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Die Traumfängerin

Helle Liebe, dunkle Träume: Ein fesselnder Roman von Nora Roberts über die geheimnisvolle Welt des Paranormalen!

Liebe? Lieber nicht! denkt die junge Künstleragentin Aurora Fields. Doch der smarte Dokumentarfilmer David Brady macht ihr einen Strich durch die Rechnung: Für ein Filmprojekt will er ihre Klientin Clarissa DeBasse interviewen. Aurora muss Clarissa vor allzu neugierigen Fragen schützen - und gerät plötzlich selbst ins Visier des attraktiven Filmemachers. Denn David scheint entschlossen, sie zu erobern! Und damit gerät Auroras bestgehütetes Geheimnis in Gefahr. Denn je stärker die Emotionen werden, desto unbezähmbarer ist ihre Gabe: Amely besitzt das Zweite Gesicht, kann in die Zukunft schauen und hat Träume und Visionen, die ihr mehr verraten, als gut für sie ist …


  • Erscheinungstag: 26.08.2018
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769413
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Er hatte eine schimmernde Kristallkugel erwartet, Pentagramme und Kaffeesatz, und auch unzählige Leuchter mit flackernden Kerzen und Räucherstäbchen hätten ihn nicht überrascht. Denn obwohl er es niemals zugeben würde – genau so stellte er es sich bei einer Wahrsagerin vor.

Als Produzent von Dokumentarfilmen zählten für David Brady eigentlich nur harte Fakten und akribische Recherchen. Jede Reportage, die er an einen Fernsehsender verkaufte, war von allen Seiten beleuchtet und mehrfach überprüft worden, um unanfechtbar und wasserdicht zu sein. Einzig und allein Tatsachen hatten Bedeutung in seinem Tagesgeschäft, und gerade deshalb freute er sich auf das Treffen mit dieser Hellseherin. Endlich einmal etwas anderes als nüchterne Drehbücher, Ablaufpläne und Finanzierungen.

Doch die Frau, die ihm die Tür des hübschen Bungalows in Newport Beach öffnete, hätte er eher bei einer Runde Bridge erwartet als bei einer Séance. Sie trug nicht einmal einen Turban. Ohne sich die Ernüchterung anmerken zu lassen, trat David näher. Er nahm einen angenehm leichten Duft nach Flieder und Puder wahr, keineswegs den schweren Geruch von Moschus und geheimnisvollen Kräutermixturen. So schnell wollte er die Hoffnung aber nicht aufgeben. Vielleicht war sie ja nur die Haushälterin.

„Hallo.“ Sie reichte ihm eine schmale, gepflegte Hand und lächelte ihn offenherzig an. „Ich bin Clarissa DeBasse. Sie sind sehr pünktlich, Mr Brady. Treten Sie ein.“

„Miss DeBasse!“ In Sekundenschnelle begrub David seine unerfüllten Erwartungen und ergriff die dargebotene Hand. Schließlich hatte er sich lange genug mit übersinnlichen Fähigkeiten auseinandergesetzt, um zu wissen, dass sich bei vielen Menschen dieses Talent hinter einer normalen, gutbürgerlichen Fassade verbarg. „Woher wussten Sie, wer ich bin? Hat Ihre Kristallkugel es Ihnen verraten?“

In dem kurzen Augenblick, während ihre Hände sich berührten, konzentrierte sich Clarissa auf die Aura des Mannes, der vor ihr stand. Sie ließ die Eindrücke auf sich wirken, um sie später in Ruhe einordnen zu können. Doch eines spürte sie sofort: Er war ein Mensch, dem sie vertrauen und auf den sie sich verlassen konnte. Das genügte für den Moment. „Natürlich könnte ich Ihnen jetzt etwas von Vorahnungen erzählen“, entgegnete sie lachend. „Tatsächlich aber ist es simple Logik. Ich habe Sie um halb zwei erwartet.“ Um ehrlich zu sein, hatte ihre Agentin sie angerufen und sie an die Verabredung erinnert, sonst hätte sie jetzt noch bis zu den Knien in ihren Gemüsebeeten gesteckt. „Natürlich ist es auch möglich, dass Sie Vertreter für Bürsten und Besen sind und nur zufällig gerade jetzt hier auftauchen. Aber ich vermute, dass Sie Verträge und andere Unterlagen in Ihrer Aktentasche haben. Und ich muss auch nicht hellsehen, um zu ahnen, dass Sie nach der langen Fahrt von Los Angeles hierher gern einen Kaffee hätten.“

„Da haben Sie recht“, erwiderte David und folgte ihr in das gemütliche Wohnzimmer mit blauen Vorhängen und einem breiten, merklich durchgesessenen Sofa.

„Setzen Sie sich, Mr Brady. Der Kaffee ist schon fertig.“

Da die Couch nicht gerade vertrauenerweckend aussah, nahm David lieber in einem der Sessel Platz. Clarissa schenkte Kaffee in zwei nicht zueinanderpassende Porzellanbecher, bot Milch und Zucker an und setzte sich dann entspannt ihm gegenüber. Diskret, aber dennoch genau beobachtete David sie. Er legte großen Wert auf den ersten Eindruck. Clarissa DeBasse wirkte wie jedermanns Lieblingstante: Sie war eine gepflegte, ein wenig rundliche Erscheinung. Ihr Gesicht war weich und hübsch und, obwohl sie die fünfzig schon überschritten hatte, fast faltenlos. Ihr blondes Haar war modisch geschnitten und zeigte keine Spur von Grau, was, wie David vermutete, ihrem Friseur zu verdanken war. Ein bisschen Eitelkeit schadet nicht, dachte er. Als sie ihm jetzt den Becher mit dampfendem Kaffee reichte, bemerkte er die zahlreichen Ringe an ihren Fingern. Wenigstens ein Klischee seiner Vorstellung, das sie erfüllte, stellte er schmunzelnd fest.

„Miss DeBasse, Sie entsprechen absolut nicht meinen Erwartungen“, gab er freimütig zu, während er dankend die Tasse annahm.

Äußerst zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück. „Lassen Sie mich raten: Sie hatten gehofft, ich würde Sie mit einer Kristallkugel in der Hand und einem Raben auf der Schulter empfangen.“

Die unverhohlene Belustigung in ihren Augen wäre manchem Besucher peinlich gewesen. Doch David grinste nur. „So in der Art“, gestand er ungerührt. Er nippte an seinem Kaffee und widerstand dem Impuls, sich zu schütteln. Das Gebräu war heiß. Das war aber auch schon das einzig Positive, was man darüber sagen konnte. „In den vergangenen Wochen habe ich einiges über Sie gelesen. Und ich habe mir Ihren Auftritt in der Barrow Show angesehen. Ihr Erscheinungsbild vor der Kamera ist …“, kurz suchte er nach einem passenden Wort, das nicht verletzend wirkte, „… völlig anders als in Wirklichkeit.“

„Tja, so ist das Showgeschäft“, erwiderte sie so leichthin, dass er sich fragte, ob ihre Antwort sarkastisch gemeint sei. Aber sie sah ihn weiterhin freundlich und offen an. „Normalerweise trenne ich Geschäft und Privatleben sehr genau. Doch nachdem Sie mich überzeugt hatten, dass ein persönliches Gespräch unvermeidlich ist, habe ich mir gedacht, Sie sollten die wirkliche Clarissa DeBasse kennenlernen.“ Als sie lächelte, entdeckte er kleine Grübchen auf ihren Wangen. „Nun habe ich Sie enttäuscht.“

„Nein, keineswegs!“, beeilte er sich zu versichern. Und er meinte es auch so. „Miss DeBasse …“ Behutsam stellte er die Tasse ab. Seine Höflichkeit ging nicht so weit, diesen Kaffee auszutrinken.

„Clarissa“, bot sie mit einem warmen Lächeln an, das er sofort erwiderte.

„Clarissa, ich möchte ehrlich zu Ihnen sein.“

„Ehrlichkeit ist immer die beste Basis“, stimmte sie mit ernster Stimme zu und beugte sich erwartungsvoll vor.

Das fast kindliche Vertrauen in ihren Augen brachte ihn für einen Moment aus dem Konzept. Falls sie eine habgierige und zielstrebige Verhandlungspartnerin war, wusste sie das geschickt zu verbergen. „Ich bin ein sehr nüchterner Mensch. Übersinnliche Phänomene, Wahrsagen, Telepathie und ähnliche Dinge gehören nicht zu meinem täglichen Leben.“

Voller Verständnis schaute sie ihn an. Sie gab nicht preis, was sie tatsächlich von seinem Geständnis hielt. Unruhig rutschte David auf seinem Stuhl hin und her. „Von der Serie über Parapsychologie, die wir planen, versprechen wir uns hauptsächlich einen Unterhaltungswert für unsere Zuschauer.“

„Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen.“ Kaum merklich hob sie die Hand und ließ eine schwarze Katze auf ihren Schoß springen, die sich dort behaglich ankuschelte. Ohne sie anzusehen, streichelte Clarissa ihr seidiges Fell. „Wissen Sie, David, mir ist klar, dass viele Menschen von diesem Thema fasziniert sind und gleichzeitig an dem Wahrheitsgehalt zweifeln. Schließlich bin ich nicht weltfremd.“ Ruhig und konzentriert sah sie ihn an, während sie weiterhin die Katze kraulte. „Ich bin ein ganz normaler Mensch, dem einfach eine besondere Gabe geschenkt wurde. Und damit verbunden ist auch eine große Verantwortung.“

„Verantwortung?“, wiederholte er erstaunt. Ruhelos suchte er in seiner Jackentasche nach Zigaretten, bis ihm auffiel, dass kein Aschenbecher auf dem Tisch stand.

„Ja, natürlich“, erwiderte sie. Gleichzeitig zog sie eine Schublade unter dem Tisch auf und nahm eine kleine Schale heraus. „Benutzen Sie das hier für Ihre Zigaretten“, sagte sie nebenbei, ehe sie fortfuhr: „Diese Begabung ist ähnlich wie ein … Werkzeugkasten. Ein Junge, der Hammer, Nägel und Säge geschenkt bekommt, kann damit ganz unterschiedliche Sachen anstellen. Er kann Dinge bauen oder reparieren. Vielleicht sägt er aber auch die Tischbeine ab. Oder er legt das Werkzeug in den hintersten Winkel seines Zimmers und vergisst es ganz einfach. Viele von uns tun genau das mit ihrem außergewöhnlichen Talent, weil sie Angst haben. Ist Ihnen schon einmal etwas Übernatürliches geschehen?“

Er zündete sich eine Zigarette an. „Nein.“

„Niemals?“ Aus jahrelanger Erfahrung kannte sie diese eindeutige, abwehrende Antwort. „Hatten Sie noch nie ein Déjàvu? Das Gefühl, eine Situation zu erleben, die Sie genau so schon einmal durchgemacht haben?“

Gespannt sah er sie einen Moment lang schweigend an, bevor er antwortete: „Vermutlich hat jeder schon einmal dieses Gefühl gehabt. Doch das lässt sich sicherlich logisch erklären.“

„Vielleicht. Zum Beispiel mit Intuition.“

„Würden Sie sagen, eine spontane Eingebung ist eine besondere Gabe?“

„Selbstverständlich!“ Vor Begeisterung strahlte sie übers ganze Gesicht, und ihre Augen wirkten jung und lebhaft. „Natürlich kommt es darauf an, wie man mit diesem Gespür umgeht, wie man es entwickelt und in welche Bahnen es gelenkt wird. Die meisten Menschen nutzen nur einen Bruchteil ihrer übernatürlichen Begabung, weil sie den Kopf dafür nicht frei haben.“

„War es ein Impuls, der Sie zu Matthew Van Camp geführt hat?“

„Nein“, entgegnete sie knapp.

Ihre fast feindselige Reaktion verblüffte ihn. Schließlich war es der Fall Van Camp gewesen, der sie in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte. Deshalb hatte David erwartet, sie werde ihm ausführlich und gern von diesem Ereignis erzählen. Tatsächlich aber schien ihr die Erwähnung des Namens eher unangenehm zu sein; plötzlich schien sie verschlossen und unnahbar. Nachdenklich zog er an der Zigarette und bemerkte, dass die Katze ihn unentwegt ansah. „Clarissa, der Fall Van Camp liegt zwar schon zehn Jahre zurück, und doch werden Sie gerade mit dieser Geschichte immer wieder in Zusammenhang gebracht.“

„Das stimmt. Matthew ist mittlerweile zwanzig und hat sich zu einem ausgesprochen netten jungen Mann entwickelt.“

„Noch immer sind viele Menschen überzeugt, dass Sie Matthews Leben gerettet haben. Wenn Mrs Van Camp ihren Mann und die Polizei nicht hätte überzeugen können, Sie einzuschalten, wäre diese Entführung vielleicht nicht so glimpflich ausgegangen.“

„Mindestens genauso viele allerdings glauben, dass der Fall nur für die Öffentlichkeit inszeniert worden sei“, sagte sie ruhig, während sie einen Schluck Kaffee nahm. „Alice Van Camps nächster Film war ein Kassenschlager. Haben Sie ihn gesehen? Er war großartig.“

So schnell ließ sich David nicht ablenken. „Clarissa, wenn Sie an meiner neuen Dokumentation mitwirken, dann werden Sie auch über den Fall Van Camp sprechen müssen. Das wird von Ihnen erwartet.“

Verärgert runzelte sie die Stirn und tat so, als beschäftige sie sich intensiv mit der Katze. „Ich weiß nicht, ob ich Ihre Erwartungen in diesem Punkt erfüllen kann, David. Es war ein äußerst traumatisches Erlebnis für die Familie. All die Ereignisse wieder aufzuwärmen könnte sehr schmerzhaft für die Van Camps sein.“

Sein jahrelanger Erfolg beruhte auch darauf, zu wissen, wann er verhandeln musste. „Und wenn die Van Camps zustimmen?“

„Nun, das wäre natürlich etwas anderes.“ Nachdenklich schwieg sie, und in der Stille hörte er das wohlige Schnurren der Katze. „Ja, ich denke, dann würde ich mitmachen“, beschloss sie schließlich. „Wissen Sie, David, ich bewundere Ihre Arbeit. Ihr Film über misshandelte Kinder war ergreifend. Das Schicksal dieser jungen Menschen hat mich erschüttert.“

„So sollte er auch wirken.“

Am liebsten hätte sie ihm erklärt, dass ein Großteil dessen, was in der Welt geschah, erschütternd war. Doch sie befürchtete, er würde sie nicht verstehen. „Was versprechen Sie sich von der geplanten Dokumentation über übersinnliche Phänomene?“, erkundigte sie sich deshalb.

„Eine gute Show. Begeisterte Zuschauer. Hervorragende Einschaltquoten.“ Als er sie lächeln sah, wusste er, dass es richtig gewesen war, die Wahrheit zu sagen. „Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, ob es mehr gibt, als unser Verstand begreift. Die Telefone sollen heiß laufen nach der Sendung.“

„Wie wollen Sie das erreichen?“

Er drückte seine Zigarette aus. „Der Erfolg hängt zu einem großen Teil von Ihnen ab und davon, wie weit Sie sich – um es so zu sagen – in die Karten schauen lassen. Ich bin nur der Produzent.“

Seine entwaffnend ehrliche Antwort schien sie zu überzeugen. „Ich mag Sie, David. Und ich werde daran mitarbeiten, dass die Sendung alle Erwartungen übertrifft.“

„Das freut mich. Wenn Sie sich den Vertrag jetzt durchlesen möchten und …“

„Nicht nötig“, unterbrach sie ihn. „Darum wird sich meine Agentin kümmern. Ich habe für solche Details wenig Sinn.“

„Gut.“ Ihm war sehr viel wohler bei dem Gedanken, den Vertrag mit einer professionellen Agentin zu besprechen. „Dann werde ich ihr die Papiere zuschicken. Mit wem arbeiten Sie zusammen?“

„Fields Agency, Los Angeles.“

Einmal mehr überraschte sie ihn. Diese freundliche, fast ein wenig naiv wirkende Dame ließ sich von der einflussreichsten Agentur der Westküste vertreten, die für ihre harten Verhandlungen bekannt war. „Die Unterlagen werden heute noch zur Post gebracht. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit, Clarissa.“

„Zeigen Sie mir Ihre Hand“, bat sie.

Verblüfft sah er sie an. Nun, warum sollte er ihr den Gefallen nicht tun? Folgsam streckte er die Hand aus. „Werde ich demnächst eine Weltreise machen?“, erkundigte er sich amüsiert.

Doch sie reagierte nicht auf seine Bemerkung. Stattdessen betrachtete sie voller Konzentration seine Handinnenfläche. Ganz plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, sie wirkte wie entrückt, wie in einer anderen Welt.

Vor sich sah sie einen attraktiven Mann Anfang dreißig, elegant gekleidet und auf eine düstere Art unnahbar. Sein Gesicht war markant, mit hohen Wangenknochen und hellen grünen Augen, die kühl und eindringlich wirkten. David Brady hatte lange, kräftige Finger. Seine Hand war muskulös und zeugte davon, dass er viel Sport trieb. Aber Clarissa sah noch mehr. „Sie sind ein sehr aktiver, starker Mann, sowohl körperlich als auch geistig und emotional“, stellte sie fest.

„Vielen Dank für das Kompliment.“

„Es liegt mir fern, Ihnen zu schmeicheln, David“, wies sie ihn freundlich, aber bestimmt zurecht. „Sie haben niemals gelernt, Ihre Kraft zu bändigen. Deshalb preschen Sie manchmal viel zu sehr vor. Gleichzeitig lassen Sie keine Nähe zu, besonders in Liebesdingen. Ich schätze, das ist der Grund, warum Sie niemals geheiratet haben.“

Widerstrebend musste er zugeben, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Aber eigentlich war das nicht schwer zu erraten gewesen, schließlich trug er keinen Ring. Und möglicherweise hatte sie sich im Vorfeld über ihn erkundigt. „Vermutlich bin ich nie der richtigen Frau begegnet.“

„Vollkommen richtig. Sie brauchen jemanden, der Ihnen ebenbürtig ist. Eine Frau, die Ihrem starken Willen etwas entgegenzusetzen hat. Aber Sie werden diese Frau finden. Eher als Sie denken. Es wird nicht einfach, und Sie werden nur eine Zukunft mit dieser Frau haben, wenn Sie beide behutsam miteinander umgehen und sich nicht verletzen.“

„Dann werde ich also bald glücklich und zufrieden mit der Frau meiner Träume zusammenleben?“

„Ich sage niemals die weitere Zukunft voraus.“ Unbeirrt sah sie ihn an. „Und ich lese grundsätzlich nur Menschen die Hand, die mich interessieren. Soll ich Ihnen verraten, was meine Intuition mir noch sagt, David?“

„Unbedingt.“

„Sie und ich werden eine lange und spannende Geschäftsbeziehung eingehen.“ Noch einen kurzen Moment hielt sie seine Hand. „Und ich werde sie sehr genießen.“

„Das geht mir ebenso.“ David stand auf. „Bis bald, Clarissa.“

„Such dir einen anderen Platz, Mordred.“ Mit einem sanften Klaps scheuchte Clarissa die Katze auf und erhob sich ebenfalls.

„Mordred?“ Irritiert sah David sie an.

„Der Name eines Helden aus einer uralten Geschichte“, erklärte sie. „Das Schicksal hat es nicht gut mit ihm gemeint. Aber wir alle können schließlich unserer Bestimmung nicht entfliehen, nicht wahr?“

Erneut fühlte David ihren durchdringenden, rätselhaften Blick auf sich ruhen. „Nein, wahrscheinlich nicht“, murmelte er verwirrt und folgte ihr zur Tür.

„Unser Gespräch hat mir sehr gefallen, David. Kommen Sie mal wieder vorbei!“

Als er aus dem Haus trat, hatte David das sichere Gefühl, dass er schon sehr bald hierher zurück kehren würde. „Selbstverständlich ist er ein hervorragender Produzent, Abe. Ich bin nur nicht sicher, ob er der Richtige für Clarissa ist.“

Unruhig schritt A. J. Fields in ihrem Büro auf und ab, ein sicheres Zeichen dafür, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren. An einem Bild hielt sie kurz inne, um es gerade zu hängen, und wandte sich dann wieder ihrem Kollegen zu.

Abe Ebbitt saß entspannt zurückgelehnt in seinem Chefsessel, die Hände über dem Bauch gefaltet. Er machte sich nicht einmal die Mühe, seine Brille, die ständig hinunterrutschte, wieder an ihren Platz zu schieben, sodass er jetzt über den Rand der Gläser schauen musste. Geduldig verfolgte er A. J. mit seinem Blick, dann strich er mit einer kurzen Handbewegung seinen ungebändigten Haarkranz glatt, der stets an beiden Seiten von seinem Kopf abstand.

„A. J., das Angebot ist unglaublich großzügig.“

„Aber sie braucht das Geld nicht.“

Eine solche Aussage ging gegen seine Ehre. Schließlich hatten sie den Ruf als eine der besten Agenturen des Landes, und die Vermittlung war ihr Geschäft. Dennoch blieb er ganz ruhig. „Es wird sie in ganz Amerika berühmt machen.“

„Hat sie das nötig?“

„Du solltest aufhören, Clarissa ständig beschützen zu wollen, A. J.“

„Aber genau deshalb bin ich hier“, stellte sie fest. Abrupt hielt sie auf ihrer Wanderung durch das Büro inne und setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches. Stirnrunzelnd sah sie Abe an.

Seufzend gab er auf, denn er wusste, dass sie ihm schon aus Prinzip widersprach, wenn sie in dieser gereizten Stimmung war. Er respektierte und bewunderte sie, nur aus diesem Grund arbeitete er für die Fields Agency. Abe Ebbitt war in der Branche hoch geachtet, seit Jahrzehnten war er als Agent in Hollywood bekannt und hätte zweifellos auch mit einer eigenen Agentur großen Erfolg gehabt. Zudem hatte er auch kein Problem damit, dass A. J. die Chefin war, obwohl er dem Alter nach ihr Vater sein könnte. Wer wirklich gut in seinem Job ist, muss andere Profis nicht fürchten, das war sein Lieblingsspruch.

Erneut lehnte er sich zurück und wartete ab. Eine Minute verging, dann eine zweite.

„Sie hat sich in den Kopf gesetzt, mit ihm zu arbeiten“, murrte A. J. schließlich, doch Abe blieb weiterhin still. „Es ist nur, ich …“ Ich habe ein ungutes Gefühl, führte sie den Satz in Gedanken fort, sprach ihn allerdings nicht laut aus. Sie hasste solche Redensarten. „Ich hoffe nur, sie macht keinen Fehler. Wenn die Sendung nicht genau auf sie zugeschnitten ist, kann sie sich ganz schnell zum Narren machen. Das möchte ich vermeiden, Abe.“

„Du solltest Clarissa vertrauen. Sie schafft das schon.“ Endlich schob er seine Brille hoch. „Und du bist lange genug im Geschäft, um dich nicht von deinen Gefühlen leiten zu lassen“, setzte er dann hinzu.

„Ja, du hast recht.“ Schließlich war das der Grund, warum sie zu den Besten der Branche gehörte. Schon vor Jahren hatte sie gelernt, ihre Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Das war notwendig gewesen – mehr noch, überlebenswichtig. Ihr Vater war gestorben, als sie noch ein Kind war, und ihre Mutter hatte die selbstverständlichsten Dinge vergessen. Wenn man schon als kleines Mädchen an Kreditzahlungen denken musste, lernte man früh, sich im Geschäftsleben zu behaupten. Sie war Agentin geworden, weil sie es genoss, zu verhandeln und den besten Preis zu erzielen. Und sie war, das konnte sie ohne falsche Bescheidenheit sagen, ausgesprochen gut darin. Ihr Büro im Herzen von Los Angeles, von dem man einen weiten Blick über die Stadt hatte, zeugte von ihrem Erfolg.

„Ich werde mich heute Nachmittag mit Brady treffen“, beschloss sie.

Abe bemerkte ihren siegessicheren Gesichtsausdruck und schmunzelte. „Wie hoch willst du den Preis treiben?“

„Zehn Prozent mehr sollten noch möglich sein.“ Gedankenverloren nahm sie einen Stift von ihrem Schreibtisch und trommelte damit gegen ihren Handballen. „Aber vorher werde ich herausfinden, worum es in dieser Dokumentation genau geht – und auf welche Fallen Clarissa gefasst sein muss.“

„Man sagt, dieser Brady sei ein harter Brocken“, wandte er ein.

Sie schenkte ihm ein bittersüßes Lächeln, während ihre Augen vor Kampfgeist blitzten. „Das bin ich auch.“

„Der arme Kerl wird keine Chance haben gegen dich.“ Ächzend stemmte Abe sich aus seinem Sessel hoch. „Ich habe eine Besprechung. Halte mich auf dem Laufenden.“

„Natürlich.“ Als er die Tür hinter sich schloss, war sie bereits tief in Gedanken versunken.

David Brady. Er hatte einen guten Ruf in der Branche, und das machte ihre Entscheidung nicht einfacher. Normalerweise würde A. J. jedem Mandanten empfehlen, den Vertrag zu unterschreiben, denn die Gage war tatsächlich ausgesprochen großzügig. Doch Clarissa war ein ganz besonderer Fall. In A. J.s ersten mageren Jahren der Selbstständigkeit war Clarissa DeBasse ihre erste und einzige Klientin gewesen. Damals hatte sie noch keine gut gehen de Agentur mit fünfzehn Angestellten gehabt, sondern nur ein Mobiltelefon und einen warmen Platz in einem Café. Sie war achtzehn Jahre alt gewesen, und niemand hatte ihr zugetraut, als Agentin erfolgreich zu sein. Niemand außer Clarissa. Kein Wunder, dass A. J. das Gefühl hatte, sie besonders gut beraten zu müssen. Zweifellos war David Brady ein namhafter Produzent. Trotzdem würde er A. J. erst von seinen ehrlichen Absichten überzeugen müssen, bevor Clarissa den Vertrag unterschrieb.

Seufzend massierte sie ihren verspannten Nacken. Clarissa ging mit traumwandlerischer Sicherheit durchs Leben, sie kümmerte sich nicht um Verträge, Anfragen und Gagen, sondern verließ sich blind auf A. J. und deren Verhandlungsgeschick.

A. J. war daran gewöhnt, dass sich andere Menschen auf sie verließen. Schon als kleines Mädchen hatte sie Verantwortung für ihre Mutter übernommen. Sie war eine liebevolle, warmherzige Frau, aber unfähig, die Dinge des Alltags zu organisieren. Oft war es A. J. so vorgekommen, als hätten sie die Rollen getauscht. Nicht sie, sondern ihre Mutter hatte streunende Hunde auf der Straße aufgelesen und voller Begeisterung heimgebracht, während A. J. sich fragte, wie sie das Hundefutter bezahlen sollten. Dennoch liebte sie ihre Mutter und hatte immer gewusst, dass diese sie niemals im Stich lassen würde.

Manchmal fragte sich A. J., ob sie selbst anders geworden wäre, wenn ihre Mutter anders gewesen wäre. Konnte man die Vorsehung in diesem Punkt überlisten? A. J. musste über sich selbst lachen. Es wäre spannend, das mit Clarissa zu diskutieren, dachte sie.

Sie reckte sich und stand auf, um sich in dem weitaus bequemeren Sessel niederzulassen. Er war riesig und unpraktisch. Doch sie hing an ihm, denn er war ein Geschenk ihrer Mutter. Sie hatte dieses Ungetüm aus kornblumenblauem Leder eines Tages angeschleppt, mit der Begründung, der Bezug habe dieselbe Farbe wie die Augen ihrer Tochter.

A. J. riss sich zusammen und konzentrierte sich auf Clarissas Vertrag. Schließlich war sie hier, um zu arbeiten, und nicht, um sich in Kindheitserinnerungen zu verlieren.

Wie diszipliniert A. J. war, bewies ein Blick auf ihren ordentlichen Schreibtisch. Kein Bilderrahmen, kein hübscher Briefbeschwerer störte den eigentlichen Zweck des Tisches: Hier sollte effektiv und ohne Ablenkung gearbeitet werden.

Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit, ehe sie sich mit David Brady traf. Bis dahin wollte sie jeden Absatz, jede Klausel des Vertrages kennen und genau wissen, welche Vereinbarungen nachgebessert werden mussten. Sie war gerade auf der letzten Seite angelangt, als die Gegensprechanlage summte. A. J. drückte den Knopf.

„Ja, Diane?“

„Mr Brady ist hier.“

„Führen Sie ihn bitte herein. Und setzen Sie frischen Kaffee auf.“

Sie schloss die Akte und erhob sich erst, als der Produzent eintrat. „Mr Brady.“ Höflich reichte sie ihm die Hand über den breiten Tisch hinweg. Der Abstand signalisierte eine höfliche Distanz, die sofort deutlich machte, dass die Gesprächspartner auf verschiedenen Seiten standen. Aus ihrer jahrelangen Erfahrung wusste A. J., wie wichtig es war, schnell die Fronten zu klären. Während er durch den Raum auf sie zukam, hatte sie Zeit, ihn genau zu betrachten und sich ein erstes Urteil zu bilden. Er sah eher wie ein Schauspieler aus, weniger wie ein Produzent. Ja, diesen starken, männlichen Typ hätte sie erfolgreich vermitteln können. Sie stellte ihn sich als wortkargen, wagemutigen Detektiv in einer der Vorabendserien vor oder als einsamen Cowboy auf dem Ritt durch die endlose Wüste. Schade.

Auch David nutzte den Moment, um seine Gesprächspartnerin zu mustern. Er hatte nicht geahnt, dass sie so jung war. In ihrem strengen, gerade geschnittenen Hosenanzug wirkte sie sehr professionell und geschäftstüchtig. Sie war äußerst attraktiv, allerdings bevorzugte er weichere, weniger streng wirkende Frauen. Ihre überaus schlanke, durchtrainierte Figur verriet Disziplin. Nur durch ihre knallrote Bluse, die sie unter dem Blazer trug, wurde ihre Garderobe vor der völligen Unauffälligkeit gerettet. Das hellblonde kinnlange Haar war streng zurückgestrichen und gab den Blick frei auf ein ovales Gesicht, sonnengebräunt – oder hatte sie nachgeholfen? Ihr Mund war fast eine Spur zu breit, doch ihre Augen waren von einem faszinierenden Blau, das mit Mascara und Lidschatten gekonnt betont wurde. Selbst ihre große Brille konnte den Zauber der Augen nicht verbergen. Als er sie begrüßte, empfand er ihren Händedruck als wohltuend fest.

„Setzen Sie sich doch, Mr Brady. Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

„Nein, vielen Dank.“ Zuvorkommend wartete er, bis sie hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte, ehe er sich setzte. Er bemerkte, dass sie die Hände schützend über dem Vertrag faltete. Sie trug keine Ringe, keinen Armreif, nur eine Uhr mit einem schmalen schwarzen Lederarmband. „Es scheint so, als hätten wir gemeinsame Bekannte, Miss Fields. Seltsam, dass wir uns noch nie begegnet sind.“

„Ja, nicht wahr?“ Sie lächelte höflich und nichtssagend. „Aber Sie verstehen sicher, dass ich mich als Agentin überwiegend im Hintergrund halte. Sie haben sich mit Clarissa DeBasse getroffen?“

„Genau.“ Nun, wenn sie erst eine Weile mit ihm Versteck spielen wollte, konnte sie das haben. Entspannt lehnte er sich zurück. „Eine sehr charmante Frau, muss ich zugeben. Ich hatte erwartet, sie sei weitaus sonderlicher.“

Dieses Mal war A. J.s Lächeln spontan und ehrlich. Es veränderte ihre bisher kühle und unnahbare Ausstrahlung vollkommen. „Clarissa ist niemals so, wie man es erwartet.“ Sie öffnete den Ordner. „Ihr Projekt klingt ausgesprochen interessant, Mr Brady, aber ich brauche noch weitere Informationen dazu. Können Sie mir genau erklären, was Sie vorhaben?“

„Wir planen eine Dokumentation über übersinnliche Phänomene wie Hellseherei, Parapsychologie, Handlinienlesen und Telepathie.“

„Was ist mit spiritistischen Sitzungen oder Spukhäusern, Mr Brady?“, ergänzte sie spöttisch.

Erstaunt sah er sie an. „Für jemanden, der eine Wahrsagerin unter seinen Klienten hat, klingen Sie ausgesprochen zynisch.“

„Clarissa nimmt keinen Kontakt zu verlorenen Seelen auf, und sie liest auch nicht im Kaffeesatz.“ Unbeirrt und voller Selbstbewusstsein lehnte A. J. sich in ihrem Stuhl zurück. „Sie ist eine Frau mit einer außergewöhnlichen Begabung, das hat sie mehrfach unter Beweis gestellt. Aber sie hat niemals behauptet, überirdische Kräfte zu besitzen.“

„Übernatürliche“, verbesserte er ruhig.

Sie atmete tief durch. „Sie haben Ihre Hausaufgabengemacht, Mr Brady. Stimmt, übernatürlich ist das richtige Wort dafür. Clarissa übertreibt nicht, sie weiß genau, was sie kann.“

„Und das ist der Grund, warum ich sie unbedingt für meine Reihe gewinnen möchte.“

A. J. fiel auf, wie selbstverständlich er meine Reihe sagte. Er schien sich tatsächlich persönlich für dieses Projekt einzusetzen. Umso besser, dachte sie. Dann würde er alles daransetzen, eine ernsthafte Dokumentation zu bringen. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. „Fahren Sie fort.“

„Ich habe mit einem Medium gesprochen, das Kontakt zu Toten aufnehmen kann, mit selbst ernannten Wissenschaftlern, mit Parapsychologen und mit Wahrsagerinnen, die aussahen, als kämen sie direkt vom Karneval. Sie würden sich wundern, was sich in dieser Branche alles tummelt.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, stimmte sie zu.

Als er spürte, dass sie sich ein wenig entspannte, fuhr er fort. „Einige von ihnen sind echte Scharlatane, bei anderen handelt es sich um ernst zu nehmende Begabungen. Ich habe mit den wichtigsten Leuten der bekanntesten Institute im Bereich der Parapsychologie gesprochen. Jeder von ihnen nannte mir Clarissas Namen.“

„Clarissa ist sehr angesehen. Und trotzdem ist sie bescheiden geblieben.“

Er meinte, eine leichte Missbilligung in ihrer Stimme zu hören. Vermutlich fand sie, dass ihre Mandantin sich unter Wert verkaufte, und war deshalb so sehr an weiteren Verhandlungen interessiert. „In meiner Sendung geht es darum, Möglichkeiten aufzuzeigen und Fragen zu stellen. Auch die Zuschauer sollen zu Wort kommen. Wir werden fünf Folgen von je einer Stunde haben. Mir bleibt also Zeit genug, um über die unterschiedlichsten Phänomene zu berichten.“

Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen auf dem Schreibtisch. „Und welche Rolle wird Miss DeBasse dabei spielen?“

Für ihn war sie das Ass im Ärmel. Doch diesen Gedanken wollte er noch nicht preisgeben. „Sie haben selbst gesagt, Clarissa sei sehr angesehen. Ihr Name ist bekannt und seriös. Und außerdem ist da noch der Fall Van Camp.“

Stirnrunzelnd spielte A. J. mit einem Stift. „Die Entführung ist zehn Jahre her.“

„Der Sohn eines Hollywoodstars wird entführt, vor den Augen seines Kindermädchens, das seit Jahren für die Familie arbeitet und ihr treu ergeben ist. Die Erpresser fordern eine halbe Million Dollar Lösegeld. Die Mutter ist am Boden zerstört, die Polizei reagiert vollkommen hilflos. Es vergehen drei Tage, in denen die Eltern verzweifelt versuchen, die Summe aufzutreiben. Von dem Kind fehlt jede Spur. Gegen den Willen ihres Ehemannes bittet die Mutter schließlich eine Wahrsagerin um Hilfe. Sie kommt und verschanzt sich im Zimmer des Jungen, umgeben von Baseballschlägern, Stofftieren und einem Schlafanzug. Eine Stunde später kann sie der Polizei eine genaue Beschreibung der Entführer liefern und den Ort nennen, wo der Junge gefangen gehalten wird. Noch in der gleichen Nacht wird das Kind befreit.“

David hielt inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. Schweigend beobachtete A. J. ihn. „Auch nach zehn Jahren hat dieser Fall nichts von seiner Brisanz verloren, da bin ich sicher. Die Zuschauer werden heute noch ebenso fasziniert sein wie damals.“

Warum seine Ausführungen sie verärgerten, wusste A. J. selbst nicht. Sie versuchte, gegen ihr Missfallen anzukämpfen. „Viele Menschen hielten die ganze Geschichte damals für einen großen Schwindel. Sie jetzt wieder aufzuwärmen wird nur noch mehr Kritiker auf den Plan rufen.“

„Eine Frau in Clarissas Position muss sich täglich mit Kritik und Anfeindungen auseinandersetzen“, gab er zu bedenken. Doch sie schien noch nicht überzeugt zu sein.

„Das mag sein. Aber ich werde ihr ganz sicher nicht empfehlen, einen Vertrag zu unterschreiben, der ihr neuen Ärger garantiert. Es gibt keinen Grund, meine Mandantin einer Hetzjagd im Fernsehen auszusetzen.“

„Sie übertreiben.“ David bewunderte sie dafür, wie sehr sie sich für Clarissa einsetzte, dennoch konnte er ihre Vorbehalte nicht nachvollziehen. „Jeder öffentliche Auftritt von ihr ist eine Belastungsprobe. Wenn ihre Fähigkeiten nicht ausreichen, um vor den Kameras zu bestehen, dann sollte sie ihren Job aufgeben. Sollten Sie als Agentin nicht mehr an die Überzeugungskraft Ihrer Mandantin glauben?“

„Das geht Sie nichts an.“ Wütend stand A. J. auf, um David Brady samt seinem Vertrag aus ihrem Büro zu werfen, als das Klingeln des Telefons sie aus dem Konzept brachte. „Keine Anrufe, Diane“, fauchte sie in den Hörer. Dann schwieg sie kurz und gewann ihre Fassung wieder. „Ja, natürlich, verbinden Sie.“

„Entschuldige, dass ich dich bei der Arbeit störe.“

„Ich bin gerade in einer Besprechung.“

„Ja, ich weiß.“ Clarissas Stimme klang freundlich und zerknirscht. „Mit dem netten Mr Brady.“

„Das ist Geschmackssache.“

„Ich hatte schon befürchtet, dass ihr euch nicht auf Anhieb gut versteht.“ Clarissa seufzte und streichelte ihren Kater. „Aber ich habe lange über dieses Angebot nachgedacht.“ Ihren Traum der vergangenen Nacht erwähnte sie lieber nicht, denn sie ahnte, dass A. J. sich davon nicht umstimmen lassen würde. „Ich habe beschlossen, den Vertrag zu unterschreiben. Nein, nein, ich weiß, was du sagen willst“, fuhr sie fort, ehe A. J. auch nur eine Silbe einwenden konnte. „Du bist die Agentin, du regelst das Geschäftliche. Das ist richtig. Aber ich will diese Sendung mit David Brady machen.“

A. J. kannte Clarissa lange genug, um herauszuhören, dass sie eine Eingebung gehabt hatte. Und sie wusste, dass jede Diskussion zwecklos war, wenn Clarissa auf ihr Gefühl hörte. Dennoch gab sie nicht auf. „Lass uns in Ruhe noch einmal darüber reden.“

„Natürlich, meine Liebe, wie du wünschst. Besprich die Einzelheiten mit David, das kannst du viel besser als ich. Ich überlasse dir die Verhandlungen, aber ich werde diesen Vertrag auf jeden Fall unterschreiben.“

Am liebsten hätte A. J. voller Wut gegen ihren Schreibtisch getreten, nur Davids Anwesenheit hinderte sie daran, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. „Gut. Aber du solltest wissen, dass auch ich Vorahnungen habe. Und sie stimmen bei diesem Geschäft ganz eindeutig nicht mit deinen überein.“

„Komm doch heute Abend zum Essen vorbei“, plauderte Clarissa munter weiter, als habe sie den Einwand nicht gehört.

Beinahe hätte A. J. laut gelacht. Typisch Clarissa! Sie liebte es, Streitigkeiten bei einem geselligen Dinner beizulegen. Schade nur, dass sie eine solch erbärmliche Köchin war. „Heute Abend bin ich schon verabredet.“

„Dann morgen“, schlug Clarissa unbekümmert vor.

„Einverstanden. Bis dann.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, atmete A. J. tief durch und sah David prüfend an. „Entschuldigen Sie die Unterbrechung.“

„Kein Problem.“

„Außer dem Fall Van Camp gibt es an dem Vertrag nichts auszusetzen. Ob die Entführung tatsächlich angesprochen werden soll, müssen Sie unbedingt noch mit Miss DeBasse klären.“

„Natürlich. Wir haben schon darüber gesprochen.“

A. J. verkniff sich eine bissige Bemerkung. „Verstehe. Allerdings muss die Rolle, die Miss DeBasse in der Sendung übernehmen wird, noch genauer beschrieben werden.“

„Das werde ich veranlassen.“ Sie würde den Vertrag also unterschreiben, frohlockte David, während er sich notierte, welche Änderungen sie noch forderte. Dabei hätte sie ihn liebend gern hinausgeworfen, ehe das Telefon geklingelt hatte. Er hatte es an ihrem vernichtenden Blick erkannt. Um zu ahnen, dass Clarissa die Anruferin gewesen war, musste er kein Hellseher sein.

„Ich werde den Vertrag überarbeiten und Ihnen morgen die neue Fassung zuschicken lassen.“

Warum die Eile, dachte sie mürrisch und lehnte sich zurück. „Wir werden uns sicherlich einigen können, Mr Brady. Allerdings gibt es noch einen Punkt zu besprechen.“

„Und welchen?“, erkundigte er sich.

„Das Honorar.“ Mit kühler Miene setzte A. J. die Lesebrille auf und schob den Vertrag von sich. „Es ist weit weniger, als Miss DeBasse normalerweise bekommt. Bieten Sie uns zwanzig Prozent mehr.“

Erstaunt zog David eine Augenbraue hoch. Natürlich hatte er erwartet, dass sie über die Gage verhandeln würde, aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt. Doch ganz offensichtlich gehörte A. J. Fields auch deshalb zu den Besten ihrer Branche, weil sie nicht tat, was man von ihr erwartete. „Wir sind kein Privatsender, Miss Fields. Mehr als fünf Prozent sind nicht möglich.“

„Das ist inakzeptabel.“ Entrüstet setzte A. J. die Brille ab und ließ sie an einem Bügel baumeln. Ohne die starken Gläser wirkten ihre Augen größer und ausdrucksvoller. „Mir ist klar, dass Ihr Budget begrenzt ist. Ich verstehe Ihr Problem.“ Sie schenkte ihm ein charmantes Lächeln. „Fünfzehn Prozent.“

Immer das gleiche Spiel, dachte er, eher schicksalsergeben als verärgert. Er wusste, worauf es hinauslief. Sie wollte zehn Prozent mehr, und das war genau seine Schmerzgrenze. Aber das Handeln und Feilschen gehörte zum Geschäft. „Miss DeBasse bekommt sowieso schon eine höhere Gage als alle anderen Mitwirkenden.“ „Selbstverständlich. Schließlich ist sie Ihr größter Trumpf, und das wissen Sie“, gab sie unbeeindruckt zurück.

„Sieben Prozent mehr.“

„Zwölf.“

„Zehn.“

„Abgemacht.“ A. J. stand auf. Normalerweise hätte dieser Abschluss ein Gefühl tiefster Befriedigung in ihr ausgelöst. Doch das ungute Gefühl blieb und verhinderte, dass sie ihren Sieg unbeschwert genießen konnte. „Senden Sie mir den geänderten Vertrag in den nächsten Tagen zu.“

„Ich werde gleich morgen einen Boten schicken. Das Telefonat eben …“ David schwieg, während er aufstand. „Sie wollten ursprünglich nicht mehr mit mir verhandeln, habe ich recht?“

Prüfend sah sie ihn an. Er hatte tatsächlich einen scharfen Verstand und ein untrügliches Gespür. Vielleicht war Clarissa bei ihm doch in guten Händen. „Unser Gespräch war eigentlich beendet“, gab sie unumwunden zu.

„Sagen Sie Clarissa herzlichen Dank, dass sie uns im richtigen Moment gestört hat.“ Mit einem selbstzufriedenen Lächeln, das sie erneut in Rage brachte, reichte er ihr zum Abschied die Hand.

„Auf Wiedersehen, Mr …“ Als ihre Hände sich berührten, erstarb ihre Stimme. Mit der Heftigkeit eines Stromschlags durchfuhr sie plötzlich eine verwirrende Mischung widerstreitender Gefühle. Dunkle Vorahnung und Verlangen, Wut und unbändige Lust ließen ihren Atem stocken und ihre Knie weich werden. Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich zu sammeln, ehe sie David Brady zur Tür bringen konnte.

„Miss Fields?“

Sie starrte ihn an, als sei er ein Geist. Ihre Hand, die er noch immer hielt, war eiskalt. Besorgt nahm David ihren Arm. Sie schien einer Ohnmacht nahe. „Sie sollten sich besser hinsetzen.“

„Wie bitte?“ Obwohl sie noch immer am ganzen Körper zitterte, zwang sich A. J. zur Konzentration. „Nein, nein, alles in Ordnung. Ich war nur gerade in Gedanken.“ Gleichzeitig aber löste sie ihre Hand aus seiner und trat einen Schritt zurück. „Zu viel Kaffee und zu wenig Schlaf, vermute ich.“ Und zu viel Nähe eines Mannes, der mir offensichtlich nicht guttut, fügte sie für sich hinzu, während sie sich aufatmend an den Schreibtisch lehnte. „Ich bin froh, dass wir uns einigen konnten, Mr Brady. Morgen treffe ich Clarissa, dann werde ich sie über unsere Verhandlungen informieren.“

Langsam kam wieder Farbe in ihre Wangen, und ihr Blick wurde klar wie zuvor. Dennoch zögerte David, sie allein zu lassen. Schließlich wäre sie noch vor einer Minute beinahe zusammengebrochen. „Setzen Sie sich“, wiederholte er.

„Ich bitte Sie …“

„Verdammt noch mal, jetzt ruhen Sie sich einen Augenblick aus!“ Energisch nahm er wieder ihren Arm und drückte sie in den Stuhl. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sich über sie gebeugt und sah sie prüfend an. „Sie sollten Ihre Verabredung zum Dinner heute Abend absagen und lieber früh schlafen gehen.“

In einer abwehrenden Geste verschränkte sie die Arme vor der Brust, um jeden Kontakt mit ihm zu vermeiden. „Es gibt keinen Grund, sich Gedanken zu machen.“

„Ich sorge mich grundsätzlich, wenn eine Dame in meiner Gegenwart fast ohnmächtig wird“, gab er zurück.

Sein Tonfall, charmant und ironisch zugleich, sorgte für ein Kribbeln in ihrem Magen. „Oh ja, da bin ich mir sicher“, erwiderte sie lächelnd. Für einen kurzen Moment entspannte sie sich, doch als er fürsorglich über ihre Stirn strich, zuckte sie unweigerlich zurück. „Lassen Sie das.“

Ihre Haut war ebenso seidig und weich, wie sie aussah, doch er verbot sich diesen Gedanken. „Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Miss Fields. Seien Sie beruhigt – Sie sind nicht mein Typ.“

Kühl sah sie ihn an. „Das erleichtert mich sehr.“

Als er den unnahbaren Ausdruck bemerkte, mit dem sie ihn musterte, musste er ein Lachen unterdrücken. Ebenso wie den plötzlichen Wunsch, sie zu küssen. „Nun gut“, murmelte er und erhob sich. „Keinen Kaffee mehr für heute“, empfahl er noch, ehe er ging. Denn wenn er sie jetzt nicht sofort verließ, würde er vermutlich noch eine Dummheit machen.

Sobald die Tür ins Schloss fiel, gab A. J. ihre würdevolle Haltung auf. Sie zog die Knie bis zur Brust, bettete den Kopf darauf und dachte nach. Was geschah gerade mit ihr? Und was, um Himmels willen, sollte sie jetzt nur tun?

2. KAPITEL

A.J. überlegte ernsthaft, sich einen Hamburger zu holen, ehe sie zum Dinner zu Clarissa fuhr. Doch es wäre ihr wie ein Verrat erschienen. Und außerdem würde sie das Essen besser ertragen, wenn sie hungrig war. Vielleicht schaffte sie es dann sogar, Clarissa den Eindruck zu vermitteln, sie habe gut gekocht.

Es war ein sonniger Frühlingstag, und A. J. hatte das Verdeck ihres Cabrios geöffnet. Sie versuchte, die Fahrt aus der Stadt in den idyllischen Vorort zu genießen. Neben ihr lag eine schmale Aktentasche aus weichem Leder, in der die Unterlagen steckten, die Clarissa lesen und unterschreiben sollte. David hatte, wie versprochen, alle Änderungen eingearbeitet und ihr den neuen Vertrag schon am nächsten Tag zugeschickt. Nun gab es keinen nachvollziehbaren Grund mehr, dieser Vereinbarung nicht zuzustimmen. Das Einzige, was blieb, war ein ungutes Gefühl, das A. J. nicht abschütteln konnte.

Vermutlich bin ich einfach nur überarbeitet, beruhigte sie sich. Ich bin zu schnell aufgestanden, und deshalb war mir schwindlig. Mit David Brady persönlich hat das nichts zu tun.

Doch wenn sie ehrlich war, wusste sie es besser.

Und diese Erkenntnis brachte sie aus der Fassung.

Ehe sie in Newport Beach ankam, musste sie sich und ihre Gefühle unter Kontrolle haben, denn vor Clarissa konnte sie nichts verbergen. Sie musste es schaffen, sowohl den Vertrag mit ihrer Mandantin zu besprechen als auch über David Brady selbst unverfänglich zu plaudern. Wenn ihr das nicht gelang, würde Clarissa so fort Bescheid wissen.

Kurz dachte sie darüber nach, die Verabredung noch abzusagen. Doch das erschien ihr allzu unhöflich. Also versuchte sie, sich zu entspannen, und dachte an die Yoga-Übungen, die sie abends manchmal machte, um sich von einem stressigen Arbeitstag zu erholen. Es half tatsächlich, und als sie spürte, wie ihre Muskeln langsam entkrampften, schaltete sie das Radio an. Mit lauter Musik fuhr sie das letzte Stück, bis sie bei Clarissa ankam.

Gemeinsam hatten sie das gemütliche Haus vor einigen Jahren entdeckt, und noch immer fühlte A. J. Befriedigung, wenn sie den Kiesweg zur Eingangstür beschritt. Das Haus aus roten Ziegeln mit seinen akkurat geschnittenen Rasenflächen und den weiß gestrichenen Fensterläden passte perfekt zu Clarissa. Von den Gagen für ihre Bücher und Auftritte hätte sie sich ein Haus doppelter Größe in Beverly Hills leisten können, doch dort hätte sie sich nicht halb so wohlgefühlt.

A. J. nahm die Aktentasche vom Beifahrersitz, klemmte sich die Flasche Rotwein, die sie zum Essen besorgt hatte, unter den Arm, und ging geradewegs ins Haus. Die Tür war wie immer nicht verschlossen. „Hallo! Ich bin bis zu den Zähnen bewaffnet, unbesiegbar und zu allem bereit. Geben Sie mir sofort all Ihren Schmuck!“, rief sie.

„Oje, habe ich wieder vergessen abzuschließen?“ Lachend trat Clarissa aus der Küche und wischte sich die Hände an einer nicht mehr ganz sauberen Schürze ab. Ihre Wangen waren von der Hitze des Backofens gerötet. In der Küche, ahnte A. J., herrschte das übliche Chaos, das Clarissa stets hinterließ, wenn sie kochte.

„Wie immer! Du bist einfach zu leichtsinnig“, tadelte A. J. scherzhaft, umarmte sie herzlich und versuchte gleichzeitig herauszufinden, was es zu essen gab.

„Hackbraten“, verriet Clarissa. „Ich habe ein neues Rezept ausprobiert.“

„Oh.“ A. J. zwang sich zu einem optimistischen Lächeln, während sie sich an den letzten, vollkommen vertrockneten Hackbraten erinnerte. Schnell wechselte sie das Thema. „Du siehst hinreißend aus! Gib es zu, du warst in L. A. und hast dich in einem der Schönheitssalons verwöhnen lassen.“

„Ach was, für so etwas habe ich gar keine Zeit“, wehrte Clarissa unbekümmert ab. „Je mehr man sich über sein Aussehen ärgert, umso mehr Falten bekommt man. Das solltest du auch beherzigen.“

„Willst du damit sagen, ich sehe aus wie eine faltige alte Hexe?“, protestierte A. J., während sie ihre Mappe auf den Tisch legte und ihre Schuhe auszog.

„Keineswegs, und das weißt du auch. Aber du machst dir viel zu viele Sorgen.“

„Ich habe einen Bärenhunger“, stellte A. J. ausweichend fest. „Außer einem halben Sandwich habe ich noch nichts gegessen.“

„Es ist nicht gesund, wie du lebst. Komm mit in die Küche, in fünf Minuten ist das Essen fertig.“

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