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Das Schloss am See

Mit einem Plan im Gepäck reist Hannes Westenberg nach Schweden: So schnell wie möglich will er das geerbte Schlösschen verkaufen, um den Erlös in eine deutsche Hotelkette zu investieren. Doch die stille Sommerlandschaft nimmt ihn auf den ersten Blick gefangen. Und dann trifft er in dem Schloss am See die bezaubernde Lisbet, die hier ihre Träume lebt...


  • Erscheinungstag: 01.04.2014
  • Seitenanzahl: 380
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862784240
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pia Engström

Mittsommerherzen - Das Schloss am See

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH

Originalausgabe

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN eBook 978-3-86278-424-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

1. KAPITEL

Tiefblau schimmerte der Siljansee im klaren Sonnenlicht. In seiner Oberfläche spiegelten sich die Wipfel der Bäume und die mit samtigem Grün überzogenen Berge Dalarnas.

Grün, so viele Facetten von Grün. Dunkel und schattig wie das der Kiefern- und Fichtenwälder oder leuchtend wie die Kronen der Birken und Weiden am See. Von gelben Butterblumen und weißem Tausendschön gesprenkelte Wiesen, auf denen Kühe weideten, und Obstbäume, deren Äste sich unter der Last der Früchte bogen. Dazwischen blitzte immer wieder das Falunröd, das leuchtende Rot der Häuser, auf. Mit ihren weißen Giebeln und Fensterrahmen sahen sie aus der Entfernung wie winzige Puppenstuben aus.

Hannes Westenberg stand auf einer Anhöhe am gegenüberliegenden Seeufer. Seine Jacke flatterte im Wind, der von den schneebedeckten Bergen im Norden her blies. Die Luft war mild, aber frisch und sauber, und der Anblick, der sich ihm eröffnete, schien geradewegs einem Bilderbuch entsprungen zu sein.

Trotzdem hätte Hannes jederzeit den Trubel und die Hektik der Großstadt vorgezogen.

Er warf einen Blick auf die Uhr und runzelte die Stirn. So spät schon? In diesen langen schwedischen Sommernächten sank die Sonne, wenn überhaupt, erst sehr spät am Abend. Dadurch hatte er vollkommen die Zeit aus den Augen verloren. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und es gab noch eine Menge zu erledigen. Je schneller er diese leidige Angelegenheit hinter sich brachte, umso eher konnte er dem Heimatland seiner verstorbenen Mutter den Rücken kehren. Doch er glaubte nicht, dass er vor Ablauf einer Woche wieder in Hamburg sein würde.

Er ging zurück zu seinem Wagen, den er am Fuß der Anhöhe abgestellt hatte, stieg ein und setzte seinen Weg fort. Der Straßenrand war gesäumt von Wildblumen, dahinter erstreckten sich ausgedehnte Weiden und Wälder. Doch die landschaftlichen Reize seiner Umgebung waren an Hannes vollkommen verschwendet. Er hatte keinen Sinn für die Schönheiten der Natur. In Hamburg war er geboren und aufgewachsen, hatte danach lange Jahre in Paris, London und Rom gelebt. Er war ein Kind der Großstadt, und ein gelegentlicher Spaziergang an der Binnenalster, mit anschließendem Espresso auf der Terrasse seines Lieblingsitalieners, genügte seinem Anspruch an Freiluftaktivitäten vollkommen.

Für mehr ließ ihm sein aufreibender Job auch gar keine Zeit. Und freiwillig, so viel stand fest, hätte er diese überstürzte Reise nach Schweden nicht angetreten.

Bei dem Gedanken daran, wie viel von seinem Besuch hier im mittelschwedischen Dalarna abhing, runzelte Hannes die Stirn. Er mochte sich lieber gar nicht erst ausmalen, was ihm bevorstand, sollte er keinen Erfolg haben. Richard Westenberg, sein Vater, würde sich in seiner Meinung bestätigt sehen, dass sein jüngster Sohn, der bis zum Tod seines Bruders einfach in den Tag hinein gelebt hatte, nach wie vor ein Taugenichts war. Und der lachende Dritte wäre Albert, der Sohn von Richards zweiter Frau.

Nein! Hannes hieb mit der flachen Hand auf das Lenkrad seines Mietwagens. So weit durfte es niemals kommen. Er hatte nicht all die Jahre so hart geschuftet, damit Albert am Ende den Sieg davontrug! Nicht ausgerechnet dieser Meister der Intrige – das war er Tobias schuldig …

Rasch schob Hannes die Erinnerung an seinen Bruder beiseite. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er hatte wahrlich anderes zu tun.

In einhundert Metern biegen Sie links ab.

Hannes reduzierte die Geschwindigkeit und bedachte das Display des Navigationssystems mit einem skeptischen Blick. Mit dem Ding stimmte ganz offenbar etwas nicht. Hier gab es weit und breit keine Straße!

Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte er einen schmalen Weg, der von der Hauptstraße abzweigte und direkt in den Wald hineinführte. Die Entfernung stimmte, aber … Nun, versuchen konnte er es ja zumindest, ehe er die Landkarte aus seiner Laptoptasche im Kofferraum herauskramte.

Nach ein paar Hundert Metern wurde der Weg noch schlechter. Hannes liebte schnelle und schnittige Wagen und hatte sich beim Autoverleih für einen kleinen Sportflitzer entschieden, was er nun bereute. Er war schon kurz davor zu wenden, als er bemerkte, dass sich der Wald direkt vor ihm lichtete.

Er holperte weiter, und kurz darauf eröffnete sich ihm der Blick auf das Ziel seiner Reise.

Beringholm Slott.

Das Schloss lag auf einer Halbinsel, die über eine schmale Landbrücke mit dem Ufer verbunden war. Der Grundriss der Burg war rechteckig, mit vier runden Türmen an den Ecken, jeder mit einem grünen Kuppeldach gekrönt. Die Backsteinfassade mit den vorspringenden Giebeln in Kleeblattform leuchtete in einem warmen Braunrot, und die Scheiben der zahllosen Sprossenfenster glitzerten im Sonnenlicht.

Aufregung erfasste Hannes. Soweit er es aus der Entfernung beurteilen konnte, handelte es sich bei dem Schloss um ein wahres Juwel. Dieses herrliche Gebäude gewinnbringend an den Mann zu bringen dürfte sich nicht allzu schwierig gestalten, dachte er.

Doch seine anfängliche Euphorie wurde schon bald gedämpft.

Zu Beringholm Slott gehörte umfangreicher Grundbesitz, der sich über die Wiesen am Seeufer bis weit in den Wald hinein erstreckte. Ein idyllisches Fleckchen Erde, hätte nicht jemand anscheinend ohne Sinn und Verstand niedrige Schuppen darauf errichtet. Erst jetzt bemerkte Hannes auch die vielen Zäune und … Er blinzelte irritiert. Waren das etwa Pferde?

Er runzelte die Stirn. Ja, tatsächlich – und als wäre das noch nicht genug, entdeckte er bei genauerem Hinsehen nun auch noch Esel, Schafe und Ziegen.

Je näher er Beringholm Slott kam, umso schlechter wurde der Weg, sodass Hannes sich schließlich gezwungen sah, seinen Wagen stehen zu lassen und zu Fuß weiterzugehen. Er beschloss, sich zuerst einmal in Ruhe umzusehen und sich später um sein Gepäck und den Wagen zu kümmern.

Das Schloss war gewaltig, doch es befand sich längst nicht in so gutem Zustand, wie Hannes gehofft hatte. Das Dach war an einigen Stellen mit einer schwarzen Plane abgedeckt – vermutlich, um zu verhindern, dass es hineinregnete. Die Glasscheiben einiger Fenster waren zersplittert, als hätte jemand Steine darauf geworfen. Der Burggraben, den man über eine echte Zugbrücke überqueren konnte, wirkte brackig und verschlammt.

Die Fassade hatte offensichtlich ebenfalls bessere Tage erlebt. Backsteine waren beschädigt oder ganz herausgebrochen, Zinnen zerfallen, und einer der kunstvoll geformten Giebel war eingestürzt. Seine Überreste lagen von Moos und Unkraut überwuchert im Burggraben.

Das vermeintliche Juwel hatte Kratzer. Aber die Lage von Beringholm Slott ist und bleibt einzigartig, tröstete Hannes sich.

„Lisbet! Lisbet, komm! Komm schnell!“

Lisbet Carlsson wollte gerade das Futter für die Schweine auf die Schubkarre laden. Auf der Stelle ließ sie die Schaufel fallen und eilte in die Richtung, aus der die helle Mädchenstimme erklang.

Als sie aus dem Schuppen trat, kam ihr die blonde Fünfzehnjährige bereits entgegen. Aleksandra – Aleks – war der älteste ihrer Schützlinge. Sie kam beinahe jeden Tag nach der Schule und in den Ferien oft auch schon am Vormittag zu ihr nach Beringholm Slott. Das schnelle Laufen ließ das Hinken des Mädchens viel deutlicher zutage treten. Bei seiner Geburt waren Komplikationen aufgetreten, die eine teilweise Lähmung der rechten Körperhälfte zur Folge gehabt hatten.

Kaum ein Mensch wusste so gut wie Lisbet, was solch eine Behinderung bedeutete. Sie selbst hatte das Laufen wieder völlig neu erlernen müssen – damals, als ihr altes, scheinbar so perfektes Leben mit einem Paukenschlag geendet hatte …

„Hej, Aleks, was ist denn los?“ Lisbet nahm das völlig aufgelöste Mädchen bei den Händen. „Nun hol erst einmal tief Luft, du bist ja ganz außer Atem!“

Aleksandra atmete zwei-, dreimal tief ein und aus.

Lisbet nickte. „So, und jetzt erzählst du mir, was passiert ist, ja? Stimmt etwas nicht mit Charlotte?“

Charlotte hieß die alte Stute, um die Aleksandra sich kümmerte. Das Tier hatte lange Jahre auf einem Gehöft ganz in der Nähe geschuftet. Doch als es seine Aufgaben nicht mehr bewältigen konnte, wollte der Besitzer es zum Abdecker schaffen lassen. Lisbet hatte davon erfahren und den Mann überredet, Charlotte ihr zu überlassen. Jetzt erhielt die Stute ihr Gnadenbrot auf Beringholm Slott – so wie viele ihrer Schicksalsgenossen.

„Nicht Charlotte!“ Energisch schüttelte Aleksandra den Kopf. „Ein Fremder! Da schleicht ein Fremder um das Schloss herum!“

Lisbet kniff die Augen zusammen. „Was sagst du da? Bist du sicher?“

„Ja! Ich habe ihn gesehen, als ich zur Weide hinaus wollte.“ Das Mädchen stockte. „Was, wenn er einer von ihnen ist?“

Einer von ihnen … Lisbet wusste gleich, wer damit gemeint war, und ihre Miene verfinsterte sich.

Na wartet – nicht mit mir!

„Geh hinein“, wies sie Aleksandra an. „Auf dem Ofen in der Küche steht frisch gebackener Äppelpaj. Nimm dir ein Stück.“

Besorgt blickte das Mädchen zu ihr auf. „Was hast du denn vor? Sollten wir das nicht besser der Polizei überlassen?“

Als ob die auch nur einen Finger rührt, um mir zu helfen! dachte Lisbet bitter, doch sie sprach es nicht aus. Diese verdammten Rowdys! Sie tauchten meistens gleich zu fünft oder sechst auf ihren lärmenden Motorrädern auf. Das letzte Mal hatten sie ein halbes Dutzend Fensterscheiben im Südflügel eingeworfen – und waren verschwunden gewesen, ehe Wachtmeister Lundberg auf der Polizeiwache in Tålby sich überhaupt aus seinem Schreibtischsessel erhoben hatte.

Aber dieses Mal würden diese Unruhestifter nicht so einfach davonkommen. Dieses Mal nicht!

„Versuch mal, ob du Lars erreichen kannst.“ Lisbet schob Aleksandra in Richtung Tür. „Und mach dir um Himmels willen keine Sorgen um mich – ich weiß schon, was ich tue.“

Sie wartete, bis das Mädchen in der Küche verschwunden war, dann kehrte sie zum Schuppen zurück und öffnete den alten Schrank. Er war stets mit einem Vorhängeschloss gesichert, weil sie darin Verdünner, Lacke und Lasuren aufbewahrte. Dinge also, die nicht in Kinderhände geraten sollten.

Das Gewehr lag, in ein Tuch eingeschlagen, auf dem obersten Regal.

Ehe sie es herausnahm, atmete sie tief durch. So, jetzt könnt ihr was erleben!

Sie wusste, dass sie nicht einfach auf Lars, den achtundzwanzigjährigen Enkel einer alten Freundin, warten konnte. Seine Gärtnerei lag am Stadtrand von Tålby, und selbst wenn Aleksandra ihn sofort erreichte, würde er eine ganze Weile brauchen, um nach Beringholm Slott zu fahren. Bis dahin muss ich irgendwie allein zurechtkommen, dachte Lisbet.

Normalerweise war sie ein wirklich friedliebender Mensch, der keiner Seele etwas zuleide tun konnte. Doch diese Motorradrowdys mit ihren lärmenden Geländemaschinen und ihrer Zerstörungswut hatten den Bogen überspannt, Sie verspürte keine Skrupel, diese gemeinen Kerle mit dem Gewehr zu bedrohen – wobei sie natürlich keineswegs vorhatte, es tatsächlich zu benutzen.

Seit sie vor etwas mehr als sechs Monaten zum ersten Mal aufgetaucht waren, hatten diese Rocker einen Schaden von mehr als hunderttausend Kronen angerichtet, indem sie Fensterscheiben einwarfen, Schuppen abbrannten und Zäune umfuhren. Doch das war längst nicht das Schlimmste: Lisbet gab ihnen indirekt auch die Schuld an Hildas Tod. Ihnen – und Kristof Steen, einem Hotelier aus Mora, der partout nicht akzeptieren wollte, dass Beringholm Slott unverkäuflich war. Mit seiner an Penetranz grenzenden Hartnäckigkeit hatte er der rüstigen Mittsiebzigerin das Leben noch schwerer gemacht.

Ohne den ständigen Stress wäre Hilda am Ende nicht so mutlos und erschöpft gewesen. Und ich müsste mir jetzt keine Gedanken um die Zukunft machen, dachte Lisbet bitter. Weder um meine eigene noch um die meiner Schützlinge.

Doch es war egoistisch, so zu denken. Hilda war immer gut zu ihr gewesen. Die alte Dame und sie hatten einander verstanden, ohne dass viele Worte nötig gewesen wären. Und nun war sie tot – und Lisbet hatte den einzigen Menschen auf der Welt verloren, dem sie wirklich noch vertraut hatte.

Seufzend strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem strengen Zopf gelöst hatte. Dann holte sie noch einmal tief Luft und verließ, das Gewehr im Anschlag, den Schuppen.

Sie überquerte den Hof und betrat das schattige Zwielicht des Brückentors, wobei sie sich eng an die Mauer drängte. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Doch sie hörte eine leise Stimme auf Deutsch, das sie in der Schule gelernt hatte, sagen: „Ich hoffe sehr, dass ich die Angelegenheit hier bald abgewickelt habe. Und danach können wir dann richtig loslegen.“

Lisbet spitzte die Ohren. Würde sie nun endlich erfahren, was die Motorradrowdys im Schilde führten? Doch der Mann hatte das Gespräch bereits beendet.

Dann eben nicht!

Sie hob das Gewehr und drehte sich so, dass der Lauf auf den Fremden gerichtet war.

Der Mann, der gerade sein Telefon in der Innentasche seines Jacketts verschwinden ließ, starrte sie überrascht an. Ganz am Rande registrierte Lisbet, dass er statt Rockermontur einen teuren, offensichtlich maßgeschneiderten Anzug trug, doch davon ließ sie sich natürlich nicht beeindrucken.

„Stehen bleiben!“, rief sie aufgebracht. „Ich warne Sie: Eine falsche Bewegung, und Sie werden nie wieder irgendetwas abwickeln!“

Was zum Teufel …?

Für einen Moment war Hannes sprachlos angesichts dieser atemberaubenden jungen Frau, die mit ihrem Gewehr auf ihn zielte. Es war lange her, dass ihm so ein hinreißendes Geschöpf zum letzten Mal begegnet war – und er machte wirklich keinen Bogen um schöne Frauen.

Seidiges rabenschwarzes Haar umrahmte ein herzförmiges Gesicht, aus dem ihn ein Paar lebhafte blaugrüne Augen anfunkelten. Volle Lippen, hohe Wangenknochen und ein energisch nach vorn gerecktes Kinn entsprachen genau seinem Geschmack.

Nur ihr Gesichtsausdruck, der von wilder Entschlossenheit zeugte, machte ihm den Ernst der Lage bewusst.

Beschwichtigend hob er die Hände. „Immer mit der Ruhe, Prinzessin“, sagte er auf Schwedisch, das er von seiner Mutter gelernt hatte. „Was halten Sie davon, wenn Sie erst einmal das Gewehr herunternehmen? So ein Teil ist nämlich nicht gerade ungefährlich, wissen Sie?“

„Das könnte Ihnen wohl so passen!“ Sie unterstrich ihre Worte, indem sie mit dem Lauf ihrer Waffe in seine Richtung stieß. „Ich weiß nicht, wer Sie sind oder warum Sie Hilda und mir diese Rowdys auf den Hals gehetzt haben. Aber eines verspreche ich Ihnen: Ich werde dafür sorgen, dass Sie und diese Leute sich vor dem Gesetz verantworten müssen!“

Irritiert hob Hannes eine Braue. „Hören Sie, das muss eine Verwechslung sein.“

„Natürlich, eine Verwechslung!“ Die Ironie in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Vermutlich haben Sie sich auf dem Weg nach Tålby verfahren und sind rein zufällig vor meiner Tür gelandet.“

Sie war nicht nur umwerfend schön und offenbar recht schießwütig – nein, sie besaß auch noch eine ganz schön scharfe Zunge.

Hannes atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Er fuhr sonst nicht allzu leicht aus der Haut, aber diese Frau reizte ihn bis aufs Blut – und zwar in mehr als einer Hinsicht.

Doch angesichts der Waffe, die sie noch immer auf ihn gerichtet hielt, erschien es ihm empfehlenswert, sich zusammenzureißen.

„Nun nehmen Sie schon endlich das Gewehr herunter“, forderte er sie auf. „Können Sie mit so einem Ding überhaupt umgehen?“

Zur Antwort lud sie die Waffe durch und richtete sie dann wieder auf den ungebetenen Besucher.

Hannes stieß einen leisen Fluch aus.

„Reicht das?“, fragte sie mit einem herablassenden Lächeln. „Und nun raus mit der Sprache: Gehören Sie zu dieser Motorradrockerbande, oder hat Kristof Steen Sie geschickt?“

Fragend schaute Hannes sie an. „Kristof Steen? Wer soll das sein?“ Als sie ihn, anstatt zu antworten, mit einem finsteren Blick bedachte, zuckte er mit den Schultern. „Nun, wer immer das auch ist, er ist nicht zu beneiden. Wo er sich doch offensichtlich den Zorn der schönen Prinzessin zugezogen hat …“

„Hören Sie auf, mich so zu nennen!“, fauchte sie.

„Da Sie mir Ihren Namen noch immer nicht verraten haben, muss ich mich ja irgendwie behelfen.“ Trotz der bedrohlichen Situation fand er zu seinem eigenen Erstaunen mehr und mehr Vergnügen daran, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Längst glaubte er nicht mehr, dass die schöne Fremde ihm wirklich etwas tun wollte. Vielmehr schien ihr irgendjemand solche Angst einzujagen, dass sie sich anders nicht zu helfen wusste.

Und um die ganze Geschichte noch verwirrender zu machen, war anscheinend eine Bande von Motorradrowdys ebenso involviert wie eine mysteriöse Person namens Kristof Steen.

Steen … Noch wusste Hannes nicht, wer sich dahinter verbarg, doch er würde es herausfinden. Später. Jetzt musste er sich erst einmal um die schöne Prinzessin kümmern.

Er versuchte es mit einem etwas versöhnlicheren Tonfall. „Hören Sie, ich weiß wirklich nicht, was hier gespielt wird. Aber ich versichere Ihnen, dass ich nicht gekommen bin, um Ihnen Schwierigkeiten zu machen.“

„Ach, was Sie nicht sagen! Und warum sind Sie dann hier?“

„Ich …“

„Geben Sie sich erst gar keine Mühe!“, fiel sie ihm ins Wort. Aus ihrem Blick sprach noch immer das pure Misstrauen. „Ganz egal, was Sie sagen, ich glaube Ihnen ohnehin nicht. Wenn Steen Sie geschickt hat, können Sie ihm von mir ausrichten, dass er Beringholm Slott auf keinen Fall bekommen wird.“

Hannes war überrascht. Es gab bereits einen Interessenten für das Schloss? Das wunderte ihn zwar, passte ihm aber eigentlich ganz gut. Allerdings fragte er sich von Sekunde zu Sekunde mehr, warum die schöne Fremde sich aufführte, als gehöre ihr das Anwesen. Wer war sie? Und was hatte sie hier zu suchen?

Er kniff die Augen zusammen. „Nun, die Entscheidung, ob dieser Mann Beringholm Slott bekommt oder nicht, überlassen Sie doch wohl besser mir!“ Hannes war nun endgültig der Geduldsfaden gerissen – Prinzessin hin oder her.

„Ihnen?“ Sie lachte, doch es bestand kein Zweifel, dass seine Worte sie zutiefst irritierten. „Und wieso …?“

„Weil ich der neue Besitzer von Beringholm Slott bin. Und jetzt nehmen Sie gefälligst Ihr Schießeisen herunter, damit ich Ihnen das Testament meiner Großtante Hilda zeigen kann!“

Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache, und sie riss die Augen auf. „Sagten Sie gerade Großtante Hilda?“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber …“

„Kein Aber!“, unterbrach er sie brüsk. „Mein Name ist Hannes Westenberg, und da Sie sich auf meinem Grund und Boden befinden, würde ich jetzt wirklich gern erfahren, mit wem ich es eigentlich zu tun habe!“

2. KAPITEL

„Ihr Grund und Boden? För Guds skull – Sie wissen ja nicht, was Sie reden!“

Lisbet konnte nicht glauben, was dieser unverschämte Kerl da behauptete. Hilda sollte ihm Beringholm Slott vermacht haben?

Dunkel erinnerte sie sich, dass Hilda ab und an von einem Hannes gesprochen hatte. „Er ist ein guter Junge, ganz anders als sein Vater“, waren ihre Worte gewesen. Und Lisbet war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei dem „guten Jungen“ um ein Kind, allenfalls einen Teenager handelte.

Doch der Hannes Westenberg, der nun vor ihr stand, war definitiv kein Kind.

Dennoch! Selbst wenn er Hildas einziger noch lebender Verwandter war – warum sollte sie ihn in ihrem Testament bedacht haben? Solange Lisbet zurückdenken konnte, hatte er sich nie bei seiner Großtante blicken lassen.

„Ist das so?“ Er lachte leise auf. „Nun, dann habe ich das Testament, das ich hier bei mir trage, wohl selbst angefertigt. Oder wie erklären Sie es sich sonst?“

„Ich …“ Sie verstummte. „Woher soll ich das wissen?“

Ihre Selbstsicherheit geriet ins Wanken. Wenn es dieses Testament nun wirklich gab … Aber nein, das konnte – durfte – nicht sein!

Wenn ich einmal nicht mehr bin, mein Kind, hatte Hilda stets gesagt, dann sollst du Beringholm Slott bekommen und es in meinem Sinne weiterführen.

Lisbet wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass ihre Freundin es sich noch einmal anders überlegen würde. Andererseits: Auf ihre alten Tage war sie sehr vergesslich geworden. Vielleicht hatte sie schlicht und einfach nicht daran gedacht, ihr Testament, das sie beim Notar hinterlegt hatte, entsprechend zu ändern. „Es muss sich um ein Versehen handeln“, flüsterte sie. „Ich … Hilda hat mir doch versprochen …“

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