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Die Schreckensteiner auf der Flucht

hier erhältlich:

Könnte es einen besseren Ort zum Lernen und Leben geben als eine Raubritterburg? Nein, finden die Schüler und Lehrer der Jungenschule in Neustadt und ziehen kurzerhand in die geheimnisumwitterte Burg Schreckenstein. In dem uralten Gemäuer mit Folterkammer und Burgfried wird selbst der Unterricht zum Abenteuer! Außerdem befindet sich zur Freude der Jungs ganz in der Nähe das Mädcheninternat Schloss Rosenfels, dessen Schülerinnen willkommene Opfer für eine Menge lustiger Streiche sind. Und egal, was passiert, eins steht fest: Die jungen Ritter halten zusammen wie Pech und Schwefel!


  • Erscheinungstag: 17.10.2013
  • Aus der Serie: Burg Schreckenstein
  • Bandnummer: 04
  • Seitenanzahl: 160
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505132261

Leseprobe

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Heiße Nacht bei strengem Frost

„Für mich ist das Ganze eine Falle!“

Dieter saß auf dem steinernen Richtertisch der Folterkammer und sah im Fackelschein aus wie ein Wahrsager, der Unheil verkündet.

„Und wenn schon! Seit wann hast du Angst vor Mädchen?“, fragte Stephan. Mitternacht war längst vorbei, und noch immer berieten die Ritter. Alle Jungen auf der Burg nannten sich „Ritter“. Zu dem Kreis in der Folterkammer aber gehörten nur die führenden Ritter.

„Ausgerechnet bei der Affenkälte laden die uns ein!“, schimpfte Hans-Jürgen, der Dichter.

„Immerhin ist Karneval“ sagte Andi.

„Das heißt hier Fastnacht, Mensch!“, verbesserte Mücke. Als Chefredakteur der Schülerzeitung war er immer um treffende Ausdrücke bemüht.

Dieter winkte ab. „Das wissen wir ja. Aber das ist nur der Vorwand.“

„Ein sehr guter Vorwand!“, lobte Ottokar. „Die haben ja ewig nichts mehr hören lassen! Seit der Schränkeschieberei damals

Unter „Schränkeschieben“ verstanden die Schreckensteiner das Tanzen. Der Verdacht war begründet. Seit jenem Sommerfest vor mehr als einem Jahr hatten sich die Mädchen nicht mehr gerührt. Dabei lag Schloss Rosenfels sozusagen in Sichtweite, drüben, am anderen Ufer des Kappellsees, nur durch dichten Uferwald dem Blick entzogen. Andererseits mochte das Schweigen der Mädchen mit der Leiterin des Pensionats zusammenhängen. Fräulein Doktor Horn hatte für die Erziehungsmethoden des „Rex“, wie Direktor Meyer auf Schreckenstein genannt wurde, wenig übrig. Jungen, die ihre Lehrer nicht belügen, die nicht einsagen und nicht voneinander abschreiben, schienen ihr nicht geheuer. Dabei ist Ehrlichkeit eine ganz normale Rittertugend. Weiter nichts.

„Das ist eine Falle! Wo die Horn doch gegen uns ist“, unkte Dieter. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber Dampfwalze hielt ihm den Mund zu.

„Falle her, Falle hin ich fahr in jedem Falle hin.“

Mücke sah zu der muskelbepackten Dampfwalze hinauf, mit einem Blick, als schaue er auf ihn herab. „Ich habe schon besseres Deutsch gehört. Allerdings nicht von dir.“

„Er will ja auch nicht hinüber, um Deutsch zu lernen, sondern wegen deiner Schwester“, sagte Stephan und grinste. Hans-Jürgen, Klaus und Dieter lachten vor sich hin. Stephan hatte vermutlich recht. Noch eine Weile redeten die Ritter hin und her, bis Ottokar entschied: „Selbstverständlich fahren wir!“

Was er sagte, galt. Ottokar war Schulkapitän, das heißt Hauptverantwortlicher für alles, was sich im Internat außerhalb des Schulunterrichts abspielte. Also fuhr die gesamte Schreckensteiner Ritterschaft samt ihren Lehrern an einem frostklirrenden Februarabend in zwei Omnibussen zum Maskenball nach Rosenfels.

Schon aus den Kostümen war zu ersehen, was sich der Einzelne von dem Abend erwartete. Andi beispielsweise war in eine Art weiße Wurstpelle verpackt, ein sackartiges Gebilde, das nach unten immer dicker wurde. Dazu hatte er sich den Stiel eines Schirmes auf den Rücken gebunden, dessen aufgespanntes Dach rot und mit weißen Punkten beklebt war. Da sich das Schirmdach unmittelbar über seinem Scheitel spannte, musste sich jeder, der wissen wollte, wer daruntersteckt, bücken. Obwohl die Mädchen sich fleißig bückten, sagte der höfliche Andi jedes Mal: „Ich bin ein Fliegenpilz. Ich bin ein Fliegenpilz.“

Tanzen konnte er in dieser Aufmachung ebenso wenig wie Hans-Jürgen, der als Pinguin kam, wozu er sich, um möglichst naturgetreu zu watscheln, eigens die Beine gefesselt hatte. Für freie Bewegung völlig ungeeignet war auch das Kostüm von Dieter. Mit großem Aufwand an Pappdeckel, Draht und Klammern aller Art hatte er sich einen Schildkrötenpanzer gebastelt, der ihn auch bei „Damenwahl“ vor jedem Tanzzwang schützte.

Da war Musterschüler Strehlau schlauer gewesen! Ganz in weiße Tücher gehüllt, konnte er je nach Belieben unerkannt bleiben oder das nur mit zwei Gucklöchern versehene Tuch über dem Kopf sekundenschnell lüften, konnte überall auftauchen, wo er nicht erwartet wurde, wie dies bei Schlossgespenstern eben so ist.

Die erste Attraktion des Abends lieferte Klaus. Von oben bis unten steckte er in einem schwarzen Trikot, zu dem er schwarze Handschuhe trug. Auf seinem Rücken hatte er, mit einem Riemen um den Bauch befestigt, ein schulterbreites Brett, das seinen Kopf knapp überragte und bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Auf dieses Brett war ein großes weißes Tuch aufgeklebt, das an den Kanten reichlich überhing. In der Mitte des Brettes war außerdem ein Aschenbecher aufgeschraubt.

„Was soll das denn darstellen?“, fragten die Mädchen, die beim Einzug der Ritter jedes Kostüm begutachteten. Breitbeinig blieb der Witzbold stehen, grinste vielsagend und beugte sich langsam nach vorne, bis seine Hände in den schwarzen Handschuhen den Boden berührten. Auf alle viere gestützt, verharrte er bewegungslos; das Brett lag waagerecht; der Überhang des weißen Tuches verdeckte Kopf und Rumpf.

„Das ist ja ein Tisch“, sagte eine kleine Geisha. „Und zusammenklappen kann man ihn auch. Dich nehm ich nächsten Sommer mit zum Camping!“

Mit Bändern aus buntem Krepppapier, die in einem Ring um die mittlere Deckenbeleuchtung zusammenliefen, hatten die Mädchen den Esssaal in ein Zirkuszelt verwandelt. In der Mitte befand sich die Manege, an der Stirnseite das Podium für die Kapelle und gegenüber ein Erfrischungsstand. Auch Logen mit Samtbrüstung für die Lehrer fehlten nicht. Der Aufwand beruhigte die Ritter. Wenn Mädchen sich so viel Mühe machen, dann führen sie nichts im Schilde, dann wollen sie sich amüsieren.

„Da habt ihr euch ja mächtig angestrengt, damit wir uns bei euch wohlfühlen“, meinte Mücke. Er und seine Schwester Ingrid hatten sich als Fledermäuse kostümiert. Gesichtsmasken und gleiche Größe machten es fast unmöglich, sie auseinanderzuhalten. Solange sie nicht sprachen.

„Wegen mir hättest du deinen Winterschlaf nicht unterbrechen brauchen!“, entgegnete Beatrix, die sich in eine Hexe verwandelt hatte. „Ich habe nämlich etwas gegen Fledermäuse.“

Aber Mücke war nicht auf den Mund gefallen. „Umso mehr hast du für Akkordeonspieler!“

Laute Plattenmusik sollte die Ritter zum Tanzen anregen. Nach der Fahrt mussten sie sich zuerst aufwärmen, um in Stimmung zu kommen. Und dafür war Tanzen genau die richtige Beschäftigung. Werner, als einäugiger Pirat verkleidet, versuchte sich mit Renate, die eine Kunstreiterin darstellte. Hans-Jürgen watschelte als Pinguin im Takt auf dem Rand der Manege, Schlossgespenst Strehlau verfolgte Sophie, die ein Ritterfräulein darstellte, und der Fliegenpilz stand in der Mitte und drehte sich im Kreise. Nicht dass er sich gelangweilt hätte! Als Reporter musste er sich alles genau ansehen, um später im „Wappenschild“ darüber berichten zu können. Nur der Schirm behinderte ihn ein wenig, doch er war ein Schutz. Kein Mädchen wäre auf die Idee gekommen, mit ihm zu tanzen.

Alle hatten sich Mühe gegeben, das Ihre zu dem Spaß beizutragen, und dabei viel Fantasie entwickelt. Sogar die Lehrer. Besonders die von der Burg. Rolle und Gießkanne wurden heftig beklatscht. Als Max und Moritz jagten sie quer durch die Manege hinter Doktor Waldmann her, der sich in die Witwe Bolte verwandelt hatte und die beiden bösen Buben mit echten Brathühnchen lockte. Doktor Schüler, wegen seines Sportwagens auch der „Rasende Lateinlehrer“ genannt, machte seinem Namen alle Ehre: Er kam als Schüler, mit Ranzen auf dem Buckel, Schultüte im Arm, kurzen Hosen und einem Schlabberlätzchen, auf dem „Mamas Liebling“ zu lesen stand.

Ein besonders lustiges Tanzpaar bildeten der schmächtigste Lehrer von Schreckenstein und die dickste Lehrerin von Rosenfels: Clown und Spitzentänzerin. In unerwarteter Verteilung. Er, Schießbude, als Tänzerin und Fräulein Böcklmeier als Clown. Auch der Rex tanzte. Er hatte eine bewegliche Igelmaske übergezogen, die es ihm erlaubte, zu trinken und Pfeife zu rauchen, was er während des Tanzens natürlich nicht tat. Seine Partnerin war Sonja, die Tochter von Doktor Waldmann, Sport- und Musiklehrerin auf Rosenfels. Sonja stellte eine Nixe dar, mit langem blauem Haar, das über ein grünes Netz fiel, in dem silberne Fischlein blinkten. Darunter trug sie ein Trikot in Türkis.

„Sonja ist die Schönste!“, sagten Ritter und Rosenfelserinnen übereinstimmend.

„Aber es gibt jemand, der sich als der Schönste vorkommt“, stellte Mücke fest. Und er hatte recht. Angetan mit Seide und Geschmeide, mit Ohrgehängen und funkelnden Perlen im Turban, sah Dampfwalze aus wie ein Ringer, der sich als Maharadscha verkleidet hat. Im vollen Bewusstsein seiner überdurchschnittlichen Kraft und Schönheit stolzierte er auf die kleine Fledermaus Ingrid zu. Genau wie Stephan es vorausgesagt hatte. Kraftvoll drehte er sich mit ihr im Kreise, als sei die Tanzfläche ein Kugelstoßring. „Na, du kleine Fledermaus, wo hast du denn deine schönen, blauen Augen her?“, fragte er während des dritten Tanzes.

„Die hat mir meine Mami zum Geburtstag geschenkt!“, piepste die kleine Fledermaus. Dann musste sie husten. Zwei Oktaven tiefer. Und brach vor Lachen zusammen.

„Dämlicher Hund!“, schimpfte Dampfwalze und ließ die kleine Fledermaus stehen. Er hatte Ingrid mit Mücke verwechselt. Mücke wälzte sich am Boden vor Lachen. Mehr als zehn Minuten lang hatte er sich beherrscht und todernst in Dampfwalzes Pranke gelehnt.

Die frechsten Masken aber waren ohne Zweifel Stephan und Ottokar. Normalerweise von grundverschiedenem Aussehen, hatten sie sich einander erstaunlich angeglichen. Nicht zuletzt mit Hilfe von Nasenkitt, den sie sich bei Dorffriseur Bächle im nahen Wampoldsreute besorgt hatten. Ottokar, mit Reitstiefeln und Spazierstock versehen, war als Graf Bodo von Schreckenstein, genannt „Mauersäge“, erschienen; Stephan mit Haarknoten, Bluse und Rock als Fräulein Doktor Horn. Sein Auftritt bildete den zweiten Höhepunkt des Abends. Die Mädchen quietschten vor Vergnügen.

„Das ist die größte Unverfrorenheit, die mir je vorgekommen ist!“, raunte Beatrix ihm ins Ohr. Der Rex nahm Stephan beiseite.

„Wenn sie’s merkt, sag wenigstens, du seist Graf Schreckensteins Schwester!“

So war der Rex. Nicht nur, dass er Stephan seinen Spaß an der Sache ließ, er hatte auch noch die beste Idee. Denn mit einer etwas abgewandelten Frisur ohne Knoten wäre er der Gräfin Irmintraut von Schreckenstein ähnlicher gewesen. Allerdings nur für die Ritter. Mauersäges Schwester lebte nicht auf der Burg und kam selten zu Besuch. Die Mädchen kannten sie nicht. Für sie blieb Stephan eine unverschämt gelungene Nachahmung von Fräulein Doktor Horn, zumal sich die Leiterin als Einzige nicht verkleidet hatte, sondern genau wie Stephan Rock und Bluse trug, dazu allerdings ein winziges Papierhütchen und um den Hals eine Luftschlange. Ein Kostüm oder eine Maske wäre nach ihrer Vorstellung mit der Würde eines Erziehers unvereinbar gewesen.

Vier kleine Ritter hopsten an der Direktionsloge vorbei. Jeder mit einem Umhang, einem Hut mit Feder und einem Degen.

„Was seid ihr denn?“, fragte Fräulein Doktor Horn und hielt den kleinen Egon an seinem Umhang fest.

„Wir sind die vier Muskeltiere!“, antwortete der kleine Herbert.

Einen Augenblick stutzte die Leiterin, dann lächelte sie. „Du meinst wohl Musketiere‘! Aber die sind nur zu dritt, die drei Musketiere‘. Oder wisst ihr das nicht?“

„Doch!“, sagte der kleine Kuno. Und der Kleinste von ihnen, der kleine Eberhard, pflanzte sich breitbeinig vor der Loge auf und verkündete: „Aber wir sind die vier Muskeltiere!“

Beifall kam auf. Das Schlossgespenst hatte sich ans Klavier gesetzt, der Pinguin wälzte sich auf das Podium und griff zur Flöte, einer der beiden bösen Buben, nämlich Max, griff zum Bass, Mauersäge setzte sich ans Schlagzeug und das falsche Fräulein Doktor Horn verschwand zur Hälfte hinter dem Akkordeon.

„Jetzt wird’s erst richtig!“, flüsterte Hexe Beatrix einer der beiden Fledermäuse zu. Sie hatte sich nicht geirrt: Es war Ingrid. Sogleich kam der muskelstrotzende Maharadscha auf die beiden zu.

„Komm“, sagte die Fledermaus zu der Hexe, „wir setzen uns aufs Klavier!“

Die falsche Pensionatsleiterin gab vier Takte vor und lautstark begann die Schreckensteiner Kapelle den Hexenkessel anzuheizen.

„Na endlich!“, rief Nixe Sonja hinauf. „Seit einer Stunde warten wir schon auf die berühmte Horror-Rock-Band!“

Statt einer Antwort reichte ihr der Pinguin ein Mikrofon, der böse Bube Max, als Lehrer ihr Kollege, zog sie herauf und unter begeistertem Mitklatschen der Ritter und Mädchen sang die Nixe, die alle Melodien, alle Texte kannte, sang und sang, dass niemand mehr stillsitzen konnte, der Fliegenpilz sich immer schneller drehte und sogar die Schildkröte in ihrem Panzer zu zappeln anfing. Alles hopste und tobte durcheinander, der maxlose Moritz, die Witwe Bolte, Tisch, Geisha, Pirat, Ritterfräulein, Clown, Kunstreiterin, Igel, Fledermäuse, Mamas Liebling und alle andern, von den vier Muskeltieren bis zur Königin Kleopatra. Und dazwischen immer wieder aufrecht in voller Kraft und Schönheit Maharadscha Dampfwalze auf Suche nach der richtigen Fledermaus. Nur die Hexe blieb auf dem Klavier sitzen und übernahm, als Stephan zur Überraschung der Mädchen seine neue Elektrogitarre hervorholte, das Akkordeon und hielt wacker mit.

In Abständen rief Stephan das Wort „Damenwahl“ in die Manege, worauf sich jedes Mal zur allgemeinen Belustigung der Clown auf den Maharadscha stürzte.

„Schaut euch die Böcklmeier an! Was die nur an Dampfwalze findet?“, wunderte sich Sonja.

„Dick und dick tanzt am besten“, sagte Beatrix, die Hexe. Wie sich das gehört, gab es auch eine Ehrenrunde für den Rex und Fräulein Doktor Horn. Die Band passte sich den tänzerischen Fähigkeiten der Leiterin an und spielte einen Walzer. Fräulein Doktor Horn ließ es sich nicht nehmen, der Kapelle persönlich zu danken.

„Das habt ihr fein gemacht! Es spricht für euch, dass ihr auch Walzer spielen und nicht nur diese seltsamen Geräusche abgeben könnt. Vielen Dank.“ Und sie gab jedem die Hand. Als die Reihe an Stephan kam, hielt sie inne. „Du hast ja einen Rock an, Junge! Wen soll das denn darstellen?“

Nur noch Stephans Kopf schaute hinter der Gitarre hervor. Er lächelte verlegen, während Ritter und Mädchen sich um das Podium drängten. Es hatte ja so kommen müssen. Der Rex stand neben Fräulein Doktor Horn und zwinkerte Stephan zu, als wolle er sagen: Denk dran, was ich dir eingeschärft habe!

„Nun?“, sagte Fräulein Doktor Horn „Ich habe dich etwas gefragt.“

Es war mucksmäuschenstill im Saal.

„Wir haben uns als Geschwister verkleidet“, sagte Stephan und winkte Ottokar zu sich.

Fräulein Doktor Horns Augen wanderten zwischen beiden hin und her, flink wie beim Tischtennis. Auch der Rex spielte mit, trat von einem Fuß auf den andern und sagte scheinbar nachdenklich: „Ich habe mir auch schon überlegt, was dieser Aufzug bedeuten soll. Ich glaube, die beiden haben sich als Graf Schreckenstein und seine Schwester kostümiert.“

Streng sah Fräulein Doktor Horn den Rex von der Seite an. „Ich kann das nicht sonderlich geschmackvoll finden, Direktor Meyer!“

Die Mädchen kicherten. Sie kannten Fräulein Doktor Horns Schwäche für Adelige. Ohne ihren strafenden Blick zu mildern, fuhr die Leiterin fort: „Dass der eine Junge sich als Graf kostümiert, mag noch angehen, dass aber der andere die Gräfin in dieser Weise verunglimpft, geht zu weit. Die Gräfin ist eine Dame und keine komische Figur.“

Stephan tat es leid, dass er den Rex in diese peinliche Lage gebracht hatte. Da fiel ihm eine Antwort ein, der er nicht widerstehen konnte.

„Oh, doch!” sagte er, „die ist schon komisch. Sehr komisch sogar!“

Für ein paar Sekunden war es still. Dann wurden merkwürdige Geräusche laut. Sonja, die Fräulein Doktor Horn unmittelbar gegenüberstand, biss in ihr Netz, Hans-Jürgen fiel etwas aus der Nase und der Rex musste husten. Ritter und Mädchen hielten sich den Mund zu, bissen die Zähne zusammen, krümmten sich, fuchtelten mit den Armen und verdeckten ihre Gesichter. Nur das Schlossgespenst behielt die Ruhe. Vielleicht schien es auch nur so, weil von ihm nichts zu sehen war. Jedenfalls tat es das einzig Richtige: Es griff in die Tasten und spielte weiter. Alsbald fielen die anderen Musikanten ein. Stephan widmete sich mit großer Damenhaftigkeit seiner Gitarre, die Masken tanzten wieder, der Rex brachte Fräulein Doktor Horn in ihre Loge zurück.

„Mein lieber Schwan!“, sagte eine Fledermaus. Es war Mücke. Hexe Beatrix, die auf dem Klavier saß, ließ den Balg des Akkordeons stöhnen.

„Hier werdet ihr so schnell nicht mehr empfangen, fürchte ich.“ Stephan lachte zu ihr hinauf.

„Wir wundern uns sowieso, dass wir überhaupt hier sind.“

„Das lass dir von Sonja erklären!“, rief Beatrix schnell. Sprechen beim Musizieren ist nicht jedermanns Sache. Sonja erzählte. Ihr Bericht machte Fräulein Doktor Horns Entrüstung erst verständlich. „Die Idee stammt von Ingrid und Beatrix! Sie haben mich eingeweiht, damit ich bei Fräulein Doktor Horn gut Wetter mache!“

„Und wie ist dir das gelungen?“, fragte Stephan. Er und Ottokar durften Du zu ihr sagen, obwohl sie Lehrerin war. Das hing mit ihrer ersten Begegnung zusammen. Damals in Neustadt.

Sonja lachte. „Ganz einfach. Über ihren Adelstick. Ich sagte, Mauersäge pardon, als ernst zu nehmende Lehrerin meine ich natürlich Graf Schreckenstein, plane ein Faschingsfest drüben, bei euch auf der Burg. Mit uns. Aber nur, wenn es nicht zu kalt sei. Der Rittersaal habe nur zwei offene Kamine. Da schlug sie die Hände zusammen und flötete in den höchsten Tönen. Wie rücksichtsvoll, nein, wie rücksichtsvoll! Der Graf ist eben noch Kavalier!‘ Und damit es ja klappt, hat sie mich gebeten, dem Grafen über meinen Vater Rosenfels als Ersatzplatz vorzuschlagen.“

„Jetzt versteh ich!“, rief Stephan. „Sie hat ein Auge auf Mauersäge! Sie dachte, dass er kommt!“

Sonja nickte. Auch Rolle, Hans-Jürgen und das Schlossgespenst nickten. Nur Ottokar hinter dem Schlagzeug schüttelte den Kopf.

„Aber warum war sie auf Stephan sauer und nicht auf mich?“

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