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Die letzte Pille bringt den Tod

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Der Himmel ist blau, Blut ist rot – die Walli ermittelt, denn der Apotheker ist tot

Der Fischlinger Ludwig ist tot! So viel Aufregung im sonst allzu beschaulichen Burglbach im Allgäu, das ist für Walli Schimmel eine willkommene Abwechslung. Also stürzt sich die exzentrische Rentnerin in die Ermittlungen – sehr zum Missfallen von Wolfi, ihrem leicht phlegmatischen Polizistensohn. Der glaubt nämlich zunächst an einen ganz natürlichen Tod: zu viel Schweinshaxe, zu wenig Bewegung. Doch Walli bleibt hartnäckig und stößt bald schon auf eine Spur. Wer hat den Apotheker auf dem Gewissen? War es die schöne Witwe? Oder hat der Fischlinger sich auf dubiose Geschäfte eingelassen? Mit Hilfe ihrer Freundin Friedl, ein paar selbstgebrannten Stamperln Obstler und ein bisschen krimineller Energie wird sie den Mördern schon auf die Spur kommen …


  • Erscheinungstag: 20.04.2021
  • Aus der Serie: Ein Allgäu Krimi
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950669
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dies ist ein Roman. Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

1

Ein Toter am Rand vom Nirgendwo

Wie jeden zweiten Dienstag im Monat sitze ich bei Erikas Haartraum, unserem einzigen Friseur hier in Burglbach. Wobei Erika längst Geschichte ist. Seit einem knappen Jahr werden wir nämlich von der Jaqueline aufgehübscht. Allerhand neuen Schnickschnack hat sie uns aus Leipzig mitgebracht. Von Haarextensions bis zu Intimwaxing bekommt man bei ihr alles. Einen richtigen Spatempel hat sie hier kreiert.

Während ich noch meinen Blick über die Neuerungen im Laden schweifen lasse, springt plötzlich die Tür auf, und im Spiegel sehe ich, wie die Friedl aufgeregt und käseweiß hereinstürzt. »Der Ludwig isch tot!«

Unter meiner dröhnenden Trockenhaube glaube ich mich verhört zu haben. »Was ist los?«, frage ich und schiebe die Haube hoch.

»Mei, oh mei, der Ludwig isch tot!«, wiederholt sie aufgeregt.

Ich lege das Schundmagazin, in dem ich ohnehin nur gelangweilt herumgeblättert habe, zur Seite und drehe mich mit meinem Stuhl zur Tür. »Der Ludwig, der Hund vom alten Hintermoser?«, frage ich verwirrt.

»Was? Nein, Schmarrn, der doch net. Unser Apotheker, der Fischlinger Ludwig«, kommt es mir irritiert entgegen.

Ich höre einen lauten Platscher und schaue von Friedl zu Jaqueline. Die Schüssel mit der frisch angerührten Haarfarbe für die alte Berger ist dahin. Wie vom Donner gerührt steht die Jaqueline da, von oben bis unten mit der blutroten Masse besudelt. Schade ist es ja nicht drum, schießt es mir ins Hirn, die Bergerin sieht eh immer aus wie ein Feuermelder.

»Ruft die Polizei!«, schreit die Friedl völlig außer sich und reißt mich aus meinen Gedanken.

Während Jaqueline wie ferngesteuert ihr kindisches Hello Kitty-Handy aus der Hosentasche fischt, kralle ich mir im Vorbeispringen die Hand von der Friedl und ziehe sie mit mir aus dem Salon. Quer über den neu gepflasterten Dorfplatz hetzen wir rüber zu Fischlingers Apotheke. Weit und breit keine Polizei zu sehen. Kaum jemand ist im Dorf unterwegs. In den letzten Jahren ist es leer geworden in Burglbach. Die Jungen drängen aus der Allgäuer Provinz in die Städte. Wer lebt schon gerne in einem 3042-Seelen-Dorf am Rand vom Nirgendwo? Pardon, 3041 Einwohner, falls der Ludwig wirklich tot ist.

Vor der Apotheke angekommen, weigert sich die Friedl vehement, den Ort ihres Schreckens noch einmal zu betreten, schließlich hat sie den Fischlinger Ludwig entdeckt. »Walli, du willsch da jetzt aber it nei, der isch doch tot!?«, schnauzt sie mich an und hält mich am Ärmel fest.

Mit einem Ruck entziehe ich mich ihrem Griff wie ein trotziges Kind. »Dann bleib halt da, ich geh da jetzt rein!«, rufe ich ihr noch zu, während ich mich bereits durch die Ladentür schiebe. Ein Klingeln von dem Glöckchen überm Eingang kündigt mich an. Ich bleibe kurz stehen, atme durch, aber es regt sich nix, mucksmäuschenstill ist es, kein Ludwig weit und breit zu sehen. Ich gehe um die Theke zum hinteren Teil des Ladens. Und da seh ich’s schon. Herrgott, der Allmächtige, da liegt er ja wirklich, der Ludwig, im Türrahmen zwischen der Teeküche und den Medikamentenschränken. Ein, zwei Sekunden zögere ich – falls es um Mord geht, will ich schließlich nicht schon wieder dem Wolfi ins Handwerk pfuschen: Der Wolfi ist mein, leider etwas begriffsstutziger, Sohn, der bei der Polizei im nahe gelegenen Kempten arbeitet. Zu gut kann ich mich erinnern, wie er wochenlang sauer auf mich war, als ich ihm bei der Aufklärung des Illermordes zuvorkam. Dabei war es nicht mal Absicht, eher ein unglücklicher Zufall, würde ich sagen. Selbst mit den hausgemachten Kässpatzen vom Apostlwirt, unserem Gasthof hier im Dorf, konnte ich seinen Missmut nicht vertreiben. Ein richtiges Desaster war das damals vor zwei Jahren.

Wer sagt denn eigentlich, dass es hier um Mord geht, beruhige ich mich selbst. Es wäre ja nicht an den Haaren herbeigezogen, hätte der dicke Ludwig einen Herzanfall erlitten. So wie der jeden Sonntagmittag beim Apostlwirt zugelangt hat … Geschnauft und geröchelt hat der Dicke, bei jeder Bewegung. Der Schweiß auf seiner Stirn hat ihn glänzen lassen wie eine marinierte Speckschwarte, und die wirre spärliche Haarpracht hing ihm auch immer speckig ins Gesicht, erinnere ich mich. Ja, der Ludwig, schön ist er ja nicht, denk ich mir, aber ein netter Kerl war er schon. Also knie ich mich rechts neben ihn und lege zwei Finger an seinen Hals, wie ich es im Tatortspurensicherungsseminar für Hobby-Columbos letztes Jahr gelernt habe. Kurz warten, kein Puls. Sein starrer Blick verrät bereits alles. Die Friedl hatte recht, der Fischlinger Ludwig ist hinüber.

Ich betrachte den Toten von Kopf bis Fuß – kein Blut ist zu sehen. Lediglich etwas gelber Schaum tropft ihm seitlich aus dem Mund und sammelt sich am Boden neben seinem weißen Apothekerkittel. Im anderen Mundwinkel hängen eindeutig noch Reste vom Frühstück, und seine rechte Hand ist seltsam verdreht. Zwischen Daumen und Zeigefinger klebt ein angebissenes Stück Breze. Der Ludwig, wie er leibt und lebt. Immer was zum Futtern in der Nähe, denke ich. Leibte und lebte müsste es jetzt wohl heißen, korrigiere ich mich im Stillen, während ich weiter den Toten neben mir betrachte.

Ich stehe auf und steige vorsichtig, mit einem ziemlich großen Schritt, über seinen massiven Körper hinweg und betrete die kleine Teeküche. Das Lämpchen der Kaffeemaschine auf dem kleinen Schränkchen neben der Tür leuchtet rot und wärmt die verbliebene braune Brühe. Ich blicke hinüber zum Tisch, auf dem noch ein Frühstücksbrettl liegt; ein paar einsame Brezenbrösel liegen verteilt darum. Ganz wahrscheinlich eine Breze von der Bäckerei Biggl. Der Biggl macht weit und breit die besten Brezen; ist auch nicht schwer, könnte man meinen, denn ebenso wie Erikas Haartraum der einzige Friseur ist, ist er der einzige Bäcker hier am Rand vom Nirgendwo.

Ich lasse meinen Blick wandern. Eine Tasse Kaffee, die gefährlich nah an der Tischkante steht, ist noch zu drei Vierteln gefüllt. Rabenschwarz trank er ihn, der Ludwig, mei, da würd’s mich schütteln, denke ich spontan. Der Gedanke an einen Cappuccino vom Café Florence in Kempten hingegen, mit einem laktosefreien Milchschaumberg drauf, größer als die Tasse selbst, bringt mich zum Träumen. Zugegeben, ich bin ein Cappuccinojunkie, nicht erst, seit ich dieses kleine italienische Stehcafé mit diesem überaus gut aussehenden Barista Massimo entdeckt habe. Ich greife nach der Tasse des toten Apothekers – eiskalt ist sie. Ich kombiniere blitzschnell, ohne weiter meine Gedanken an eine gute Tasse Cappuccino zu verschwenden, und komme zu dem Schluss, dass unser Medikamentendealer schon eine ganze Weile hier im Türrahmen liegen muss. Der restliche Tisch wird von der Allgäuer Zeitung eingenommen, der Gesundheitsteil liegt aufgeklappt da – mei, Ludwig, der bringt dir jetzt auch nix mehr. Ein blau-grüner Kugelschreiber mit der Aufschrift Heidpharm, offensichtlich ein Werbegeschenk eines Pharmaunternehmens, liegt quer über einem verknitterten Zettel. Unleserliche Buchstaben reihen sich in mehreren Zeilen aneinander. Wie soll man das bitte lesen können?, frag ich mich.

Meine Nasenspitze beginnt wie wild zu kribbeln, gerade noch so kann ich mir ein Niesen verkneifen. Da höre ich schon die Polizeisirene schrillen. Jetzt muss ich mich aber beeilen. Nix wie raus hier, bevor der Wolfi und sein Polizeispezi Harald mich erwischen. Geistesgegenwärtig und gewitzt wie ich bin, ziehe ich mein brandneues Smartphone aus der Tasche und hoffe, die Kameraapp schnell zu finden. Gar nicht so leicht mit einem 62 Jahre alten Augenpaar, diese kleinen fisseligen Dingsdabumsda auf Anhieb auszumachen. Mist! Jetzt habe ich mich auch noch vertippt, und es öffnet sich die neue Fitnessapp, mit der ich mir vorgenommen habe, zwei, drei Kilo durch Zumba binnen kürzester Zeit abzuzappeln. Immerhin hat das der heiße Latino mit der sexy Zahnlücke auf dem Sportkanal versprochen.

Hektisch schließe ich das dumme Programm wieder, das mir bis jetzt eh noch nix gebracht hat, und finde endlich das Zeichen mit der Fotolinse. Als Erstes schieße ich ein Bild vom Tisch, danach eines vom Fenster. Ich drehe mich um und will noch schnell ein Bild vom Toten knipsen. Da erschreck ich fast selbst zu Tode: Die Friedl steht neben der Leiche.

»Walli, Schluss jetzt, komm sofort da raus! Die Polizei isch glei da«, zischt sie und tritt hibbelig von einem Bein aufs andere.

»Jaja, ich komm gleich. Geh zur Seite, ich brauch noch schnell ein Bild vom Ludwig. Oder bist du scharf auf ein Foto mit dem Toten?«

Erschrocken springt die Friedl zur Seite, ohne den Blick vom toten Ludwig abzuwenden. »Jessas, na, der duat mir so leid!«, jammert sie.

»Jetzt braucht er dir nimmer leidzutun, der hat’s geschafft und ist bei unserem ewigen Schöpfer. Predigt doch der Pfarrer Hockl jeden Sonntag«, sage ich, fokussiere den toten Berg Mensch und drücke den Auslöser. In diesem Moment schnappt die Friedl mich am Arm und schleift mich hastig Richtung Ausgang. Beim Hinausstolpern komme ich aus Versehen noch mal auf den Auslöser und schieße ungewollt ein verwackeltes Bild vom Ladenlokal. Als wir zwei die Tür aufreißen, versperren uns zwei werte Herren in Grün den Ausgang.

»Moment a mal, Moment a mal«, hält uns der Freirer Harald zurück. »Ja, wen hamma denn da, die Allgäu Miss Marple und ihre Busenfreundin, da schau her«, dröhnt er uns selbstgefällig entgegen.

Da rauscht auch schon der Wolfi an, richtig wütend schreit der mich an: »Mama!!! Was in Gottes Namen hast du hier zu suchen?« Bevor ich antworten kann, schießt er bereits die nächste Frage ab: »Warst du etwa da drinne?«

Was für eine saublöde Frage, denk ich mir, der sieht doch, dass ich noch mitten in der Tür steh. Mit einem mütterlich-liebevollen Blick tätschle ich seine Backe und gebe ihm, was er hören will: »Ich wollte halt mal nach dem Rechten sehen.«

Aber das hört der Wolfi schon nicht mehr und stürmt an uns vorbei, hinein in die Apotheke. Der Freirer Harald spurtet hinterher und gibt uns noch kurz die Anweisung, vor dem Eingang zu warten. Inzwischen hat sich das halbe Dorf vorm Laden versammelt. Im Vorbeigehen ernte ich spöttische Blicke und frage mich, warum das dumme Volk so blöd glotzt. Ich greife mir an mein Haupt. Mist, die Lockenwickler. Schön lächerlich sehe ich wohl aus. Da muss ich jetzt durch, denke ich und geselle mich neben die Friedl. Lautes Getuschel und Stimmengewirr überdecken fast die Ankunft vom Sanka. Erst durch ein erneutes ohrenbetäubendes Hornsignal teilt sich die Meute wie das Rote Meer vor Moses und lässt den Krankenwagen passieren. Die zwei Notärzte bahnen sich den Weg, im Schlepptau einen riesigen Rucksack, vollgestopft mit jeder Menge lebensrettender Arznei. Makaber, denk ich mir, da liegt der tote Fischlinger in seiner eigenen Apotheke, die über und über voll mit Medikamenten ist, und selbst die konnten ihn nicht vor dem eigenen Tod bewahren.

Als die beiden Lebensretter an der Friedl und mir vorbeirauschen, will ich ihnen noch »Ihr kommt’s zu spät, da ist nichts mehr zu machen!« zurufen, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich hier eh schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt habe, spare ich mir das und verdrücke mich an den Rand des schaulustigen Pöbels.

Während Friedl und ich allmählich die erste Aufregung verdauen, gesellt sich die Berta Breitmeier neben uns, alias die Dorftratschen von Burglbach. »Na, schau an, die Walli, immer im rechten Moment zur Stelle, trendigen Haarschmuck trägst heute, fesch!«, zwitschert sie höhnisch und stiert auf meinen Schädel.

»Geh schleich di, Breitmeierin!«, höre ich die Friedl ungewöhnlich scharf fauchen.

Verdattert schaue ich meine Busenfreundin an und kann mir ein winziges Lächeln nicht verkneifen. Könnten Bertas Blicke töten, wäre Burglbach um zwei weitere Einwohnerinnen ärmer, da bin ich mir sicher. Beleidigt zieht die Alte ab.

»Du, Friedl, mein Gefühl sagt mir, der Ludwig, der ist nicht einfach tot umgefallen!«, flüstere ich meiner liebsten Freundin ins Ohr.

»Ah, so a Schmarrn, was soll denn des heißen? Jeder im Dorf weiß doch, dass es mit der Gesundheit vom alten Ludwig nicht zum Besten gestanden ist!«

»Mei, ich könnt mir vorstellen, dass da vielleicht jemand nachgeholfen hat!«, erwidere ich und will mich nicht so schnell geschlagen geben. »Meine Nase juckt wie Sau, das ist ein eindeutiges Zeichen«, setze ich noch nach. Die Friedl schenkt mir ein mitleidiges Lächeln, und in diesem Moment komme ich mir ganz schön doof vor. Friedl, kannst du mich bitte mal ernst nehmen?

»Mama! Was hör ich da?«, platzt der Wolfi barsch in unser Gespräch. »Bist du des Wahnsinns, solche Gerüchte in die Welt zu setzen?« Er tritt direkt hinter mich, und die Wut in seiner Stimme ist eindeutig nicht zu überhören.

»Ich? Ich hab gar nix in die Welt gesetzt!«

»Es sieht alles nach einem natürlichen Tod aus. Und außerdem, Mama: Wir hatten eine Abmachung! Solange ich für die Sicherheit hier in Burglbach zuständig bin, hältst du dich aus meinen Ermittlungen raus, das hast du mir hoch und heilig versprochen!«

»Welche Ermittlungen?«, will ich wissen und treibe den Wolfi damit erst so richtig auf die Palme. »Ich dachte, wenn es sich, wie du sagst, um einen natürlichen Tod handelt, gibt es keine Ermittlungen?«

Kopfschüttelnd und maulend dreht der Wolfi sich weg und geht zurück Richtung Tatort. Oder, halt, ich revidiere: Noch haben mein heiß geliebter, aber etwas begriffsstutziger Sohn und dessen tölpeliger Spezi, der Freirer Harald, noch nicht gecheckt, dass es sich überhaupt um einen Tatort handelt.

»Ach, lass mir doch mei Ruh!«, kann ich grad noch so verstehen. Den Rest verschluckt das Gewusel der schnatternden Dörfler. Komm du mir mal heute Abend nach Hause, mein Sohnemann, denke ich. Ich werde dich schon auf Spur bringen. So wie damals, als ich dir geholfen habe, den Mord an dem jungen Altenpfleger Markus T. aufzuklären, der leblos und schon tagelang hier bei uns im Fluss trieb. Als »Illermord« wurde der Fall von sämtlichen Tageszeitungen betitelt und ging deshalb so in die Geschichte ein.

Aber da weder die Friedl noch der Wolfi meinem Nasenjucken Glauben schenken, verlasse ich allein den Dorfplatz und marschiere zielstrebig zurück in Erikas Haartraum. Schließlich will ich mich endlich dieser peinlichen Wickler entledigen. Der Laden ist leer, ich rufe nach unserer sächselnden Haargöttin, kann sie allerdings nirgends ausmachen. Und so verlasse ich am Ende fluchend und mit den blöden Wicklern auf dem Kopf den Haar(alb)traum!

2

Unerfreuliche Entwicklungen

In der Nacht war an Schlaf nicht zu denken, stattdessen habe ich mich nur hin und her gewälzt. Entsprechend sitze ich heute, am Tag nach dem Verbrechen, ungestylt bereits um Viertel nach sieben bei der Friedl in der heimeligen Bauernstube. Schön hat sie’s hier, jedenfalls wenn man farbenblind ist. »Rustikal antikes Chaos«, so könnte man es beschreiben. Die Kacheln an den Wänden versprühen mit ihrem grün-orange-braunen, psychedelisch anmutenden Muster den Charme der 70er. Hier und da fehlt um den alten Holzofenherd, der wohl noch aus Omas Zeiten stammt, bereits die ein oder andere Fliese und legt das marode Mauerwerk frei. Die zusammengewürfelten Holzstühle mit den blau karierten Sitzkissen rund um den Tisch und die darauf liegende geschmacklose Wachstischdecke mit dem knallbunten Pünktchenmuster lassen jedes noch so schlafgeschwängerte Auge im Nu erwachen.

Friedl steht am Ofen. Der frische Kaffeeduft zieht mir in die Nase und verdrängt meine Müdigkeit. Sie stellt zwei dampfende Tassen vor uns ab und setzt sich neben mich.

»Hast du vielleicht geschäumte, laktosefreie Milch?«, höre ich mich fragen, dabei kann ich Friedls Antwort bereits im Schlaf runterbeten.

»Noi, so an neumodischen Chichiquatsch hab i it; mir sind hier schließlich it im Café Florence.«

»Ist schon gut«, beruhige ich sie und nippe an dem scheußlichen Seifenwasser, das so gut riecht. »Hast du überhaupt geschlafen?«, frage ich sie.

»Koi Aug hob i zug’macht hoit Nacht. Miad bin i, sag i dir«, und ein langes Gähnen zieht ihr übers Gesicht. »Hasch du mit deim Wolfi geschtern Abend no g’schwätzt?«, will die Friedl wissen und stopft sich nebenbei ein bröseliges Leiberl in den Mund.

»Nein, er kam gestern Abend gar nicht mehr heim«, antworte ich etwas zögerlich.

»Ja, mei, hat der am End jetzt a mal a Freundin g’funder? Wird ja a mal Zeit, so mit 43 Johr«, schmatzt sie mit halb vollem Mund, wobei ein paar Krümel in ihrer Kaffeetasse landen. Kurz schwimmen sie so vor sich hin, bis sie von dem schwarzen Sog in die Tiefe gezogen werden. Immer dasselbe Thema, denke ich genervt und bin insgeheim froh, dass mein einziger Sohn, mein Goldstück, mein Ein und Alles, der Wolfi, noch immer in seinem Kinderzimmer bei Mama wohnt. Wobei Kinderzimmer bei unserem Haus vielleicht etwas untertrieben ist. Wolfi und ich führen eine MSG: Mutter-Sohn-Gemeinschaft. Diese supercoolen Teenies von heute kürzen doch alles mit drei Buchstaben ab, oder? HDL, MFG und so. MSGMS, Mutter-Sohn-Gemeinschaft-mit-Schwiegertochter, würde sich doch auch saudumm anhören, finde ich jedenfalls. Darüber zerbreche ich mir jetzt erst mal nicht weiter den Kopf. Wichtiger ist doch, wer den Ludwig auf dem Gewissen hat.

»Was ist mit der Ivana? Hat die eigentlich jemand gesehen?«, will ich wissen.

»I weiß nix, aber vielleicht lässt ja der Wolfi nachher auf der Wache was raus!«

»Wieso Wache?«, frag ich die Friedl perplex.

»D’ Wolfi hat geschtern Obend no agrufer und mi hoit um halb neun auf’d Wache einb’stellt. I soll a Aussage macha, schließlich hob i d’ Ludwig ja als Erschte entdeckt«, erzählt sie fast ein bisschen stolz. »I bi ja scho a bissle aufg’regt, muss i zugeber. I, d’ Friedl, so zwischer dieser ganze fesche Polizischter«, flötet sie munter.

»Friedl, wieso sagst du mir das erst jetzt? Ich schau ja furchtbar aus, gib mir eine halbe Stunde, und ich seh aus wie aus dem Ei gepellt.« Ich krame meine Siebensachen zusammen und bin schon fast an der Tür.

Da keift sie mir nach: »D’ Wolfi hot g’meint, i soll auf koin Fall mit direr do anrücker.«

Boom, das hat gesessen.

»Mein Sohn, der Wolfgang Adalbert Schimmel, verbietet mir, mit auf die Wache zu kommen?! Sag mal, spinnt der jetzt komplett?«, schreie ich.

Friedl hebt nur die Schultern. Mit einem bettelnden »Bitte!!!« versuche ich sie doch noch umzustimmen. Doch sie bleibt stur wie ein bockiger Esel. Ich wäge kurz ab, wie lange es dauern würde, die 30 Kilometer bis zur Kemptener Wache mit dem Taxi zurückzulegen. Doch schon allein bis das Taxi endlich hier in diesem Kaff ankäme, wäre die Friedl schon mitten im Protokoll. Hätte ich bloß meinen Lappen nicht abgeben müssen! ärgere ich mich maßlos. Was sind schon lächerliche 32 Stundenkilometer IGO (innerhalb geschlossener Ortschaften) zu viel, wenn man ein Auto fährt, das 300 PS hat. Lächerlich ist das. Da tippt man ein bisschen aufs Gas, und schon geht die Luzi ab. Ganz ungewollt. Ich dachte ja wirklich, der Wolfi boxt mich da raus, schließlich hat er gute Kontakte zur Verkehrsüberwachung. Aber nix hat er gemacht. Das geschieht dir ganz recht, hat er gemeint und mich meinem Schicksal überlassen.

Ein Jahr ohne Führerschein ist es dann geworden. Widerholungstäter müssen härter bestraft werden bla, bla, bla, sagte der meiner Meinung nach unfähige Richter. Drei Monate davon sind schon vorüber, danach muss ich zur MPU. Ich zum Idiotentest! Das ist doch grotesk.

Sauer verlasse ich zu Fuß Friedls alten Hof in Richtung Zentrum Burglbach. 20 vor neun ist es, als ich endlich beim Bäcker Biggl ankomme. Meinen großen Zeh plagt eine riesige Blase von dem ganzen Gelatsche, und mein Magen knurrt wie Sau. Eine Breze und ein Möchtegerncappuccino warten auf mich. Leider ist das nicht das Einzige, was mich erwartet. In der Bäckerei drängen sich die alte Bergerin, deren Haare immer noch grau und verblichen sind, weil ihre feuerrote Mischung im Friseursalon zu Boden gegangen ist, der Bäcker selbst und auch die Berta Breitmeier nebst Ehegatten um den kleinen Stehtisch herum.

»Na, Miss Marple, gibt’s schon was Neues vom Ludwig?«, will die furchtbare Tratschen mit der noch furchtbareren Stimme von mir wissen.

»Nix«, gebe ich knapp zur Antwort, während ich dem Biggl zu verstehen gebe, wonach mein leerer Magen schreit.

»Du weißt aber schon, was man sich in Burglbach so erzählt?«, setzt dieses Weibsbild nach, während ihr Göttergatte wie ein debiles Äffchen neben ihr steht und Löcher in die Luft starrt.

»Was denn?«, frage ich mit aufgesetzter Freundlichkeit.

»Schon komisch, als man den Ludwig gefunden hat, kam das halbe Dorf herbeigeeilt. Und wer war nicht da? Dreimal darfst du raten: die Russenbraut!«, keift das Weibsbild, ohne meine Antwort abzuwarten.

Eigentlich gebe ich ja nichts auf den Breitmeier’schen Gossip, doch dass die Ivana nach dem Tod ihres Mannes nicht aufgetaucht ist, scheint mir doch ein bisschen verdächtig. Ich spüle die Breze mit dem Bieselwasser hinunter, verabschiede mich und mache mich auf dem Weg zum Friseur. Während ich die Lockenwickler aus der Tasche ziehe und meine offene Rechnung von gestern begleiche, frage ich die Jaqueline mit ihrem rosagefärbten Pony, ob sie vielleicht etwas von der abgängigen Fischlingerwitwe gehört hat. Schließlich föhnt sie wöchentlich die schwarze Mähne der hübschen Russin.

»Nein, isch weiß da jar nischt von«, gibt sie im breitesten Sächsisch zur Antwort und weicht meinem Blick aus.

»Weißt du denn, wo die im Moment steckt?«, frage ich beharrlich weiter.

»Isch muss dann och mal«, kommt es noch knapp, und schon bugsiert sie mich im Handumdrehen aus dem Laden. Auf dem Treppenabsatz bleibe ich stehen, doch hinter mir fällt schon die Ladentür ins Schloss. Ein Klicken, und sie hat abgeschlossen. Ich schaue auf die Uhr – kurz nach halb zehn, etwas früh für ein Mittagspäuschen, wundere ich mich und mache mich auf den Heimweg. Na ja, weit habe ich es ja, ehrlich gesagt, nicht. Genau genommen ist es wirklich nur ein Steinwurf. Wenn man nicht zu weit wirft. Wir wohnen mitten auf dem Dorfplatz. Neben dem Kirchturm unserer Dorfkirche ist nämlich unser Domizil das höchste und auffälligste weit und breit.

Aber erst mal repeat und ganz von vorne:

Angefangen hat alles 1956, ich war gerade 19; das Abi hatte ich mit Ach und Krach bestanden. Bevor ich mit dem Studieren beginne, will ich was erleben, dachte ich mir. Die Welt steht mir offen, davon war ich überzeugt. Ich plünderte mein Konto – 634 Mark und 19 Pfennig. Nach meinem drei Jahre älteren Bruder Wigald war ich ein absolutes Wunschkind, und so sparten meine Eltern seit meiner Geburt Monat für Monat einen kleinen Betrag und trugen diesen fleißig zur hiesigen Raiffeisenfiliale. Ihrer Tochter sollte es später einmal besser gehen. Nach einer abgeschlossenen Lehre einen netten Mann ehelichen und nach dem Bau eines gutbürgerlichen Eigenheims etliche kleine Enkel in die Welt setzen. Das war jedenfalls ihr Plan. Dass ihre Tochter erst einmal andere Pläne hatte, nahmen sie nur schweren Herzens hin.

Und so verließ ich Burglbach, das öde Kaff, um in die große, weite Ferne zu reisen. Richtig neugierig war ich auf das, was ich alles erleben würde. Treiben wollte ich mich lassen. Ibiza war damals schwer angesagt. Halb nackt im Bikini wollte ich die Nächte am Strand durchtanzen. Ja, das hatte ich mir vorgenommen. Weit kam ich leider nicht. 86 Kilometer, um genau zu sein. Am Münchner Hauptbahnhof lernte ich den 21-jährigen Hartmut aus Bitterfeld kennen. Auf der Durchreise nach Rom war er und wollte sich noch die nächsten drei Tage München anschauen. Ein Blick in seine türkisblauen Augen genügte, und ich war von Schopf bis Fuß in »Dirty Harry« verknallt. Bei den drei Tagen München sollte es nicht bleiben. Als wir uns nach fünf wilden Tagen und Nächten ewige Liebe geschworen hatten, folgte nur Tage später die heimliche Hochzeit: Ich hieß nun nicht mehr Walburga Brügel, sondern hochoffiziell Walburga Kowalski. Mein komplettes Budget, 634 Mark und 19 Pfennig abzüglich des Bahntickets von Burglbach nach München, war nach zwei Wochen aufgebraucht. Leider war unsere Ehe genauso schnell beendet, wie wir pleite waren, und so trennten sich unsere Wege bereits elf Tage später mit einem riesigen Streit. Der Hartmut verließ im Morgengrauen unser schäbiges Hotelzimmer und ward seitdem nie wieder gesehen. Ich glaube ja, er ist zurück nach Bitterfeld. Geschimpft hat er am Abend zuvor, dass er mit mir vom Regen in die Traufe gekommen sei und dass es ihm im Osten tausendmal besser gegangen war als nun mit mir. Ich glaube kaum, dass er es nach Italien geschafft hat, aber wer weiß das schon.

Nun war’s für mich mit dem Weiterreisen aber auch passé, und nach zwei schlaflosen Nächten ohne Unterkunft in der Landeshauptstadt war klar: Zurück nach Burglbach zu gehen war keine Option. Ich musste dringend an Kohle kommen, und so erinnerte ich mich an eine ehemalige Schulkameradin aus der Grundschule. Sie hatte, so der Tratsch in Burglbach, im fernen München eine Lehre als Zimmermädchen angefangen. Zwei Anrufe später hatte ich rausgefunden, wo die Friedl arbeitete, einen weiteren Tag später hatte ich ebenso eine Anstellung als Zimmerputze (jaja, Reinigungskraft würde man heute sagen – ist mir auch recht, solange man die Leute heute besser bezahlt!). Jedoch erst einmal auf Probe, schließlich sei nicht jeder zum Putzen qualifiziert, sagte die strenge Matrone mit flauschigem Damenbart vom Personal. Trotz der Sterneauszeichnung, riesigen vornehmen Suiten und noch vornehmeren Gästen bezahlten diese Halsabschneider von der Chefetage einen Hungerlohn. Hätte es damals schon den Mindestlohn gegeben, Frau Merkel hätte verschmitzt gegrinst, den werten Ausbeutern den doppelten Lohn aus der Tasche gezogen und sich selbst lobend auf die Schulter geklopft.

Am dritten Tag hatte ich eigentlich schon keinen Bock mehr, den Dreck der oberen Zehntausend zu beseitigen. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Society von Welt innerhalb eines Tages ein luxuriöses Hotelzimmer zum absoluten Saustall umfunktioniert. Aber was blieb mir anderes übrig?

»Vive la France« – mein neues Ziel war Paris. Dafür musste ich noch dreieinhalb harte Monate buckeln, wenn ich richtig gerechnet hatte. Um ein paar Mark zu sparen und so meinem Ziel von einem frischen Croissant und einem Café au lait näher zu kommen, kroch ich bei Friedl in ihrem Zwölf-Quadratmeter-Loch unter. Wir teilten uns ein Bett und einen Stuhl. Das wäre ja nicht weiter schlimm gewesen, hätten wir nicht das Badezimmer mit dem restlichen Flur teilen müssen. Ich musste hier raus, dringend. Der Herrgott meinte es gut mit mir, wie sich schon bald herausstellen sollte.

Am 37. Tag der Plackerei standen Friedl und ich während einer kurzen Pause qualmend im Hinterhof. Hier hatten nur Hotelpersonal und Lieferanten Zutritt. Verschmutzte Wäsche wurde abgeholt und neue gebracht oder Lebensmittel fürs hoteleigene Restaurant angeliefert. Die Restaurantküche lag ebenfalls zum Hinterhof. Wie schon des Öfteren, brachte Charly, der Chefkoch, uns zwei heißen Schnecken, so nannte er uns liebevoll, etwas etepetete Feinkost, hübsch angerichtet auf einem filigranen Teller. Mit zwei Luftküssen und einem Lächeln bedankten wir uns und verschlangen den Magentretz. Da schoss plötzlich ein dunkelgrauer Jaguar um die Ecke. Viel zu schnell für den engen Hinterhof! »Der Fahrer muss wohl ein Irrer sein?!«, schrie ich der Friedl noch zu – und schon streifte dieser Vollidiot mich mit seiner Schüssel am Schienbein, und ich landete rücklings im Abfallhaufen. »Vielen Dank, du Arschloch!«, brüllte ich ihm aus Leibeskräften hinterher. Sorry für die Sprache, aber bei uns in Burglbach geht’s a halt a bissle rustikaler zu.

Schlitternd kam der Wagen zum Stehen. Ein gut aussehender Herr mittleren Alters, für meine Begriffe jedenfalls, stieg im schnieken Anzug aus der Bonzenkarre und starrte mich erschrocken an. Sofort lief er auf mich zu und half mir auf, doch ich wehrte ihn ab und befreite mich selbst aus meiner misslichen Lage. Friedl stand bewegungslos daneben und glotzte den Rowdy an. »Sag mal, du Arsch, geht’s eigentlich noch?«, kreischte ich wie ein verwundetes Reh.

Der kreidebleiche Mistkerl stotterte erst mal dumm ummernand, wie man bei uns sagen würde. »Ist alles gut? Sind Sie verletzt?«, fragte er unsicher.

»Nein, Sie Rennsau, es geht schon.«

»Ich habe Gas und Bremse verwechselt, tut mir leid, das passiert mir ab und zu!«

»AB UND ZU?« Ich rang nach Luft. »Sie hätten mich beinahe umgebracht, Sie … Sieee!« Na ja, nur fast, dachte ich und war schon etwas besänftigt, als ich seine Betroffenheit sah.

»Darf ich unser kleines Malheur denn wiedergutmachen und Sie zum Essen ausführen?«, fragte er mich so frei heraus.

Ausführen? Wie das klang! Ich schmunzelte in mich hinein. Der ältere Herr hat Manieren, dachte ich da und überlegte kurz. Genauer gesagt, eine halbe Sekunde. »Nachdem ich heute eh nichts Besseres mehr zu tun habe«, antwortete ich und ließ mich auf das Date ein. Da fiel mir etwas ein. »Moment mal, wie heißen Sie eigentlich?«

»Adalbert Schimmel«, stellte er sich vor.

»Schimmel?«, plapperte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn und schielte auf sein silbergraues, aber noch volles Haar.

»Ja, den Witz kenne ich schon«, schmunzelte er und kratzte sich verlegen am Nacken.

Wir verabredeten uns also für den kommenden Abend. Nach unserer Schicht gingen die Friedl und ich dann noch in eine kleine Boutique auf der Maximilianstraße.

»Der neueste Schrei, frisch aus Frankreich: Haute Couture heißt das jetzt«, erzählte uns die eifrige Verkäuferin und nickte wie ein Wackeldackel mit dem Kopf, als ich mit dem gelb-schwarz gestreiften Mantelkleid aus der Kabine trat. Friedls Augen funkelten wie Sterne, wobei ich mir heute nicht mehr so sicher bin, ob es wirklich der Glanz in ihren Augen war, den ich wahrnahm, oder ob sich lediglich das schreiende Gelb des Kleides in ihren Pupillen spiegelte. Na ja, sei’s drum. Ich ließ mich jedenfalls breitschlagen und haute meine hart verdiente Kohle auf den Kopf. Adieu, Paris! Hello, Adalbert.

Ein richtig tolles Restaurant hatte der Adalbert ausgesucht. Entspannen konnte ich mich dann nicht, so wie wir dasaßen. Er im feinen Zweireiher und ich als mondäne französische Biene Maja von Burglbach. Trotzdem hatten wir einen amüsanten Abend, vorzügliches Essen, von dem ich kaum eine Zutat kannte, Wein, sag ich euch, der mich im Handumdrehen hatte kichern lassen wie ein Schulmädchen. Ich fand heraus, dass der »Herr mittleren Alters« gerade einmal 34 geworden war und auch ursprünglich aus dem Allgäu stammte. Sogar aus einem Nebenkaff von Burglbach. Jackpot, dachte ich mir. Seine Eltern waren damals, als er gerade 16 war, nach München gezogen. Der Vater hatte in der Nachkriegszeit ein sehr erfolgreiches Architekturbüro aufgebaut und den Sohnemann später mit ins Boot geholt.

Was er im Hinterhof des Hotels zu suchen hatte, wollte ich dann doch auch noch genauer wissen. Kurzfristig hatte er für seinen Vater einspringen müssen, um chinesische Geschäftsleute, die in unserem Hotel Gäste waren, zu treffen, erklärte er mir. Weil er bereits spät dran war, hatte er keine Zeit gehabt, einen anständigen Parkplatz im Zentrum von München zu finden, und so war er kurzerhand in den Hinterhof hineingefahren. Zudem gestand er mir, ein elendig schlechter Autofahrer zu sein. Beipflichtend nickte ich und ließ ihn weitererzählen. Als ich dann, mit vom Rotwein gelockerter Zunge, die Story von mir und Hartmut zum Besten gab, blickte ich plötzlich in ein schockiertes Augenpaar. Adalbert riet mir, die Hochzeit annullieren zu lassen, bevor es zu spät sei, und versprach, sich bei einem befreundeten Anwalt schlauzumachen. Noch später am Abend gestand er mir mit glasigen Augen, dass er heilfroh sei, mich über den Haufen gefahren zu haben. Dass ich sogar das Schönste sei, was ihm im Leben je passiert war.

Na ja, und dann ganz unerwartet, wie aus heiterem Himmel, ging alles wieder ganz schnell: Zwei Tage später verließ ich die Friedl’schen zwölf Quadratmeter und begrüßte mit Sack und Pack, inklusive neuem Biene-Maja-Kostüm, die voll moderne 140-Quadratmeter-Penthousewohnung über den Dächern Grünwalds. Die Annullierung der Kurzehe mit dem flüchtigen Hartmut war nach zwei Wochen durch, und so hieß ich wieder Walli Brügel.

Die morgendliche Übelkeit schob ich auf die turbulente Zeit, die ich seit dem Verlassen meines Heimatkaffs erlebt hatte. Acht Monate später hielt ich einen properen Jungen mit türkisblauen Augen in den Händen. Kurz vor der Geburt hatte der Adalbert mich noch zu einer ehrbaren Frau gemacht. Über die zeitliche Diskrepanz von unserem Kennenlernen bis zur Geburt unseres Wolfgang Adalbert verlor mein Ehemann nie ein einziges Wort. Und so erlebten wir viele gemeinsame glückliche Jahre. Stets begleitete ich ihn auf Empfänge und zu wichtigen Treffen mit ausländischen Geschäftspartnern rund um die Welt. Wir verbrachten Urlaube in den luxuriösesten Resorts, und ich erinnerte mich jedes Mal daran, wie Friedl und ich uns die Finger wundgeschrubbt hatten, damals in dem feinen Hotel. Deshalb räumte ich immer vor der Abreise noch ein wenig auf, machte das Bett ordentlich, entfernte die Zahnpastaspritzer vom Badezimmerspiegel und hinterließ ein üppiges Trinkgeld, bevor wir eine Suite verließen. Mein Adalbert beobachtete mich dann immer lächelnd und mit einem ungläubigen Kopfschütteln. Doch er ließ mich sein, wie ich war. Die einfache Walli eben aus Burglbach, mit einem Hang zu ausgefallener Mode (ich bin mir nach wie vor sicher, dass ich für Lady Gaga eine Inspiration wäre!).

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