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Der wunderbare Foodtruck am Strand

Als Buch hier erhältlich:

Nächster Halt: Meer, Sonne und Romantik!

Wenn Lucy nicht gerade in ihrem gemütlichen Cottage am Meer sitzt, kurvt sie mit ihrem liebenswerten Dackel Daisy an der Küste Northumberlands entlang und veranstaltet auf den örtlichen Dorffesten ein kulinarisches Feuerwerk. Inspiriert von ihrem italienischen Großvater, verwirklicht Lucy mit ihrem Pizzawagen ihren Traum. Und dann lernt sie Jack kennen, den ebenso grüblerischen wie gutaussehenden Besitzer des Cocktail-Campervans. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, beschränken Lucy und Jack ihre Beziehung auf das Geschäftliche. Doch während der Sommer in einem Strudel aus Gartenpartys, Spaß und Champagner dahinfließt und ihre Foodtrucks für eine Gemeinschaft sorgen, die sie beide so dringend brauchen, beginnt eine Liebesgeschichte zu erblühen – Haltestelle für Haltestelle.


  • Erscheinungstag: 21.03.2023
  • Aus der Serie: Northumberland Love
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749905447
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jack hatte alles hergerichtet und war bereit zum Einschenken. Hundert polierte Prosecco-Gläser glitzerten im sanften Licht der frühen Maisonne, perfekt aufgereiht auf den Klapptischen, die er gerade zusammen mit dem Butler eingedeckt hatte. Ja, es gab tatsächlich einen echten Butler. Jack schmunzelte bei dem Gedanken. Jede Veranstaltung hatte etwas Eigenes an sich. Dieser Job führte ihn an alle möglichen reizvollen Plätze, wo er die verschiedensten Leute kennenlernte.

Als er vorhin mit dem Vintage-Camper, seinem besten Stück, von der schmalen Straße abgebogen war, hatte er bereits beim Anblick des atemberaubenden Veranstaltungsortes nach Luft geschnappt. Es war das Landhaus des Geburtstagskindes. Und was für ein Haus das war: verwitterte Mauern aus Sandstein, drei Stockwerke hoch. Es lag eine Meile landeinwärts vom goldenen Sand der Low Newton Bay an der wunderschönen Küste von Northumberland. Er hatte seinen Standplatz direkt neben der Kiesauffahrt auf dem Rasen vor diesem beeindruckenden Anwesen, und der Blick war einfach herrlich. Er reichte über hügeliges grünes Ackerland bis hin zum tiefblaugrauen Meer und wurde gerahmt von einem azurblauen, stellenweise blass goldgetönten Himmel.

Jack kleidete sich gern passend zur jeweiligen Gelegenheit. So trug er zu Hochzeiten und formellen Anlässen Smoking und Fliege, zu Festivals und Festen Shorts und T-Shirts, und anlässlich des 21. Geburtstags, für den er heute Abend gebucht war, hatte er sein lässig-elegantes Party-Outfit an, eine beigefarbene Chinohose und ein strahlend weißes Hemd, dazu die gebügelte schwarze Schürze mit seinem Logo Jack’s Cocktail-Camper in grauen, stilvoll geschwungenen Lettern auf der Vorderseite.

Vor vier Jahren hatte er mit dem mobilen Barbetrieb begonnen. Es hatte schon ein gewisses Risiko bedeutet, seine letzten Ersparnisse in den Kauf des charaktervollen, aber ziemlich rostigen VW-Bus-Campers zu stecken, den er Ruby getauft hatte. In den drei Monaten darauf hatte er jedes Wochenende und viele Abende damit verbracht, den Van auf Vordermann zu bringen. Dafür hatte er nicht nur einen Bankkredit aufgenommen, sondern auch viel Herzblut, Schweiß und Tränen geopfert und zahlreiche YouTube-Anleitungsvideos geschaut. Ein wenig professionelle Hilfe für den Motor und die Elektrik war aber trotzdem noch notwendig gewesen. Schließlich hatte er den Sprung ins kalte Wasser gewagt und seinen Job als Geschäftsführer eines Bistros gekündigt. Den Job, zu dem er sich vom Kellner aus hochgearbeitet hatte.

Ruby war rot. Vintagerot. Immer wenn Jack sich auf den Fahrersitz schwang und über die Landstraße fuhr, fühlte er sich inspiriert, lautstark »Ruby, Ruby, Ruby« im Stil der Kaiser-Chiefs-Hymne zu singen. Er hatte es nie bereut, trotz der unvermeidlichen Höhen und Tiefen, die ein eigenes Unternehmen so mit sich bringt, und er war stolz auf sein Geschäft, das sich langsam, aber sicher etablierte. Er liebte die Freiheit, sein eigener Chef zu sein, und genoss die Begeisterung, die er auf den Veranstaltungen hervorrief, wenn er die Wünsche seiner Kunden aufs Beste erfüllte.

Abigail, die Mutter des Geburtstagskindes und Organisatorin der Party, kam plötzlich die großen Steintreppen vom Gebäude heruntergelaufen, und Jack hörte, wie sie irgendetwas von einem verspäteten Pizzaservice vor sich hin schimpfte. Die ganze Zeit über suchte sie mit den Augen die Einfahrt ab, als könnte sie denjenigen damit zum sofortigen Erscheinen zwingen. Sie kam geradewegs auf Jack zu, einen Blumenschmuck in Pfirsich- und Cremefarben in den Händen, und listete ihm eine ganze Reihe von Last-minute-Hinweisen und Wünschen auf. Danach brachte sie das Bouquet auf dem Getränketisch an. Herrje, war das Ding scheußlich! Es sah aus wie ein floraler Nachruf auf eine 1970er-Jahre-Hochzeit, aber Jack sagte nichts dazu. Er hatte nicht die Absicht, es sich mit der zahlenden Kundschaft zu verderben. Und, hey, was weiß ich schon von Blumen, dachte er bei sich. Hässlich waren sie aber trotzdem.

»Na, junger Mann«, schnitt Abigails Stimme durch das frühabendliche Vogelkonzert, »haben Sie denn genügend Eis für den Abend? Sonst gibt es in der Gefriertruhe in der Speisekammer noch ein paar Beutel, wenn es nötig sein sollte. Sie können durch die Seitentür ins Haus gehen.«

Nur, dass das klar ist – für Sie als Mitarbeiter ist die Vordertür tabu, war die Botschaft, die bei Jack ankam.

Abigail kam jetzt richtig in Fahrt. »Ach, und übrigens – haben Sie denn nun diese hübschen kleinen Veilchen als Deko, wie Sie es uns bei der Verkostung für die Himbeer-Fizz-Drinks versprochen hatten?«

»Ja, die Blumen habe ich hier, Abigail, ich warte nur erst, bis die Gäste kommen, dann schenke ich den gekühlten Prosecco aus und garniere wie vereinbart die Cocktails damit.«

Jack war sehr froh, dass seine Eltern einen großen, gut bestückten Garten hatten – der ganze Stolz seiner Mutter. Sie erlaubte ihm sehr gern, sich an den verschiedenen Kräutern, Blättern und Blumen zu bedienen, weil er damit seinem Cocktail-Angebot das gewisse Etwas verleihen konnte.

»Dann ist es ja gut. Sie sahen bei der Verkostung so hübsch aus.« Abigail hielt inne, betrachtete die Tischdeko, schob sie ein paar Zentimeter zur Seite und nickte zufrieden. Dann fuhr sie fort: »Ach, und wenn Sie bitte dafür sorgen würden, dass Harriets jüngerer Bruder Hugo auf keinen Fall mehr als einen Drink zu sich nimmt. Er ist nämlich erst sechzehn.«

Ah ja. Jack hatte ihn vorhin gesehen, diesen großen, schlaksigen Jungen. Auch so einer mit blondem Fransenpony. Ein ziemliches Arschloch, wie es aussah. Er kommandierte den Butler herum und tat selbst nur wenig Nützliches.

»… und dass Grandma Judith, die ich Ihnen vorgestellt habe, einen Holunderblüten-Fizz und keinen Cocktail mit Gin oder Prosecco bekommt, weil sie Medikamente einnimmt«, schwadronierte Abigail weiter. »Nicht, dass sie komische Anwandlungen bekommt oder Schlimmeres.«

Jack lächelte und antwortete höflich: »Natürlich, Abigail, kein Problem.« Ich bin hier, um zu dienen, zu lächeln und dafür zu sorgen, dass alle sich amüsieren, dachte er ironisch. Und dass hoffentlich niemand auf Abigails Abschussliste landet oder in der Notaufnahme.

Abigail seufzte tief. Jack befürchtete einen Moment lang, etwas falsch gemacht zu haben, und ging in Gedanken noch einmal alle Vorbereitungen durch, bis Abigail knapp bemerkte, dass der andere Caterer sich furchtbar verspätete. »Typisch«, murmelte sie und warf dramatisch überspitzt einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Sicher treffen sie gleichzeitig mit den Gästen hier ein. Das ist nicht gut. Das ist ganz und gar nicht gut.«

»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Jack.

»Nur, falls Sie innerhalb einer Stunde etwa hundert fertig gebackene Pizzen herschaffen können.«

»Oh!« Er setzte sein charmantestes Lächeln auf, mit dem er jedes Herz erweichen konnte. »Tut mir leid, aber das liegt nicht in meiner Macht. Ich sorge aber gern dafür, dass alle ein Glas mit etwas Fantastischem darin bekommen, um den Abend gut zu beginnen. Der Pizzadienst ist bestimmt auch jeden Moment hier.« Jack tat sein Bestes, um Optimismus zu verbreiten. Bei solchen Anlässen gab es oft ein, zwei Pannen, und er hatte die Erfahrung gemacht, dass man am besten ruhig blieb und einfach weitermachte. Meist merkten die Gäste es ohnehin nicht, wenn etwas schieflief – vor allem nicht, wenn sie schon ein, zwei Drinks intus hatten.

»Danke, Jake.«

Jake? Er machte sich nicht die Mühe, sie zu korrigieren. Abigail hatte offensichtlich schon genug um die Ohren.

»Na, ein Glück, dass ich meinen üblichen Caterer für ein Fingerfood-Büfett im Speisesaal gebucht habe. Es ist einfach typisch – Harriet überredet mich, für die Jüngeren etwas Neues auszuprobieren, und das hat man nun davon!«

Nach dieser organisatorischen Ohrfeige stand Jack nur da und sah Abigail nach, die zurück zum Haus marschierte, ihr ziemlich großes blassrosa Hinterteil ihm zugewandt (sie trug ein Kleid, das leider viel zu sehr ihrem Hautton entsprach), alle drei schönen, aus Stein gebauten Treppen hoch. Es war genau so ein Haus, wie man es sich für ein Wochenende auf dem Land vorstellte, mit ein oder zwei Flaschen Bollinger Champagner und Krocket auf dem Rasen. (Nicht dass Jack jemals Gelegenheit zu so etwas gehabt hätte.) Das Gelände war riesig, mit einer weitläufigen Rasenfläche, die für die heutige Veranstaltung so kurz gemäht war wie ein Bowling-Green. Sie wurde eingerahmt von prächtigen lila Hortensien und pastellfarbenen Azaleen.

Es herrschte einen Moment lang Stille um ihn herum, während vom Haus her ruhige Musik und Geplauder zu hören waren, und Jack überprüfte noch einmal, ob er auch wirklich alles vorbereitet hatte. Es blieben nur noch zehn Minuten bis 18 Uhr, und dann würden die ersten Gäste eintreffen. Bis jetzt war es ein wunderschöner Tag mit blauem Himmel gewesen, und es sah so aus, als würde es auch ein herrlicher Abend für eine Party werden. Der Sommer hatte in Northumberland dieses Jahr definitiv früh begonnen.

Jacks Aufmerksamkeit wurde auf den auffällig freien Platz gegenüber von ihm gelenkt, der mit Plastikkegeln abgesteckt war, und er fragte sich kurz, was wohl mit dem anderen Caterer passiert sein mochte. Er wollte nicht in seiner Haut stecken und sich dem Zorn der bereits ziemlich gestressten Abigail ausgesetzt sehen, wenn er denn schließlich hier ankam.

Seine Gedanken schweiften ab, während er auf die ersten Ankömmlinge wartete. Das Haus, der Garten, die Zusammenkunft der Familie … Es katapultierte ihn zurück in die Vergangenheit, und tief im Inneren spürte er ein Ziehen, als er sich erinnerte. Dieser Anblick stand in einem krassen Gegensatz zu seinem eigenen einundzwanzigsten Geburtstag vor acht Jahren, der eher halbherzig und extrem minimalistisch gefeiert worden war, im Haus seiner Familie in Alnwick. Es war eine Doppelhaushälfte aus Feldsteinen, gebaut in den 1930er-Jahren, mit einem recht großen Garten. Dort aufzuwachsen war einfach großartig gewesen. Es war ein Ort voller Wärme und Liebe, gut geeignet für eine Party, wenn Freunde und Familie in der großen Wohnküche zusammenkamen. Nun ja, so war es zumindest früher einmal gewesen.

Aber in dem Jahr hatte er keine Lust gehabt, anlässlich seiner Volljährigkeit zu feiern. Seine Eltern hatten ihn schließlich dazu überredet. Sie hatten die Meinung vertreten, man müsse versuchen, in die Zukunft zu blicken und weiterzuleben, aber Jack hatte es das Herz gebrochen, es zu tun. Eigentlich hatte er die Feier einfach nur hinter sich bringen wollen, denn nach der Sache, die passiert war, würde sich ohnehin nichts mehr so anfühlen wie zuvor.

Jack merkte, dass seine Hände leicht zitterten, als er in die Gegenwart zurückkehrte und anfing, ein Glas neu zu polieren, nur um etwas zu tun zu haben. Er schüttelte leicht den Kopf. Genug von diesen dunklen Gedanken

In dem Moment sah er einen schwarzen Jeep von der Straße her einbiegen, der etwas, das wie ein Pferdeanhänger aussah, heftig schwankend die Kiesauffahrt hinaufzog. Du lieber Himmel! Brachte da etwa jemand dem Geburtstagskind einen Schimmel oder so was, um die Party zu eröffnen? Man wusste wirklich nie, was bei solchen Veranstaltungen alles geplant war. Er hätte ein Buch darüber schreiben können. Als sich das Fahrzeug näherte, sah er eine dunkelhaarige junge Frau am Steuer, neben der ein Mädchen im Teenageralter saß. Die Fahrerin wirkte angespannt und hatte die Stirn vor lauter Konzentration gefurcht, während sie sich, jetzt langsamer, dem Haus näherte. Als er den Schriftzug an der Seite des Pferdeanhängers las, ging ihm ein Licht auf. Da stand: Feuer und Flamme – Holzofenpizza, wie von Papa gemacht!

Die Pizzabäckerin parkte den Anhänger gekonnt rückwärts ein und sprang so flink aus dem Fahrzeug, dass ihr das kastanienbraune Haar nur so um die Schultern flog.

»Teufel aber auch, dieser Ort ist verflucht schwer zu finden!«, stieß sie aus, teils an sich selbst, teils an Jack gerichtet, der einen Schritt nach vorn getreten war. »Das Navi hat mich total in die Irre geführt. Fast eine Stunde bin ich über winzige Landstraßen geirrt. Ich habe versucht, jemanden anzurufen und Bescheid zu sagen, aber hier draußen gibt’s so gut wie kein Netz. Als ich endlich durchgekommen bin, sind wir direkt wieder unterbrochen worden. Und kein Mensch weit und breit, den man nach dem Weg fragen konnte. Jedenfalls nicht bis vor fünf Minuten. Oh Mist! Wir sind so verdammt spät dran!«

Die junge Frau, die ungefähr in Jacks Alter sein musste, trug blaue Jeans und ein rotes Polohemd. Sie strich sich schnell ihr glänzendes dunkles Haar aus dem Gesicht, um es mit einem Haargummi zusammenzubinden. »Sind schon Gäste da?«, fragte sie jetzt leicht verzweifelt, während sie begann, die Riegel an der Rückseite des Pferdeanhängers zu lösen.

»Nein, ähm, noch nicht«, antwortete Jack, »aber fast hättest du’s geschafft, zeitgleich mit ihnen zu kommen.«

Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Glaubst du vielleicht, das wüsste ich nicht?«

Oha! Aber Jack sah ein, dass sein Kommentar unter den gegebenen Umständen nicht besonders hilfreich gewesen war.

»Also los, keine Zeit verlieren. Der Pizzaofen braucht allein eine Stunde zum Aufheizen. Ich werfe ihn direkt an. Tamsin?« Sie wandte sich dem jüngeren Mädchen zu. »Komm schon, wir müssen alles so schnell wie möglich fertig machen, und ich muss Harriet und ihre Mutter finden und mich für die Verspätung entschuldigen.«

Jack sah ein paar Sekunden lang zu, wie die Frau die Metalltür aufhebelte und dann über die so entstandene Rampe einen großen Ofen samt Ständer aus dem hinteren Teil des Anhängers holte, um kurz darauf Holzscheite in die igluförmige Kuppel zu packen.

»Äh, kann ich euch irgendwie helfen? Also, beim Aufstellen oder so …?«, wagte Jack zu fragen, aber sie schien ihn nicht mal zu hören. Die Pizzalady war jetzt im Inneren des Anhängers und öffnete eine hölzerne, grau gestrichene Klappe. Jack wollte gerade sein Hilfsangebot wiederholen, als einige Taxis in die Einfahrt zum Anwesen einbogen. Die ersten Gäste waren da, und die Party würde gleich beginnen. Er sollte wohl besser zu Ruby zurückkehren, um seinen Dienst an der Bar anzutreten.

In diesem Moment erschien das Geburtstagskind Harriet oben auf der Steintreppe in einem wallenden rosa Kleid, das aussah, als käme es aus einem Märchen – oder, noch wahrscheinlicher, aus der Vogue.

»Mummy, sie sind da!«, rief sie glücklich und aufgeregt zugleich.

Abigail gesellte sich mit einem starren, besorgten Begrüßungslächeln zu ihrer Tochter, während die ersten Gäste aus den Fahrzeugen stiegen. »Oh, und das Pizzaunternehmen auch. Na endlich, dem Himmel sei Dank«, fügte sie knapp hinzu.

Eine Gruppe junger Frauen versammelte sich zu einer stark parfümierten und farbenfrohen Gruppe in Stöckelschuhen und schicken Kleidern, und die Feierlichkeiten begannen mit einem Schwall von Luftküssen, Gelächter, Begrüßungen, Geschenktüten und einem Chor von »Happy Birthday, Darling«.

Okay, Rubes, dann lass uns mal die Party starten. Der Cocktail-Camper ist bereit, es krachen zu lassen.

Jack trat sofort in Aktion und mixte sein erstes Dutzend Himbeer-Bellinis: ein Zentimeter Himbeerlikör, gekrönt mit gekühltem Prosecco, und auf jeden einzelnen wurde eine Veilchenblüte gesetzt. Außerdem schenkte er wohlriechenden G&T mit dem lokalen Northumberland Hepple Gin sowie alkoholfreien Holunderblüten-Fizz aus, mit zarten weißen Holunderblüten garniert und wie immer mit viel Liebe zum Detail. Die Begrüßungsgetränke sahen allesamt wunderschön und einladend aus, wie sie so aufgereiht auf den Holztischen standen.

Jack hatte auch hübsche grüne Windlichter aufgestellt, die später am Abend ein sanftes Licht verbreiten sollten. Er musste sogar zugeben, dass er sich auf seltsame Art langsam an Abigails pfirsich- und cremefarbene Blumendekoration gewöhnte. Umgeben von Chiffon- und Seidenvolants, wirkte der Strauß eigentlich gar nicht mehr so deplatziert.

Es war ein herrlich lauer Abend, und Jack wurde es bereits ziemlich warm. Er öffnete einen Knopf seines weißen Hemdes und enthüllte ein kleines v-förmiges Dreieck seiner leicht gebräunten Brust. Da jetzt noch mehr Autos ankamen und die Menschenmenge immer größer wurde, musste er darauf achten, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn so wie es aussah, würde es für ihn ziemlich hektisch werden.

Die erste Gruppe von Harriets Freundeskreis versammelte sich bald um die wirklich großartig aussehende Ruby. Die tiefrote Lackierung des Campers glänzte, und Jacks Bar war mit einer Reihe von Gläsern und Beiwerk zum Garnieren ausgestattet: Zitronen, Limetten und Orangen lagen auf einer Etagere, Sträuße von leuchtend grüner Minze und Basilikum standen in geschliffenen Gläsern, dazu kamen die Cocktailshaker aus Edelstahl. Unter dem aufgestellten Camperdach hatte Jack eine Tafel mit einer urigen Lämpchenumrahmung als Eyecatcher angebracht, auf der handgeschrieben die Begrüßungsgetränke und einige Cocktailklassiker für später aufgelistet waren: Mojito, Pimm’s, Cosmopolitan, Sea Breeze, Morpeth Mule und – einer seiner absoluten Lieblingscocktails – Espresso Martini.

»Guten Abend, meine Damen. Ich bin euer Barkeeper, Jack. Bitte bedient euch. Es gibt Himbeer-Bellinis und Gin Tonics für den Anfang. Und einen herrlichen Holunderblüten-Fizz für diejenigen, die etwas Alkoholfreies bevorzugen.« Er gab sein typisches Grinsen zum Besten.

Eine Gruppe weiblicher Gäste langte bereits zu und stand bald plaudernd neben dem Camper, schwankend, weil die hohen Absätze im Gras oder im Kies der Auffahrt einsanken. Mehrere künstliche Wimpernpaare zuckten bereits in Jacks Richtung. Er spielte mit und ging mit ein paar Scherzen auf die Flirtereien ein, doch abgesehen davon blieb er an solchen Abenden immer professionell. Arbeit war Arbeit. Immer. Er wusste, wo er die Grenze ziehen musste.

Eine weitere Gruppe junger Frauen kam kichernd und plaudernd auf ihn zu.

»Oh, seht mal, was für eine niedliche Cocktailbar! Wartet mal, ich muss ein Foto machen. Ist das süß … und alles in einem Camper …«

»Also, meine Damen, ich muss sagen, ihr seht heute Abend alle ziemlich umwerfend aus. Was möchtet ihr haben? Hier stehen ein paar Himbeer-Fizz-Cocktails für euch bereit, aber ich kann euch auch den perfekten Gin Tonic anbieten, um die Party in Gang zu bringen.« Und im Handumdrehen war er wieder ganz in seinem Barkeeper-Jargon unterwegs.

»Hey, Em, schau doch mal, wie hübsch die sind.« Eines der Mädchen nahm eine rosa Bellini-Flöte in die Hand.

»Wunderschön, oder?«

»Das Personal sieht aber auch nicht schlecht aus«, erwiderte eine andere junge Frau in der Gruppe und giggelte.

»Hmm, da muss ich dir zustimmen«, flüsterte eine ihrer Freundinnen, allerdings laut genug, dass Jack es hören konnte, und warf ihm dabei einen kecken Blick zu.

Jack schüttelte nur leicht den Kopf und grinste freundlich. Er war solche Bemerkungen gewohnt und goss weiter mit ruhiger Hand Prosecco in die Gläser.

Eine attraktive Blondine berührte mit glänzenden Lippen ihr Glas. »Hmm, was für ein Geschmack. Sophie, komm und trink mal einen Schluck hiervon, das ist göttlich.«

»Was hast du denn da, Himbeer?«

»Ja.«

»Cocktails gibt es den ganzen Abend über, meine Damen. Und ich bereite euch gern auf Wunsch euer Lieblingsgetränk zu. Was immer ihr wollt. Meine Bar ist gut bestückt.«

»Oho, ich wette, dass sie das ist.« Der Tonfall der Blondine war kokett, und sie warf ihm ein kesses Lächeln zu.

Okay, er flirtete ein bisschen mit, aber das war auch schon alles. Eine charmante Fassade. Die Kundinnen und Kunden bei Laune zu halten gehörte zu seinem Job, und sobald die Begrüßungsgetränke weg waren und die Drinks an seiner Bar bezahlt werden mussten (wie es später am Abend der Fall sein würde), hatte er die Chance, zusätzlich Geld einzunehmen, um Ruby und sein Geschäft am Laufen zu halten. Ein Lächeln, ein bisschen Geplänkel, dann waren die Kunden glücklich und die Kasse klingelte.

Mehr Autos kamen, man parkte am Rand der Einfahrt, und weitere Taxis trafen ein. Die Partygäste nippten an ihren Begrüßungsdrinks, unterhielten sich und lachten. Geburtstagskind Harriet trank schon bald den zweiten Himbeer-Bellini, und ihr jüngerer Bruder Hugo war auch bereits da gewesen, während Jack beschäftigt war. Er hatte sich einen Gin Tonic stibitzt, den er mehr oder weniger in einem Zug hinunterspülte. Jack signalisierte ihm mit den Fingern ein »Ich sehe dich« und schüttelte streng den Kopf. Er nahm sich vor, ihn genau im Auge zu behalten. Wenn Hugo weiterhin den Alkohol so in sich hineinschüttete, würde er zweifellos auf dem Boden enden, und Abigail würde Jack dafür verantwortlich machen.

Als Nächstes kam Grandma Judith, auf den Arm einer anderen älteren Verwandten gestützt. »Oh, die sehen aber gut aus, Faye.« Judith streckte eine blasse, faltige Hand nach einem Himbeer-Bellini aus. Jack kannte seine Anweisungen, und obwohl er eigentlich der Ansicht war, dass man ihr ein Gläschen zugestehen könnte, wenn ihr danach war, wollte er andererseits nicht dafür verantwortlich sein, wenn sie tatsächlich nachher Kapriolen schlug, also trat er respektvoll näher.

»Probieren Sie doch mal das hier, meine Damen. Das ist der Knüller.« Er hielt ihnen zwei Holunderblüten-Mocktails hin. »Das ist wie Sommer im Glas. Ich bin sehr gespannt, was Sie davon halten. Bitte.«

Die Damen nahmen die Drinks lächelnd entgegen. »Vielen Dank, junger Mann. Das ist sehr nett von Ihnen.«

»Hmm, angenehm. Sehr erfrischend, mein Lieber«, kommentierte die andere Lady.

Grandma Judith war hingerissen. »Nicht besonders stark«, kommentierte sie jedoch.

Jack unterdrückte ein Grinsen und wechselte geschickt das Thema. »Wirklich hübsches Outfit, meine Damen. Die Pastelltöne stehen Ihnen beiden ausgezeichnet. Sehr elegant.«

»Danke«, sagte Grandma lächelnd und hob ihr Glas. »Und ja, das hier ist auch wirklich sehr gut.«

Jack zwinkerte ihr zu. »Auf Ihr Wohl, und einen schönen Abend Ihnen beiden.«

»Oh, den werden wir haben.« Sie hakten sich wieder unter, und ihre alten Augen funkelten. Man sah ihnen an, dass sie vorhatten, den Abend voll und ganz auszukosten.

Sie gingen weiter, und er musste lächeln, als er eine von ihnen sagen hörte: »Was für ein reizender junger Mann.«

Die andere antwortete: »Ja, unsere Harriet würde gut daran tun, sich so jemanden zu suchen – fleißig und höflich. Anstelle von diesem Nichtsnutz von Cameron, auf den sie es anscheinend abgesehen hat.« Ihr Geplauder verwehte in der Abendluft, während sie davonschlenderten, vielleicht auf der Suche nach einem bequemen Sitzplatz und einer Decke über den Knien gegen die kühle Abendluft im Garten.

Etwas später, als die Party bereits in vollem Gange war, schaute Jack in einem der seltenen ruhigen Momente zu seiner Catering-Kollegin auf der anderen Seite der Auffahrt hinüber. Aus dem Pizza-Pferdeanhänger duftete es nach Käse und Tomaten, und er spürte, wie sein Magen knurrte. Vielleicht hätte er lieber einen Happen essen sollen, bevor er losgefahren war. Sein Blick fiel auf die dunkelhaarige junge Frau, die gerade auf der Arbeitsplatte Pizzateig in Stücke schnitt. Sie hatte etwas an sich, das ihn innehalten ließ. Hatten sie sich schon mal irgendwo getroffen? Wohl kaum. An die markanten dunklen Augen und die glänzenden dunklen Haare hätte er sich erinnert. Jetzt waren sie zu einem Dutt hochgesteckt, aber trotzdem kam die Frau ihm bekannt vor.

Er spürte ein Stechen in der Brust. Er war sich nicht ganz sicher, was es war, aber es fühlte sich irgendwie bedeutungsvoll an.

2. KAPITEL

Was starrt er denn da an?

Der Typ an der mobilen Bar gegenüber schaute unverwandt in ihre Richtung. Er sollte mal lieber weiter seine Kundinnen bedienen. Oder mit ihnen flirten, so wie er es vorhin gemacht hatte. Lucy hatte das laute Kichern von drüben gehört. Wie alle sich in ihren traumhaften Outfits amüsierten, war schön zu sehen und zu hören, aber diese eine Gruppe von Mädchen benahm sich ehrlich gesagt wie ein Schwarm Bienen, der um einen Honigtopf herumschwirrte. Ein kostenloser Cocktail und ein netter Barmann hatten anscheinend etwas Unwiderstehliches an sich. Lucy musste widerwillig zugeben, dass er mit seinen sonnengebleichten Haaren, der sanft gebräunten Haut und dem strahlenden Lächeln wirklich ausgesprochen gut aussah, aber es war sehr offensichtlich, dass er das auch genau wusste. Sie warf einen Blick hinüber. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er wie eine typische TV-Schönheit aussah, wie man sie heutzutage ständig in amerikanischen Serien sah.

Lucy machte sich wieder an die Arbeit und dehnte die Teigkugeln mit den Händen, um noch mehr Pizzaböden zum Backen vorzubereiten. Sie versuchte, die siebzehnjährige Tamsin als ihre neue Aushilfe einzuarbeiten, doch diese erwies sich leider als ziemlich unwillig. Lucy hatte ihr mehrmals gezeigt, wie man die Pizzen mit ihrer selbst gemachten Tomatensoße bestrich, die nach Papas Spezialrezept aus echten italienischen San-Marzano-Tomaten, Knoblauch und Basilikum hergestellt wurde, aber das Mädchen schmierte die Mischung immer noch ziemlich unlustig darauf. Noch ein Problem, mit dem sie fertigwerden musste. Lucy hatte nicht geahnt, wie schwierig es sein würde, das richtige Personal zu finden. Tamsin hatte sich vor zwei Wochen auf ihre Anzeige in der Lokalpresse gemeldet. Sie hatte zuvor als Kellnerin gearbeitet und einen guten Eindruck gemacht, als sie sie zu einem Gespräch getroffen hatte. Na ja, sie lernten sich ja gerade erst kennen, und natürlich musste sie ihr eine Chance geben.

Für Lucy war es enorm wichtig, dass diese Veranstaltung gut lief. Sie tat alles, um ihr neues Unternehmen zu etablieren und sich einen Namen zu machen. Dies war erst ihre dritte Buchung, und es war verdammt typisch, dass sie sich auf dem Weg hierher verfahren hatte. Noch einmal stöhnte sie innerlich auf bei dem Gedanken, wie spät sie angekommen waren. Aber der bescheuerte Barmann hätte ihr das trotzdem nicht so unter die Nase reiben müssen, oder? Fast hättest du’s geschafft … So ein eingebildeter Affe.

Feuer und Flamme hatte in letzter Zeit Lucys ganze Zeit und Energie in Anspruch genommen. Es war ein ordentlicher Kurswechsel für sie, nachdem ihr Leben ziemlich auf den Kopf gestellt worden war. Sie hatte kurzerhand beschlossen, ihren festen Job in der Buchhaltungsfirma zu kündigen. Es war riskant, gab ihr aber auch die Chance, endlich etwas zu tun, wofür sie richtig brannte. Nach monatelangen Recherchen und der Suche nach dem passenden Pferdeanhänger hatte sie einen zu einem guten Preis gefunden und ausstatten lassen (für ein kleines Vermögen). Als er dann fertig umgebaut endlich zu ihrem Cottage an der Küste gebracht worden war, hatte sie nicht widerstehen können, die neue Luke zu öffnen, mit Wimpeln zu behängen und einen Blumentopf mit leuchtend gelben Primeln auf die Arbeitsplatte zu stellen. Dann hatte sie den Korken einer Mini-Flasche Prosecco knallen lassen und glücklich ihren neuen Arbeitsplatz betrachtet, während Daisy aufgeregt zu ihren Füßen herumgehüpft war. »Papas Pizza« war ihr als Name in den Sinn gekommen. Sie wusste, wie stolz ihr geliebter Großvater auf sie gewesen wäre, aber dieses kleine Unternehmen war viel mehr als eine Hommage an ihn, denn es ging auch und in erster Linie um sie selbst. Sie brannte wirklich für die Sache. Sie war richtig Feuer und Flamme für ihr neues Leben, für diesen neuen Anfang … Feuer und Flamme – das war es! Perfekt.

Am nächsten Tag hatte sie den Anhänger in einem kreidigen sanften Grau gestrichen, um dem urigen mobilen Pizzastand den letzten Schliff zu geben. Es stand so viel auf dem Spiel – nicht zuletzt die Chance, endlich ihren Traum zu verwirklichen.

Sie kam zurück ins Hier und Jetzt. Der Pizzaofen war zum Glück nun fertig aufgeheizt, und sie konnte mit Tamsin schon bald die ersten Pizzen austeilen. Uff! Partygäste kamen zu ihnen herübergeschlendert, nahmen sich ein Stück und murmelten anerkennend »mhmm« und »aah«.

Um die Auftraggeber des heutigen Abends wieder positiver ihr gegenüber zu stimmen, hatte Lucy kurz zuvor die leider ziemlich angesäuerte Abigail aufgespürt, sich für die Verspätung entschuldigt und das Missgeschick mit dem Navi erklärt. Sie wollte auf keinen Fall gleich einen schlechten Eindruck hinterlassen, zumal sie so sehr bemüht war, sich einen Namen zu machen und ein gutes Image aufzubauen. Nun gut, sie musste jetzt einfach Dampf machen und die köstlichsten Pizzen und hausgemachten Knoblauchbrote für die Party am Abend zubereiten, dann wären Harriet, ihre Mutter und die Partygäste sicher auch Feuer und Flamme für ihren Partyservice und würden sie in guter Erinnerung behalten.

Mit jeder Minute trafen mehr Gäste ein, also mussten sie sich mit dem Topping für die nächste Pizzarunde beeilen: Eines bestand aus Ziegenkäse, roter Paprika, Rucola und Balsamico, das zweite aus Grillhähnchenfleisch, roten Zwiebeln und einem Spritzer rauchiger Soße. Lucy stand neben Tamsin und hackte rhythmisch Zwiebeln im Takt der Partymusik, die von dem schönen großen Haus herübertönte. Als sie eben dort hingegangen war, um sich bei Abigail und Harriet zu entschuldigen, hatte sie staunend in der prunkvollen Eingangshalle gestanden. Eine große, glänzend polierte Treppe aus dunklem Holz wand sich hinunter in die schwarz-weiß geflieste Halle, in der riesige Vasen mit wunderschönen frischen Blumen standen. Es hing sogar ein funkelnder Kristallkronleuchter von der Decke. All das hatte sie an Downton Abbey erinnert. Vermutlich würde ihr eigenes hübsches, aber winziges Cottage vollständig in diesen Eingangsbereich passen.

Beim Gedanken an ihr Zuhause fiel Lucy plötzlich Daisy ein, ihre niedliche schwarzbraune Dackeldame, die in ihrem Bettchen hinten in Lucys Jeep lag – weitab von der Schlemmerzone. Die Fenster des Fahrzeugs waren etwas geöffnet, und der Hund hatte einen Wassernapf neben sich stehen, aber sie musste daran denken, Daisy zwischendurch für eine kleine Gassirunde herauszulassen. Sie nahm sie so oft wie möglich auf ihren Touren mit, damit sie nicht in ihrem gemeinsamen Zuhause allein auf sie warten musste. Sie hatte die Hündin vor zehn Monaten im örtlichen Tierheim entdeckt. Ihre Besitzer waren mit den »schlechten« Angewohnheiten des Dackels nicht zurechtgekommen. Daisy hatte, während sie arbeiten waren, große Stücke von den hölzernen Sockelleisten abgefressen und ständig gebellt.

Als die hübsche Hündin Lucy mit ihren braunen Augen aus ihrem Zwinger heraus angeschaut hatte, war Lucy sofort klar gewesen, dass Daisy einfach nur Liebe und Zuwendung brauchte. Schließlich kannte sie selbst dieses Gefühl nur allzu gut. Sie beide hatten sich sofort angefreundet, und obwohl Daisy manchmal eine Diva sein konnte, war sie Lucys beste Gefährtin und hatte ihr über einige schwierige Phasen hinweggeholfen.

Der Abend verlief in einem heißen, hektischen Wirbel aus Pizzabelegen, Pizzabacken und Pizzaservieren. Manchmal fühlte sich Lucy wie der Koch aus der Muppet Show. Auch Sonderwünsche kamen vor. Ein junger Mann bat sie, aus Peperonistreifen ein Herz zu formen, um seine Freundin damit zu überraschen, was Lucy sehr süß von ihm fand und sie zum Lächeln brachte. Es gab also doch noch ein wenig Romantik auf der Welt, dachte sie. Schade nur, dass diese sich aus ihrem eigenen Leben vor über achtzehn Monaten ziemlich spektakulär verabschiedet hatte. Sie schob den Gedanken schnell beiseite.

Es war kurz vor 9 Uhr. Sie und Tamsin hatten es geschafft, die lange Schlange an Gästen, die sich vor dem Stand gebildet hatte, fertig zu bedienen, und nun herrschte Flaute. Die Stimmung der Grüppchen, die draußen standen und sich unterhielten, war angenehm. Die Gäste kamen aus dem Haus oder gingen hinein, angelockt von Musik, Tanz und Gelächter. »Tamsin, ich mache mal eine kurze Pause, ja? Du kannst einfach weiter Pizzaböden formen und ansonsten erst mal nur Bestellungen aufnehmen. Den Ofen brauchst du nicht anzufassen, und pass auf, dass auch sonst niemand in die Nähe kommt. Falls noch jemand Pizza möchte, sagst du, dass wir in zehn bis fünfzehn Minuten wieder servierbereit sind, okay?«

»Jaja, kein Problem«, antwortete das junge Mädchen und griff nach seinem Handy, um sich die Zeit zu vertreiben.

Als Lucy aus dem Wohnwagen stieg, zog der blonde Typ im VW-Bus gegenüber gerade eine große Show ab, indem er einen Cocktail-Shaker aus Metall ziemlich ausgiebig schüttelte, wobei er seinen Oberkörper maximal in Szene setzte. Hielt der sich für Tom Cruise oder so was? Wie in diesem alten Film Cocktail, den sie vor einer Weile auf Netflix gesehen hatte? Irgendwie ärgerte sein Verhalten sie maßlos.

Der Barkeeper goss mit ausladender Geste eine schaumige, tiefbraune Flüssigkeit in zwei Martinigläser und garnierte sie mit einer schwimmenden Kaffeebohne. »Voilà, Madame, Ihre Espresso-Martinis«, sagte er überschwänglich.

»Oh, die sehen ja wundervoll aus. Vielen Dank«, antwortete die Rothaarige an der Theke des Campers und klimperte dabei wahrscheinlich mit den Wimpern.

»Dieselbe Farbe wie Ihre schönen tiefbraunen Augen.« Lucy hätte schwören können, dass er in diesem Moment einen französischen Akzent fakte. Pfft, dabei kam er doch genauso aus dem Nordosten wie alle anderen hier, mit seinem Geordie-Tonfall, den sie vorhin gehört hatte.

So was von schmalzig.

Sie ließ die abgeschmackte Show an der Bar hinter sich und ging kurz selbst zur Toilette, bevor sie ihre kleine Diva Daisy rausließ. Die Hündin war begierig, aus dem Wagen und in die Arme ihres Frauchens zu kommen. Lucy streichelte ihr kurzes weiches Fell. Das wirkte immer ungemein beruhigend.

»Hey, du bist aber brav gewesen, hm? Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?« Daisy schaute sie mit ihren dunklen Augen liebevoll an. Die Hündin freute sich immer, wenn Lucy wieder bei ihr war. »Na, dann komm.« Lucy befestigte die Leine an Daisys marineblauem Samthalsband und setzte sie auf dem Boden ab. Daisy bellte erst einmal aufgeregt. Lucy würde mit ihr für ein paar Minuten in einen ruhigeren Teil des Gartens gehen, damit sie an den Beeten schnuppern und irgendwo ihr Bein heben konnte.

Die Sonne war in einem sanften, pfirsichgrauen Schimmer untergegangen und tauchte den Garten in magisches Halbdunkel. Die Lichterketten, die Lucy über der Luke ihres Vintage-Pferdeanhängers angebracht hatte, funkelten fröhlich. Sie fand, dass ihre mobile Pizzeria richtig hübsch aussah, und war stolz darauf. Sie würde ihr Bestes geben, koste es, was es wolle. Die Party war in vollem Gange, das Lachen und die Beats von der Musik wurden immer lauter, und es dröhnte aus den offenen Fenstern des großen Hauses.

Daisy war so hibbelig von dem ganzen Trubel und den Menschen um sie herum, dass sie wild herumschnüffelte und sogar an dem einen oder anderen Beetrand scharrte. Lucy zog sie weg, bevor ihr Gebuddel zu offensichtlich wurde und Spuren hinterließ. Ausnahmsweise schien der Hund aber kein Bedürfnis zu haben, Pipi zu machen. Nun gut, sie hatte ihre Chance gehabt. Lucy musste langsam zurück zum Pferdeanhänger, sich gründlich die Hände waschen und mit dem Pizzabacken weitermachen, bevor Abigail und die Gäste ihre Abwesenheit und den Mangel an frischer Pizza bemerkten.

Der Rückweg führte sie wohl oder übel an Mr. Cocktail-Charmeur vorbei. Obwohl sie zugeben musste, dass sein rubinroter VW, der Cocktail-Camper, wie das Schild verriet, ziemlich beeindruckend aussah. Eigentlich konnte sie ja ruhig mal freundlich »Hallo« sagen. Schließlich würden sie vermutlich in Zukunft oft auf denselben Veranstaltungen arbeiten.

Er hatte gerade ein toll aussehendes Zitronengetränk in einem hohen Glas zubereitet, das er einer ziemlich glamourösen Dame um die vierzig reichte, die sich mit einem strahlenden Lächeln bedankte, bevor sie ging.

»Das sieht wirklich gut aus«, kommentierte Lucy.

»Ein Tom Collins. Ein Klassiker mit Zitrone, Gin und Soda«, antwortete der Barkeeper mit einem Lächeln.

»Hm, klingt auch gut.«

»Oh, ich würde dir auch einen machen, aber du bist ja die Pizzalady, oder? Du musst noch fahren, stimmt’s? Der ist nämlich nicht ohne, ziemlich stark.«

»Jep, du hast es erfasst. Also, keine Cocktails für mich heute Abend«, antwortete sie.

Er starrte sie an … für ihren Geschmack ein bisschen zu intensiv. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich. »Na ja, wie auch immer, ich gehe mal besser zurück in meine Pizzawerkstatt und an die Arbeit … Ach so, ich bin übrigens Lucy.«

»Hi, Lucy, ich bin Jack.« Er streckte ihr eine Hand zur Begrüßung hin. Sie drückte sie und spürte die Wärme, seinen festen Griff. Er schenkte ihr ein Grinsen, das seine blendend weißen Zähne zur Schau stellte. »Schön, dich kennenzulernen.« Hatte er ihr gerade zugezwinkert?

»Hallo, Jack«, erwiderte sie mit etwas belegter Stimme. Ja, er war tatsächlich ein richtiger Charmeur, genau wie sie vermutet hatte.

Lucy blickte nach unten und erschrak, als sie sah, was dort am Boden inzwischen vor sich ging, während sie sich unterhielten. Jack hatte eine Klapptafel am Van stehen, und das eine Bein des hölzernen Rahmens sah an der Kante merkwürdig abgenutzt aus, genau genommen eher abgekaut. Im nächsten Moment fiel die ganze Tafel klappernd um, weil Daisy sie angestupst hatte. Aber damit nicht genug. Jetzt war der Hündin offenbar eingefallen, dass sie ihr kleines Geschäft ja noch nicht erledigt hatte. Schon stand sie auf der Tafel und pinkelte darauf, wobei der Schriftzug für den klassischen Mojito verschmiert und der vom Erdbeer-Mojito inklusive der kleinen handgezeichneten Bilder vollständig weggespült wurde.

Oh nein, Daisy, was hast du nur getan, durchfuhr es Lucy.

Jack schaute nun auch über die Theke nach unten. Der kleine Dackel sprang derweil triumphierend von der Tafel herunter und scharrte mit energischen Bewegungen Schmutz und Gras hinter sich. Alles verteilte sich über die begossene Tafel.

»Ähm …«, machte der Cocktail-Typ verdattert. »Hat dein Hund gerade das gemacht, was ich glaube?« Einen Augenblick fror das Lächeln auf seinem Gesicht ein. Im nächsten Moment sah er richtig wütend aus. Stinkwütend. »Das darf ja wohl nicht wahr sein! Sieh dir bloß mal das Schild an! Ich hab ewig gebraucht, um das zu schreiben. Was zum Teufel macht überhaupt dieser Hund hier? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Herstellung von Pizza und Hunde gut zusammenpassen.«

Sein scharfer Tonfall brachte Lucy auf die Palme, und obwohl Daisy sich wirklich danebenbenommen hatte, war es doch nur ein Missgeschick gewesen. Eine Art Unfall. »Sie«, antwortete sie spitz, »heißt Daisy, und bis vorhin war sie in sicherer Verwahrung. Das da ist ja wohl kein Weltuntergang. Ich hole Wasser und wische die … äh … Pipipfütze weg.« Sie fragte sich nur, wie sie die angefressene Ecke vertuschen sollte. »Oder ich kauf dir halt einen neuen Aufsteller, wenn es sein muss«, fügte sie etwas versöhnlicher hinzu.

»Und die Aufschrift? Sieh dir das doch mal an. Die ist völlig ruiniert. Als ob ich die Zeit hätte, das alles noch mal zu schreiben! Es war ein Kunstwerk, verstehst du? Ich hab Stunden dafür gebraucht.« Er klang jetzt total sauer.

Das Schild war tatsächlich mit einer schönen, verschnörkelten Schrift bedeckt und mit handgezeichneten Erdbeeren, Limetten und Minzblättern verziert – nun ja, nur noch etwa die Hälfte davon … Aber trotzdem, der Typ machte doch aus einer Mücke einen Elefanten.

»Und jetzt stinkt sie sicher auch noch nach Hundepisse«, fuhr er unwirsch fort. »Hier, spül das mal schnell ab, bevor die Damen sich ihre Kleider damit ruinieren.« Er reichte ihr ein großes Glas Wasser.

Lucy wusch das Schild ab, das nun ein jämmerliches Bild abgab. Sie stellte die Tafel wieder auf, entschuldigte sich noch einmal, als sie das leere Glas zurückgab, und ging los, um Daisy wieder zum Jeep zu bringen, wo sie außer Sichtweite war und keinen Unsinn anstellen konnte.

»Ach Daisy, ich kann nicht glauben, was du gerade gemacht hast«, murmelte sie unterwegs und schüttelte den Kopf. Wie peinlich das gewesen war. Dennoch musste sie ein kleines Lächeln unterdrücken, als sie an den Jeep trat und die freche kleine Dackeldame an ihren sicheren Platz beförderte. Sie steckte ihr zum Trost noch ein Leckerli zu. Die kleine Diva Daisy schaute sie mit ihren niedlichen braunen Augen an. »Na dann, bis später, Fräulein Frechdachs.« Die Hündin seufzte leicht auf und ließ sich dann fallen. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden und war nach diesem kleinen Abenteuer wieder bereit für ein Schläfchen.

Lucy warf einen Blick zu Jack hinüber und sah, wie er beim Blick auf sein malträtiertes Schild den Kopf schüttelte. Ich wette, mit so etwas auf der Drinks-Karte hat er nicht gerechnet, dachte sie und kicherte. Und, wo ist sie jetzt, die große Cocktail-Klappe?

3. KAPITEL

Nach Mitternacht, nachdem sie Tamsin auf dem Weg abgesetzt hatte, war Lucy wieder zu Hause in ihrem kleinen Cottage. Sie saß auf einem Hocker in der gemütlichen kleinen Pantryküche mit einer Tasse Tee, die sie dringend brauchte, und einem mit Butter bestrichenen Toast. Daisy lag zu ihren Füßen. Der Raum war rustikal, aber gemütlich, mit seinen dicken weiß getünchten Steinwänden, der niedrigen Decke und den zwei kleinen quadratischen Fenstern, die auf einen kleinen Hof hinausgingen. Draußen war es jetzt dunkel und still.

Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihre dritte Veranstaltung durchgestanden. Abigail und Harriet hatten sich sogar am Ende bei ihr bedankt. Sie waren beeindruckt davon, wie viele Gäste ihre köstlichen Pizzen gelobt hatten, und Harriet wollte sogar Bilder von dem hinreißenden Pferdeanhänger posten und Feuer und Flamme auf Instagram erwähnen. Es hörte sich ganz so an, als hätten sie ihr die Unpünktlichkeit verziehen. Puh! Sogar ihre neue Aushilfe Tamsin hatte sich schließlich ganz schön ins Zeug gelegt und dazu beigetragen, dass alles klappte. Dennoch hatte Lucy ihre Zweifel, ob das junge Mädchen Lust haben würde, weiterhin dabeizubleiben. Den ganzen Abend über hatte sie Nachrichten von ihrem Handy verschickt und das Gesicht verzogen, wenn sie glaubte, dass Lucy nicht hinsah.

Ja, es war schon komisch, wie anders das alles war als ihre Arbeit als Buchhalterin in dem Büro in Morpeth. Die heftigen Worte ihres Dads klangen ihr wieder in den Ohren: »Ich kann nicht glauben, dass du einfach aus einer Laune heraus alles hinschmeißt!« Sie wusste nur zu gut, wie wenig er davon hielt, dass sie ihr regelmäßiges Einkommen und eine feste Stelle in der Buchhaltung von Edwin Grant’s aufgegeben hatte. Jahrelang hatte er ihr damit in den Ohren gelegen, sich für diese beständige Lebensform zu entscheiden, weil er meinte, es sei das Vernünftigste und Lukrativste, was man beruflich tun könne. Aber Lucy hatte die Nase voll vom immer gleichen Zahlenjonglieren in den immer gleichen vier Wänden.

Als sie ihrer Familie mitgeteilt hatte, dass sie den Job in der Buchhaltung aufgeben und einen alten – sprich etwas heruntergekommenen – Pferdeanhänger kaufen werde, um daraus ihre eigene mobile Pizzeria zu machen, war ihr Dad alles andere als erfreut gewesen.

Ihre Mum, Sofia, die seit vielen Jahren allein lebte, weil Lucys Vater »mehr Freiraum« gebraucht hatte (genügend, um sechs Monate später eine neue Partnerin zu finden), hatte sie da schon mehr unterstützt. Sie freute sich zumindest, dass Lucy ein eigenes Unternehmen gründen wollte, eines im Gedenken an ihren geliebten »Papa«. Sie hatte mitbekommen, wie sehr Lucy in ihrer Beziehung und in ihrem Beruf zu kämpfen hatte und wie unglücklich ihre Tochter war, und erkannt, dass Lucy da rausmusste und ihr Leben verändern.

Und Lucy glaubte wirklich, dass das Pizzageschäft etwas war, was ihr Spaß machen und worauf sie stolz sein könnte, auch wenn es mit wunden Füßen und Schweißausbrüchen verbunden war. Der Ofen war verdammt heiß, wenn man danebenstand. Hoffentlich würde das Ganze bald Gewinn abwerfen, sodass sie auch davon leben konnte. Es musste einfach klappen.

Lucy war bis jetzt noch für drei weitere Veranstaltungen gebucht und hatte sich auch um Marktstände in den umliegenden Städten bemüht. Es würde sich herumsprechen. Sie arbeitete an ihrer Website und den Facebook- und Instagram-Profilen von Feuer und Flamme. Gleich morgen früh würde sie ein paar Bilder von der heutigen Party auf ihrem Feed veröffentlichen. Wenn sie tüchtig und entschlossen war, hatte sie vielleicht wirklich Erfolg mit diesem Geschäft und konnte ihr Leben von Grund auf umkrempeln.

Aus irgendeinem Grund schweiften ihre Gedanken zu dem Typen mit dem Camper ab. Sie fragte sich, was ihn dazu bewogen hatte, seine mobile Bar zu gründen, und wie er sich damit etabliert hatte. Sein Geschäft lief anscheinend wie geschmiert, auch wenn seine Selbstdarstellung etwas billig wirkte. Pff, er mochte süß sein – sie hatte gesehen, dass Tamsin ihm Blicke zugeworfen hatte –, aber er war so was von eingebildet. Und wie er ausgerastet war, als Daisy ihren Pinkelunfall auf seiner Tafel hatte. Beim Gedanken daran stieg wieder Ärger in ihr auf. Immerhin hatte Daisy es nicht mit Absicht getan. Aber warum dachte sie überhaupt darüber nach? Oder über ihn? Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich. Wahrscheinlich war es seine arrogante Haltung, die ihr so zu schaffen machte.

Ihr Blick fiel auf ein Foto, das auf dem Kaminsims über der alten gemauerten Herdstelle stand. Sie hatte das Bild nur behalten, weil Mum und Nonna auch darauf zu sehen waren. Und da waren sie. Sie und Liam, ihr Ex. Verdammt, auch er hatte – genau wie ihr Vater – ihre Träume unterdrückt, mit seinem Beharren auf einem normalen Job, einem festen Einkommen.

Arrogant, wie er war, hatte Liam geglaubt, sie würde das mit seiner anderen Freundin nie herausfinden oder, wenn doch, dass es trotzdem niemals das Ende ihrer vierjährigen Beziehung bedeuten würde.

Hatte es aber.

Lucy umfasste ihre Tasse mit beiden Händen und blickte aus dem kleinen Fenster neben ihr. Draußen war es dunkel, bis auf die leuchtende Sichel des zunehmenden Mondes. Es war, als wollte diese ihr Hoffnung im Hinblick auf die Zukunft geben, trotz all ihrer Sorgen.

Zur selben Zeit fuhr Jack über die kurvenreichen Küstenstraßen nach Hause zu seiner WG in einem Dorf etwas außerhalb von Alnwick. Normalerweise beruhigte ihn die nächtliche Heimfahrt über Land. Sie gab ihm Gelegenheit, nach dem abendlichen Trubel in der Bar zur Ruhe zu kommen, aber diese verdammte Pizzafrau kam ihm wieder in den Sinn. Mannometer, einfach zu spät zu kommen. So was Unprofessionelles. Und dann demolierte ihr blöder Köter auch noch seinen Aufsteller. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, einen Hund mitzubringen? Zu einer Veranstaltung, auf der Essen serviert wurde! Ein seltsamer Reim formte sich beim Fahren in seinem Kopf:

Es gab mal ’ne Frau, die macht’ Pizza,

Hatt’ ’nen Hund, der war lang und ’ne Diva.

Sie schien reichlich kühl

Gab so’n Ice-Queen-Gefühl …

Er wiederholte es laut und versuchte, sich einen guten Reim für die letzte Zeile auszudenken. Er fuhr um eine enge Kurve in der Gasse, und die Scheinwerfer ließen die Weißdornhecken aufleuchten.

Was zum Teufel machte er da eigentlich, dass er sich dumme Gedichte über eine nervige Frau und ihren Hund ausdachte, die er gerade erst kennengelernt hatte? War er womöglich ein bisschen zu streng zu ihr gewesen? Sie schien ziemlich neu in der Gastro-Szene zu sein. Und der Hund … na ja. Es war nur ein Hund, der machte, was er machen musste. Ihm wurde klar, dass sein Zorn im Eifer des Gefechts unkontrolliert hochgekocht war. Jetzt wusste er nicht so recht, was er davon halten sollte.

Pling! Das war’s:

Ließ den Barmann zurück in ’nem Fieber.

Er lachte über sich selbst. Blöder Idiot, der sich mitten in der Nacht Limericks ausdachte. Aber es verkürzte ihm die Fahrzeit. Vielleicht würde er den Vers sogar aufschreiben, wenn er wieder zu Hause wäre, aber als er ihn noch einmal aufsagte, um zu prüfen, ob er wirklich funktionierte, zweifelte er doch daran, dass er es wert war, zu Papier gebracht zu werden. Er hatte schon eine Weile keine Gedichte mehr geschrieben. Früher hatte er das gern getan. Nicht so albernes Zeug wie das hier, sondern die richtigen Worte zu finden hatte ihm geholfen, seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Ein bisschen wie eine Therapie, als er mit niemandem reden konnte. Damals, als seine Seele in größter Not gewesen war.

Jack konzentrierte sich wieder auf die Straße vor ihm. Nur er und Ruby, das Brummen des Motors und der Rhythmus der nächtlichen Fahrt. Allmählich begann sich das Adrenalin vom Abend zu verflüchtigen.

Der Himmel über ihm war tiefschwarz, und die Sichel des Neumonds fing seinen Blick ein.

4. KAPITEL

Es war ein strahlender Morgen, und Lucy wachte früh auf, als das Licht durch ihre Schlafzimmervorhänge fiel. Sie streckte die Hand aus und fand Daisy an ihrem Lieblingsplatz neben sich, zusammengerollt auf der kuscheligen Bettdecke.

»Morgen, Daisy Doo.«

Daisy gab einen zufriedenen Hundeseufzer von sich.

»Ich glaube, wir machen gleich als Erstes einen Strandspaziergang.«

Daisy schnüffelte und vergrub sich noch etwas tiefer in der Decke, als wolle sie sich verstecken, was Lucy laut auflachen ließ.

»Okay, dann vielleicht erst etwas Tee und Toast.«

Zehn Minuten später saß Lucy auf einem Hocker in ihrer Küche – Daisy döste immer noch oben – und mampfte einen Vollkorntoast mit Erdnussbutter, während auf dem Tisch eine große gepunktete Tasse mit Tee stand. Ihr Mobiltelefon verkündete summend eine neue Nachricht.

Und? Wie war’s gestern Abend? Hast du dich ordentlich ausgepizzat? X

Die Nachricht kam von Becky. Lucy lächelte. Es war toll, dass sich ihre gute Freundin so sehr für ihr neues Projekt interessierte und sie dabei unterstützte. Genau genommen hatte sie das in den letzten Jahren bei allen Wendungen in Lucys Leben getan. Als die Bombe eingeschlagen war, dass Liam hinter ihrem Rücken eine Affäre hatte, als sie ihn aus ihrem schönen neuen Haus geworfen hatte und auch als sie für sich allein eine neue Bleibe hatte finden müssen. Becky war immer da gewesen, hatte sie in den Arm genommen, mit ihr geredet und Tee getrunken, hatte Kuchen, manchmal auch Prosecco oder Pizza mitgebracht und genau gespürt, wann und was genau sie brauchte.

Ja, super gelaufen, danke. X

Sie würde die verspätete Ankunft wohl besser nicht erwähnen, oder …? Ihre Gedanken schweiften zu Daisys Possen und dem Cocktail-Camper-Typen ab.

Lust auf einen Kaffee und ein bisschen Quatschen heute Nachmittag? Bist du da?, fragte Becky.

Ja, vielleicht im Driftwood?, tippte Lucy.

Das kleine Café war das Lieblingscafé der beiden, direkt bei Lucy im Dorf, mit einem schönen Blick aufs Meer. Und dort wurden die tollsten Torten und Kuchen gebacken.

14 Uhr?, schoss Becky zurück.

Perfekt.

Dann bis später. Xx

Nach dem Toast ging Lucy nach oben, um zu duschen und sich anzuziehen. Sie wählte ein gestreiftes Breton-Top und Jeans für ihren sonntäglichen Strandspaziergang. Mit einem Hauch von Mascara und einem Tupfen rosa Lippenstift vervollständigte sie ihren legeren Look und ging hinüber zum Bett, um die immer noch widerwillige Diva Daisy für ihren Spaziergang nach unten zu holen.

An diesem Morgen herrschte Ebbe, und der Strand war eine Sichel aus goldenem Sand mit Dünen voller Strandhafer im Hintergrund. Eine Linie aus verschlungenem, glänzend braunem Seetang markierte die Flutlinie. Zur Küste hin hatte sich der Sand in glatte, blassbraune Erhebungen mit kleinen Tümpeln verwandelt. Schaumbekränzte Wellen rollten heran. Meer und Himmel trafen sich an einem azurblauen Horizont, über dem ein paar weiße Wolkenbäuschchen schwebten.

Die salzige Seeluft und eine Reihe anderer Gerüche erkundend, lief Daisy vorsichtig über den Seetang, um den flachen Sand der Bucht zu erreichen. Sie war nicht gerade eine Wasserratte, aber sie genoss die Strandspaziergänge mit ihrem Frauchen. Unterwegs traf sie viele vierbeinige Freunde und bellte fröhlich zur Begrüßung. Die Größe anderer Hunde spielte für sie keine Rolle – sie traf genauso gern einen Labrador wie einen Terrier.

Dann drehte man sich kurz umeinander, beschnupperte sich zur Begrüßung, und schon trabte Daisy auf ihren Dackelbeinen davon, die Nase in der Luft. Dann wieder beobachtete sie verächtlich diese verrückten Spaniel-Typen und die Border Collies, die wie irre hinter Bällen und Stöcken herjagten; dabei musste man doch nur brav mitgehen und sich ab und zu hinsetzen, um seine Streicheleinheiten und ein Leckerchen zu bekommen.

Lucy seufzte und genoss die frische Luft und das rhythmische Rauschen des Meeres. Es war schön, so nahe an der Küste zu leben. Sie war froh, dass sie ihrem Herzen gefolgt war und das alte Cottage in Embleton ersteigert hatte; es war zwar sehr klein, lag aber nur wenige Gehminuten vom Strand entfernt. Meerblick hatte es nicht direkt, außer man stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf aus dem Schlafzimmerfenster, um ein winziges bisschen vom Ultramarin des Wassers am Horizont zu erhaschen. Doch das Wichtigste war: Das Cottage gehörte ihr, es war ihr Zuhause. Mit einer kleinen Hypothek und der Hälfte der Möbel aus dem gemeinsamen Haus von ihr und Liam hatte sie sich mutig auf den leicht holprigen neuen Weg begeben.

Es war nicht das, was sie sich für ihr Leben mit einunddreißig Jahren vorgestellt hatte. Wieder Single zu sein, Besitzerin eines Dackels und eines kleinen Häuschens am Meer, nicht mehr in dem Büro zu arbeiten, in dem sie nach dem Abitur angefangen hatte, sondern CEO (ha!) des Pizza-Catering-Unternehmens Feuer und Flamme zu sein. Schon lustig, das Leben führte einen manchmal in seltsame und wunderbare Richtungen. Es war wie eine Reise. Eine ziemlich holprige für sie in letzter Zeit.

Aber sie hatte ihre Freunde und ihre Familie: ihren Bruder Olly, der mit seiner Freundin Alice und ihrem entzückenden kleinen Freddie in Alnwick lebte, ihre Mutter, die immer noch im Haus der Familie in Rothbury wohnte, ihre liebe Nonna in der Nähe und ihren Vater, der nicht allzu weit entfernt in Whitley Bay lebte, mit seiner neuen Partnerin – auch so eine heftige Wendung in der Familiengeschichte, die nun schon viele Jahre zurücklag.

Die Gedanken an Partnerschaft und eine eigene Familie, die sie einst gehegt hatte, waren nun auf Eis gelegt. Wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob sie sich den ganzen Beziehungsschmerz und Stress noch einmal antun wollte. Romantik wurde definitiv überbewertet. Das Leben ging weiter, Träume veränderten sich, einige zerrannen, und man musste sich von ihnen trennen, aber es kamen immer neue Ziele und Möglichkeiten.

»Morgen, Luce.« Cathy vom Dorfladen ging mit ihrem Beagle Max vorbei, der Daisy nun eifrig begrüßte, Schwanzwedeln und Leinenverdrehen inbegriffen.

»Oh, hallo.« Lucy riss sich aus ihren Gedanken und schenkte Cathy ein herzliches Lächeln.

»Auch früh raus, bevor die Massen kommen?« Cathy grinste.

»Ja, es ist wunderbar hier, wenn es so ruhig ist.« Lucy ließ den Blick über die weite Bucht mit dem goldenen Sand schweifen.

»Aber ich will mich nicht beklagen, solange sie kommen und in meinem Laden einkaufen.«

»Ach ja, na klar.«

»Ein herrlicher Tag«, fügte Cathy hinzu, bevor sie weiterging.

»Ja, einfach wunderschön.« Und das stimmte. Die Sonne schien ihr warm auf die Wangen, der Blick aufs Meer war einfach atemberaubend, ein herrliches Bild in Grau-, Gold-, Blau- und Weißtönen. Und an dieser Bucht entlangzugehen, die sie nun ihre Heimat nennen konnte, war ungemein beruhigend. Trotz Herzschmerz und der Verletzungen der letzten zwei Jahre und trotz der Sorge, dass ihr neues Unternehmen womöglich nur schwer in Gang kommen würde, spürte sie ein Gefühl der Hoffnung. Ihr Leben konnte und würde besser werden.

Vorwärts und aufwärts, Lucy, sagte sie zu sich selbst. Vorwärts und aufwärts.

Hinter dem Tresen des Driftwood Cafés schnitt die Besitzerin Louise gerade einen samtigen Schokoladenkuchen an und legte dann noch ein Stück Zitronenkuchen auf einen Teller. Lucy und ihre Freundin Becky saßen an einem hübschen weiß gestrichenen Tisch und plaudernd angeregt miteinander. Vor sich hatten sie Tassen mit heißer Schokolade stehen, gekrönt von einer spiraligen Sahnehaube. (Okay, es war fast Sommer, aber manche Dinge waren es wert, dass man sie das ganze Jahr über genießt!) Die Kuchen passten perfekt dazu. Es war definitiv Zeit für eine Leckerei, also warum nicht?

In der Teestube hingen Drucke von Küstenmotiven, die in Treibholz gerahmt waren, und es gab verschiedene kunsthandwerkliche Dinge zu kaufen, darunter niedliche Papageientaucher und Seevögel aus Holz, die im Ort geschnitzt und bemalt worden waren. Sogar kleine Reihen von winzigen bunten Strandhütten waren dabei. Lucy hatte hier in den letzten Monaten einige schöne Dinge erstanden, um ihr Cottage, das ganz in der Nähe lag, zu verschönern.

»Also, dann erzähl mir mehr von gestern Abend.« Becky war neugierig. »Wie war das große Landhaus?«

»Es war ein tolles Haus. Riesiger Garten, enorme Auffahrt. Und drinnen … na ja … wie ein Herrenhaus. Man musste aufpassen, dass man sich auf der Suche nach den Toiletten nicht verläuft. Das ist mir tatsächlich passiert!« Sie grinste und trank einen Schluck von ihrem cremigen Kakao. Aber es ist richtig gut gelaufen … absolut. Allerdings muss ich gestehen, dass ich verdammt spät dran war. Das war peinlich und nicht gerade der beste Start.«

»Oh nein! Sind deine Auftraggeber damit gut klargekommen?«

»Ähm, zunächst nicht, die Mutter hat mir erst mal einen Einlauf gegeben, als ich ankam, aber ich habe mich kräftig ins Zeug gelegt und die besten Pizzen gemacht, die ich je gebacken habe. Zum Glück waren sie am Ende mehr als zufrieden.«

»Puh, dann ist es ja noch mal gut gegangen. Und wie war die Neue? Hat es geklappt mit ihr?«

»Tamsin. Na ja, ich weiß nicht recht. Es ging. Irgendwann ist sie in die Gänge gekommen, und wir haben uns dann beide verdammt ins Zeug gelegt. Immerhin mussten wir insgesamt sechzig Pizzen backen und servieren. Es war beinahe wie am Fließband, und ich hatte gerade genug Zutaten dabei. Es war ein echter Knochenjob, und ich weiß nicht … Ich hatte den Eindruck, dass sie es sich nicht so anstrengend vorgestellt hat. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt … also, wenn sie wiederkommen will.«

Lucy war sich wirklich nicht sicher, wie das ausgehen würde. Sie konnte es sich nicht leisten, Tamsin viel mehr als den Mindestlohn zu zahlen, während sie selbst noch Fuß fassen musste, um ihren Kredit abzustottern. Das Mädchen konnte mit seiner Arbeit als Kellnerin vielleicht mehr verdienen. Nun ja, man würde sehen. Das war eine weitere kleine Hürde, die es zu nehmen galt.

Dann erinnerte sie sich an den Vorfall mit Daisys Pinkelpause an der Bar. Sie musste schmunzeln, als sie daran dachte. Irgendwie war das Ganze wie ein Comedy-Sketch abgelaufen, allein mit dieser anschließenden Tirade des arroganten Barmanns!

»Was ist los? Du bist wohl ein bisschen mit den Gedanken woanders.«

»Ach, ich musste nur gerade an diesen Cocktail-Camper denken, der auch da stand, und daran, wie der Barmann mich angemotzt hat.«

»Was? Wieso das denn?« Becky zog die Augenbrauen hoch.

»Hmm, sagen wir mal, Daisy hat mir eine kleine Schrecksekunde eingehandelt. Ich war ein bisschen mit ihr an der frischen Luft, und … na ja … Sie hat seinen Aufsteller gründlich angepinkelt und dabei noch zwei der kunstvoll aufgeführten Cocktails abgewaschen.«

Sie kicherten beide, und Lucy sah wieder Jacks zornrotes Gesicht vor sich.

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