Inhalt
Vom Gemüsegarten meiner Oma
zur Volksuniversität des Geschmacks
Tabelle der wissenschaftlichen Namen
und Pflanzenfamilien
Nachwort: Die Biographin des Gemüses
Die Rezepte
Torte von anderen Kräutern
von Platina
Püree aus Wurzelgemüse
von N. François
Rezept für ein Erbsengericht
von Platina
Spargel mit Erbsen
von Alexandre Dumas
Tomaten nach Lucies Art
von Joseph Delteil
Kürbissuppe
von Jean-Pierre Coffe
Einleitung
Vom Gemüsegarten meiner Oma zur
Volksuniversität des Geschmacks
Als ich klein war, verbrachten wir den Spätsommer jedes Jahr bei meinen Großeltern. Ich, ein mageres Pariser Mädchen – alle sagten, ich sei «dünn wie eine Bohnenstange» –, sollte dort mit den Mirabellenkuchen und den Eintöpfen meiner Großmutter Rosa ein bisschen aufgepäppelt werden. Doch beim Anblick von Fettaugen in der Brühe wurde mir schlecht, und Süßes mochte ich auch nicht. Nur die rohen Kartoffelscheiben, die meine Großmutter in der Pfanne röstete, und ihr unvergleichliches gebratenes Kalbsbries fanden Gnade vor meinen Geschmacksnerven. Mit strengem, traurigem Blick sah meine Oma mir dabei zu, wie ich im Essen herumstocherte. Kaum hatte sie mir den Rücken gekehrt, flitzte ich weg zu unserem Hund Bouboule, der großen Liebe meiner Kindheit.
Meine Großeltern besaßen eine Süßwaren-Großhandlung. In ihrer Garage lagerten Kartons mit Suchard-Schokolade, Mandeldragees in rosa, blauer oder weißer Zuckerhülle, sauren Drops, Lakritzschlangen, Schleckmuscheln mit Marmelade, Schachteln mit Bonbons der Marke Mistral mit Glückslos, Neapolitanern mit Vanillegeschmack. Auf mich übten diese Schätze keinerlei Anziehungskraft aus.
Hinten im Hof gab es jedoch einen Lagerschuppen mit einem Haufen leerer Holzkisten, aufgerissener Kartons, alten Fahrrädern und rostigem Werkzeug, alles Dinge, die keiner mehr brauchte. Der Boden war feucht, es war dunkel und kühl. Das war unser Zufluchtsort, von Bouboule und mir. Ich war kaum größer als der alte Mischling, spielte inmitten der Kisten, und wenn ich Hunger oder Durst bekam, labte ich mich an den in fettigem Wasser und Milch eingeweichten Resten in seinem Blechnapf. Die glorreichen Anfänge einer Gastronomin !
Hinter dem Schuppen lag ein von dicken Mauern umgebener kleiner Garten. Bei schönem Wetter versteckten Bouboule und ich uns dort.
Wie andere Bewohner dieses lothringischen Städtchens besaßen auch meine Großeltern einen richtigen Gemüsegarten am Ortsrand. Auf dem Weg dorthin kam man an dem Bauernhof vorbei, wo wir die Milch holten, und ging dann einen von Brombeeren und Schlehen gesäumten Pfad entlang. Dort gab es, als ich größer geworden war, immer wieder Prügeleien zwischen einer Gruppe Mädchen, mit denen ich mich verbündet hatte, und den Jungen des Ortes, die uns gern aus dem Hinterhalt angriffen. Ich liebte diese Rangeleien; für mich endeten sie oft mit vor Aufregung rotem Gesicht, blauen Flecken und blutigen Knien. Schließlich gelangte man zu den Gärten. Eine Frau namens Madame Lipp pflegte sie, und im Gegenzug bekam sie von meiner Großmutter zum Mittagessen große Portionen Rotkohl Elsässer Art und nachmittags Milchkaffee und Butterbrote.
Der kleine Garten hinter dem Lagerschuppen beim Haus meiner Großeltern interessierte hingegen niemanden, glaube ich. Mit Ausnahme einer Rhabarberstaude und einer breiten Reihe krauser Petersilie war er komplett von Unkraut überwuchert. Dort, an der sonnengewärmten Mauer, erlebte ich große Glücksmomente. Ich riss die Petersilie büschelweise aus und kaute mechanisch darauf herum. Die Schärfe erfüllte meinen Mund, ich knabberte an den Blättern und den leicht faserigen Stengeln, und während mir der Saft übers Kinn lief, war ich wie berauscht. Gelegentlich, wenn mich jemand rief, spitzte Bouboule die Ohren. Meist beschloss ich, die Rufe zu ignorieren. Ich weilte in diesem verlassenen Gemüsegarten und war selig. Außer Reichweite, allein und glücklich inmitten der Petersilie.
Später gab es noch andere Gärten in meinem Leben: die von Ferienwohnungen, von Häusern, die Freunde uns zur Verfügung stellten, den Gemüsegarten der «kleinen Dame» im Departement Seine et Marne, bei der wir Salatköpfe und Gartenbohnen kauften, den Garten einer alten Bekannten aus dem Poitou mit seinem von Nelken und Thymian gesäumten Weg. Mein Vater liebte Blumen und pflanzte sie überall, ob der Garten ihm nun gehörte oder nicht. Im Frühling pflückten wir Waldhyazinthen bei Saint-Germain-en-Laye, Maiglöckchen in Chaville und Flieder im Tal der Chevreuse. Dann legten sich meine Eltern ein Häuschen mit Garten in der Oise zu, und seine Rabatten riefen große Bewunderung hervor. Ein weißer Flieder mit doppelter Blüte zeugte von ihrem neuen Status als Besitzer. Keinerlei Gemüse, abgesehen von einigen Kräutern, dafür Blumen im Überfluss. Ich sehe meinen Vater noch in seinem blauen Gartenoverall, das Pflanzholz in der Hand, auf dem Boden knien. Mit der Zeit fiel es ihm immer schwerer, sich wieder aufzurichten. Meine Mutter, die sich um keinen Preis die schönen Hände schmutzig gemacht hätte, stellte Blumensträuße zusammen, die wir am Sonntagabend in nasses Zeitungspapier gewickelt nach Paris mitnahmen.
Von dieser ganzen Pracht sind nur noch zwei oder drei Rosenstöcke übrig und ein paar Glockenblumen, die den Verkauf des Hauses überlebt haben. Der weiße Flieder fiel der Veranda zum Opfer, die die neuen Besitzer an dieser Stelle bauten.
Mein Vater wurde ganz ohne Blumen und Kränze beerdigt.
In einer kleinen Pariser Wohnung im vierten Stock aufzuwachsen ist nicht gerade die ideale Voraussetzung, um später mit dem Spaten zu hantieren. Was die Aufzucht von Gemüse angeht, blieb ich lange Zeit bei Linsen und Bohnen in feuchter Watte. Wie ich staunte, als ich mit zehn Jahren meinen ersten weißen Trieb und das erste durchsichtig grüne Blättchen erblickte: Da wuchs etwas ! Doch leider schrumpften die Pflänzchen gleich nach dem Eintopfen zusammen und welkten auf der Fensterbank dahin. Am Ende waren sie verschwunden. Warum, blieb mir ein Rätsel.
Meine Gärten wurzeln also in der Phantasie. Sie erblühten lediglich unter der Feder dreier Frauen, die, jede auf ihre Weise, fürs Landleben schwärmten und meine Vorliebe dafür prägten: die Comtesse Sophie de Ségur, Colette und George Sand. Diese zum Spielen, für die Mutterschaft und die schöpferische Tätigkeit bestimmten Orte, die Gärtchen vorbildlicher kleiner Mädchen bei der Comtesse de Ségur, der Gemüsegarten von Colettes Mutter Sido und die französischen Gärten von George Sand, der Herrin von Nohant, dienten in unterschiedlichen Lebensphasen meinen ländlichen Träumereien – und manchmal auch meinen Utopien – als Muster.
Erst als ich zusammen mit meinem damaligen Lebensgefährten ein Haus in der Normandie bezog, hatte ich endlich einen eigenen Blumen- und Gemüsegarten. Mein Vater – wieder er – warnte mich: «Du kannst dir bei den Leuten dort bloß Respekt verschaffen, wenn du den Gemüsegarten pflegst !» Ich gab mir große Mühe, den Ansprüchen gerecht zu werden, aber meine Reihen waren krumm und schief, die Pflanzen unregelmäßig gesetzt, in manchen Jahren wuchs gar nichts, in anderen waren die Karotten von Maden befallen: Mir mangelte es an Stil, an Routine und an Technik. Mir fehlt die wichtigste Eigenschaft eines Gärtners: die Geduld. Ich mag säen, pflanzen und ernten, aber nicht pflegen. Über zehn Jahre lang lebte ich in diesem ehemaligen Bauernhof ohne Heizung. Die Winter in der Orne sind lang und hart. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist meine Neigung, mich im Winter zu verkriechen, und dass ich penibel auf eine angenehme Raumtemperatur achte. Später versuchten Pierre und ich, auf unserem Balkon im Pariser Vorort Bougival einen Gemüsegarten anzulegen (Erdbeeren, Salatköpfe) und einen weiteren in unserem Garten in L’Etang-la-Ville, wo eigentlich nur Rosen, Kirschen und Himbeeren gediehen.
Heute bauen wir in unserem Gemüsegarten in der Orne Erdbeeren, Erbsen, Zucchini, Lauch, Salat, Kohl, Rote Bete, Gurken, Artischocken, Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln und Kartoffeln an. Auch Salbei, Rhabarber, Sauerampfer, Thymian, Bohnenkraut, Estragon und Schnittlauch fühlen sich wohl bei uns. Das Basilikum bleibt vorsichtshalber in seinem Topf. Denn jetzt, «zwanzig Jahre später», bin ich wieder in der Normandie, einem Landstrich, mit dem mich nur die Bande des Herzens verbinden. Diesmal lässt sich unser Landhaus allerdings beheizen.
Ohne die Normandie würde ich also weder die Bohnenernte in der Hitze kennen noch Salatköpfe voller Erde, grüne Tomaten, riesige, hohle Zucchini oder löchrige Kohlblätter ... weder Rote Bete, die man roh naschen kann, noch zarte Erbsen, saftige Zwiebeln, knackige Gartenbohnen, sonnenwarme Erdbeeren, fleischige Tomaten, oder Melonen, deren Wachstum man persönlich überwachen muss. Ohne die Normandie würde ich diese große Freude, selbstangebautes Gemüse zu essen – natürlich das schönste und beste der Welt –, nicht kennen !
Und ohne Michel Onfray, meinen Freund und langjährigen Vertrauten, hätte ich mich nicht auf das Abenteuer der Volksuniversität des Geschmacks eingelassen. Ich hätte mir nicht in schlaflosen Nächten den Kopf darüber zerbrochen, wie ich das bloß machen sollte: Wie sollte ich den Bogen von Proust zur Karotte spannen, von Frauenbiographien zu den Lebensgeschichten von Gemüse ? Niemals hätte ich mir dieses «Gemüseallerlei» einfallen lassen, und ich hätte auch nicht die Geschichte des Gemüses mit der des Geschmacks verbunden, die Literatur mit der Botanik, die Geschichte der Kunst mit der unserer Ernährung. Diese gigantische Vermischung der Kulturen, von den Anfängen unserer Zivilisation bis zu den neuesten genetischen Errungenschaften, von den Menschen der Urzeit bis zu den Kindern des Junk Food, von China bis zu den Hochplateaus der Anden, vom Mittleren Osten bis Kanada, vom Delta des Indus bis zur kargen Erde Afrikas, wäre mir fremd geblieben. Mir wäre diese ungewöhnliche Erfahrung entgangen: Hunderten aufmerksamer Zuhörer von der Tomate oder der Erbse zu erzählen. Ich hätte diese überwältigende Herzlichkeit und Geselligkeit, die Ah !s und Oh !s der großen Küchenchefs nicht erlebt. Die Arbeiter der «Gärten in der Stadt», jener Organisation, die dieses Projekt ins Leben rief, hätte ich weder kennengelernt, noch hätte ich zusammen mit ihnen Foie gras mit Topinambur serviert. Und ohne die Volksuniversität des Geschmacks – jetzt kann ich es ja zugeben – wüsste ich nichts über Karden. Und wer weiß ? Vielleicht würde ich Pastinaken ja für eine Art weiße Rübe halten.
Doch bei näherer Betrachtung führte mich mein Weg ganz selbstverständlich vom Gemüsegarten meiner Oma zu den alten Gemüsesorten, von Frauenbiographien zum Geschick der Tomate, von den Gärten meiner Träume zu dem realen Garten in der Normandie, von den Wohnräumen der Schriftsteller zur Geschichte des Geschmacks. Meine Neugier bahnte sich diesen Weg, meine Freude am Essen, meine Liebe zur Literatur, zur Natur und zum Leben. Und er wurde von meiner Erfahrung bereichert. Karotten schälen und raspeln, Lauch und weiße Rüben für die Suppe kleinschneiden, Tomaten, Zucchini, Auberginen und Paprika füllen, Erbsen und Bohnen pulen, Salat waschen, Kartoffeln stampfen – all diese alltäglichen, einfachen und noblen Handlungen. Man hat sie mich gelehrt, und ich freue mich, sie meinen Kindern beibringen zu können.
Diese Freude daran, Wissen zu vermitteln, begegnete mir in der Universität des Geschmacks erneut. Meine Vorträge erheben nicht den Anspruch, gelehrt oder umfassend zu sein, doch sie spiegeln meinen Wunsch wider, die Teilnehmer, und jetzt auch die Leser, an den Geschichten verschiedener Gemüsesorten teilhaben zu lassen, die ich hier und da aufgelesen und auf meine Weise aufbereitet habe.1
«Die Salate, Lattiche und Endivien, erschlossen und noch feucht von dem Erdreich, zeigten ihren schimmernden Kern; die Spinat- und Sauerampferpakete, die Artischockensträuße, die Erbsen- und Bohnenhaufen, die Stöße von breitblätterigem Lattich, durch Strohhalme zusammengebunden, zeigten die ganze Stufenleiter des Grün, von der grünen Lackfarbe der Schoten angefangen bis zu dem satten Grün der Blätter; eine fortlaufende Farbenleiter, die in den Streifen der Sellerieköpfe und der Lauche erstarb. Aber unter den hellen Farben die hellsten waren doch die der Möhren und Rüben, die in überreicher Menge auf dem ganzen Markte ausgestreut, mit ihren hellen Streifen einen bunten Ton in diese Farbenpracht setzten. An der Wegkreuzung der Hallen bildeten die Kohlköpfe ganze Berge; die riesigen Weißkohlköpfe, eng zusammengeschlossen und hart wie Kugeln aus einem weißen Metall; die Krauskohlköpfe, deren große Blätter flachen Becken von Bronze glichen; die Rotkohlköpfe, denen die Morgenröte eine prächtige Weinhefefarbe verlieh, mit dunkleren Streifen von Karmin und Purpur. Am andern Ende war bei der Wegkreuzung des Sankt-Eustach-Platzes der Eingang der Rambuteau-Straße von einer Doppelreihe gelber Riesenkürbisse verlegt; da und dort schimmerte der braunrote Glanz eines Korbes voll Zwiebeln, das Blutrot eines Häufleins Tomaten, das Blaßgelb einer Partie Gurken, das Dunkelviolett eines Kranzes Eieräpfel, während einzelne Reihen großer schwarzer Rettiche dunkle Flecken inmitten aller Farbenfreude des anbrechenden Tages bildeten.»
Émile Zola, Der Bauch von Paris
«Gut zu essen,
gut zu denken»
Nahrung ist das Herz alles Lebendigen, angefangen bei der Luft, die wir atmen, bis zu den Lebensmitteln, die wir uns einverleiben. Die Nahrung erhält uns am Leben, sie verbindet uns aber auch mit unserer Umwelt, unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, unserer Epoche, unserem sozialen Status, kurz: mit den anderen. Claude Lévi-Strauss schreibt, dass «die Küche einer Gesellschaft eine Sprache ist, in der sie unbewusst ihre Struktur zum Ausdruck bringt, es sei denn, sie verschleiere, nicht minder unbewusst, ihre Widersprüche». Als Ausdruck und Prüfstein unserer Verhaltensweisen und Überzeugungen, unserer Mythen, unserer Organisationssysteme geht es beim Kochen nicht nur darum, «gut zu essen», sondern auch darum, «gut zu denken».
Sich nähren, essen ... «Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist», schreibt der Gastrosoph des 19. Jahrhunderts, Jean Anthelme Brillat-Savarin, zu Beginn seiner Physiologie des Geschmacks (1825). Aber sag mir, was du isst, und ich sage dir auch, welchen Bezug du zu deinen Nächsten hast, zur Natur, zur Kultur, zur Gesellschaft. Wenn wir uns nähren, wenden wir uns nicht nur an unsere körperliche Hülle (dünn, dick, zu dünn, zu dick), sondern auch an unser Gehirn, unsere Sinne, unsere Psyche. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das den Zwängen seiner Umgebung nicht unterworfen ist, sondern seine Nahrung anhand symbolischer anstatt bloß physiologischer Kriterien auswählen und dieser symbolischen Dimension auf Kosten seiner Gesundheit oder gar seines Lebens den Vorzug geben kann: Nahrungsmittel, reich an Mana, die Leben spenden, aber auch töten können; tabuisierte, totemistische Nahrungsmittel, deren Substanz man sich einverleibt; verbotene oder sakralisierte Rituale, vom jungen Hua aus Papua-Neuguinea, der, um schneller zu wachsen, ein rasch sprießendes Gemüse isst, bis zum Juden oder Moslem, der Schweinefleisch ablehnt, vom indischen Brahmanen, der das Fleisch einer Kuh nicht anrührt, bis zum Christen, der mit der Hostie symbolisch den Leib Christi zu sich nimmt. Die symbolische Dimension wohnt jedoch auch allen großen, durch Bräuche markierten Momenten des Lebens inne: Hochzeitsmahl oder Geburtstagsessen, Heilig-Abend- oder Silvestermenü, Leichenschmaus. Der Lebenspartner, die Freunde, das sind die Menschen, mit denen man das Brot teilt.
«Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.
Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.»
1. Mose 1, 29–30
Für die Ernährung interessieren sich heutzutage Anthropologen, Archäologen, Archäozoologen (die uns beispielsweise darüber aufklären, dass die Gallier entgegen verbreiteter Vorstellungen weniger Wildschwein als domestiziertes Rind und Pferd aßen), Historiker (durch das Studium der Tischsitten oder der Geschichte des Geschmacks und der Ernährung), Psychologen, Linguisten (Frage: Welches französische Wort hat denselben Ursprung wie «Pudding»?2), Geographen, Ökonomen, Soziologen, Botaniker, Mediziner, Biologen, Politiker.
Lange Zeit waren Landschaft, Klima und natürliche Ressourcen bestimmend für das kulinarische Schicksal einer Region oder eines Volkes. Aber auch Kriege und Migrationsbewegungen haben zum Wandel der Ernährungsgewohnheiten beigetragen, indem sie zur Einführung neuer, inzwischen nicht mehr wegzudenkender Gemüse führten: Man denke nur an die Kartoffel, die mit den zurückkehrenden Eroberern Südamerikas nach Europa gelangte, oder die von den Chinesen in Japan eingeführte Sojabohne.
Und vergessen wir nicht, dass Lebensmittelknappheit und Hungersnöte seit Urzeiten eine Begleiterscheinung der Menschheitsgeschichte waren. Es braucht nicht viel, damit eine Bevölkerung in die Unterernährung rutscht, ein Klimawandel, ein Krieg – den Stadtbewohnern in Europa ist der letzte noch nachdrücklich in Erinnerung, als Butter, Eier, Milch, Zucker, Fleisch, Kaffee, Gemüse Mangelware waren. Darfur, Äthiopien oder Somalia sind aktuelle Beispiele. Die Ernährung ist damit auch im Zentrum der Politik angesiedelt und spielt hinein in Fragen der nachhaltigen Entwicklung, des Umweltschutzes, des Nord-Süd-Konflikts oder der Genmanipulation bei Lebensmitteln – ein Zusammenhang, der sich zweifelsohne noch verstärken wird.
Und schließlich, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, die soziale Abgrenzung, die «Distinktion»: Sie manifestiert sich womöglich nirgends so konstant wie in den Ernährungsgewohnheiten, angefangen bei den Tischsitten über die Nahrungsmittel selbst bis hin zu ihrer Zubereitung. Hier hat die Globalisierung nicht zu Gleichheit geführt. Sicher, man isst heutzutage besser, und China beispielsweise hat es geschafft, seine notorische Knappheit zu überwinden und zu einer Kost zu finden, dank derer Kinder und Jugendliche in den letzten dreißig Jahren im Durchschnitt um sechs Zentimeter größer wurden. Doch überall, und am auffallendsten in den Industrienationen, bestehen die Unterschiede in den Ernährungsgewohnheiten fort und sind sogar noch deutlicher hervorgetreten. Von den Fertigmenüs auf Langstreckenflügen zum «Gourmet»-Sortiment von Supermärkten – nicht jeder speist erster Klasse. Auf der einen Seite die feine Küche, auf der anderen das, was man im Alltag auf die Schnelle so vor sich hin futtert. Sich als Feinschmecker zu bezeichnen ist bereits ein Ausdruck von Klassenzugehörigkeit. Was ist die Gastronomie anderes als das Ergebnis eines im 19. Jahrhundert entstandenen Zusammenwirkens von Vertretern der schreibenden Zunft und solchen der Ernährungsbranche mit dem Ziel, dem Großbürgertum Zugang zu einer Kochkunst zu verschaffen, die bis dahin dem Adel vorbehalten war ? Was nicht heißt, dass man in der unteren Mittelschicht oder der Arbeiterklasse weniger gut isst, sondern nur, dass man anders isst, und vor allem, dass man anders darüber spricht. Um das zu erkennen, genügt ein Blick auf die Speisekarten der Restaurants.
Und weil uns das Gemüse mit der Erde verbindet, Mutter Erde, wie sie schon in der Antike hieß, nimmt es einen besonderen Platz in der Geschichte der Ernährung wie auch in unserer Phantasie, unseren Mythen, unseren Bräuchen und unserem familiären Erbe ein. Lange Zeit war das Gemüse, wenn schon nicht unsere Ernährungsgrundlage – die bildet das Getreide –, so doch ihr zentrales Element. Pflanzen, die man pflückt und sammelt – wie heute noch den Löwenzahn auf den Wiesen, Pilze im Wald oder Brombeeren am Wegesrand – sind etwas Zuverlässiges, sie sichern das Überleben, wenn man sonst nichts hat. Sie stehen am Anbeginn der Menschheit, bilden die Urform sozialer Organisation, den Übergang vom Rohen zum Gekochten, von der Natur zur Kultur, vom Sammeln zum Anbau: So wie die Menschen die Tiere domestizierten, haben sie auch das Gemüse gezähmt, indem sie bestimmte Pflanzen auswählten und deren Wirkung auf den menschlichen Körper beobachteten. Die Pflanzen, Getreide, Kräuter, Wurzeln folgen der Sesshaftigkeit auf dem Fuße: Wer etwas anbauen will, muss lange genug bleiben, um es zu säen, wachsen zu lassen und zu ernten.
Gemüse unterliegt, wie alles, was kultiviert wird, der Zeit, der Geduld, dem Rhythmus der Jahreszeiten. Der Gärtner weiß das aus Erfahrung, und diese Erfahrung wird zum Symbol der menschlichen Existenz, wie die Passage aus dem Alten Testament unterstreicht: «Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit.» (Prediger 3,2)
Frühjahrsgemüse, Sommergemüse, Herbstgemüse, Wintergemüse. So wie eine Schwangerschaft neun Monate braucht, benötigen auch ein Kohl oder eine Tomate eine bestimmte Zeit zum Wachsen und Reifen. Die Chemie hat die Voraussetzungen verändert, und es ist kein Zufall, dass unsere geschwindigkeits-, leistungs- und konsumorientierte Gesellschaft danach strebt, schneller wachsendes, größeres, perfekteres, genormteres Gemüse hervorzubringen, rötere Tomaten, grüneren Salat und weißeren Chicorée als in der Natur vorgesehen. Die Kultur übertrumpft die Natur.
Napoleon III. war höchst angetan, dass seine Erbsen dank der Eisenbahn ganz frisch in Paris eintreffen konnten. So erzählt das Gemüse auch von der Dimension des Raums. Der Raum des Gemüsegartens: schnurgerade angelegte Beete, makellose Geometrie, Ordnung in Reih und Glied, sorgfältige räumliche Ökonomie. Aber auch ein sozialer Raum: Wettstreit oder gar Rivalität zwischen Dörfern oder aber Austausch von Samen, Rezepten, Produkten, Überlieferung von einer Generation zur nächsten. Was passiert, wenn die Kette abreißt ? Sorten gehen verloren, manchmal ganze Arten. Der Gegensatz zwischen ländlichem und städtischem Raum etabliert sich und gewinnt zu Kriegszeiten an Schärfe und Dramatik. Im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel ernährt sich die Stadtbevölkerung von Topinambur oder Steckrüben, weil Kartoffeln zum unerreichbaren Luxus geworden sind. Surreal anmutende Gemüsegärten finden sich im zerbombten Berlin von 1945, wo Frauen in ausgebrannten Wohnungen ohne Fenster und Türen Gemüse pflanzen, um nicht zu verhungern. So verkörpert das Gemüse die Revanche des Lebens über den Tod, den Triumph der Frische über das Verrottete, den Sieg des Ländlichen über das Urbane.
«Am Ende des Laubenganges, bei der Gipsdame, stand eine Art Hütte aus Lattenholz. Dort verwahrte Pécuchet seine Geräte und verbrachte darin köstliche Stunden mit dem Verlesen der Sämereien, dem Schreiben von Etiketten und dem Ordnen seiner Blumentöpfe. Um sich auszuruhen, setzte er sich auf eine Kiste vor der Tür; dann träumte er von Verschönerungen.
Am Fuße der Freitreppe hatte er zwei eingefaßte Beete mit Geranien angelegt; zwischen den Zypressen und den pyramidenförmig zugestutzten Obstbäumen pflanzte er Sonnenblumen; und da die Beete mit Butterblumen übersät und alle Wege mit frischem Sand bestreut waren, blendete der Garten in einer Überfülle gelber Farben.
Doch das Mistbeet wimmelte von Larven; trotz der neuen Düngung mit Laub gedieh unter den gestrichenen Rahmen und beschmierten Scheiben nur ein kümmerlicher Pflanzenwuchs. Die Stecklinge wuchsen nicht an, die Pfropfreiser lösten sich wieder, in den Senkern stockte der Saft, und die Bäume schimmelten an der Wurzel; die Samenbeete waren ein wahrer Jammer. Der Wind machte sich einen Spaß daraus, die Bohnenstangen umzuwerfen. Das Übermaß an Abortdünger schadete den Erdbeerpflanzen, und die Tomaten litten unter dem Mangel an Beschneidung.
Desgleichen mißlang ihm der Rosenkohl, ebenso die Auberginen, die Kohlrüben und die Brunnenkresse, die er in einem Kübel hatte ziehen wollen. Als das Tauwetter vorüber war, waren die Artischocken sämtlich dahin. Sein einziger Trost blieben die Kohlköpfe. Einer besonders machte ihm Hoffnungen. Er ging auf, schoß in die Höhe, entwickelte sich schließlich zu einem wahren Naturwunder und war vollkommen ungenießbar. Gleichviel: Pécuchet war hoch erfreut, daß er ein solches Ungeheuer besaß.»
Gustave Flaubert, Bouvard und Pécuchet
Das Gemüse ist aber auch das Los der Armen in der Sozialgeschichte der Ernährung. Im 17. Jahrhundert beschreibt Jean de La Bruyère in seinen Sittengemälden die Bauern als wilde Tiere, die «des Abends in elende Hütten [kriechen], wo sie von schwarzem Brot, Wasser und Wurzeln leben». Getreide in jedweder Form bildete die Nahrungsgrundlage der Armen und war zugleich Inbegriff der Armut, während Fleisch über lange Zeit ein Zeichen von Wohlstand und Luxus war. Dem Gemüse – sofern es sich um Blattgemüse und nicht um Hülsenfrüchte handelte – haftete der Beigeschmack an, nicht nahrhaft zu sein. Im Gegensatz zu Getreide sättigt es nicht. Lange Zeit blieb es das Stiefkind der Gastronomie: Es war zweitrangig, bloßes Beiwerk, man serviert es als Zwischengang oder als Beilage, es dient als Garnitur für Fleisch, Wild oder Fisch, rundet diese ab und bringt sie zur Geltung, bleibt aber selbst bloße Dekoration. Grimod de La Reynière, der Autor des Almanach des gourmands (1803), hält fest: «Denn ein Mann, der wirklich des Titels eines Feinschmeckers würdig ist, betrachtet Gemüse und Obst immer nur als Mittel zum Zähnereinigen und Mundspülen, nicht aber als Erzeugnisse, die befähigt wären, einen starken Appetit zu stillen.» Gemüse ist kein edles Nahrungsmittel, sondern von schlichter, buchstäblich bodenständiger Natur. Deshalb ist es wohl auch in der Dichtung und der Kunst (mit Ausnahme des Stilllebens) weit weniger prominent vertreten als Früchte, Blumen und Bäume. Gedichte sind ihm kaum gewidmet, stattdessen aber die gute alte Fabel, die Odelette (kleine Ode), sowie die Burleske, wie etwa in Ronsards Gedicht «Der Salat».
Wasch deine Hände blank und sauber frisch,
Und folge mir: bring auch ein Tüchlein mit:
Wir wollen Kräuter zum Salat uns pflücken,
Und was die Jahreszeit bringt, soll uns behagen.
Mit ziellos schwanken Schritten und den Blick
Bald hier, bald dorthin allenthalben lenkend,