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Die kleine Chocolaterie am Meer

Als Buch hier erhältlich:

Was wäre Weihnachten ohne die Magie der Schokolade?

Vor den Fenstern fällt Schnee, auf dem Herd dampft heiße Schokolade mit Zimt, und Rentierlollis zieren die Schaufenster. Die gemütliche Chocolaterie in dem kleinen Ort an der Küste Northumberlands ist Emmas ganzer Stolz. Jetzt, da Weihnachten vor der Tür steht, haben sie und ihre Assistentin Holly alle Hände voll zu tun, die Leckereien für das Fest vorzubereiten. Doch dann kündigt ihr Vermieter eine Mieterhöhung an. Muss Emma die Chocolaterie aufgeben? Zum Glück hat sie ihren treuen Cockerspaniel Alfie und die besten Freunde, die man sich wünschen kann. Sie geben ihr die Kraft, für ihr Glück zu kämpfen.

»Eine entzückende, lebensbejahende Geschichte. Schon nach dem ersten Kapitel hätte ich mich am liebsten in ein gemütliches Cottage am Meer zurückgezogen!«
Ali McNamara


  • Erscheinungstag: 16.09.2019
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745750409
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Die kleine Chocolaterie am Meer

Caroline Roberts lebt in der wundervollen Landschaft Northumberlands zusammen mit ihrem Ehemann. Sie lässt sich von den Sandstränden, Schlössern und Hügeln um sie herum zum Schreiben inspirieren. Sie schreibt gern über Beziehungen, kreiert Geschichten, die von der Liebe, Verlusten und der Familie handeln und deren Mittelpunkt es ist, wie wundervoll und manchmal kompliziert die Liebe sein kann. Ein Stück Kuchen, ein Glas Champagner und eine Tasse Tee machen sie glücklich – am liebsten natürlich zusammen mit Freunden genossen! Sie ist fest davon überzeugt, dass man nicht aufhören soll, an die Verwirklichung seiner Träume zu glauben. Dieser feste Glaube brachte ihr nach vielen Jahren des Schreibens einen Vertrag mit einem Verlag ein. Die kleine Chocolaterie am Meer ist ihr fünfter Roman.

Wenn ihr wollt, erfahrt mehr über Caroline und folgt ihr bei Twitter, Facebook sowie auf ihrem Blog – sie würde sich freuen, von euch zu hören!

Twitter: @_caroroberts

facebook/CarolineRobertsAuthor

carolinerobertswriter. blogspot. co. uk

Für Richard

All you need is love.

Aber ein bisschen Schokolade dann und wann schadet auch nicht.

Charles M. Schulz

1. Kapitel

Silberfarbene Christbaumkugeln, von der Decke baumelnde Sterne, Lichterketten und Schokolade, ein ganzes Meer aus Schokolade, füllten das Geschäft.

»Hi, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich wurde mit der Aufgabe betraut, mich um die Süßigkeiten für die Weihnachtssocken der Kinder zu kümmern – irgendwelche Vorschläge?« Der Mann lächelte hoffnungsvoll. Er musste so um die dreißig sein.

»Selbstverständlich. Wir haben Schokoladenlollis in Form von Rentieren, Wichteln und Engeln – die eignen sich hervorragend für den Weihnachtsstrumpf. Darüber hinaus gibt es natürlich Weihnachtsmannfiguren, außerdem Schneekristalle in einer hübschen Tüte – kleine Mädchen lieben die, meine Nichten jedenfalls. Und dann hätten wir auch noch mit Schokolade umhülltes Karamell.«

»Na ja, es sind drei Kinder, die beschenkt werden müssen, zwei Jungen und ein Mädchen. Könnte ich dann am besten eine Auswahl bekommen? Oh, und ich sollte wohl auch eine schöne Packung Pralinen für meine Ehefrau mitnehmen.«

Emma zeigte auf drei verschiedene Größen goldfarbener Schachteln, die oben auf der Kühlvitrine mit den Trüffeln und der Ganache standen. »Groß, mittel oder klein?«

Die immer länger werdende Schlange hinter ihm und sein Kopf voller Gedanken an Weihnachtswünsche ließen ihn sich für die große Schachtel entscheiden.

»Bevorzugt Ihre Frau eine bestimmte Sorte?«

»Hm, sie mag Champagnertrüffel und Karamell, glaube ich, aber eine gemischte Schachtel wäre gut.«

»Ausgezeichnet. Ich werde ein paar Champagnertrüffel hineingeben und Karamell, dazu eine bunte Mischung. Geben Sie mir einen Moment Zeit, dann mache ich alles für Sie fertig.« Mittels Schachteln, Schleifen sowie Silber- und Goldbändern verwandelte Emma jedes Geschenk in ein Kunstwerk.

»Wow, das sieht ja großartig aus. Vielen Dank. Was bin ich Ihnen schuldig?«

Emma tippte alles in die Kasse ein. »Zusammen macht das fünfzehn Pfund dreißig, bitte.« Vorsichtig legte sie ebenfalls eine ihrer Chocolaterie am Meer-Visitenkarten in die Tüte.

»Danke.«

»Gern geschehen. Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Weihnachtsfest«, sagte Emma lächelnd.

Vier Uhr nachmittags am Heiligabend, die Kasse klingelte, das Glöckchen der Ladentür bimmelte, und die Schlange der Last-minute-Einkäufer wurde länger und länger. Emma war die stolze Besitzerin des hübschen kleinen Schokoladengeschäfts in dem Hafenstädtchen Warkton-by-the-Sea, Northumberland. Ihre Assistentin Holly und sie waren geschäftig wie Weihnachtselfen. Tatsächlich sahen sie auch aus wie Elfen in ihren Festtagspullovern: Holly mit einem Plumpudding auf der Brust und Emma mit einem rotnasigen Rentier. Ihre Ohrringe in Form kleiner roter Weihnachtskugeln rundeten den Weihnachts-Look ab. Jetzt wünschte sie jedoch, sie hätte sich leichtere Sachen angezogen. Ein T-Shirt wäre gut gewesen, denn es wurde einem ziemlich warm beim Hin- und Hereilen hinter dem Tresen, auf beengtem Raum und in Winterwolle gekleidet.

Holly bediente gerade einen älteren Kunden aus dem Ort.

»Hallo Stan. Wie geht es Hilda?«, erkundigte Emma sich.

»Ganz gut, danke, Emma. Den Husten, den sie letzte Woche noch hatte, ist sie inzwischen losgeworden. Aber ich fand, sie sollte heute lieber noch zu Hause bleiben. Ich habe schnell ein paar Lebensmittel besorgt – wir hatten keine Milch und keine Teebeutel mehr –, und da dachte ich mir, es wäre doch nett, sie mit Ihren reizenden Coffee Creams aufzumuntern.«

»Klingt nach einer guten Idee. Sie wird sich bestimmt freuen.«

Holly gab ihm ein hübsch verpacktes Zellophantütchen mit seiner Schokolade darin.

»Bitte sehr, Stan. Ich habe noch eines dazugetan, als Glücksbringer.«

Emma warf ihrer Assistentin einen gespielt schockierten Blick zu, dann lächelte sie.

»Dann mal alles Gute, Mädels, und frohe Weihnachten.«

»Das wünschen wir Ihnen auch – und beste Grüße an Hilda. Frohe Weihnachten!«

Emma konnte ein wenig durchatmen, während Holly sich um den letzten wartenden Kunden kümmerte. Ihre Füße pochten, obwohl sie ihre bequemsten Turnschuhe trug, und ihre Finger taten weh vom vielen Zubinden dünner Geschenkbänder sowie dem Verpacken von Schachteln und Geschenktüten. Außerdem war sie seit sechs Uhr morgens auf, um zusätzliche Bleche an Trüffel und Schokolollis zu machen, damit sie genug für den Verkauf hatten. Sie sah aus dem mit Weihnachtskugeln und Schneeflocken dekorierten Schaufenster hinaus auf die Straße. Die Lichterketten spiegelten sich im Glas. Draußen war es bereits dunkel an diesem kurzen Dezembertag. Im Schein der Straßenlaternen konnte sie allerdings sehen, dass es noch nicht gefroren hatte. Es war noch kein glitzernder Frost auf den Gehsteigen zu erkennen. Vielleicht würde sie es noch schaffen, mit Alfie, ihrem Springer Spaniel, nach Ladenschluss einen kurzen Spaziergang zum Hafen hinunter zu machen. Er war oben den ganzen Tag eingesperrt gewesen, da hier unten so viel zu tun gewesen war.

Jemand lief am Schaufenster vorbei und kam herein, was die Türglocke erneut läuten ließ. Es war Danny, der als Barchef im Fisherman’s Arms arbeitete, dem Pub am Ende der Straße.

»Guten Tag, Ladys. Ich brauche eine Schachtel Pralinen für meine Freundin. Etwas schick Aussehendes.«

»Hi, Danny«, begrüßte Emma ihn.

»Welche meinst du denn?«, erkundigte Holly sich vorwitzig. Tatsächlich hatte er sechs Freundinnen in den vergangenen sechs Monaten gehabt.

»Die wundervolle Helen – und mal nicht so vorlaut, junge Dame«, konterte er.

»Dann eine große Schachtel, Danny? Ich werde sie für dich einpacken, ja?« Em fragte gar nicht erst, welche Sorten die Freundin wohl am liebsten mochte, weil er sie wahrscheinlich noch gar nicht gut genug kannte.

»Ausgezeichnet. Wie geht’s, wie steht’s denn so, Holly?«

»Viel zu tun, oder, Em? Jetzt ist es gerade ein bisschen ruhiger.« Kaum hatte sie das gesagt, kam eine ganze Familie herein, offenbar ein Vater mit seinen zwei Kindern, die gleich anfingen, die Regale zu durchstöbern. »Tja, und schon geht’s wieder los«, bemerkte Holly.

»Ja, ich glaube, wir werden im Fisherman’s auch ordentlich zu tun haben heute Abend. Heiligabend ist es immer brechend voll. Kommt ihr auch, Mädels?«

»Nee, ich mache mir einen ruhigen Abend«, sagte Emma. Sie konnte sich nicht vorstellen, den heutigen Abend inmitten einer lärmenden Menschenmenge zu verbringen.

»Was ist mit dir, Hols?«

»Nein, meine Mum und mein Dad wollen, dass ich heute zu Hause bin. Weil morgen doch Familientag ist und so.«

»Na ja, wir sehen uns. Vielleicht ja zu Silvester.« Er bezahlte und nahm die in feines Sternenpapier eingepackte und mit einer pinkfarbenen Schleife versehene Pralinenschachtel von Holly entgegen.

»Vielleicht«, antwortete Em bewusst vage. »Tschüs, Danny. Oh, und da ist noch ein Geschenkanhänger zum Ausfüllen an der Schachtel«, fügte sie hinzu, als er sich schon zum Gehen wandte.

»Ich werde versuchen, mich zu erinnern«, erklärte er grinsend.

»Fröhliche Weihnachten!«, riefen die beiden Frauen.

»Euch auch!«

Auch um fünf Uhr schlossen sie noch nicht wie sonst üblich den Laden, denn es kamen weiterhin Kunden, und Emma wollte sich das Geschäft nicht entgehen lassen. Sie brauchte jede Einnahme, also machte sie unaufhörlich weiter. Sie bot Holly an zu gehen, doch ihre wunderbare Mitarbeiterin wollte bleiben, bis der letzte Kunde gegangen war. Holly war fast siebzehn, eifrig, übersprudelnd und freundlich zu den Kunden. Seit sie vor einigen Wochen angefangen hatte, an den Samstagen sowie gelegentlich in den Ferien zu arbeiten – da sie noch zur Schule ging –, war das junge Mädchen ein Geschenk des Himmels gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt hatte Emma ihren Laden allein geführt, um die Kosten möglichst gering zu halten. Doch als ihre Schokolade immer beliebter wurde und der Laden immer bekannter, wurde es schwierig, die Schokoladen weiterhin selbst herzustellen und gleichzeitig hinter der Theke zu bedienen. Abgesehen davon war es schön, im Laden Gesellschaft zu haben.

Die Heiligabend-Schlange riss nicht ab. Der Andrang in letzter Minute war schon verrückt. Als würden die Feiertage einen ganzen Monat andauern, oder als könnte man danach nie wieder Schokolade kaufen. Dabei würde der Laden schon in ein paar Tagen wieder geöffnet sein! Natürlich wollte sie sich nicht beklagen. Auch wenn es ermüdend war, so viele Stunden zu arbeiten, mochte Emma den zusätzlichen Rummel rund um Weihnachten. Sie liebte es, Schokolade herzustellen und sich weihnachtliche Geschmacksrichtungen auszudenken, die sie zusammen mit den herkömmlichen beliebten Schokoladen anbot. Außerdem brauchte sie jeden Penny. Sie hatte in diesem Jahr kaum Profit gemacht, auch wenn der Laden jetzt allmählich besser lief. Ständig schienen die Kosten zu steigen, und im Januar war deprimierend wenig los. Deshalb musste sie sich mit den Einnahmen aus Dezember bis zum Valentinstag über Wasser halten.

Es war zwanzig vor sechs, als die letzte Kundin, eine Frau in den Zwanzigern, die mit Freunden hier Urlaub machte, ihre Tüte mit Festtagsschokolade nahm, sich bei Holly und Emma bedankte und ihnen einen schönen Feierabend sowie frohe Weihnachten wünschte.

»Schönen Urlaub noch und fröhliche Weihnachten!«, rief Holly.

Emma folgte der jungen Frau zur Tür, bedankte sich und steckte den Kopf nach draußen, um zu sehen, ob auch niemand mehr unterwegs zu ihnen war. Die Straße war leer, nur die Winterkälte wehte herein. Sie machte die Tür zu und drehte das kleine Schild um: »Geschlossen«. Dann lehnte sie sich zum Verschnaufen gegen die Tür.

»Gut gemacht, Hols. Das war vielleicht eine anstrengende Schicht. Ich danke dir. Ohne dich hätte ich das nie geschafft.«

Sie nahm den Lohn des Mädchens für den heutigen Tag aus der Kasse und gab ihr eine Zwanzigpfundnote extra.

»Oh, vielen Dank!« Holly umarmte ihre Chefin kurz und innig.

»Warte.« Sie lief nach hinten in die Küche, um das Weihnachtsgeschenk für ihre Assistentin zu holen, ein Schaumbad mit dazu passender Bodylotion und eine Schachtel handverlesene Pralinen, die Holly am liebsten mochte.

»Ach, Emma, danke. Ich habe gar nichts erwartet, weil ich doch auch noch nicht so lange hier arbeite. Ich fühle mich schrecklich, weil ich für dich nichts gekauft habe.«

»He, mach dir keine Gedanken. Es ist ein Dankeschön, weil du hart für mich arbeitest. Du hast dich sehr gut eingewöhnt.«

»Danke, Em, und ich bin ehrlich sooo glücklich, hier zu sein. Dass ich diesen grässlichen Imbiss in Seahouses verlassen habe, war das Beste, was ich je hätte tun können. Ich roch ständig nach Frittierfett, und meine Haare waren immer schmierig. Hier dagegen herrschen himmlische Arbeitsbedingungen. Der reinste Schokoladenhimmel. Der beste Job aller Zeiten.«

Alles war ruhig. Holly war gegangen, und Emma machte die Kasse. Sie hielt einen Moment inne, um ihren kleinen Laden in seiner ganzen funkelnden, behaglichen Weihnachtspracht zu bewundern: die zwei Erkerfenster, die zur malerischen Dorfstraße mit ihren Steinhäuschen hin lagen, die hübsch bestückten Holzregale, das beruhigende Summen des Kühltresens, die Reihen von Schokoladen, an deren Kreationen sie hart gearbeitet hatte … Wenn man sich überlegte, dass sie vor sieben Jahren noch überhaupt keine Ahnung davon gehabt hatte, wie man einen Trüffel herstellte oder Schokolade temperierte. Damals hätte sie geglaubt, dass es etwas mit Temperament zu tun hat – was in gewisser Weise auch stimmte, da ihres beim Temperieren der Schokolade gelegentlich immer noch mit ihr durchging.

Sie liebte ihr kleines Schokoladengeschäft, ihr Unternehmen, ihr Leben hier. Es hatte sie wirklich gerettet und ihrem Leben wieder einen Sinn gegeben, als sie ganz unten war.

Ja, damals. Sie schüttelte diese Gedanken ab, denn sie durfte sich ihnen nicht hingeben, da oben ein Spaniel darauf wartete, nach draußen gelassen zu werden.

Emma lehnte an der Steinmauer im Hafen und beobachtete das sich im Wasser spiegelnde Licht der Straßenlaternen, das sanfte Plätschern der Wellen gegen die vertäuten Boote. Es war nur ein kleiner Hafen, der seit Jahrhunderten zum Fischen genutzt wurde. Jetzt lagen nicht mehr so viele Boote hier wie früher, hatte man ihr erzählt, doch einige fuhren immer noch täglich hinaus, wenn das Wetter es zuließ, um ihren Fang an Heringen anschließend in der Räucherei abzuliefern. Dort wurden sie dann zu Kippers, einer lokalen Spezialität. Oder sie fingen Dorsch, vielleicht auch mal Krebse. Von Juli bis September fuhren sie raus zu den Hummerkörben, die jetzt auf dem Kai neben einem Fischerboot aufgestapelt waren, zusammen mit bunten Bojen, dicken Tampen und Netzen.

Eine kleine Gruppe von Leuten ging vorbei. Alfie schaute auf, um sie zu begrüßen, und Emma lächelte. Die Gruppe nahm den kurzen Aufgang in Richtung Pub. Kurz darauf ging die schwere Holztür auf, und Emma konnte das Stimmengewirr von drinnen hören, ebenso die Musik, während das Licht auf den Gehsteig fiel. Sie spürte den lebhaften Betrieb; die Kamine würden brennen, die Weihnachtsdekoration leuchten, und Einheimische wie auch Urlauber würden, sich laut unterhaltend, zusammensitzen. Sie liebte den Gemeinschaftssinn dieses Ortes, doch heute Abend war ihr nicht danach.

»Na komm, Alfie.« Sie gingen in die entgegengesetzte Richtung, vorbei an einer Häuserreihe und hinunter zum Strand. Es war dunkel, doch das Mondlicht genügte, um den Weg durch die Dünen zu finden, ans Wasser, wo sie dem leisen Rauschen der Brandung zuhörte. Sie fürchtete sich nicht im Dunkeln, denn sie war schon an vielen solcher Abende hier gewesen. Die Erinnerung ließ sich nicht aufhalten, aber das war in Ordnung. In gewisser Weise war sie ja genau deswegen hier. Es machte auch nichts, falls sie weinen musste oder seinen Namen in den Sand schrieb. Oder die Möwen anschrie, das Leben sei verdammt ungerecht. Alfie liebte die Freiheit am Strand, wo er wie verrückt rennen und nach Seetang schnappen konnte. Aber es war kalt. Emma sah ihren Atem dampfen und war froh über ihren dicken Wollmantel, ihre Mütze und Handschuhe. Sie würde nicht lange bleiben. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und sie war bereit für ein frühes Abendessen. Anschließend würde sie sich irgendeinen weihnachtlichen Film im Fernsehen anschauen und zeitig ins Bett gehen. Sie wollte Alfie noch fünf Minuten gönnen.

Als sie zurück Richtung Hafen gingen, kamen sie an einem Pärchen vorbei, das Arm in Arm unterwegs war und sie freundlich grüßte. Emma stieg den kleinen Hügel hinauf und erreichte kurz darauf die Schaufenster ihres Chocolate Shops. Am Ende einer Häuserreihe gelegen, befand er sich in einem sandfarbenen Steinhaus, das vor vielen Jahren zu einem Laden umgestaltet worden war. Der Laden hatte zwei Erkerfenster und dazwischen eine Holztür. Emma blieb für einen Augenblick stehen und betrachtete ihren Laden. Sie hatte die Lichterketten angelassen, und mit all den festlichen Dekorationen wirkte er im Dunkeln wie verzaubert. »Es war der Abend vor Weihnachten …« Sie dachte an die magischen Geschichten und die Aufregung zu Heiligabend in ihrer Kindheit, die ihr jetzt sehr weit in der Vergangenheit zu liegen schien.

Morgen war der erste Weihnachtstag, da würde sie zu ihrem Bruder James fahren, um Zeit mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Sie hatten sie freundlicherweise zum Weihnachtsessen eingeladen. Natürlich wird es schön zu sehen, wie ihre Nichten, die Zwillinge, ihre Geschenke auspackten. Es wird wundervoll, mit ihnen zusammen den Zauber dieses Tages zu erleben. Ihre Schwägerin Chloe bereitet einen traditionellen Truthahn zu, mit allem Drum und Dran, und Emmas Eltern werden auch kommen. Es wird schön, sie alle wiederzusehen, besonders da Emma in letzter Zeit so viel im Laden zu tun gehabt hatte.

Und doch war es nur ein weiteres Jahr, in dem jemand fehlte.

2. Kapitel

Zweiter Weihnachtsfeiertag

Emma hüllte sich noch fester in ihren Mantel und den rot karierten Schal.

Wellen brandeten weiß schäumend an den Strand, ein über Nacht noch kälter gewordener Wind hatte das Meer aufgewühlt. Hin und wieder sprühte ihr feine salzige Gischt ins Gesicht. Das war erfrischend und belebend. Sie hatte nicht besonders gut geschlafen und deshalb unbedingt nach draußen gemusst, um den Wind in ihren Haaren zu spüren. Und wieder einmal lockte der Strand.

Sie war die Einzige an diesem gesamten Strandabschnitt. Na ja, sie und Alfie, der neben ihr im Sand lief. Alle anderen lagen vermutlich noch kuschelig im Bett und verdauten ihr Weihnachtsessen und schliefen den Kater aus. Emma hob einen ledrigen Strang braunen Seetangs auf, den man mit seiner dicken Wurzel gut als Stöckchen werfen konnte. Alfie rannte begeistert los. Emma lächelte.

All dieses Was-wäre-wenn und Wenn-doch-nur ließ ihr nach wie vor keine Ruhe, ließ ihr nie Ruhe. Doch es änderte nichts. Eine ganze Zukunft, einfach weggewischt. Ihre gemeinsame Zukunft. Sieben Jahre war das her. Und sie vermisste ihn noch immer so sehr …

Ja, sie hatte ihr Leben weitergeführt, sich etwas aufgebaut. Es blieb einem ja auch nichts anderes übrig. Sie war vor sechs Jahren hierher nach Warkton-by-the-Sea gezogen und hatte ihr Schokoladengeschäft eröffnet. Das war eine große Veränderung, nachdem sie zuvor Lehrerin für Lebensmitteltechnik an einer weiterführenden Schule am Stadtrand von Durham gewesen war. Wenn große Dinge geschehen, verschiebt sich alles, und man denkt darüber nach, was man wirklich vom Leben will. Emma hatte einfach einen ihrer liebsten Urlaubsorte besucht, den ein wenig heruntergekommen aussehenden Laden mit dem Zu-vermieten-Schild davor in der kleinen Hauptstraße entdeckt und nicht mehr zurückgeschaut. Und so war »Die Chocolaterie am Meer« entstanden.

Einst war es offenbar ein Spielzeugladen gewesen, der schon seit einigen Jahren nicht mehr existierte. Etwas liebevolle Zuwendung war also vonnöten. Er war klein, auf eine altmodische Art hübsch und sehr gemütlich. Der Verkaufsbereich befand sich im ehemaligen Wohnzimmer. Ihr Dad, ein eifriger Hobbyhandwerker sowie ihr Bruder James, hatten ihr bei der Renovierung geholfen.

Oben befand sich ihr und Alfies Wohnbereich. Die Küche im unteren Bereich nutzte sie für ihre Schokoladenkreationen. Das Leben war besser geworden. Die Zeit hatte den Schmerz gelindert, wenn auch nicht geheilt. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie davon geheilt werden wollte; auf jeden Fall wollte sie nicht vergessen. Warum sollte sie jemanden vergessen wollen, der etwas so Besonderes gewesen war? Wie dem auch sei, ihr neues Leben war gut, und sie hatte sehr nette Freunde in der Gegend gefunden.

Eine Bewegung in den Dünen riss sie aus ihren Erinnerungen. Dort stand jemand in einer dunklen Jacke, ein Mann. Er schien allein zu sein. Er war früh auf den Beinen. Dann waren es jetzt eben nur sie beide an diesem Strand. Allerdings war sie ein wenig genervt, dass noch jemand da war. Na gut, es gab ungefähr eine Meile weit nur Sand hier, das musste sie einräumen, und schließlich handelte es sich um einen öffentlichen Strand.

Sie schlenderte weiter, spielte mit Alfie und warf den Seetangstock. Der Hund sah auf, wachsam, die Ohren gespitzt, als auch er den Mann bemerkte. Emma schaute kurz den Strand entlang. Verdammt, der Typ ging in ihre Richtung, in einer normalen Geschwindigkeit. Warum konnte er denn nicht in die andere Richtung gehen?

Eine Windbö kam plötzlich auf. Als Emma sich bückte, um das Stöckchen für Alfie wiederholt aufzuheben, erwischte der Wind irgendwie ihren Schal, wickelte ihn ihr vom Hals und trieb ihn über den Sand. Sie rannte hinterher und hatte ihn beinah zu fassen bekommen, als ein noch stärkerer Windstoß den Schal erneut wegwehte, außerhalb ihrer Reichweite. Er wurde in rotierenden Bewegungen über den Strand getrieben. Emma setzte ihm nach, denn sie mochte diesen Schal wirklich sehr. Er war aus feiner kuscheliger Wolle, und sie besaß ihn seit Jahren … Luke hatte ihn ihr zu ihrem ersten gemeinsamen Weihnachten geschenkt. Sobald sie sich ihm näherte, erwischte der verdammte Wind den Schal schon wieder und wehte ihn weiter.

Der Mann am Strand musste ihr Dilemma erkannt haben, denn er joggte auf das abgängige Kleidungsstück zu. Er schlug einen Haken, sprintete ein Stück und hatte den Schal kurz darauf unter seinem Stiefel zu fassen bekommen.

Er lächelte in Emmas Richtung, als er ihn aufhob und ausschüttelte. Sie blieb, wo sie war, während er auf sie zukam. Er war groß und breitschultrig unter seinem Mantel. Sein Gesicht war freundlich, er hatte dunkles Haar und ein nettes Lächeln.

»Danke.«

»Gern geschehen. Ganz schön stürmisch, was?«

»Ja, ein bisschen.« Ihr Ton war ironisch. »Sie sind aber auch früh unterwegs.«

»Ja.«

»Wir müssen verrückt sein.« Es war noch nicht mal acht Uhr und gerade erst hell geworden.

»Wahrscheinlich.« Er lächelte sanft.

Oder traurig … oder einsam, dachte Emma.

Sie gingen nebeneinander her.

Alfie drängelte sich zwischen sie, er pochte stets auf seine Aufmerksamkeit.

»Und wer ist das?« Der Mann streichelte den Kopf des Spaniels, und der Hund wedelte noch heftiger mit dem Schwanz.

»Alfie. Er ist ein guter Begleiter. Durch ihn komme ich raus und bewege mich.« Na klasse, sie hörte sich an, als führe sie eine Existenz in altjüngferlicher Abgeschiedenheit mit ihrem Hund. Tatsächlich war das von der Wahrheit gar nicht so weit entfernt. Nun, sie hätte fast geheiratet, wäre ihr das Schicksal nicht so grausam dazwischengekommen.

»Aha.«

»Kommen Sie von hier?« Sie hatte ihn noch nie gesehen. Andernfalls hätte sie sich bestimmt an ihn erinnert. Seine großen grünbraunen Augen, die auf ihr ruhten, wären nicht leicht zu vergessen. Er hatte kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar und einen Stoppelbart, was gut zu ihm passte. Gleichmäßige weiße Zähne, die hervorblitzten, wenn er sprach. »Nein, ich wohne nur für ein paar Tage in einem Ferienhaus an der Straße dort hinten.« Hübsche Augen.

»Ah, verstehe.«

»Und Sie?«

»Ich?«

»Sind Sie von hier?«

»Oh ja, ich lebe im Dorf. Seit sechs Jahren.«

»Sie Glückliche. Es ist ein wirklich schöner Ort. Bisschen rau heute, aber mir gefällt es.«

Sie versuchte, seinen Akzent einzuordnen. Eine Spur North Eastern Geordie, also aus der Gegend um Newcastle. Wusste sich jedoch auszudrücken.

»Ja, der Winter meldet sich mit aller Macht«, bestätigte sie. »Aber ich mag es auch. Wenn das Meer aufgewühlt ist, die Wolken blaugrau sind und der Sturm weht.«

Alfie rannte los, um einen Klumpen Seetang an der Flutlinie zu untersuchen. Inzwischen befanden sie sich wieder fast an den Dünen, hinter denen der Ort lag und wo Emma für gewöhnlich den Rückweg einschlug. »Ich gehe hier entlang.«

»Ich auch – ich habe meinen Wagen dort geparkt«, erklärte er.

Sie lächelten einander höflich an, und sein Lächeln erreichte seine intensiven dunklen Augen. Wenn Emma nicht alles täuschte, gab es da ein leichtes Knistern zwischen ihnen. Aber sicher war sie sich nicht. Seit Luke hatte ihr niemand mehr gefallen. War es das? Gefiel er ihr? Oh wow.

»Versuchen Sie, einen klaren Kopf zu bekommen heute Morgen?«, erkundigte sie sich.

»Ja, könnte man so sagen.« Er wirkte nachdenklich, als verberge sich noch mehr dahinter, worüber er jedoch nicht sprechen wollte.

Das piksige Dünengras begann, und Emma ging den sandigen Weg hinauf. Sie war sich der Gegenwart des Mannes dicht hinter ihr bewusst, und als der Pfad vor dem Strandparkplatz breiter wurde, schloss er zu ihr auf. Sie warf ihm verstohlen einen Blick von der Seite zu. Er sah ziemlich gut aus mit seiner athletischen hochgewachsenen Statur, soweit sie das beurteilen konnte, denn er trug eine Barbour-ähnliche Jacke und eine Jeans. Viel zu schnell erreichten sie den Parkplatz in den Dünen, und er sagte, es sei nett gewesen, sie kennenzulernen und nun müsse er los.

Eigenartigerweise wurde ihr klar, dass sie das nicht wollte, als gebe es da bereits eine Verbindung zwischen ihnen. Er stand nur da und sah sie einige bedeutungsvolle Sekunden lang an, und sie vermutete, dass er ebenso empfand wie sie.

Dann trat er auf sie zu und nahm ihre Hand in seine, die sich warm, glatt und sanft anfühlte.

»Danke«, sagte er. »Ich glaube, Sie haben mir dabei geholfen, eine Entscheidung zu treffen.«

Und dann kam er noch ein bisschen näher, sah sie mit diesen tiefen, dunkelgrünen Augen an und küsste sie sacht auf den Mund. Er duftete wundervoll, nach Cool-Citrus-Aftershave. Sein warmer Körper war ihrem sehr nah, er war stark und echt. Seit sehr langer Zeit war sie einem Mann nicht mehr so nahe gekommen. Es war so überraschend, und doch kam es ihr ganz natürlich vor. Der Kuss wurde leidenschaftlich, er hatte jetzt die Arme um sie gelegt. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken, streichelten seinen Haaransatz, während sie ihre Lippen fest auf seine presste, seinen offenen Mund fand, seine Zunge. Oh Mann.

Dann hörte er auf, trat zurück, mit einem erstaunten Lächeln auf den Lippen. »Verzeihung, ich hoffe …«

»Alles in Ordnung. Es war schön.« Plötzlich war sie befangen.

»Hören Sie, es tut mir leid, aber ich muss wirklich los.« Er wandte sich zum Gehen und steuerte seinen Wagen an, einen Jeep. Kurz bevor er einstieg, hielt er noch einmal inne. »Wie kann ich Sie finden?«

»Das Schokoladengeschäft im Ort.«

»Okay. Alles klar.« Er verarbeitete diese Information, lächelte sie an und setzte sich dann in sein Auto.

»Ihr Name … ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, rief Emma. Doch die Worte wurden fortgeweht vom Wind, denn der Mann hatte bereits die Wagentür geschlossen.

Sie schaute ihm perplex hinterher, während er ihr noch einmal zuwinkte und davonfuhr.

3. Kapitel

Und was tut man, nachdem ein ziemlich attraktiver Mann einen aus heiterem Himmel auf einem Parkplatz in den Dünen geküsst hat? Nun, man geht einfach nach Hause. Zugegeben, ein wenig benommen fragt man sich währenddessen, ob das a) gerade wirklich passiert war und b) er vielleicht ein Verrückter war, möglicherweise auf Drogen oder ein Irrer mit einer Axt im Kofferraum. Man geht jedenfalls erst mal nach Hause und kreiert ein paar Schokoriegel.

Na ja, das tat man, wenn man ein Schokoladengeschäft führt. Emma ging die Wynding entlang, einen schmalen Weg, der vom Strand durch den kleinen Hafen führte. Dort lagen die Fischerboote vertäut am Ufer. Sie passierte die Steinhäuschen in der Main Street und kehrte zurück zur Chocolaterie am Meer.

Sie hielt vor dem ersten Fenster, das sie vor einigen Wochen schon liebevoll weihnachtlich dekoriert hatte. Es gab einen kleinen echten Weihnachtsbaum mit Kugeln in Rot und Gold, dazu gleichfarbiges Lametta und funkelnde Miniaturlichter. Ein Flechtkorb mit ihren besten Schokoladengeschenken nahm den Ehrenplatz ein. Dort drin zu finden waren Schokoladenschnee- und – weihnachtsmänner, alle handgefertigt, außerdem mit Alkohol gefüllte Trüffel, kandierte und mit dunkler Schokolade überzogene Orangenstücke und noch so einiges mehr. Schon bald würde sie das Schaufenster räumen und sich für Januar etwas Neues einfallen lassen müssen. Wieso machte dieser Gedanke sie missmutig?

Emma ging an der Vorderseite ihres Ladens vorbei und bog in den schmalen Durchgang direkt daneben ein. Dieser führte zur Rückseite der Häuserreihe. Immer wenn Alfie besonders nass und sandig war, benutzte sie diesen Weg, um nicht durch den Laden zu müssen. Sie schloss die Tür auf, ging hinein und auf direktem Weg die Treppe hinauf, da die untere Küche ausschließlich der Schokoladenherstellung vorbehalten und aus hygienischen Gründen haustierfreie Zone war. Sie rieb Alfie oben mit seinem alten Handtuch ab und brachte ihn zu seinem Korb in der kleinen Küche im oberen Stockwerk. Anschließend wusch Emma sich gründlich die Hände, band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und lief hinunter in die Küche des Ladens, um einen Schwung dunkle Chili- und Limonenschokoriegel herzustellen. Sie wollte außerdem Schokoriegel der jüngsten Geschmacksrichtung machen, die sie kurz vor Weihnachten kreiert hatte: Ingwer und Zimt, perfekt für einen kalten Wintertag.

Weihnachten war die geschäftigste Zeit des Jahres für das Schokoladengeschäft, weshalb die Vorräte langsam zur Neige gingen. Naturgemäß würde die Zeit nach Neujahr ruhiger werden. Es würden die paar Wochen lauen Umsatzes folgen, in denen Schokolade zum Feind erklärt wurde und alle ins Fitnessstudio rannten. Emma würde wieder mehr Jogger am Strand treffen – bis zu dem Zeitpunkt, an dem diese Leute erkannten, dass sie an einem kalten grauen Januartag lieber gemütlich auf dem Sofa sitzen wollten, vor dem Kamin, mit einem Stück Schokolade und einem guten Buch.

Sie hatte sich für Weihnachten ein paar Tage freigenommen, den Laden geschlossen und auch Holly eine Woche Urlaub gegeben. Das junge Mädchen wollte ihre freie Zeit mit Freunden verbringen und zweifellos ihr neues iPhone vorführen, das sie sooo sehr hoffte, von ihren Eltern zu Weihnachten geschenkt zu bekommen. Außerdem wollte sie von ihrem Samstagsjobgeld neue Outfits und Schuhe kaufen. Der Ausflug mit ihren Freundinnen zum Schlussverkauf ins Metro Centre stand für heute auf dem Programm.

Der Tag verging rasch und ruhig für Emma. Sie lauschte dem Radio, während sie ihre Schokoladen herstellte. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu der merkwürdigen Begegnung am Strand ab, während sie Trüffelfüllungen zwischen den Handflächen rollte. Sie fragte sich, ob der Mann in ihrem Laden auftauchen würde … blieb er vielleicht sogar im Ort? Und was war das für eine Entscheidung, die zu treffen sie ihm geholfen hatte? Ständig lauschte sie auf ein Klopfen an der Tür, jedes Geräusch blieb jedoch eine Einbildung ihrer Fantasie. Sie beschloss, es als Erfahrung abzuhaken und sich wieder auf die Arbeit dieses Tages zu konzentrieren. Es galt, Trüffel herzustellen, zu verpacken, die Auslage zu dekorieren und eine Liste der Zutaten zu erstellen, die nachgekauft werden mussten. Es gab immer etwas zu tun, etwas, um das sie sich gerade kümmern musste. Ihr kleines Schokoladengeschäft und Alfie füllten ihr Leben schon genug aus.

Mal abgesehen davon, dass dieser Typ sonst wer sein könnte. Wer küsste denn eine vollkommen fremde Person auf einem Parkplatz?

4. Kapitel

Silvester nahte schnellen Schrittes – nicht gerade Emmas Lieblingsabend. Sie fühlte sich genötigt, sich zu amüsieren und »Spaß« haben zu müssen, wo sie doch am liebsten daheim bleiben würde. Einen heißen Kakao mit einem Schuss Baileys in der Hand, in Pyjama und Hausschuhe gekleidet, würde sie mit Alfie gemütlich aufs Sofa gekuschelt einen Film anschauen. Dann könnte sie früh zu Bett gehen, Mitternacht verpassen und müsste nicht darüber nachdenken, dass ihr ein weiteres Jahr allein bevorstand.

Stattdessen hatte sie sich von ihren besten Freundinnen Bev und Joanne, beide aus dem Dorf, zum Ausgehen überreden lassen. Und so war sie jetzt im Fisherman’s Arms gelandet. Bier schwappte ihr gegen den Rücken und mit Konfetti in der Hand wartete sie darauf, von irgendeinem fremden Kerl geküsst zu werden, der ihr damit ein frohes neues Jahr wünschen wollte. Erneut musste sie an den Mann am Strand denken – immer wieder tauchte er uneingeladen in ihrem Kopf auf. Sie fragte sich, was er wohl an Silvester machte. Lieber hätte sie jetzt Mr. Kiss, wie sie ihn bei sich nannte, an ihrer Seite gehabt. Das wäre doch gar nicht schlecht. Besser jedenfalls als der stämmige Fischer mittleren Alters, der nach Bier und altem Hering stank und ihr absichtlich zu nahe zu kommen schien. Rasch kippte sie einen großen Schluck Weißwein hinunter, als Big Ben im Fernsehen auf voller Lautstärke zu läuten begann. Es gelang ihr, geschickt nur die Wange hinzuhalten, als sich der Fischer für den unvermeidlichen Kuss näherte.

»Frohes neues Jahr, Süße!«, lallte er.

»Frohes neues Jahr«, erwiderte sie mit einem aufgesetzten Lächeln.

Dann fanden Bev und ihr Mann sie, die ihr mit Umarmungen und Küsschen alles Gute wünschten.

»Hab ein gutes neues Jahr, Em.« Bev legte den Arm um sie.

»Das hoffe ich. Du auch, meine wunderbare Freundin.«

Obwohl Bev fast zehn Jahre älter war, war der Altersunterschied nicht zu erkennen. Die beiden hatten sich bei einem Sommerfest unten im Hafen kennengelernt, kurz nachdem Emma nach Warkton gezogen war. Bev hatte hallo gesagt und ihr einige Leute aus dem Dorf vorgestellt. Später hatten sie angeregt miteinander geplaudert. Bev war fasziniert gewesen von der Eröffnung eines Schokoladengeschäfts im Ort. Sie scherzten immer darüber, dass nur das Gerede über Schokolade sie auf Emma aufmerksam gemacht und ihre Freundschaft besiegelt habe, nicht Emma selbst.

Joanne und weitere Bekannte aus dem Ort bahnten sich ihren Weg jetzt durch das dichte Gedränge auf sie zu. »Hey! Glückliches neues Jahr!«, riefen sie, während Emmas Sektglas aufgefüllt wurde. Danny kam hinter dem Tresen hervor, um die Chance zu nutzen, gleich eine ganze Menge Damen zu küssen. Er gab Emma einen liebevollen Kuss auf die Wange, bevor er mit den anderen weitermachte. »Frohes neues Jahr, ihr wundervollen Ladys!«

»Hey, Em, du tolle Chefin. Frohes neues Jah-har!«

Da war Holly, in einem leuchtend roten Kleid und offener, nun brauner Mähne, die ihr bis auf die Schultern fiel. Sie lallte schon und schwankte ein wenig in ihren High Heels. »Neue Schuhe – sind die nicht schick?« Sie hob ein Bein und zeigte dabei zu viel Schenkel, was Danny jedoch, seinem Grinsen nach zu urteilen, nicht zu stören schien. An den Füßen trug sie ihre neuen schwarzen Killer-Stilettos.

»Erstaunlich – ich glaube, ich könnte in den Dingern nicht mal laufen«, kommentierte Emma lächelnd. »Dir übrigens auch ein glückliches neues Jahr, Hols.«

»Ja, hoffen wir das für uns. Was das neue Jahr wohl bringen wird? Ich halte Ausschau nach dem Mann meiner Träume … na ja, Tom geht auch.« Sie kicherte, voller Hoffnung und Erwartungen, genau wie es mit sechzehndreiviertel sein sollte.

»Ich hoffe, es wird ein besonderes Jahr für dich, Holly.«

Es folgten weitere Umarmungen und Begrüßungen aus Hollys Gruppe junger lebhafter Freunde.

Neujahr: ein neues Kapitel, eine Zeit für Hoffnungen und Träume, Wünsche und Entschlüsse. Emma konnte nur daran denken, diesen Abend irgendwie zu überstehen. Schon der morgige Tag war zu viel, ganz zu schweigen von einem neuen Jahr. Sie fühlte sich immer noch aufgeschmissen. Sicher würde es auch glückliche Momente geben. Sie hatte großartige Freunde, eine wundervolle Familie und außerdem ihr eigenes, ganz besonderes Schokoladengeschäft. Für das alles war sie auch sehr dankbar, und doch blieb diese Traurigkeit stets in ihrem Herzen haften.

Lächeln, plaudern, noch eine Runde Drinks, ein weiteres Glas Sekt, und endlich, kurz nach eins, bekam Emma die Chance, in ihr kleines Häuschen zurückzukehren und ins Bett zu gehen.

Am nächsten Abend war alles ruhig in Emmas kleinem Wohnzimmer. Silvester war überstanden, und ein weiterer Neujahrstag vergangen – na ja, fast. Puh, sie hatte die Feiertage mal wieder hinter sich gebracht und konnte es in den nächsten Wochen entspannter angehen lassen im Laden. Doch das hielt nie lange an. Wer wollte denn auch in einer Welt ohne Schokolade leben?

Em kuschelte sich auf ihr Sofa, zusammen mit Alfie, der zufrieden neben ihr lag.

Für eine Sekunde kehrten ihre Gedanken zurück zu dem Mann am Strand, den sie am zweiten Weihnachtstag dort getroffen hatte. Würde er zurückkommen? Würde er sie hier in ihrem kleinen Schokoladengeschäft aufsuchen? Eine Woche war inzwischen vergangen seit ihrer Begegnung, und nach wie vor kam es ihr alles ein bisschen zu bizarr vor. Wie würde sie sich überhaupt fühlen, wenn er wirklich auftauchte? Hätte das nicht etwas von Stalking? Möglicherweise lag hinten in seinem Jeep eine Axt. Vielleicht hatte Emma sich aber auch bloß eingebildet, er sei attraktiv, und nun käme er mit schiefer Nase, zusammengekniffenen Augen und gelben Zähnen bei ihr an. Nein, das Bild in ihrem Kopf war sehr weit davon entfernt. Trotzdem, Fremde küssten einen nicht einfach so auf einem Parkplatz. Ganz sicher nicht so. Und schon verlor sie sich wieder in ihren lebhaften Erinnerungen. Wow, es kribbelte bis hinunter in die Zehen.

Sie lächelte und dachte an ein Sprichwort ihrer Großtante Emily, das Emma als Teenager oft zu hören bekommen hatte: »Nur weil seinetwegen deine Zehen kribbeln, bedeutet das noch lange nicht, dass er der Richtige für dich ist.«

Luke hatte ihre Zehen kribbeln lassen. Viele Male.

Seufzend streichelte sie Alfies weichen Kopf. Obwohl er schlief, klopfte er daraufhin mit dem Schwanz glücklich auf das Sofapolster.

»Wir kommen klar, was, Alfie?«

Es sollte eine Feststellung sein, doch es klang tatsächlich eher wie eine Frage.

5. Kapitel

Obwohl der Laden noch einen weiteren Tag in diesen Weihnachtsferien geschlossen blieb, war Emma früh in der Küche und bereitete eine Charge Whiskytrüffel vor. Sie arbeitete gern und wollte die freie Zeit zur Vorbereitung auf die nächsten Wochen nutzen. Wärmende Whiskytrüffel verkauften sich in den Wintermonaten immer gut.

Sie schmolz die dunkle Schokolade und erwärmte dann den Whisky bis zu dem Punkt, an dem er ganz leicht zu dampfen begann. Als Nächstes vermischte sie beides. Der Duft war herrlich, selbst am frühen Morgen. Sie freute sich schon darauf, einen davon später bei einem Becher Kaffee zu probieren. Der Ganache-Mix, so nannte man die Schokoladen-Whisky-Mischung, musste mindestens vier Stunden lang abkühlen, bevor sie kleine Füllungen daraus rollen konnte. Anschließend würde sie diese Miniaturkugeln dann in geschmolzene dunkle Schokolade tauchen. Himmlisch.

Es klopfte an der Tür, dann waren Schritte zu hören und ein Kopf lugte hervor, voller dunkelbrauner Locken und einem fröhlichen Grinsen.

»Oh, hi, Holly. Schön dich zu sehen.«

»Hey, Em. Frohes neues Jahr! Ich war gerade im Dorf, Milch holen und die Zeitung für Mum. Dachte, ich schau mal rein und sag hallo.«

»Dir auch ein frohes neues Jahr. Aber wir haben uns doch Silvester gesehen.«

»Ach ja, stimmt, jetzt fällt’s mir wieder ein. Ich war ein bisschen beschwipst zu dem Zeitpunkt. Sorry. Na, jedenfalls wollte ich hören, wann du mich wieder brauchst.«

»Hm, in den nächsten Wochen wird es ein wenig ruhiger werden …« Emma bemerkte Hollys Enttäuschung. Zweifellos hatte sie ihren letzten Lohn für ihr Silvester-Outfit ausgegeben. »Aber du könntest jeden Samstagnachmittag für ein paar Stunden aushelfen. Dann bereite ich in der Zeit Schokolade zu. Tut mir echt leid, Holly. Ich wünschte, ich könnte dir mehr Stunden geben, aber der Januar ist keine gute Zeit.« Sie musste selbst sehr auf ihr Geld achten. »Im Februar wird wegen des Valentinstags wieder mehr zu tun sein. Da werde ich dich viel häufiger brauchen, und natürlich vor Ostern.«

»Okay, gut.« Das junge Mädchen lächelte, obwohl sie immer noch ein bisschen enttäuscht wirkte.

Emma fühlte sich schrecklich, denn sie hätte ihr wirklich gern mehr zu tun gegeben. Holly war eine großartige Hilfe und reizend zu den Kunden, plauderte gern und war freundlich hinter dem Tresen. Emma empfand sie auch als nette Gesellschaft. Nur warf das Geschäft nicht genug ab, um Holly zusätzliche Stunden zu bezahlen. Wahrscheinlich könnte sie den ganzen Januar ohne das Mädchen auskommen. Schokolade konnte sie auch abends machen, da sie genug Zeit hatte. Jedoch wollte sie Holly gern helfen, und Emma würde sie auch für die Zeiten im Frühling brauchen, in denen das Geschäft wieder anzog. Vielleicht schnappte irgendein anderes Unternehmen ihr Holly sonst weg, und das wäre schade, sowohl für Emma als auch für den Laden.

»Wie ich sehe, machst du schon Nachschub.«

»Ja, Whiskytrüffel aus dunkler Schokolade.«

»Mmh, die liebe ich.«

»Ich brauche nur noch zwei Minuten für diesen Mix. Möchtest du noch auf einen Kaffee bleiben?« Em hatte Lust auf Gesellschaft, denn gestern hatte sie überhaupt niemanden gesehen.

Kurz darauf saßen sie auf Hockern in Emmas Küche, jede von ihnen einen dampfenden Kaffeebecher vor sich. Die Whiskytrüffel waren noch nicht fertig, aber es waren noch Orangenschokoladentrüffel übrig, die Emma kurz vor Silvester gemacht hatte.

»Ah, danke. Em, das ist so nett. Ich bin schon immer gern hergekommen, auch bevor ich den Job hatte. Es ist ein magischer kleiner Laden. Ich stand vor den Regalen, schaute mir alles an und wählte meine Lieblingsschokoladen aus. Oder ich probierte etwas Neues, weil du so fantastische Geschmacksrichtungen hast. Und dann dieser Duft …« Holly lächelte. »Diese vielen leckeren Kakaosachen, einfach toll.«

Eines Tages hatte Holly das Schild im Schaufenster entdeckt, auf dem Emma eine Aushilfe suchte. Sie war direkt hineinmarschiert und hatte sich vorgestellt, weil sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte. Die Arbeit war ideal für Holly, passte zu den Schulzeiten und Hausaufgaben und bot darüber hinaus ebenfalls eine willkommene Abwechslung dazu.

Emma hatte versucht, ihr das Gefühl zu vermitteln, herzlich willkommen zu sein, und sie verstanden sich trotz des Altersunterschieds sehr gut. Emma ließ sich Zeit bei der Einarbeitung. Sie erklärte dem Mädchen ausführlich, wie man am besten mit den Kunden umging und ließ sie bei der Herstellung der Schokoladenspezialitäten zuschauen, damit sie auch dafür ein Gefühl bekam. Gelegentlich fragte sie Holly sogar um Rat bei neuen Geschmacksrichtungen und unterhielt sich mit ihr über neue Ideen. Während der Weihnachtsvorbereitungen war ein Cranberry- und Pistazientrüffel entstanden, der bei den Kunden ein echter Hit wurde. Hollys Selbstbewusstsein war enorm gestiegen, seit sie hier arbeitete, und es war schön, dass sie beide sich so gut verstanden. Der Altersunterschied betrug beinah zwanzig Jahre, weshalb Em sich auch ein bisschen wie die mütterliche Freundin fühlte.

»Du scheinst ja Silvester einen tollen Abend verbracht zu haben«, vermutete Emma.

»Ja, im Fisherman’s Arms war ganz schön was los, nicht? Wir waren vorher auf einer Party bei meiner Freundin Laura.«

»War Tom dort?«

Holly schwärmte seit Jahren von Tom und hatte Emma ihre romantischen Träume und Liebeshoffnungen anvertraut. Holly und Tom waren seit der Schule befreundet, doch mit sechzehn hatte sich für Holly die Sache allmählich geändert. Ihrer Meinung nach könnten sie mehr sein als nur Freunde. Bis jetzt hatte Tom sich eher als begriffsstutzig in dieser Hinsicht erwiesen und ihr in letzter Zeit kaum Beachtung geschenkt.

»Ja-ha«, kam die zurückhaltende Antwort. »Er war da, aber ich hätte ebenso gut nicht da sein können, denn er unterhielt sich ständig nur mit dieser blöden Kirsty Chase. Na schön, sie ist die beste Korbballspielerin der Schule. Außerdem ist sie groß und langbeinig, mit seidigen, langen blonden Haaren. Nur ist sie nicht immer die Hellste.«

»Ah, ich verstehe. Mensch, das tut mir leid. Klingt ja nicht, als sei das dein Abend gewesen.«

»Nicht so richtig. Aber was soll’s. Und wie war dein Abend? Ich dachte schon, du würdest mit Alfie zu Hause bleiben.« Holly sah entsetzt aus, doch für Emma klang das ganz und gar nicht nach einer schlechten Option.

»Ach, ein paar Freunde habe ich schon, weißt du«, erwiderte Emma lachend.

»Oh, so meinte ich das gar nicht!«

»Ich weiß. Nun, ich hatte ein frühes Abendessen mit Bev und Pete, anschließend haben wir uns mit Joanne und einigen anderen getroffen, um etwas zu trinken, bis wir schließlich im Fisherman’s gelandet sind, wie ihr auch. Es war ganz nett.«

In Ordnung, angenehm, amüsant. Aber eben nicht berauschend.

»Ja, es war ein ziemlich guter Abend. Am nächsten Tag ging es mir allerdings nicht so gut.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Ich komme dann also nächsten Samstag vorbei. Um wie viel Uhr?«

»Gegen eins.« Emma machte ein bedauerndes Gesicht, weil sie Holly nicht mehr Stunden geben konnte. »Sagen wir von eins bis drei. Wenn nicht viel los ist, können wir das Schaufenster neu gestalten, vielleicht mit etwas Hellem und Fröhlichem für den Januar.«

»Oh ja, ich werde mir etwas einfallen lassen. Ich bin gern kreativ.«

»Noch einen Orangenschokoladentrüffel, Hols? Sie schmecken wie die edlere Version von Terry’s Schokoladenorangen.«

»Ach, ja, ich nehme noch einen.«

»Wir müssen schließlich Qualitätskontrollen durchführen.« Em grinste.

»Natürlich.«

Am Ende waren es für jeden drei, nur um auch ganz sicher zu gehen, was die Qualität des Produkts anging. Mit ihren Mündern voller Schokolade grinsten sie einander an.

»Die haben den Geschmackstest definitiv bestanden. Wow!« Holly strahlte.

Oh ja. Dies gehörte zu den besten Aspekten ihrer Arbeit – die Schokoladenverkostung!

6. Kapitel

»Der Januar macht mich fertig.«

»Hallo Bev.« Emma erkannte die Stimme ihrer besten Freundin. »Was gibt’s?«

»Es ist so grau und trist. Weihnachten ist vorbei, und ich habe kein Geld mehr, und Partys gibt es auch keine, auf die man sich freuen könnte.«

»Tja, und es ist erst eine Woche rum.«

»Ich weiß, das macht es ja noch deprimierender.«

»Wir könnten einen kleinen Frauenabend organisieren. Das kostet uns nicht mehr als eine Flasche Prosecco.« Emma hatte eine zu Weihnachten geschenkt bekommen – das war also noch besser.

»Gute Idee.«

»Genau, einen Filmabend. Wir können uns was auf Netflix anschauen. Lustig oder traurig?«

»Weiß nicht. Ich glaube, ich brauche etwas Aufheiterndes. Aber ich mag auch romantische Sachen, bei denen man eine ganze Packung Taschentücher braucht.«

»Hm, ich überlege mir was. Ich besorge auch Popcorn. Wir machen einen richtigen Filmabend.« Das klang nach viel Spaß. Sie könnten plaudern und es sich gemütlich machen. Vielleicht war es auch genau das, was Emma brauchte.

»Schokolade hast du keine, oder?« Sie hörte Bevs Belustigung.

»Nee, die hält bei mir nicht lange vor.«

Darüber mussten sie beide lachen.

»Ich habe meinen ganzen Weihnachtsvorrat aufgefuttert, Em. Na ja, um ehrlich zu sein, Pete war derjenige, der alles aufgefuttert hat. Die wundervollen Trüffel, die wir von dir bekommen haben, waren an einem Tag weg. Es sind noch ein paar Mini-Milky-Ways in der Hereos-Dose, aber das war’s.«

»Möchtest du dir im Laden eine Tüte zusammenstellen, bevor wir den Film ansehen?«

»Oh wow, du kennst mich wirklich zu gut, Emma Carter. Darf ich wirklich? Das wäre himmlisch. Ich kann einen Schokoladen plündern, Prosecco trinken und mir irgendeinen toll aussehenden Typen in einem Film anschauen – alles an einem einzigen Abend. Das klingt echt gut. Mir geht’s gleich besser, allein schon bei dem Gedanken daran. Danke, Em.«

»Gern geschehen. Dafür sind Freunde schließlich da.«

Sie konnte ein bisschen Schokolade aus dem Laden entbehren. Zugegeben, in den nächsten Monaten würde sich ihr Konto zusehends leeren, aber sie hatte immer noch Weihnachtseinnahmen. Außerdem würde sie ihrer Freundin die Weihnachtsschokoladen geben, denn bis zum nächsten Weihnachtsfest würde ohnehin niemand Rudolph-Schokolollis oder Schokoweihnachtsmänner kaufen.

»Wann machen wir es?«, wollte Bev wissen.

»Hast du Freitag Zeit?« Das war in zwei Tagen.

»Ja. Das passt bestimmt. Wie ich schon sagte, ich habe nichts vor.«

»Also dann abgemacht.«

»Super. So machen wir’s.«

Freitagmorgen machte Emma sich an die Arbeit, die Weihnachtsdekoration aus dem Schaufenster zu nehmen. Das Lametta, die Kugeln und der kleine Weihnachtsbaum, den sie im Garten wieder einpflanzen wollte, verschwanden. Sie stellte den letzten Schokoladenweihnachtsmann auf den Tresen, zusammen mit ein paar Rudolph-Lollipops, Sternen aus weißer Schokolade und Weihnachtspralinen. Die über den Tresen und die Regale laufende Lichterkette ließ sie jedoch noch dort, weil sie so ein einladendes Leuchten im Laden verbreitete.

Sie hatte an einem kleinen Baum in ihrem Garten eine wunderschöne Zaubernussblüte entdeckt – ein untrügliches Zeichen für den bevorstehenden Frühling – und sie zusammen mit Schneeglöckchen in ein altes Marmeladenglas gestellt. Abschließend hatte sie eine grüne Seidenschleife darumgebunden. Da die Kunden die Weihnachtsfeiertage sowohl auf ihren Hüften als auch in ihren Portemonnaies spüren würden, hatte sie angefangen, kleine Tütchen mit Karamell und Trüffeln zu packen, die sie zusammen mit den Blumen aufstellen wollte. Perfekte kleine Mitbringsel. Es gab immer noch Urlauber um diese Jahreszeit, zu denen auch diese abgehärteten Wanderer gehörten, die jedem Wetter trotzten, oder Paare, die im Hotel am oberen Ende der Straße wohnten.

Es war ein ruhiger Tag gewesen. Im Laden waren bisher nur zwei Leute aufgetaucht, als sie plötzlich eine vertraute Stimme vernahm.

»Hallo! Die Weihnachtsdekoration verschwindet, was?« Es war Holly, die ein wenig mürrisch aussah.

»Ja, ich hasse diese Arbeit … aber sieh mal, ich dekoriere das Fenster mit leuchtend gelben Blüten und Schneeglöckchen neu. Was meinst du? Du kannst mir morgen mit weiteren Ideen helfen.«

»Das ist wirklich sehr hübsch. Soll ich hier weiter Schokolade verpacken? Ich habe eine halbe Stunde Zeit. Denn entweder ich mache das oder ich muss mich wieder an meine Hausaufgaben setzen. Und um ehrlich zu sein, ich brauche eine kleine Pause. Ich bin gerade erst aus dem Schulbus ausgestiegen.«

»Das wäre großartig … danke, Holly. Wie läuft es in der Schule?«

»Ganz okay. Viel Arbeit, besonders jetzt in der Oberstufe, da ist der Druck besonders hoch, gute Noten zu schreiben, denn das Zeugnis ist wichtig für die Uni oder was immer ich sonst machen werde … ah, ich weiß noch nicht mal, was ich danach machen will.«

»Arbeite weiter hart, Holly, dann wird das schon. Mehr kannst du ohnehin nicht tun.« Das war so ziemlich Emmas Mantra an diesem Punkt in ihrem Leben.

»Ja, vermutlich.«

Em dachte daran zurück, als sie achtzehn gewesen war. Ihr hatte die Schule Spaß gemacht, doch war auch sie sich nicht sicher gewesen, was sie beruflich machen wollte. Zu unterrichten schien ihr damals eine vernünftige Option zu sein. Also hatte sie die Uni in Durham besucht, das Studentenleben genossen und nach dem Studium sowie der in England üblichen einjährigen Lehrerausbildung eine Stelle als Lehrerin angetreten. Sie hatte schon immer gern gekocht und sich daher auf Lebensmitteltechnik spezialisiert. Nur waren ihre Realschüler nicht besonders motiviert und hielten das Fach für »überbewertet«, was für die Lehrerin frustrierend sein konnte. Allerdings wurde sie gut bezahlt. Außerdem hatte sie Luke kennengelernt, der ein Jahr nach ihr an derselben Schule anfing zu arbeiten. Wahrscheinlich wäre sie bei diesem Job geblieben, wäre alles nicht spektakulär aus dem Ruder gelaufen. Es hatte sie dazu gebracht, darüber nachzudenken, dass das Leben zu kurz war, um einer Arbeit nachzugehen, die sie nicht mit Leidenschaft betrieb.

Zum x-ten Mal fragte sie sich, wie Luke wohl darüber denken würde, dass sie eine Chocolatière geworden war.

»Alles in Ordnung mit dir?«

»Oh, klar, ich war nur für einen Moment in Gedanken. Möchtest du einen Tee? Ich bin durstig.«

»Gern.«

»Ich setze schnell Wasser auf.«

Sie ließ Holly weiter Trüffel und Karamell einpacken. Das junge Mädchen war damit beschäftigt, Bänder aus hellem Rosa, Gelb und Grün zu binden, als Emma mit zwei Bechern zurückkehrte. »Hier, bitte.«

»Danke.«

»Die sehen hübsch aus.«

Holly kräuselte die Enden der Bänder, indem sie sie zwischen Daumen und Schere hindurchzog.

»Die Farben werden wirklich gut zu den Blüten im Schaufenster passen. Wirkt fröhlich. Du bist ein richtiger Sonnenstrahl hier, Holly«, fügte Emma hinzu.

Genau in dem Moment war das Klingeln der Ladentür zu hören. Die beiden Frauen schauten auf. Holly stand bereits hinter dem Tresen, daher hielt Emma sich im Hintergrund, als ein blonder junger Mann hereinkam. Er musste um die Zwanzig sein und lächelte ihrer Assistentin schüchtern zu, bevor er sich den Regalen zuwandte.

»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte Holly sich, und ihre Wangen färbten sich fast so rosa wie das Band in ihrer Hand.

»Ähm, ja. Ich brauche ein Geschenk.«

»Okay, und was für ein Geschenk? Zum Geburtstag?«

»Nein, nein, kein Geburtstagsgeschenk. Eines ohne besonderen Anlass.«

»Na schön … also wir können nach individuellen Wünschen Geschenkboxen zusammenstellen. Sie können sich die Geschmackssorten sowie die Menge selbst aussuchen.«

»Oh, aha.«

»Für eine Dame?«

»Ja.«

»Na gut. Also, wir haben Trüffel, Ganaches, Fruchtgeschmack, Alkoholfüllungen, Nussfüllungen – Sie haben die Wahl. Wenn Sie sich hier die Vitrine im Tresen anschauen wollen.«

»Ach, eine Auswahl wäre ganz gut. Egal welche. Suchen Sie aus.«

Holly nahm eine mittelgroße goldfarbene Geschenkbox sowie eine Zuckerzange und fing an, verschiedene Schokoladen aus der Tresenvitrine zu nehmen und auf die Waage zu legen. Bei acht Stücken hörte sie auf und erklärte, diese Menge koste knapp unter fünf Pfund, einschließlich Box und Verpackung als Geschenk.

»Das ist okay. Können Sie noch zwei dazutun? Danke.« Er zog seine Brieftasche aus der Hosentasche.

»Gut, das wären dann alles zusammen fünf Pfund achtzig. Wenn Sie mir einen kleinen Moment Zeit geben, werde ich Ihnen das als Geschenk einpacken. Rosafarbenes, rotes oder goldenes Geschenkband?«

»Ist mir egal. Suchen Sie eines aus.«

Emma beobachtete, wie er Holly erneut anlächelte.

»Dann rosa.« Das war Hollys Lieblingsfarbe. Hell, frech, lebhaft, genau wie sie. Holly zauberte mit Schleifen und Kringeln, legte die Geschenkbox in eine weiße Papiertüte und eine Visitenkarte des Ladens dazu.

Als Holly dem jungen Mann das Wechselgeld zurückgab, trafen sich ihre Blicke. Hollys Wangen schienen fast brombeerfarben anzulaufen. Em musste grinsen und tat, als sei sie mit ihrem Schaufenster beschäftigt.

Der junge Mann verabschiedete sich mit einem höflichen: »Danke schön.«

Nachdem sich die Tür bimmelnd geschlossen hatte, sagte Emma: »Der sah aber gut aus.«

»Ja«, bestätigte Holly, wobei ihre Stimme eine Tonlage höher klang als sonst. Sie beobachtete, wie der Mann am Fenster vorbeiging, schenkte ihm noch ein kurzes freundliches Lächeln und machte sich wieder an das Verpacken der kleinen Mitbringselboxen.

Emma sah sie belustigt an. Es war vielleicht ganz gut, dass jemand anderes, außer diesem offenbar so gleichgültigen Tom in der Schule, die Aufmerksamkeit ihrer Mitarbeiterin erregt hatte.

7. Kapitel

Es klopfte an die Hintertür. Emma stand auf, um zu öffnen, doch sobald sie die Türklinke in der Hand hatte und den Gast oder besser, was er anhatte, zu Gesicht bekam, prustete sie los.

»Ich wär dann so weit.« Bev grinste und betrat Ems Küche im hinteren Teil des Ladens.

»Ich kann nicht glauben, dass du in diesem Aufzug draußen herumgelaufen bist.«

Bev wohnte zehn Minuten Fußweg entfernt auf der anderen Seite des Dorfes.

»Tja, warum denn nicht? Die Grenze habe ich bei meinen Hausschuhen gezogen – die sind in der Tüte, zusammen mit einer Flasche Prosecco und Käseknabbereien.« Sie hielt Emma die Tragetasche hin.

»Du siehst aus wie eine durchgeknallte Obdachlose.«

»Vielen Dank.«

Bev stand in einem Zebra-Onesie vor ihr.

»Tja, dann sollte ich mir meinen lieber auch gleich anziehen. Was du kannst, kann ich nämlich schon lange! Zwei Gläser stehen schon bereit, also mach den Prosecco auf und schenk ein. Bin gleich wieder da.«

»Darf ich immer noch den Schokoladen plündern, wie du versprochen hast?«

»Ja-ha«, rief Emma, schon auf dem Weg nach oben. »Aber warte, bis ich zurück bin.«

»Gemein.«

Em fand ihren Onesie mit Giraffenmuster auf dem Stuhl in ihrem Schlafzimmer, wo sie ihn gestern Abend abgelegt hatte. Sie zog Jeans sowie Pullover aus und fühlte sich gleich behaglicher, kaum hatte sie den Onesie übergestreift. Ach ja, jetzt fehlten nur noch die Hausschuhe und sie war bereit für ihren »großen Abend daheim«.

»Kann ich jetzt meine Bonbontüte füllen?«, fragte Bev mit leuchtenden Augen, als Emma wieder die Küche betrat.

»Ja, nur zu.« Emma ging voran durch die Tür des hinteren Flurs nach vorn in den Laden und schaltete das Licht ein.

»Yippiee!«, rief Bev hinter ihr.

»Man könnte dich glatt für vier halten, nicht für über vierzig«, bemerkte Emma grinsend.

»Ich weiß, ich weiß. Ich komme immer noch nicht ganz damit klar, dass meine beste Freundin tatsächlich ein Schokoladengeschäft besitzt. Womit habe ich denn dieses Glück verdient?«

Emma musste zugeben, dass ihr Laden an diesem Abend, an dem es draußen besonders dunkel war, aussah wie die Schokoladenversion von Aladins Höhle. Sorgfältig aufgestapelte Trüffel, täuschend echt aussehende Edelsteine aus Ganache, gold- und silberfarben eingeschlagene Schatzkisten, bunte Bänder und Verpackungen sorgten für diesen besonderen Auftritt.

»Hier.« Emma gab ihrer Freundin eine Zellophantüte. »Los, füll sie dir. Aber nimm die Weihnachtstrüffel und die Schneesterne, falls es dir nichts ausmacht, die sind nämlich noch übrig geblieben. Das wäre meiner Vorratssituation dienlich, denn die müssen in der nächsten Woche gegessen werden, sonst verderben sie.«

»Kein Problem, die nehme ich dir gern ab. Welche willst du, Em?«

Emma hatte in den vergangenen Wochen so viel mit Schokolade zu tun gehabt, dass sie gar nicht genau wusste, worauf sie Lust hatte. Aber für ein Karamell mit weicher Füllung hatte sie immer etwas übrig.

»Bloß ein paar von den salzigen Schoko-Karamell-Teilchen – die dort drüben. Das genügt mir.«

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