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Die Hennakünstlerin

Als Buch hier erhältlich:

»Ich war von der ersten bis zur letzten Seite gebannt.« Reese Witherspoon

Die junge Lakshmi entflieht einer gewaltsamen Ehe und schlägt sich bis in die pulsierende Großstadt Jaipur durch. Dort steigt sie durch Talent und unbeugsamen Willen zu einer der hochangesehensten Hennakünstlerinnen des Landes auf. Während sie wohlhabende Frauen mit meisterhaften Hennaverzierungen schmückt, erfährt sie so manches gut gehütete Geheimnis der indischen Elite. Dabei ist sie selbst stets dazu gezwungen, über ihre Herkunft zu schweigen. Als Lakshmi mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird, steht ihre hart erarbeitete Freiheit auf dem Spiel. Dochsie ist nicht bereit, kampflos aufzugeben.

»Die Story [...] geht unter die Haut« Madonna

»Fesselnder Roman über eine mutige Frau im Indien der 1950er-Jahre.« Myself

»Die Beschreibung der Farben und Gerüche Indiens machen dieses Buch zu einem sinnlichen Hochgenuss.« Freundin


  • Erscheinungstag: 28.06.2022
  • Aus der Serie: Die Jaipur Trilogie
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 448
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749903917
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Mutter, Sudha Latika Joshi,

die sich für meine Unabhängigkeit eingesetzt hat.

Für meinen Vater, Ramesh Chandra Joshi,

der mir das süßeste Schlaflied vorgesungen hat.

Der Wanderer muss an jede fremde Tür klopfen,
um an die seine zu gelangen,
und du musst durch die gesamte äußere Welt streifen,
um zuletzt den Schrein im Herzen zu erreichen.

(Aus dem Gedicht »Heimreise« von Rabindranath Tagore)

Wenn die Göttin des Wohlstands zu dir kommt,
um dich zu segnen,
solltest du nicht den Raum verlassen,
um dir das Gesicht zu waschen.

Hinduistisches Sprichwort

AUFTRETENDE PERSONEN:

Lakshmi Shastri: dreißigjährige Hennakünstlerin, die in Jaipur lebt

Radha: Lakshmis dreizehnjährige Schwester, die erst geboren wurde, nachdem Lakshmi das Dorf verlassen hatte

Malik: Lakshmis Dienstjunge, sieben oder acht Jahre alt (er weiß es selbst nicht), lebt in der beengten Innenstadt von Jaipur bei seiner muslimischen Tante und seinen Cousins

Parvati Singh: fünfunddreißigjährige führende Dame der Gesellschaft, Ehefrau von Samir Singh, Mutter von Ravi und Govind Singh, entfernte Cousine der königlichen Familie von Jaipur

Samir Singh: renommierter Architekt aus einer Rajputen-Familie aus einer hohen Kaste, Ehemann von Parvati Singh und Vater von Ravi und Govind Singh

Ravi Singh: siebzehnjähriger Sohn von Parvati und Samir Singh, ist im Mayo College im Internat (ein paar Stunden von Jaipur entfernt)

Lala: langjährige, unverheiratete Dienerin im Haushalt der Singhs

Sheela Sharma: fünfzehnjährige Tochter von Mr. und Mrs. V.M. Sharma, einem wohlhabenden Brahmanen-Ehepaar von bescheidener Herkunft

Mr. V.M. Sharma: offizieller Bauunternehmer der königlichen Familie von Jaipur, Ehemann von Mrs. Sharma, Vater von vier Kindern, darunter sein jüngstes Kind und einzige Tochter Sheela Sharma

Jay Kumar: alleinstehender früherer Schulkamerad von Samir Singh aus seiner Zeit in Oxford, praktizierender Arzt in Shimla (im Vorgebirge des Himalayas, elf Stunden Fahrt von Jaipur entfernt)

Mrs. Iyengar: Lakshmis Vermieterin in Jaipur

Mr. Pandey: Lakshmis Nachbar und ebenfalls Mieter bei Mrs. Iyengar, außerdem Sheela Sharmas Musiklehrer

Hari Shastri: Lakshmis entfremdeter Ehemann

Saas: bedeutet »Schwiegermutter« auf Hindi; wenn Lakshmi sich auf ihre Saas bezieht, meint sie Haris Mutter; wenn eine Frau ihre Schwiegermutter direkt anspricht, nennt sie sie respektvoll »Saasuji«

Mrs. Joyce Harris: junge Engländerin, Ehefrau eines britischen Armeeoffiziers, der dem Team in Jaipur für die Übergabe Britisch-Indiens angehört

Mrs. Jeremy Harris: Schwiegermutter von Joyce Harris

Pitaji: bedeutet »Vater« auf Hindi

Maa: bedeutet »Mutter« auf Hindi

Munchi: alter Mann aus Lakshmis Dorf, der ihr das Zeichnen und Radha das Mischen von Farben beigebracht hat

Kanta Agarwal: sechsundzwanzigjährige Ehefrau von Manu Agarwal, in England erzogen, stammt ursprünglich aus einer Literatenfamilie aus Kalkutta

Manu Agarwal: kümmert sich als leitender Direktor um die Liegenschaften der königlichen Familie von Jaipur, Ehemann von Kanta, in England erzogen, mit der Sharma-Familie verbunden

Baju: ein alter Familiendiener von Kanta und Manu Agarwal

Maharadscha von Jaipur: eine Repräsentationsgestalt nach der Unabhängigkeit, ranghöchster Angehöriger der Königsfamilie, besitzt viel Land und Geld sowie mehrere Paläste in Jaipur

Naraya: Bauunternehmer, der Lakshmis neues Haus in Jaipur errichtet

Maharani Indira: die Stiefmutter des Maharadschas, mit dem verstorbenen Maharadscha von Jaipur verheiratet, kinderlos, wird auch als Königswitwe bezeichnet

Maharani Latika: die aktuelle Ehefrau des Maharadschas, einunddreißig Jahre alt, in der Schweiz ausgebildet

Madho Sing: der Sittich von Maharani Indira

Geeta: Witwe, Samir Singhs derzeitige Geliebte

Mrs. Patel: eine von Lakshmis treuen Hennakundinnen, Hotelbesitzerin

Am Ende des Buchs finden Sie ein Glossar von Begriffen in Hindi, Französisch, Deutsch und Englisch.

PROLOG

Ajar, Uttar Pradesh, Indien
September 1955

Sie läuft leichten Schrittes über die harte Erde, die schwieligen Fußsohlen unempfindlich gegen die kleinen Steinchen und den verkrusteten Schlamm am Flussufer. Auf dem Kopf balanciert sie einen Mutki, denselben Tonkrug, mit dem sie jeden Tag Wasser vom Brunnen holt. Heute trägt das Mädchen statt Wasser alles, was es besitzt: einen zweiten Unterrock und eine Bluse, den Hochzeitssari seiner Mutter, Die Erzählungen von Krishna, aus denen sein Vater ihm immer vorgelesen hatte – die Seiten waren weich wie Stoff vom jahrelangen Gebrauch –, und den Brief, der heute Morgen aus Jaipur gekommen war.

Als es die Stimmen der Dorffrauen in der Entfernung hört, zögert das Mädchen. Die Klatschmäuler schwatzen, erzählen sich Geschichten, lachen, während sie Saris, Westen, Unterröcke und Dhotis waschen. Aber sie weiß, wenn sie sie sehen, werden sie in Schweigen verfallen und sie anstarren oder auf den Boden spucken und Gott anflehen, sie vor dem Pechmädchen zu schützen. Sie erinnert sich an den Brief, der sicher im Mutki steckt, und denkt: Sollen sie doch. Es wird das letzte Mal sein.

Am Vortag hatten die Frauen den Vorsteher bedrängt: Warum lebt das Pechmädchen immer noch in der Hütte des Lehrers, wenn wir sie doch für den neuen Schulmeister brauchen? Das Mädchen war innerhalb der vier Lehmwände mucksmäuschenstill gewesen, aus Angst, dass sie hereinkommen und sie an den Haaren hinauszerren würden, wenn sie ein Geräusch machte. Jetzt gab es niemanden mehr, der sie beschützte. In der vergangenen Woche war der Körper ihrer Mutter zusammen mit den Knochen von toten Tieren verbrannt worden, dem Scheiterhaufen der Armen. Ihr Vater, der frühere Schullehrer, hatte sie vor sechs Monaten verlassen. Kurz darauf war er in einer flachen Wasserlache am Flussufer ertrunken, so besoffen, dass er den Stich des Todes wahrscheinlich nicht einmal gespürt hatte.

In der vergangenen Woche hatte das Mädchen jeden Tag am Rande des Dorfes auf den Postboten gewartet, der sporadisch mit dem Fahrrad aus dem Nachbardorf kam. Heute Morgen war sie aus ihrem Versteck hinausgesprintet, sobald sie ihn sah, wobei sie ihn erschreckt hatte, und hatte ihn gefragt, ob er irgendwelche Briefe für ihre Familie hätte. Er hatte die Stirn gerunzelt und sich in die Wange gebissen, während er sie mit seinen feuchten Augen durch seine dicken Brillengläser betrachtete. Sie konnte sehen, dass sie ihm leidtat, aber er war auch verärgert – sie fragte nach etwas, das nur der Vorsteher erhalten sollte. Aber sie hielt seinem Blick stand, ohne zu blinzeln. Als er ihr schließlich den dicken Umschlag aus Florpostpapier überreichte, der an ihre Eltern adressiert war, machte er das hastig, mied dabei ihren Blick und radelte so schnell er konnte davon.

Jetzt schlendert sie aufrecht, die Schultern zurückgenommen, an den Frauen am Flussufer vorbei. Sie starren sie an. Sie spürt, wie ihr Herz unregelmäßig schlägt, aber sie geht vorbei, aufrecht wie ein Zuckerrohr, den Mutki auf dem Kopf, als würde sie zum Bauernbrunnen zwei Meilen vom Dorf entfernt gehen, dem einzigen Brunnen, den sie benutzen darf.

Die Klatschmäuler flüstern nicht länger miteinander, sondern rufen einander zu: Da geht das Pechmädchen! In dem Jahr, in dem sie geboren wurde, haben Heuschrecken den Weizen aufgefressen! Ihre ältere Schwester hat ihren Ehemann verlassen und wurde nie wieder gesehen! Schamlos! Im selben Jahr ist ihre Mutter erblindet! Und ihr Vater fing zu trinken an! Wie schändlich! Selbst die Gesichtsfarbe des Mädchens ist suspekt. Und nur Angreji-Walli haben blaue Augen. Gehört sie überhaupt zu uns? Zu diesem Dorf?

Das Mädchen hat sich öfter Gedanken über diese ältere Schwester gemacht, von der sie alle reden. Diejenige, deren Gesicht sie nur als Schatten in ihren Träumen sieht, deren Existenz ihre Eltern nie bestätigt haben. Die Klatschmäuler sagen, dass sie das Dorf vor dreizehn Jahren verlassen hat. Warum? Wohin ist sie gegangen? Wie konnte sie einem Ort entkommen, wo die Klatschmäuler jede deiner Bewegungen überwachen? Ist sie mitten in der Nacht gegangen, als die Kühe und Ziegen alle schliefen? Es hieß, dass sie Geld gestohlen hatte, aber niemand im Dorf besitzt Geld. Wie hatte sie sich ernährt? Manche sagen, dass sie sich als Mann verkleidet hatte, damit sie auf der Straße nicht angehalten wurde. Andere sagen, dass sie mit einem Zirkusjungen davongelaufen sei und als Nautch-Mädchen lebte und meilenweit entfernt in Agra im Vergnügungsviertel tanzte.

Vor drei Tagen hatte der alte Munchi mit dem lahmen Bein – ihr einziger Freund im Dorf – sie gewarnt, dass der Vorsteher darauf bestehen würde, dass sie einen verwitweten Bauern heiratete oder das Dorf verließ, wenn sie die Hütte nicht räumte.

»Für dich gibt es hier nichts mehr«, hatte Munchi-ji gesagt. Aber wie konnte sie weggehen – ein dreizehnjähriges Waisenmädchen, das weder eine Familie noch Geld hatte?

»Habe Mut, Bheti«, hatte Munchi-ji gesagt und ihr erzählt, wo sie in einem Nachbardorf ihren Schwager finden würde, den Ehemann, den ihre Schwester vor all diesen Jahren verlassen hatte. Vielleicht konnte er ihr dabei helfen, ihre Schwester zu finden.

»Warum kann ich nicht bei dir bleiben?«, hatte sie gefragt.

»Das gehört sich nicht«, hatte der alte Mann sanft erwidert. Er verdiente sich den Lebensunterhalt, indem er Bilder auf die Gerippe von Peepal-Blättern malte. Um sie zu trösten, hatte er ihr ein Bild geschenkt. Voller Wut hätte sie es beinahe zurückgeworfen, bis sie sah, dass es ein Bild von Krishna war, der seine Gattin Radha, ihre Namensschwester, mit einer Mango fütterte. Es war das schönste Geschenk, das sie je bekommen hatte.

Radha verlangsamt ihren Schritt, als sie sich dem Dreschplatz des Dorfes nähert. Vier angespannte Bullen laufen im Kreis um einen großen, flachen Stein herum und malen Weizen. Prem, der sich um die Bullen kümmert, sitzt an die Hütte angelehnt und schläft. Leise eilt sie an ihm vorbei auf den engen Pfad zu, der zum Tempel von Ganesha-ji führt. Der Schrein hat eine schmale Öffnung, und innen drin steht eine Statue von Ganesha. Um die Füße des Elefantengottes herum sind Geschenke aufgebaut: eine frische Kokosnuss, Ringelblumen, ein kleiner Topf mit Ghee, Mangoscheiben. Aus einem Sandelholzräucherkegel kräuselt sich eine dünne Rauchfahne.

Das Mädchen legt Munchi-jis Bild von Krishna vor Ganesha-ji ab, dem Entferner aller Hindernisse, und fleht ihn an, den Fluch des Pechmädchens von ihr zu nehmen.

Als sie das Dorf ihres Schwagers zehn Meilen westlich erreicht, ist es später Nachmittag und die Sonne hat sich dem Horizont genähert. Sie schwitzt durch ihre Baumwollbluse. Ihre Füße und Knöchel sind schmutzig, ihr Mund trocken.

Sie betritt vorsichtig das Dorf. Sie duckt sich hinter Sträuchern und versteckt sich hinter Bäumen. Sie weiß, dass ein Mädchen allein nicht freundlich behandelt wird. Sie sucht nach einem Mann, der so aussieht, wie ihn Munchi-ji beschrieben hat.

Sie sieht ihn. Dort. Er hockt mit dem Gesicht zu ihr unter dem Banyanbaum. Ihr Schwager.

Er hat dicke, ölige, pechschwarze Haare. Eine lange, zerfurchte Narbe schlängelt sich von seiner Unterlippe zu seinem Kinn. Er ist nicht jung, aber auch nicht alt. Sein Bush-Shirt ist mit Curry gesprenkelt und sein Dhoti staubig.

Dann bemerkt sie die Frau, die vor dem Mann auf der Erde hockt. Sie stützt ihren Ellbogen mit der anderen Hand, ihr Unterarm hängt in einem unnatürlichen Winkel herunter. Ihr Kopf ist vollständig von ihrem Pallu bedeckt, und sie flüstert leise mit dem Mann. Radha sieht zu und fragt sich, ob ihr Schwager sich eine neue Frau genommen hat.

Sie hebt einen kleinen Stein auf und wirft ihn nach ihm. Sie verfehlt ihn. Beim zweiten Mal trifft sie ihn am Oberschenkel, aber er klatscht nur mit der Hand darauf, als wolle er ein Insekt erschlagen. Er hört der Frau intensiv zu. Radha wirft weitere Kieselsteine und schafft es, ihn mehrere Male zu treffen. Schließlich hebt er den Kopf und sieht sich um.

Radha betritt die Lichtung, sodass er sie sehen kann.

Seine Augen werden groß, als würde er einen Geist sehen. »Lakshmi?«, fragt er.

EINS

Jaipur, Rajasthan, Indien
15. November 1955

Die Unabhängigkeit hatte alles verändert. Die Unabhängigkeit hatte nichts geändert. Acht Jahre nach dem Abzug der Briten hatten wir jetzt kostenlose staatliche Schulen, fließendes Wasser und befestigte Straßen. Aber Jaipur fühlte sich für mich noch genauso an wie vor zehn Jahren, als ich zum ersten Mal meinen Fuß auf seinen staubigen Boden gesetzt hatte. Auf dem Weg zu unserem ersten Termin an diesem Vormittag kollidierten Malik und ich beinahe mit einem Mann, der Zementsäcke auf seinem Kopf transportierte, als ein Fahrrad zwischen uns hindurchfuhr. Wegen des Radfahrers, der eine zwei Meter lange Leiter unter dem Arm hielt, streifte ein Pferdewagen ein Schwein, das quiekend in eine enge Gasse rannte. Einmal traten wir beiseite und ließen eine Band von Hijras passieren. In Saris gekleidet und mit Lippenstift geschminkt, sangen und tanzten sie vor einem Haus, um die Geburt eines Jungen zu segnen. Wir waren so an die Gerüche der Stadt gewöhnt – Kuhdung, Kochfeuer, Kokosnusshaaröl, Sandelholzräucherwerk und Urin –, dass wir sie kaum noch wahrnahmen.

Was die Unabhängigkeit tatsächlich verändert hatte, waren unsere Leute. Man konnte es an ihrer Haltung erkennen, den Brustkorb aufgebläht, als könnten sie es sich endlich erlauben zu atmen. Man sah es daran, wie sie zu ihren Tempeln gingen – entschlossen, stolz. Wie sie auf dem Basar mit den Verkäufern feilschten – kühner als früher.

Malik pfiff nach einer Tonga. Er war ein kleiner Junge, dünn wie ein Schilfrohr. Sein Pfeifen, laut genug, dass man es sogar noch in Bombay hören musste, überraschte mich immer wieder. Er hob unsere schweren Tiffins in den Pferdewagen, und der Tonga-Walla fuhr uns widerwillig die kurzen fünf Blöcke bis zum Anwesen der Singhs. Der Pförtner sah, wie wir aus der Tonga ausstiegen.

Vor der Unabhängigkeit hatten die meisten Familien in Jaipur in beengten Familienverbänden in der rosa Altstadt Pink City gewohnt. Aber die ganze Zeit über hatten Generationen von Singhs auf einem teuren Anwesen außerhalb der Stadtmauern gelebt. Sie gehörten der herrschenden Klasse an – Rajas und unbedeutende Prinzen, Armeeoffiziere – und waren lange an Privilegien vor, während und sogar noch nach der britischen Herrschaft gewöhnt. Das Anwesen der Singhs befand sich an einem breiten Boulevard, der von Peepal-Bäumen gesäumt wurde. Zweieinhalb Meter hohe Wände mit Glasscherben auf der Mauerkrone schützten das zweigeschossige Gebäude vor Blicken. Eine mit Bougainvilleen und Jasminranken überwucherte Marmorveranda zog sich über die Vorderseite und die Seiten von jedem Geschoss und kühlte die Häuser im Sommer, wenn Jaipur so heiß wie ein Tandoori-Ofen werden konnte.

Nachdem der Chowkidar der Singhs unsere Ankunft in der Kutsche mitbekommen hatte, entluden wir unsere Fracht. Malik blieb zurück, um mit dem Pförtner zu schwatzen, während ich den befestigten Steinweg hinunterging, der von einem weiten gepflegten Rasen flankiert wurde, und die Steinstufen zur Veranda von Parvati Singh hinaufstieg.

An diesem Vormittag im November war die Luft frisch, aber feucht. Lala, Parvati Singhs dienstälteste Haushaltshilfe und Kindermädchen ihrer Söhne, begrüßte mich an der Tür. Als Zeichen des Respekts zog sie den Sari über ihre Haare.

Ich lächelte und legte meine Hände zu einem Namaste zusammen. »Hast du das Magnolienöl verwendet, Lala?« Bei meinem letzten Besuch hatte ich ihr eine Flasche von meinem Mittel gegen schwielige Fußsohlen gegeben.

Sie verbarg ein Lächeln hinter ihrem Pallu, während sie einen nackten Fuß ausstreckte und ihn verdrehte, um mir ihre glatte Ferse zu zeigen. »Hahn-ji«, sagte sie leise lachend.

»Shabash«, gratulierte ich ihr. »Und wie geht es deiner Nichte?« Lala hatte ihre fünfzehnjährige Nichte vor sechs Monaten zum Arbeiten mit in den Singh-Haushalt gebracht.

Die alte Frau runzelte die Stirn, und ihr Lächeln verschwand. Aber als sie den Mund öffnete, um mir zu antworten, rief ihre Herrin von drinnen: »Lakshmi, bist du das?«

Lalas Gesicht verschloss sich schnell wieder, sie lächelte angespannt und deutete mit einem Neigen des Kopfes an, dass es ihr gut ging. Sie wandte sich zur Küche und überließ es mir, den Weg zu Parvatis Schlafzimmer selbst zu finden, wo ich schon so viele Male gewesen war.

Parvati saß an ihrem Schreibtisch aus Rosenholz. Sie warf einen Blick auf ihre schmale goldene Armbanduhr, bevor sie sich wieder dem Brief zuwandte, den sie gerade schrieb. Da sie selbst auch äußerst pünktlich war, hasste sie es, wenn andere sich verspäteten. Ich hingegen war daran gewöhnt zu warten, während sie eine schnelle Nachricht an Nehru-ji schrieb oder ein Telefonat mit einem Mitglied der indo-sowjetischen Liga beendete.

Ich stellte meine Tiffins ab und arrangierte die Kissen auf Parvatis cremeweißem Seidendiwan, während sie den Brief versiegelte und nach Lala rief.

Statt der alten Dienerin erschien Lalas Nichte. Sie hielt ihre großen, dunklen Augen auf den Fußboden gerichtet und hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet.

Parvati runzelte die Stirn. Sie musterte das Mädchen und sagte nach einer winzigen Pause: »Zum Mittagessen erwarten wir einen Gast. Sorge dafür, dass wir Boondi Raita haben.«

Das Mädchen erbleichte. Sie sah aus, als würde ihr gleich schlecht werden. »Wir haben keinen frischen Joghurt, Memsahib.«

»Warum nicht?«

Das Mädchen trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Ihre Augen suchten im türkischen Teppich, dem gerahmten Foto des Premierministers, dem verspiegelten Cocktailschrank nach einer Antwort.

Als Parvati sprach, waren ihre Worte glasklar und scharf. »Sorge dafür, dass es Boondi Raita zu Mittag gibt.«

Die Unterlippe des Mädchens zitterte. Sie sah mich flehentlich an.

Ich ging zu den Fenstern, die zum hinteren Garten hinausgingen. Parvati war auch meine Herrin, und ich konnte dem Mädchen genauso wenig helfen wie das Tigerfell an der Wand.

»Lass Lala heute den Tee bringen.« Parvati schickte das Mädchen fort und ließ sich auf den Diwan sinken. Jetzt konnte ich damit beginnen, ihre Hände zu bemalen. Ich setzte mich an meinen üblichen Platz am anderen Ende des Diwans und nahm ihre Hände in meine.

Bevor ich nach Jaipur kam, ließen sich meine Damen die Hände und Füße von Frauen aus der niedrigen Shudra-Kaste mit Henna bemalen. Aber die Shudra-Frauen malten das, was vor ihnen ihre Mütter gemalt hatten: einfache Punkte, Striche und Dreiecke. Gerade genug, um sich ein mageres Einkommen damit zu verdienen. Meine Muster waren aufwendiger – sie erzählten Geschichten von den Frauen, denen ich diente. Außerdem war meine Hennapaste feiner und seidiger als die Mixtur der Shudra-Frauen. Ich machte mir die Mühe, eine Lotion aus Zitrone und Zucker in die Haut meiner Damen zu massieren, bevor ich das Henna auftrug, damit das Muster wochenlang hielt. Je dunkler das Henna, desto mehr wurde eine Frau von ihrem Ehemann geliebt – zumindest glaubten meine Kundinnen das –, und meine üppigen zimtfarbenen Designs enttäuschten sie nie. Inzwischen glaubten meine Kundinnen, dass mein Henna ihre untreuen Ehemänner zurück in ihre Betten bringen oder ihren Gebärmüttern ein Baby entlocken konnte. Deshalb verlangte ich zehnmal so viel wie die Shudra-Frauen. Und bekam es auch.

Selbst Parvati schrieb die Geburt ihres jüngeren Sohnes meinen Henna-Fähigkeiten zu. Sie war meine erste Kundin in Jaipur gewesen. Als sie schwanger wurde, füllten sich die Seiten in meinem Terminkalender mit den Damen aus ihrem Bekanntenkreis – der Elite von Jaipur.

Während das Henna auf ihren Händen trocknete und ich anfing, ihre Füße zu bemalen, beugte Parvati sich vor, um mir dabei zuzusehen, bis unsere Köpfe sich beinahe berührten. Ihr Atem roch süß nach Betelnuss. Ihr warmer Seufzer streifte meine Wange. »Du hast mir erzählt, dass du Indien niemals verlassen hast, aber dieses Feigenblatt habe ich bisher nur in Istanbul gesehen.«

Ich hielt den Atem an, und für einen Moment überkam mich wieder meine alte Angst. Auf Parvatis Füße hatte ich die Blätter des türkischen Feigenbaums gemalt – so ganz anders als sein Cousin aus Rajasthan, der Banyan, dessen dürftige Früchte sich nur für die Vögel eigneten. Auf ihre Fußsohlen, ausschließlich für die Blicke ihres Ehemanns bestimmt, malte ich eine große Feige, voll und sinnlich, in zwei Hälften geteilt.

Als sich unsere Blicke trafen, lächelte ich und drückte sie sanft an der Schulter zurück auf die Kissen des Diwans. Mit hochgezogener Augenbraue fragte ich: »Ist es das, was Ihrem Ehemann auffallen wird? Dass die Feigen türkisch sind?«

Ich zog einen Spiegel aus meinem Ranzen und hielt ihn an das Gewölbe ihres rechten Fußes, sodass sie die winzige Wespe sehen konnte, die ich neben die Feige gemalt hatte. »Ihr Ehemann weiß ganz gewiss, dass jede Feige eine besondere Wespe braucht, um die Blume tief in ihrem Inneren zu befruchten.«

Sie hob überrascht die Augenbrauen. Ihre dunklen, pflaumenroten Lippen teilten sich. Sie lachte, ein herzhaftes Röhren, das den Diwan erschütterte. Parvati war eine attraktive Frau mit wohlgeformten Augen und einem großzügigen Mund, die Oberlippe voller als die Unterlippe. Ihre farbenprächtigen Saris, wie der fuchsiafarbene Seidensari, den sie heute trug, ließen ihren Teint strahlen.

Sie wischte sich mit dem Zipfel des Saris die Augenwinkel. »Shabash, Lakshmi!«, sagte sie. »Jedes Mal, wenn du mich mit Henna bemalst, schafft Samir es an dem Tag kaum, meinem Bett fernzubleiben.« Ihre Stimme klang nach einem Nachmittag, den sie mit den warmen Schenkeln ihres Ehemanns an den ihren auf kühlen Baumwolllaken verbrachte.

Es kostete mich etwas Mühe, das Bild aus meinem Kopf zu verbannen. »So sollte es sein«, raunte ich, bevor ich meine Arbeit an ihrem Gewölbe wiederaufnahm, eine empfindliche Stelle bei den meisten Frauen. Aber sie war an meine Dienste gewöhnt und schaffte es, dass mein Schilfrohr bei ihr nie zitterte.

Sie kicherte. »Die türkischen Feigenblätter bleiben also ein Geheimnis, genauso wie deine blauen Augen und deine helle Haut.«

In den zehn Jahren, die ich ihr schon diente, hatte Parvati dieses Thema immer wieder aufgegriffen. Indien war ein Land der pechschwarzen Iriden. Blaue Augen verlangten nach einer Erklärung. Hatte ich vielleicht eine schmutzige Vergangenheit? Einen europäischen Vater? Oder, noch schlimmer, eine angloindische Mutter? Ich war dreißig Jahre alt, geboren während der britischen Herrschaft und an abfällige Bemerkungen wegen meiner Abstammung gewöhnt. Von Parvatis Kommentaren ließ ich mich nie provozieren.

Ich legte ein feuchtes Tuch über die Hennapaste und gab etwas Nelkenöl aus einer Flasche auf meine Handfläche. Dann rieb ich meine Handflächen aneinander, um das Öl zu erwärmen, und griff nach ihren Händen, um die inzwischen getrocknete Hennapaste abzurubbeln. »Vielleicht wurde ja eine meiner Vorfahrinnen von Marco Polo verführt, Ji. Oder von Alexander dem Großen.« Während ich ihre Finger massierte, flockte trockene Hennapaste auf das Handtuch darunter. Allmählich wurde das Muster sichtbar, das ich auf ihre Hände gemalt hatte. »Möglicherweise fließt auch durch meine Adern Kriegerblut, so wie durch Ihre.«

»Oh, Lakshmi, mal im Ernst!« Ihre birnenförmigen Ohrringe aus Gold und Perlen tanzten fröhlich, während sie wieder lachte. Parvati und ich gehörten den zwei höchsten Hindukasten an, sie eine Kshatriya und ich eine Brahmanin. Aber sie konnte sich nie dazu überwinden, mich als ebenbürtig zu sehen, weil ich die Füße von Damen berührte, während ich sie mit Henna bemalte. Füße wurden als unrein betrachtet und sollten nur von der niedrigen Shudra-Kaste behandelt werden. Deshalb war ich in den Augen der Elite von Jaipur jetzt eine gefallene Brahmanin, auch wenn ihre Kaste jahrhundertelang für die Erziehung ihrer Kinder und die Durchführung spiritueller Riten auf meine Kaste gesetzt hatte.

Aber Frauen wie Parvati bezahlten gut. Ich beachtete ihre Sticheleien nicht, während ich den letzten Rest der Paste von ihren Händen entfernte. Im Laufe der Zeit hatte ich eine Menge Geld gespart und war so nah dran, mir meinen Wunsch zu erfüllen – ein eigenes Haus. Es würde Marmorböden haben, die meine Füße kühlen würden, nachdem ich einen Tag lang kreuz und quer durch die Stadt gelaufen war. So viel fließendes Wasser, wie ich wollte, statt meine Vermieterin darum anzubetteln, dass sie mir meinen Mutki füllte. Eine Vordertür, zu der nur ich den Schlüssel hatte. Ein Haus, aus dem mich niemand verjagen konnte. Mit fünfzehn hatte ich mein Dorf verlassen müssen, um zu heiraten, als meine Eltern mich nicht länger ernähren konnten. Jetzt konnte ich sie ernähren, mich um sie kümmern. Sie hatten kein einziges Mal auf die Briefe oder das Geld reagiert, die ich ihnen im Laufe der Jahre geschickt hatte, aber sie würden doch sicherlich ihre Meinung ändern und nach Jaipur kommen, wenn ich ihnen jetzt ein Bett in meinem eigenen Haus anbot? Meine Eltern würden endlich erkennen, dass alles gut ausgegangen war. Bis wir wieder vereint waren, würde ich meinen Stolz im Zaum halten. Hatte Gandhi-ji nicht gesagt: Auge um Auge macht die ganze Welt blind?

Das Geräusch von zerberstendem Glas erschreckte uns. Ich sah zu, wie ein Cricketball über den Teppich rollte und vor dem Diwan zum Stillstand kam. Einen Moment später kam Ravi, Parvatis älterer Sohn, durch die Verandatür und brachte die Novemberkälte mit sich.

»Bheta! Schließ sofort die Tür!«

Ravi grinste. »Das war ein richtiger Hammerschlag von mir, und Govind war nicht darauf vorbereitet.« Er erblickte den Ball neben dem Diwan und hob ihn auf.

»Er ist so viel jünger als du, Ravi.« Parvati war nachsichtig mit ihren Söhnen, besonders mit dem jüngeren, Govind, der ihrer Ansicht nach das Produkt meiner Hennaanwendungen sein musste. (Ich hatte es vermieden, diesen Eindruck zu entkräften.)

Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war Ravi größer und breiter in den Schultern geworden. Über seine kantigen Kiefer, die so sehr an seinen Vater erinnerten, zog sich jetzt ein Schatten. Offenbar musste er sich inzwischen rasieren. Mit dem rosigen Teint und den langen Wimpern, die er von seiner Mutter geerbt hatte, musste man ihn fast schon als schön bezeichnen.

Er warf den Ball in die Luft und fing ihn mit einer Hand hinter dem Rücken wieder auf. »Gibt es Tee?« Die Worte hätten genauso gut auch von seinem Vater kommen können, so ähnlich war sich das Internatsenglisch der beiden.

Parvati läutete mit der silbernen Glocke, die sie neben dem Diwan bereithielt. »Du und Govind nehmt euren Tee draußen auf dem Rasen ein. Und sag dem Chowkidar, dass wir einen Glas-Walla brauchen, um die Fensterscheibe zu ersetzen.«

Ravi grinste und winkte mir auf dem Weg nach draußen zu. Er schloss die Tür so nachlässig, dass eine weitere Glasscherbe hinunterfiel. Ich sah zu, wie er anmutig über den Rasen joggte. Drei Gärtner, die ihre Köpfe in dicke Schals gewickelt hatten, jäteten Unkraut und bewässerten und beschnitten Hibiskusbüsche und Heckenkirschenranken im hinteren Garten.

Ravis Auftritt war die perfekte Überleitung zu dem, was ich heute erreichen wollte. Trotzdem musste ich immer noch vorsichtig vorgehen. »Ist er wieder heim aus dem Internat?«

»Hahn. Ich wollte, dass Ravi mir bei der Einweihung des neuen Gymkhanas hilft. Du kennst Nehru-ji ja – wie er Indien modernisieren will.« Sie seufzte und lehnte den Kopf gegen das Kissen, als würde sie von täglichen Anrufen des Premierministers überwältigt. Soweit ich wusste, wurde sie das auch.

Lala betrat den Raum mit einem silbernen Teetablett. Während ich aus einem Tiffin die Häppchen herausholte, die ich extra für Parvati zubereitet hatte, hörte ich, wie sie mit der älteren Frau sprach: »Hatte ich dir nicht gesagt, dass du sie wegschicken sollst?« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.

Die Dienerin legte ihre Hände wie zum Gebet zusammen und berührte ihre Lippen damit. »Meine Nichte kann sonst nirgendwohin gehen. Ich bin jetzt ihre einzige Verwandtschaft. Bitte, Ji. Wir sind jetzt Ihrer Gnade ausgeliefert. Würden Sie es sich bitte noch einmal überlegen?«

So verzweifelt hatte ich Lala noch nie gesehen. Ich wandte mich ab und fürchtete, dass sie gleich auf die Knie fallen würde. Auf einem kleinen Tisch neben dem Bett mit den vier Bettpfosten befand sich ein Schrein für Ganesha. Eine Girlande aus Gardenien und eine weitere aus Tulsi-Blättern waren um die Statue herumdrapiert, vor der ein Diya brannte. So modern sie sich selbst auch gerne gab, verbrachte Parvati doch jeden Morgen im Gebet an die Götter. Ich hatte immer zu meiner Namensschwester Lakshmi gebetet, der Göttin der Schönheit und des Wohlstands. Maa zitierte liebend gerne die Geschichte des Brahmanenbauern, welcher der Göttin seine Sense anbot, seinen einzigen Besitz. Aus Dankbarkeit gab sie dem Bauern einen Zauberkorb, der immer, wenn er es wünschte, Essen produzierte. Aber das war nur eine Geschichte, die genauso viel Wahrheit enthielt wie alle anderen, die Maa mir erzählt hatte, und mit siebzehn hatte ich mich von den Göttern abgewendet, genauso wie ich mich jetzt von Ganeshas Schrein abwandte.

Parvati sprach immer noch mit Lala. »Ich würde dich nur ungern ebenfalls verlieren, Lala. Sieh zu, dass das Mädchen heute verschwindet.« Sie starrte Lala an, bis die Dienerin mit hängenden Schultern den Blick senkte.

Ich sah zu, wie Lala den Raum verließ. Sie sah nicht auf. Was mochte Lalas Nichte getan haben, um ihre Herrin so zu erzürnen?

Parvati griff nach ihrer Tasse und Untertasse, das Zeichen für mich, es ihr nachzutun. Das Teeservice war von der Art, wie die Engländer es liebten, mit Bildern von Frauen in Abendkleidern, Männern in Pantalons, kraushaarigen Mädchen in Gehröcken. Vor der Unabhängigkeit hatten diese Objekte die Bewunderung meiner Damen für die Briten ausgedrückt. Jetzt drückten sie ihre Verachtung aus. Meine Damen hatten außer dem Vorwand nichts geändert. Wenn ich etwas von ihnen gelernt hatte, dann war es das: Nur ein Narr lebt im Wasser und bleibt ein Feind der Krokodile.

Ich nahm einen Schluck Tee und zog die Augenbrauen hoch. »Ihr Sohn ist zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen.«

»Im Gegensatz zu dem Rao-Jungen, der sich für den Devdas Rajasthans hält.«

So wie meine anderen Damen sagte Parvati auch Sachen zu mir, die sie nie zu einer ihr gleichgestellten Frau sagen würde. Ich war kinderlos und dadurch bemitleidenswert, jemand, dem sich meine Damen gegenüber überlegen fühlen konnten. Mit dreißig Jahren war ich weder ein dummes Mädchen noch eine geschwätzige Matrone. Meine Damen vermuteten schon seit Langem, dass mein Ehemann mich verlassen hatte – und ich hatte dieser Annahme nicht widersprochen. Immer noch trug ich das zinnoberrote Bindi auf der Stirn, das der Welt verkündete, dass ich verheiratet war. Es war die Voraussetzung dafür, dass sie mich ins Vertrauen zogen und in Schlafzimmer wie dieses hineinließen, wo meine Füße auf rosa Salumbar-Marmor ruhten und meine Herrin neben mir auf einem Diwan aus Rosenholz saß.

Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Chai. »Die perfekte Ehefrau für so einen perfekten Sohn zu finden! Ich beneide Sie wirklich nicht.«

»Er ist erst siebzehn. Als er zwölf Jahre alt war, habe ich ihn an die Mayo School verloren. Und in einem Jahr werde ich ihn wieder verlieren, diesmal an Oxford. Ihn an eine Ehefrau zu verlieren? Ich kann es gar nicht ertragen, jetzt darüber nachzudenken.«

Ich zog meinen Sari zurecht. »Das ist clever von Ihnen. Die Dutts, fürchte ich, sind da vielleicht etwas zu übereilt gewesen.«

Ich bemerkte das Funkeln in ihren Augen.

»Soll heißen?«

»Nun«, fuhr ich fort. »Sie haben für ihren Sohn gerade die Ehe mit dem Kumar-Mädchen arrangiert. Sie kennen sie doch – mit dem Schönheitsfleck auf der Wange? Natürlich wird die Eheschließung aufgeschoben, bis er seinen Abschluss gemacht hat.« Ich sah zum Fenster hinaus zu ihren Söhnen in ihren weißen Cricketsachen. »Die Guten gehen weg wie heiße Jalebis. Wenn ein Sohn einmal in Großbritannien oder Amerika ist, sorgen sich die Eltern, dass er mit einer Ehefrau zurückkehrt, die nicht ein Wort Hindi spricht.«

»Genau. Die glücklichsten Ehen sind die, bei denen die Eltern das Mädchen aussuchen. Sieh dir nur Samir und mich an.«

Ich hätte etwas sagen können, tat es aber nicht. Stattdessen pustete ich demonstrativ in meinen Tee. »Ich habe auch gehört, dass das Akbar-Mädchen Muhammad Ismails Sohn versprochen wurde. Das ist doch einer von Ravis Klassenkameraden, nicht wahr?«

Ich nahm einen weiteren Schluck und hielt dabei Parvatis Blick fest.

Sie setzte sich etwas gerader hin und sah zum Fenster hinaus. Auf dem Rasen servierte Lalas Nichte den Jungen ihren Tee. Ravi sprach mit dem Mädchen und berührte einmal spielerisch ihre Nase, was sie zum Kichern brachte.

Parvati runzelte die Stirn. Ohne den Blick von der Szene draußen abzuwenden, beugte sie sich näher zu mir, langsam, wie ein Vogelküken, das Zeichen für mich, dass ich sie füttern sollte. Ich steckte ihr einen Namkeen in den Mund, den ich heute Morgen zubereitet und mit Petersilie gewürzt hatte. So wie alle meine Damen war sie nie auf die Idee gekommen, dass die Zutaten in meinen Leckereien in Kombination mit dem, was ich auf ihre Hände und Füße malte, ihr Verlangen und die Lust ihres Ehemannes anheizten.

Nach einem Augenblick wandte sie sich vom Fenster ab und stellte ihre Teetasse grazil auf dem Tisch ab.

»Wenn ich nach einer passenden Ehefrau suchen würde – und ich sage nicht, dass ich das tue …« Sie tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Hättest du da jemanden im Auge?«

»Es gibt viele Mädchen in Jaipur, die dafür infrage kämen, wie Sie wissen.« Ich lächelte sie über den Rand meiner Tasse an. »Aber Ravi ist nicht irgendein Junge.«

Als sie sich wieder zu ihren Söhnen umdrehte, war Lalas Nichte gegangen. Parvatis Gesicht entspannte sich. »Wenn ich ihn darum bitte, kommt Ravi immer von der Schule hierher. Was für einen Sinn hat es dann überhaupt, ihn dorthin zu schicken, sagt Samir.« Sie lachte leise. »Aber ich vermisse ihn. Govind vermisst ihn ebenfalls. Er war erst drei Jahre alt, als Ravi ins Internat kam.«

Sie hob die Teekanne an und schenkte sich eine weitere Tasse Chai ein. »Hast du irgendetwas von Rai Singhs Tochter gehört? Es heißt, sie sei ziemlich bemerkenswert.«

»Leider. Sie haben sie sich erst gestern für den Sohn von Mrs. Rathore geschnappt.« Ich seufzte. Unsere Unterhaltung war heikel, und weder Parvati noch ich durften dabei unsere Karten offen legen.

Sie musterte mein Gesicht mit verengten Augen. »Irgendetwas sagt mir, dass du an ein bestimmtes Mädchen denkst.«

»Oh, ich fürchte, Sie werden meine Wahl für unpassend halten.«

»Wie das?«

»Nun … vielleicht unkonventionell.«

»Unkonventionell? Du kennst mich besser als das, Lakshmi. Ich bin letztes Jahr nicht nur einmal, sondern sogar zweimal in die Sowjetunion gereist. Nehru-ji hat darauf bestanden, dass ich mit der indo-sowjetischen Liga mitfahre. Komm schon, lass hören.«

»Nun …« Ich tat so, als würde ich eine Haarsträhne in meinen Knoten zurückstecken. »Das Mädchen ist keine Rajputin.«

Sie zog eine gezupfte Augenbraue hoch. Ich hielt ihrem Blick stand. »Sie ist eine Brahmanin.«

Parvati blinzelte. Sie mochte sich zwar selbst als moderne Frau betrachten, aber die Möglichkeit, dass Ravi außerhalb seiner Kaste heiratete, hatte sie nicht in Erwägung gezogen. Schon seit Jahrhunderten heirateten die vier Hindukasten – selbst die Kasten der Händler und Arbeiter – größtenteils innerhalb ihrer eigenen Gruppe.

Ich fütterte Parvati mit einem weiteren Namkeen.

»Ich kann mir kein Mädchen vorstellen, das besser zur Singh-Familie passt«, fuhr ich fort. »Das Mädchen ist schön. Anständig. Gebildet. Temperamentvoll. Die Art, die Ravi zu schätzen wüsste. Und ihre Familie hat gute Verbindungen. Oh, ist Ihr Tee kalt geworden? Ich fürchte, meiner ist es.«

»Kennen wir das Mädchen?«

»Tatsächlich schon seit sie ein Kind war. Soll ich nach mehr Tee rufen?« Ich stellte meine Tasse ab und griff nach der silbernen Glocke, aber Parvati fasste mich am Unterarm und hielt mich davon ab.

»Vergiss den Tee, Lakshmi! Erzähl mir von dem Mädchen, oder ich werde meine Füße an diesem Handtuch abreiben und die Arbeit der letzten Stunde ruinieren.«

Statt ihr in die Augen zu sehen, klopfte ich auf das Henna an ihren Füßen, um zu prüfen, wie trocken es war. »Der Name des Mädchens ist Sheela Sharma, die Tochter von Mr. V.M. Sharma.«

Parvati kannte die Sharmas natürlich. Die beiden Familien bewegten sich oft in denselben Geschäftskreisen. Mr. Sharmas Baufirma, die größte in Rajasthan, hatte gerade den Vertrag für die Umgestaltung des Rambagh-Palastes gewonnen, der dem Maharadscha gehörte. Parvatis Mann besaß eine Architekturfirma, die viele der Wohn- und Geschäftsgebäude in der Stadt gestaltete. Es wäre eine unerwartete Vereinigung von zwei prominenten Familien. Wenn mir das gelang, würde Jaipurs Elite nach meinen Diensten als Heiratsvermittlerin rufen, eine weit lukrativere Tätigkeit, als eine Hennakünstlerin zu sein.

Sie neigte den Kopf. »Aber … Sheela ist noch ein Kind.«

Im Laufe des vergangenen Jahres hatten Reispuddings und Extraportionen von Chapatti mit Ghee Sheelas Körper mit einer zusätzlichen Schicht weichen Fleisches umhüllt. Jetzt sah sie weniger wie ein Mädchen aus und mehr wie eine junge Frau.

»Sheela ist fünfzehn«, erwiderte ich. »Und ziemlich reizend. Sie geht zur Maharani-Mädchenschule. Gerade erst letzte Woche hat ihr Musiklehrer mir erzählt, dass ihr Gesang ihn an Lata Mangeshkar erinnert.«

Ich nahm meine Teetasse. Ich konnte mir die Liste vorstellen, die Parvati in ihrem Kopf erstellte, vermutlich die gleiche, die ich vergangene Woche selbst erstellt hatte. Auf der Plusseite: Einmal vereint würden die beiden Geschäfte – Sharma Construction und Singh Architects – profitabler sein als jedes für sich allein, und Parvati hätte eine englischsprechende Schwiegertochter, die Politiker und Nawabs unterhalten könnte. Das einzige Minus: Sheela gehörte zwar einer hohen Kaste an – nur eben der falschen. Es gab noch mehr, was ich nicht verraten würde: wie hässlich sich Sheelas Mund verzog, bevor sie an den Zöpfen ihrer Cousine zog, wie sie ihr Kindermädchen herumkommandierte und wie ihre Faulheit ihren Musiklehrer zur Verzweiflung trieb. Ich hatte Jahre in den Häusern meiner Damen verbracht und ihren Nachwuchs heranwachsen sehen. Ich kannte die Persönlichkeiten ihrer Kinder, die Spleens, die selbst einem professionellen Heiratsvermittler entgehen würden. Aber das waren Fehler, die nicht von mir enthüllt, sondern vom Ehemann entdeckt werden sollten.

Parvati schwieg. Sie spielte mit dem Saum eines der kleinen Polsterkissen herum.

»Erinnerst du dich an die Hochzeit der Guptas?«

Ich lächelte bestätigend.

»In dem Moment, wo ich dein Jungfer-im-Garten-Design gesehen habe, mit dem du die Braut geschmückt hast, wusste ich, dass sie noch vor Ende des Jahres einen Jungen bekommen würde. Und das hat sie auch.«

Die Heirat des Gupta-Mädchens war eine Liebesheirat gewesen, aber das sagte ich Parvati nicht.

»Deine Arbeit wirkt wirklich Wunder.« Ihr Lächeln war zurückhaltend. »Ich glaube, du könntest jemandem helfen, an dem uns sehr viel liegt.«

Ich neigte höflich den Kopf, unsicher, worauf sie hinauswollte.

»Gestern Abend sind Samir und ich im Rambagh-Palast gewesen. Eine Benefizveranstaltung für den letzten Teil des Gymkhanas«, sagte sie spitz. Sie wollte mir zeigen, dass sie schließlich doch progressiv war. »Der Maharadscha hat uns erzählt, dass er seinen Palast in ein Hotel verwandeln würde. Kannst du dir das vorstellen? Wir haben für die Unabhängigkeit gekämpft und die Engländer rausgeworfen, nur damit sie jetzt wieder in unsere Paläste zurückkehren?« Sie schüttelte verärgert den Kopf.

Ich verstand: Nur reiche Europäer, die meisten davon Briten, würden sich die Preise leisten können.

»Die Maharani war gestern Abend nicht auf der Veranstaltung, was sehr ungewöhnlich war. Latika liebt Partys.« Parvati senkte die Stimme. »Ich habe gehört, dass sie … nicht ganz auf der Höhe ist.«

Ich wartete.

Sie rieb die Handflächen aneinander und inhalierte den Duft des Hennas. »Vielleicht könnten deine Talente Abhilfe schaffen?«

Ich hatte so lange darauf gewartet, dass Parvati mich in den Palast einführte! Beim Gedanken daran stellte ich meine Tasse ab, weil ich befürchtete, dass meine Hand zittern könnte. Ein Auftrag von der Maharani würde unweigerlich zu weiteren führen. Ich hätte mein Haus im Handumdrehen abbezahlt! Schon jetzt fing ich im Kopf an zu rechnen und hörte kaum zu, was Parvati sagte.

Sie beugte sich für eine weitere Leckerei vor, und ich legte ihr eine auf die Zunge, wobei ich sorgfältig darauf achtete, ihr nicht in die Augen zu sehen. Ich fürchtete, sie könnte die Begierde in meinen sehen. Möglicherweise hatte sie bereits bemerkt, wie meine Finger zitterten.

»Ich habe Ihrer Hoheit erzählt, wie dein Henna mir dabei geholfen hat, meinen Govind zu empfangen. Diskret natürlich. Wenn ich dich an den Palast weiterempfehlen würde …«

Ich verstand jetzt, worauf sie hinauswollte. Parvati wollte, dass ich die Ehe für Ravi vermittelte, wollte aber nicht dafür bezahlen. Was für eine Frechheit! Für ein Heiratsarrangement waren sowohl Geschick als auch Mühe erforderlich. Einem Mann aus einer hohen Kaste und mit einem Titel hätte sie ohne Weiteres zwei- oder dreimal so viel bezahlt, wie sie mir vielleicht zahlen würde. Selbst wenn ich mich mit mageren zehntausend Rupien einverstanden erklärt hätte, wären meine Dienste immer noch ein gutes Geschäft. Ich musste damit rechnen, dass ich Wochen, sogar Monate damit beschäftigt sein würde, bis alle Parteien zufriedengestellt wären. Und es war durchaus schon passiert, dass ein Ehepartner doch noch zurückgewiesen wurde, sodass all die Arbeit vergebens gewesen war.

Und hier saß Parvati jetzt und hoffte, dass ich die Ehe im Austausch für eine Einführung in den Palast arrangieren würde. Ich musste nachdenken, bevor ich ihr antwortete. Ihre Blutsverwandtschaft zur königlichen Familie (eine der Maharanis war die Cousine ihres Vaters) würde mir zumindest einen Termin mit dem Palast garantieren. Aber welche indische Frau, egal, wie wohlhabend sie auch war, würde nicht zu handeln versuchen? Wenn sie das nicht tat, stand sie als Närrin da, als leichte Beute. Wenn ich also direkt akzeptierte, was Parvati mir anbot, würde ich meinen Ruf als Frau besiegeln, die sich leicht austricksen ließ. Das Risiko war für mich, dass ich vielleicht – oder vielleicht auch nicht – letztendlich für den Palast arbeiten würde. Ein Termin garantierte mir rein gar nichts.

Parvati, die mein Zögern spürte, beugte sich vor und sah mich an, bis ich dazu gezwungen war, ihr in die Augen zu schauen. »Wenn ich dein Zeichentalent hätte, Lakshmi, hätte ich vielleicht auch deinen Beruf ergriffen.« Für meine Damen war das Wort Beruf eine Beschimpfung und kein Kompliment.

Ich schluckte. »Oh, Ji, Ihr Leben war für Größeres vorgesehen. Wer sonst könnte solche verschwenderischen Partys für Politiker veranstalten? Irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass sie sich willkommen fühlen.«

Sie gluckste anerkennend. Und jetzt kehrten wir zur bequemen Ausgangslage zurück: ich, die Untergebene; sie, die Memsahib.

Aber ich wollte noch meine letzte Karte ausspielen. »Ihr Vertrauen ehrt mich, aber ich muss Sie warnen: Ihre Hoheit würde vermutlich die allerbesten Produkte erwarten.«

Parvati kräuselte die Lippen. Sie blickte nachdenklich. »Würden sechstausend Rupien dafür reichen?«

Ich zog das Samttuch unter Parvatis Füßen glatt, prüfte die Paste und griff dann nach dem Nelkenöl, um das trockene Henna zu entfernen. »Einige der Produkte müssen vielleicht von weit her kommen. Die Kaffernlimettenblätter zum Beispiel. Die wirkungsvollsten kommen aus Thailand.«

Sie schwieg. Hatte ich mein Blatt überreizt? Ich konnte meinen Pulsschlag an den Schläfen spüren, während ich ihr die Füße massierte.

Sie blinzelte zum PanAm-Kalender hinten an der Wand. »Unsere Weihnachtsparty steht an«, sagte sie schließlich. »Am zwanzigsten Dezember. Am selben Nachmittag könnte ich eine besondere Hennaparty für die Mädchen aus Ravis Umfeld veranstalten.« Parvati berührte ihre rosige Wange. »Ich denke, ich könnte diese Shakespeare-Truppe herkommen lassen. Die Kinder sind verrückt nach ihren Darbietungen.« Das wäre die Gelegenheit für sie, die Mädchen unter die Lupe zu nehmen, die für Ravi infrage kämen. Sheela Sharma würde garantiert mit dabei sein.

Sie streckte die Füße aus und drehte sie erst in die eine und dann in die andere Richtung, während sie meine Arbeit musterte. »Aber vielleicht ist dein Kalender bereits voll? Könntest du bitte nachsehen?«

Eine Hennaparty bedeutete eine Menge Arbeit, aber das Versprechen einer Einführung in den Palast war es wert.

Ich lächelte sie so graziös an, wie ich konnte. »Für Sie, Memsahib, ist in meinem Kalender immer noch etwas frei.«

Sie grinste, wobei sie ihre kleinen, ebenmäßigen Zähne zeigte. Ihre Augen leuchteten. »Dann ist das abgemacht. Neuntausend für die Produkte für Maharani Latika?«

Ich stieß den Atem aus, den ich unwillkürlich angehalten hatte. Ich hatte meine erste Heiratsvermittlung erreicht, und auch wenn sie nicht so lukrativ war, wie ich gehofft hatte, würde sie mir ein ganzes Stück weiterhelfen, mein Haus fertigzustellen und zu bezahlen. Das Haus, das ich mir mit meinen Eltern teilen würde – meine Entschuldigung für all das, was sie meinetwegen durchgemacht hatten. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass die Ehe tatsächlich zustande kam.

Während ich ihr ihre schweren goldenen Fußkettchen wieder anlegte, sagte ich: »Und Sie müssen die Hennaparty als mein Geschenk annehmen.«

Auf der Veranda der Singhs schlüpfte ich in meine Sandalen. Malik stand beim Chefgärtner auf dem vorderen Rasen unter dem riesigen Apfelbaum, dessen nackte Äste sich stachelig vom wolkenlosen Himmel abhoben. Sie lachten miteinander.

Ich rief nach ihm.

Er lief auf seinen dünnen Beinen zu mir. Er hätte sechs Jahre alt sein können oder auch zehn. Wie viele Mahlzeiten hatte er wohl verpasst, bevor ich ihn endlich wahrgenommen hatte, diesen halb nackten Gassenjungen in dreckigen Shorts, der mir durch die Stadt folgte? Ich hatte ihm ein paar Tiffins zum Tragen gegeben, und er hatte gelächelt, mit einer Lücke, wo seine beiden Schneidezähne hätten sein sollen. Seit diesem Tag vor drei Jahren arbeiteten wir zusammen, die meiste Zeit schweigend. Ich hatte ihn nie gefragt, wo er wohnte oder ob er auf dem harten Fußboden schlief.

»Irgendwelche Neuigkeiten?«, erkundigte ich mich. Während ich mich um meine Damen kümmerte, erledigte Malik häufig Besorgungen. In den vergangenen paar Monaten hatte er jeden Tag am Bahnhof nachgefragt, ob meine Eltern angekommen waren. Inzwischen mussten sie das Geld für die Zugfahrkarten bekommen haben, das ich ihnen in meinem letzten Brief geschickt hatte. Aber bislang gab es keine Nachricht von ihnen.

Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn; er enttäuschte mich nur ungern.

Ich seufzte. »Bitte hol uns die Tonga

Er rannte auf das vordere Tor zu. Heute trug er das gelbe Baumwollhemd, das ich ihm als Ersatz für das Bush-Shirt gegeben hatte, das er üblicherweise trug. Seine marineblauen Knickerbocker waren ebenfalls neu. Er weigerte sich allerdings, Schuhe zu tragen, und bevorzugte billige Gummisandalen, die oft von den anderen Kindern in seiner Nachbarschaft gestohlen wurden. Die Sandalen ließen sich leichter ersetzen; er konnte immer welche von jemand anderem klauen. Sein heutiges Paar war eine Nummer zu groß für ihn.

Malik musste zu einer belebten Straße laufen, um eine Rikscha herbeizurufen, also setzte ich mich auf die Verandamauer und wartete. Der Duft der Frangipani besänftigte mich. Ich pflückte mir zwei Blüten von der Ranke ab und steckte sie mir hinters Ohr. Heute Abend würde ich sie in eine Schale Wasser legen und morgen früh meine Bluse mit dem parfümierten Wasser waschen. Ich zog ein winziges Notizbuch aus einer Tasche, die ich in meinen Unterrock eingenäht hatte. Mein Vater, der Dorflehrer, hatte seinen Schülern mit einem Lineal auf die Knöchel geschlagen, wenn sie keine korrekten Antworten gegeben hatten. Um einer solchen Bestrafung zu entgehen, hatte ich mir Notizbücher zugelegt, in denen ich fleißig Multiplikationstabellen, die Namen von britischen Vizekönigen und Hindi-Verben festgehalten (und mir gemerkt) hatte. Es wurde zu einer Gewohnheit, und später verwendete ich Notizbücher für Termine, Zusammenfassungen von Unterhaltungen sowie Listen von Materialien, die ich einkaufen musste.

Auf der Seite mit der Überschrift Parvati Singh schrieb ich: 15. November: 40 Rupien für Hände/Füße. Als Nächstes schrieb ich das Datum für die Hennaparty in Parvatis Haus auf und notierte die neuntausend Rupien, die ich für die Heiratsvermittlung bekommen würde. Ich wusste, dass Mrs. Sharma, eine weitere Kundin von mir, clever genug sein würde, die Vorteile einer Singh-Sharma-Verbindung zu erkennen. Was das launische Wesen ihrer Tochter anging, war sie blind, aber zweifellos würde Ravi Singhs Charme damit zurechtkommen.

Ich schlug eine leere Seite auf. Mit zitternder Hand schrieb ich: Maharadscha Sawai Mohinder Singh und Maharani Latika – Vermittlung an den Palast? In meinem Kopf schwirrten die Möglichkeiten. Solch eine Verlobung würde dazu führen, dass jede Frau in Jaipur meine Dienste anforderte. Vielleicht konnte ich das Hennaschilfrohr schneller beiseitelegen, als ich geplant hatte. In dem Moment hallten die Worte meiner Mutter in meinem Kopf wider: Streck deine Beine nicht weiter aus, als dein Bett reicht. Ich war viel zu vorschnell.

Ich klappte das Notizbuch zu und schloss die Augen. Vor dreizehn Jahren war es mein einziger Wunsch gewesen, so schnell und so weit wie möglich von dem Ehemann wegzukommen, an den meine Eltern mich abgetreten hatten. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich eines Tages die Freiheit haben würde, zu kommen und zu gehen, wie ich wollte, und die Bedingungen meines Lebens selbst auszuhandeln. Wie würden meine Eltern reagieren, wenn sie all das sahen, was ich erreicht hatte? Wie oft hatte ich an den Tag gedacht, an dem ich sie zu meinem Haus mitnehmen und ihnen den wunderschönen Terrazzofußboden zeigen würde, den ich selbst entworfen hatte, den elektrischen Ventilator an der Decke, den Hof, in dem ich meine Kräuter anbauen wollte, die westliche Toilette, die sich niemand aus ihrem Dorf leisten könnte. Ich hatte gehofft, dass der Bauunternehmer bis zu ihrer Ankunft mit allem fertig sein würde, aber ich hatte immer noch mehr luxuriöse Kleinigkeiten hinzugefügt. Und wenn meine Eltern einmal sahen, was ich entworfen hatte, würden sie doch sicher nichts dagegen haben, in meinem gemieteten Zimmer zu schlafen, bis das Haus fertig war, oder?

Ich stellte mir die erstaunten Gesichter meiner Eltern vor, während sie alles in sich aufnahmen. Ich konnte meinen Vater sagen hören, Bheti, gehört das alles dir? Wie stolz würden sie auf das Leben sein, das ich mir selbst aufgebaut hatte. Ich würde ihnen üppige Kheers und Subji und Tandoori-Rotis zu essen geben, bis ihre Mägen fast platzten. Ich würde ihnen Liegen kaufen, so neu, dass die Juteschnüre unter ihrem Gewicht quietschten. Ich würde eine Malish engagieren, um Pitajis müde Füße zu massieren. Ich konnte Maa jetzt vor mir sehen, wie sie sich auf einem Rosenholzkanapee wie dem von Parvati ausruhte! Und – warum nicht? – seidene Kissen! Mit Federn gefüllt! Ich ließ mich so sehr davon mitreißen – natürlich konnte ich mir all das jetzt noch nicht ganz leisten –, dass ich einfach über mich selbst lachen musste.

»Sehe ich so lustig aus, Lakshmi?«

Als ich die Augen öffnete, sah ich Samir Singh die Stufen hochsteigen, und meine Welt fühlte sich auf einmal leichter an. Wo Parvati rund war, war ihr Ehemann kantig: scharfe Nase, knochiges Kinn, hervorstehende Wangenknochen. Am attraktivsten fand ich seine Augen: ein intensives Braun mit den Streifen einer Glasmurmel, lebendig, voller Neugier, amüsierwillig. Selbst wenn sein Gesicht unbewegt war, konnten seine Augen flirten, überreden, necken. In den zehn Jahren, die ich ihn schon kannte, waren die Furchen unter seinen Augenlidern tiefer geworden, und sein Haaransatz hatte sich zurückgezogen, aber er war immer noch voll ruheloser Energie.

»Der Einäugige ist unter den Blinden König«, erwiderte ich lächelnd.

Er lachte, während er sich die Schuhe auszog. Samir war diese eigenartige Mischung aus dem neuen und dem alten Indien; er trug maßgeschneiderte englische Anzüge, befolgte aber die indischen Sitten. »Arré! Was weiß ein dummer Affe schon über den Geschmack von Ingwer?«

»Wer nicht tanzen kann, gibt dem Fußboden dafür die Schuld.«

Dies war ein Spiel, das wir oft spielten: Wir tauschten Sprichwörter aus. Meine hatte ich von meiner umsichtigen Mutter gelernt; seine stammten aus den Jahren im Internat und in Oxford.

Ich stand auf, steckte den Stift in meinen Dutt und verstaute das Notizbuch in der Tasche meines Unterrocks.

Er zog eine Augenbraue hoch, während er auf mich zukam. »Versteckst du das Familiensilber der Singhs darin?«

Ich lächelte neckisch. »Unter anderem.«

»Ich sehe, dass du dich schon an meiner Flora bedient hast.« Sein Blick ruhte auf den Frangipaniblüten hinter meinem Ohr. Er beugte sich zu mir, ganz nah, und inhalierte. »Bilkul berauschend«, flüsterte er; sein warmer Atem an meinem Ohrläppchen rüttelte etwas in mir just unterhalb meines Bauchs wach.

Dreizehn Jahre war es jetzt her, dass ich zum letzten Mal die Hitze eines Mannes auf meiner Haut gespürt hatte, das Gewicht auf meinen Brüsten. Wenn ich meinen Kopf ganz leicht drehte, hätten meine Lippen vielleicht Samirs Lippen gestreift, hätte mein Atem den Hohlraum zwischen seinem Hals und seinem Kragen erwärmen können. Aber flirten lag in Samirs Natur. Und ich war immer noch eine verheiratete Frau. Eine falsche Bewegung und ich konnte meinen Lebensunterhalt, meine Unabhängigkeit und meine Zukunftspläne verlieren. Ich achtete auf Geräusche, die mir verrieten, ob Diener kamen – das Rascheln eines Besens, das Klatschen von nackten Füßen auf dem Stein. Zögernd trat ich einen Schritt zurück.

»Du hast eine mitreißende Frau, wie du bald selbst bemerken wirst.«

Samir grinste. »An den Tagen, an den Lakshmi Shastri sich um sie gekümmert hat, fühlt Mrs. Singh sich immer sehr … sinnlich. Wo wir gerade davon reden …« Er streckte die Hand aus.

»Ah.« Ich zog drei Musselinbeutel aus den Falten meines Saris und legte sie auf seine Handfläche. »Du bist ein Glückspilz, Sahib. Eine Frau, die im Schlafzimmer auf dich wartet, und außerhalb davon Freiheit.«

Er wog die Beutel in seiner Hand, als würde er Rubine abwiegen.

»Freiheit ist relativ, Lakshmi.« Mit einer flinken Bewegung drückte er mir mehrere Hundertrupienscheine und ein Stück Papier in die Hand. »Einst befanden sich die Briten über uns. Jetzt befinden sie sich gerade mal unter unseren Füßen.«

Ich entfaltete das Papier und las die Notiz darauf. »Eine Angrezi-Frau?«

»Selbst die Engländer benötigen deine Dienste. Sie erwartet dich morgen. Sie wird zu Hause sein.« Er steckte die Beutel in die Tasche und fragte: »Wie geht es mit dem Haus voran?«

Jetzt hätte ich ihm erzählen können, wie der Bauunternehmer mir rüde nahegelegt hatte, meine Schulden zu begleichen. Ich schuldete ihm immer noch viertausend Rupien. Aber diese Ausschweifungen waren einzig und allein meine Schuld. Ich gierte nach der Art von Dingen, wie sie meine Damen hatten: ein steinerner Intarsienfußboden, eine westliche Toilette, doppelt so dicke Wände, um die Mittagshitze abzuhalten. Das Problem hatte ich selbst verursacht, und ich allein würde es lösen. Eine erfolgreiche Heiratsvermittlung würde mir einen guten Ruf verschaffen. Ich erwiderte: »Morgen wird der Terrazzoboden mit Ziegenmilch versiegelt. Du solltest ihn sehen.«

Sein Blick wanderte hinunter zu meinen Lippen. »Bietest du mir eine private Führung an?«

Ich lachte. »Du hast bereits meinen Terminkalender durcheinandergebracht und glaubst jetzt, dass ich dich dafür belohnen sollte?«

Hinter mir ertönte eine weitere Stimme. »Der verdient das Paradies, der seine Begleiter zum Lachen bringt!«

Samir und ich drehten uns beide um, um festzustellen, wer gerade gesprochen hatte. Ein hochgewachsener Mann in einem ordentlichen grauen Wollanzug mit roter Krawatte sprang die Stufen der Veranda hoch. Nur seine dunklen Locken waren unordentlich.

Samir trat zur Seite, um den Neuankömmling zu umarmen. »Kumar!«, sagte er. »Ich freue mich, dich zu sehen, alter Kumpel! Du hast es also nach Jaipur geschafft. Endlich!«

»Ich habe mich nicht darauf verlassen, dass die Shimla-Eisenbahn mich rechtzeitig zum Mittagessen hierherbringt – oder selbst zum Abendessen«, erwiderte Kumar und warf mir ein schüchternes Lächeln zu, welches zwei übereinandergeschobene Schneidezähne enthüllte. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Singh.«

Hatten Samir und ich wirklich so nah nebeneinandergestanden?

Samir klopfte herzlich auf Kumars Rücken. »Nahee-nahee. Gestattest du, dass ich dir Mrs. Lakshmi Shastri vorstelle, die allen in Jaipur die Schönheit bringt?«

»Ich sehe, dass sie noch nicht mit dir angefangen hat, Sammy.«

Samir gluckste. Kumar sah mich an, dann Samir, die Veranda, seine Schuhe und dann wieder mich. Augen wie diese gehörten den Vorsichtigen.

»Lakshmi, darf ich dir einen alten Freund aus Oxford vorstellen? Jay Kumar. Dr. Kumar.«

Ich legte die Hände zu einem Namaste zusammen, während der Arzt gleichzeitig seine Hand ausstreckte, um meine zu schütteln, und dabei gegen mein Handgelenk stieß.

Samir lachte. »Vergib ihm, Lakshmi. Er hat zu viel Zeit im Ausland verbracht. Und keine Frau, die ihm die indischen Sitten beibringt.«

Dr. Kumar errötete, sein Blick sprang hastig von Samir zu mir. »Ich entschuldige mich, Mrs. Shastri.«

»Keine Ursache, Doktor.« Über seine Schulter konnte ich sehen, wie Malik uns von den Verandastufen aus beobachtete. »Tonga?«, fragte ich ihn.

Malik nickte. Ein paar Blöcke vom Haus der Singhs entfernt würden wir aus der Pferdekutsche aussteigen und unseren Weg zu unserem nächsten Hennatermin in einer billigeren Rikscha fortsetzen.

»Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Dr. Kumar. Bis zum nächsten Mal, Sammy.« Aus meinem Mund musste der alte Spitzname in ihren Ohren genauso lächerlich geklungen haben wie in meinen. Sie lachten beide.

Ich nahm die Tiffins und meine Vinyltasche und wies Malik an, die anderen beiden großen Taschen zu holen, die unter dem Apfelbaum lagen. Während ich den beiden Männern zum Abschied zunickte, erinnerte ich mich daran, dass ich Samirs Zahlung für die Beutel noch in meinem Notizbuch festhalten musste.

Ich stieg die Stufen hinunter und hörte Samir sagen: »Lass uns hineingehen. Parvati freut sich sehr darauf, dich kennenzulernen!« Auf der letzten Stufe blieb ich mit meiner Sandale hängen, und ich drehte mich um, um sie mir wieder überzustreifen. Gerade als ich aufblickte, bemerkte ich, dass mich der Arzt durch die sich schließende Vordertür betrachtete.

In der Ecke der Veranda stand Lala und biss sich auf die Lippe, ihre Hände zerknüllten nervös die Säume ihres Pallus. Ich glaubte, ein Flehen in ihren Augen zu sehen, und wäre fast die Stufen wieder hochgestiegen, um zu ihr zu gehen, aber sie drehte sich schnell um und war verschwunden.

Ein hektischer Tag voller Hennatermine hatte sich wieder einmal bis zum Abend hingezogen, und Malik und ich waren beide erschöpft. Wir hielten just außerhalb des Pink City Basars, der zu dieser späten Stunde zum Leben erwachte – Frauen in gemusterten Saris, die sich Haarnadeln aussuchten, Männer in Khurtas, die würziges Chaat kauten, alte Männer, die sich die Zeit vertrieben und mit ihren glühenden Beedis orange Bögen in die dunkle Nacht zeichneten. Ich beneidete sie um ihre unbeschwerte Kameradschaft, die Freiheit, mit der sich die Arbeiter- und Händlerkasten durch die Nacht bewegten.

Die Teilung hatte die Bürgersteige in der rosa Altstadt enger werden lassen, so überfüllt waren sie auf beiden Seiten mit winzigen, behelfsmäßigen Läden, die manchmal nicht mehr als einen alten Sari oder eine Plane als Dach besaßen. Die alten Basarverkäufer hatten Platz für die Punjabis und Sindhis gemacht, die aus Westpakistan geflüchtet waren, damit sie Buden errichten konnten, von denen aus sie alles Mögliche von Gewürzen bis hin zu Armreifen verkauften. Schließlich war die Pink City nicht ohne Grund in der Farbe der Gastfreundschaft gestrichen worden, wie die Händler Jaipurs witzelten.

Malik lebte irgendwo in einem der vielen Gebäude, aus denen die rosa Altstadt bestand. Ich hatte ihn nie gefragt, ob er einen Bruder oder eine Schwester, eine Mutter oder einen Vater hatte. Es reichte, dass wir zehn Stunden am Tag zusammen waren und er meine Tiffins schleppte, Rikschas und Tongas anhielt und mit Lieferanten verhandelte. Natürlich tauschten wir Vertraulichkeiten miteinander aus, etwa der ungeduldige Blick, den er mir heute zugeworfen hatte, als uns unsere letzte Kundin eine Stunde hatte warten lassen. Ich drückte ihm drei Rupienmünzen in die Hand, nachdem ich ihm das Versprechen abgenommen hatte, dass er sich zum Abendessen etwas Richtiges kaufen würde statt fettiger Snacks. »Du bist noch im Wachstum«, erinnerte ich ihn, als wäre er sich dessen selbst nicht bewusst.

Er grinste und flitzte davon, um sich durch die Menschenmenge hindurchzuschlängeln, auf die hellen Lichter zu.

Ich rief ihm nach: »Chapatti und Subji, abgemacht?«

Er drehte sich um und winkte mit seiner freien Hand. »Und Chaat. Du kannst doch nicht erwarten, dass ein heranwachsender Junge hungert«, erwiderte er schnell und verschwand in der dichten Menge.

Während ich in eine wartende Rikscha kletterte, überlegte ich mir, ob ich nicht nach meinem Haus sehen sollte, das so kurz vor der Vollendung stand, um zu prüfen, welche Fortschritte der Bau machte. Wenn ich nicht jeden zweiten Tag vorbeischaute, würde Naraya, der Bauunternehmer, schnell zu schlampen anfangen, was bedeutete, dass ich dann mit ihm streiten und darauf bestehen musste, dass er etwas niederriss und noch mal von vorne begann (das war schon mehr als einmal der Fall gewesen). Aber es war spät, und ich war zu müde zum Streiten. Ich wies den Rikscha-Walla an, mich zu meiner Unterkunft zu bringen.

Bis ich das Tor hinter mir schloss und über Mrs. Iyengars Innenhof eilte, war es acht Uhr. Mein Magen knurrte. Meine leeren Tiffins stellte ich neben dem Wasserspeier ab. Ich würde sie heute Abend schrubben, sobald die Dienerin von Mrs. Iyengar mit dem Spülen ihres Geschirrs fertig war. Gerade wollte ich die Stufen zu meinem gemieteten Zimmer hinaufgehen, da rief meine Vermieterin aus einer offenen Tür nach mir.

»Guten Abend, Ji.« Ich legte meine Hände zu einem Namaste zusammen.

»Guten Abend, Mrs. Shastri.«

Mrs. Iyengar wischte sich die Hände an einem kleinen Handtuch ab. Heißer Mirch drohte, mich zum Niesen zu bringen. Die Iyengars stammten aus dem Süden, und sie liebten ihr Essen so scharf, dass mir schon bei dem Geruch die Kehle brannte.

Die kurze, quadratische Mrs. Iyengar sah zu mir hoch. Ihr Blick war streng. »Sie hatten heute einen Besucher.«

Niemand besuchte mich hier außer Malik, den Mrs. Iyengar als »diesen Lümmel« bezeichnete.

Ihre goldenen Armreife klimperten, während sie getrockneten Atta von ihren Fingern rieb. »Er bat darum, in Ihrem Zimmer auf Sie warten zu dürfen. Aber Sie wissen, dass ich solche Sachen hier nicht gestatte.« Sie warf mir einen warnenden Blick zu.

Mit besänftigender Stimme versicherte ich ihr: »Sie haben genau das Richtige getan, Mrs. Iyengar. Hat er gesagt, was er wollte?«

»Er hat gefragt, ob Sie die Dame aus dem Dorf Ajar wären. Ich sagte ihm, dass ich das nicht wüsste.« Sie suchte in meinem Gesicht, ob ich vielleicht zu den spärlichen Details meiner Vergangenheit etwas hinzufügen würde. »Er hatte eine riesengroße Narbe.« Sie fuhr mit einem Finger von ihrem Mundwinkel bis zu ihrem Kinn hinunter. »Von hier bis hier.« Sie runzelte die Stirn, während sie denselben Finger auf mich richtete und damit wackelte. »Kein Zeichen eines guten Charakters, meiner Ansicht nach.«

Mein Herz schlug mir gegen die Rippen, während ich nach ihrer Hand griff – genauso sehr, um mich selbst zu beruhigen, wie um sie zu beschwichtigen. »Vom Kochen werden die Hände oft sehr trocken, meinen Sie nicht auch? Wenn Sie möchten, kann ich Ihre Hände morgen mit etwas Geranienöl einreiben.«

Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine Falte, und sie sah auf ihre Hände hinunter, als hätte sie sie noch nie zuvor gesehen. »Ich möchte Ihnen keine Umstände machen.«

»Das sind doch keine Umstände. Und das nächste Mal, wenn Ihr Ehemann die Hand nach Ihnen ausstreckt, wird er an Sie als seine junge Braut denken.« Ich lachte unbekümmert und wandte mich zum Gehen. Mit weiterhin sorgloser Stimme bemerkte ich: »Ich nehme nicht an, dass dieser Besucher gesagt hat, wann er wiederkommen würde?«

Mrs. Iyengar pulte klebrigen Teig von ihren Fingernägeln. »Nein, das hat er nicht gesagt«, erwiderte sie.

Ihre Dienerin, die damit angefangen hatte, auf dem Hof Töpfe zu spülen, sagte: »Ich habe ihn gerade auf der anderen Straßenseite gesehen, als ich den Kühen die Gemüseabfälle hingeworfen habe.«

Während Mrs. Iyengar mit ihrer Dienerin schimpfte, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, floh ich auf den Treppenabsatz im zweiten Stock und in mein Zimmer und verriegelte die Tür hinter mir. Mein Herz raste, und ich versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Hatte ich nicht damit gerechnet, dass Hari eines Tages hier auftauchen würde? Ich hatte immer nach den dichten Augenbrauen und dieser schrecklichen Narbe Ausschau gehalten. Und als die Jahre dann ohne Vorfall verstrichen waren, hatte ich mir selbst vorgemacht, dass mein Ehemann mich niemals finden würde.

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