, Mr. Lloyd.

Eine Welle traf das Boot auf der anderen Seite. Die Bootsmänner standen auf und gruben ihre Ruder tiefer ins Wasser, mit angespannten Schultern, Hälsen und Gesichtern. Lloyd klammerte sich fester ans Boot und zog den Kopf zwischen die Schultern. Er rief dem Bootsmann zu:

Ich will hier runter.

Der Bootsmann schrie zurück:

Das ist ja der Plan, Mr. Lloyd. Sir.

Die beiden Männer kämpften gegen das Wasser, das sich von Blau zu Grau verfärbte, von Schiefer zu Schwarz, Oberfläche und Unterseite des Wassers wurden aufgewühlt und vermischten sich, schubsten und schlugen das Boot und warfen es von einer Welle zur anderen, ohne dass die Bootsmänner gegen die Kraft des Wassers hätten anrudern können, sie konnten die Ruder nur nutzen, um bei diesen Turbulenzen das Gleichgewicht zu halten, das Boot vom Kentern abzuhalten.

Lloyd ließ sich in den Bauch des Bootes fallen, in das abgestandene, schmutzige Wasser, den Rucksack noch immer auf dem Schoß, die Finger noch immer in die Flanken des Bootes gebohrt. Er konnte sehen, wie Männer und Frauen aus den Häusern auf die Klippen strömten. Auf den Weg, der in die Bucht führte. Ein Schwall Wasser stürzte auf das Boot zu und traf ihn, durchnässte ihm Kopf und Brust

Géricaults Floß

Lloyds verdammtes Curragh

Er übergab sich ein drittes Mal. Galle und gelblicher Schaum liefen seine Brust hinab und über seinen Rucksack, ohne dass sich die Möwen dafür interessierten. Er wischte sich den Mund an der Schulter seines Mantels ab.

Scheißboote.

Er rief es dem Bootsmann zu.

Ich hasse dieses beschissene Boot.

Sie waren auf den Felsen konzentriert, der ins Meer ragte, spalteten, zersplitterten, zerfetzten das Wasser, schaukelten das Boot von einer Seite zur anderen, vorwärts und rückwärts, und die Venen und Arterien an ihren Hälsen traten hervor, während sie darum kämpften, das Boot in Richtung der alten Männer und Frauen zu lenken, die ihnen von der Helling aus zuwinkten. Lloyd wollte zurückwinken, um seine Ankunft zu verkünden, aber eine Welle schlug gegen den Bug des Bootes und brachte es ins Trudeln, ein Strudel aus Meer, Himmel und Land wirbelte um ihn herum, immer schneller, rundherum, die Bootsleute schrien, brüllten

diese Sprache

kehlig

bis sie aus dem Strudel herausruderten und in die Stille der kleinen Bucht, auf die Helling voller Inselmenschen in dunkler Kleidung, Männer, Frauen und Kinder, die stumm stierten. Die Bootsmänner ließen die Ruder fallen und sackten nach vorn, überließen das Curragh den alten Inselmännern, die ins Wasser wateten

Schuhe

keine Stiefel

keine Gummistiefel hier

Die alten Inselmänner hoben Staffelei, Truhe und Ruder aus dem Boot. Die Bootsmänner stiegen aus dem Boot, obwohl Lloyd blieb, wo er war, auf dem Boden des Bootes in einer Pfütze, die Fingernägel im Teer vergraben. Ein alter Inselmann sprach ihn an.

Amach leat anois.

Der alte Mann winkte Lloyd heran.

Amach leat anois.

Lloyd nickte, rührte sich aber nicht. Der alte Mann winkte noch einmal.

Raus.

Er nahm die Hand des alten Mannes, dann seinen Arm, klammerte sich an eine raue Wolljacke, als er den pockennarbigen Beton der Helling betrat, mit zitternden Beinen, dann in sich zusammensackte.

Selbstporträt: als neugeborenes Fohlen

Er lehnte sich an den mit vertrockneten Seepocken und Flechten übersäten Felsen und sah zu, wie die alten Inselmänner das Boot aus dem Wasser hoben, es umdrehten und über Köpfen und Schultern trugen, wie er es auf Fotos in seinem Buch über die Insel gesehen hatte.

Inselserie: das laufende Boot

Die Bootsmänner und die Inselmenschen verließen die Helling, das Schlusslicht bildeten die alten Männer mit dem Boot, den Rudern, seiner Staffelei, seiner Truhe mit Farben und Pinseln, aber er blieb zurück, um sich Gesicht und Haare zu waschen, erleichtert von der salzigen Frische auf seiner Haut. Er tauchte den Ärmel ins Wasser, rieb die Flecken auf seinem Mantel und seinem Rucksack und machte sich mit tropfendem Mantel und Haar daran, ihnen aus der Bucht zu folgen, als die alten Inselmänner das Boot am oberen Ende der Helling absetzten.

Sie gingen weiter, hügelaufwärts, auf das Dorf zu, Lloyd am Ende einer stillen, losen Schlange, die zu einem Haus führte. Er ging hinein. Eine Frau nickte ihm zu und bedeutete ihm, sich ans Kopfende eines Tisches aus blau gestrichenem Holz zu setzen, in dessen Rahmen eine Melaminplatte eingelassen war, zwischen Harz und Holz verfaulten alte Essensreste.

Sie stellte eine Untertasse, eine Tasse und einen Teller vor ihn. Sie goss Tee aus einer großen Metallkanne. Eine zweite Frau, jünger, deren welliges kastanienbraunes Haar ihr bis auf die Brust fiel, bot ihm Brot an.

An mbeidh greim aráin agat?

Er schüttelte den Kopf. Sie wandte sich ab

das Haar

wallend

schwer

Tünche und Tinte

Brauntöne

schlichte Linien

weich

Die Bootsmänner nahmen jeder zwei Scheiben, redeten, während sie das Brot mit Butter, dann mit Marmelade bestrichen, dasselbe Messer für beides benutzend, bis Butter in der Marmelade war und Marmelade in der Butter.

Er schenkte sich aus der Kanne ein, die größer und schwerer war als erwartet. Milchiger Tee ergoss sich über den Tisch. Er sah sich nach einer Serviette um, entdeckte aber keine. Er winkte, aber die ältere Frau wandte ihm den Rücken zu. Er schnippte mit den Fingern. Sie drehte sich um, hielt inne und kam mit einer sauberen Tasse zum Tisch. Und einer Untertasse. Sie wischte das von ihm Verschüttete weg, goss Tee nach und dann Milch. Er trank, froh über die beißende Wärme.

Ich habe ihnen erzählt, dass Sie zum Malen hergekommen sind.

Francis Gillan redete mit ihm.

Das stimmt.

Und dass Sie bis zum Ende des Sommers bleiben.

Stimmt auch.

Sie möchten wissen, was Sie malen.

Ich bin gekommen, um die Klippen zu malen. Mehr nicht.

Sie wollen nicht, dass Sie sie malen.

Dann mache ich das nicht.

Die Frau schenkte Tee und Milch nach. Lloyd trank. Weitere Männer kamen in die Küche, schoben beim Hinsetzen die Mützen von den Köpfen in die Hosentaschen. Sie sahen Lloyd an, tranken Tee und aßen Brot.

Selbstporträt: zum Objekt geworden

Er wandte sich von den Männern ab, die alle alt waren, auch von Francis, und dem ersten Bootsmann zu.

Wie viele Menschen leben auf dieser Insel?

Zweiundneunzig, Mr. Lloyd. Zwölf Familien.

Und wer von denen spricht Englisch?

Die Kinder verstehen es ganz gut.

Und von den Erwachsenen?

Die, die gut Englisch können, sind fort.

Erneut lehnte er das Brot ab.

Und wie groß ist die Insel?

Drei Meilen in der Länge und eine halbe in der Breite.

Wo werde ich wohnen?

Ich zeige es Ihnen.

Wann?

Erst essen wir, Mr. Lloyd.

Die Bootsmänner sprachen mit den alten Inselmännern, zahnlose Münder, mit Schmutz und Meersalz verkrustete Jacken, tiefe Furchen in den Gesichtern, eingeätzt von Wind und Salz

ein Fingernagelstrich durch Ölfarben

Wieder stieg das Meer in ihm auf. Er schloss die Augen, um seinen Magen zu beruhigen, aber die Wellen liefen durch ihn hindurch, vermischten sich mit den kehligen Tönen der Sprache, die er nicht verstand, und den süßlichen, erstickenden Gerüchen von brennendem Torf und siedendem Fleisch.

Selbstporträt: Übelkeit

Er stand auf. Abrupt. Er winkte dem ersten Bootsmann.

Ich muss mich hinlegen.

Sofort, Mr. Lloyd. Ich esse nur noch auf.

Nein. Jetzt.

Der Bootsmann stellte seine Tasse auf den Tisch und erhob sich langsam. Er setzte sich die Mütze auf und nickte den anderen Männern zu, den Frauen, die am Feuer standen, von der Hand der jüngeren Frau, Mairéad Ní Ghiolláin, baumelte eine Schöpfkelle. Sie sahen zu, wie Lloyd das Haus verließ, und unterdrückten ihr Lachen, bis er und der Bootsmann draußen waren und an den drei Fenstern vorbei, die sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckten. Mairéad lachte schallend. Die ältere Frau, Bean Uí Néill, trug eine frische Kanne Tee zum Tisch.

Habt ihr so was schon mal erlebt?, fragte sie.

Ich dachte, Micheál haut ihm gleich eine rein, sagte Mairéad.

Er hat Glück, dass wir ihn nicht ertrinken lassen haben, sagte Francis.

Alle lachten.

Diese unglaubliche Arroganz, sagte Bean Uí Néill.

Und das mit Kotze auf der Brust, sagte Mairéad.

Wieder lachten sie.

Unausstehlich, das ist das einzig richtige Wort für ihn, sagte Bean Uí Néill.

Nicht zu fassen, sagte Mairéad.

Und habt ihr gesehen, wie er mit den Fingern geschnipst hat, als er was von mir wollte?, fragte Bean Uí Néill. Habt ihr das alle gesehen?

Haben wir, Mam. Als wärst du so ein indischer Teejunge.

In meinem eigenen Haus, Mairéad. Für wen hält der sich?

Die alten Männer lachten mit offenen Mündern, die Köpfe in den Nacken geworfen.

Euch kann man es aber auch schwer recht machen, sagte Francis.

Er hat Glück, dass ich ihm den Tee nicht über den Kopf geschüttet habe, sagte Bean Uí Néill.

Und dass ich ihm das Brot nicht an den Kopf geworfen habe, sagte Mairéad.

Francis hob die Hände in die Luft.

Ach, jetzt hört schon auf, sagte er.

Was denn?, sagte Mairéad. Der hält uns alle für bescheuert.

Der arme Mann, sagte Francis. Er ist unser Gast.

Er denkt, wir wären ungebildet, sagte Mairéad. Dass wir kein Englisch könnten.

Der arme Mann, sagte Francis.

Mairéad starrte ihn an.

Hat Francis Gillan Mitleid mit einem Engländer?

Ach, Mairéad, er ist zum ersten Mal hier.

Das gibt ihm noch lange nicht das Recht, unhöflich zu sein.

Sein erstes Mal in einem Curragh, Mairéad.

Seine Entscheidung, Francis.

Ach, du bist zu hart mit dem armen Mann.

Im Raum wurde es ruhig. Still.

Francis schnipste mit den Fingern.

Alle brachen in Gelächter aus.

Ihr hättet ihn mal auf dem Boot erleben sollen, sagte er.

Francis hielt die Tasse hoch. Bean Uí Néill goss ihm nach. Sie brachte ihm Brot.

Ihm war während der ganzen Überfahrt schlecht, sagte Francis. Er hat Selbstgespräche geführt. Vor sich hin gemurmelt wie eine alte Frau.

Ihn in der Bucht zu sehen, hat mir schon gereicht, sagte Bean Uí Néill. Er war in einem schrecklichen Zustand.

Warum hat er das denn gemacht, Francis?, fragte Mairéad.

Francis schüttelte den Kopf.

Ich weiß es nicht.

Er hätte doch das andere Boot nehmen können wie alle anderen auch, sagte Mairéad.

Dieser Kerl denkt, er wäre anders als alle anderen.

Aber ein Curragh, sagte Mairéad. Das ist was ganz anderes.

Und er hat viel Geld für das Vergnügen bezahlt, sagte Francis. Bean Uí Néill erschauderte.

Ich würde nicht mal mehr für Geld in so ein Boot gehen, sagte sie.

Ich hab selbst gezögert, sagte Francis. Ist eine ganze Weile her.

Das haben wir gesehen, sagte Bean Uí Néill. Du da draußen zwischen den Felsen.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Man gewöhnt sich ganz schön schnell an den Motor.

Hast Glück gehabt, dass es gut gegangen ist.

Francis zuckte mit den Schultern.

Das hat schon gepasst, Bean Uí Néill.

Ich hoffe, das war es wert, sagte sie.

War es.

Wie viel?

Keine Chance, Bean Uí Néill.

Komm schon, Francis, wie viel?

Er schüttelte den Kopf. Sie stapelte vor sich die Teller, Tassen und Untertassen.

Wie heißt er überhaupt?

Mr. Lloyd, sagte Francis. Aus London.

Hat der irgendwas mit der Bank zu tun?, fragte sie.

Muss er fast, sagte Francis, so viel, wie er für die Überfahrt bezahlt hat.

Sie lachten und hörten damit auf, als Micheál an den drei Fenstern vorbei und auf die Tür zukam.

Oh, der ist sauer, sagte Mairéad.

Er riss die Tür auf.

Seine Lordschaft wünscht, dass die Möbel umgestellt werden, sagte er.

Der Kerl hat’s wirklich in sich, sagte Bean Uí Néill.

Und er will, dass das Bett abgebaut wird, sagte Micheál.

Das Bett?

Ja, Mairéad. Das Bett. Wir bräuchten einen Schraubenschlüssel.

Das haben wir noch nie gemacht, sagte Bean Uí Néill.

Nein, sagte Micheál.

Alle anderen Gäste waren vollkommen zufrieden mit dem Bett.

Dieser hier nicht, sagte Micheál. Er ist schon am Auspacken.

Francis und zwei von den alten Männern folgten Micheál ins Cottage, in ein grob verputztes Zimmer, das nach Schimmel roch. In Bodennähe warf der Putz Blasen und hing in Fetzen herunter. Lloyd stand an einem kleinen Fenster mit Blick aufs Meer, die feuchten Vorhänge berührten seine Wange.

Ich sagte, ich brauche ein Haus mit Licht.

Es gibt ja Laternen, Mr. Lloyd.

Zum Arbeiten.

Ich besorge Ihnen mehr Laternen.

Lloyd schüttelte den Kopf und ging voran ins Nebenzimmer, in dem ein mit einem verblichenen grünen Überwurf bedecktes Doppelbett stand, ein Schrank und ein Frisiertisch mit fehlendem Spiegel. Die Wände waren trockener, das Fenster jedoch genauso klein wie das andere.

Wir tragen den Schrank da nicht nach oben, Mr. Lloyd.

Tragen Sie ihn aus dem Zimmer.

Malen Sie oben, Mr. Lloyd. Da ist ein leerer Raum.

In dem ist kein Licht.

Sie sagten, hier unten ist auch kein Licht, dann ist es doch egal.

Lloyd zerrte die Matratze vom Bett.

Los geht’s. Bitte.

Die vier Männer bauten das Bett auseinander und trugen es nach oben. Sie trugen den Frisiertisch nach oben und zogen den Schrank in den großen Raum, in dem es zum Kochen einen großen Ofen gab, einen Tisch und sechs Stühle.

Reicht Ihnen das so, Mr. Lloyd?

Es ist etwas besser.

Gut, dann reicht es so.

Die Männer gingen, und Lloyd öffnete Türen und Fenster. Er nahm alle Vorhänge ab und warf sie hinter der Tür des großen Raums in die Ecke. Er stellte seine Staffelei im Schlafzimmer auf, das jetzt ein Atelier war, und drehte sie zum Fenster. Er zog die niedrigste Schublade aus dem Frisiertisch und legte sie links neben der Staffelei quer über zwei Küchenstühle. Er trug die Mahagonitruhe, die vom Meer noch feucht war, von der Haustür ins Atelier und entfernte die Plastikfolie, schloss sie mit angehaltenem Atem auf und hob den Deckel an

die Farben heil

vom Meer nicht verdorben

unberührt

Er seufzte und räumte den Inhalt der Truhe in die Schublade: Paletten, Palettenmesser, acht Borstenpinsel, acht Rotmarderpinsel, drei Flaschen Terpentin, drei Flaschen Leinöl, eine extragroße, Tücher, Klebeband, Flaschen, Grundierung, Füller, Bleistifte, Tinte und Zeichenkohle, ein Federmesser, Scheren, Schnur und eine Schürze, schwarz, damit sie die Sonne absorbierte. Und dann die Farben, Orange, Gelb, Rot, Ocker

Sonnenblumen

rote Dächer

Marktstände

große Hitze

hier nicht zu gebrauchen

kaltes, nasses Land aus Grau

aus Grün, Braun, Blau

Sind das Farben?

Er zuckte zusammen. Neben ihm stand ein Junge

eher ein Mann

als ein Junge

aber noch ein Junge

Sind das Farben?

Hast du gar nicht geklopft?

Nein.

Das solltest du aber.

Das Abendessen ist fertig.

Ich hab keinen Hunger.

Sind das Farben?

Ja. Wie heißt du?

James Gillan.

Der Künstler streckte die Hand aus.

Der Sohn von Francis Gillan?

James schüttelte den Kopf.

Nein. Das ist mein Onkel.

James zeigte auf die Schublade.

Darf ich mal?

Nein. Die sind für meine Arbeit.

Ja, also, das Abendessen ist fertig.

Danke, aber ich hole mir später etwas.

Es gibt kein Später.

Lloyd seufzte.

In dem Fall sollte ich jetzt wohl mitkommen, wie du sagst.

Lloyd folgte ihm wieder zum Haus. James trug die weiße Plastikfolie, die Lloyd nicht mehr brauchte.

Wohnst du hier?

Nein, das ist das Haus meiner Granny.

Und wem gehört das, in dem ich jetzt wohne?

Micheáls Bruder.

Wo lebt der?

In Amerika.

Also nicht hier auf der Insel.

Nein, sagte James. Ihm gehören hier zwei Häuser. Er vermietet sie. Bekommt viel Geld von Leuten wie Ihnen.

Ein abwesender Vermieter, sagte Lloyd.

Ein irischer, sagte James.

Spielt das eine Rolle?

Ich hab so oder so nichts davon.

Er setzte sich auf denselben Platz wie zuvor. Micheál und Francis saßen schon am Tisch. Bean Uí Néill stellte Teller mit gebratenem Fisch, Kartoffelbrei und gekochtem Kohl hin. Er stocherte mit der Gabel im Essen, aß aber nichts.

Sie sollten etwas essen, Mr. Lloyd, sagte Micheál.

Ich habe keinen Hunger.

Es gibt immer um eins Mittagessen, Mr. Lloyd, und um halb sieben Abendessen.

Das ist also das Abendessen?

Genau.

Sieht aus wie Mittagessen. Was gibt es zum Mittagessen?

Abendessen.

Lloyd lachte.

Ich glaube, das verstehe ich nicht ganz.

Es ist ganz einfach, Mr. Lloyd. Es gibt fast immer das Gleiche.

Mairéad schenkte Tee ein, und Bean Uí Néill schnitt eine Apfeltarte auf. Er aß und trank.

Das wird Ihnen guttun, sagte Micheál.

Ja, sagte er.

Der Künstler erhob sich und nickte den beiden Frauen am Feuer zu.

Danke.

Sie nickten ebenfalls.

Tá fáilte romhat.

Ich gehe jetzt etwas spazieren, sagte er. Um mich zu orientieren.

Dafür ist es ein guter Abend, sagte Micheál.

Wo gehe ich am besten lang?

Wo Sie wollen.

Ich möchte die Klippen sehen.

Sie werden sich schon nicht verlaufen, Mr. Lloyd.

Gut zu wissen.

Aber Sie könnten natürlich runterfallen.

Danke. Ich werde aufpassen.

Er holte seinen Mantel, seine Kappe, seinen Zeichenblock, seinen Bleistift und ging durch das Dorf den Hügel hinauf, an den alten Männern vorbei, die mit Zigaretten in den Händen und Mündern an einer niedrigen Mauer lehnten, Hunde zu ihren Füßen. Sie winkten ihm zu, lächelten, beobachteten, wie er überlegte, wo lang, unsicher, nur wissend, dass er gehen sollte, weg von den Augen, die ihn anstarrten, den Mündern, die über ihn sprachen, sein Atem und seine Schritte gingen schneller, als ihm angenehm war, langsamer erst, als er sich vom Dorf entfernt hatte, vorbei an Torf, der mit Plastik in Blau, Orange und Weiß bedeckt war, mit Seilen festgezurrt und trotzdem im Abendwind flatternd. Er kam an einem Gemüsebeet vorbei, Reihen von Kartoffeln, Kohlköpfen und Zwiebeln, bedeckt mit faulenden Algenschichten, in der Erde pickten Hühner. Er kam an drei Kühen vorbei, an zwei Schweinen, weiteren verirrten Hühnern, an vier Eseln und einer Schafherde, die frei weidete, wo das Gras am dichtesten wuchs, auf seinem Weg, der zu einem Pfad wurde, als er sich vom Dorf entfernte und die Insel wilder wurde, die Erde unter seinen Füßen feucht, das Gras vergilbt und vertrocknet, vom Wind abgetragen und verbrannt. Er sah Kaninchen springen und hoppeln, und Vögel, die singend aus dem Gras in die Abendsonne flogen. Pfeifend ging er weiter, hielt an, als der Pfad kaum noch zu erkennen war und im Gras verschwand. Er sah sich nach einem Weg um, entdeckte aber keinen und ging stattdessen über unberührtes Gras zur höchsten Stelle der Insel, blieb stehen, um einen Baum zu zeichnen, aus dem der Wind ein dichtes Knäuel aus Stamm und verdrehten Ästen gemacht hatte, und dann noch einmal, um einen kleinen See zu zeichnen, auf dessen Wasser die Sonne glitzerte. Summend stieg er den Hügel hinauf auf der Suche nach den Klippen, die er malen wollte, als er bemerkte, dass der Boden unter ihm steiler abfiel, in die Rückseiten seiner Beine drückte, als er in Richtung Westküste der Insel ging, auf die Abendsonne zu, die noch hoch am Himmel stand, höher, als er es gewohnt war. Sein Magen flatterte

Vorfreude

Aufregung

Selbstporträt: Blind Date

Er ging bis zum Rand der Klippe, beugte sich vor und schloss die Augen

Buchwahrheit

laufendes Boot

Buchunwahrheit

singende Bootsmänner

Unwahrheit

Wahrheit

alles eins

die Klippen entscheiden

Er öffnete die Augen und sah an der Klippe hinunter. Er trat gegen das windverbrannte Gras

Pastellfarben

Blau

Grün

Rosatöne

Sonntagsmaler

Parkgitter

nicht würdig

der Ölfarben

nicht wert

den Schimmel

den Regen und die Kälte

den Kohl

die Kartoffeln

und den gebratenen Fisch

Er sank ins Gras und verbarg den Kopf in den Armen.

Selbstporträt: Blind Date, Nachspiel

Er überschlug seinen Verlust, das Geld, das er für Boote, Züge und Busse ausgegeben hatte, für die Kaution für das Haus und dann die Kosten dafür

Richtung Süden zu reisen

zu Sonnenblumen

roten Dächern

ausgedörrter Erde

glitzerndem Meer

zu schon gemalten Gemälden

Er stand auf und betrachtete erneut die Klippen, hoffte, sie anders zu sehen, so wie sie im Buch waren. Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Dorf zu, ging am Rand der Insel entlang, einem stärker werdenden Wind entgegen. Er steckte seine Kappe in die Tasche, hielt nach dem Weg zurück zum Haus Ausschau, um seine Sachen zu packen und mit den Bootsmännern aufzubrechen, wieder zurückzukehren

zu den gesättigten

den selbstgefälligen

den Galeristen

ihren Lieblingen

Auerbach

Bacon

und Freud

den Lieblingen der Galeristen

der Lieblingsgaleristin

Der Wind wurde zu stark, und er fiel auf die Knie, unsicher, wo es zurückging. Er krabbelte auf eine Anhöhe am Rand der Insel, in der Hoffnung, die Lichter des Dorfes sehen zu können. Er sah nach unten. Auf Klippen. Wie im Buch, rau, zerklüftet, wilde Schönheit, donnernd krachte das Meer zweihundert Fuß unter seinen Knien und Händen auf die Felsen. Er rollte auf den Bauch und streckte sich über den Rand, die Kraft, mit der das Meer auf die Felsen schlug, hallte in seinem Fleisch, seinen Knochen wider

Schönheit

ausgegraben

ungesehen

ungemalt

der Ölfarben

würdig

er lachte

den Schimmel

wert

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