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Der letzte Drachenlord

Seit Jahrhunderten tobt ein Kampf zwischen Drachen und Vampiren. Welche Seite wird es schaffen, den magischen Kristall in ihre Hände zu bekommen?

Ein Kristall, der die Macht verleiht, die Welt zu beherrschen - oder sie zu zerstören. Vampirprinzessin Alexia Feodorovna muss ihn unbedingt aufspüren, um ihren Herrschaftsanspruch zu sichern. Doch der Einzige, der ihr vielleicht sagen kann, wo der Kristall der Draco sich befindet, liegt verblutend zu ihren Füßen. Declan Black, der faszinierende Drachenkönig - und ihr Erzfeind. Soll sie ihn sterbend seinem Schicksal überlassen, oder ihren Gefühlen nachgeben und ihm helfen - und damit den Untergang ihres Volkes riskieren?


  • Erscheinungstag: 12.03.2012
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862783946
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie hatte sichergestellt, dass es keine Leichen geben würde, die sie begraben konnten.

Hass und Wut lasteten schwer auf den Schultern von Declan Black, die von seiner plötzlichen Verantwortung als König sowieso schon niedergedrückt genug waren. Seit die Nachricht vom Tode seiner Eltern in der Drachenhöhle eingetroffen war, ging Declan nur ein einziger Gedanke durch den Kopf, nämlich dass sie nicht in der Lage gewesen waren, ihre Leichen zu bergen, um sie ordnungsgemäß zu bestatten. Jeder einzelne Drache ihrer Sippe war auf den Berg gekommen, um sich von seinem König und der Königin zu verabschieden und Declan in sein neues Amt einzuführen. Aber die Königin der Vampire hatte dafür gesorgt, dass sie ihre uralten Sitten und Gebräuche nicht einhalten konnten.

Denn es gab keine Leichen, die sie begraben konnten.

Declan Black konnte keinen anderen Gedanken fassen. Außer Rache.

Er stand auf dem Vorsprung der Klippe und blickte durch die Dunkelheit hinab auf die aufgewühlte See, einige Dutzend Meter unter ihm. Das Mondlicht und der Nachtwind umschmeichelten seine bloße Brust, und der Wind trug einen Geruch mit sich. Die salzige Meeresluft überdeckte den Gestank des Todes, der über dem Strand lag. Die meisten Menschen hätten gar nichts davon bemerkt. Aber das Tier in Declan nahm diesen Hauch noch immer wahr.

Blut.

Declan kauerte sich hin. Die Spitze seines Stiefels ragte über den Felsvorsprung hinaus und löste ein paar kleine Steinchen, die nach unten Richtung Wasser rollten. Unerschrocken beugte er sich weiter vor und senkte den Kopf.

Sie war irgendwo da unten. Er konnte sie nicht sehen, aber er konnte sie riechen. Eine machtvolle Präsenz. Voller Bösartigkeit.

Sein scharfer Blick glitt über die zerklüfteten Klippen mit den Höhlen tief unter ihm, auf der Suche nach einem Eingang. Er hatte es schon immer merkwürdig gefunden, dass jeder der beiden verfeindeten Clans die Annehmlichkeiten von Höhlen für ihre Behausung bevorzugten. Die Vampire lebten unter der Erde, während die Drachen ihre Höhlen hoch oben in den Bergen hatten, um der immer gerisseneren menschlichen Bevölkerung aus dem Weg zu gehen. Außerdem bot so eine hoch gelegene Höhle Schutz und Sicherheit für Declans Spezies. Da es nur einen Eingang gab, wussten sie immer rechtzeitig Bescheid, wenn ihre Feinde im Anmarsch waren, und konnten sie von oben abwehren oder Gegenangriffe starten.

Die Katakomben der Vampire da unten waren ohne Zweifel genauso ausgeklügelt durchkonstruiert wie die Schlupfwinkel seiner eigenen Drachen. Er würde dort auf jede Menge Überraschungen stoßen. Er musste sehr vorsichtig sein.

Declan befingerte die braune Umhängetasche in seinen Händen und erhob sich. Trotz seiner Vorbehalte war ihm klar, dass nun er erledigen musste, woran seine Eltern schon beim Versuch zu Tode gekommen waren.

Wofür sie von ihr ermordet worden waren.

Jemand riss ihm die Tasche aus der Hand, und Declan wirbelte herum. Das finstere Stirnrunzeln, das sein Gesicht schon den ganzen Abend verdüsterte, vertiefte sich noch mehr, als er das kleine weibliche Wesen mit den violetten Augen erblickte.

„Tallon, verschwinde wieder in der Höhle“, befahl er und streckte die Arme aus. Sie bewegte sich schnell, hielt die Tasche immer außerhalb seiner Reichweite. Declan verdrehte die Augen. Sie waren doch keine Jungtiere mehr, die „Kriegst du nicht“ spielten.

„Ich komme mit dir.“

„Kommt gar nicht infrage.“ Declan entwand ihr die Tasche ohne große Anstrengung und kehrte ihr den Rücken zu. Er legte sich die Trageriemen um die breiten Schultern und achtete darauf, dass die Tasche tief genug hing, damit seine Flügel nicht den Stoff zerfetzten, wenn er seine Drachengestalt annahm.

„Sie sind auch meine Eltern gewesen, Declan.“

Er holte tief Luft und stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen wieder aus. „Tallon, bitte. Das Thema ist erledigt. Du warst dabei, als ich es dem Rat mitteilte. Ich werde allein gehen.“

Mit kräftigem Griff umfasste sie seine Schulter, sodass er sich umdrehen musste. „Die Königin wird dich erwischen, und dann wird sie dich foltern, genau wie sie es mit unseren Eltern gemacht hat. Und was dann? Was wird dann aus unserer Schar?“

„Dann werden wir der Ausrottung auch nicht näher sein als sowieso schon.“

In ihren Augen leuchtete Feuer auf. Einen Augenblick lang glaubte er, sie wollte ihn schlagen. Zum Teufel, wegen der Mutlosigkeit in seiner Stimme hätte er sich am liebsten selber eine runtergehauen. Allerdings holte sie dann doch nicht aus. Das war nicht ihre Art. Stattdessen trat eine Zärtlichkeit an die Stelle ihres Zorns, die er überhaupt nicht verdiente.

„Wir brauchen dich doch, Declan. Wenn du nicht mehr da bist, um uns anzuführen, dann sind wir alle unweigerlich verloren.“

„Nein“, brachte er durch zusammengebissene Zähne hervor. „Verloren sind wir erst, wenn diese Schlampe den Kristall des Draco in ihre Hände bekommt. Du warst doch dabei, als Doc die Schriftrolle übersetzt hat. ‚Die Macht, über alle zu herrschen oder einen zu vernichten‘“, zitierte er aus dem Gedächtnis. „Weißt du, was das bedeutet? Wenn sie sich je die unglaubliche Energie nutzbar machen können, die dieser Stein in sich hat, dann wird ihre Königin uns alle wieder ihrem Willen unterwerfen, wie in früheren Zeiten. Oder, was noch schlimmer wäre, sie wird tatsächlich versuchen, uns auszurotten. Und der Kristall ist irgendwo da unten“, er zeigte mit dem Finger hinab auf die Höhlen, „und wartet nur darauf, dass sie ihn einsetzt.“

„Diese Schriftrolle ist nicht vollständig, Declan. Wir können gar nicht sicher sein, welche Bedeutung das wenige hat, das lesbar ist …“

„Sie sind dafür gestorben, damit die Schriftrolle zu uns gelangt“, schrie er, aufgewühlt von seinen Gefühlen. „Wenn Mutter und Vater so sehr an diese Prophezeiung glaubten, um sich selbst dafür zu opfern, dann brauche ich nicht mehr zu wissen. Als ihr Thronfolger ist es meine Pflicht, den Bestand unserer Art zu wahren. Ich werde da runter zu den Katakomben fliegen und den Kristall zurückholen.“

„Schön. Dann komme ich mit dir.“

Declan gab ein entnervtes Stöhnen von sich und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es war sinnlos, weiter zu streiten. Schließlich kannte er Tallon. Sie war eine Kämpferin, eine Kriegerin. Sie würde nicht aufgeben, bis er nachgab. Und das konnte er ihr auch gar nicht vorwerfen. An ihrer Stelle hätte er sich nicht anders verhalten.

„Schwörst du, dass du all meinen Befehlen gehorchst, und zwar auf der Stelle, ohne Fragen zu stellen?“

„Selbstverständlich.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln, bevor sie sich in die Lüfte erhob.

Declan beobachtete, wie sie sich in einem plötzlichen Ausbruch aller Regenbogenfarben verwandelte, und schüttelte den Kopf.

„Narren und Drachen“, murmelte er und sprang ihr nach.

1. KAPITEL

Declan rannte den schmalen Gang hinauf. Schwere Fußtritte hinter ihm verrieten, dass sie kaum noch Zeit zur Flucht hatten. Direkt vor ihnen gähnte der Ausgang der Höhle, flackerndes Mondlicht wies ihnen den Weg.

„Tallon!“

„Ich kann es auch sehen“, rief sie ihm über die Schulter zu, während sie mit schnellen Schritten weiterrannte.

„Flieg los!“, schrie er, als sie sich der Kante des Felsenriffs näherten. Ohne zu zögern, sprang Tallon in die Tiefe. Ihr schmächtiger Körper stürzte für den Bruchteil einer Sekunde ab, dann nahm sie ihre andere Gestalt an und erhob sich in den Himmel. Erst als sie sicher in der Luft war, drückte auch Declan sich von der Klippe ab. Sein langer Körper stieg in der kühlen Nachtluft nach oben, verwandelte sich mit nahtloser Präzision in einen schwarzen Drachen.

Während er weiter an Höhe gewann, warf er einen Blick zurück. Da standen die Vampirsoldaten, schwer bewaffnet und finster entschlossen zu töten, denn er hatte den Schatz aus ihrem Lager geraubt.

Declan schlug heftig mit den Flügeln, um höher zu steigen, während er unter sich wildes Trommelfeuer hören konnte.

Schneller, schickte er einen telepathischen Ruf los, als die Kugeln auch schon die Schuppen seines linken Flügels zerfetzten. Der Schmerz raste durch ihn hindurch bis zwischen die Schulterblätter. Er holte tief Luft und sank wieder etwas tiefer.

Declan. Komm schon!

Er ignorierte Tallon. Stattdessen starrte er auf die Vampirhorde herab, gerade noch sechs oder sieben Meter unter ihm. Sie quollen aus ihren Katakomben wie Ameisen aus ihrem Hügel. Einer der Vampirsoldaten hob eine automatische Armbrust an die Schulter und schoss. Pfeile sausten durch die Luft. Declan glitt in ihre Richtung, und der Pfeil, der Tallon hätte treffen sollen, bohrte sich in seinen Oberarm. Seine aufgespießten Muskeln zischten und knisterten.

Pfeile mit versilberten Spitzen. Er stöhnte.

Das ist gar nicht gut.

Für Drachen war dieses Edelmetall wie ein Gift, es verbrannte ihr Fleisch und sog ihre ganze Kraft von innen aus ihnen heraus. Er biss vor Schmerz die Zähne zusammen, riss sich den Rucksack vom Hals und warf ihn Tallon zu. Sie fing ihn mit einer Hand auf.

Hau damit ab.

Die Angst in ihren Augen, als sie ihn jetzt ansah, brach ihm das Herz. Das hätte nicht passieren dürfen. Sie hatten bekommen, was sie wollten. Doch nun musste Tallon den Kristall in Sicherheit bringen.

Ein zweiter Pfeil bohrte sich durch seinen Oberschenkel.

„Verdammt, Tallon! Du hast es versprochen“, fauchte er. „Verschwinde von hier. Sofort!“

Endlich nickte sie, und er seufzte erleichtert. Nachdem sie in der Dunkelheit verschwunden war, wandte er sich wieder dem Vampir mit der Armbrust zu. Declan legte die Flügel an und raste wie ein Kamikaze im Sturzflug herab. In seiner Kehle stieg Feuer auf. Rauch quoll aus seinen Nasenlöchern.

Der Vampir sah ihn kommen und wollte wegrennen, aber es war schon zu spät. Declan riss das Maul auf und umhüllte den Soldaten mit seinem Drachenfeuer. Die bleiche Haut schmolz und tropfte auf die Felsen.

Noch bevor Declan sein Drachenmaul wieder schließen konnte, ertönten weitere Schüsse. Er spürte brennende Hitze in den Adern, als die Kugeln seine Haut aufrissen. Seine Flügel zitterten, dann verschwanden sie in seinem Körper. Seine verlängerte Schnauze schrumpfte zusammen, bis die kühle Nachtluft sein wieder menschliches Gesicht peitschte und ihm die Haare in die Augen wehte.

„Verfluchter Mist“, keuchte er und stürzte zu Boden, von der Hüfte aufwärts wieder in menschlicher Gestalt. Noch zu schnell, um anhalten zu können, wirbelte er mitten in der Luft herum, zog das Kinn ein und wartete auf den Aufprall. Sein Körper knallte in den Dreck, schlitterte über kleine Steine und Felsbrocken, bis er endlich zum Liegen kam. Die aufsteigende Staubwolke bedeckte ihn wie ein Tuch, er bekam kaum noch Luft.

Hustend rollte er sich auf den Bauch, wischte den Staub aus den Augen und riskierte einen Blick. Zwei der Vampirsoldaten rannten auf ihn zu. Ihre langen schwarzen Mäntel bauschten sich hinter ihnen und ließen ein ganzes Waffenarsenal sehen, das sie in Patronengürteln um ihre dicken Bäuche trugen.

Mindestens sechs weitere folgten mit wenigen Schritten Abstand, allesamt ausstaffiert wie G.I. Joe auf Crack.

Na großartig.

Als die ersten beiden ihn fast erreicht hatten, schnellte Declan hoch, schwang ein Bein wie einen Bogen und fegte sie von den Füßen. Dann bäumte er seinen langen Drachenschwanz auf und traf mit der wie ein Totschläger geformten Spitze den nächsten Vampir in die Brust. Blut spritzte Declan ins Gesicht. Den nächsten erwischte er mit beiden Händen an der Kehle und drehte ihm den Hals um, bis ein entsetzliches Knacken zu hören war. Declan ließ den leblosen Körper zu Boden gleiten, riss den Drachenschwanz aus dem, was vom Torso des anderen Vampirs noch übrig war, und wirbelte herum, um der zweiten Welle Vampirsoldaten entgegenzutreten, die auf ihn zukam.

„Na los, kommt schon“, munterte er sie auf. Der blutgetränkte Schwanz fuhr hinter ihm wie eine Peitsche durch die Luft.

Die Meute kam näher. Ihre Zähne waren gebleckt und ihre schwarzen Klauen ausgefahren. Declan war bereit zu sterben, wenn er nur ein paar von diesen Schweinen mitnehmen konnte. Bereit zum Kampf trat er ihnen entgegen. Doch plötzlich stolperte er über seine eigenen Füße. Verblüfft blickte er an sich herab. Die verbliebenen Schuppen, die seine untere Körperhälfte schützten, schrumpften zusammen. Dann verschwand auch der Drachenschwanz, seine einzige verbliebene Waffe, wieder in seinem Körper.

Das verfluchte Silber, schoss es ihm durch den Kopf. Das Gift lähmte seine Drachenkräfte.

Im selben Moment bäumte sich sein ganzer Körper vor Schmerz auf, sein Rücken brannte, als würde jemand mit einer Fackel seine Haut versengen. Er griff sich an die Wunde und fühlte das Blut an seiner Hand.

Wieder erklang eine Art Schuss. Aber diesmal waren es keine silbernen Kugeln. Stattdessen ging ein schweres Netz über ihm nieder, das ihn zu Boden warf. Kaum hatte seine Wange die Erde berührt, traten und prügelten Füße und Fäuste auf ihn ein. In dem Netz gefangen, konnte er nichts weiter tun, als seinen Kopf mit den Armen zu schützen und abzuwarten.

„Das reicht!“ Auf den scharfen Befehl einer Frauenstimme hin ließen die Vampirsoldaten von ihm ab.

Die Königin.

Es konnte niemand sonst sein. Bei diesem Gedanken lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Insgeheim hatte er immer gewusst, dass sie ihn erwischen würde, wenn er sie nicht zuerst umbrachte. Sie wollte sich an den Drachen rächen, und er würde das Opfer sein – sein Körper und seine Seele.

Tja, dachte er und packte das Netz mit den Fäusten. Er würde auf jeden Fall nicht ohne Kampf untergehen.

Mit einem plötzlichen Aufschrei wickelte Declan das dicke Seil des Netzes um seine Handgelenke und zog heftig daran. Einige aus der Vampirhorde, die das Netz auf ihrer Seite festhielten, fielen auf die Knie. Schnell steckte er eine Faust durch das Netzgitter, packte den nächsten Soldaten an der Kehle und drückte zu.

„Verdammt noch mal, Ivan. Halt ihn fest“, befahl die Frau mit entschlossener Stimme.

Im selben Moment traf ihn ein schwerer Stiefel am Kinn. Declan flog zurück, sein Kinn knallte hart auf den Boden. Stöhnend spuckte er Blut und kam nur mühsam wieder auf die Füße, dann drehte er den Kopf in die Richtung, aus der er die Stimme der Frau zuletzt gehört hatte.

Als Erstes registrierte er ihre Stiefel – mit Spikes besetzte lederne, kniehohe Dinger, in denen schlanke Beine steckten, die kein Ende zu nehmen schienen. Declan hob den Kopf und riss die geschwollenen Augen weiter auf.

Die Frau stand breitbeinig da, eine Hand in die in schwarzes Leder gehüllte Hüfte gestemmt. Der Wind wirbelte ihr langes blondes Haar durcheinander – eine tolle Taille in einem Lederkorsett, das bei jedem Fetischjünger sofort eine Erektion verursacht hätte.

Als sein Blick schließlich ihr Gesicht erfasste, bemerkte er ihre schwarzen Augen, genauso kalt und unsterblich wie seine eigene Seele. Aber vor allem, dass sie viel zu jung schien, um die Königin sein zu können.

„Wo ist der Kristall?“ Die weiche Aussprache verriet den leichten Anflug eines russischen Akzents.

Vermutlich nicht die Königin, aber ganz entschieden von adeliger Abstammung. Declan grinste mit seinen blutbeschmierten Lippen.

Sie bemerkte sein Lächeln, hob anmutig die Brauen und legte den Kopf schräg. Für eine Sekunde wirkte sie auf Declan wie eine verwirrte junge Hündin. Bis sie eine abgesägte Schrotflinte auf ihn richtete, deren Mündung wie ein schwarzes Auge auf ihn herabstarrte.

„Sag mir, wo er ist, Derkein, vielleicht lasse ich dich dann leben.“

„Er ist weg.“ Declan lachte höhnisch. „Und du hast nichts in der Hand, das du deiner Königin zurückbringen könntest. Du bist genauso tot wie ich.“

Die pechschwarzen Augen des Weibsstücks blitzten silbrig, dann hielt sie ihm den Knauf der Waffe ans Gesicht. Er grinste immer noch, als sie ihm die Nase einschlug und alles schwarz wurde.

Alexia Feodorovna war in die Katakomben gegangen und blickte in die steinerne Zelle. Obwohl das Biest an die Wand gekettet und ohnmächtig war, verstörte sie doch seine schiere Größe und die Kraft seiner Muskeln.

Ein riesiges Wesen. Finster. Gefährlich.

So etwas wie ihn hatte sie noch nie gesehen. Ihre menschliche Gestalt nahmen die Herren der Drachen eigentlich nicht mitten in einem Kampf an, und außerdem war man allgemein der Ansicht, sie wären so gut wie ausgestorben. Zumindest hatte sie das bis zu dieser Nacht angenommen. Nachdem sie seine kämpferischen Fähigkeiten beobachten musste, konnte sie kaum glauben, wie sie jemals auf diese Lüge hereingefallen war.

Er kämpfte wie ein Krieger aus uralten Zeiten.

Sie war seltsam berührt von der Art und Weise, wie er erst das Weibchen seiner Gattung beschützt hatte, um dann zu kämpfen, bis er nicht mehr stehen konnte, und doch hatte er dem Tod mit einem Lächeln im Gesicht ins Auge geblickt. Das berührte sie nicht nur, weil sie im tiefsten Innern wusste, dass sie sich im Angesicht ihres eigenen Todes wie ein Feigling verhalten würde. Sondern auch, weil sie sich ganz tief im Herzen danach sehnte, einmal eine solch bedingungslose Liebe zu erfahren. Sie würde zwar in den nächsten Tagen den Thron besteigen, aber dennoch war klar: Sie würde ohne dieses Erlebnis sterben müssen.

Der Gefangene bewegte sich ein bisschen. Etwas Mondlicht, das durch das rechteckige Fenster in die Zelle drang, spiegelte sich in den eisernen Fesseln um seine Handgelenke.

Alexia legte die Stirn an die kühlen Gitterstäbe und beobachtete das Flackern des Lichts an den dunklen Wänden. Sie senkte das Kinn und atmete die salzige Seeluft ein, die den widerlichen Gestank dieses Kerkers milderte. Schon komisch. Sie hatte dieses winzige Fenster immer für die grausamste Folter gehalten. Die Gefangenen konnten den tosenden Ozean hören, hatten den lebendigen Geschmack der Freiheit auf der Zunge, der sie von der anderen Seite der Kerkerwand aus zu verhöhnen schien. Als wäre eine Rettung möglich, die für die meisten von ihnen niemals kommen würde.

Aber wenigstens starben sie mit einem Funken Hoffnung.

Schritte ertönten auf der Wendeltreppe hinter ihr. Sie riss ihre Augen von dem Gefangenen los, richtete das Tablett in ihren Händen und drehte sich zu dem Wachmann um, der heruntergekommen war.

„Es wird langsam Zeit, Soldat.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die Zelle. „Bist du sicher, dass er schläft?“

Der Wächter trat in das Licht eines Wandleuchters. Wie alle Soldaten ihrer Mutter hatte er kurz geschorenes blondes Haar, einen mächtigen Schädel wie ein Pitbull und eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase, die er sogar in den finstersten Ecken ihrer unterirdischen Unterkunft trug.

„Ich habe diesem Derkein eigenhändig das Betäubungsmittel verabreicht“, sagte er und schloss die Zellentür auf. „Der ist noch stundenlang weg, falls er überhaupt wieder zu sich kommt.“

„Sehr gut. Du kannst wieder gehen.“

Alexia konnte sehen, wie sich seine Brauen hoben und über den dunklen Gläsern der Sonnenbrille auftauchten. „Aber Lotharus hat befohlen …“

Sie zischte bei der Erwähnung dieses Namens und trat auf ihn zu. „Lotharus hat hier gar nichts zu befehlen. Sondern ich. Und ich sagte, du kannst gehen.“

Er gab ein Grunzen von sich, das seine Missbilligung nicht verhehlte, presste dann aber die Lippen zusammen und verbeugte sich.

Alexia starrte hinter ihm her, bis er nicht mehr zu sehen war. Sie traute diesen genetisch weiterentwickelten Soldaten nicht über den Weg. Sicher, sie waren stark, höchst effizient und im Kampf praktisch nicht zu besiegen. Nichtsdestoweniger legten sie einen zunehmenden Unwillen an den Tag, ihr den gehörigen Respekt zu erweisen, der ihr zukam, und das war besorgniserregend. Natürlich meinte ihre Mutter, es sei nur ihre eigene Schuld, wenn sie nicht über ausreichend Dominanz über die Truppe verfügte.

Nachdem der Soldat hinter einer Ecke verschwunden war, trat Alexia über die eiserne Schwelle und schlug die Tür hinter sich mit mehr Kraft als notwendig zu.

Große Göttin! Wie gern würde Alexia ihrer Horde nur ein einziges Mal beweisen, dass auch sie fähig war, sie anzuführen, dass sie in der Lage war, ihrer Mutter auf den Thron nachzufolgen. Alexia wusste, wenn sie es schaffte, den Kristall des Draco zurückzubringen, dann könnte niemand, nicht einmal Lotharus, das jahrhundertealte Matriarchat der Vampirhorde infrage stellen.

Sie stand jetzt vor dem schlummernden Biest. Der Einzige, der wusste, wo der Kristall sich befand, lag zu ihren Füßen und blutete langsam aus.

Seufzend hockte Alexia sich hin, wickelte ein Stück groben Zwirn ab und biss ihn mit ihren Reißzähnen durch. Sie befeuchtete die Spitze mit der Zunge, fädelte den Faden in die Nähnadel und kniete sich über den Gefangenen. Da er mit dem Gesicht zur Wand lag, wollte sie zuerst die klaffende Wunde zwischen seinen Schulterblättern versorgen.

Alexia berührte seine Haut mit den Fingerspitzen. Sofort stöhnte er auf, rollte sich auf den Rücken und holte tief Luft. Jede Senke, Erhebung und Kontur seines nackten bronzefarbenen Körpers erschauerte bei der Bewegung und hielt ihren Blick völlig gefangen.

Die wenigen Adeligen ihrer Vampirhorde, die sie bisher unbekleidet gesehen hatte, waren lang und dürr gewesen. Sogar abgemagert und eingefallen, zumindest im Vergleich zu diesem Herrn der Drachen. Er war kräftig. Ihr Blick wanderte zwischen seine Beine. Überallhin. Er hatte lange Muskeln an Schenkeln und Waden, massive Oberarme, eine breite, wie in Stein gemeißelte Brust – im Gegensatz zu Lotharus, dessen dürre Knochen sich unter der durchsichtigen Haut abzeichneten.

Fasziniert beugte sie sich vor.

Dichte schwarze Locken seines schulterlangen Haars ringelten sich um seinen Hals. Sie konnte die Augen nicht von dem Pulsschlag unter seiner goldenen Haut lassen. Ihr eigener Puls beschleunigte sich. Die Luft um sie herum schien dicker zu werden, und sie spürte ein Brennen an den Reißzähnen.

Alexia schüttelte sich und setzte sich zurück auf die Hacken.

Näh ihm einfach seine Wunden und hau wieder ab.

Sich erneut vorbeugend, setzte sie die Nadel bei der zerfetzten Haut unter seinen Rippen an. Aber noch bevor die Spitze eindringen konnte, wurde ihr Handgelenk von langen Fingern umklammert.

Ein Keuchen blieb ihr in der Kehle stecken, als der Gefangene sie zu sich herunterzog. Sie hörte ein Ploppen, wie ein im Wind aufklappendes Segel. Ein riesiger schwarzer Flügel umfing sie von unten, zog sie an seine harte Brust und milderte gleichzeitig ihren Aufprall auf dem Boden. Sie spürte seine kühlen Schuppen an den Schultern, ein scharfer Kontrast zu seinem heißen Atem, der ihr Gesicht streifte.

„Hat dir gefallen, was du gesehen hast, Weibsstück?“, fragte er mit rauchiger Stimme.

Ihr Gesicht wurde ganz heiß vor Verlegenheit. Sie wand sich in seinem Griff, konnte sich aber kaum einen Zentimeter bewegen. „Lass mich gehen.“

Der Drache stützte sich auf einen Ellbogen. Mit seinen elektrisierend blauen Augen musterte er ihren Körper, ihre Haut, die nicht von dem Ledermieder verborgen wurde.

„Nein.“

Das Kinn klappte ihr runter. „Lass mich sofort los, oder …“

„Oder was?“

„Oder …“ Ihr Blick huschte umher, dann sah sie die Nadel und den Faden neben sich und deutete mit dem Kopf darauf. „Ich wollte doch nur deine Wunden nähen. Aber natürlich, wenn du lieber in diesem Verlies zu Tode bluten willst …“

Er hob eine schwarze Braue. „Wenn ich in einem Kerker bin, wieso machst du dir dann überhaupt die Mühe, meine Wunden zu versorgen?“

„Würdest du denn lieber sterben?“

Declan verzog die Lippen. „Sag mal, du kleine Vampirin, beantwortest du immer eine Frage mit einer Gegenfrage?“

Diesen sinnlichen, sündigen Schwung seiner Lippen zu ignorieren kostete Alexia einige Mühe. Endlich wandte sie sich kopfschüttelnd an Declan. „Eigentlich nicht.“

„Dann antworte.“

Sie seufzte. „In deinem jetzigen Zustand können wir dich nicht foltern. Das würdest du nicht lange überleben.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen, flammte Feuer hinter seinen eiskalten Augen auf. Rauch qualmte aus seinen Nasenlöchern.

Drachenfeuer.

Voller Panik starrte sie ihn an.

„Sag bloß, du hast plötzlich Angst vor mir.“ Sein Daumen beschrieb träge Kreise über dem hämmernden Puls an ihrem Handgelenk.

„Ich habe keine Angst vor dir.“ Aber ihre Worte waren eher ein Keuchen.

Der Flügel umfasste sie fester, ihre Brüste wurden gegen seinen stahlharten Oberkörper gedrückt.

„Wieso zitterst du dann?“ Er neigte seinen Kopf zu ihr hinunter. „Ich kann hören, wie dein Herz rast. Genau hier.“ Seine heißen Lippen berührten ihre Haut dort, wo der Herzschlag darunter raste.

Ein angenehmes Kribbeln flatterte ihr das Rückgrat hinab. Sie hielt die Luft an, als seine weichen Lippen ihren Hals liebkosten. Alexia war sich natürlich darüber im Klaren, dass sie eigentlich gegen ihn kämpfen sollte. Dass sie eher den Tod durch seine höllischen Flammen herbeiflehen sollte, als ihm solche Freiheiten einzuräumen. Aber die Erregung, die seine Zärtlichkeit in ihr auslöste, machte sie völlig bewegungsunfähig. Noch nie hatte ein Mann sie so sanft berührt, so zärtlich umklammert. Als seine Lippen über ihre Haut glitten, flatterten ihre Augenlider, und ein Schnurren drang aus ihrer Kehle.

Seine Lippen an ihrem Hals verzogen sich, und dann ließ er ein tiefes Glucksen hören.

Lachte der Kerl sie etwa aus?

Wut trat an die Stelle ihres unangemessenen Begehrens. Sie fasste seine pulsierende Halsschlagader ins Auge, konzentrierte sich auf den gleichmäßigen Rhythmus. Vor ihren Augen stieg ein roter Schleier auf. Zwei scharfe Zähne kamen zum Vorschein. Unter den Vampiren war es verboten, sich voneinander zu ernähren, aber es gab kein Gesetz gegen das Trinken des Blutes von Feinden. Sie riss den Mund auf und schnappte nach seiner Kehle.

Mühelos wich er dem Angriff aus, lehnte sich noch schwerer auf sie, sodass sie kaum noch Bewegungsfreiheit hatte. „Ganz ruhig, Kleine. Deine Zähnchen machen mir keine Angst.“

„Nicht?“ Sie versuchte es noch einmal, aber dieser Kerl war nicht so leicht zu täuschen. Als plötzlich Reißzähne in seinem lächelnden Mund auftauchten, die mindestens doppelt so groß waren wie ihre eigenen, überschlug sich ihr Herz vor Entsetzen.

„Du bist …“, stammelte sie.

„Hungrig. Und du siehst ziemlich lecker aus.“

Vor Angst packte sie seine Arme und versuchte ihn wegzuschieben. Niemand, nicht einmal Lotharus, würde es wagen, ihr Blut zu trinken. In ihrer Welt bedeutete das den sofortigen Tod. Andererseits, wieso sollte sich ein Drache um die Gesetze ihrer Horde scheren?

Seine heiße Zunge fuhr über ihre Kehle, und sie konnte gar keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mit seinen Hauern fuhr er an ihrem Hals hinunter, kratzte an ihrer Haut, suchte nach der Vene. Als er über ihrem hämmernden Puls anhielt, erschauerte Alexia. Sie atmete tief ein und hielt die Luft an, wartend. Die Zähne drangen durch ihre Haut. Es war schmerzhaft, obwohl ihr Körper sich seinem Biss entgegendrängte.

Eine riesige Hand packte ihr Haar und bog ihren Kopf zur Seite. Die andere Hand hielt sie an der Seite fest, seine Finger glitten in ihr ledernes Mieder. Ihre Haut prickelte unter seinem Griff. Brennend wie Lava raste ihr das Blut durch die Adern, damit er es trinken konnte.

Er schien nur aus Feuer zu bestehen, das sich in ihr ausbreitete und sie von innen auffraß. Jeder lange sinnliche Zug, mit dem er von ihr trank, knisterte glühend in ihrem Innersten. Ihr Unterleib zuckte, wollte noch etwas anderes. Als ob er ihre Gedanken lesen könnte, umfasste er mit der Spitze seines mächtigen Flügels ihren Hintern und drückte sie gegen sein langes hartes Ding. Bei der Berührung schienen Flammen an ihrem Unterleib zu lecken. Als er das noch einmal tat, stöhnte sie vor purer Lust.

Ohne nachzudenken, spreizte sie ihre Beine, um ihn aufzunehmen. So groß und schwer er war, passte er doch ideal zwischen ihre Schenkel. Sie hätte ihn von sich stoßen müssen, aber ihre Finger umschlossen seinen mächtigen Bizeps und zogen ihn näher heran. Was immer sie in ihren bisherigen hundertzwanzig Jahren alles erlebt hatte, noch nie hatte sich etwas so natürlich, so richtig angefühlt. Allein der Gedanke, dass ihr so etwas für so lange Zeit vorenthalten worden war, hätte sie vor Wut die Wand hochgehen lassen. Doch in diesem Moment fühlte sie einfach nur Glück.

Als er endlich von ihrer Kehle abließ, wimmerte sie enttäuscht. Benommen öffnete Alexia die Augen und sog den beeindruckenden Anblick dieses Kerls in sich auf, der sich über sie beugte. Sein anderer Flügel, vorhin noch durch die Verwundung schlaff und nutzlos, streckte sich jetzt wie eine Katze nach einem Schläfchen. Ihr Blick fiel auf die klaffende Fleischwunde an seiner Seite, und fassungslos beobachtete sie, wie die Wunde sich schloss, als würde sie von einem unsichtbaren Faden zugenäht. Plötzlich ging ihr auf, dass ihre Drohung, seine Wunden nicht zu versorgen, keinerlei Bedeutung gehabt hatte. Dazu brauchte er sie gar nicht. Er brauchte nur sie selbst.

Und zwar ihr Blut.

Aber zu was machte ihn das? Drachen tranken doch gar kein Blut.

Bevor sie den Gedanken in Worte fassen konnte, grinste er und senkte erneut den Kopf. Seine flache Zunge glitt besänftigend und schmerzlindernd über die aufgerissene Haut ihrer Kehle. Sie leckte sich die Lippen, während er an ihrem Kinn knabberte.

„Ich hätte dich vorher warnen sollen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Seine rauchige Stimme drang in sie ein und zog den Knoten aus purer Lust in ihrem Unterleib noch fester zusammen. „Blut trinken macht mich immer verdammt scharf.“

Mich auch, dachte sie verwirrt, da drückte er schon seine Lippen auf ihre. Sie zerschmolz förmlich unter der Hitze seines Mundes. Der kupferne Geschmack ihres eigenen Blutes auf seinen Lippen ließ ihr Begehren ins Unermessliche steigen.

Gierig und bereitwillig öffnete Alexia ihren Mund für seine suchende Zunge. Er umfasste ihr Gesicht mit seinen beiden riesigen Händen und drang forschend in ihren Mund. Sie konnte gar nicht genug davon kriegen.

Alexia ließ sich gegen den Flügel zurücksinken, der sie von hinten stützte. Sie legte eine Handfläche an seinen mächtigen Kiefer, spürte die sich anspannenden Muskeln unter seiner Haut, während er sie heftig küsste. Sein tiefes Stöhnen vibrierte durch ihre Kehle bis hinunter in ihre Fußspitzen. Allein dieses Geräusch verlieh ihr neue Kraft. Das Wissen, wie sehr er sie begehrte, war berauschend. Lotharus küsste sie nie mit solcher Leidenschaft.

Die Große Göttin möge ihr helfen, aber sie war verloren. Begeistert von seinen rauen Wangen in ihren Händen, seinem schweren Gewicht auf ihr, sogar von dem schwieligen Flügel, der ihren Rücken streichelte.

„Was zum Teufel ist denn hier los?“

Alexia fuhr zusammen. Der Wachmann war zurück.

2. KAPITEL

Blitzartig riss der Drache sie auf die Füße, zog die eiserne Kette einfach so aus der Wand und legte sie ihr um den Hals. Mit der anderen Hand packte er sie um die Hüfte und drückte ihren Rücken an sich.

„Zurück“, schrie er den Wachmann an.

Entsetzt griff Alexia mit beiden Händen nach der Kette um ihren Hals. „Was soll das?“, keuchte sie.

Er packte sie noch fester, senkte den Kopf und schmiegte die Nase an das Haar hinter ihrem Ohr. Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut.

„Ich weiß, das ist wirklich ein blödes Pech“, flüsterte er. „Dabei hat das gerade so schön angefangen zwischen uns beiden.“

„Das hättest du wohl gern“, schnappte sie und rammte ihm den Ellbogen in den Magen. Wenigstens für einen kurzen Augenblick hörte sie ihn vor Schmerz stöhnen, aber sofort zog er die Kette fester um ihren Hals zusammen.

Verdammt, war der Kerl stark. Alexia erstarrte, als das Eisen ihr die Luft abschnürte. Wie war es möglich, dass er so schnell wieder zu solchen Kräften kommen konnte? Der Wachmann war darüber anscheinend genauso verblüfft, denn er blickte irritiert zwischen ihr und dem Drachen hin und her, bis er endlich nach der Waffe an seinem Gürtel griff.

„Das würde ich nicht tun“, warnte der Herr der Drachen. „Sonst bringe ich sie um.“

Alexia kam sich vor wie die größte Idiotin der Welt. Die Art, wie er sie geküsst und gestreichelt hatte, das war alles nur vorgetäuscht gewesen, um an ihr Blut zu kommen, sich damit selbst zu heilen – und zu fliehen.

Das Klicken eines gespannten Abzughahns hallte durch den Kerker. Der Wachmann hielt jetzt die Waffe auf Alexia gerichtet. Die sowieso schon glühend heiße Haut des Drachen schien sich zu entzünden.

„Ich warne dich, Soldat“, schnappte der Drache, verstärkte seinen eisernen Griff und trat einen Schritt zurück. Alexia gab ein Zischen von sich, und der Wachmann senkte die Waffe etwas.

„Tu dir keinen Zwang an, Derkein.“ Eine tiefe Stimme war aus der Dunkelheit zu hören.

Alexia hielt die Luft an.

Lotharus.

Das deutlich hörbare Stampfen von Stiefeln auf dem steinernen Fußboden kündigte sein Erscheinen an. Alexias Herz hämmerte mit jedem Schritt, während sie nach ihm Ausschau hielt. Langsam tauchte er aus der Dunkelheit auf, als wäre er aus ihr geboren worden.

Wie immer war Lotharus von Kopf bis Fuß in glänzendes Schwarz gekleidet und hielt sich kerzengerade, ganz wie der alterslose Unsterbliche, der er war. Obwohl sehr dünn, drückte sein Körper eine unaussprechliche Macht aus, die Sterbliche ebenso wie Unsterbliche in seiner Gegenwart regelrecht einschrumpfen ließ. Heute trug er sein blondes Haar im Nacken fest zusammengebunden, was seine aristokratischen Gesichtszüge betonte. Aber Alexia konnte den Blick nicht von seinen schwarzen Augen abwenden. Diese abgründigen Augen bohrten sich mit kochender, strafender Wut in ihre eigenen.

„Bring sie doch um.“

Mit zusammengekniffenen Lippen lockerte Declan die Kette ein wenig und hielt die Frau jetzt eher beschützend fest. Ihr Herzschlag raste, und ihr Körper drückte sich steif wie ein Brett gegen ihn. Seit dieser Vampir hereingekommen war, hing eine finstere Kälte über dem Raum. In seinen seelenlosen Augen lag das unaussprechlich Böse, und das war ganz auf sie konzentriert.

Und ließ sie vor Angst erzittern.

In Declans Augen stand kaum verhüllter Hass. Ob Vampir oder nicht, jeder, der glaubte, über andere einfach verfügen zu können, verdiente es nicht, am Leben zu sein. Und schon gar nicht, Macht in seinen Händen zu halten. Er nahm Alexia fester in die Arme und lockerte gleichzeitig die Kette um ihren Hals.

„Wer bist du, dass du glaubst, entscheiden zu können, ob sie lebt oder stirbt?“, wollte Declan wissen.

Der Vampir verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. „Ach, sagen wir einfach, ich könnte mir das … herausnehmen.“

Als sie in seinen Armen zusammenzuckte, gab er ein tiefes Brummen von sich.

„Aber was ich denke, spielt sowieso keine Rolle“, fuhr der Vampir fort. „Wenn die Königin erst einmal herausfindet, dass ihre Tochter zur willigen Hure und Blutlieferantin eines ihrer Feinde geworden ist, wird sie den Verlust nicht sonderlich betrauern, da bin ich mir sicher.“

Völlig gefangen in einem unsinnigen Drang, sie zu beschützen, nahm Declan die monoton vorgetragenen Worte des Vampirs kaum wahr. Doch dann trafen sie ihn plötzlich, jedes einzelne Wort war wie ein Schlag in die Magengrube. Die Luft, die er einatmete, füllte seine Lungen wie mit Schlamm.

Die Königin. Tochter.

Voller Abscheu ließ er sie los. Die Kette rasselte zu Boden.

Kaum hielt er sie nicht mehr so fest im Griff, knackten die Gitterstäbe der Zelle. Declan blickte auf und fluchte stumm vor sich hin, denn plötzlich wurde ihm klar, dass Lotharus seine ganze Aufmerksamkeit darauf konzentrierte, die Gitterwand durch die bloße Kraft seiner Gedanken aus den Angeln zu heben. Die eisernen Stäbe wurden wie von unsichtbaren Händen verbogen und verdreht. Eine Sekunde später sprangen sie heraus und flogen auf die beiden zu.

Ohne einen weiteren Gedanken packte Declan die Frau bei den Schultern und warf sie aus dem Weg. Kaum hatte er sie sicher auf ihren Knien landen sehen, krachte das schwere Stahlgitter schon über ihm zusammen. Er wurde von den Füßen gerissen und wie eine Puppe einen Meter zurück und gegen die Wand geschleudert. Mauersteine zerbröselten, und eine Staubwolke stieg auf. Sein Rücken hatte eine ziemliche Vertiefung in der Wand hinterlassen. Jede Faser in seinem Körper schmerzte. Aber er spürte auch, wie die Kraft durch seine wieder aufgefrischten Adern rauschte und diesen Schmerz unterdrückte. Blitzschnell kam er wieder hoch und schob das schwere Gitter beiseite. Dann stand er kampfbereit da, um alles abzuwehren, was auf ihn zukommen mochte.

Der Vampir lächelte beifällig. Er hob sogar die Arme und fing an, rhythmisch und kräftig in die Hände zu klatschen. Declan verzog das Gesicht. Was war das denn für ein Irrer? Er hätte Alexia umbringen können, wenn Declan sie nicht im letzten Augenblick zur Seite geschubst hätte. Aber er sah aus, als könnte er gar nicht begeisterter sein.

„Wirklich klasse, Herr der Drachen.“ Er hörte auf zu klatschen und legte einen Zeigefinger an die Lippen. Der große Rubin an einem breiten Ring, der fast den ganzen Knöchel verbarg, blitzte Declan in die Augen. „Das bist du doch, wie mein kleiner Test eben unter Beweis stellte, korrekt?“ Der Vampir bekam keine Antwort, und so ließ er seinen Blick über den Körper des Drachen gleiten. „Merkwürdig, aber wie es scheint, sind deine Wunden schon wieder vollständig verheilt. Wollen wir doch mal sehen, was wir dagegen tun können, hm? Packt ihn.“

Die drei Wachen rührten sich nicht. Lächelnd und mit einer angedeuteten Verbeugung forderte Declan sie auf, hereinzukommen. Vor Wut über diese Verhöhnung stürmte einer der Soldaten los. Declan landete einen harten Schwinger auf die Nase des Vampirs, der zu Boden ging. Die beiden anderen traten einfach über ihren Kameraden hinweg und funkelten ihn an. Ein einziges Aufstampfen von Declan erschütterte den Fußboden mit einer Macht, die keinem Menschen möglich wäre. Verblüfft blickten die Soldaten an ihm herab und erschauerten, als sie die klauenartigen Zehen an seinen schwarzen Füßen sahen. Jetzt hob er die Faust, die soeben ihren Kameraden gefällt hatte. Sie war zu einem Totschläger aus schwarzen Krallen und Schuppen angeschwollen.

„Er verändert seine Gestalt!“ Einer der Vampire versuchte noch zu fliehen, aber es war zu spät. Angefüllt mit neuer Energie nahm Declan wie ein Blitz seine wahre Gestalt an. Glänzende schwarze Schuppen bedeckten seine Haut. Krallen drangen durch seine Finger- und Zehenspitzen, und seine Nase verlängerte sich zu einem von Horn überzogenen Rohr. Er ließ sich auf alle viere fallen und stieß einen markerschütternden Schrei aus.

Mit gefletschten Zähnen schlich er wie ein Löwe auf seine Beute zu und aktivierte seine wieder gesunden und aufgefüllten Drachenfeuerdrüsen. Rauchfäden stiegen aus seinen Nasenlöchern. Er brauchte nichts anderes zu tun als ein Barbecue aus diesem Schuppen hier zu machen und abzuhauen. Aber er hielt inne, ohne selbst zu wissen, warum, seine Augen suchten nach der Frau.

Da sie mit dem Rücken an der Wand lehnte und offenbar in Sicherheit war, wandte er sich wieder den Wachen zu. Er riss das Maul auf und ließ einen Feuerregen auf den am Boden liegenden Soldaten niedergehen, der sofort in Flammen aufging. Die beiden anderen hielten schützend die Arme vors Gesicht und wichen zurück. Während das Feuer in ihm weiterloderte, hieb er mit dem Ende des Schwanzes auf die Steine der Mauer ein. Felsbrocken fielen herab. Die salzige Meeresluft stieg ihm verlockend in die Nase. Er hatte es fast geschafft. Jeder Schlag brachte ihn der Freiheit näher.

Irgendwas traf Declan wie ein Vorschlaghammer an der Brust. Brüllend warf er den Kopf in den Nacken, als ein quälender Schmerz ihn durchfuhr. Eine weitere unsichtbare Faust versenkte sich in seinem Magen. Dieses Mal hörte er auch den Schuss. Eine weitere Kugel, dann noch eine verursachten unendliche Schmerzen in seinem Innern.

Declan wurde mit jedem Durchschuss hin und her gerissen. Das Gift der versilberten Kugeln breitete sich in ihm aus wie Quecksilber, sein Inneres schien zu schmelzen. Die lodernden Flammen in seiner Kehle erstarben, während das Gift ihn von innen auffraß. Er stürzte zu Boden, stützte sich auf Händen und Knien ab. Die Arme zitterten, denn seine Muskeln konnten kaum noch sein eigenes Gewicht halten. Wie ausgetrocknete Weinreben schrumpften seine Schuppen zusammen und ließen nur aufgerissenes blutiges Fleisch zurück. Er riss den Mund auf, um zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus.

Die Waffe fiel auf den von Schutt bedeckten Boden, gefolgt von einem leeren Magazin. Er hörte etwas, das klang, als würden Handschellen von den qualmenden Überresten des verkohlten Wachmanns entfernt. Dann schlurfende Schritte, bis Stiefel neben seinem Kopf standen. Auf ihn fiel ein finsterer Schatten.

Declan versuchte keuchend, auf die Knie zu kommen, dann spürte er einen schweren Stiefel zwischen den Schulterblättern.

„Näh-näh-näh“, sagte der Vampir und drückte ihn zu Boden. Declans Arme gaben nach, er fiel mit dem Gesicht voran in den Dreck. Irgendetwas wurde ihm über den Kopf gezogen. Declan konnte keinen Widerstand mehr leisten, als der Vampir eine dicke Metallkette um seinen jetzt sehr menschlichen, sehr schwachen Hals zusammenschnappen ließ.

„Na bitte, jetzt ist er ein braver Bursche“, lobte Lotharus, tätschelte ihm den Kopf, als wäre er ein Hund, und hob den Fuß.

Im selben Augenblick erhitzte sich das kühle Metall. Die Haut an seinem Hals brannte eisig. Voller Panik umklammerten Declans Finger die Kette. Unter diesem Ding knisterte und zischte seine Haut, und der Geruch von verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase. Er kapierte sofort, was das war.

Silber.

Declan bäumte sich auf, um die Kette von seinem Hals zu zerren. Er ächzte mit geblähten Nüstern, aber das Ding trieb seinem geschundenen Körper selbst den Willen zum Atmen aus.

„Das brennt ganz schön, nicht wahr?“ Die tiefe Stimme des Vampirs erklang schneidend durch einen Nebel aus Schmerz. „Kannst du spüren, wie du deine Kräfte verlierst? Ich muss zugeben, dieses Ding ist eine von Alexias geistreicheren Erfindungen.“

Alexia? Declans Blick glitt zu der Frau, von der er getrunken hatte. Er konnte ihr Blut immer noch auf der Zunge schmecken, auf den Lippen spüren – und sein Körper war immer noch von ihr entzückt. Sie hat sich dieses Gerät einfallen lassen? Aber natürlich, wieso auch nicht? Ihre Mutter hätte ganz sicher nichts anderes von ihr erwartet. Und er, genau betrachtet, auch nicht.

Beim nächsten Mal, wenn er sie in seinen Klauen hatte, würde sie nichts als Schmerz spüren, und er würde sie aussaugen bis auf den letzten Tropfen, das schwor er sich.

Lotharus beobachtete, wie der Drache Alexia anstarrte.

Solcher Hass stand in diesen Augen.

Er legte den Kopf zur Seite und versuchte dahinterzukommen, wieso. Obwohl der Herr der Drachen jetzt stark geschwächt war, durch die Gewalt der Kette und die versilberten Kugeln in seinem Leib, hatte er es vorher doch irgendwie geschafft, wieder zu Kräften zu kommen. In einer so kurzen Zeit, die zwischen seiner Gefangennahme und Lotharus’ Ankunft in diesem Kerker vergangen war. Irgendwie war es ihm gelungen, so schnell wieder die schrecklichste und zerstörerischste Waffe einsetzen zu können, über die jeder Drache verfügte – das Drachenfeuer. Aber wie?

Lotharus’ Blick richtete sich auf Alexia. Blutspritzer und Dreck verschmutzten ihr sonst glänzendes blondes Haar. Sie lehnte an der Wand und ließ unter seinem prüfenden Blick die Schultern hängen und starrte zu Boden.

Aha, seine zukünftige Stieftochter hatte also etwas damit zu tun.

In zwei Sekunden stand Lotharus bei ihr. Er packte sie an den Oberarmen und riss sie hoch. Die Spitzen dieser nuttigen Stiefel, die sie nur trug, weil er sie so hasste, berührten kaum noch den Boden. In ihren pechschwarzen Augen konnte er die Furcht lesen – jene Furcht vor ihm, die Lotharus ihr mit so großer Mühe eingepflanzt hatte. Lotharus lächelte und genoss jede einzelne Sekunde. Wie bei einer Droge reichte es ihm nie, ihr nur die Unschuld oder die Freude zu nehmen. Ständig wollte er mehr.

„Könnte es sein, dass du etwas darüber weißt, wieso die Wunden dieses Drachen so schnell heilen konnten, Alexia?“

Sie antwortete nicht, und Lotharus presste sie fest gegen die Wand. Die Luft entwich geräuschvoll aus ihren Lungen. Die unterdrückte Abneigung schmeckte wie schales Blut in seinem Rachen, während er sie anstarrte. Blöde Weiber. Wie konnte jemals jemand annehmen, dass dieses schwache Geschlecht ihre Horde anführen könnte?

Das war nicht immer so gewesen. Vor vielen Jahrhunderten hatten die Männer die Horde beherrscht. Die weiblichen Herrscherinnen nannten jene Zeit heute, wenig überraschend, das Dunkle Zeitalter. Genau genommen war es nur ein Mann gewesen. Der erste Reingeborene ihrer Art. Ein grausamer Krieger, gleichermaßen gefürchtet von Sterblichen wie von Unsterblichen.

Stefan Strigoi, der Fürst der Finsternis.

In den letzten Jahren hatte Lotharus äußerst akribisch jeden Text gesammelt, den Strigoi geschrieben hatte, sogar die privatesten Tagebucheinträge. Das war natürlich nur illegal möglich gewesen. Die heiligen Frauen, die abgeschieden im Samostan-Tempel lebten, waren die einzigen, die Abschriften dieser Bücher besaßen. Wie die Könige der Menschen in früheren Zeiten ihre Untertanen mit der Doktrin unterdrückten, sie würden von Gottes Gnaden herrschen, und sich dabei auf ihre heilige Schrift beriefen, hatten auch die weiblichen Monarchen der Vampire ihre Horde betrogen. Die Wahrheit war so tief unter den verschiedenen Schichten ihrer Lügen verborgen, dass sogar Lotharus zunächst Mühe hatte, das alles zu glauben. Aber je tiefer er grub, desto klarer wurde alles – geradezu schmerzhaft offensichtlich.

Unter der Gewalt des Fürsten der Finsternis war es der Horde viel besser gegangen. Seine Herrschaft war allumfassend gewesen, seine Weisheit unfehlbar, und seine politischen Vorhaben setzte er von der Idee bis zur Ausführung fehlerlos um. Die Streitkräfte waren mächtig, höchst effektiv gegen alle anderen Wesen, die es wagten, sie herauszufordern. Tatsächlich hatten sie jede einzelne Schlacht gewonnen, der sie sich stellen mussten. Bis zu jenem Krieg, dem die unsterbliche Seele des Fürsten der Finsternis zum Opfer fiel. Während sie zwischen den Trümmern des Krieges umherirrten, riss seine Witwe die Herrschaft an sich. Was als Zwischenlösung vorstellbar gewesen war, nämlich ein weiblicher Monarch, der die Horde anführte, wurde zum Dauerzustand.

Schon bei dem bloßen Gedanken stieg in Lotharus Wut auf. Es gab nicht viel auf dieser Erde, das ihn sprachlos machte. Aber wie es dazu kommen konnte, das wollte ihm nicht ins Hirn. Allein der Anblick von Alexia, wie sie sich jetzt zitternd und mit aufgerissenen Augen in seinem Griff wand, bestätigte alle seine Vorurteile. Frauen waren schwächlich, mitleiderregend, dazu bestimmt, den Männern untertan zu sein, nicht über sie zu herrschen. In Lotharus’ Augen waren weibliche Vampire, anders als bei anderen Wesen, nicht einmal wegen ihrer Fähigkeit zur Fortpflanzung nützlich. Schon vor Jahren war ihm klar geworden, dass sie das schwache Geschlecht dazu nicht mehr brauchten. Längst gab es wissenschaftliche Methoden, jene Soldaten hervorzubringen, mit denen man auch etwas anfangen konnte, und keine einzige dieser Methoden schloss den Geschlechtsakt ein.

Nur ein einziges Mal konnte er den Akt nutzbringend vollziehen. Lotharus grinste hämisch und erinnerte sich an die berauschende Macht, die immer noch jedes Mal in ihm vibrierte, wenn Alexia in seine Nähe kam. Er ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten und genoss ihr unwillkürliches Erschauern.

Er fuhr ihr mit einer Hand über das wunderschöne Gesicht, über ihre Wange, näherte sich langsam ihrem Hals. Als er über ihre Kehle glitt, zuckte sie zusammen. Lotharus hob fragend die Brauen und senkte den Kopf, um sich ihren Hals genauer anzusehen.

Als er den Abdruck bemerkte, schrumpfte die ganze selbstherrliche Arroganz in ihm zusammen. An ihre Stelle trat wilde Wut, die ihn von hinten anzuspringen schien. Das war ganz eindeutig ein Vampirbiss. Vor Raserei wäre er beinahe ohnmächtig geworden.

Nur ich darf solche Spuren an ihrer Halsschlagader hinterlassen. Und sonst keiner.

Die Sätze drehten sich in seinem Kopf wie eine endlose Litanei. Er kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, die Stimmen und die Bilder zu vertreiben. Es klappte nicht.

Er packte ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu blicken. „Gibt es vielleicht etwas, das du mir gern erklären würdest?“

Sie zitterte in seinem Griff, aber sie gab keine Antwort. Wieder wanderten seine Augen zu den beiden Bissspuren an ihrer Kehle. Er kratzte mit dem langen schwarzen Nagel seines Zeigefingers an der Wunde. Bei dem stechenden Schmerz sog sie scharf die Luft ein. Mit einem leisen Lächeln steckte er sich den Finger in den Mund. Durch den Geschmack ihres Blutes auf seiner Zunge flammte ein Licht hinter seinen Augen auf, und er bekam prompt eine Erektion. Es durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Fast hätte er einen Orgasmus bekommen.

Keiner seiner Männer würde es wagen, sie zu beißen. Es musste dieses Monster gewesen sein. Der Drache hatte ihr Blut getrunken. Die Wut auf Alexia, die diesem Monster erlaubt hatte, ihre Kraft in sich aufzunehmen, überwältigte ihn. Denn diese Macht gehörte rechtmäßig ihm, nur ihm. Die Wunde an ihrem bleichen Hals war wie eine Verhöhnung seiner eigenen Macht und seines Plans. Er konnte beinahe hören, wie der Fürst der Finsternis ihn von jenseits des Fatums auslachte.

Am liebsten hätte er Alexia den Kopf abgerissen, aber er gab sich damit zufrieden, sie lediglich mit dem Rücken gegen die Wand zu schleudern.

„Hebt ihn hoch“, schrie er und drehte sich zu den Soldaten um. Die Männer packten den Drachen unter den Armen und rissen ihn auf die Knie. Sein Gesicht war eine einzige schmerzverzerrte Maske.

Voller Abscheu blickte Lotharus auf diese schmierige fliegende Ratte herab. Diese Kreaturen standen tief unter seiner eigenen Rasse. Über viele Jahrhunderte hatten Vampire unter den Menschen gelebt, in ihren verschiedenen Zivilisationen, sich neben ihnen entwickelt. Die Drachen jedoch hatten jede Veränderung immer abgelehnt und im Verborgenen an ihrer barbarischen Lebensweise festgehalten. Schändliche Biester. Sie stanken wie die Tiere. Und jetzt hatte er den Schmutz dieses Drachen in der Nase, den Geschmack davon auf der Zunge, konnte förmlich spüren, wie er wie ein nasses Handtuch an ihm hing.

Er ging in die Hocke und riss den Kopf des Biests an den Haaren hoch, um seine Augen sehen zu können. Mit der anderen Hand drückte er ihm das Maul auf, um die Zähne zu inspizieren. Er entdeckte zwei scharfe Eckzähne, ganz ähnlich wie die, die er sein Leben lang im Spiegel betrachten durfte. „Das ist ja interessant.“

Der Drache grunzte, und die beiden Hauer wurden länger, ragten sichtbar über seine Unterlippe. „Höchst interessant. Wie es scheint, steckt mehr in dir, als man auf den ersten Blick sieht, Derkein.“

Er beugte sich noch weiter runter, damit niemand außer dem Drachen ihn hören konnte, dieser dafür aber umso deutlicher. „Oder sollte ich dich Declan nennen?“

Einen kurzen Moment flackerte Angst in seinen Augen auf, aber dann verzerrte sich Declans Gesicht vor Wut. Er wollte sich auf Lotharus stürzen, aber wie ein Pitbull war er an die Leine gelegt. Wie Lotharus erwartet hatte, ergriffen die Soldaten sofort den Drachen. Langsam erhob sich der Vampir und nickte den Wachmännern zu.

„Runter in die Folterkammer mit ihm.“ Dann drehte er sich zu Alexia um, die bebend in einer Ecke stand. „Wollen wir doch mal sehen, was er über dieses kleine Kinkerlitzchen weiß, das wir da verloren haben, hm?“

Bei seinen Worten drehte sich Alexia der Magen um. Sie wandte sich ab, wollte schnell auf ihr Zimmer verschwinden. Sie brauchte unbedingt frische Luft und Zeit zum Nachdenken.

Ehe sie nur einen Schritt machen konnte, gruben sich lange

Finger in ihre Haut. „Wo willst du hin?“

„Ich fühle mich nicht gut“, murmelte Alexia. Die Wut, die ihm aus jeder Pore strömte, klirrte vor Kälte und war nahezu greifbar. Sie wollte nur noch weg aus seiner Nähe. Aber er packte ihren Arm noch fester.

„Könnte das vielleicht daran liegen, dass du ihm erlaubt hast, dein Blut zu trinken?“

„Ich habe ihm das nicht erlaubt“, schnappte sie und entwand sich ihm. „Er hat mich angegriffen.“

Das Lächeln in seinen Zügen erfasste seine Augen nicht. Im nächsten Moment flog sie quer durch den Raum. Ihr Rücken krachte schmerzhaft gegen die am weitesten entfernte Wand, und ihre Wange wurde ganz taub, so stark hatte er zugeschlagen. Mit einer Hand an der Wange starrte sie Lotharus schockiert an. Doch der Vampir straffte die Ärmel seines Jacketts, als hätte er bloß eine Fliege erschlagen.

„Lüg mich ja nicht noch einmal an, Alexia. Du weißt, dass ich das gar nicht schätze.“

„Lügen?“, begann sie, aber sein Blick ließ ihr die Worte im Hals gefrieren.

Mit einer blitzartigen Bewegung, zu der nur die alten Unsterblichen fähig waren, stand er plötzlich vor ihr. Er riss sie hoch und presste sie gegen die Wand. Sie spürte seine Erektion, die gegen ihre Hüfte drückte.

„Ja, lügen“, kochte er. „Ich habe gesehen, wie du ihn geküsst hast.“

Galle brannte in ihrer Kehle, als er jetzt noch näher kam. Bis ihre Nasenspitzen sich fast berührten. „Ich habe gesehen, wie dein ganzer Körper unter ihm erbebte. Du hast geradezu darum gebettelt, du wolltest, dass er dich nimmt.“ Sein heißer Atem streifte ihren Hals, bis plötzlich seine Zunge vorschoss und ihre Bisswunde leckte. Er stöhnte leise und erschauerte. Sein männliches Stück wurde noch härter, drückte sich noch verlangender an ihre Hüfte.

„Du hast sein Gesicht in die Hände genommen“, sagte er und fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar. „Und seinen Mund zu dir heruntergezogen.“ Mit einem barbarischen Knurren riss er ihren Kopf an den Haaren nach vorn und drückte seine Lippen auf ihre. Als seine Zunge in ihren Mund drang, wurde Alexia übel.

Zum Glück war es beinahe so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Küssen hielt er für Zeitverschwendung. Niemals würde er dabei so leidenschaftlich sein wie der Herr der Drachen.

Lotharus fuhr zurück. Mit einem abgrundtiefen Blick musterte er sie. „Und jetzt denkst du an ihn, nicht wahr?“

Alexia schluckte.

„Genau wie ich.“ Er ließ sie los. Endlich konnte sie wieder frei atmen.

„Nun, ich denke, dann werde ich mal nachsehen, ob unsere Soldaten diesen Vogel schon zum Zwitschern gebracht haben.“

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