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Der lange Traum vom Glück

Die Liebe ihres Lebens ̶ das ist der smarte Komponist Nick für die junge Frederica. Doch sie weiß nichts von seiner dunklen Vergangenheit, die eine gemeinsame Zukunft unmöglich erscheinen lässt.
Schon als Kind hat Frederica sich zu dem jungen Nick hingezogen gefühlt. Und jetzt als erwachsene Frau spürt sie, dass sie den eigenwilligen Komponisten nicht vergessen kann. Obwohl sie merkt, dass sie dem attraktiven Mann nicht gleichgültig ist, scheint doch eine unüberwindbare Kluft zwischen ihnen zu bestehen. Als Frederica schließlich die Wahrheit über Nicks Vergangenheit herausfindet, bricht für sie eine Welt zusammen ...


  • Erscheinungstag: 23.09.2019
  • Aus der Serie: Die Stanislaskis
  • Bandnummer: 5
  • Seitenanzahl: 180
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745750614
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Sie war eine Frau mit einer Mission. Ihr Entschluss, von West Virginia nach New York umzuziehen, hatte eine Menge wohldurchdachter Gründe. Dort würde sie den idealen Ort zum Leben finden, beruflichen Erfolg und ihren Traummann.

Bevorzugt, aber nicht zwingend in genau dieser Reihenfolge.

Frederica Kimball hielt sich für eine flexible Frau.

Während sie im Zwielicht des frühen Frühlingsabends den Bürgersteig an der East Side hinunterschlenderte, dachte sie an daheim. Das Haus in Shepherdstown, West Virginia, mit den Geschwistern und Eltern war Freddies Meinung nach ein ideales Zuhause. Weiträumig, voller Musik und Leben.

Es war kaum anzunehmen, dass sie es je geschafft hätte, von dort wegzugehen, wenn sie nicht die Gewissheit gehabt hätte, jederzeit wieder mit offenen Armen aufgenommen zu werden.

Obwohl sie schon oft in New York gewesen war und in dieser Stadt auch über zahlreiche Bindungen verfügte, hatte sie doch stets ihre vertraute Umgebung vermisst, denn hier war ihr eigenes Zimmer im ersten Stock des alten Steinhauses, die Liebe und Kameradschaft ihrer Geschwister, die Musik ihres Vaters, das Lachen ihrer Mutter.

Doch nun war sie kein Kind mehr. Sie war mittlerweile vierundzwanzig und sollte eigentlich schon längst auf eigenen Beinen stehen.

Auf jeden Fall fühlte sie sich durchaus zu Hause in Manhattan. Schließlich hatte sie dort ihre ersten Lebensjahre verbracht. Und danach war sie oft zu Besuch hier gewesen – allerdings immer mit ihrer Familie, wie sie einräumen musste.

Nun, diesmal ist es anders. Du bist jetzt auf dich allein gestellt, dachte sie und straffte die Schultern. Und sie hatte etwas zu tun. Als Allererstes würde sie Nicholas LeBeck überzeugen müssen, dass er eine Partnerin brauchte.

Sein Erfolg und der Ruf, den er sich in den vergangenen Jahren als Komponist erworben hatte, würden noch wachsen, wenn sie ihm erst als Texterin zur Seite stand. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, dann konnte sie bereits die Namen LeBeck/Kimball in Leuchtschrift vor sich sehen, während die Musik, die sie zusammen schreiben würden, auf sie einströmte.

Jetzt musst du nur noch erreichen, dass Nick dasselbe sieht und hört, dachte sie mit einem selbstironischen Lächeln.

Sie konnte, falls nötig, die Familie einspannen, um ihn zu überzeugen. Nick und sie waren angeheiratete Cousins.

Und am Ende ihrer Mission würde Nick sie genauso leidenschaftlich lieben wie sie ihn. Wie sie ihn schon immer geliebt hatte.

Sie hatte zehn Jahre auf ihn gewartet, und das war lange genug.

Es wird höchste Zeit, Nick, dachte sie, während sie an dem Saum ihres königsblauen Blazers zupfte.

Noch war sie voller Zuversicht, als sie da vor der Tür des „Lower the Boom“ stand. Die beliebte Bar gehörte Zack Muldoon, Nicks Bruder. Stiefbruder genau genommen, aber in Freddies Familie schaute man da nicht so genau hin, allein die Zuneigung zählte. Die Tatsache, dass Zack die Schwester von Freddies Stiefmutter geheiratet hatte, machte aus den Familien Stanislaski, Muldoon, Kimball und LeBeck einen über tausend Ecken verwandten und verschwägerten Clan.

Freddies lang gehegter Traum war es, diesen Verwicklungen durch ihre Verbindung mit Nick noch eine weitere hinzuzufügen.

Sie holte tief Atem, zerrte noch einmal am Saum ihrer Jacke und fuhr sich mit der Hand glättend über ihre ungebändigten blonden Locken, wobei sie sich wieder einmal das exotische Aussehen der Stanislaskis wünschte. Dann streckte sie die Hand nach der Türklinke aus.

Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich mit dem, was ihr das Schicksal mitgegeben hatte, zu bescheiden, und sie würde dafür sorgen müssen, dass es genug war.

Die Luft im „Lower the Boom“ war angereichert mit heftigem Biergeruch, über dem der würzige, scharfe Duft von Oregano lag. Rio, Zacks langjähriger Koch, schien offensichtlich gerade eine Pasta Spezial auf dem Herd zu haben.

Alles war so wie immer, angefangen von den holzgetäfelten Wänden mit den Seefahrermotiven bis hin zu der langen verschrammten Theke und den funkelnden Gläsern. Nur von Nick war weit und breit nichts zu sehen. Trotzdem lächelte Freddie, als sie zur Theke ging und sich auf einen der gepolsterten Barhocker setzte.

„Spendierst du mir einen Drink, Seemann?“

Zack, der gerade ein Bier zapfte, schaute auf. Sein lässiges Lächeln verwandelte sich umgehend in ein breites Grinsen. „Freddie! Hi! Ich dachte, du kommst erst Ende der Woche?“

„Ich liebe Überraschungen“.

„So eine Überraschung lasse ich mir gern gefallen“. Zack versetzte dem randvollen Bierkrug einen geübten Schubs, sodass er die Theke entlangschlitterte und direkt in den wartenden Händen des Gastes landete. Dann beugte er sich vor, umrahmte Freddies Gesicht mit seinen großen Händen und gab ihr einen schmatzenden Kuss. „Hübscher denn je“.

„Du auch“.

Was tatsächlich stimmte. Zack war wie guter Whiskey, dessen Aroma erst im Laufe der Jahre zu voller Blüte heranreifte. Sein dunkles Haar war noch immer voll und lockig, und die dunkelblauen Augen hatten einen magnetischen Glanz. Sein Gesicht war kantig und sonnengebräunt, mit Lachfältchen, die seinen Charme noch erhöhten.

Nicht das erste Mal in ihrem Leben fragte Freddie sich, warum sie nur von diesen außergewöhnlich gut aussehenden Menschen umgeben war. „Wie geht es Rachel?“, erkundigte sich Freddie.

„Euer Ehren geht es prächtig“.

Freddie grinste. Zacks Frau – ihre Tante – war kürzlich zur Richterin ernannt worden. „Wir sind alle so stolz auf sie“.

„Eine Richterin in der Familie zu haben ist schon was“. In seinen Augenwinkeln bildeten sich Lachfältchen. „Und sie sieht großartig aus in dieser schwarzen Robe“.

„Das kann ich mir gut vorstellen. Wie geht’s den Kindern?“

„Dem schrecklichen Trio? Bestens. Was trinkst du, ein Mineralwasser?“

Sie legte den Kopf schräg. „Willst du dich mit mir anlegen, Zack? Ich bin vierundzwanzig, erinnerst du dich?“

Sein Kinn reibend, musterte er sie. Ihre zierliche Gestalt und die weiche Haut würden vielleicht immer über ihr wahres Alter hinwegtäuschen. Wenn er sie nicht ebenso gut gekannt hätte wie seine eigenen Kinder, hätte er sich ihren Ausweis zeigen lassen.

„Nimm es mir nicht übel. Ich kann es nur noch immer nicht fassen. Die kleine Freddie – erwachsen“.

„Du sagst es“. Sie schlug die Beine übereinander. „Warum also gibst du mir nicht einen Weißwein?“

„Sofort“. Seine langjährige Erfahrung befähigte ihn, ohne sich umzudrehen, nach dem richtigen Glas zu greifen. „Und wie geht es deinen Leuten so?“

„Auch gut, danke. Ich soll von allen schöne Grüße bestellen“. Sie nahm das gefüllte Glas entgegen und prostete ihm zu. „Auf die Familie“.

Zack stieß mit einer Flasche Mineralwasser mit ihr an. „So, und was hast du für Pläne, Honey?“

„Oh, eine ganze Menge“. Sie lächelte, ehe sie einen Schluck nahm. Und sich fragte, was er wohl dazu sagen würde, wenn sie ihm von ihrem Generalstabsplan, seinen jüngeren Bruder betreffend, erzählte. „Als Erstes muss ich eine Wohnung finden“.

„Du weißt, dass du so lange bei uns wohnen kannst, wie du willst“.

„Ich weiß. Oder bei Grandma und Papa oder Mikhail und Sydney oder Alex und Bess“. Sie lächelte erneut. Es war tröstlich zu wissen, dass man von Menschen, die einen liebten, umgeben war. Aber … „Ich will wirklich meine eigene Wohnung“. Sie stützte sich mit einem Ellenbogen auf der Theke auf. „Es wird Zeit für einen kleinen Vorstoß ins Unbekannte“. Als er widersprechen wollte, schüttelte sie lächelnd den Kopf. „Du hast doch nicht etwa vor, mich eines Besseren zu belehren, Onkel Zack? Ausgerechnet du, der schon als Junge zur See gefahren ist?“

Jetzt hat sie dich, dachte er. Er war viel jünger gewesen als vierundzwanzig, als er von zu Hause weggegangen war. „Also schön, dann eben keine Belehrung. Aber ich werde dich gut im Auge behalten“.

„Davon gehe ich aus“. Freddie lehnte sich zurück und kippelte ein bisschen mit dem Barhocker, dann fragte sie – beiläufig, wie sie hoffte: „Und was treibt Nick so? Ich war darauf gefasst, ihm direkt in die Arme zu laufen“.

„Er hat Wichtiges zu tun: Er ist hinten in der Küche und schaufelt sich Rios Spezialpasta rein“.

Sie hob die Nase. „Riecht himmlisch. Ich denke, ich geh mal kurz nach hinten und begrüße ihn“.

„Tu das. Und sag Nick, dass wir erwarten, dass er für sein Mittagessen etwas spielt“.

„Mach ich“.

Sie griff nach ihrem Weinglas und widerstand dem Drang, erneut an ihrem Jackensaum zu zerren. Was ihre äußere Erscheinung anbelangte, hatte sie ohnehin längst resigniert. „Niedlich“ war anscheinend das Äußerste, was sich aus ihrer zierlichen Figur herausholen ließ. Ihre Fantasien von üppigen Kurven hatte sie bereits seit Langem ad acta gelegt.

Zusätzlich zu ihrem zarten Knochenbau und den wilden goldenen Locken musste sie auch noch mit Sommersprossen auf einer kecken Stupsnase leben. Hinzu kamen große graue Augen und Grübchen. Im Teenageralter hatte sie sich danach gesehnt, kühl, distanziert und weltgewandt auszusehen. Oder wild und verrucht, mit atemberaubenden Rundungen. Doch mit der Zeit hatte sie gelernt, sich so zu akzeptieren, wie sie war – zumindest redete sie sich das gern ein.

Und doch gab es immer noch diese Momente, in denen sie trauerte, dass sie es niemals mit einer der Renaissance-Skulpturen im Haus ihrer Eltern würde aufnehmen können.

Aber dann erinnerte sie sich immer wieder daran, dass sie sich zuerst selbst ernst nehmen musste, wenn sie wollte, dass Nick sie als Frau ernst nahm.

Eingedenk dieser Erkenntnis stieß sie jetzt die Küchentür auf. Und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus.

Es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. So war es jedes Mal gewesen, wenn sie ihn wiedergesehen hatte, seit zehn Jahren nun schon. Alles, was sie sich je ersehnt, und alles, wovon sie je geträumt hatte, saß dort, über einen Teller Fettucine Marinara gebeugt, am Küchentisch.

Nicholas LeBeck, der böse Junge, den ihre Tante Rachel vor Gericht so leidenschaftlich verteidigt hatte. Tante Rachel, der es mit Liebe, Fürsorge und Familiendisziplin gelungen war, den auf die schiefe Bahn geratenen Jugendlichen auf den rechten Weg zurückzubringen.

Jetzt war er ein Mann, aber man konnte ihm noch immer etwas von der Rebellion und Wildheit seiner Jugendjahre ansehen. Es liegt in seinen Augen, dachte sie, während sie spürte, wie ihr Herz wild klopfte. Diese wunderschönen grünen Augen, die sein hitziges Temperament widerspiegelten. Sein Haar, das einen dunklen Bronzeton hatte, trug er lang und im Nacken zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hatte den Mund eines Dichters, das Kinn eines Boxers und die Hände eines Künstlers.

Sie hatte viele Nächte damit zugebracht, sich diese langgliedrigen und doch kräftigen Hände in Erinnerung zu rufen. Sein Körperbau war der eines Sprinters, hochgewachsen und sehnig, mit langen, muskulösen Armen und Beinen. Er trug alte graue Jeans, die an den Knien bereits weiß wurden. Seine Ärmel hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, und an seinem Hemd fehlte ein Knopf.

Während er aß, unterhielt er sich mit dem riesigen schwarzen Koch, der gerade das Fett aus einem Drahtkorb für Pommes frites herausschrubbte.

„Ich habe nicht gesagt, dass es zu viel Knoblauch ist. Ich sagte, ich liebe viel Knoblauch“. Wie um seine Behauptung zu unterstreichen, ließ sich Nick noch eine Gabel Pasta schmecken. „Du bist wirklich noch ganz schön temperamentvoll für dein Alter, Kumpel“, fügte er kauend hinzu.

In Rios gutmütigem Fluch schwang die Musik der Karibik mit. „Erzähl du mir nichts von Alter, du halbe Portion, du. Mit dir nehme ich es immer noch mit einer Hand auf, wenn es sein muss“.

„Mir schlottern die Knie“. Grinsend brach Nick sich ein Stück Knoblauchbrot ab, als hinter Freddie die Drehtür zuschwang. Seine Augen leuchteten freudig auf, während er das Brot wieder zurücklegte und sich erhob. „He, Rio, schau mal, wer uns die Ehre gibt. Wie läuft’s denn so, Freddie?“

Er kam zu ihr herüber, um sie brüderlich zu umarmen. Doch als ihn der Körper, den er da an sich presste, daran erinnerte, dass die kleine Freddie mittlerweile eine Frau war, ließ er sie eilig los.

„Äh …“ Er wich einen Schritt zurück, noch immer lächelnd, die Hände jetzt aber vorsichtshalber in den Hosentaschen. „Ich dachte, du wolltest erst Ende der Woche hier aufkreuzen“.

„Ich habe umdisponiert. Hi, Rio“. Freddie stellte ihr Weinglas ab, damit sie die bärenhafte Umarmung angemessen erwidern konnte.

„Püppchen. Komm, setz dich hin und iss“.

„Ich wüsste nicht, was ich lieber täte. Ich habe die ganze Fahrt über im Zug von deinem Essen geträumt, Rio“. Sie setzte sich an den Küchentisch und winkte Nick zu. „Setz dich doch auch wieder, dein Essen wird kalt“.

„Ja“. Er ließ sich neben ihr nieder. „Und wie geht es allen? Spielt Brandon immer noch in der Mannschaft?“

„Ja, sie sind aufgestiegen“. Sie stieß einen langen, genüsslichen Seufzer aus, als Rio einen riesigen Teller vor sie hinstellte. „Und Katies letzter Ballettabend war traumhaft. Wir waren alle begeistert. Mama hat vor Rührung sogar geweint, aber … ihr steigt ja auch das Wasser in die Augen, wenn Brandon einen Homerun schlägt. Über Mamas Spielzeugladen wurde in der Washington Post berichtet, und Dad hat eben eine neue Komposition fertiggestellt“. Sie wickelte sich Nudeln um ihre Gabel. „Und wie läuft’s bei dir?“

„Bestens“.

„Arbeitest du an einem neuen Stück?“

„Ich habe vielleicht demnächst wieder so einen Broadway-Kram in Aussicht“. Er zuckte mit den Schultern. Es fiel ihm noch immer schwer, aus sich herauszugehen, wenn ihn irgendetwas berührte.

„Du hättest den Tony für das geniale ‘Last Stop’ gewinnen sollen“.

„Nominiert zu werden war doch auch schon ziemlich gut“.

Sie schüttelte den Kopf. Es war längst nicht gut genug für ihn – oder für sie. „Es war eine fabelhafte Partitur, Nick. Es ist eine fabelhafte Partitur“, korrigierte sie sich, weil das Musical noch immer vor ausverkauften Häusern lief. „Wir sind alle schrecklich stolz auf dich“.

„Na ja. Irgendwie muss man sein Geld ja verdienen, nicht wahr“.

„Setz ihm bloß keine Flausen in seinen hübschen Kopf, sonst plustert er sich noch mehr auf“, warnte Rio vom Herd her.

„He, ich hab dich eben dabei ertappt, wie du ‘This Once’ gesummt hast“, mischte sich Nick mit einem Grinsen ein.

Rio zuckte wegwerfend die Schultern. „Also schön, ein oder zwei von den Songs sind vielleicht gar nicht mal so schlecht. Iss“.

„Arbeitest du wieder mit irgendwem zusammen?“, tastete sich Freddie behutsam vor. „Bei dem neuen Stück, meine ich?“

„Bis jetzt noch nicht. Es befindet sich noch im Vorbereitungsstadium. Ich habe kaum angefangen“.

Genau das hatte sie hören wollen. „Ich habe irgendwo gelesen, dass Michael Lorrey an einem anderen Projekt arbeitet. Du wirst einen neuen Texter brauchen“.

„Ja“. Nick runzelte die Stirn. „Verdammt schade. Wir waren ein gutes Gespann. Es gibt einfach viel zu viele Leute da draußen, die die Musik nicht hören, sondern nur ihre eigenen Worte“.

„Dann hast du tatsächlich ein Problem“, machte Freddie sich selbst den Weg frei. „Weißt du, ich finde, du brauchst jemanden mit einem wirklich soliden Musikhintergrund, der die Worte zusammen mit der Melodie hört“.

„Exakt“. Er griff nach seinem Bier und nahm einen Schluck.

„Ich kann dir ganz genau sagen, wen du brauchst, Nick“. Freddie machte eine Kunstpause und fuhr dann entschieden fort: „Mich“.

Nick schluckte hastig, stellte sein Glas ab und schaute Freddie an, als ob sie aufgehört hätte, Englisch zu sprechen. „Hä?“

„Ich habe mein Leben lang mit Musik zu tun gehabt“. Es war ein Kampf, aber sie schaffte es, den Eifer aus ihrer Stimme herauszuhalten und kühl und sachlich zu bleiben. „Eine meiner ersten Erinnerungen ist, dass ich auf dem Schoß meines Vaters sitze und auf dem Klavier herumklimpere. Aber zu seiner Enttäuschung war nicht das Komponieren meine große Liebe, sondern es waren die Worte. Sie sind es immer noch. Ich könnte dir deine Texte schreiben, Nick, und ich könnte es besser als jeder andere“. Ihre Augen, groß und ruhig und lächelnd, begegneten den seinen. „Weil ich nicht nur deine Musik verstehe, sondern auch dich. Was hältst du davon?“

Er rutschte auf seinem Stuhl herum und atmete laut aus. „Tja … also … ich weiß nicht so recht, Freddie. Das kommt ziemlich überraschend, ehrlich gesagt“.

„Ich weiß nicht, was daran überraschend sein soll. Du weißt, dass ich für einige von Dads Kompositionen den Text geschrieben habe. Und für ein paar andere Leute auch“. Sie brach sich ein Stück Brot ab. „Es erscheint mir eine nur logische und vernünftige Lösung. Ich suche Arbeit, und du suchst einen Texter“.

„Ja“. Aber die Vorstellung, mit ihr zu arbeiten, machte ihn irgendwie nervös. Wenn er ganz ehrlich war, musste er zugeben, dass sie schon in den letzten Jahren angefangen hatte, ihn nervös zu machen.

„Dann denk eben noch ein bisschen darüber nach“. Sie lächelte wieder. Als Mitglied einer großen Familie beherrschte sie die Taktik des strategischen Rückzugs vollkommen. „Und wenn du anfängst, an der Idee Geschmack zu finden, könntest du sie dem Produzenten nahebringen“.

„Das könnte ich“, sagte Nick bedächtig. „Sicher könnte ich das“.

„Großartig, Nick. Ich schaue ab und zu hier rein, und wenn sonst etwas ist, kannst du mich im Waldorf erreichen“.

„Im Waldorf? Warum wohnst du denn im Hotel?“

„Es ist nur vorübergehend, bis ich eine Wohnung gefunden habe. Du weißt nicht zufällig etwas hier in der Gegend, nein? Ich mag das Viertel“.

„Nein, ich … Mir war nicht klar, dass du vorhast, auf Dauer hier zu wohnen“. Er zog die Brauen zusammen. „Ich meine, dass du richtig umziehen willst“.

„Schön, jetzt weißt du’s. Und bevor du damit anfängst – nein, ich habe nicht die Absicht, bei der Familie zu wohnen. Ich will wissen, wie es ist, allein zu leben. Du wohnst immer noch oben, stimmt’s? In Zacks alter Wohnung?“

„Ja“.

„Also, wenn du irgendetwas von einer freien Wohnung hörst, sag mir Bescheid“.

Es überraschte ihn, dass er sich, wenn auch nur für einen Moment, Gedanken darüber machte, was ihr Umzug nach New York für ihn bedeuten könnte. Natürlich bedeutete es gar nichts.

„Dich kann ich mir besser in der Park Avenue vorstellen“.

„Ich habe schon einmal in der Park Avenue gewohnt“, sagte sie, während sie die letzten Nudeln in den Mund schob. „Ich suche jetzt etwas anderes“. Und wäre es nicht praktisch, wenn die Wohnung ganz in seiner Nähe läge? Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht und rutschte mit ihrem Stuhl vom Tisch ab. „Rio, deine Pasta war sensationell. Wenn ich hier in der Nähe etwas finde, komme ich jeden Abend zum Essen vorbei“.

„Vielleicht schmeißen wir Nick ja raus, damit du oben wohnen kannst“. Rio zwinkerte ihr zu. „Ich würde viel lieber dich in meiner Küche sehen“.

„Schön, und in der Zwischenzeit …“, sie stand auf und küsste Rio die vernarbte Wange, „… bittet dich Zack, nach draußen zu kommen, wenn du fertig bist, Nick, und etwas zu spielen“.

„Bin gleich unterwegs“.

„Ich sag es ihm. Vielleicht bleibe ich noch ein bisschen und höre zu. Tschüss, Rio“.

„Tschüss, Püppchen“. Rio pfiff eine Melodie, während er wieder anfing, sich an seinem Herd zu schaffen zu machen. „Die kleine Freddie ist erwachsen geworden. Hübsch, wie gemalt“.

„Ja, sie ist okay“. Nick schob den Gedanken, dass der würzige Duft ihres Parfums an seinen Sinnen zerrte wie ein Fisch am Angelhaken, weit von sich. „Aber noch immer naiv. Sie hat ja keinen Schimmer, was sie in dieser Stadt und in diesem Geschäft erwartet“.

„Deshalb musst du auf sie aufpassen“. Rio klatschte sich mit einer Gabel auf die riesige Handfläche. „Und ich passe auf dich auf“.

„Geschwätz“. Nick schnappte sich seine Bierflasche und stiefelte nach draußen.

Was sie an New York am meisten liebte, war die Tatsache, dass sie alles, was ihr Herz begehrte, im Umkreis von zwei Straßen fand und praktisch nur um die Ecke zu gehen brauchte. Ein Kleid in einer schicken Boutique, ein interessantes Gesicht in der Menge, Straßenmusikanten, die für ein paar Münzen im Hut spielten. Sie wusste, dass sie in gewisser Hinsicht naiv war – wie eine junge Frau, die in einem liebevollen Elternhaus in einer Kleinstadt groß geworden war, eben naiv war. Nie würde sie Nicks tollkühne Abgeklärtheit erreichen, wenn es darum ging, wie man sich auf den Straßen einer Großstadt zu bewegen hatte, aber sie war eigentlich überzeugt, über einen gesunden Menschenverstand zu verfügen. Und den würde sie einsetzen, um ihren ersten Tag in der Stadt zu planen.

Während sie an ihrem Frühstückscroissant knabberte, ließ sie den Blick aus dem Fenster des Hotelspeisesaals über die Stadt schweifen. Sie hatte sich für heute eine ganze Menge vorgenommen. Als Erstes würde sie Onkel Mikhail in seiner Galerie besuchen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie würde sich über alle Neuigkeiten informieren können, und vielleicht wusste Sydney, Mikhails Frau, durch ihre Verbindung zur Immobilienbranche ja etwas über eine freie Wohnung.

Außerdem konnte es nichts schaden, ihm – und den anderen Familienmitgliedern – durch die Blume zu verstehen zu geben, dass sie darauf hoffte, bei Nicks neuestem Werk mitarbeiten zu können.

Nicht gerade fair, gestand sie sich still ein, als sie sich ihre zweite Tasse Kaffee einschenkte. Aber in der Liebe galt Fairness nicht unbedingt viel. Und sie würde auch nie auf eine solch unwürdige Taktik verfallen, wenn sie nicht von ihrem eigenen Talent überzeugt wäre. Denn was Musik und Texten anbelangte, da war sie sich ihrer ganz sicher. Nur wenn es darum ging, Eindruck auf Nick zu machen, kam sie ins Stolpern.

Aber wenn sie erst einmal eng zusammenarbeiteten, würde er aufhören, sie nur als die kleine Cousine aus West Virginia anzusehen. Und da sie sich bewusst war, dass sie nie mit den lasziven und üppigen Damen konkurrieren konnte, die Nick normalerweise bevorzugte, würde sie eben die gemeinsame Liebe zur Musik als die Hintertür benutzen, durch die sie sich in sein Herz schleichen konnte.

Schließlich war das alles ja nur zu seinem Besten. Sie war das Beste, was ihm passieren konnte. Sie musste es ihm nur noch klarmachen.

Und da es nie eine bessere Zeit als das Jetzt gab, erhob sie sich vom Frühstückstisch und eilte in ihr Zimmer, um sich umzuziehen.

Eine knappe Stunde später stieg Freddie vor einer Galerie in Soho aus dem Taxi. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass sie ihren Onkel hier wirklich antreffen würde. Es konnte genauso gut sein, dass er in dem Haus in Connecticut war und an einer Skulptur arbeitete oder mit den Kindern spielte. Oder er war vielleicht mit seinem Vater irgendwo in der Stadt zu irgendeinem Tischlerjob unterwegs.

Freddie schob die schwere Glastür auf. Wenn sie Mikhail nicht antraf, dann würde sie eben bei Sydney im Büro vorbeischauen. Oder Rachel im Gerichtsgebäude besuchen. Oder Bess im Fernsehstudio. Oder Alex auf der Wache. Sie musste lächeln. Egal wohin sie auch ging, überall würde sie über Familie stolpern.

Das Erste, was sie in dem sonnendurchfluteten Raum wahrnahm, war Mikhails neueste Arbeit. Auch wenn sie das Stück noch nicht gesehen hatte, so erkannte sie doch sofort die typische Handschrift ihres Onkels und auch das Thema. Er hatte seine Frau geschnitzt, in Mahagoni. Wie eine Madonna hielt Sydney ihr Neugeborenes im Arm. Die Jüngste, Laurel. Zu Sydneys Füßen saßen drei weitere Kinder. Freddie erkannte ihre Cousins und ihre Cousine, Griff, Adam und Moira. Sie konnte nicht widerstehen und fuhr dem Baby mit dem Zeigefinger über die Wange.

Eines Tages, so dachte sie, werde ich mein eigenes Kind so halten. Nicks und mein Kind.

„Ich warte nicht auf Faxe!“, erscholl da Mikhails erregte Stimme, als er aus dem hinteren Raum in die Galerie kam. „Du wartest auf Faxe! Ich habe zu arbeiten!“

„… aber Mik“, folgte eine vorwurfsvolle Antwort aus dem Zimmer, „Washington hat gesagt …“

„Was interessiert mich, was Washington gesagt hat! Sag ihnen, sie können drei Stücke haben, mehr nicht“.

„Aber …“

„Nicht eines mehr“, betonte er noch einmal und murmelte erbost in Ukrainisch vor sich hin, während er die Galerie durchschritt. Worte, die, wie Freddie mit einer hochgezogenen Augenbraue feststellte, ganz sicher nicht für ihre Ohren bestimmt waren.

„Eine sehr bildhafte Ausdrucksweise, Onkel Mik“.

Er brach mitten in einem weiteren Fluch ab. „Freddie!“ Lachend hob er sie vom Boden hoch und wirbelte sie herum, als wäre sie leicht wie eine Feder. „Immer noch ein Fliegengewicht“. Er küsste sie herzhaft und stellte sie wieder auf den Boden. „Wie geht es unserem hübschen Mädchen?“

„Ich freu mich so, wieder hier zu sein. Und dich zu sehen, natürlich“.

Er war ein unglaublich gut aussehender Mann, ungebändigt, exotisch, voller Energie und Lebenslust, mit den goldbraunen Augen und dem rabenschwarzen Haar der Stanislaskis. Hätte sie Talent zum Malen, so würde sie die Stanislaski-Familie mit schwungvollen Strichen in elektrisierenden Farben malen.

„Ich habe gerade dein neuestes Werk bewundert“, sagte sie lächelnd. „Es ist wunderschön“.

„Es ist leicht, etwas Schönes zu erschaffen, wenn man das passende Material zum Arbeiten hat“. Liebevoll betrachtete er die Skulptur. Er bezog sich nicht nur auf das edle Holz, sondern auch auf das Motiv. „Also“, wandte er sich wieder an Freddie, „du willst den Sprung ins kalte Wasser wagen und die Großstadt erobern, ja?“

„Das habe ich vor“. Sie hakte sich bei ihm ein und ging mit ihm durch die Galerie, blieb hier und da vor den ausgestellten Werken stehen, um sie zu bewundern. „Ich hoffe, ich werde mit Nick an seiner neuen Partitur arbeiten können“.

„So?“ Mikhail hob unmerklich eine Augenbraue. Ein Mann, der von so vielen Frauen umgeben war, begann zu verstehen, wie deren Verstand arbeitete. „Du willst also den Text zu seiner Musik schreiben?“

Sie nickte. „Wir würden ein gutes Team abgeben, meinst du nicht auch?“

„Schon, aber das ist nicht alles, worum es dir geht, oder?“ Er lachte herzhaft, als sie einen entrüsteten Schmollmund zog. „Nick kann ganz schön stur sein, ich weiß. Er hat einen richtigen Dickschädel. Wenn du möchtest, kann ich ihm diesen Dickschädel ein wenig weich klopfen“.

Jetzt musste sie auch lachen. „Ich hoffe, das wird nicht nötig sein, aber vielleicht komme ich auf das Angebot zurück“. Ihre Miene wurde ernst, und etwas in ihrem Blick ließ Mikhail erkennen, dass sie kein Kind mehr war. „Ich bin wirklich gut, Onkel Mik. Die Musik liegt mir im Blut, sie ist ein Teil von mir. So wie die Kunst bei dir“.

„Und wenn du etwas willst …“

„Dann finde ich einen Weg, um es auch zu bekommen“. Dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein war ebenfalls ein Teil von ihr. „Ich will mit Nick arbeiten, ich will ihm helfen. Und das werde ich auch tun“.

„Und was willst du von mir?“

„Vielleicht werde ich die Unterstützung der Familie brauchen, obwohl ich eigentlich glaube, dass es mir auch so gelingen wird, ihn zu überzeugen“. Sie warf ihr Haar zurück, eine Geste, die Mikhail sehr an seine Schwester erinnerte. „Zuerst brauche ich einmal Hilfe oder zumindest Rat, wie ich an eine Wohnung komme. Ich dachte mir, Tante Sydney wüsste vielleicht etwas in der Nähe der Bar“.

„Schon möglich, aber wir haben genug Platz bei uns im Haus. Die Kinder würden sich freuen, wenn du bei uns wohnen würdest. Und Sydney auch“. Er seufzte, als er ihr Gesicht sah. „Ich habe deiner Mutter versprochen, ich würde es wenigstens versuchen. Du weißt doch, dass Natasha sich Sorgen um dich macht“.

„Das braucht sie aber nicht. Schließlich haben sie und Dad alles darangesetzt, um eine sehr eigenständige Person zu erziehen. Die Wohnung muss auch nicht groß sein, Onkel Mik“, fuhr sie hastig fort, bevor er etwas erwidern konnte. „Ich bin im Waldorf untergekommen, vielleicht kannst du Tante Sydney ja bitten, mich dort anzurufen, wenn sie etwas hört. Wir könnten uns auch zum Lunch treffen, wenn sie Zeit hat“.

„Sie hat immer Zeit für dich. Wir alle“.

„Ich weiß. Ich gedenke auch, das auszunutzen. Ich will diese Wohnung so schnell wie möglich. Bevor“, sie begann zu grinsen, „Grandma auf die Idee kommt, dass ich zu ihr nach Brooklyn ziehen soll. Aber jetzt muss ich gehen“. Sie drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Wange. „Ich muss noch woanders hin“. Sie ging zur Tür, drehte sich noch einmal um. „Oh, wenn du mit Mama redest, dann sage ihr ruhig, du hättest es versucht“. Ein letztes Winken, und damit stand sie auf der Straße und hielt ein Taxi an.

Nun, da der erste Punkt auf ihrer Liste der zu erledigenden Dinge in Gang gesetzt worden war, ließ sie sich zum „Lower the Boom“ fahren und läutete am Hintereingang bei Nicks Wohnung, die über dem Lokal ihres Onkel Zackary Muldoon lag. Es dauerte eine Weile, bis sie Nicks verschlafene und sehr verärgerte Stimme durch die Gegensprechanlage hörte.

„Noch im Bett?“, erkundigte sie sich munter. „Du wirst langsam zu alt für wilde Nächte, Nicholas“.

„Freddie? Wie spät ist es, zum Teufel?“

„Zehn, aber wen interessiert das schon? Lass mich rein, ja? Ich habe etwas für dich dabei. Ich lege es unten auf den Küchentisch“.

Er fluchte, und sie hörte, wie etwas zu Boden fiel. „Ich komme runter“.

„Nein, nicht nötig“. Sie glaubte nicht, ihn halb verschlafen und noch warm vom Bett aushalten zu können. „Ich kann ohnehin nicht bleiben. Mach mir einfach nur auf und ruf mich an, wenn du dir das, was ich dir hinlege, angeschaut hast“.

„Was ist es denn?“, fragte er, während der Türdrücker summte.

Statt einer Antwort huschte Freddie hinein, ließ ihre Musikmappe auf den Küchentisch fallen und raste wie ein geölter Blitz wieder hinaus. „Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, Nick“, rief sie durch die Gegensprechanlage. „Wenn du heute Abend Zeit und Lust hast, können wir zusammen essen gehen. Bis dann“.

„Warte doch, verdammt …“

Aber sie war schon an der Ecke, wo ihr Taxi wartete. Sie stieg ein, lehnte sich zurück, atmete tief aus und schloss die Augen. Wenn er sie – ihr Talent, korrigierte sie sich – nach dem, was sie ihm dagelassen hatte, nicht wollte, musste sie wieder ganz bei null anfangen.

Denk positiv, rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie straffte die Schultern und verschränkte die Arme. „Bringen Sie mich zu Sak’s“, sagte sie dem Fahrer.

Wenn eine Frau eine mögliche Verabredung mit dem Mann hatte, den sie zu heiraten beabsichtigte, verdiente sie zumindest ein neues Kleid.

2. Kapitel

Bis Nick schließlich seine Jeans gefunden und angezogen hatte und die Treppe hinuntergestolpert war, war Freddie schon lange weg. Er fluchte, als er sich seinen nackten Zeh an dem klobigen Bein des Küchentischs stieß. Mit finsterem Gesicht humpelte er auf die schmale Ledermappe zu, die sie zurückgelassen hatte.

Was zum Teufel stellte die Kleine da an? Weckte ihn in aller Herrgottsfrühe und hinterließ mysteriöse Mappen auf dem Küchentisch. Noch immer ungehalten vor sich hin brummelnd, schnappte er sich das Portfolio und ging wieder in seine Wohnung hinauf. Er brauchte unbedingt einen Kaffee.

Um in seine eigene Küche zu gelangen, musste er über Berge von alten Zeitungen, Kleidern, Schuhen und für nichtig befundene angefangene Notenblätter steigen. Er warf Freddies Portfolio auf die zugemüllte Arbeitsplatte und kramte in seinen allerhintersten Gehirnwindungen nach den Basisfunktionen seiner Kaffeemaschine.

Er war einfach kein Morgenmensch.

Als die Maschine das erste vielversprechende Zischen von sich gab, öffnete er den Kühlschrank und beäugte trübe den Inhalt. Frühstück gab es nicht auf der Speisekarte des „Lower the Boom“, und obwohl es die einzige Mahlzeit war, bei der er sich nicht auf Rio verlassen konnte, waren seine Mittel beschränkt. In dem Moment, in dem er an der Milchtüte roch und würgte, wusste er, dass er Müsli streichen konnte. Er entschied sich stattdessen für einen Knabberriegel.

Bewaffnet mit einer Tasse Kaffee, setzte er sich an den Tisch, steckte sich eine Zigarette an und zog den Reißverschluss des Portfolios auf.

Er war fest entschlossen, alles zu verwerfen, was Freddie ihm da in aller Herrgottsfrühe hatte zukommen lassen, auch wenn sie selbst es wichtig genug fand, ihn dafür aufzuwecken. Selbst verwöhnte Kleinstadtgören sollten wissen, dass Bars nicht gerade früh zumachten. Und seit er für seinen Bruder die Spätschicht übernommen hatte, fand Nick selten vor drei Uhr morgens ins Bett.

Mit einem herzhaften Gähnen schüttelte er den Inhalt aus dem Portfolio heraus. Ordentlich beschriebene Notenblätter flatterten auf den Tisch.

Das hätte er sich gleich denken können. Die Kleine hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sie beide zusammenarbeiten würden. Und er kannte Freddie gut genug, um zu wissen, dass man, wenn sich einmal ein Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt hatte, schon ein Stemmeisen brauchte, um ihn zu lockern.

Zweifellos hat sie Talent, dachte er. Wie hätte die Tochter von Spence Kimball auch unmusikalisch sein können. Aber er war nicht sonderlich wild auf Teamarbeit. Natürlich stimmte es, dass die Zusammenarbeit mit Lorrey an „Last Stop“ erfreulich gewesen war. Aber Lorrey gehörte auch nicht zur Familie. Und er hatte auch nicht wie die mit Zuckerguss überzogene Sünde geduftet.

Vergiss es, LeBeck, ermahnte er sich und schob sich sein vom Schlaf zerzaustes volles Haar aus der Stirn, bevor er das erste Blatt zur Hand nahm. Das Mindeste, was er für seine kleine Cousine tun konnte, war, einen Blick auf ihre Arbeit zu werfen.

Und als er es tat, zog er die Augenbrauen zusammen. Die Musik war von ihm. Irgendetwas, das er nicht zu Ende komponiert hatte, ein paar Noten, die er während eines seiner Familienbesuche in West Virginia flüchtig auf ein Blatt gekritzelt hatte. Jetzt sah er sich wieder an dem Flügel im Musikzimmer des großen Hauses sitzen, Freddie auf der Bank neben sich. War es letzten Sommer gewesen? Oder im Sommer davor? Sehr lange konnte es jedenfalls nicht her sein, weil er sich noch genau daran erinnerte, dass ihm aufgefallen war, wie erwachsen sie geworden war. Er hatte ein paar Probleme gehabt, als sie sich zu ihm herübergelehnt oder ihm aus diesen unglaublich großen, rauchgrauen Augen Blicke zugeworfen hatte.

Nick schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und konzentrierte sich wieder auf die Musik. Sie hat sie überarbeitet, registrierte er und stutzte ein wenig bei der Vorstellung, dass sich jemand an seiner Arbeit zu schaffen machte. Und sie hatte einen Text dazu geschrieben, Worte, die auf die romantische Stimmung, die die Musik herbeizauberte, haargenau passten.

„Immer nur Du“ hatte sie es überschrieben. Während die Melodie in seinem Kopf ertönte, begann er die Notenblätter einzusammeln, ließ seinen angebissenen Knabberriegel liegen und ging ins Wohnzimmer ans Klavier.

Zehn Minuten später telefonierte er mit dem Waldorf und hinterließ die erste von mehreren Nachrichten für Miss Frederica Kimball.

Es war später Nachmittag, als Freddie mit roten Wangen und schwer bepackt mit Einkaufstüten in ihre Suite zurückkehrte. Ihrer Meinung nach hatte sie einen herrlichen Tag verbracht. Erst war sie einkaufen gewesen, dann hatte sie mit Rachel und Bess zu Mittag gegessen, und hinterher war sie noch ein bisschen durch die Straßen geschlendert. Nachdem sie ihre Tüten im Salon abgestellt hatte, stürzte sie sich aufs Telefon. Um diese Tageszeit war es höchst wahrscheinlich, dass zumindest ein paar, wenn nicht sämtliche Mitglieder ihrer Familie zu Hause versammelt waren. Das rote Licht blinkte, was ankündigte, dass unten bei der Rezeption ein Anruf für sie eingegangen war. Aber bevor sie noch nach dem Hörer greifen konnte, klingelte das Telefon.

„Hallo“.

„Verdammt, Freddie, wo hast du dich denn den ganzen Tag rumgetrieben?“

Angesichts des Klangs von Nicks Stimme zogen sich ihre Lippen leicht nach oben. „Hier und da, warum fragst du?“

„Sehr witzig, Freddie. Ich bin schon den geschlagenen Tag hinter dir her. Ich war bereits drauf und dran, Alex anzurufen und ihn zu bitten, dass er eine Vermisstenanzeige aufgibt“. Er hatte sie sich ausgeraubt, geschändet und gekidnappt vorgestellt.

Sie balancierte von einem Bein aufs andere und schüttelte sich die Schuhe von den Füßen. „Nun, wenn du es getan hättest, hättest du erfahren, dass ich einen Teil des Tages damit verbracht habe, mit seiner Frau zu Mittag zu essen. Gibt es ein Problem?“

„Ein Problem? Nein, natürlich nicht, was für ein Problem sollte es wohl geben?“ Selbst durchs Telefon war sein Sarkasmus fast mit Händen zu greifen. „Du reißt mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf …“

„Nach zehn“, unterbrach sie ihn.

„… und dann tauchst du den ganzen Tag über ab“, fuhr er fort, ohne ihren Einwurf zu beachten. „Mir scheint, ich muss dich daran erinnern, dass du um meinen Rückruf gebeten hast“.

„Ja“. Sie wappnete sich, dankbar dafür, dass er sie nicht sehen konnte – oder die Hoffnung in ihren Augen. „Bist du dazu gekommen, einen Blick auf die Notenblätter zu werfen, die ich dir dagelassen habe?“

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