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Der Blumenladen der guten Wünsche

Ein Sommer voller Liebe und Freundschaft

Der Duft von Rosen und Lavendel, das üppige Grün der Efeutute und darüber das vertraute Aroma von Großmutters Lieblingstee. Der Blumenladen war Charlotte früher ein zweites Zuhause und ihr geheimer Zufluchtsort. Jetzt ist sie nach Sommerbach heimgekehrt, um das Geschäft zu übernehmen und den alten Zauber in den Blumenladen zurückzuführen. Der kauzige Gärtner Knut und die unzuverlässige Verkäuferin Sheela machen es Charlotte leider mehr als schwer. Aber als sie das alte Buch ihrer Großmutter findet und beginnt, Sträuße mit Botschaften in der Sprache der Blumen zu verkaufen, wendet sich das Blatt.

Wer die Sprache der Blumen versteht, hat auch den Blick für die kleinen Dinge, die wirklich zählen


  • Erscheinungstag: 16.02.2021
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950058
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prologkap

»Warst du überhaupt schon zu Hause, seit du hier bist?«

Charlotte blickte von dem Gesteck auf, das sie gerade band, und sah ihre Großmutter an. Diese stand in dem Durchgang zur Teeküche des kleinen Blumenladens und erwiderte ihren Blick unnachgiebig. Das weiße Haar trug sie neuerdings kurz. Und obwohl sie die Brille eigentlich nur unter Protest aufsetzte, schob sie sie sich höher auf die Nase. Wie sehr hatte Charlotte das amüsierte Funkeln in ihren Augen vermisst, seit sie Sommerbach verlassen hatte, um zur Uni zu gehen.

»Die Gestecke müssen fertig werden«, protestierte sie lahm und zuckte entschuldigend die Schultern. »Das Erntedankfest wartet ja nicht auf uns.«

Jedes Mal wenn ihre Großmutter so lächelte wie in diesem Moment, fühlte Charlotte, wie die Wärme ihrer Zuneigung sie umhüllte. »Du hast mir zu gut zugehört. Komm, schau dir nicht alle schlechten Angewohnheiten von mir ab.« Sie wies hinter sich. »Mach eine Pause, in der Küche steht Tee.«

Erst jetzt nahm Charlotte den altbekannten Duft wahr und atmete tief ein. Ihre Oma kaufte immer dieselbe Chai-Roibusch-Mischung, und Charlotte liebte sie. Sie legte das halb fertige Gesteck beiseite und griff nach ihrer roten Merino-Wolldecke, um sie mit in die Teeküche zu nehmen. Oma Hannelore hatte sie vor Jahren zu ihrer Decke auserkoren, und Charlotte liebte es immer noch, sich wie früher darin einzukuscheln. Früher hatte sie sich ein Plätzchen auf dem Boden gesucht und es sich unter den Blättern der großen Topfpflanzen gemütlich gemacht. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie sich fast einbilden, im Dschungel zu sitzen. Heute kam ihr die Vorstellung kindisch vor, aber das Gefühl genoss sie noch immer.

»Kekse sind auch noch da«, fügte Oma Hannelore hinzu, als sie beiseitetrat, um Charlotte vorbeizulassen. »Die mit Honig drin.«

Verschmitzt lächelte Charlotte ihre Großmutter an. »Warum sagst du das denn nicht gleich?«

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»Und, warst du nun schon zu Hause, seit du in Sommerbach bist?«, hakte Oma Hannelore nach, als sie sich jeweils mit einer Tasse Tee in der kleinen Küche im hinteren Bereich des Blumenladens gegenübersaßen.

Anstatt zu antworten, nahm Charlotte sich einen weiteren Honig-Dinkel-Keks. Genüsslich biss sie in das Gebäckstück und ließ sich Zeit, der Süße nachzuschmecken.

»Ich nehme an, das heißt nein«, stellte ihre Großmutter trocken fest und warf ihr einen mahnenden Blick zu.

Charlotte seufzte. Sie wollte nicht darüber reden, aber früher oder später musste sie wohl etwas dazu sagen. Mit mehr Sorgfalt als nötig zupfte sie die Decke zurecht, die sie sich um die Schultern gelegt hatte. »Ich bin hier viel mehr zu Hause als in der dunklen Wohnung«, nuschelte sie mit vollem Mund. »Mama ist eh im Urlaub, sie ist ja ständig auf Reisen.«

Oma Hannelore schüttelte zwar missbilligend den Kopf, widersprach aber nicht. Warum Charlottes Mutter in Sommerbach überhaupt noch eine Wohnung besaß, war jedem im Ort ein Rätsel. Derzeit verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit mit ihrem zweiten Mann an der Südküste Frankreichs.

Nachdem Oma Hannelore sich Tee nachgeschenkt hatte, gab sie mit dem Löffel etwas Zucker hinzu, rührte um und legte den Löffel schließlich geräuschvoll auf den Tisch. »Sie liebt dich trotzdem.«

»Tut sie das?« Charlotte starrte in ihren Tee und holte dann kurz Luft. »Ich war heute Morgen kurz da und hab mein Zeug abgestellt. Im Kühlschrank steht eine Flasche Sekt und sonst nichts. Außerdem ist mein Zimmer neuerdings anscheinend ein Ankleidezimmer.« Zum Glück hatte sie die wichtigsten Dinge längst in ihrer Studenten-WG untergebracht. Trotzdem, nach Hause zu kommen, nur um festzustellen, dass man dort plötzlich keinen Platz mehr hatte, das tat weh.

Oma Hannelore schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Und wo hattest du dann vor, die Nacht zu verbringen?«

Charlotte hob die Schultern. »Vielleicht auf dem neuen Ledersofa, das da im Wohnzimmer steht?«

Oma Hannelore legte ihre Hand auf ihre. »Wenn du eh auf dem Sofa schläfst, dann schlaf auf meinem. So kriegst du wenigsten etwas Vernünftiges zum Frühstück.«

Der Gedanke gefiel Charlotte. Früher hatte sie in Oma Hannelores kleiner Dreizimmerwohnung oft ihre Hausaufgaben erledigt und noch zu Abend gegessen, bevor sie dann heimgegangen war. Und selbst wenn das Wohnzimmer der Oma jedes Mal durchquert werden musste, wenn man vom Schlafzimmer ins Bad oder in die Küche wollte, kam Charlotte die Vorstellung verlockender vor, als die nächste Woche allein in einer verlassenen Wohnung zu verbringen, die sie ohnehin nicht mehr als ihr Zuhause betrachten konnte.

»Machst du dann heute Abend Apfelpfannkuchen?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Oma Hannelore nickte erfreut. »Für dich mache ich immer gerne Apfelpfannkuchen. Aber vielleicht ist es auch an der Zeit, dass du lernst, wie es geht?«

Unwillkürlich musste Charlotte lachen. »Das klingt, als wolltest du ein großes Familiengeheimnis an mich weiterreichen.«

Mit einem verschwörerischen Zwinkern lehnte ihre Großmutter sich vor. »Mein Apfelpfannkuchen-Rezept ist das zweitbestgehütete Familiengeheimnis.«

Amüsiert und auch ein wenig neugierig lehnte Charlotte sich ebenfalls vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Was ist denn das erstbestgehütete Familiengeheimnis?«

»Die Sprache der Blumen natürlich.« Nun klang Oma Hannelore vollkommen ernst. »Aber davon erzähle ich dir ein andermal. Wenn du den Laden übernimmst.«

Den Laden übernehmen? Davon sprach ihre Großmutter schon lange, aber bisher hatte Charlotte das nicht richtig ernst nehmen können. Sie liebte Pflanzen, besonders Blumen, und umgab sich gern mit ihnen. Früher hatte sie noch öfter im Laden ausgeholfen, und sie fühlte sich hier immer ausgeglichen und zufrieden. Aber sie studierte in Frankfurt, weil sie eben auch mal den Duft der weiten Welt schnuppern und etwas erleben wollte.

Sie betrachtete die Lachfalten ihrer Großmutter. Natürlich würde Oma Hannelore das Geschäft nicht ewig allein weiterführen können. Charlotte wusste, dass ihre Mutter dafür garantiert nicht ihr rauschhaftes Leben an der Seite irgendeines Industriebosses aufgeben würde. Genauso sicher war andererseits auch, wann Oma Hannelore das Zepter überhaupt erst abgeben würde: wenn es keine andere Möglichkeit für sie gab. Daran wollte Charlotte gar nicht denken.

Sie räusperte sich und betrachtete die malvenfarbenen Fliesen an der Wand, bevor sie ihrer Großmutter wieder in die Augen schaute. »Oma, ich studiere gerade Kunstgeschichte, ich weiß nicht …«

Abwehrend hob Oma Hannelore die Hand. »Mach dir darüber jetzt noch keine Gedanken. Das ist ohnehin noch lange hin.« Sie sah sie fest an. »Versprich mir nur eines.«

Charlotte nickte eifrig und war gespannt, was nun kommen würde.

»Lass nicht zu, dass deine Mutter ein Ankleidezimmer daraus macht.«

Alle Anspannung verflog, als Charlotte losprustete. »Das verspreche ich. Davor ist der Laden sicher.«



Wo Blumen blühen, da lass dich nieder.
Atme ein und koste den Moment aus!

Kapitel 1kap

Charlotte musste zugeben, dass sie sich ihren großen Neuanfang anders vorgestellt hatte. Irgendwie erhebender. Die Ladenfassade, vor der sie nun stand, hatte eher etwas Ernüchterndes.

»Blumen Schießer« stand auf dem Schild über dem Eingang. Oder hätte vielmehr dort stehen sollen. Irgendwer hatte das ie übersprüht und durch ei ersetzt. Sehr lustig. Hatten die Jugendlichen in Sommerbach eigentlich nichts Besseres zu tun?

Die Tür war einmal sonnengelb gewesen, daran erinnerte Charlotte sich noch gut. Als Kind hatte es sie an die Farbe der Sonnenblumen erinnert, die es drinnen im Sommer zu kaufen gab. Es war ihr wie ein Wegweiser vorgekommen, ein warmer Empfang nach einem langen Tag in der Schule. Sie war gerne bei Oma Hannelore vorbeigegangen statt direkt nach Hause, weil sie immer ein bisschen Schokolade und ein paar nette Worte für sie gefunden hatte.

Jetzt blätterte die Farbe stellenweise ab, und die Sonne hatte den Rest zu einem blass-schmutzigen Krankenhausgelb ausgebleicht.

Der Verfall erschreckte Charlotte. War es wirklich so lange her, dass sie das letzte Mal hier gewesen war? Sie versuchte sich zu erinnern.

Zuletzt hatte sie während ihres Studiums in den Semesterferien hier ausgeholfen, das musste mindestens sieben Jahre her sein. Inzwischen war so viel geschehen. Sie hatte sich verliebt und dann sogar das Studium abgebrochen, um Phillips Karriere zu managen. Er war zwar ein brillanter Künstler, aber eine absolute Organisations-Katastrophe. In der Hinsicht hatten sie sich hervorragend ergänzt. Charlotte hatte auch geglaubt, dass sie eigentlich in einer Harmonie lebten, die nur von einer Gänseblumenwiese übertroffen werden konnte, wie sie oft scherzhaft gesagt hatte. Da hatte sie sich geirrt. Ein ganzer Abschnitt ihres Lebens, Heirat bis Scheidung, war inzwischen vorübergezogen, ohne dass sie es geschafft hatte, hierher zurückzukehren. Bis jetzt …

Die Schaufenster rechts und links der Tür waren staubig und voller Schlieren, aber immerhin konnte Charlotte dahinter lebendiges Grün ausmachen. Irgendjemand hatte sich also gekümmert, während die Erbschaft geregelt worden war. Sie selbst hatte es nicht über sich gebracht, sofort herzukommen, nachdem es mit dem Tod ihrer Großmutter so schnell gegangen war, dass sie nicht einmal mehr die Gelegenheit erhalten hatte, sich zu verabschieden.

Schwer seufzte sie auf. Sie fühlte sich schuldig, da sie Oma Hannelore nicht mehr hatte besuchen können. In Gedanken war sie bei ihr gewesen, aber genügte das?

Dass die Mitteilung über die Erbschaft Charlotte dann einige Wochen später erreicht hatte, gerade als sie sich gefragt hatte, was sie nach ihrer Scheidung von Phillip nun mit ihrem Leben anfangen wollte, kam ihr immer noch wie ein letztes Geschenk ihrer Oma vor. Eine letzte kleine Hilfe beim Überwinden der Hindernisse des Lebens, von denen sie Charlotte früher so viele hatte zugutekommen lassen. Sie hatte sich darauf gefreut, hier Ruhe zu finden und an die unbeschwerteste Zeit ihres Lebens anzuknüpfen.

Nun da sie den Zustand des Ladens sah, war sie allerdings nicht mehr so sicher, ob ihr das gelingen würde.

Vielleicht täuschte ja der äußere Schein? Charlotte gab sich einen Ruck und trat auf den Eingang zu. Bestimmt sah es innen besser aus. Sie durfte sich nicht so schnell entmutigen lassen. Man konnte nicht erwarten, dass ein Laden, den man von einer über neunzigjährigen Frau erbte, in bestem Zustand war, nicht wahr? Sie musste zuerst in einen neuen Anstrich investieren, und dann würde es schon werden.

Die Ladenglocke gab ein schepperndes Klirren von sich, als Charlotte eintrat. Gut, womöglich gehörte die auch ersetzt.

Vorsichtig schob sie die Ranke einer Kletterpflanze beiseite, die ein bisschen zu enthusiastisch in Richtung Eingang gewachsen war, und sah sich um. Der Tresen am anderen Ende des Raums war genauso verkratzt und verblichen wie die Tür. Die Kasse darauf sah aus, als wäre sie immer noch dieselbe wie vor zwanzig Jahren. Dennoch hüllte sofort ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit Charlotte ein. Sie hatte nie ein normales Elternhaus gehabt, ihre Mutter lebte mit Ehemann Nummer drei inzwischen auf Mallorca. Der Laden war für sie im Grunde das, was einem dauerhaften Zuhause noch am nächsten kam. Ein seltsames Gefühl durchströmte sie, während sie den Fuß auf die Terrakotta-Fliesen des Verkaufsraums setzte. Als hätte sie einen Schritt in die Vergangenheit getan.

Aber im Gegensatz zu früher war nun weit und breit niemand zu sehen.

Merkwürdig.

Der Laden war nicht groß, dennoch streifte Charlotte einmal durch den gesamten Raum, in der absurden Hoffnung, dass sich eventuell ein Angestellter in dem Farn-Dickicht rechts des Tresens versteckte oder hinter den riesigen Orchideen im Schaufenster.

Brauchte man eigentlich wirklich so viele Pflanzen im Laden, die kaum ein Kunde ohne Hilfe würde hinaustragen können? Charlotte erinnerte sich an die großen Vasen voller Schnittblumen, die früher immer nahe dem Tresen gestanden hatten, sodass jeder Kunde sich seinen Strauß selbst zusammenstellen konnte. Die einzigen Blumen, die nun nicht in Töpfen wuchsen, lagen in eher eintönigen Gestecken und Kränzen auf einem Tisch rechts der Tür. Schwarze und weiße Schleifen mit ernsten Aufdrucken: Grabschmuck. Offensichtlich war Sommerbach deutlich deprimierender geworden, seit sie das letzte Mal hier gewesen war.

Für eine Weile lungerte Charlotte am Tresen herum und wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Früher hätte ihre Großmutter sie hier mit einer Umarmung begrüßt, um mit ihr in den hinteren Bereich des Ladens zu gehen. Ohne auf diese Art willkommen geheißen worden zu sein, das fühlte sich an, als würde sie in Bereiche eindringen, die zu betreten sie kein Recht hatte. Aber der Laden gehörte nun ihr. Sie war jetzt diejenige, die hier Kunden begrüßen musste.

Also trat sie kurzerhand hinter den Tresen und anschließend durch die Tür, die in den hinteren Bereich führte.

An der Schwelle in den kleinen Korridor blieb sie stehen.

Für einen Moment glaubte sie den Tee zu riechen, den ihre Großmutter immer in der kleinen Küche zur Rechten gekocht hatte. Im nächsten Moment schlug Charlotte jedoch der Geruch von Erde und abgestandener Luft entgegen.

Sie schluckte. Oma Hannelore hatte am Telefon immer wieder gefragt, wann sie mal wieder zu Besuch kommen würde, und sie hatte immer dieselbe Antwort gegeben: Bald. Aber dann hatte sie wieder eine wichtige Ausstellung für Phillip in einer Kunstgalerie organisiert. Als Nächstes hatte jemand aus Amsterdam eine kleine Installation in Auftrag gegeben, und sie hatten ein paar Jahre dort gelebt. Und schließlich war kaum Geld da gewesen fürs Reisen.

Ihre Großmutter hatte ihre Gründe immer verstanden, und immerhin, im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Charlotte regelmäßig angerufen. Trotzdem nagte das schlechte Gewissen an ihr.

Und plötzlich war es so schnell gegangen. Ein Herzinfarkt, drei Tage im Krankenhaus. Ende.

Jetzt wünschte Charlotte, sie wäre nicht davon ausgegangen, dass morgen immer noch genug Zeit war, um Oma Hannelore mal wieder zu besuchen.

Sie trat durch die Tür am Ende des Ganges und hinaus auf den Hof.

Hier war alles wie früher. Säcke mit Erde stapelten sich auf Paletten an der Hauswand, ein Lieferwagen parkte daneben. Charlotte schob sich daran vorbei und zum Gewächshaus. Auch hier erspähte sie Grün durch das Glas. Sie lächelte.

Feuchte, erdige Luft schlug ihr entgegen, als sie die Tür öffnete. Außerdem hörte sie ein leises Murmeln, das links von ihr herzurühren schien.

Einen Sekundenbruchteil lang war sie fest davon überzeugt, Oma Hannelore bei den Hochbeeten stehen zu sehen. Sie hatte ihren Pflanzen immer gerne Mut beim Wachsen zugesprochen. Dann blinzelte Charlotte und erkannte den breiten Rücken eines Mannes und einen kurzen Schopf ergrauten Haars.

»Das Blatt da nehmen wir weg, ja?«, hörte sie ihn murmeln. »Das ist vertrocknet. Siehst du. So ist es besser.«

Charlotte räusperte sich. »Hallo?«

Der Mann drehte sich zu ihr um und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Er war wahrscheinlich um die sechzig und wirkte alles andere als erfreut, sie zu sehen. »Die Klingel steht nicht umsonst auf dem Tresen. Zu dem Bereich hier hinten haben Kunden keinen Zutritt.«

Charlotte war sich nicht sicher, ob sie eine Klingel gesehen hatte. So oder so war sie allerdings der Meinung, dass er einem Kunden gegenüber nicht so einen schroffen Ton anschlagen sollte. Sie entschied sich jedoch, nachsichtig zu sein. Denn sehr wahrscheinlich hatte dieser Mann dafür gesorgt, dass die Blumen im Laden nicht vertrocknet waren. »Ich bin Charlotte Jahn«, stellte sie sich vor und hob das Kinn. »Die neue Besitzerin des Ladens.«

Ihre Enthüllung sorgte nur dafür, dass sich die Miene ihres Gegenübers noch weiter verdüsterte. »Ach, sieh an, wer auftaucht, sobald es was zu erben gibt.«

Sie schnappte nach Luft. »Wie bitte?«

Der alte Mann schnaubte. »Na, ich arbeite seit mehr als zehn Jahren hier, und seitdem hab ich Sie kein einziges Mal gesehen. Ich nehm also an, Sie wollen nur sehen, für wie viel Sie das alles verkaufen können.«

Charlotte öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus. Wie sollte man mit so viel Unverschämtheit umgehen?

»Dachte ich mir.« Er wandte sich wieder den Blumen zu. »Wenn ich freundlicherweise gerade noch meine Arbeit hier erledigen dürfte, führe ich Sie danach rum.« Er warf ihr noch einen eisigen Blick über die Schulter zu. »Bringen wir das schnell hinter uns.«

Was für ein Arsch! Langsam fing Charlotte sich wieder. Wütend stemmte sie die Hände in die Hüften. »Jetzt hören Sie mir mal zu!«

Der Mann war wieder damit beschäftigt, vertrocknete Blätter von den Blumen zu zupfen, und hob nur kurz den Kopf.

Charlotte fuhr dennoch fort. »Zum einen geht es Sie überhaupt nichts an, wie häufig ich meine Großmutter besucht habe! Und zum anderen habe ich nicht vor, den Laden zu verkaufen. Ich bin Ihre neue Chefin, und Sie behandeln mich gefälligst entsprechend!«

Sie hatte mit einer erschrockenen Reaktion und plötzlicher Höflichkeit gerechnet. Stattdessen erntete sie nur einen weiteren düsteren Blick über die Schulter.

»Dann haben Sie doch sicher erst recht nichts dagegen, wenn ich erst die Arbeit mache, für die Sie mich bezahlen, hm?«

Verstimmt verschränkte Charlotte die Arme vor der Brust. »Nur zu.«

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Fünf Minuten später fand der unhöfliche Gärtner immerhin die Zeit, sich als Knut Grummer vorzustellen. Ansonsten beachtete er Charlotte erst einmal nicht weiter, die ihn bei seiner Arbeit beobachtete, und redete mit den Pflanzen, während er vorsichtig welke Blätter abzupfte und überprüfte, ob sie Wasser brauchten. Erst als er bei jeder Pflanze im Gewächshaus gewesen war, widmete er sich wieder Charlotte.

»Gibt eigentlich nicht viel zu sehen«, sagte er. »Durch den Laden vorne sind Sie ja reingekommen, nehme ich an.« Er vollführte eine ausholende Handbewegung. »Das hier ist das Gewächshaus. Gibt drei davon. In diesem hier ziehen wir vor allem die Einjährigen hoch für die Leute, die nicht wissen, wie man Blumensamen in Erde steckt. Drüben haben wir Zimmerpflanzen, und dann wären da noch die Schnittblumen.« Er verzog das Gesicht.

Charlotte nutzte die Zurschaustellung offensichtlicher Abneigung gegen Schnittblumen, um ihn zu unterbrechen. »Ähm … Was heißt denn wir? Ich habe sonst niemanden gesehen.«

Der Notar hatte ihr versprochen, alle nötigen Unterlagen zum Laden zügig nachzuliefern, aber vorerst hatte sie nur den Schlüssel bekommen. Gab es noch weitere Angestellte, oder redete Knut Grummer einfach gewohnheitsmäßig im Plural von sich?

Er hob die Schultern. »Die Sheela ist dann heute wieder nicht zur Arbeit aufgetaucht, schätze ich. Hätte ich mir gleich denken können.«

»Schätzen Sie?« Ganz offensichtlich ließ die Arbeitsmoral hier deutlich zu wünschen übrig. Charlotte ahnte, dass weit mehr Schwierigkeiten auf sie zukommen würden, als sie sich ausgemalt hatte.

Ein weiteres Schulterzucken. »Ist immer Glückssache bei der.«

Das fing ja großartig an. »Hat sie das schon immer so gemacht?«

»Würd ich schon sagen«, erklärte Knut. »Aber eigentlich braucht man auch nur zwei Leute hier. Einen im Laden und einen im Gewächshaus.« Er senkte den Blick. »Und Hannelore und ich waren ja zwei.«

Charlotte runzelte die Stirn. Das ergab wenig Sinn. »Warum hat diese Sheela dann überhaupt einen Job hier?«

Knut Grummer sah sie an, als wäre sie schwer von Begriff. »Na, weil die Sheela halt einen Job braucht.«

Sie öffnete bereits den Mund, um zu erklären, dass der Arbeitsmarkt so nicht funktionierte, aber dann schloss sie ihn wieder. Sie würde keine Diskussionen mit diesem Mann anfangen. »Okay«, sagte sie schließlich nur.

Das sorgte dafür, dass er sie forschend anstarrte. »Ich nehm an, Sie haben den Teil des Testaments schon gelesen, in dem steht, dass Sie die Sheela nicht feuern dürfen.«

»Was?« Charlotte spürte, wie ihr die Gesichtszüge entglitten.

Das stand dann wohl in den Unterlagen, die sie noch nicht hatte. Es wurde ja immer besser. Kein Wunder, dass diese Sheela nicht zur Arbeit erschien.

»Sieht nicht so aus, als hätten Sie Ihre Hausaufgaben gemacht«, beschied der Gärtner sie, seine Augen blitzten kurz auf. »Vielleicht sollten Sie sich erst mal informieren, bevor Sie ernsthaft davon ausgehen, diesen Laden leiten zu können.«

Langsam gewöhnte Charlotte sich an seine bissige Art. Nicht dass es deshalb eher zu tolerieren wäre, aber zumindest überraschte er sie nicht mehr. »Ich glaube nicht, dass es sonderlich schwer ist, Blumen zu verkaufen, wenn sogar Sie das in letzter Zeit hinbekommen haben.«

Bildete sie es sich ein, oder wirkte er ein wenig überrascht? Im nächsten Moment jedoch hob er nur wieder die Schultern. »Na, wenn Sie meinen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Die Pflanzen in den anderen Gewächshäusern brauchen Wasser.«

Während er davonschlurfte, schaute Charlotte ihm ernüchtert nach. Es sah ganz danach aus, als würde der Neuanfang erheblich mehr beinhalten als nur einen neuen Fassadenanstrich. Wollte sie das alles wirklich?


Ein freundliches Wort findet immer guten Boden. Und wo der Same einst gesät, sprießt
das zarte Pflänzchen, wenn man gut gießt.

Kapitel 2kap

»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, Charlotte?« Sarah blickte sie besorgt über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an. Die letzten zwanzig Jahre waren erstaunlich gnädig zu Charlottes Kindergartenfreundin gewesen. Sie hatte ein wenig zugenommen, und natürlich gab es inzwischen die eine oder andere Falte in ihrem Gesicht, aber insgesamt sah sie aus wie eine Vorzeige-Mutter aus der Werbung. Eine, deren Frisur und Make-up immer perfekt waren, während sie ihren Kindern die angeblich gesündesten Cornflakes aller Zeiten servierte.

Sarahs Leben war auch wirklich bilderbuchhaft verlaufen. Das wusste Charlotte, weil sie jährlich zu Weihnachten einen Brief erhalten hatte, dem immer ein Familienfoto und eine Art Statusbericht beigelegt waren. Inzwischen hatte auch der jüngste Sohn sein Abi und war auf der Suche nach einem guten Studienplatz, Sarah nutzte die neu gewonnene Freizeit für Tennis und Makramee. Das zumindest war der Stand von letztem Weihnachten.

Plötzlich wieder außerhalb der geregelten Briefe, die Charlotte immer eher sporadisch beantwortet hatte, Kontakt zu haben, war ungewohnt. Zumindest für Charlotte. Sarah hatte Kaffee und Rhabarberkuchen, den Charlotte besonders liebte, aufgetischt, als hätten sie sich das letzte Mal vor einer Woche und nicht vor über zehn Jahren persönlich gesehen. Sie wirkte, als hätte sie nur darauf gewartet, dass eine alte Freundin mehr oder weniger unangemeldet vor der Tür stand. Selbst ihre Kaffeelöffel passten zum Rest des Service. Für so einen perfekten Gastempfang hätte Charlotte mindestens zwei Tage Vorbereitungszeit gebraucht. Aber Sarah war schon immer stabil, verlässlich und stets auf alles vorbereitet gewesen. Deshalb schätzte Charlotte sie so sehr.

»Natürlich will ich dir nicht in dein Leben reinreden«, fuhr Sarah fort. »Und ich habe da auch noch nie Blumen gekauft, also weiß ich nicht, wie die Örtlichkeit so ist. Aber wahrscheinlich könntest du ein hübsches Sümmchen für den Laden bekommen, und dann könntest du dir damit etwas ganz Neues aufbauen. Ohne den alten Ballast.«

Ohne die gelbe Tür, den eingebildeten Teegeruch und das Gefühl, hinter der nächsten Ecke ihre Großmutter zu finden. Ohne die Erinnerungen an all die Nachmittage, an denen sie an dem kleinen Tisch in der Teeküche ihre Hausaufgaben gemacht hatte, während ihre Großmutter immer wieder nach ihr geschaut hatte. Charlotte mochte all das während der gesamten aufregenden Künstlerzeit mit Phillip nicht allzu sehr vermisst haben. Phillip war lange genug ihr Zuhause gewesen. Aber nun tat es gut, etwas zu haben, zu dem sie zurückkehren konnte. Das wollte sie nicht so schnell wieder aufgeben.

Auch wenn Charlotte natürlich wusste, dass Sarah nicht das, sondern Knut, Sheela und die abblätternde Farbe meinte.

»Es ist der Laden meiner Großmutter«, protestierte sie.

Sarah lächelte nachsichtig. »Natürlich. Noch Kaffee?«

Dankbar hob Charlotte die Tasse, damit ihre Freundin ihr nachschenken konnte.

»Weißt du etwas über diese Sheela?«, fragte Charlotte etwas später über dem zweiten Stück Kuchen. Sarah hatte nur eines gegessen, aber der Kuchen war wirklich lecker, und Charlotte fand, dass man etwas Gutes verdient hatte, wenn man gerade frisch geschieden war und sein Leben auf den Kopf gestellt hatte. Sarah hatte es ihr lächelnd serviert.

Nun lachte sie. »Sommerbach ist nicht so klein, dass hier jeder jeden kennt. Das kommt dir nur so vor, weil du direkt aus Berlin kommst.«

Berlin, das war die dritte Station nach Amsterdam gewesen und die Stadt, in der Phillip jetzt gerade wahrscheinlich Champagner mit seiner Kunstgaleristin trank. Der Frau, mit der sie ihn bei der letzten Vernissage knutschend in der Kaffeeküche erwischt hatte.

Eilig lenkte Charlotte sich mit einem weiteren Bissen von ihrem Kuchen von diesem Gedanken ab, doch nun bekam sie die Leckerei nur schwer herunter. Sie wollte Phillip nicht zurück, aber dass er sie so einfach ersetzt hatte, tat immer noch weh.

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab sie zu. Sie hatte gehofft, dass Sarah ihr Ohr an der Gerüchteküche hatte und Sheela auffällig genug war, dass man das eine oder andere von ihr mitbekam.

»Ich weiß aber etwas anderes, das dich bestimmt interessiert«, fuhr Sarah fort.

Fragend legte Charlotte den Kopf schief. Ganz falsch hatte sie ihre alte Freundin also nicht eingeschätzt.

»Erinnerst du dich an Sven Hafner?«

Oh. Das war ein Name, den Charlotte nicht unbedingt noch mal in ihrem Leben hätte hören müssen. Eilig schluckte sie einen Bissen Kuchen herunter, bevor er plötzlich nicht mehr schmecken konnte. »Der war bei uns auf der Schule, nicht wahr?« Natürlich war er das. Das wusste sie ganz genau.

Sarah lachte. »Du warst total in ihn verschossen! Erinnerst du dich wirklich nicht mehr richtig?«

Und ob Charlotte das tat. Wenn man seinen ganzen Mut zusammennahm, um den beliebtesten Jungen der Schule anzusprechen, nur um dann vor aller Augen eine unfreundliche Abfuhr zu erhalten, dann vergaß man das nicht so schnell. Auch nicht nach mehr als zehn Jahren. Inzwischen wusste sie natürlich, dass es schlimmere Dinge im Leben gab. Aber es war nicht gerade eine ihrer liebsten Erinnerungen.

»Na ja«, behauptete sie, ohne von ihrer Kaffeetasse aufzusehen, und hoffte nur, dass sie nicht rot wurde. »Es ist lange her.«

»Das ist wahr«, stimmte Sarah fröhlich zu. »Auf jeden Fall ist es aber ein erstaunlicher Zufall, denn Sven ist genau wie du vor Kurzem wieder nach Sommerbach zurückgekehrt. Lustig, nicht wahr? Er will das Weingut seines Vaters neu eröffnen.«

Das war wirklich ein interessanter Zufall, dennoch zuckte Charlotte achtlos die Schultern. Sie hatte auf jeden Fall nicht vor, mit Sven wieder an alte Zeiten anzuknüpfen. Wie auch, besonders nah hatten sie sich damals ja nicht gestanden. »Ich schätze, das ist einfach die richtige Zeit«, scherzte sie. »Wir haben alle unsere Midlife-Crisis und wollen noch mal was Neues anfangen.«

»Das könnte sein.« Sarah trank einen Schluck Kaffee und warf Charlotte einen nachdenklichen Blick zu. »Ich habe überlegt, ob ich mit Tennis aufhöre und vielleicht Yoga anfange.«

Charlotte nickte amüsiert. »Das ist … total vergleichbar.«

Verlegen hob Sarah die Schultern. »Gut, das ist wohl etwas anderes.«

Charlotte tat es mit einer Handbewegung ab. Es tat gut, nach ihrem Umzug direkt jemanden zu haben, mit dem sie reden konnte, auch wenn man nur halb verstanden wurde. »Dein Kuchen ist wirklich gut. Solltest du ein Café aufmachen wollen, wäre ich in jedem Fall deine beste Kundin.«

Sarah lächelte sie glücklich an. »Ich bin so froh, dass du hier bist. Dann habe ich jemanden, mit dem ich über solche Dinge reden kann.«


Nur wer sich Zeit nimmt und genau hinsieht,
erkennt alle Nuancen im Farbspiel
der Chrysantheme.

Kapitel 3kap

Der Ordner, der auf dem Tresen des Blumenladens lag, war viel zu dick für Charlottes Geschmack. Sie hatte ihn am Morgen beim Verlassen ihres kleinen, noch kaum eingerichteten Appartements auf den Briefkästen gefunden. Der Postbote hielt das anscheinend für einen guten Ablageort – und sie hatte geglaubt, dass man notarielle Unterlagen zumindest per Einschreiben verschickte. Immerhin hatte der Notar aber schnell sein Versprechen gehalten.

Nun blätterte sie die Unterlagen durch, während sie darauf wartete, dass die Ladenglocke einen Kunden ankündigte – was seit einer Stunde noch nicht geschehen war. Aber es war ja nur eine Frage der Zeit, und Charlotte war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass keiner der Kunden sich je wieder mit Knut Grummer auseinandersetzen musste.

Bis dahin studierte sie das Testament, das ihr bestätigte, dass sie das Erbe tatsächlich nur unter der Bedingung antreten durfte, Sheela Bayer nicht zu feuern. Eine Begründung für diese Bedingung war natürlich nirgendwo angegeben. Charlotte seufzte. Bislang hatte sie diese Sheela ja noch nicht einmal zu Gesicht bekommen.

Hatte ihre Großmutter bei ihren letzten Telefonaten mal eine Sheela erwähnt? Meistens hatte sie Charlotte doch eher von ihrem Leben erzählen lassen als umgekehrt. Und Charlotte war einfach davon ausgegangen, dass in Sommerbach eben nicht viel Spannendes passierte …

Nun wünschte sie, sie hätte mehr Fragen gestellt.

Sie blätterte noch ein wenig, um zu sehen, ob es irgendwelche Ausnahmen für die Sheela-Regel gab. Vielleicht durfte sie sie zumindest in dem Fall feuern, dass Sheela etwas stahl oder zerstörte. Nach einer Weile klappte sie den Ordner niedergeschlagen zu. Es gab keine Ausnahme.

Unter den Umständen war es sogar noch recht freundlich von Sheela, dass sie einfach nicht zur Arbeit erschien. Wenn sie sich alles erlauben durfte, hätte das wohl schlimmer kommen können.

Da sie gerade schon mal dabei war, wollte Charlotte weitere Unterlagen im Büro des Ladens durchsehen. Der kleine Raum lag gleich neben der Teeküche. Nachdem sie das Licht eingeschaltet und sich an den kleinen Schreibtisch gesetzt hatte, musste sie niesen. Alles in der kleinen Kammer schien mit einer dicken Staubschicht bedeckt zu sein.

Buchführung war offensichtlich nicht Oma Hannelores liebste Beschäftigung gewesen. Dafür hatte sie wohl viel zu oft bis zu den Ellenbogen in der Erde gesteckt, um die neusten Blumen aus den Gewächshäusern ein- oder umzutopfen.

Bei der Erinnerung meinte Charlotte die frische Erde fast riechen zu können. Dummerweise musste sie sich gerade mit weniger erfreulichen Dingen beschäftigen.

Schließlich fand sie einen Ordner mit Steuerunterlagen, die bis zu zehn Jahre zurückreichten. Um der staubigen Kammer zu entfliehen und auch um eventuelle Kunden nicht zu verpassen, schleppte sie ihn nach vorne neben die Kasse.

Während sie die Unterlagen durchging, verlor sie jedoch zunehmend den Mut. Denn sie erkannte immer deutlicher, dass der Laden in den letzten Jahren nur gerade genug eingefahren hatte, um die laufenden Kosten zu decken. Das war sogar noch ernüchternder als die abblätternde Farbe. Beklommen klappte sie den Ordner zu und schob ihn an die Kante des Tresens. Immerhin war in den laufenden Kosten auch ein kleines Gehalt für den Besitzer des Ladens enthalten. Verhungern würde sie also nicht. Aber konnte das wirklich ihr neues Leben werden? Allmählich befielen sie ernstere Zweifel.

Genau in diesem Moment gab die Ladenglocke ihr rostiges Klappern von sich und eine junge Frau stürmte herein. Eine Ranke der Kletterpflanze beim Eingang blieb in ihrer mit blonden Strähnchen versehenen Frisur hängen, die vor lauter Haarspray nur widerwillig nachgab. Charlotte nahm sich vor, die Ranke später gleich so zu binden, dass das nicht mehr geschah.

Die Frau schien es jedoch nicht einmal zu bemerken. Sie blieb einfach im Eingang stehen, zupfte ihr Spaghettiträger-Top zurecht, sodass es in Zusammenarbeit mit der tief hängenden Hose fast ihre Nieren bedeckte, und blinzelte Charlotte verwirrt an. »So lange war ich jetzt aber auch wieder nicht weg.«

Das musste wohl Sheela sein.

Na, immerhin war sie sich des Problems selbst bewusst. »Sie müssen Sheela Bayer sein«, begrüßte Charlotte sie.

Die Bemerkung brachte ihr ein weiteres verwirrtes Blinzeln ein. Vielleicht lag es an der Ranke im Haar oder daran, wie überfordert Sheela mit der Situation wirkte, aber irgendwie tat sie Charlotte leid. Und sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie Oma Hannelore so ein verlorenes Mädchen gesehen und es einfach eingestellt hatte, weil es eben einen Job brauchte. Auch wenn der Arbeitsmarkt so nicht funktionierte. Auch wenn es dumm war. Auch wenn der Laden die Kosten nur gerade so decken konnte. Bei dem Gedanken an ihre Großmutter und ihr großes Herz musste Charlotte lächeln.

Seufzend wandte sie sich Sheela zu. »Ich bin Charlotte Jahn, die neue Besitzerin des Ladens.«

»Oh«, sagte Sheela. Sie trat einen Schritt auf sie zu und bemerkte nun endlich die Ranke in ihrem Haar. Abgelenkt wischte sie sie beiseite, bevor sie ungelenk die Hand ausstreckte. »Ich bin Sheela.« Sie lächelte. »Aber das wissen Sie wohl schon.«

Charlotte nickte und schüttelte kurz die ihr dargebotene Hand. In dem Versuch, trotzdem streng zu bleiben, fügte sie hinzu: »Sie hätten seit über einer Stunde hier sein sollen.«

»Oh. Ja.« Sheela wirkte verlegen. »Tut mir voll leid. War so echt nicht geplant.« Sie lächelte wieder. »Aber jetzt bin ich ja hier, eh?«

»Sie hätten zumindest Bescheid sagen können.« So leicht wollte Charlotte sich nicht geschlagen geben.

Sheela nickte eifrig. »Voll gerne. Klar. Aber das Telefon ist seit einer Weile kaputt, und meistens geht eh niemand dran. Wusste ja nicht, dass Sie jetzt hier sind.«

Charlottes Blick ging zu dem weißen Telefon, das neben der uralten Kasse stand und ebenso alt aussah. Es hatte einen Hörer, der mit einem Kabel mit dem Rest des Apparats verbunden war. Charlotte war sich nicht sicher, wann sie so etwas zuletzt gesehen hatte. Dass es keine Wählscheibe mehr gab, war auch schon alles. Noch etwas, in das sie investieren musste. Später. Das gehörte zum Glück zu den Problemen, die Zeit hatten.

»Wissen Sie was«, sagte sie. »Ich gebe Ihnen meine Handynummer. Dann können Sie mich erreichen, wenn was ist. Allerdings würde ich es wirklich vorziehen, wenn Sie einfach pünktlich zur Arbeit kämen.«

Stumm hoffte sie, dass es genügen würde, stur immer wieder zu betonen, wie viel Wert sie auf Pünktlichkeit legte. Vielleicht hatte man Sheela vorher einfach nur das Gefühl gegeben, dass es keinen Unterschied machte, ob sie hier war oder nicht. Charlotte nahm sich vor, optimistisch zu bleiben, auch wenn es ihr schwerfiel.

Und auf jeden Fall wogte schon mal Sheelas ganze Frisur, als sie diesmal nickte. »Klar. Ich geb mir echt voll Mühe. Und ich ruf auf jeden Fall an, wenn’s wieder später wird. Kein Ding.«

Immerhin, das hätte schlechter laufen können. Zufrieden beobachtete Charlotte, wie Sheela ihre Jacke an den Haken hängte, und suchte nach einem Band für die Ranke an der Eingangstür.

blume

Bis zur Mittagspause kamen tatsächlich ein paar ältere Leute, um Grabschmuck zu kaufen. Der Friedhof war nicht weit entfernt, also ergab das Sinn. Außerdem schob sich ein kleines Mädchen schüchtern in den Laden und erklärte, es brauche einen Topf und Bohnensamen für ein Schulprojekt. Sheela bekam sich kaum ein darüber, wie niedlich sie das Mädchen fand, und vergaß dabei fast, die Tüte mit den Samen herauszusuchen. Charlotte fühlte sich wenig nützlich. Sie hätte nicht gewusst, in welcher Kiste unter dem Tresen sie danach hätte suchen sollen.

»Warum sind die Samen da unten versteckt?«, fragte sie Sheela, nachdem das Mädchen gegangen war.

Die junge Frau hob die Schultern. »Da sind sie immer für den Winter.«

»Jetzt ist Sommer«, sagte Charlotte, nur für den Fall, dass das nicht offensichtlich war. Angesichts der Tatsache, dass Sheelas Bauchnabelpiercing zwischen ihrem Top und ihrer Hose herauslugte, hätte sie den Unterschied eigentlich bemerken sollen.

»Stimmt«, gab Sheela zu. »Hat wohl keiner dran gedacht. Und der Knut meint eh, die meisten Leute sind zu dumm, um Pflanzen richtig aus Samen heranzuziehen.«

Ja, das klang nach etwas, was Knut Grummer meinen würde. Charlotte seufzte. »Früher gab es hier einen Drehständer aus Metall für die Tütchen mit den Samen.«

Sheela nickte eifrig. »Der ist sicher irgendwo.«

Sehr hilfreich. »Irgendwelche Ideen wo?«

Die Antwort auf diese Frage war ein patentierter hilfloser Sheela-Blick und ein Schulterzucken. »Im Schuppen vielleicht?«

Großartig. Charlotte begab sich selbst auf die Suche.

Im Schuppen fand sie rostige Gartenscheren, Rankengitter, Säcke voller verschiedenfarbiger Ziersteine und Rollen über Rollen bunter, teilweise leicht eingestaubter Schleifenbänder. Ein Drehständer war allerdings nicht darunter. Ratlos streifte Charlotte über den Rest des Geländes.

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