×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Der Sommer, der uns verband«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Der Sommer, der uns verband« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Der Sommer, der uns verband

Der ergreifende Auftakt zu Christie Ridgways sommerleichter Trilogie.

Eine ausgelassene Strandparty - und mittendrin ein sexy Mann mit ozeanblauen Augen und offenem Hawaiihemd: Das ist Griffin Lowell? Jane hat einen grüblerischen Einzelgänger erwartet, nicht diesen Traumtypen. Schließlich wurde sie engagiert, um Griffin in seinem Strandhaus beim Schreiben seiner Biographie zu helfen. Der allerdings will lieber feiern und seinen traumatischen Erinnerungen entfliehen - doch so schnell gibt Jane nicht auf, denn sie braucht den Job mehr als alles andere! Bei Strandspaziergängen im Mondschein gelingt es ihr tatsächlich, das Eis um Griffins Herz zum Schmelzen zu bringen. Aber während ihr berufliches Interesse bald tiefer Sehnsucht weicht, scheint er noch nicht bereit für die Liebe …


  • Erscheinungstag: 10.04.2014
  • Aus der Serie: Strandhaus
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956493584
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christie Ridgway

Der Sommer, der uns verband

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Sonja Sajlo-Lucich

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Beach House No. 9

Copyright © 2013 by Christie Ridgway

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-358-4

www.mira-taschenbuch.de

Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

 

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

1. KAPITEL

Die salzhaltige Meeresluft sabotierte den Erfolg ihrer Mission, das wurde Jane Pearson schnell klar. Erstens begann sich ihr sonst glattes Haar zu kräuseln … was an sich vielleicht noch keine Katastrophe gewesen wäre, vermutete sie, als sie den mit zerbrochenen Muschelschalen bestreuten Pfad von der Küstenstraße hügelabwärts auf die pittoresken Strandhäuser von Crescent Cove zulief. Allerdings ruinierte die feuchte Luft zweitens auch den Sitz ihres Leinenkleids.

Zu Hause war ihr das Kleid mit den kurzen Ärmeln und dem hohen Kragen noch als die perfekte Wahl für ein wichtiges Geschäftstreffen an einem Juni-Nachmittag erschienen. Jetzt jedoch schwang der Stoff nicht mehr schmeichelnd um ihre Knie, sondern klebte an ihren Oberschenkeln. Sie fürchtete, bei ihrer Ankunft am Strandhaus Nr. 9 eher einem aufgeweichten Halloween-Geist mit struppigen nassen Haaren als einer nüchternen, sachlichen Karrierefrau zu gleichen.

Nun, auch egal, dachte sie. An ihrer Entschlossenheit konnte das nichts ändern. Trotz ihrer ramponierten Erscheinung würde sie nicht nachgeben, wenn sie erst dem Mann gegenüberstand, den sie hier zur Rede stellen wollte. Griffin Lowell hatte nicht auf ihre Anrufe reagiert – auf keinen einzigen der elf! –, und sie war nicht bereit, noch länger auf seine Antwort zu warten. Laut Aussage seines Agenten war der Autor mit dem Abgabetermin für seine Memoiren in Verzug. Jane war damit beauftragt worden, diesen kritischen Fall von Terminleugnung zu lösen und dem Schriftsteller dabei zu helfen, die Seiten seines Manuskripts in die richtige Form zu bringen. Es wurde höchste Zeit, endlich damit anzufangen.

Er brauchte sie.

Und du brauchst ihn, Jane, merkte eine kleine Stimme in ihrem Kopf an.

Sie ignorierte die unwillkommene Erinnerung und schaute sich stattdessen in der Gegend um. Nein, es war sicher keine Strafe, Crescent Cove besuchen zu müssen. Im Gegenteil, der Ort war eine äußerst interessante Entdeckung, noch dazu in diesem Teil Südkaliforniens, der für seine fantasielosen Bauprojekte berüchtigt war. Gleichförmige Wohnsiedlungen und Einkaufszentren schossen entlang des Highways wie beigefarbene Pilze aus dem Boden. Und was die roten Dachziegel aus Terrakotta anging … war eigentlich niemandem klar, dass man mit zu viel des Guten genau das Gegenteil erzielte?

Diese Strandkolonie hier dagegen wirkte wie aus einer anderen Zeit. Die ungefähr fünfzig unkonventionellen Bungalows und farbenfrohen Hütten waren Paradebeispiele traditioneller Strandarchitektur  – das hatte sie irgendwo gelesen  – und schmiegten sich an dem gut zwei Meilen langen Strandabschnitt an die Klippen. Alles machte einen heiteren, unbeschwerten Eindruck, abwechslungsreich wie die Bougainvillea, die hier wie Unkraut wucherten und deren Blütenfarben von hellstem Lachs bis zu tiefstem Scharlachrot reichten. Und all das wurde von dem nie endenden rhythmischen Wellenrauschen untermalt. Der Verkehrslärm des oberhalb vorbeilaufenden Highways wurde von einer Wand aus hohen Eukalyptusbäumen abgeblockt, deren an Hustensaft erinnernder Duft sich mit dem Geruch von Seetang, Sand und Ozean vermischte.

Ein schwarzer Labrador mit einem Batikhalstuch lief auf sie zu. Jane lächelte. Sie liebte Hunde, auch wenn sie nie einen besessen hatte. Als Kind war ihr Vater, der berühmte Wissenschaftler, der Meinung gewesen, Haustiere würden Kinder nur vom Lernen ablenken, und heute … Ihre Arbeitszeiten waren zu unregelmäßig, als dass sie sich um ein Haustier kümmern könnte.

„Hallo“, grüßte sie den Hund und streckte die Hand in seine Richtung aus. Er jedoch schlenderte einfach weiter und bog ohne einen Blick in ihre Richtung in eine Gasse zwischen den Häusern ab. Tja … noch ein männliches Wesen, das sich durch nichts von den eigenen Plänen abbringen ließ.

Sie ging weiter, näherte sich Nr. 9 von der Rückseite. Der Muschelweg führte bis an eine Doppelgarage, deren Tor in Meerschaumgrün gestrichen war. Einige Fahrräder lehnten an der mit dunkelbraunen Holzschindeln verkleideten Mauer. Sechs Autos parkten in der Nähe, die eine Hälfte Luxuslimousinen, die andere Hälfte in eher bedenklichem Zustand, aber alle hatten Dachgepäckträger, auf denen zwei oder mehr Surfboards festgezurrt waren, zwischen denen bunte Strandlaken steckten.

Hatte Griffin Lowell etwa Gäste? Bei dem Gedanken blieb Jane gute zwanzig Meter vor der Haustür abrupt stehen. Doch sicher nicht, oder? Sein Agent hatte ihr versichert, der Mann lebe wie ein Einsiedler, verweigere jeden Kontakt mit der Außenwelt, reagiere nicht auf Bitten um Rückrufe, ignoriere sowohl E-Mails als auch Textnachrichten sowohl von Freunden wie von der Familie. Jane konnte das aus eigener Erfahrung nur bestätigen.

„Bevor er sich in seine Tonne verkrochen hat und seither mit niemandem mehr kommuniziert, hatte ich ihm den Vorschlag unterbreitet, ihm jemanden zu schicken, der ihn bei seinem Buch unterstützt“, hatte Frank, der Agent, gesagt. „Und er hat sich einverstanden erklärt. Also machen Sie ihm Feuer unter dem Hintern, Jane. Und zwar richtig!“

Genau das hatte sie vor. In ihrem Job war sie exzellent, und nach der Katastrophe, in der ihr letzter Auftrag geendet war, hatte sie es bitter nötig, das zu beweisen.

Sie achtete sorgfältig darauf, dass ihre Peeptoe-Pumps mit dem halbhohen Absatz keine Schrammen abbekamen, während sie die nächsten Meter über den unebenen Muschelweg hinunterlief. Dann jedoch verharrte sie ein zweites Mal, atmete mehrmals tief durch und versuchte, die krausen Strähnen und den feuchten Leinenstoff ihres Kleids mit den Handflächen glatt zu streichen. Dass hier so viel auf dem Spiel stand, machte sie leicht nervös.

Ganz zu schweigen davon, dass sie auch noch auf diese Einsiedler-Geschichte Rücksicht nehmen musste. Griffin hatte ein Jahr lang mit den amerikanischen Truppen in Afghanistan zugebracht. Er musste Dinge gesehen und erlebt haben, die zweifelsohne Spuren bei ihm hinterlassen hatten – daher auch die Memoiren. Saß er etwa allein in der Hütte, den Blick starr auf den Ozean gerichtet, und grübelte düster über Gott und den Sinn der Welt nach? Bei der Vorstellung, in diese Szene hineinzuplatzen und seine Ruhe zu stören, wurde ihr noch mulmiger.

Du hast eine zweite Chance bekommen, Jane. Einen Rückzieher kannst du dir nicht leisten.

Mit diesem Mantra schaffte sie es immerhin bis zur Fußmatte vor der Tür. Die Matte sah aus wie eine Piratenflagge, und unter dem Totenkopf und den über Kreuz gelegten Knochen stand zu lesen: Ihr, die Ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.

Eine andere Frau hätte diese Warnung vermutlich zu den elf ignorierten Anrufen, ihren angespannten Nerven und ihrem ramponierten Aufzug hinzuaddiert und beschlossen, an einem anderen Tag wiederzukommen, um es mit dem Autor aufzunehmen. Jane aber reckte ihr Kinn und hob die geballte Faust an, um an die Tür zu klopfen.

Die wurde aufgezogen, noch bevor ihre Knöchel das Holz berührten. Ein Typ mit blonden Locken, barfuß und in gelben Surfshorts, starrte sie an. Aus dem Innern des Hauses drangen eindeutige Partygeräusche  – Rap-Musik, laute Stimmen, das Klirren einer zu Boden fallenden Bierflasche, woraufhin jemand fluchte wie ein gestandener Seemann. Hinter dem Beachboy gingen zwei Frauen vorbei, die identische Jeans-Miniröcke und winzige Bikinioberteile trugen. Beide hatten langes, mit Strähnchen aufgehelltes, perfekt frisiertes Haar und hielten hohe Gläser mit bunten tropischen Cocktails inklusive Fruchtscheiben und Schirmchen in den Händen. Jane mit der struppigen Frisur und dem schlaff herabhängenden Kleid würdigten sie keines Blickes. Irgendwo in dem Raum rief jetzt eine männliche Stimme lachend: „Mann, bin ich besoffen. Voll, breit, absolut dicht …“, und ein anderer rief: „Hey, Brittany, wie wär’s, wenn wir uns ausziehen und endlich zur Sache kommen?“

Aha. Der Mann, mit dem sie es zu tun hatte, war definitiv kein Einsiedler.

Die Augenbrauen fragend hochgezogen, musterte sie den Surfer. „Griffin?“

„Nee, ich bin Ted. Wollen Sie was von ihm?“

„Ja.“ Sollte sie jetzt froh oder enttäuscht sein, dass Beachboy nicht der Mann war, den sie suchte? „Ist er zu sprechen?“ Könnte ja sein, dass er sturzbetrunken oder gerade mit Brittany beschäftigt war.

„Für Sie? Immer.“ Beachboy deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Irgendwo da drinnen. Sie können ihn gar nicht verfehlen.“

Als sie an ihm vorbei über die Schwelle trat, brüllte der Typ in den Raum hinein: „Hey, Griffin, sieh nur! Der Getränkeladen nutzt jetzt kleine Bibliothekarinnen, um Chips und Schnaps auszuliefern!“

Auch wenn Ärger über den dummen Kommentar in ihr aufbrodelte … sie ignorierte ihn und schaute sich stattdessen um. Hier war definitiv eine Party in vollem Gange. Gut zwanzig Leute hatten sich in dem großen Wohnraum versammelt. An der einen Wand gab es einen offenen Kamin, ihm gegenüber lagen die gläsernen Schiebetüren, die auf die Veranda zum Ozean hinausführten. Da draußen hatte sich noch mehr Volk versammelt. Statt Rap begleitete ein Song von Jimmy Buffett Jane jetzt auf dem Weg durch die Menge. Sie überlegte, wie sie den Reporter „nicht verfehlen“ sollte. Er arbeitete für Zeitschriften und Magazine, im Fernsehen hatte sie ihn noch nie gesehen. Und auf dem Schwarz-Weiß-Foto von ihm, über das sie bei ihren Nachforschungen im Internet gestolpert war, war nur eine verschwommene Gestalt mit Soldatenhelm, Bomberjacke und verstaubter Sonnenbrille zu erkennen.

Für einen Moment verstummte die Musik, dann plärrte der Song wieder von vorn aus den Lautsprechern, gerade als Jane bei der Veranda angekommen war. Ihr Blick glitt nach rechts, angezogen von einem sich drehenden Mobile aus Treibholzstücken und ausgedienten Flip-Flops in den verschiedensten Farben. Unter diesem „Kunstwerk“ entdeckte sie ihn. Sie wusste nicht, weshalb sie so sicher war, doch sie hätte hundert Dollar darauf gewettet – die sie nicht hatte –, soeben Griffin Lowell gefunden zu haben.

In verwaschenen Cargo-Shorts, das Hawaiihemd offen stehend, lungerte er lässig zurückgelehnt auf einer Lederliege, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatte. Zu beiden Seiten rahmten ihn vollbusige Bikini-Schönheiten ein. Er trug ein rotes Bandana wie ein Biker … oder besser, wie ein Pirat, denn an einem Ohr hing eine goldene Kreole, und auf beiden Seiten verdeckte eine Augenklappe seine Augen. Mit den Fingern umklammerte er eine Bierflasche, die er auf seinem durchtrainierten Bauch abgestellt hatte. Er schien zu schlafen. Oder vielleicht zu meditieren – falls Freibeuter so etwas taten.

Tief holte Jane Luft. „Griffin? Griffin Lowell?“

Seine freie Hand glitt zu seinem Schritt. Hektisch riss Jane den Blick los, doch dann wurde ihr klar, dass er nur in seine Tasche fasste. „Wie viel schulde ich Ihnen?“, brummte er. „Sie haben doch hoffentlich den Tequila mitgebracht, oder?“

„Und die Cherry Cola light“, meldete sich eine von den Bikini-Schönheiten. „Tequila trinke ich immer nur mit Cherry Cola light.“

Er verzog den Mund, wiederholte es dennoch. „Und die Cherry Cola light.“

Jane starrte den Mann kopfschüttelnd an. Es war schwer, überhaupt einen Eindruck von ihm zu bekommen, mit dem Bandana auf dem Kopf und diesen lächerlichen Augenklappen, die sein Gesicht halb verdeckten. Als sie genauer hinschaute, erkannte sie, dass auch das schwarze Plastik mit Jolly Roger verziert war. „Ich habe überhaupt nichts mitgebracht.“ Sie musste lauter sprechen, um die Musik zu übertönen. „Aber sagen wir es mal so: Sie schulden mir tatsächlich etwas, Griffin Lowell.“

Einen Moment stutzte er, dann schnellte die Rückenlehne der Liege vor und verscheuchte so die Bikini-Mädchen von den Armlehnen. Griffin streckte die Hand mit dem Bier aus, und eine von den beiden Bikinis nahm sie ihm ab. Jetzt hatte er beide Hände frei, um die Piratenverkleidung abzulegen: Ohrring, die beiden Augenklappen, dann das Bandana. Nun sah Jane ihn zum ersten Mal.

Großer Gott, dachte sie und schluckte.

Der Mann war unbestreitbar attraktiv. Das von der Sonne gebräunte Gesicht war ebenso schlank und kräftig wie seine Hände, die Züge markant, der Knochenbau sehr männlich. Dunkle Bartstoppeln bedeckten Wangen und Kinn, das Haar auf seinem Kopf war nicht viel länger, vielleicht nur einen Zentimeter. Und seine Augen … sie leuchteten aquamarinblau unter den dunklen Brauen hervor und musterten sie mit der Intensität eines Lasers. Reporter-Augen.

Zuerst schienen sie kalt zu glitzern, doch während sein Blick weiter über Janes Gesicht wanderte, über ihren Mund, den hochgeschlossenen Kragen, der ihr plötzlich zu eng schien und ihr die Luft abschnürte, weiter über ihr zerknittertes Kleid und zu den Knien, die nachgeben wollten, begann ihre Haut förmlich zu glühen. Zentimeter um Zentimeter errötete sie, es erinnerte sie an die Warnfeuer, die man früher angezündet hatte, um die Ankunft des Feindes zu signalisieren. Eine Kettenreaktion, um jeden – in ihrem Fall jede Nervenzelle – vorzuwarnen. Jane hatte allerdings auch gehört, dass Piraten diese Feuer ebenfalls genutzt hatten, um Schiffe in gefährliche Gewässer zu locken, wo sie auf Grund liefen und sanken.

Der Gedanke hätte sie erschaudern lassen sollen, stattdessen durchströmte sie eine neue Hitzewelle. Sie konnte tatsächlich fühlen, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten und sich zu Locken kräuselten, die sie noch nie in ihrem Leben gehabt hatte.

Sie räusperte sich – das war bestimmt besser, als sich verlegen den Nacken zu massieren. „Sie haben nicht auf meine Anrufe reagiert“, sagte sie streng. „Daher blieb mir nichts anderes, als persönlich zu kommen, um mich mit Ihnen über Ihr Buch zu unterhalten.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schien er sich zu verschließen und ließ sich wieder auf der Liege fallen. „Kein Interesse.“ Er streckte die Hand nach seinem Bier aus und leerte es in einem Schluck.

Jane ließ sich von seinem rüpelhaften Verhalten und den geschlossenen Augen nicht aufhalten. „Sie haben einen Vertrag für Ihre Memoiren unterzeichnet.“ Sie zwang sich, ihre Stimme freundlich klingen zu lassen. „Aber Sie müssen das nicht allein durchstehen. Deshalb bin ich hier – für Sie. Zu Ihrer Unterstützung.“

Als er jetzt die Lider hob, schaffte sie es sogar, aufmunternd zu lächeln. Erneut musterte er sie von Kopf bis Fuß. Unwillkürlich presste sie die Lippen zusammen. Innerlich krümmte sie sich. Als er wieder eindringlich auf ihren Mund starrte, biss sie sich auf die Unterlippe, um das seltsame kleine Wimmern zurückzuhalten, das in ihrer Kehle hochstieg. Und das ebenso bizarr war wie der ungewöhnliche Impuls, die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, so weit sie konnte.

Du kannst dir einen Rückzieher nicht erlauben, Jane.

Diese kleine Stimme in ihrem Kopf hatte die gleiche Wirkung wie ein Eimer kalten Wassers. „Sie haben demnächst Manuskriptseiten abzugeben“, rief sie Griffin in Erinnerung. Sie hatte sich wieder im Griff. „Mich hat man damit beauftragt, Ihnen zur Seite zu stehen und zu helfen, dass Sie Ihre Fristen einhalten.“

Er legte den Kopf leicht schief, der Mangel an Begeisterung war ihm deutlich anzusehen.

Trotzdem fuhr sie fort: „In diesem Sinne stehe ich zu Ihrer vollständigen Verfügung und werde Sie mit allem versorgen, was Sie brauchen.“ Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass manchmal auch ein Tritt in den geschätzten Autorenhintern dazugehörte – eine Vorstellung, die mehr und mehr an Reiz gewann.

„Ach, tatsächlich?“, fragte er und schaute sie träge an. „Das Einzige, was ich brauche, Engelchen, sind eine Flasche Tequila, noch ein Sixpack Bier und eine Nacht mit heißem Sex.“ Jetzt wackelte er anzüglich mit den Augenbrauen. „Was ist, haben Sie Lust?“

Jane konnte nicht mehr als ein ersticktes Schnauben ausstoßen, da rief jemand aus dem Haus nach ihm. Dann war er auch schon verschwunden und ließ Jane allein zurück mit einer leeren Liege und den beiden Bikini-Schönheiten.

„Wurde aber auch Zeit“, meinte die eine. „Ich hoffe, das ist jetzt die Cherry Cola light.“ Sie schlenderte davon, vermutlich, um nachzuschauen.

Die zweite Bikini-Schönheit lächelte Jane an – die es tatsächlich schaffte, zurückzulächeln. „Nette … äh … Party. Gibt es einen besonderen Anlass?“

Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Ist heute Dienstag?“

„Um genau zu sein … wir haben bereits Mittwoch“, antwortete Jane.

„Oh.“ Die andere massierte sich die Stirn. „Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Endspurt, Sie wissen schon …“

Musste man etwa spezielle Prüfungen ablegen, um die Sonnenbänke in Bräunungsstudios zu bedienen? „Sie sind Studentin?“

„Abschlussarbeit. Meeresbiologie.“ Dann brach sie in Gelächter aus. „Sie müssten mal Ihr Gesicht sehen! Nein, war nur ein Witz. Ich bin Kosmetikerin.“

In puncto Aussehen brauchte die junge Frau wohl niemanden, der ihr sagte, wo es langging. Sie war der Schmollmund-Typ mit ausladender Oberweite, der in Seifenopern mitspielte. Oder die Titelseiten der Maxim schmückte. „Besuchen Sie Griffin oft?“

„Das hier ist die Partyzentrale. Der Freund meiner Freundin geht mit ihm surfen, also feiern wir hier alle zusammen. Er scheint nichts dagegen zu haben.“

Was nur bestätigte, dass er nicht gerade konzentriert an seinem Manuskript arbeitete. Inzwischen hatte er wohl genug Zeit gehabt, um die Schnapslieferung anzunehmen, also entschuldigte Jane sich und machte sich auf die Suche nach ihm. Es dauerte eine Weile, bevor sie sich versichert hatte, dass er weder in der Küche noch in einem der Schlafzimmer war, auch nicht im Bad oder in der Garage, wo sich eine andere Gruppe Partygänger zu irgendeinem Trinkspiel um den aufgestellten Tisch versammelt hatte. Bei ihrem zweiten Rundgang durchs Haus stellte sie fest, dass er sich unbemerkt an ihr vorbeigeschlichen hatte. Mit geschlossenen Augen lümmelte er auf einer Liege in der Ecke der Veranda und hielt eine frische Flasche Bier in der Hand.

Davon ließ Jane sich jedoch nicht von ihrer Mission abbringen. Sie zog einen der Plastikstühle heran, setzte sich neben ihn und schob sich die krausen Strähnen hinter die Ohren. Er rührte sich nicht.

Sie räusperte sich und starrte ihn durchdringend an, aber auch das rief keine Reaktion bei ihm hervor. Nichts drang durch den Kokon, in den er sich zurückgezogen hatte. Vermutlich wäre es klug, einfach zu warten und ihn damit aus der Reserve zu locken, allerdings kannte auch ihre Geduld ihre Grenzen. Er hatte eine Frist einzuhalten und sie ihren Ruf wiederherzustellen.

Noch ein Räuspern. „Griffin.“

„Engelchen.“ Nur seine Lippen bewegten sich.

Geräuschlos mahlte sie mit den Zähnen. „Hören Sie. Sie haben Ihrem Agenten gesagt, dass Sie jemanden brauchen, der Ihnen mit dem Manuskript hilft. Deshalb bin ich hier, damit verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt.“

Als er noch immer schwieg, wurde sie etwas lauter. „Ich bin Buchdoktor“, verkündete sie. „Ich heiße Jane.“

Das schien immerhin zu ihm durchzudringen, seine Augen öffneten sich kurz zu schmalen Schlitzen, und als er sie wieder schloss, zuckte einer seiner Mundwinkel in die Höhe. „Natürlich heißen Sie so.“

Seinen amüsierten Ton ignorierte sie, es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie eine solche Reaktion erhielt. Sie sah auch aus wie eine Jane. Ihr einer Bruder Byron, ein ebenso ernster und anerkannter Wissenschaftler wie ihr Vater, ähnelte mit seinem dramatischen Aussehen tatsächlich seinem literarischen Namensgeber. Und der andere Überflieger, der ebenfalls ihr Bruder war, Philip Marlowe Pearson, könnte wirklich als hartgesottener Detektiv durchgehen, obwohl er in der medizinischen Forschung viel mehr daran interessiert war, DNS-Stränge zu identifizieren als Verbrecher. Und genau wie bei ihren Brüdern passte auch ihr Name zu ihrem Äußeren. Das schmutzig-blonde Haar, das hübsche, aber unauffällige Gesicht und die schlichten grauen Augen verrieten eigentlich schon alles – eine zurückhaltende, damenhafte Jane.

Wäre ihre Mutter nicht schon gestorben, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hätte sie sie wohl irgendwann gefragt, weshalb sie nicht einen exotischeren Namen für die einzige Tochter gewählt hatte. Würde sie vielleicht anders aussehen, wenn man sie Daisy oder Delilah genannt hätte?

Nichtsdestotrotz drängte sich Jane der Verdacht auf, dass Griffin Lowell sie auch dann ignorieren würde, wenn sie wie Scheherazade aussähe. Außerdem war er es, der Geschichten zu erzählen hatte. „Was nun Ihr Buch betrifft …“, begann sie.

„Darüber kann ich im Moment nicht sprechen.“

„Wieso? Sie haben doch gerade Zeit.“

Noch immer waren seine Augen geschlossen. „Ich habe Gäste.“

„Die längst ihre Cola light bekommen haben“, merkte sie spitz an. Unverständlich, weshalb sie so verärgert war, nur weil sie die andere Frau jetzt am gegenüberliegenden Ende der Veranda erblickte. Die Schönheit beugte sich vor, um sich ein paar Sandkörnchen von der Wade zu wischen, und fast hätten die winzigen Dreiecke ihres Bikinioberteils die vollen Brüste nicht mehr gehalten.

„Es scheint nicht, als müsste sie auf ihr Gewicht achten, oder?“ Die Augen jetzt weit offen, schaute er in die gleiche Richtung wie Jane.

„Dazu habe ich keine Meinung“, sagte sie spröde.

Er schnaubte. „Sie klingen sogar wie eine Gouvernante.“

Sie lächelte schmal. „Das ist bei meiner Arbeit durchaus hilfreich.“

„Meinen Sie?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine an den Knöcheln übereinander – die verkörperte Nonchalance. „Ich glaube eher, Sie hätten mehr Erfolg, wenn Sie lockerer wären. Warum suchen Sie sich nicht im Haus einen Badeanzug und holen sich einen Drink? Dann reden wir.“

Sie kniff die Augen zusammen. Für den Moment würde sie vorgeben, mitzuspielen. „Und Sie sind noch hier, wenn ich zurückkomme? Kann ich mich darauf verlassen?“

Er wandte das Gesicht ab. „Machen wir einen Termin für nächste Woche aus.“

Ja, sicher. Nachdem sie ihn jetzt gesehen hatte und wusste, wie er hauste, würde sie ihm keinen Zentimeter Freiraum mehr lassen. Er wollte sich nur herauswinden. Sein Agent hatte völlig recht: Der Mann verweigerte sich. „Sie müssen sofort mit der Arbeit anfangen, Griffin, sonst können Sie den Abgabetermin nicht halten. Die erste Hälfte hat bis zum Ende des Monats vorzuliegen.“

Er ignorierte die Bemerkung und studierte angelegentlich das Etikett auf der Bierflasche. „Buchdoktor also, was? Sind Sie mit Vokabular und Grammatik vertraut?“

„Natürlich. Aber meine Arbeit besteht aus mehr als nur …“

„Sind Sie wirklich vom Fach?“, fiel er ihr ins Wort. „Können Sie humulus lupulus buchstabieren? Wissen Sie, was es mit saccharomyces uvarum auf sich hat?“

Sie mühte sich um Geduld. „Solange Sie keine Abhandlung über das Bierbrauen schreiben wollen, über Lager im Besonderen, wird wohl keiner dieser Begriffe auftauchen, oder?“

Er stutzte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Fein. Reden wir über Interpunktion, zum Beispiel Kommas …“

„Kommas oder Kommata, beides ist zulässig. Und die feinen Unterschiede, die Journalisten von Autoren unterscheiden, sind mir ebenfalls bewusst.“

„Aber …“

Sie ließ sich nicht von ihm unterbrechen, sondern fachsimpelte eine Weile und verblüffte ihn mit ihrem Wissen. „Habe ich den Test bestanden?“ Sie wartete auf seine Antwort.

„Hören Sie …“ Er wirkte plötzlich erschöpft. „Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden.“

Sie sah sich um, erfasste das dürftig bekleidete, junge und schöne Strandvolk, das sich auf seiner Veranda tummelte und den Spirituosen frönte, während die Sonne am Horizont langsam im Meer versank. „Ihr Bedürfnis nach Ruhe und Frieden wäre vielleicht etwas glaubhafter, wenn Sie nicht inmitten so vieler Menschen hockten und Ihre Gäste Ihr Haus nicht als ‚Partyzentrale‘ bezeichnen würden.“

In seinen Augen funkelte es auf. „Das geht Sie nichts an.“

Hoppla. Sicher, dass sie und ihre Klienten immer einer Meinung waren, war eher nicht zu erwarten, aber unverhohlener Feindseligkeit war sie bisher noch nie begegnet. Die würde ihre Arbeit auch nur unnötig erschweren. Also rutschte sie mit ihrem Stuhl näher an ihn heran und drehte sich so, dass sie ihm direkt gegenübersaß. „Griffin …“, begann sie und legte ihm, wie jede gute Gouvernante es mit ihrem trotzigen Schüler machen würde, die Hand auf den Oberschenkel.

In diesem Moment passierte etwas Seltsames: Ein elektrischer Funke sprang über und lief ihren Arm hinauf. Ihre Blicke trafen sich, wichen einander hastig aus und schienen miteinander zu verschmelzen. Jane fühlte sich wie gelähmt, als ein neuerlicher Stromstoß durch ihren Arm schoss, sie war unfähig, sich zu bewegen, starrte Griffin noch immer an. Und es verwirrte sie zutiefst. Das andere Geschlecht rief keine solch starken körperlichen Reaktionen bei ihr hervor. Nie. Bisher war sie immer der Meinung gewesen, dass sie über solchen Dingen stand. Es waren Geist und Verstand, die sie an einem Mann interessierten, nicht die Tatsache, dass er … dass er ein Mann war.

„Griff“, rief jemand, dann noch einmal lauter. „Hey, Griff!“

„Was?“ Er rührte sich nicht, Jane immer noch tief in die Augen schauend.

„Sammy springt jetzt“, verkündete die Stimme.

„Schön. Er soll sich vor den Felsen in Acht nehmen“, erwiderte er tonlos.

„Er sagt, er will deinen Rekord brechen. Er behauptet, er schafft es.“

Griffin zuckte zusammen. Die Bewegung riss auch Jane aus ihrer Starre, hektisch zog sie ihre Hand zurück. Mit einem Ruck wandte Griffin den Kopf zu dem Mann, der neben ihnen aufgetaucht war. „Was meintest du?“

Es war Beachboy, der, der die Tür geöffnet hatte. Ted. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er zum Südende der Bucht. Jane entdeckte eine Handvoll Gestalten, die die Klippen hinaufkletterten. „Sammy sagt, er springt von einer Stelle, die zwei Meter höher liegt als die, von der du zuletzt gesprungen bist.“

Griffin warf einen Blick über die Schulter. „Sammy ist betrunken.“

Beachboys Locken hüpften, als er nickte. „Deshalb redet er ja auch solchen Blödsinn. Aber ich glaube, er meint es ernst. Dieses Mal will er dich unbedingt schlagen.“

„Mich schlagen? Von wegen!“ Abrupt erhob sich Griffin und schwang sich über das Geländer auf den Sand. „Halte deine Kamera bereit“, wies er den anderen Mann an, riss sich das Hemd vom Körper und rannte los.

Jane wurde klar, dass sie zu viel Zeit mit britischen Majoren und Akademikern verbracht hatte. Die zogen Golf und Einkaufsbummel auf dem Biobauernhof vor. Die stürzten sich nicht in schäumende Wellen und kletterten auch keine Klippen hinauf, wobei man ein faszinierendes Muskelspiel zu sehen bekam. Die stießen keine lauten Urschreie aus und ließen sich von einem Felsvorsprung in die Brandung fallen.

Doch gleich mehrere von Griffins Partygästen taten jetzt genau das, und zwar aus verschiedenen Höhen. Jane stellte fest, dass sie den Atem anhielt, während sie beobachtete, wie einer nach dem anderen in die Tiefe sprang. Ihre erste Reaktion wäre mit einem Wort wohl am besten zusammengefasst: Wozu? Allerdings musste sie zugeben, dass, nachdem die ersten wieder an den Strand zurückgeschwommen kamen, dieses Unterfangen einer gewissen … nun, einer gewissen erregten Euphorie nicht entbehrte.

Irgendwann befanden sich nur noch zwei Männer auf den Klippen. Einer davon, so vermutete Jane, musste der betrunkene Sammy sein, der andere war Griffin. Sie standen Seite an Seite, der Wind zerrte an ihren Shorts.

„Griff sollte ihm das ausreden“, murmelte einer der Partygäste, die sich alle gespannt am Verandageländer versammelt hatten und zu den Klippen starrten. „Sicher wird er den Rekord brechen, wenn er aus der Höhe springt, aber Sammy ist so blau, dass ihm wahrscheinlich nicht klar ist, wie viel weiter er nach vorn springen muss, um in tieferem Wasser zu landen.“

Sollte Griffin versucht haben, den anderen Mann zur Vernunft zu bringen, so hatte er damit offensichtlich keinen Erfolg. Ein kollektives Nach-Luft-Schnappen ertönte auf der Veranda, sowie Sammy sprang. Alle Augenpaare verfolgten seinen Fall ins Wasser … nur Jane hielt den Blick auf den Gastgeber gerichtet, der noch höher auf die Klippen kletterte.

„Sucht Griffin nach einem Platz, um seinen Freund besser sehen zu können?“, fragte sie Beachboy neben sich.

„Nein.“ Der Typ seufzte, als Griffin auf einem in die Luft hinausragenden Felsvorsprung stehen blieb. „Er legt die Latte höher. Aus der Höhe ist noch keiner gesprungen. Das könnte wirklich …“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, aber seine Miene sagte sowieso mehr, als er mit Worten hätte ausdrücken können.

Es könnte wirklich gefährlich sein.

Schockiert kniff Jane die Augen zusammen. Sicher, die unkooperative Haltung ihres neuesten Schützlings und sein Hang zu orgiastischen Biergelagen hatten ihr Sorge bereitet, dennoch war sie zuversichtlich gewesen, dass sie es schaffen würde, Griffin Lowell zu konzentriertem Arbeiten zu bewegen. Schon vor Langem hatte man ihr eingetrichtert, dass Versagen keine Option war. Jetzt wurde allerdings deutlich, dass das wohl komplizierter werden könnte und von ihr mehr verlangt wurde, als nur immer wieder an den Abgabetermin zu erinnern und mit dem Rotstift in der Hand bereitzustehen.

Dieser Mann war nicht nur einfach ein Schriftsteller mit Schreibblockade, er ging auch impulsiv unnötige Risiken ein, weil ein überproportional entwickeltes Konkurrenzdenken in ihm steckte.

Oder eine voll ausgewachsene Todessehnsucht.

2. KAPITEL

Der Fernseher lief noch immer, als Griffin aufwachte, genau wie jeden Morgen. Ohne die Augen zu öffnen, tastete er nach der Fernbedienung und drehte die Lautstärke auf. Es war völlig egal, was lief – Cartoons, Nachrichten, was auch immer. Der Geräuschpegel war nur dazu gedacht, die Stimmen in seinem Kopf zu übertönen. Nein, er war nicht schizophren, er hatte lediglich ein überentwickeltes Erinnerungsvermögen. Und diese Erinnerungen hatten die Unart, ständig in seinem Hinterkopf abzulaufen, solange er sie nicht vierundzwanzig Stunden am Tag mit Nachrichten, lauter Musik oder einer Party, bei der der Alkohol in Strömen floss, übertönte.

Die Partyzentrale zu sein hatte eindeutig seine Vorteile.

Von denen auch andere profitierten, wie er auf dem Weg zur Küche registrierte. Einer seiner Surf-Kumpel, Ted, schlief – mit einem Strandlaken zugedeckt und einem Bikinioberteil in der Hand – im Wohnzimmer auf dem Fußboden.

Weder von dem Bikinihöschen noch von der Frau, zu der die D-Körbchen gehörten, war eine Spur zu entdecken. Griffin zuckte mit den Schultern und stupste Ted mit der Spitze seiner Flip-Flops an. „Hey.“

Ted, verärgert über die Störung, schlug mit dem Bikinioberteil nach Griffins Knöcheln. „Heute ist doch keine Schule, Mom“, murmelte er.

Auch wenn der Fernseher aus dem anderen Raum laut und deutlich zu hören war, zog Teds gemurmelte Bemerkung Griffin sofort zurück in den Unterstand aus Holz und Sandsäcken in einem entlegenen Dorf im Norden Afghanistans. Soldaten schliefen Seite an Seite, und irgendjemand redete immer im Schlaf. Mit der Mutter.

Oder den eigenen Dämonen.

Ruckartig zog er den Kopf zurück, um den Gedanken abzuschütteln, und stieß Ted fester an. „Komm schon, Kleiner.“ Der Surfer gehörte zur gleichen Altersgruppe zwischen neunzehn und siebenundzwanzig wie die Jungs, mit denen Griffin das Jahr an der Front verbracht hatte. Jene jungen Männer hatten rasant erwachsen werden müssen. Nach diesen dreihundertfünfundsechzig Tagen fühlte Griffin sich heute manchmal doppelt so alt wie mit seinen einunddreißig Jahren.

„Hey, Kleiner“, sagte er noch einmal. „Steh auf. Leg dich auf die Couch. Oder besser, nimm eines von den Gästezimmern.“

Blinzelnd setzte Ted sich langsam auf. Er sah an seinem nackten Oberkörper herunter auf das Strandlaken, dann auf das Bikinioberteil in seiner Hand. „Hab ich gestern den Pokal abgeräumt?“

„Weiß ich nicht.“

Der andere hielt das Stoffstückchen vor sich hoch. „Ich hab von dieser Bibliothekarin geträumt.“

Bibliothekarin? Fast hätte Griffin eine Grimasse gezogen. Damit konnte Ted nur diese kleine sture Frau meinen, die uneingeladen in die Party geplatzt war. Sie war das einzige weibliche Wesen gestern Abend gewesen, das ausgesehen hatte, als hätte es mit Büchern zu tun. Er hatte sich Mühe gegeben, sie zu ignorieren, aber das war nicht so einfach gewesen. Sie hatte wirklich hübsche Augen … Herrgott, sein Surf-Kumpel träumte ja sogar von ihr!

„Im Schlaf hast du sie ‚Mom‘ genannt“, ließ er Ted wissen.

„Nein, das war der zweite Traum. In meinem ersten bist du mit ihr auf die Klippen geklettert, und als ihr gesprungen seid, hat sich ihre Kleidung beim Fallen in Luft aufgelöst.“

„Hm.“ Griffin versuchte, sich das vorzustellen, aber nur das Bild ihrer sich ständig bewegenden Lippen tauchte vor ihm auf. Auch die Lippen waren hübsch. Sie hatten sehr weich ausgesehen. Sanft. Trotzdem … sie hatten sich unablässig bewegt. Sie haben einen Vertrag für Ihre Memoiren unterzeichnet. Sie müssen sofort mit der Arbeit anfangen.

Ted sah von dem Bikini zu Griffin. „Übrigens … ich habe gute Schnappschüsse von deinem Sprung gemacht. Und wie du Sammy an Land ziehst. Ich glaube, er hat mindestens so viel Salzwasser geschluckt wie Bier.“

„Und beides hat er wieder von sich gegeben.“ Griffin fühlte sich deswegen schuldig. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass der Typ sprang. Er hatte noch versucht, vernünftig mit ihm zu reden, aber dann hatte er das trotzige Funkeln in den Augen des anderen bemerkt. Griffin kannte diesen Blick. Wenn Gage, sein Zwillingsbruder, diesen Ausdruck bekam, war nicht mehr mit ihm zu reden. Auch Erica hatte so ausgesehen, als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.

Etwas Warmes, Haariges drängte sich an sein Knie, und er beugte sich vor, um Private, seinem höchsteigenen „Gefreiten“, die Ohren zu kraulen. „Musst du raus?“, fragte er den schwarzen Labrador. „Also gut, vor dem Frühstück darfst du ausnahmsweise in den Garten. Aber halte dich bloß vom Grundstück des alten Monroe fern. Das letzte Mal, als du dich auf seinem Land erleichtert hast, hat er mir mit einer Klage gedroht.“

Private schien sich weder Gedanken um den knurrigen alten Nachbarn zu machen noch um die Konsequenzen für sein Herrchen. Die Lefzen zu einem zufriedenen Grinsen verzogen, trottete er zur Hintertür hinaus. Als Griffin die Tür ins Schloss drücken wollte, hielt ein schmaler hellblauer Espandrille das Schloss davon ab, einzuschnappen.

Der Strandschuh mit buntem Blumenmuster saß am Fuß der Bibliothekarin.

Der Gouvernante.

Jane.

Er war so sicher gewesen, sie gestern abgewimmelt zu haben. Nachdem er von seinem Sprung zurückgekehrt war, hatte er sie nicht mehr gesehen. „Was zum Teufel tun Sie hier?“ Er stellte sich in die Tür und blockierte damit den Spalt.

Als Antwort streckte sie einen großen Becher Kaffee durch die Öffnung. Das Logo verriet, dass er von einem Coffeeshop stammte, der gute zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt lag. Crescent Cove war so abgelegen, dass man den Wagen nehmen musste, wollte man seine tägliche Dosis Seattle-Koffein bekommen.

„Ich dachte, den könnten Sie vielleicht gebrauchen.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. Die Beine der Jeans hatte sie über die Knöchel hochgerollt. Dazu trug sie ein hellblaues Oxford-Hemd, das das Grau ihrer großen Augen aufzusaugen schien. Sie waren silbern wie ein nebelverhangener Morgen und wirkten hinter den dunklen Wimpern beinahe ein wenig unheimlich. Ganz im Gegensatz zu ihren Lippen, die rosig und leicht geschwollen aussahen, so als wäre sie die ganze Nacht geküsst worden.

Das ist es, was ich an ihr so faszinierend finde, entschied er. Genau das hatte auch schon gestern seine Aufmerksamkeit erregt. Sie wirkte auf den ersten Blick so steif und prüde, und dann dieser verführerische Mund … ein krasser Kontrast.

Was das völlig verrückte Bedürfnis in ihm weckte, ihren Hals auf Knutschflecken zu untersuchen.

Jane schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Sie sehen mir nach einem Karamell-Macchiato-Mann aus“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Mit Extra-Sahne.“

„Auf Wiedersehen.“ Ihre Zehen waren ihm völlig egal.

„Warten Sie …“, rief sie noch, doch da hatte er ihr schon die Tür vor der Nase zugeschlagen.

„Ich hätte nichts gegen einen Karamell-Macchiato gehabt“, beschwerte sich Ted, der in diesem Moment in die Küche geschlendert kam.

Griffin achtete nicht auf das unablässige Klopfen an der Hintertür. „Du kennst diese Sorte Frau nicht so wie ich, Ted.“ In dem Moment, in dem er die Augenklappen abgenommen und diese Frau vor sich hatte stehen sehen, waren alle seine inneren Alarmanlagen losgegangen. Diese silbernen Augen schienen in seine Seele hineinschauen zu können. Es gefiel ihm nicht, so durchschaubar zu sein. „Du nimmst ihren Kaffee an, und sie will dafür deine Seele haben.“

„Ich weiß nicht … Sie sieht doch eigentlich ganz harmlos aus.“

„Ihr Aussehen …“ Er würde sich jetzt nicht mit Ted auf eine Diskussion über Janes Aussehen einlassen. Der Mann hatte von ihr geträumt. Nackt. Er hingegen konnte sich nicht vorstellen, dass sie unter ihrer Kleidung irgendetwas Interessantes verbarg. Und er würde auch nicht versuchen, es sich vorzustellen. Sie hatte diesen Mund, und die Ansprüche, die ein solcher Mund mit sich brachte, waren Grund genug, so zu tun, als existiere diese Frau gar nicht.

Das Klopfen setzte aus.

Er war so erleichtert, dass er Ted fast angelächelt hätte. Er klatschte in die Hände. „Also, was steht heute an?“ Ted arbeitete halbtags als Rettungsschwimmer, seine restliche Zeit verbrachte er anscheinend ausschließlich mit Surfen und Feiern – was ihn in Griffins Augen zur idealen Gesellschaft machte.

Teds Miene wurde nachdenklich. „Ich weiß nicht, Griff. Vielleicht sollte ich mich absetzen.“

„Was? Wieso?“

„Vermutlich hättest du gern etwas Ruhe und Privatsphäre.“

Direkte Panik war es nicht, die durch ihn hindurchschoss, aber es kam dem schon ziemlich nahe, und das hörte man auch seiner Stimme an. „Ich hasse Ruhe und Privatsphäre. Was ist los mit dir?“

Ted zuckte mit einer Schulter. „Die Bibliothekarin. Sie hat gesagt, dass du dich an dein Buch machen musst.“

„Die Bibliothekarin hat keine Ahnung, wovon sie spricht.“ Über die Schulter sah er zum Fenster hinaus. Sie war nicht mehr da. Die Enge um seine Kehle ließ nach. „Ich habe keine Verpflichtungen, niemandem gegenüber“, log er.

Ted fingerte an dem scharlachroten Bikini-Top. „Wirklich? Trotzdem … Da ist irgendetwas an dem, was sie gesagt hat …“

„Nicht an dem, was sie gesagt hat, sondern an ihr“, fiel Griffin ihm ins Wort. „Du hast Träume, in denen sie nackt ist, mich treibt ihr Mund in den Wahnsinn, und …“ Abrupt brach er ab, als besagte Frau draußen vor dem Fenster auftauchte. „… und sie stiehlt gerade meinen Hund.“

Er stellte sich näher an die Scheibe. Tatsächlich. Wie es aussah, hatte sie ihren Gürtel als Leine unter Privates Halstuch durchgezogen. Obwohl er nicht hörte, was sie sagte, bekam er den Eindruck, sie versuche, seinen Hund mit sich zu locken. Energisch klopfte Griffin mit den Fingerknöcheln gegen das Glas.

„Hey!“, schrie er und riss das Fenster auf. „Lassen Sie meinen Hund in Ruhe. Sie platzen also nicht nur uneingeladen in Partys, sondern kidnappen auch Hunde?“

Sie blieb stehen und runzelte die Stirn. Dann schaute sie mit zusammengekniffenen Augen zwischen Griffin und dem Hund hin und her.

„Verdammt“, murmelte er. Er wusste, was jetzt kam. Er hatte sie gerade selbst auf die Idee gebracht.

Jane stemmte eine Hand in die Hüfte. „Dann kommen Sie doch raus und holen Sie ihn sich.“

„Das wollen Sie nicht wirklich.“ Er setzte seine grimmigste Miene auf – eine Miene, die einen Schützen an einem von Taliban besetzten Checkpoint eine Sekunde lang zum Zögern gebracht und somit Griffin das Leben gerettet hatte.

Jane jedoch tippte nur ungeduldig mit der Fußspitze auf den Sand. „Soll das eine Drohung sein? Wollen Sie rauskommen und mich mit bösen Blicken töten? Sie können ja nicht mal Ihre Termine halten, geschweige denn sich zu irgendeiner Vergeltungsmaßnahme aufraffen.“

Wut flammte in Griffin auf. „Ted.“ Sein Kopf ruckte herum. „Geh und hole Private.“

„Kommt nicht infrage. Ich fürchte mich vor dem Hund.“

Griffin warf seinem Freund einen vernichtenden Blick zu. „Erzähl keinen Blödsinn.“ Ted war bekannt dafür, seine Sandwiches brüderlich mit Private zu teilen.

„Zugegeben – ich fürchte mich vor ihr.“

Jane hatte den kurzen Wortwechsel offensichtlich mitgehört, denn sie lachte. „Da sind Sie nicht der Einzige.“

Griffin sah rot. Er marschierte zur Hintertür und riss sie auf. Dann stapfte er auf die Gouvernante zu, fest entschlossen, seinen Hund zurückzuholen und sie ihrer Wege zu schicken. Sie sollte ihn in Ruhe lassen.

„Diebstahl ist ziemlich mies, Lady“, meinte er drohend. „Sie finden es also in Ordnung, den besten Freund des Menschen zu entwenden? Sich mit einem unschuldigen Tier aus dem Staub zu machen?“

Sie lachte nur wieder. „Entwenden, sich aus dem Staub machen. Zumindest ist Ihr Wortschatz gut entwickelt. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung, dass Sie Ihren Verpflichtungen als Autor nachkommen.“

Er stand ihr jetzt so nah, dass er ihren Duft wahrnehmen konnte. Ein süßer, femininer Duft, der eine fast berauschende Wirkung auf ihn hatte, als er sich nun vorbeugte, um ihr die provisorische Hundeleine aus der Hand zu nehmen.

„Rühr sie nicht an!“, tönte da eine ältere männliche Stimme.

„Was?“ Griffin sah zu dem alten Monroe hin, der sich humpelnd näherte. Der Alte fuchtelte mit seinem Stock in der Luft, und die böse gerunzelte Stirn ließ ahnen, dass eine weitere seiner Tiraden bevorstand.

„Ich werde nicht erlauben, dass du der jungen Dame etwas antust.“

Ihr etwas antun? Er hatte noch nie das Bedürfnis gehabt, einer Frau etwas anzutun. Vermutlich war das der Grund, warum die Sache mit Erica so außer Kontrolle geraten war – weil er sie nicht hatte verletzen wollen, nicht einmal mit der Wahrheit. „Ich rühre die Frau doch gar nicht an. Und überhaupt, was haben Sie mit ihr zu tun?“

Vermutlich war der alte Monroe die ganzen vierundneunzig Jahre, die er bislang auf diesem Planeten verbracht hatte, schlecht gelaunt gewesen. Jetzt sah er Griffin mit offener Abneigung an, was Griffin absolut nichts ausmachte. Schließlich kannte er das schon, seit er und sein Bruder als Kinder jeden Sommer in den Ferien hier durch die Bucht getobt waren.

„Sie hat mir den Anruf beim Hundefänger erspart. Dein flohzerfranster Köter war wieder in meinem Garten. Hat sich auch nicht von meinen alten GI-Stiefeln verscheuchen lassen, die ich nach ihm geworfen habe.“

„Weil er nicht einmal ein Scheunentor getroffen hätte“, murmelte Jane. „Aber ich dachte mir, ich hole Ihren Hund doch besser da raus.“

„Hätte dich dreihundert Dollar gekostet, ihn aus dem Tierheim auszulösen“, behauptete der Alte.

„Sie hätten natürlich auch das Telefon aufnehmen können statt Ihrer Stiefel. Sie haben meine Nummer.“

Monroe tat, als hätte Griffin nichts gesagt. „Du bist der jungen Lady also was schuldig.“

Jane lächelte ihn triumphierend an. „Mein Reden.“

Griffin ignorierte beide, befreite Private von der behelfsmäßigen Leine und ging mit ihm zum Haus zurück.

„Hast du der Lady nicht etwas zu sagen?“, forderte sein griesgrämiger Nachbar.

„Genau. Haben Sie mir nicht etwas zu sagen?“, rief Jane ihm nach.

„Allerdings.“ Griffin drehte sich nicht um. „Verschwinden Sie von hier. Und bilden Sie sich ja nicht ein, Sie kämen noch einmal so einfach in mein Haus. Ich werde jeden in der Partyzentrale in Alarmbereitschaft versetzen. Niemand, der aussieht wie eine Gouvernante oder eine Bibliothekarin, ist in Strandhaus Nr. 9 willkommen.“

Genau wie mit dem Hundekidnapping hatte Griffin auch dieses Mal Jane erst auf die Idee gebracht. Niemand, der aussieht wie eine Gouvernante oder eine Bibliothekarin, ist in Strandhaus Nr. 9 willkommen.

Sie war entschlossen, wieder in sein Haus zu gelangen. Wie es danach weitergehen sollte, hatte sie sich noch nicht richtig überlegt. Aber sie war sicher, wenn sie wieder in der Partyzentrale auftauchte, würde ihm klar werden, dass sie keinesfalls vorhatte, lockerzulassen. Ihr Durchhaltevermögen wäre vielleicht der nötige Anstoß, damit er sich hinsetzte und zu schreiben begann.

Anders als heute Morgen steuerte sie dieses Mal die Frontseite des Hauses an. Entschlossen bahnte sie sich in ihren Sandaletten mit Keilabsatz einen Weg durch den Sand, an Strandhäusern und Sonnenanbetern vorbei. Im Juni zogen am späten Nachmittag in Crescent Cove oft Wolken vom Meer herein, heute jedoch war der Himmel klar und strahlend blau, während die Sonne am Horizont schon tief stand. Die lange Sweatjacke, die Jane über ihrem Party-Outfit trug, war viel zu warm, und so blieb sie vor dem Bungalow mit der Nr. 8 stehen, um den Reißverschluss zu öffnen.

Eine schlanke Frau schlug gerade ein „Zu vermieten“-Schild in das Blumenbeet vor der Veranda. Anders als Jane musste sie immun gegen die Hitze sein, denn zu ihren Capri-Hosen trug sie einen Matrosenpullover, der ihr bis zu den Knien reichte. Mit einem erschrockenen Aufschrei fuhr sie herum und drückte sich die Hand aufs Herz. „’tschuldigung, aber ich hatte Sie nicht gesehen.“

„Ich sollte mich entschuldigen“, sagte Jane. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Die Frau strich sich das lange dunkle Haar aus dem Gesicht. „Ist nicht Ihre Schuld, ich bin generell schreckhaft.“ Sie ließ den Blick über Janes Erscheinung wandern, die hohen Schuhe, die Frisur, die mit viel Haargel und einem heißen Glätteisen gegen die feuchte Salzluft gerüstet worden war. „Auf dem Weg zu Nr. 9?“

„Ha!“ Jane strahlte. „Ich sehe also so aus, als würde ich dazu passen, ja?“

„Nun … ja. Sind Sie eine Bekannte von Griffin?“

„So was Ähnliches. Ich bin Jane Pearson.“

„Ich kenne Griffin schon mein ganzes Leben. Ich bin hier in der Bucht aufgewachsen, und die Lowells haben jeden Sommer hier verbracht.“ Sie lächelte schüchtern. „Ich bin Skye Alexander. Heutzutage verwalte ich die Mieteinheiten hier in der Gegend.“

„Nett, Sie kennenzulernen.“ Janes Blick lag auf dem Schild. Vielleicht war Skye genau die Unterstützung, die sie bei Griffin brauchte.

Skye sah über die Schulter zu dem Haus. „Nr. 8 hatte ein Leck im Dach und noch so einige andere Macken, die repariert werden mussten. Deshalb konnten wir es eine ganze Weile nicht vermieten. Eigentlich hatte Griffin hier wohnen wollen, doch er musste dann mit der Hütte nebenan vorliebnehmen.“

Beide sahen sie jetzt zu Nr. 9. Ein an einer Angelrute befestigter Drache tanzte über dem Balkon im ersten Stock in der Brise. Auf der Veranda tummelten sich bereits eine Menge Leute, und die Version eines alten Beachboy-Songs von den Beastie Boys klang zu ihnen herüber. Eine attraktive junge Frau in einem knappen Stringbikini kletterte auf einen Tisch und schwang unter dem Johlen und Applaus der Umstehenden die Hüften zu dem hämmernden Rhythmus.

„Wird heute bestimmt eine wilde Nacht“, meinte Skye.

Jane lächelte schwach. „Ich kann’s kaum erwarten.“

Das kurze Stück bis zur Vordertür der Partyzentrale ließ ihr genügend Zeit zum Nachdenken. Nicht, dass sie grundsätzlich etwas gegen ungehemmtes Vergnügen hatte – ein paar Freunde von ihr behaupteten sogar, es wäre längst mal wieder fällig –, aber heute behagten ihr weder die Vorstellung einer wilden Party noch ihre Kostümierung.

Es war nicht ihr Jane-die-Gouvernante-Aufzug. Natürlich ging es ja genau darum, aber trotzdem … Sie erschauerte leicht, als sie auf dem Weg zur Haustür die Sweatjacke von den Schultern schüttelte. Ein Prickeln überlief ihre bloße Haut, als der Wind vom Ozean her auffrischte. Sie hatte sich ein Beispiel an den Bikini-Mädchen von gestern genommen und ebenfalls Badesachen angezogen. In der Umkleidekabine von Macy’s hatte der schwarze Zweiteiler recht züchtig ausgesehen, vor allem zusammen mit dem schwarzen Jeansrock, der bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Doch mit einem Mal schien es ihr, als würden das tiefe Dekolleté und der auf den Hüften sitzende Rock übermäßig viel nackte Haut zur Schau stellen. Mit den hohen Keilabsätzen wirkten ihre Beine auch um Meilen länger, was ja eigentlich gut war … bis ihr klar wurde, dass somit auch Meilen mehr Haut zu sehen waren.

Sie überlegte, ob sie die Jacke wieder überziehen und vielleicht an einem anderen Tag mit einem anderen Plan zurückkommen sollte. Dann erinnerte sie sich an Ian Stone und wie er auf ihrem Stolz und ihrem Ruf herumgetrampelt war. Das verlieh ihr neuen Mut. Noch einmal tief Luft geholt, dann klopfte sie an die Tür.

Wie erhofft war es nicht Griffin, der ihr öffnete. Vermutlich saß er irgendwo in einer ruhigen Ecke, so wie gestern. Der Typ, der ihr jetzt gegenüberstand, war ihr unbekannt, trug aber die übliche Uniform aller männlichen Gäste hier – Surfshorts und Sonnenbräune. Weiße Zähne blitzten auf, als er lächelte, und auf seinem Bizeps trug ein in Schwarz tätowierter Surfer sein Board unter dem Arm.

„Baby!“ Er begrüßte sie, als wären sie alte Freunde. Mit einer Hand an ihrer Schulter zog er sie ins Haus. „Du brauchst dringend was zu trinken.“

So einfach war das also. Jane ging davon aus, dass ihre dick getuschten Wimpern und der himbeerfarbene Gloss auf ihren Lippen die beabsichtigte Wirkung hatten. Als sie dann einen Cocktail mit Schirmchen in der Hand hielt, beschloss sie, sich auch mit einem exotischeren Namen vorzustellen als Jane  – Jana, Janelle, Jezebel. Und dabei würde sie keine Miene verziehen.

Als sie über die Veranda ging, fasste ein Mann nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich, um mit ihr zu einem alten B-52-Song zu tanzen. Er legte die Hände um ihre Taille, und sie nutzte das langsame Drehen zum Rhythmus dazu, sich in der Menge nach Griffin umzusehen. Allerdings wusste sie nicht, was sie tun sollte, wenn sie ihn erblickte. Ihm zuwinken? Ihm die Zunge herausstrecken? Beides schien ihr doch sehr kindisch zu sein, wenn sie eigentlich nichts anderes wollte, als ihn an seine Verpflichtungen zu erinnern – ganz sachlich, von einem Profi zum anderen.

Ein Blick an sich herunter, und eine neue Welle des Unbehagens überkam sie. Vielleicht war sich hier hereinzuschleichen doch keine so gute Idee gewesen. Das Bedürfnis, sich irgendwie zu bedecken, ließ sie von ihrem Tanzpartner abrücken. Sein Griff um ihre Hüfte wurde fester.

„Wohin willst du denn?“, fragte er.

„Meine Jacke holen.“ Sie zeigte vage in Richtung Haustür, wo sie die Jacke auf einer Bank abgelegt hatte.

„Damit diese wunderbar schimmernde Haut versteckt wird?“, protestierte er und beugte sich zu ihrem Ohr hinunter. „Das wäre so absolut … falsch.“

Ihr Lächeln war nicht ehrlich. „Mag sein, aber mir ist ein wenig kalt.“ Oh bitte, biete mir jetzt bloß nicht an, mich zu wärmen.

Er nahm ihre Hand und begann, mit ihr einen Boogie über die Veranda zu tanzen. „Und wo hast du die Jacke gelassen?“

„Vorn bei der Tür.“ Dankbar dafür, dass er sich das Klischee verkniffen hatte, ließ sie sich von ihm durch die Menge ziehen. Selbst mit den hohen Absätzen konnte sie bei ihrer Größe nicht viel mehr als Schultern, Brust und Rücken der männlichen Gäste sehen. Eines musste man den Surfern wohl lassen – sie alle hatten wirklich enorm gut ausgebildete Oberkörper.

Als ihr Tanzpartner endlich stehen blieb, musste sie aufpassen, um nicht mit der Nase gegen seinen Oberarm zu prallen. Er wirbelte sie herum und presste sie mit dem Rücken an die Wand. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er sie in einen kleinen Nebenraum gezogen hatte, in dem eine Waschmaschine, ein Wäschetrockner und ein hölzernes Trockengerüst mit einigen aufgehängten Strandlaken standen.

„Wir sind nicht bei der Eingangstür“, stellte sie trocken fest. „Da aber habe ich meine Jacke gelassen.“

Er lächelte sie an. „Lass dich von mir aufwärmen.“

Oh, verdammt. „Er konnte einfach nicht widerstehen“, murmelte sie in sich hinein, dann hob sie die Stimme. „Danke, aber nein.“

„Ach, komm schon. Bitte“, schmeichelte er. Er sah gut aus, und für einen Moment spielte Jane tatsächlich mit dem Gedanken, sich von ihm überzeugen zu lassen. Seit dem Desaster mit Ian war sie nicht mehr geküsst worden, und schließlich hatte sie sich aufgedonnert wie eine Jezebel, oder etwa nicht? Warum also sollte sie es nicht ausnutzen und sich ein wenig gehen lassen?

Jemand lief an der offenen Tür vorbei. „Jer!“, rief ihr Tanzpartner. „Komm herein und sag diesem hübschen kleinen Ding, wie glücklich ich sie machen kann.“

„Jer“ blieb stehen und stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten am Türrahmen ab. Janes Herz setzte einen Schlag lang aus, dann raste ihr Puls los. Dieser neue Typ war groß genug, um mit seiner Gestalt fast sämtliches Licht zu blockieren. Die Wände des kleinen Zimmers schienen sich zu verschieben und zusammenzurücken – zumindest in ihrem Kopf.

Der zweite Mann grinste finster. „Ricky ist gut, aber ich bin besser. Willst du es nicht lieber mit mir versuchen, hübsche Lady?“

Jane schluckte. „Ich will es mit niemandem versuchen. Entschuldigt mich.“ Doch Ricky hielt noch immer ihr Handgelenk fest.

„Sie ist mit mir zusammen, Jer.“

„Aaah, aber du bist doch sicher bereit zu teilen, oder …?“

„Jane“, sagte sie in ihrem säuerlichsten Ton. Sollten Jana, Janelle und Jezebel sich zum Teufel scheren. Ihr Name hatte schon früher Männer abgeschreckt. So wie Griffin. „Ich heiße Jane, und ich möchte jetzt gehen.“

„Ich Tarzan.“ Jer trommelte sich auf die nackte Brust und schob sich in den kleinen Raum. „Sollen wir Liebe zusammen machen, Baby?“

Nie wieder würde sie diesen Bikini anziehen. Oder Schuhe mit Keilabsatz tragen. Oder so viel Mascara auflegen – obwohl sie bei ihren goldenen Wimpernspitzen nie ganz würde darauf verzichten können.

„Geh mir aus dem Weg.“ Sie riss sich von Ricky los und stieß ihn von sich. Als er zur Seite taumelte, stand sie Jer im Ausgang gegenüber. Zwar sagte sie sich, dass sie sich nicht wirklich in Gefahr befand, dennoch hämmerte ihr Herz wie wild, und ihr Blut schien eiskalt durch die Adern zu fließen, unter einer Haut, die wie Feuer brannte. „Ich gehe jetzt.“

„Ach Baby …“, setzte Jer an und brach abrupt ab, als er rückwärts in die enge Diele gezerrt wurde. „Hey!“

Griffin Lowell schob den Mann weg und nahm dann dessen Platz in der Tür ein. Er trug Shorts, die ihm tief auf den Hüften hingen, und unter seinem halb offenen Hawaiihemd mit Ananasmuster und spärlich bekleideten Hula-Tänzerinnen schaute seine nackte Brust hervor. Seine Bartstoppeln waren seit heute Morgen noch dichter geworden und zogen die Aufmerksamkeit auf seine herabgezogenen Mundwinkel. „Was ist hier los?“

Ricky stellte sich wieder neben Jane und schlang mit offensichtlichem Besitzanspruch einen Arm um ihre Hüfte. „Hast du die Neue schon kennengelernt?“

Griffins aquamarinblaue Augen wanderten über sie, und ihre Haut begann wieder zu prickeln, ihr Blut wurde jäh kochend heiß. Lag da etwa ein Anflug von Bewunderung in seinem Blick? „Sie gehört zu mir“, sagte er mit ernstem Gesicht.

Ricky lachte. „Netter Versuch. Aber in den drei Monaten, die du jetzt hier lebst, hast du keine einzige Frau gehabt.“

„Weil ich auf diese hier gewartet habe.“

Jetzt runzelte Ricky die Stirn. „Du kannst sie aber nicht haben. Ich habe sie zuerst entdeckt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst und so …“

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Jane warf dem Typen einen mitleidigen Blick zu. Jetzt, da Griffin hier war, hatte sich das Gefühl von Bedrohung aufgelöst.

„Lass die Lady los, Rick.“

„Nein.“ Er zog sie noch enger an sich und schlang den anderen Arm jetzt auch um ihre Brust. „Nur weil du sie haben willst, heißt das nicht, dass du sie auch bekommst.“

„Aber sie will mich doch auch.“ Griffins Augen funkelten. „Das willst du doch, Engelchen, nicht wahr?“

Mit der vielen bloßen Haut, dem Bikini, den glatten Haaren und den mehreren Lagen Mascara war sie sich nicht sicher gewesen, ob er sie überhaupt erkannt hatte. Das „Engelchen“ jedoch machte klar, dass er genau wusste, wer sie war, und sie war sich nicht zu schade, die Hilfe anzunehmen. Also flötete sie so süß sie nur konnte: „Aber du weißt doch, dass ich das will, mein kleiner Zauberhase.“

Sein Blick lag durchdringend auf ihrem Gesicht. „Zauberhase.“

„Ich liebe die Kosenamen, die wir füreinander haben.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.

Die Falte auf Ricks Stirn wurde tiefer. „Das kaufe ich euch nicht ab“, sagte er trotzig wie ein kleines Kind.

Griffins Finger schlossen sich um ihre. Ein Stromstoß durchzuckte ihren Arm, und das Gefühl von Bedrohung kehrte jäh zurück – mit zehnfacher Stärke. Oh-oh. Vielleicht war es noch riskanter, sein Spiel mitzumachen.

„Dann kauf uns das ab“, sagte er.

Ein schneller Ruck, und sie war von dem anderen Mann befreit – um an Griffins harter Brust zu landen. Und dann lag sein Mund auch schon fest und fordernd auf ihrem.

3. KAPITEL

Die Party hat gestern wohl nicht lange gedauert, was?“, rief der alte Monroe Griffin zu, der Privates Morgentoilette überwachte. Die Grundstücksfront der Parzelle des über Neunzigjährigen grenzte seitlich an den Garten von Strandhaus Nr. 9.

Griffin gab nur einen unverständlichen Laut von sich. Er hatte die Partyzentrale endgültig geschlossen. Der mürrische Kauz, der ihn im Moment böse anfunkelte, hätte diese Schließung schon vorher erreichen können, wenn er sich öfter über die nächtliche Ruhestörung beschwert hätte. Aber offenbar war er ohne seine Hörgeräte stocktaub. Wann immer er die Meute bei Griffin hatte einlaufen sehen, hatte er einfach den „Fremdkörper“ entfernt und den History Channel mit Untertiteln laufen lassen.

Doch es war nicht die Rücksicht auf den Nachbarn gewesen, die Griffin dazu bewegt hatte, gestern Abend alle hinauszuwerfen. Nein, er war wütend gewesen, weil … Wut hatte es eigentlich nicht geähnelt, er war eiskalt gewesen, als er die Musik abgestellt und alle Partygäste von seinem Grundstück gescheucht hatte, angefangen bei diesem Bastard Rick. Der Mann hatte irgendetwas gemurmelt – eine Entschuldigung? Eine Rechtfertigung? –, aber Griffin hatte ihn so ruppig die Verandastufen hinuntergeschubst, dass er auf seinem Hintern gelandet war. Immerhin war er danach clever genug gewesen, sich aufzurappeln und die Beine in die Hand zu nehmen.

Überhaupt hatte Griffin gestern ziemlich viel geschubst.

Das schlechte Gewissen meldete sich, und er massierte sich den Nasenrücken, um seine Gedanken zu ordnen. Jane war genauso schnell verschwunden wie Rick – ohne jedoch hinzufallen. Das war gut. Er ging davon aus, dass er nicht mehr von ihr belästigt würde.

Um genau zu sein, er würde sich von niemandem mehr belästigen lassen. Gestern Abend hatte er hoffentlich deutlich klargemacht, dass er nicht länger den großzügigen und toleranten Gastgeber spielen würde. Es hatte sowieso nichts gebracht. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen, um die Geschehnisse seines Jahres mit den Truppen daran zu hindern, ständig Bilder in seinem Kopf aufblitzen zu lassen.

„Gibt es etwas Neues von deinem Bruder?“, fragte der Alte jetzt. „Hält er sich an einem sicheren Ort auf?“

Sorge als Ablenkung war Mist, musste Griffin feststellen. Private musste gespürt haben, wie aufgewühlt sein Herrchen war, denn der Hund eilte winselnd herbei und drückte sich gegen Griffins Bein. Griffin streichelte dem Hund über den Kopf und kraulte die samtweichen Ohren. Sofort ging sein Atem ein wenig regelmäßiger.

„Gage ist in seinem Element.“ Mitten in der Gefahrenzone, mit der Kamera auf Fotojagd. Aber er würde es spüren, wäre Gage in Gefahr, versicherte Griffin sich still. Die Verbindung zwischen den Zwillingsbrüdern war immer extrem stark gewesen. Trotzdem war das nur ein schwacher Trost. Griffin wusste aus eigener Erfahrung, dass Sicherheit in Kriegsgebieten etwas war, das sich von einer Sekunde auf die andere ändern konnte.

„Ist er …“

„Ich will nicht über ihn reden, alter Mann“, brummte Griffin. Es war unhöflich und grob, aber er schuldete Rex Monroe keine Höflichkeit. Der Nachbar hatte ihn und Gage öfter als einmal bei der Mutter angeschwärzt, auch als sie damals zum ersten Mal aus dem Fenster geklettert waren, obwohl sie eigentlich brav im Bett hätten liegen müssen. Als Siebtklässler hatte man sie dann mit Mädchen erwischt, die schon auf der Highschool waren.

Er bedachte Monroe mit einem finsteren Blick. „Verstößt Knutschen am Strand mit ein paar älteren Mädchen gegen das Gesetz?“, stieß er knurrend hervor. „An jenem Abend ging es mir nur um die praktische Seite der Ausbildung.“

Der alte Mann lachte schnarrend. „Du vergisst, dass ihr zwei Ganoven mir am Tag zuvor meinen Wagen mit Toilettenpapier eingewickelt hattet.“

Ach ja richtig, das hatte er tatsächlich vergessen. Der Ärger hatte ihn und Gage in jenem Sommer magisch angezogen – und in allen darauffolgenden Sommern. Diese alljährlichen Monate in der Bucht hatten ihnen eine Freiheit geboten, die sie von ihrem engen Stadtrandleben nicht kannten. Vermutlich hatte sie das auch auf den Geschmack gebracht und das Bedürfnis nach Abenteuer in ihnen geweckt.

Vielleicht war es dieses Gefühl von Freiheit, das Griffin heute wieder hierher zurückgezogen hatte. Nach einem Jahr in ständiger Lebensgefahr konnte er sich vielleicht hier darüber klar werden, wie seine nächsten Schritte aussehen sollten.

Private hob die Nase aus einem Grashügel und lauschte. Sein Körper spannte sich an, dann ließ er ein kurzes freudiges Bellen hören und rannte los. Griffin stöhnte. Der Hund liebte Gesellschaft fast so sehr wie sein Futter, und das hieß etwas bei einem Labrador. Vermutlich einer der früheren Gäste, der gestern nicht mitbekommen hatte, dass die Türen der Partyzentrale verschlossen waren. Keine Margaritas mehr am Vormittag, keine bierseligen Nachmittage mehr, keine Lambada-Wettbewerbe mehr bis spät in die Nacht.

Er steuerte die Hintertür an. „Seien Sie einfach unhöflich wie immer, Rex, ja? Wer es auch sein mag … verscheuchen Sie ihn.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah der alte Griesgram an Griffins Schulter vorbei. „Wäre es einer von deinen rüpelhaften Spielkameraden, würde ich es liebend gern tun.“

Oh, verdammt, dachte Griffin.

„Aber es ist wieder die nette junge Frau.“

Die wahrscheinlich eine Entschuldigung erwartete. Mit einem schweren Seufzer drehte Griffin sich um.

Wie er es sich gedacht hatte … es war die Gouvernante, die sich wieder mal als Tierschützerin betätigte und Private am Halstuch festhielt. Heute war sie auch wieder wie sie selbst gekleidet: Flip-Flops mit Muschelapplikationen, knielange orangefarbene Shorts, ein überweites T-Shirt mit dem Schriftzug „Lesen ist sexy“, und ihr Haar lockte sich in alle Richtungen. Sein treuer Freund betete sie mit hängender Zunge an. „Ist Ihnen Ihr Haustier mal wieder abhandengekommen?“

Sein Verstand war ihm abhandengekommen, als er sie gestern Abend geküsst hatte. Wieder war sie uneingeladen aufgetaucht, was ihn eigentlich nicht sehr überrascht hatte. Er hatte schon geahnt, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die ein Nein so einfach akzeptierten. Was ihn allerdings überrascht hatte, war ihr gestriger Aufzug, ganz das Strandhäschen, mit viel nackter Haut, geglättetem Haar und einem netten, wenn auch nicht übertriebenen Ausschnitt. Wenn das als Verkleidung gedacht gewesen war, dann war es ein wirklich erbärmlicher Versuch gewesen. An das Verandageländer gelehnt, hatte er sie schon von Weitem kommen gesehen, und er hatte sie im Auge behalten, als man sie von der Tanzfläche weggezogen hatte.

Ganz gleich, was sie auch trug, diese unheimlichen glasklaren Augen verrieten sie. Augen, die ihm ein ungutes Gefühl einjagten, genau wie Spiegel ihm dieser Tage Unbehagen einflößten. Und da war noch dieser Mund. Voll, rot, feucht, so als hätte jemand daran gesaugt, bevor er Gelegenheit dazu gehabt hatte.

Dieser Mistkerl von Rick hatte kurz davorgestanden, es zu tun.

Auch wenn der andere Mann zu den Hunden gehörte, die zwar bellten, aber nicht bissen – was bedeutete, dass Jane allein mit ihm fertiggeworden wäre –, hatte Griffin plötzlich Territorialansprüche gestellt. Zu beobachten, wie der Idiot sich an sie heranmachte, hatte automatisch den Gedanken in seinen Kopf schießen lassen: Verdammt, ich werde sie zuerst küssen! Und dann hatte er genau das getan – sie geküsst.

Dabei wusste er ganz genau, dass das das Letzte war, was er gebrauchen konnte. Sein Gefühlsleben war schon durcheinander genug, da halfen weder mehr Hitze noch eine Frau.

Entschlossen, sie endlich aus seinem Leben zu vertreiben, marschierte er zu ihr und übernahm sowohl seinen Hund als auch die Kontrolle über die Situation. „Ich gehe davon aus, Sie erwarten jetzt eine Entschuldigung von mir.“

Sie schaute einfach über seine Schulter hinweg. „Schon gestern kam mir Ihr Name bekannt vor, Mr Monroe, aber erst später klingelte es dann bei mir. Sie sind der Rex Monroe, richtig? Der berühmte Reporter?“

Auch ohne hinzusehen wusste Griffin, dass der bärbeißige Alte jetzt vor Stolz fast platzte. „Nun, junge Lady, berühmt würde ich nicht direkt sagen …“

Griffin verdrehte die Augen. „Hetzen Sie ihn nicht auch noch auf.“

„Es ist mir eine Ehre, Sir.“ Noch immer ignorierte sie Griffin. „Vor ungefähr zehn Jahren habe ich ein Kompendium über Kriegsberichterstattung in den Vierzigerjahren verschlungen. Ihre Beiträge haben mich besonders fasziniert.“

„Da müssen Sie ja praktisch noch ein Kind gewesen sein.“ Monroe klang über die Maßen entzückt.

Jane lächelte. „Ich war von Geburt an ein Bücherwurm.“

„Meine Nerven haben Sie auf jeden Fall schon zerfressen“, murmelte Griffin.

Ihn lächelte sie nie so an. Das vor zwei Tagen, als sie sich ihm vorgestellt hatte, war eindeutig ein falsches Lächeln gewesen. Und gestern Abend, als er endlich seinen Mund von ihren Lippen gerissen hatte, da hatte er sie von sich gestoßen und sich jäh weggedreht. Er wusste also nicht, ob er sie Feuer speiend oder strahlend vor Glück zurückgelassen hatte.

Ja, er hatte sie von sich gestoßen. Und ja, er konnte sich vorstellen, dass sie davon nicht besonders angetan gewesen war, auch nicht davon, dass er sich überhaupt die Freiheit genommen hatte, sie zu küssen. Aber ihre Lippen waren genauso weich, wie sie aussahen, nachgiebig und gleichzeitig fest, wie er es sich vorgestellt hatte, und sie hatten sich mit dem leisesten aller Seufzer seiner Zunge geöffnet.

Erst einmal in ihrem warmen Mund, hatte er jegliche Finesse vergessen und gierig ihren Geschmack in sich aufgesogen. Jeden Zentimeter hatte er hemmungslos erkundet, und Wellen der Lust waren durch ihn geströmt. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Die Frau war die reine Pest.

Sie war Gouvernante Jane, die Frau, die aussah wie die typische Bibliothekarin.

Bestimmt war sie hier, um ihm nachträglich eine Ohrfeige zu versetzen.

Sich in das Unvermeidliche ergebend, drehte er sich um und tippte sich mit einem Finger seiner freien Hand an die Wange. „Also, machen Sie schon. Knallen Sie mir eine.“

Blinzelnd wich sie einen Schritt zurück. „Wovon reden Sie da? Warum sollte ich Sie ohrfeigen wollen?“

„Die Gelegenheit sollten Sie sich nicht entgehen lassen“, kam es vom alten Monroe.

„Warum halten Sie nicht einfach den Mund, Sie klappriger Kauz?“, rief Griffin über die Schulter zurück.

Jane blinzelte noch immer. „Wissen Sie denn nicht, mit wem Sie da reden? Der Mann hat unzählige Preise für seine Kriegsreportagen gewonnen, einschließlich des Pulitzer-Preises. Er ist einer der Besten der Besten.“

„Jaja, ist mir bekannt. Die großen Alten und all das. Das ändert nichts an der Tatsache, dass er mir seit meinem siebten Lebensjahr auf die Nerven geht.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, konterte der Nachbar.

„Wird es nicht Zeit für Ihre tägliche Dosis ‚Golden Girls‘?“ Griffin funkelte den Alten grimmig an. „Oder wie wär’s mit einem Mittagsschläfchen, alter Mann?“

„Wann ich ein Schläfchen halte, entscheide ich. Ich habe keine Termine mehr einzuhalten – im Gegensatz zu dir. Sei nicht so träge.“

„Träge?“ Sein Temperament zerrte an der Kette wie ein bissiger Hund, der den Postboten witterte. „Ich habe ein Jahr ohne fließend Wasser und Strom zugebracht, mit Fliegen und meinem eigenen Gestank. Ein Jahr unter konstantem Beschuss. Eine Kugel hat meinen Helm durchschlagen, keinen halben Meter entfernt von meinem Schädel, während ich auf meinem Feldbett gelegen habe.“

Autor