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Drinnen – Wie uns Räume verändern

Als Buch hier erhältlich:

»Gutes Design ist eine wirkungsvolle Medizin.« – Erstaunliche Erkenntnisse über unser Leben in Gebäuden

Überall auf der Welt haben Menschen ihre Wohnungen neu kennen- lieben und hassen gelernt – doch was wissen wir eigentlich über die Räume, in denen wir unsere meiste Zeit verbringen? Welchen Einfluss haben sie auf unsere Gesundheit und unsere Gefühle?

Die renommierte Wissenschaftsjournalistin Emily Anthes nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise in die Welt der Innenräume: Wir erfahren, wie Büros unsere kognitive Leistung beeinträchtigen, wie Mikroben unterm Kopfkissen unser Immunsystem beeinflussen und wieso die Gestaltung eines Restaurants steuert, was und wie viel wir essen. Auch werfen wir einen Blick in die Zukunft – von Smart Homes, die unsere Gesundheit überwachen, über amphibische Gebäude, die uns vor Hochwasser retten, bis hin zu den Siedlungen, die wir demnächst auf dem Mars errichten.

»Drinnen« lässt uns unsere vertraute Umgebung mit neuen Augen sehen und zeigt, dass der Schlüssel zu unserem Wohlbefinden vielleicht näher liegt, als wir dachten.

»Der Standort unseres Zuhauses kann allerlei Auswirkungen auf unser Leben haben. Es ist an der Zeit, den Stellenwert der Welt der Räume anzuerkennen. Zu lange haben wir diese vernachlässigt – sie sind uns so vertraut, dass wir ihren Einfluss und ihre Komplexität übersehen haben. Das ändert sich endlich. Und je mehr wir über die Welten in unseren Gebäuden erfahren, desto mehr Möglichkeiten haben wir, sie umzugestalten. Mithilfe von durchdachtem, sorgfältigem Design können wir fast jeden Aspekt unseres Lebens verbessern. Wir sind Produkte unserer Umgebungen, aber wir müssen nicht ihre Opfer sein. Schon kleine Veränderungen in der Bauweise können wesentliche Auswirkungen haben …«

»›Drinnen‹ erforscht fulminant, wie alles, vom Licht bis zur Belüftung, von Geräuschen bis Treppenstufen, unsere physische Gesundheit und unser mentales Wohlbefinden beeinflusst.«

Washington Monthly


»Anthes ermutigt ihre Leser, die Räume, in denen sie die meiste Zeit verbringen, näher ins Auge zu fassen und sich zu fragen, ob diese Orte tatsächlich ihre Bedürfnisse erfüllen. Da wir heute sogar mehr Zeit als üblich in Innenräumen verbringen, könnte die ganze Gesellschaft davon profitieren, wenn wir uns diesen Fragen stellen.«
Science

»Diese ausgeklügelte Arbeit wird ihre Leserinnen und Leser dazu bringen, die Innenräume aufmerksamer zu betrachten, die sie sonst achtlos bewohnen.«
Publishers Weekly

»Eine aufrüttelnder Einblick in die Wissenschaft von Gebäuden und die Geschichte einer Mission, das Leben durch durchdachtes Raumdesign zu verbessern … Anthes unterscheidet auf raffinierte Weise zwischen dem geplanten Effekt und dem tatsächlichen Benefit. Ein fesselndes, faktenreiches Plädoyer für intelligentes Design.«
The Wall Street Journal

»Anthes berichtet spielerisch von modernen Büros und Smart Homes und schwimmenden Städten und geplanten Dörfer auf dem Mars und das neue Forschungsfeld der Innenraum-Ökologie (das Studium von Subjekten wie Milben, die sich unter unserem Kopfkissen verstecken) … Die Empfehlung der Untersuchung? Lüften hilft. Legt euch einen Hund zu!«
The New Yorker


  • Erscheinungstag: 26.10.2021
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950485
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

FÜR BLAINE,
MEINEN PARTNER BEI ALLEN INDOOR-AKTIVITÄTEN

 

EINLEITUNG

In Japan, in der Stadt Mitaka, in einer Straße mit gedrungenen beigefarbenen Gebäuden, unterbricht eine eigenartige Wohnanlage die Skyline. 1 Von außen wirkt der Komplex mit seinen neun Einheiten wie ein Haufen Bauklötze, und genauso zusammengewürfelt sind seine Formen und Farben: Ein grüner Zylinder ruht auf einem violetten Würfel, ein blauer Würfel wiederum auf einem gelben Zylinder. Innen gleicht der Bau einem Architektur gewordenen Acid-Trip. Jede der neun Wohnungen hat ein rundes Wohnzimmer, in dessen Mitte wie hineingeplumpst die Küche liegt. Die Schlafzimmer sind quadratisch, die Badezimmer tonnenförmig und die Arbeitszimmer kugelrund. Die Innenräume sind jeweils in über einem Dutzend Farben gestrichen, keine davon dezent. (Apartment 302 zum Beispiel hat eine blau-limettengrüne Küche, ein zitronengelbes Arbeitszimmer und ein waldgrünes Bad.) Leitern im Wohnzimmer führen ins Nichts. Über die Betonfußböden sind grapefruitgroße Beulen verteilt. Das Gebäude wirkt eher wie eine überdimensionale Kirmesattraktion als wie ein Zuhause. Aber bei all diesen vermeintlichen Schrullen wurde es mit einer ernsten Absicht gebaut: dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

Die Wohnungen in Mitaka wurden von Shusaku Arakawa und Madeline Gins konzipiert. Das Künstlerehepaar verschrieb sein Schaffen einer Idee, die es »umkehrbares Schicksal« nannte. Der Tod, so fanden sie, war »altmodisch« 2 , »unmoralisch« 3 und ganz und gar nicht vorherbestimmt. »Dass bisher in allen Zeiten Sterblichkeit herrschte, heißt nicht, dass dies für immer so bleiben muss«, schrieben Arakawa und Gins in ihrem 2002 verfassten Manifest. »Bisher wurde jeder Widerstand gegen den unausweichlichen Würgegriff des Todes zu unsystematisch durchgeführt … Die Anstrengungen, sich der Sterblichkeit zu widersetzen, müssen beständig, hartnäckig und absolut sein.« 4

Dabei sei die Architektur unsere mächtigste Waffe. Um uns dem Tod zu widersetzen, müssten wir unsere Umgebung radikal neu erfinden und Räume schaffen, die uns körperlich und geistig herausfordern. An einem Ort wie den Mitaka-Wohnungen zu leben, würde die Menschen durchrütteln und ständig aus dem Gleichgewicht bringen, sie aus ihren Gewohnheiten und Routinen reißen, ihre Wahrnehmung und Sichtweisen verändern, ihr Immunsystem stimulieren und, ja, sie unsterblich machen. »Wir glauben, dass Menschen, die eng und in komplexer Art und Weise mit ihrem architektonischen Umfeld verbunden sind, ihre (scheinbar unvermeidlichen) Todesurteile überleben können!« 5

Als ich zum ersten Mal über Arakawa und Gins las, verstand ich die Idee als ausgefeilte Metapher, als künstlerische Provokation. Doch im Herbst 2018 besuchte ich den Hauptsitz der Reversible Destiny Foundation in Manhattan und erfuhr, dass die beiden es genau so meinten. »Ich glaube, sie waren tatsächlich überzeugt, wenn wir das erreichen würden, könnten wir unsere Lebensdauer verlängern«, erklärte mir Miwako Tezuka, die beratende Kuratorin der Stiftung, die Arakawa und Gins 2010 gegründet hatten. »Sie vertraten diese Überzeugung sehr, sehr, sehr leidenschaftlich.«

Und sie setzten sie mit einem halben Dutzend Projekten auf beiden Seiten des Pazifiks in die Praxis um. In Yoru, ebenfalls Japan, schufen sie eine rund achtzehntausend Quadratmeter große öffentliche Parkanlage, die eine so destabilisierende Wirkung hat, dass die Besucher vorsorglich mit Helmen ausgestattet werden. 6 In East Hampton, New York, bauten sie das Bioscleave House, ein Einfamilienhaus, das die Wohnungen in Mitaka in ihrer Extremität noch übertrifft, mit etwa vierzig knallbunten Farben, scheinbar willkürlich verteilten Fenstern und steilen, holprigen Fluren rund um eine tiefer gelegene Küche. »Sie verdrehen sich den Knöchel«, warnte mich Stephen Hepworth, Direktor der Sammlungen bei der Reversible Destiny Foundation. »Sie stürzen in die Küche, wenn Sie nicht aufpassen. Und gehen Sie nicht zu hastig ins Badezimmer!« 7

Jedes einzelne ihrer Bauwerke ist einzigartig, aber alle sind sie dazu gedacht, mit kollidierenden Formen, Farben und Flächen, plötzlichen Störungen der Orientierung und ungewohnten Größenverhältnissen zu verwirren. (Ihre Räume sind so speziell, dass es zu einigen Gebrauchsanweisungen gibt.) 8 Ein Gebäude von Arakawa und Gins zu verlassen ist, »wie von einer Achterbahn herunterzusteigen. Man gerät ein bisschen aus dem Lot«.

Das Paar hatte noch größere Träume: Sie stellten sich ganze Siedlungen, Viertel und Städte vor, die sie als »Städte ohne Friedhöfe« bezeichneten und deren Besucher dem Tod von der Schippe springen sollten. 9 Sie wollten einen architektonischen Großangriff auf die Sterblichkeit starten. Aber falls sie das Geheimnis des ewigen Lebens entdeckt hatten, haben sie selbst nicht davon profitiert. Arakawa starb 2010 (Gins weigerte sich, die Todesursache preiszugeben: »Die Sache mit seinem Tod ist keine gute Nachricht«, sagte sie gegenüber der New York Times), und auch Gins erlag vier Jahre später einem Krebsleiden. 10

Ihr Werk lebt jedoch weiter. Jeder, der dem Tod trotzen will, kann eine der Wohnungen in Mitaka über Airbnb mieten. 11

Die Vorstellung, dass Architektur uns helfen kann, ewig zu leben, ist ganz klar Science-Fiction. Aber das Versprechen, unsere Gesundheit zu verbessern und unsere Lebensdauer zu verlängern, und sei es nur ein kleines bisschen, ohne dass wir dazu das Haus verlassen müssen? Nun, als erklärte Stubenhockerin fand ich diesen Gedanken natürlich unwiderstehlich. Dabei ist es nicht so, dass ich etwas gegen die Natur hätte – das Gegenteil ist der Fall, ich mag es, draußen zu sein. Ich habe schon oft gezeltet – und es genossen! Aber ich neige zu Ängstlichkeit und Risikovermeidung, und in meiner Wohnung ist es warm, gemütlich und sicher. Viele Journalisten berichten aus der Ferne – über Wildtiere in der Serengeti, Überschwemmungen im Mekongdelta und Eiskernbohrungen in der Antarktis –, aber ich habe mich immer am wohlsten dabei gefühlt, meiner Tätigkeit in der Tiefe meines Wohnzimmers nachzugehen.

Ich mag mich zwar am extremen Ende des Spektrums befinden, aber ich bin nicht allein: Der moderne Mensch ist im Großen und Ganzen eine Indoor-Spezies. Nordamerikaner und Europäer verbringen etwa 90 Prozent ihrer Zeit drinnen, und in manchen großen Städten gibt es mehr Innen- als Außenraum. 12 Beispielsweise hat Manhattan, eine Insel, nur knapp 60 Quadratkilometer Land, verfügt aber über dreimal so viel Innenraumbodenfläche. 13 Und im Gegensatz zu Manhattan selbst wächst diese ständig. Die Vereinten Nationen schätzen, dass sich innerhalb der nächsten vierzig Jahre die Quadratmeterzahl weltweit in etwa verdoppeln wird. »Das ist so viel, als würde von jetzt bis 2060 jährlich die gegenwärtige Grundfläche von Japan hinzugebaut«, schrieb die Organisation 2017. 14

Zu meiner Freude betrachten mehr und mehr Wissenschaftler die Welt unserer Innenräume als untersuchenswert. Forscherinnen und Forscher ganz unterschiedlicher Disziplinen nehmen sie in den Fokus, skizzieren ihre Umrisse und entdecken ihre Geheimnisse. Mikrobiologen erfassen die Bakterien, die in unseren Gebäuden gedeihen, und Chemiker spüren die Gase auf, die durch unser Zuhause wehen. Neurowissenschaftler lernen, wie unsere Gehirne auf unterschiedliche Arten von Gebäuden reagieren, und Ernährungswissenschaftler untersuchen, wie die Bauweise einer Kantine die Wahl unserer Nahrungsmittel steuert. Anthropologen beobachten, wie die Gestaltung von Büros Produktivität, Engagement und Jobzufriedenheit von Angestellten auf der ganzen Welt beeinflusst. Psychologen testen den Zusammenhang zwischen Fenstern und psychischer Gesundheit, Licht und Kreativität, Möblierung und sozialer Interaktion.

Ihre Ergebnisse legen nahe, dass Innenräume unser Leben auf weitreichende und manchmal überraschende Weise prägen. Um nur ein paar zu nennen: Bei Frauen, die in einem Krankenhaus auf einer weitläufigen Station gebären, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kaiserschnitt durchgeführt wird, höher als bei jenen, die die Geburt in kompakteren Räumen erleben. 15 Warmes, gedämpftes Licht beruhigt zappelige und aggressive Kinder. 16 Frische Luft fördert die kognitiven Funktionen von Büroarbeitern. 17

Der Standort unseres Zuhauses kann allerlei Auswirkungen auf unser Leben haben. In einer Studie von 2016 berichtet eine Gruppe von kanadischen Ärzten, dass, in den oberen Stockwerken eines Wolkenkratzers zu leben, buchstäblich tödlich sein kann. 18 Die Ärzte sahen sich die Krankenakten von fast achttausend Erwachsenen an, die zu Hause einen Herzstillstand erlitten hatten. Je weiter oben sich die Menschen zum Zeitpunkt ihres Zusammenbruchs befanden, desto länger brauchten die Sanitäter, um zu ihnen zu gelangen, und desto niedriger waren ihre Überlebenschancen. 4,2 Prozent der Patienten unterhalb der zweiten Etage überlebten den Herzstillstand, dagegen nur ein Prozent derjenigen oberhalb des 15. Stockwerks. Ab dem 24. Stockwerk aufwärts überlebte kein einziger.

Aber im Erdgeschoss zu leben, ist auch kein Allheilmittel. In einer Studie entdeckten Wissenschaftler, dass Grundschulkinder, die in den oberen Etagen verschiedener Hochhäuser in Manhattan wohnten, bessere Leser waren als jene, deren Wohnungen sich weiter unten befanden. 19 Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären? Zufällig säumten die Gebäude eine Brücke, die über eine große Schnellstraße führte, und durch den ständigen Verkehrslärm war es in den Wohnungen in Bodennähe lauter als in den höheren Stockwerken. Dieser Lärm könnte die Ursache dafür gewesen sein, dass die Kinder die subtilen Unterschiede in den kleinen Toneinheiten, aus denen Wörter bestehen, schlechter hören konnten, eine Fähigkeit, die wichtig ist für die Lesefähigkeit. Die Kinder in den unteren Stockwerken schnitten in den Tests zum Hörverstehen tatsächlich schlechter ab, und darauf aufbauende Forschung hat bestätigt, dass eine laute Umgebung dem Spracherwerb schaden kann. 20

Selbst die Ideen von Arakawa und Gins sind nicht so abwegig, wie sie vielleicht erscheinen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die richtigen Herausforderungen Körper und Geist stärken können. (Fängt man an, Gewichte zu stemmen, wachsen die Muskeln. Fängt man an, eine neue Sprache zu erlernen, bilden sich im Gehirn neue Verbindungen.) Es gibt keinen Grund, weshalb nicht unser Zuhause uns diese Herausforderungen bieten sollte. Wissenschaftlern ist seit Jahrzehnten bekannt, dass es für die Gesundheit von Labortieren besser ist, sie in stimulierenden Umgebungen leben zu lassen – zusammen mit anderen Tieren in Käfigen mit Tunneln, Spielzeug, Labyrinthen, Leitern und Laufrädern –, als sie in spartanische Einzelkäfige zu sperren. 21 Eine bereichernde Umgebung dieser Art kann das Immunsystem der Tiere anregen, das Wachstum von Tumoren bremsen, Neuronen vor Verletzung schützen und den geistigen Verfall hinauszögern, der mit dem Altern einhergeht.

Es gibt äußerst überzeugende Belege dafür, dass stimulierende Umgebungen auch für Menschen gut sind. Beispielsweise sind in Städten, wie Forscher herausgefunden haben, die Demenzraten niedriger als auf dem Land. Es ist schwer zu sagen, warum genau, aber laut einer Theorie ist das Leben in der Stadt einfach anregender und komplexer und schützt auf diese Weise das Hirn. 22 »Ich glaube, dass wir in Räumen, die uns auf vielfältige Art und Weise beanspruchen, gesünder altern«, sagte mir Laura Malinin, eine Kognitionswissenschaftlerin und Architektin von der Colorado State University. In ihrer eigenen Forschung 23 hat Malinin einige vorläufige Daten gesammelt, die nahelegen, dass visuell komplexe Räume die kognitiven Funktionen von Senioren stärken können. 24

Arakawa und Gins lagen also nicht völlig daneben. »Unser Schicksal ›umkehren‹ halte ich für übertrieben, denn ich bin der Ansicht, dass wir es ein Leben lang formen, aber ich glaube wohl, dass sie da auf etwas Interessantes gestoßen sind«, meinte Malinin. »Und zwar auf die Tatsache, dass unsere physische Umgebung ein starkes – und bislang weitgehend ungenutztes – Potenzial hat, uns gesund zu erhalten.«

Ich beschloss, eine Expedition nach drinnen zu unternehmen, um mich mit dieser Welt vertraut zu machen, die wir Menschen ganz und gar selbst erbaut haben. Wie sieht das Indoor-Universum aus und wie stark beeinflusst es uns? Welches Ökosystem enthält es, und wie passen wir da rein? Wie prägen diese Innenraumlandschaften unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten, unsere soziale Interaktion, unsere Beziehungen, unsere Gesundheit, unsere Zufriedenheit und unser Wohlbefinden?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, musste ich die Wände meines eigenen Zuhauses verlassen – zumindest zeitweise. In den folgenden Kapiteln machen wir eine Tour durch einen OP-Saal, der designt wurde, um medizinische Fehler zu minimieren, eine Grundschule, die Kindern zu körperlicher Aktivität antreibt, und ein Gefängnis, das die psychologischen Bedürfnisse seiner Insassen berücksichtigt. Wir werden erfahren, wie Wissenschaftler mit Headsets arbeiten, um Gehirnwellen zu messen, mit biometrischen Armbändern, Umgebungssensoren, digitaler Kartografierung, maschinellem Lernen und virtueller Realität, um unsere Bauwerke zu studieren und nachzuvollziehen, wie wir auf sie reagieren. Wir werden uns anschauen, wie Gebäude unsere Zukunft mitbestimmen werden – von Smart Homes, die unsere Gesundheit überwachen, bis hin zu amphibischen Häusern, die uns helfen könnten, den Klimawandel zu überleben. Dabei werfen wir sogar einen kurzen Blick in ganz weite Ferne, zu den eisbedeckten Kuppeln, die wir möglicherweise eines Tages auf dem Mars errichten.

Es ist an der Zeit, den Stellenwert der Welt der Räume anzuerkennen. Zu lange haben wir diese vernachlässigt – sie sind uns so vertraut, dass wir ihren Einfluss und ihre Komplexität übersehen haben. Das ändert sich endlich. Und je mehr wir über die Welten in unseren Gebäuden erfahren, desto mehr Möglichkeiten haben wir, sie umzugestalten. Mithilfe von durchdachtem, sorgfältigem Design können wir fast jeden Aspekt unseres Lebens verbessern. Wir sind Produkte unserer Umgebungen, aber wir müssen nicht ihre Opfer sein.

Schon kleine Veränderungen in der Bauweise können wesentliche Auswirkungen haben. Ein Beispiel dafür ist die Neugeborenenintensivstation des Women and Infants Hospital of Rhode Island. 25 Traditionell wurden Frühgeborene dort auf großen offenen Stationen versorgt. Diese waren chaotisch, überfüllt und laut, überall piepten Apparate, und ständig wurde geredet. Stets war ein Dutzend Babys, viele davon in Brutkästen, an den Wänden aufgereiht, und es gab wenig Platz für die Eltern, die Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen wollten.

2009 eröffnete das Krankenhaus eine neue Station, mit der das System der offenen Abteile abgeschafft wurde. Stattdessen wurde jedem Frühchen ein großzügiges Einfamilienzimmer mit Schlafsofa zugeteilt, wo die Eltern übernachten konnten. Diese eine Veränderung – vom offenen Gemeinschaftsraum hin zu privaten Zimmern – sorgte für einen gewaltigen Unterschied in der Entwicklung der Babys. Frühgeborene, die die ersten Lebenswochen in den neuen Räumen verbracht hatten, nahmen schneller zu und wogen bei ihrer Entlassung mehr als jene, die in den offenen Hallen untergebracht wurden. Sie entwickelten außerdem seltener eine Sepsis, benötigten weniger medizinische Behandlungen und zeigten geringere Stress- und Schmerzsymptome.

Architektur ist nicht die Lösung all unserer Probleme. Die Wirkung von gestalterischen Eingriffen ist oft subtil und komplex, und Studien in der baulichen Umwelt lassen sich oft nur mühsam durchführen oder interpretieren. Darüber hinaus verlangen die Herausforderungen, mit denen sich die Experten in diesem Buch auseinandersetzen – vom Verhüten chronischer Erkrankungen bis hin zur humaneren Gestaltung von Justizvollzugsanstalten –, mehr als ein paar Anpassungen der Infrastruktur. Kommen wir auf die bemerkenswerte Studie zu den Auswirkungen des Umbaus der Neugeborenenintensivstation zurück. Der physische Raum hat wahrscheinlich direkt einen positiven Einfluss auf die Säuglinge gehabt; so legen Studien nahe, dass Lärm die Entwicklung von Frühchen hemmen, ihren Puls beschleunigen und den Blutdruck in die Höhe treiben sowie die Sauerstoffsättigung ihres Blutes senken kann. 26 Diese physiologischen Reaktionen erklären zum Teil, warum es den Frühgeborenen in den ruhigen Privatzimmern besser erging. Aber die Vorteile dieser Räume sind nicht ausschließlich architektonischer Natur. Die neue Bauweise ist auch deswegen so wirksam, weil sie den frischgebackenen Eltern erlaubt, Zeit mit ihren Babys zu verbringen und sich an ihrer Pflege zu beteiligen. 27

Das ist es, wofür gute Gestaltung da ist: Sie eröffnet Möglichkeiten. Sie gibt uns einen Schub in die richtige Richtung, unterstützt kulturellen und organisatorischen Wandel und erlaubt uns, unsere Werte auszudrücken. Gute Architektur kann uns helfen, ein gesünderes, zufriedeneres, produktiveres Leben zu führen, gerechtere, humanere Gesellschaften aufzubauen und unsere Überlebenschancen in einer risikoreichen Welt zu verbessern. Sie kann die Infrastruktur für eine bessere Zukunft bieten. Selbst wenn wir durch sie nicht unsterblich werden.

EINS

DER HÄUSLICHE DSCHUNGEL

An einem sonnigen, für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Nachmittag im Oktober steige ich voll bekleidet in die Dusche. Ich ziehe ein Paar blaue Gummihandschuhe über, stelle mich auf die Zehenspitzen und schraube vorsichtig den Duschkopf ab. Widerwillig werfe ich einen Blick hinein. Ich atme auf. Es sieht weit weniger schlimm aus, als ich befürchtet hatte. Kein Matsch, kein schlammiges Wasser, keine Schleimschicht. Nicht ein einziger Schmutzfleck fällt mir auf. Erleichtert reibe ich mit zwei Wattestäbchen einmal am inneren Rand entlang und lasse sie in ein Plastikröhrchen gleiten.

Dann setze ich mich an meinen Esstisch, um einen detaillierten Fragebogen über meinen Duschkopf zu beantworten: Wann wurde er installiert? Wie würde ich sein Brauseverhalten beschreiben? Wie oft reinige ich ihn?

Muss man seinen Duschkopf überhaupt sauber machen? frage ich mich. Ist das etwas, das andere Leute tun?

Ich mache einen Kringel um »Nie«, stecke den Bogen und das Röhrchen in einen kleinen weißen Umschlag und bringe ihn zur Post.

Mein Duschkopfabstrich geht an Noah Fierer, einen Mikrobiologen von der University of Colorado Boulder, der ihn auf verstecktes Leben untersuchen wird. Genauer gesagt wird er nach Mikroorganismen suchen, auch bekannt als Mikroben, eine Gruppe von Lebewesen, die so klein sind, dass sie im Allgemeinen nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind. Es ist eine Sammelbezeichnung für alle möglichen Arten von Lebensformen, darunter Bakterien – einzellige Organismen, die wie Stäbchen, Kugeln oder Spiralen geformt sind – und Pilze wie Hefen und Schimmelpilze. (Falls Sie je einen vergessenen Laib Brot oder einen alten Block Käse gesehen haben, wissen Sie natürlich, dass Schimmelpilze durchaus sichtbar werden, wenn die Kolonien groß genug sind.)

Mikroben beherrschen unseren Planeten und fühlen sich in nahezu allen Habitaten zu Hause. Sie leben auf dem Gipfel des Mount Everest und kilometerweit unter der Erdoberfläche, in der Wüste Namib und der Sargassosee, in heißen Quellen, Gewitterwolken, Tiefseegräben, Pfützen flüssigen Asphalts, den Wurzeln von Sojabohnen, den Eingeweiden von tropischen Raupen und natürlich auf und in uns selbst. Unsere Körper sind die Heimat einer ruhelosen Masse an Mikroorganismen – manche von ihnen sind potenzielle Krankheitserreger, andere essenzielle Partner für den Erhalt unserer Gesundheit. Mikroben helfen uns, unsere Nahrung zu verdauen, und schützen uns vor Infektionen, sie halten unseren Stoffwechsel am Laufen und unser Immunsystem im Gleichgewicht. Sie haben sogar Auswirkungen auf unser Gehirn und beeinflussen unsere Stimmungen und unser Verhalten. Aktuellen Schätzungen zufolge enthalten unsere Körper in etwa genauso viele Bakterien wie menschliche Zellen. 28

Im Laufe seines Berufslebens hat Fierer Mikroorganismen in aller Welt gesammelt, hat Expeditionen nach Panama, Neuseeland und in die Antarktis unternommen. Und nun wird er seine Aufmerksamkeit einem wenig exotischen Ort zuwenden: meinem Duschkopf. »Es klingt verrückt«, gab Fierer zu, als er mir zum ersten Mal von der Studie erzählte. »Es erscheint wie der beliebigste Ort zum Probennehmen. Aber wie sich herausstellt, leben jede Menge Bakterien im Duschkopf.« Diese Bakterien bilden zusammen dünne, schleimige Schichten, die man als Biofilm bezeichnet. (Biofilme existieren nicht nur im Duschkopf, sie können sich auf alle möglichen Flächen legen, darunter Felsbrocken in Flüssen, medizinische Implantate und Zähne. Zahnbelag ist zum Beispiel ein Biofilm).

Und was im Duschkopf passiert, bleibt nicht im Duschkopf: Wenn ein Strom heißes Wasser hindurchrauscht, landen einige Mikroorganismen im Spritzwasser. »Und dann atmen Sie diese direkt ein«, sagte Fierer. »Ich halte das für einen wirklich wichtigen Mechanismus, wie wir in Kontakt mit Bakterien kommen.« 29 Aber vor ein paar Jahren fiel Fierer auf, dass die Wissenschaft gar nicht wusste, welche Spezies genau wir einatmen, wenn wir duschen. Also beschloss er, es herauszufinden. Gemeinsam mit Rob Dunn, einem Ökologen von der North Carolina State University, machte er sich daran, Hunderte von Duschköpfen überall in den Vereinigten Staaten abzureiben. Zusammen erstellten sie eine Bestandsaufnahme der mikrobiellen Spezies, die sich in jedem einzelnen Duschkopf verbargen. Sie analysierten, inwieweit sie sich von Haushalt zu Haushalt unterschieden, und fanden heraus, welche Wirkung diese Lebewesen auf uns haben könnten.

Die Studie ist sozusagen ein Auswuchs des blühenden Felds der Indoor-Ökologie. Fierer und Dunn gehören dem kühnen Stamm der Entdeckungsreisenden an, die in unsere Innenräume vordringen und sich der Erforschung der unsichtbaren Menagerie widmen, die unser Zuhause bevölkert. »Wir haben gerade erst die gewaltige Blackbox der Kleinstlebewesen geöffnet, mit denen wir zusammenleben«, sagte Dunn mir. In unserem Zuhause wimmelt es von viel mehr Arten, als man mit bloßem Auge erkennen kann – selbst in einer blitzblanken Wohnung gibt es lebendige, bisher unbeachtete Ökosysteme. Dieser aufkommende Forschungszweig zeigt, dass das Leben dieser Organismen untrennbar mit unserem eigenen verbunden ist – und dass wir ein gesünderes Zuhause haben könnten, wenn wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken würden.

Diese Perspektive ist sowohl faszinierend als auch nervenaufreibend. Je mehr ich über die Welt der Mikroorganismen in unseren Räumen las, desto obsessiver beschäftigte ich mich mit meinen eigenen unsichtbaren Mitbewohnern. Während des Kochens dachte ich über Pilze nach, beim Baden über Bakterien. Ich begann, mich in meinem eigenen Zuhause wie eine Fremde zu fühlen, kam mir klein vor angesichts der Tatsache, wie wenig ich Bescheid wusste über das, was unter meinem Dach vor sich ging. Ich beschloss, dass es an der Zeit war, meine Mikroben kennenzulernen – deshalb führte ich den Abstrich in meinem Bad durch und machte mich auf den Weg nach Colorado, um den Mann hinter dem Duschvorhang kennenzulernen.

Mein Besuch in der University of Colorado Boulder fiel in die ersten Unterrichtswochen nach den Winterferien Anfang Januar. Die Studenten strömten über den Campus, als Fierer – verstrubbelt und mit roten Wangen, einen Fahrradhelm unter dem Arm – mich zu seinem Büro im Gebäude der Umweltwissenschaften führte. »Hier geschieht das Wunder«, sagte er mit einer Geste, die sein lichtdurchflutetes Labor im ersten Stock umfasste. Die vier großen Kühlschränke an der hinteren Wand waren bis oben hin mit Proben gefüllt: Boden aus Colorado, Moos aus Alaska, Raupen aus Costa Rica – alle randvoll mit Mikroben.

Fierer fand seine Berufung im Ausschlussverfahren. 30 Nach seinem College-Abschluss in Biologie und Kunstgeschichte sprang er zwischen verschiedenen Forschungsprojekten hin und her. Er arbeitete mit Salamandern und Vögeln und verbrachte zwei Jahre damit, Wüstenrennmäuse in der Wüste Negev einzufangen. Er hasste es: »Sie waren ekelhaft und versuchten, mich zu beißen, und ich stellte fest: Ich habe keine Lust, mit Tieren zu arbeiten.« Also versuchte er es mit Baumforschung an der Küste von Oregon. »Ich mag Pflanzen, aber ich fand sie nicht so faszinierend«, gab er zu. Und damit hatte der angehende Ökologe sowohl Flora als auch Fauna von seiner Liste der zukünftigen Studienobjekte gestrichen.

Als Fierer in den späten 1990ern die Graduate School besuchte, beschloss er, kleiner zu denken. Er begann, sich mit Böden zu beschäftigen – und mit den Mikroorganismen, die dort leben, organische Materie aufspalten und Nährstoffe recyceln. Der Zeitpunkt war perfekt: Fortschritte in der Technik der DNA-Sequenzierung waren dabei, das Feld der Mikrobiologie weit zu öffnen.

Zwar beißen Bakterien nicht, aber sie stellen die Forscher vor ganz eigene Herausforderungen. Viele von ihnen wachsen nicht besonders gut – oder überhaupt nicht – im Labor. Das Aufkommen der DNA-Sequenzierung lieferte eine neue vielversprechende Möglichkeit, sie zu identifizieren. So konnten die Wissenschaftler Boden- oder Wasserproben sammeln und die gesamte darin enthaltene DNA sequenzieren. Dann glichen sie diese mit bekannten Genomen von Bakterien oder Pilzen ab und fertigten so einen Schnappschuss der untersuchten mikrobiellen Spezies an. Als die DNA-Sequenzierung immer einfacher, kostengünstiger und schneller wurde, verwendeten viele Mikrobiologen diese Technik, um die Organismen in allen möglichen Lebensräumen zu erfassen, vom arktischen Treibeis bis hin zum Dickicht des Amazonasregenwalds. Aber eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern begann sich zu fragen, was sie finden würden, wenn sie sich – buchstäblich – einmal in der näheren Umgebung umsehen würden. »Wir verbringen viel Zeit in Räumen«, sagte Fierer zu mir. »Und viele Organismen, mit denen wir tagtäglich Umgang haben, sind solche, die in unserem Zuhause leben.«

2010 unternahm er seinen ersten Vorstoß in die mikrobielle Welt in unseren Gebäuden 31 und erstellte eine Übersicht der Bakterien aus zwölf Toilettenräumen auf dem Campus. 32 Im darauffolgenden Jahr studierte er die Mikroorganismen in privaten Küchen und tat sich mit Rob Dunn für das »Wild Life of Our Homes«-Projekt zusammen. 33 Sie begannen mit einer kleinen Pilotstudie in North Carolina, für die sie vierzig Familien baten, mit Wattestäbchen über sieben verschiedene Oberflächen zu fahren: eine Arbeitsplatte, ein Schneidebrett, ein Kühlschrankfach, einen Kopfkissenbezug, einen Toilettensitz, einen Fernseher und einen Innenraumtürrahmen. 34

In den Wohnräumen wimmelte es vor mikrobiellen Hausbesetzern – im Schnitt waren es über zweitausend unterschiedliche Typen. Verschiedene Bereiche bildeten gesonderte Habitate: In Küchen lebten mit Lebensmitteln assoziierte Bakterien, während die Türrahmen besiedelt waren von Spezies, die üblicherweise in Blättern und Erde zu finden sind. Aus mikrobiologischer Perspektive sind sich Toilettensitze und Kopfkissenbezüge erstaunlich ähnlich: Beide enthielten hauptsächlich Bakterien, die im Allgemeinen auf unserer Haut und in unseren Mündern existieren.

Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten gab es eine Menge Unterschiede zwischen den Familien – jedes Zuhause wies ein eigenes mikrobielles Profil auf, beherbergte eine leicht von den anderen abweichende Sammlung von Organismen. Die Forscher hatten keine Erklärung dafür. Also initiierten Fierer und Dunn eine zweite Studie, für die sie über tausend Familien aus allen Teilen der USA rekrutierten, die Abstriche von dem Staub an den Türrahmen in ihren Innenräumen machen sollten. »Wir konzentrierten uns darauf, weil das eine Stelle ist, die nie geputzt wird«, erklärte Fierer mir. »Jedenfalls machen wir dort nicht besonders häufig sauber – aber vielleicht sind Sie ja eine Ausnahme.« (Bin ich nicht.) Da sich der Staub über Monate oder Jahre ansammelt, hoffte das Duo, dass ihnen dies den umfassendsten Einblick in das Leben in den Haushalten bieten würde – eine Übersicht über all die Organismen, die in den vergangenen Monaten und Jahren durch die Wohnungen oder Häuser geschwebt, gekrabbelt und gekrochen sind. Wie Dunn es ausdrückt: »Jedes bisschen Staub enthält eine Mikrogeschichte Ihres Lebens.« 35

Im Labor analysierte das Team die DNA-Fragmente aus den Staubproben und listete jeden Organismus auf, der dadurch identifiziert wurde. Die Zahlen waren schwindelerregend. Insgesamt enthielt der Haushaltsstaub DNA von über 116 000 Bakterienspezies und 63 000 Pilzarten. »Der Schocker war die Vielfalt der Pilze«, so Dunn. 36 Es gibt in ganz Nordamerika weniger als 25 000 benannte Pilzspezies, was bedeutet, dass es in unseren Häusern vor Organismen wimmeln könnte, die der Wissenschaft im Grunde nicht bekannt sind. 37 Als die Forscher die Staubproben mit solchen verglichen, die Freiwillige von dem Rahmen einer Außentür genommen hatten, stellten sie fest, dass die mikrobielle Diversität in den Häusern größer war als die außerhalb.

Einige der Arten, die Fierer und Dunn erfasst hatten, dringen von außen in unser Zuhause ein, sie reisen per Anhalter auf unserer Kleidung oder schweben durchs offene Fenster herein. (Und möglicherweise sind nicht mehr alle am Leben, wenn sie in unseren Räumen ankommen – mit der Gensequenzierung können Organismen aus einer Probe zwar identifiziert werden, aber man kann nicht zwischen lebendigen und toten unterscheiden.) Andere Arten von Bakterien wachsen tatsächlich in unseren Häusern, in unseren Wänden, den Rohren, den Klimaanlagen und den Geschirrspülern. Manche sprießen auf unseren Zimmerpflanzen oder auf unseren Lebensmitteln.

Und viele Indoor-Mikroben leben anscheinend auf uns. »Wir sondern unentwegt Bakterien aus jeder Körperöffnung und jedem Körperteil ab«, sagte Fierer. »Kein Grund, sich zu ekeln, es ist etwas ganz Natürliches.« Unsere individuellen Mikrobiome – die Gesamtheit von Mikroorganismen, die in und auf unseren Körpern leben – sind einzigartig, und jeder von uns hinterlässt seine eigene mikrobielle Signatur an den Orten, an denen wir leben. 38 In einer innovativen Studie verfolgten Wissenschaftler drei Familien, die den Wohnort wechselten. Die spezifische Mikrobenmischung jeder einzelnen Familie besiedelte das neue Zuhause innerhalb von Stunden. Das Forscherteam – unter der Leitung des Biologen Jack Gilbert, der damals an der University of Chicago lehrte – konnte sogar die individuellen mikrobiellen Beiträge jedes einzelnen Familienmitglieds bestimmen. »Das Mikrobiom derjenigen, die am meisten Zeit in der Küche verbrachten, dominierte diesen Raum«, erklärte Gilbert. »Das Mikrobiom derjenigen, die das Schlafzimmer am häufigsten nutzten, dominierten diesen Raum. Man konnte anfangen, forensisch ihre Bewegungen nachzuvollziehen.« 39

Welche Bakterien in unseren Räumen auftauchen, hängt in hohem Maße davon ab, wer dort wohnt. Fierer und Dunn fanden heraus, dass Lactobacillus-Bakterien, eine Hauptkomponente des vaginalen Mikrobioms, vor allem dort gehäuft auftraten, wo mehr Frauen als Männer leben. 40 Waren Männer in der Mehrheit, gediehen andere Bakterien: Roseburia, das normalerweise im Darm lebt, sowie Corynebacterium und Dermabacter, die die Haut besiedeln. Vom Corynebacterium ist bekannt, dass es gern in der Achselhöhle lebt und zum Körpergeruch beiträgt. »Vielleicht bedeutet dies, dass die Lebensräume von Männern mehr nach Achselschweiß riechen«, spekulierte Dunn. »Mikrobiologisch ist das eine gerechtfertigte Annahme.« Die Ergebnisse können mit den Geschlechterunterschieden in der Biologie der Haut zusammenhängen: Auf der Haut von Männern befinden sich tendenziell mehr Corynebakterien – und damit mehr Mikroben, die sie in der Umwelt verteilen können – als Frauen. (Die Forscher ziehen auch in Betracht, dass das bakterielle Profil einer Junggesellenbude das Resultat von »Hygienegewohnheiten« sein könnte.) In einer Folgestudie zeigten Fierer und sein Team, dass sie exakt bestimmen können, ob in einem Wohnheimzimmer weibliche oder männliche Studierende leben, indem sie einfach die Bakterien in dem Staub von dort analysieren. 41

Hunde tragen ihre eigene Spucke und Fäkalmikroben bei und bringen Erdlebewesen von draußen herein. 42 (Hundebesitzer stört es in der Regel kaum, wenn Dunn ihnen sagt, dass Fido einen ganzen Mikrobenzoo ins Haus schmuggelt. »Das ist meistens ein ziemlich entspanntes Gespräch«, erzählte er mir. Auf der anderen Seite fiel ihm auf: »Wenn ich sage, dass der Nachbar, jedes Mal wenn er vorbeikommt, einen Mix aus guten und krankheitserregenden Mikroorganismen mitbringt, fangen die Leute an zu schrubben.«) Katzen verändern die mikrobielle Lage in einem Haushalt in geringerem Maße, vielleicht weil sie kleiner sind und seltener das Haus verlassen. Allein anhand der DNA aus dem Staub waren Fierer und Dunn in der Lage, mit einer Trefferquote von 80 bis 90 Prozent vorherzusagen, ob bei den betreffenden Menschen ein Hund oder eine Katze lebt.

Die meisten Bakterien bei uns zu Hause stammen von uns selbst (und von unseren Haustieren), bei den Pilzen hingegen sieht es ganz anders aus. Pilze kommen in unserem eigenen Mikrobiom weit weniger häufig vor, daher wird unser Heim hauptsächlich von Pilzspezies besiedelt, die von draußen hereingebracht wurden. 43 Die Pilzsignatur eines Haushalts wird im Wesentlichen davon bestimmt, wo dieser sich befindet. Häuser in den östlichen US-Bundesstaaten zeigten andere Pilzbesiedlungen als solche in den westlichen. Das Gleiche gilt für Häuser in feuchten gegenüber trockenen Klimaregionen. Die geografische Korrelation war so stark, dass Fierer und Dunn Pilz-DNA verwenden konnten, um in einem Radius von 150 Meilen zu bestimmen, wo genau eine Haushaltsstaubprobe herkam. 44

Fierer und Dunn haben über siebenhundert Pilzarten identifiziert, die häufiger in Innenräumen als in der freien Natur zu finden waren, darunter einige Haushaltsschimmel, Hefen, essbare Pilze sowie Pilze, die auf der menschlichen Haut leben. Häuser mit Kellern besaßen andere Pilzkolonien als solche ohne. Und weil einige Pilzarten sich von Holz und anderen Baumaterialien ernähren, beeinflusst auch die Wahl dieser Materialien die Zusammensetzung der Pilze in unserem Heim. »Es ist wie in dem Märchen von den drei kleinen Schweinchen«, sagte Dunn. »In einem Steinhaus finden sich andere Pilze als in einem Holzhaus oder einem aus Lehm. Denn im Gegensatz zu Bakterien ernähren sich Pilze von dem Haus.« 45

Gebäude für Gebäude, Spezies für Spezies und mit jeder akribischen Studie beginnen wir, unsere Innenraummikroben besser zu verstehen und die Landkarten ihrer ausgedehnten Reiche auszufüllen. Wir haben sie in jedem nur denkbaren Habitat in unseren Räumen gefunden, darunter Klassenzimmer und Büros, Fitnessstudios und öffentliche Toiletten, Krankenhäuser und Flugzeuge. Im Geschirrspüler finden sich Schimmelpilze, hitzeresistente Bakterien auf der Internationalen Raumstation (ISS) und Bakterien, die Füße lieben, überall in New Yorks Subway. 46 »Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass bei jedem Schritt die Ferse gehoben und dann wieder abgesenkt wird, wodurch wie bei einem kleinen Blasebalg die Luft von unterhalb des Fußes in die Umgebung gepumpt wird«, erklärte mir Norman Pace, ein Mikrobiologe und Pionier auf seinem Gebiet, der die U-Bahn-Studie leitete. »Und nun stellen Sie sich vor, wie Millionen Menschen dort unten herumlaufen. Puff, puff, puff, puff, puff … Bei jedem einzelnen Schritt wird ein kleiner Stoß des Mikrobioms der Füße in die Luft gelassen.«

Die Forschung beweist, dass es kein typisches Indoor-Mikrobiom gibt und dass selbst die grundlegendsten Gestaltungselemente von Bedeutung sind. »Wie Sie die Räume anordnen, welche Räume sich neben welchen anderen befinden, welche weiter entfernt voneinander liegen – all diese Entscheidungen, die für Architekten Alltag sind, haben Einfluss auf die Zusammensetzung des Mikrobioms«, sagte mir Jeff Kline, ein leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Biology and the Built Environment Center (BioBE) der University of Oregon.

Als eine Gruppe von BioBE-Forschern Staub aus vierstöckigen Gebäuden auf dem Campus sammelte, stellten sie fest, dass Räume, die zentral lagen und stark frequentiert wurden, wie Flure und Unterrichtsräume, andere Bakterienpopulationen aufwiesen als solche, die abgelegener waren und wo weniger Betrieb herrschte, wie beispielsweise Fakultätsbüros oder Betriebsräume. Und je weniger Hindernisse zwischen zwei Räumen lagen – das heißt, je weniger Türen sich zwischen den Räumen befanden –, desto ähnlicher war ihr mikrobielles Profil. Die Mikroorganismen unterschieden sich außerdem nach Raumgröße und Stockwerk. 47

BioBE-Wissenschaftler haben auch herausgefunden, dass durch Fenster hereinscheinendes Sonnenlicht das Wachstum mancher Bakterien im Staub bremsen kann 48 und dass Räume mit Fenstern, die sich öffnen lassen, oder mit einem natürlichen Belüftungssystem mehr Pflanzen-, Erd- und Wassermikroben beherbergen als mechanisch gelüftete, die hingegen von Mikroorganismen des menschlichen Körpers beherrscht werden. 49

Im selben Maße, wie unsere architektonischen Geschmäcker sich verändert haben – von relativ offenen, mehr mit der Natur verbundenen hin zu stärker abgeschirmten Bauten –, taten es auch die Indoor-Mikrobiome. »Häuser sind generell ein guter Maßstab dafür, wie viele Umweltmikroben wir einladen«, sagte Dunn. In einer Studie von 2016 nahm ein Team von Wissenschaftlern Proben in vier Gemeinden im Amazonasbecken: in einem abgelegenen Regenwalddorf, einem Bauerndorf, der peruanischen Stadt Iquitos und der extrem urbanisierten brasilianischen Metropole Manaus.

Bewohner des Regenwalddorfes lebten in großen schilfgedeckten Holzhütten. 50 Die Hütten waren ganz offen, die Böden bestanden aus Lehm, und es gab weder Außen- noch Innenwände. In dem Bauerndorf besaßen die Häuser Außenmauern, innen aber nur wenige Trennwände. Im Allgemeinen waren sie aus Holz, Lehm, Ziegeln und Blech gebaut, und es gab im Inneren keine Toiletten. Diese beiden Arten von Dorfhäusern waren praktisch bis obenhin voll mit Umweltbakterien, darunter Spezies, die mit Erde, Wasser und Insekten assoziiert sind. In der Stadt und der Metropole bestanden die Außenmauern aus Ziegeln, Blech oder Zement, es gab Toiletten im Haus und Wände, die Räume voneinander abtrennten. Dort herrschten Bakterien vor, die üblicherweise in und auf dem menschlichen Körper leben. 51

Selbst in extrem abgedichteten Gebäuden ist das Mikrobiom nicht statisch: Es kann sich durch das Kommen und Gehen der Bewohner oder durch einen Wandel der Umweltbedingungen verändern. 52 Feuchtigkeit kann das Wachstum von Bakterien und Pilzen fördern, 53 während eine rigorose Reinigungspraxis die Vielfalt und Menge der Mikroorganismen reduzieren kann, zumindest vorübergehend. 54 »Es ist ein ausgesprochen dynamisches System«, sagte Fierer dazu.

Unsere Gebäude sind reichhaltige biologische Wunderländer, und sie enthalten nicht nur Mikroorganismen. Mit jeder neuen Entdeckung, die die Indoor-Ökologen machen, zeigt sich, welche Biodiversität direkt vor unserer Nase liegt – und wie viel noch zu entdecken ist. Beispielsweise wissen wir so wenig über die Insekten, die bei uns zu Hause leben, dass selbst eine einfache Studie für Überraschungen sorgen kann, wie Dunn selbst erfuhr, als er über zweitausend Freiwillige aus allen Teilen der USA rekrutierte, die in ihrem Heim nach Gewächshausschrecken Ausschau halten sollten. 55 Ungefähr 150 Spezies dieser Heuschrecken sind in Nordamerika heimische Arten. Die meisten leben in Wäldern, aber ein paar auch in Kellern, und Dunn wollte herausfinden, wie verbreitet sie in amerikanischen Häusern sind.

Er war nicht allzu überrascht festzustellen, dass Gewächshausschrecken sehr häufig vorkommen, besonders im Osten der Vereinigten Staaten, wo sie in 28 Prozent der Häuser angetroffen wurden. Was ihn schockierte, war, bei wie wenigen dieser Heuschrecken es sich um einheimische Arten handelte. Von allen Häusern, in denen nachweislich Gewächshausschrecken lebten, enthielten nur 12 Prozent einheimische Spezies. Die übrigen beherbergten asiatische Heuschrecken, die es irgendwie über den Pazifik geschafft hatten. Von diesen asiatischen Gewächshausschrecken war nicht bekannt, dass sie in amerikanischen Häusern leben, aber irgendwann müssen sie dort massenhaft und völlig unentdeckt eingezogen sein.

Gewächshausschrecken machen nicht einmal die Hälfte der Gliederfüßer in amerikanischen Haushalten aus. Im Jahr 2012 nahm Dunns Team fünfzig Häuser in North Carolina unter die Lupe in der Absicht, jedes einzelne auffindbare Tierchen aus dieser Gruppe von Wirbellosen – Insekten, Spinnen und Hundertfüßer – zu dokumentieren. 56 Am Ende hatten die Forscher über zehntausend Exemplare aus mehr als fünfhundert Arten gesammelt, wobei jeder Haushalt im Schnitt hundert Arten aufwies. Sie entdeckten Spinnen, Silberfischchen, Springschwänze, Felsenspringer, Ohrwürmer, Grillen, Kakerlaken, Termiten, Hundertfüßer, Tausendfüßer, Wespen, Ameisen, Bienen, Käfer, Motten, Flöhe, Milben, Läuse … und mehr.

In jedem einzelnen Haus fanden sie Teppichkäfer, Kugelspinnen, Gallmücken und Ameisen. Auch Staubläuse waren in allen außer einem aufspürbar. Sie stöberten Jäger, Parasiten und Aasfresser auf, Insekten, die sich von Tierkadavern, Hundefutter und abgeschnittenen Fingernägeln ernähren. Manche der gefundenen Käfer und Fliegen waren auch schon in archäologischen Stätten entdeckt worden, was nahelegt, dass sie seit Jahrtausenden mit uns unter einem Dach leben. »Viele Arten bevölkern schon Tausende von Jahren unsere Häuser, wir haben ihnen bloß nie Aufmerksamkeit geschenkt«, erklärte Dunn. »Das finde ich am spannendsten an der ganzen Sache.«

Dunn hat seitdem die Gliederfüßer in peruanischen, schwedischen, japanischen und anderen Haushalten katalogisiert und hofft, die Faktoren zu verstehen, die ihre Anwesenheit und Verteilung beeinflussen. Er und Fierer gewannen ein paar erste Erkenntnisse, indem sie einfach die Gliederfüßer-DNA im Hausstaub amerikanischer Haushalte sequenzierten. 57 In ländlichen Gegenden war die Artenvielfalt größer als in Vororten oder Städten; in Haushalten mit Hunden, Katzen oder Kellern waren ebenfalls besonders viele verschiedene Vertreter zu finden. »Keller begünstigen den Reichtum an Gliederfüßern«, so Fierer.

Manche Organismen gehen in unseren Häusern ein und aus, angelockt durch Essensreste oder elektrisches Licht. »Das Haus funktioniert dabei im Grunde wie eine riesige Lichtfalle«, erklärte mir Fierer. Andere verbringen ihr ganzes Leben in unseren Gebäuden. Dort hausen einige einzigartige Lebensformen. Die Bettwanze und die Deutsche Schabe sind nahezu ausschließlich in menschlichen Behausungen zu finden, 58 und der Schwarzschimmel, der in Badezimmern und Waschmaschinen wächst, unterscheidet sich offenbar genetisch von dem, der auf Erde und verrottendem Laub lebt. 59 »Die Habitate, die wir in unseren Häusern erschaffen, scheinen bisher nicht dagewesene Nischen für Pilze zu bieten«, erklärte Dunn. Darüber hinaus hat Fierer vor Kurzem ein neues Virus in den Filtern von Klimaanlagen in Studentenwohnheimen entdeckt. 60

Unsere Wohnungen bilden einzigartige Ökosysteme und beherbergen Spezies, die speziell an Innenräume angepasst sind und die Evolution in eine neue Richtung vorantreiben. Indoor-Mikroorganismen, Insekten und Nagetiere haben die Fähigkeit entwickelt, unsere chemischen Angriffe zu überleben, sie haben Resistenzen gegen antibakterielle Stoffe, Insektizide und Gifte ausgebildet. 61 (Von Deutschen Schaben weiß man, dass sie keine Glukose mehr mögen, weil diese üblicherweise als Lockmittel in Schabenfallen verwendet wird.) 62 Manche Indoor-Insekten, die weniger Fressgelegenheiten haben als ihre Gegenparts in der freien Natur, scheinen auch Lebensmittelknappheiten zu überstehen. 63 Da unser Planet immer intensiver bebaut und immer urbaner wird, werden sich bei mehr Spezies Eigenschaften ausprägen, um in Innenräumen zu gedeihen, haben Dunn und andere Ökologen vorausgesagt. 64 (Auf lange Sicht könnte das Leben, das sich hauptsächlich drinnen abspielt, auch Auswirkungen auf unsere eigene Evolution haben. Vielleicht stellt mein Stubenhockerdasein die Zukunft der Menschheit dar.)

Wir haben diese Ökosysteme geschaffen und geformt, aber wir sind auch ein Teil von ihnen und werden wiederum von ihnen beeinflusst, insbesondere unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Die Kakerlaken und Staubmilben, die in unseren Haushalten leben, können Allergien auslösen. Fliegen, Zecken und Mücken können Krankheitserreger übertragen. (Fierer und Dunn fanden Rickettsia-Bakterien – die in Zecken, Flöhen und Läusen leben und alle möglichen Krankheiten von Typhus bis zum Rocky-Mountain-Fleckfieber verursachen können – in etlichen Staubproben.) 65 Das Vorhandensein dieser Schädlinge kann sich auch psychologisch auswirken: Kakerlakenbefall kann das Risiko für eine Depression erhöhen, darauf deutet eine 2018 mit Bewohnern von Sozialwohnungen durchgeführte Studie hin. 66

Andere Gliederfüßer hingegen können uns vor Erkrankungen schützen. In Thailand ernähren sich Hausspinnen von Moskitos, die das Denguefieber übertragen, in Kenia fressen sie Malariamücken. 67 Manche afrikanischen und lateinamerikanischen Gesellschaften haben die Vorteile von Spinnentieren im eigenen Heim längst erkannt und bringen sie bewusst als eine Art natürliches Schädlingsbekämpfungsmittel ins Haus. 68

Zusätzlich zu dieser mannigfaltigen Fauna enthalten unsere Häuser jede Menge Flora. Auch wenn Sie keinen einzigen Ficus oder Farn besitzen, schweben Pollen oder andere Pflanzenteile von draußen herein. In Haushalten im Pazifischen Nordwesten der Vereinigten Staaten lässt sich die DNA von Moosen und Zypressen nachweisen, im Südosten, auf der atlantischen Seite des Landes, dagegen ist es eher die DNA von Gräsern, die ein warmes Klima bevorzugen. 69 Ungefähr 8 Prozent der Pflanzenarten, die in Innenräumen gefunden wurden, produzieren Allergene. »Wir stellen uns immer vor, dass Pollen nur in der freien Natur herumfliegen, aber sie sind auch in großen Mengen in unseren Häusern«, sagte Fierer. »Jedes Mal wenn Sie über Ihren Teppich gehen, wirbeln Sie Zeug auf, das vier Monate zuvor von einem Baum gefallen ist.« 70

Wenn wir einen Blick über den Tellerrand der Biologie werfen, lauern sogar noch weitere Gefahren in unseren Wohnungen. Blei ist nach wie vor eines der großen Probleme des öffentlichen Gesundheitssystems; genau wie Flammschutzmittel, die mit Krebs, neurologischen Entwicklungsverzögerungen und hormonellen Problemen in Verbindung gebracht wurden und mit denen zahlreiche Haushaltsgegenstände vom Sofa bis zum Fernseher imprägniert sind. Viele unserer ganz normalen regelmäßigen Aktivitäten wie Kochen und Putzen produzieren Gase und Partikel, die durch die Luft schweben und gefährlich sind, wenn wir sie einatmen. In einem kürzlich durchgeführten Experiment kam ein Forschungsteam aus Colorado zu dem Ergebnis, dass die Zubereitung eines kompletten Thanksgiving-Menüs die Luftqualität in einem Haushalt auf einen Wert von über zweihundert und somit in den »sehr ungesunden« Bereich steigen lassen kann. 71 (Wenngleich Zimmerpflanzen theoretisch helfen können, die Luft zu reinigen, ist es in der Praxis sehr schwierig, sein Zuhause mit genügend Pflanzen auszustatten, dass dies einen messbaren Unterschied macht.) 72

Wenn ein einziger Truthahnbraten meine Lunge reizen, ein klitzekleines bisschen Pollenstaub im Haus mich zum Niesen bringen und ein paar Insekten bei mir Juckreiz verursachen können, was richten dann wohl Milliarden von Innenraumbakterien bei mir an?

Einige der Mikroorganismen, die unsere Häuser bevölkern, sind bekanntermaßen Krankheitserreger. Der Schwarzschimmel (Aspergillus niger), der in und auf unseren Wänden wächst, kann Allergien und Atemwegsprobleme hervorrufen. Aspergillus fumigatus, ebenfalls ein Schimmelpilz, der bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem Infektionen der Lunge auslösen kann, lebt in unseren Kopfkissen. 73 Legionella pneumophila, ein Bakterium, das die Legionärskrankheit verursacht, hält sich liebend gern in den Rohren unserer Gebäude auf. Es macht es sich in Warmwassertanks gemütlich, in Kühltürmen und Badarmaturen und verbreitet sich durch in der Luft schwebende Wasserteilchen, sogenannte Aerosolpartikel. Streptococcus-Bakterien – die eine Halsentzündung, Nebenhöhlen- oder Ohrentzündungen, Bindehautentzündungen, Meningitis oder eine Lungenentzündung hervorrufen können – kommen häufiger in unseren Häusern als in der Natur vor, wie Fierer und Dunn festgestellt haben. 74 Die bloße Anwesenheit dieser Mikroben stellt nicht zwangsläufig eine Gefahr dar, und nicht alle Stämme verursachen Krankheiten, aber Gebäude können ihnen Vorschub leisten, sozusagen eine Infrastruktur, die Krankheiten begünstigt, darstellen. Grippeviren können durch das Belüftungssystem eines Büros verbreitet werden, ein Spritzer Streptokokken kann einen Türgriff gewissermaßen in ein Minenfeld verwandeln.

Doch viele der Mikroorganismen unserer Räume sind vollkommen harmlos, und manche haben sogar lebenslang anhaltende positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Raten von Asthma, Allergien und Autoimmunerkrankungen in den Industrienationen in die Höhe geschossen. Manche Wissenschaftler vertreten die Theorie, dass dies eine Folge unseres modernen Lebensstils sein könnte, durch den wir keinen Kontakt mehr mit der robusten mikrobiellen Menagerie haben, die unsere Vorfahren im Laufe der Evolution begleitet hat. 75 Das Ergebnis ist, dass unser Immunsystem nicht richtig trainiert wird. 76

Die Indizien, die diese Theorie stützen, häufen sich. Studien zeigen, dass Kinder, die mit Hunden zusammenleben, welche die Menge und die Vielfalt an Bakterien im Haus vergrößern, weniger sensibel auf Allergene reagieren und seltener an Asthma erkranken. 77 Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen und mit Tieren und deren Mikroben in Kontakt kommen, scheinen einen ähnlichen Schutz vor Allergien und Asthma zu entwickeln. 78

Einige der überzeugendsten Belege erbrachte die Forschung an zwei bäuerlichen Gemeinschaften in den USA: den Amischen und den Hutterern. Obwohl die beiden Gruppen vieles gemeinsam haben – zum Beispiel große Familien und den Ursprung in Mitteleuropa –, leiden nur 5 Prozent der amischen Kinder an Asthma, von den hutterischen dagegen 21 Prozent. 79 Die Methoden der Landwirtschaft unterscheiden sich bei den beiden Gemeinschaften stark. Die Amischen, die im Allgemeinen die Nutzung von Elektrizität vermeiden, leben auf Einfamilienhöfen und wenden traditionelle Methoden an; so pflügen sie beispielsweise ihre Felder mit Pferdegespannen. Ihre Kinder spielen gern in den Scheunen, die sich im Allgemeinen in der Nähe der Wohnhäuser befinden. Die Hutterer dagegen leben zusammen auf großen, oft industriell betriebenen Farmen, verwenden Hightech-Werkzeuge und sonstige Ausrüstung, und ihre Kinder haben weniger direkten Kontakt mit dem Vieh.

Diese Unterschiede können die mikrobielle Exposition der Kinder und die Entwicklung ihres Immunsystems beeinflussen. Im Jahr 2016 berichteten Wissenschaftler, dass Hausstaub aus amischen Häusern mehr Endotoxine enthielt – Moleküle, die in der Zellmembran einiger Bakterien zu finden sind – als Staub aus hutterischen Haushalten. 80 Darüber hinaus entnahmen sie den Kindern beider Gemeinden Blutproben und stellten fest, dass amische Kinder im Vergleich mehr Neutrophile aufwiesen – weiße Blutkörperchen, die dem Körper helfen, Infektionen zu bekämpfen – und weniger Eosinophile, die eine kritische Rolle bei allergischen Reaktionen spielen.

Die Forscher mixten außerdem ein paar Cocktails aus Staubproben von amischen und hutterischen Haushalten mit Wasser und sprühten das Gebräu in die Nasengänge von jungen Mäusen. Dann setzten sie die Mäuse Allergenen aus. Diejenigen Mäuse, die den Hausstaub der Hutterer erhalten hatten, reagierten erwartungsgemäß: Ihre Nasengänge zuckten und zitterten. Diejenigen Mäuse dagegen, die mit dem Staub der Amischen »geimpft« worden waren, atmeten relativ ungehemmt und schienen vor der allergischen Reaktion geschützt zu sein.

Obgleich es noch eine Menge zu erforschen gibt, legen die Forschungsergebnisse nahe, dass ein gesundes Zuhause lauter nicht geladene Gäste enthält. »Wir haben Tag für Tag mit Mikroorganismen zu tun, und viele von ihnen sind harmlos oder vielleicht sogar gut für uns«, sagte mir Fierer. »Ein steriles Haus ist keine gute Idee.« Zum Glück, denn wie sich herausstellte, ist mein Haushalt weit davon entfernt.

Ein Jahr nachdem ich in die Tiefen meines Duschkopfes vorgedrungen war, landete eine E-Mail in meinem Posteingang: Hier kommen Ihre Duschkopfdaten! Nervös klickte ich die Nachricht an. Trotz allem, was ich über die Allgegenwart von mikrobiellem Leben gelernt hatte, hatte ich mir in den vergangenen Monaten Sorgen gemacht. Mein Duschkopf hatte so makellos ausgesehen, dass ich fürchtete, Fierer würde möglicherweise überhaupt keine Mikroorganismen finden. Was, wenn mein extrem sauberer Duschkopf die ganze Studie sabotierte?

Ich hätte es besser wissen müssen. In meinem Duschkopf hauste eine verblüffend vielfältige Organismensammlung. Er wimmelte von Bradyrhizobium, einer Bakteriengattung, die in der Regel in der Erde und in Leitungswasser gefunden wird, und Sphingomonas, stäbchenförmigen Bakterien, die einige der gängigsten Schadstoffe aufspalten können. Er enthielt auch Spuren von ein paar geheimnisvolleren Mitbewohnern, darunter ein Organismus namens RB41, der in Hundeschnauzen und altsteinzeitlichen Höhlenmalereien gefunden wurde, und ein anderer namens MLE1, der mit Cyanobakterien (manchmal auch als »blaugrüne Algen« bezeichnet) verwandt ist, seine Energie aber aus Kohlenhydraten bezieht, nicht aus dem Sonnenlicht. 81 Wieso hatte ich MLE1 in meinem Bad?

»Keine Ahnung«, gab Fierer zu. »Er wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und bisher war niemand in der Lage, ihn im Labor zu züchten, daher wissen wir noch nicht, wozu er so imstande ist. Aber er kommt in vielen dieser Duschkopfproben in beachtlicher Zahl vor, was ich interessant finde, weil es sich nicht um eine exotische Umgebung handelt. Wir reden über Duschköpfe in ganz normalen Haushalten, und doch finden wir dort diese große Gruppe von Bakterien, die noch nie studiert wurde – oder zumindest nicht gründlich.«

Die Vorherrschaft in meinem Duschkopf hatten jedoch Bakterien inne: Mykobakterien, eine Gattung von Organismen, die fast zweihundert Arten umfasst. Mykobakterien sind taffe Burschen, denen heißes Wasser und Chlor nichts ausmacht, und wenn man sie einatmet, können sie ziemlich fiese Krankheiten verursachen, darunter Tuberkulose, Lepra und nichttuberkulöse Erkrankungen der Lunge, die sich in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern immer stärker verbreiten. 82 Fierer und Dunn entdeckten, dass die Duschköpfe in bestimmten Regionen – Hawaii, Südkalifornien, Florida und den Mittelatlantikstaaten im Nordosten der USA –, die als Hotspots für mykobakteriell induzierte Atemwegsinfektionen bekannt sind, potenziell gefährliche Stämme von Mykobakterien enthielten. »Es gab eine Debatte darüber, wo sich die Leute damit anstecken«, sagte Fierer, »und dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass es möglicherweise in der Dusche geschieht.« 83

Das waren keine guten Nachrichten, fand ich, wenn man bedachte, dass der Anteil von Mykobakterien unter den Bakterien in meinem Duschkopf fast 67 Prozent betrug. »Kein Grund zur Sorge«, versicherte mir Fierer. »Viele davon können absolut nichtpathogen sein.« Das ist nicht die beruhigendste Aussage, die ich je gehört habe, aber Fierer wies mich darauf hin, dass Mykobakterien eine komplexe, interessante Gruppe von Organismen sind: »Es gibt einige spannende Arbeiten über sie, die zeigen, dass manche dieser Bakterien das Immunsystem sogar stärken können, wenn man sie einatmet.« Er und seine Kollegen hoffen, entwirren zu können, welche von ihnen nützlich und welche gefährlich sind, indem sie die Reaktion von Mäusen auf einige der spezifischen mykobakteriellen Stämme beobachten, die in amerikanischen Badezimmern gefunden wurden.

Bis wir die Guten von den Bösen unterscheiden können, ist schwer zu sagen, was von meinen Ergebnissen zu halten ist. Fierer und Dunn haben entdeckt, dass Duschköpfe aus Metall – wie meiner – tendenziell mehr Mykobakterien enthalten als solche aus Plastik, aber es ist nicht klar, ob es sinnvoll wäre, meinen auszutauschen. 84 Fierer bat mich, nicht in Panik zu verfallen und stattdessen meine Ergebnisse in Relation zu setzen. Dass ich in der Lage bin, mir über mysteriöse Mykobakterien in meiner Dusche den Kopf zu zerbrechen, ist ein Luxus. In vielen Teilen der Welt enthält Wasser viel gefährlichere Organismen, wie beispielsweise Bakterien, die Cholera verursachen, und Zugang zu sauberem Wasser ist nicht einmal überall in den USA selbstverständlich. (Man muss nur die Bewohner von Flint, Michigan, fragen, die noch Jahre mit den Folgen von bleiverseuchtem Wasser zu kämpfen haben werden.) 85 Ich habe Glück, dass mein Wasser so sauber ist. »Ich möchte keine Paranoia verbreiten«, sagte Fierer. »Das Letzte, was ich will, ist, dass die Leute alle drei Monate ihre Duschköpfe auf den Müll werfen, weil sie sich Sorgen wegen der Bakterien darin machen.«

Also behalte ich meine Badezimmerausstattung erst einmal. Gibt es andere Dinge, die ich tun kann, um ein gesünderes Mikrobiom zu Hause zu fördern? Theoretisch sollten wir in der Lage sein, unsere mikrobiellen Zimmergärten zu kultivieren, die gefährlichen Arten herauszujäten und den gesunden zu mehr Wachstum zu verhelfen. »In der Zukunft könnte es möglich sein, Gebäude so zu konzipieren, dass sie gesunde Mikrobiome unterstützen«, schrieben die National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine 2017 in einem Bericht. 86

Der absolut beste Weg zu einem gesunden Heim ist, es trocken zu halten. Viele Pilze, die bei uns zu Hause abhängen, ruhen, solange sie nicht nass werden. Aber nach einer Überschwemmung, einem Leck oder auch nur durch etwas zu viel Feuchtigkeit erwachen sie zum Leben und breiten sich aus. In einer alarmierenden Studie haben dänische Forscher entdeckt, dass brandneue Gipskartonplatten, in vier unterschiedlichen Läden in Kopenhagen gekauft, »vorab kontaminiert« waren mit verschiedenen Pilzen, darunter Schimmelpilzen. Als sie den Gipskarton in steriles Wasser tauchten, begannen die Pilze zu sprießen. 87

Abgesehen davon, die Feuchtigkeit zu begrenzen, kann bessere Lüftung helfen, potenzielle Pathogene und Schadstoffe zu eliminieren. 88 Auch Teppichboden zu entfernen – der Staub, Schuppen und Schmutz beherbergt –, kann die Konzentration und Lebensdauer von Allergenen im Haus verringern. 89 »Unter mikrobiellem Aspekt ist Teppichboden ekelhaft«, meinte Fierer.

Es ist außerdem ratsam, die Finger von Haushaltsprodukten zu lassen, die eigens dafür gedacht sind, Mikroben zu töten. »Viele der Stoffe, die unsere bauliche Umwelt enthält, sind antimikrobiell«, sagte Erica Hartmann, eine Mikrobiologin von der Northwestern University. »Wir fügen sie Baumaterialien hinzu, wir imprägnieren Plastikschneidebretter damit, alle Arten von Kunststoffen, Fliesen, Farbe, alles Mögliche. Wir verwenden diese Antimikrobiotika überall.«

Bakterien passen sich rasend schnell an diese Chemikalien an, und wenn wir sie in unseren Häusern verwenden, können wir damit das Entstehen neuer Superbazillen fördern. Hartmann hat einen Zusammenhang zwischen zwei allgemein gebräuchlichen antimikrobiellen Wirkstoffen und zahlreichen Genen entdeckt, die Bakterien bekanntermaßen resistent gegen Antibiotika werden lassen. Je konzentrierter diese Chemikalien in einer Staubprobe aus einem Haushalt waren, desto reichlicher vorhanden waren diese resistenten Gene. »Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Kontakt mit Antimikrobiotika der Grund für die stärkere Antibiotikaresistenz dieser Bakterien ist, aber die Vermutung liegt nahe«, erklärte mir Hartmann. »Es ist ein Zeichen dafür, dass wir über den Umgang mit Antimikrobiotika in unseren Gebäuden noch einmal nachdenken sollten.« 90

Das Innere unser Häuser mit antimikrobiellen Substanzen auszukleiden, kann außerdem die guten Mikroben gleich mit abtöten. Wenn wir versuchen, Krankheitserreger zu eliminieren, sollten wir zugleich darauf achten, dass wir die Spezies erhalten, die für unsere Gesundheit förderlich sind. Was zu einer weiteren gewaltigen Herausforderung führt: Wir wissen noch nicht genau, welche das sind. »Die medizinische Forschung ist im Allgemeinen sehr gut darin, Krankheitserreger zu bestimmen«, sagte Fierer. »Aber beim Identifizieren von guten Mikroben hängt sie hinterher.«

Das hat Firmen nicht davon abgehalten, Probiotika, Putzmittel, Luftreiniger und Sprays, die unser Wohnzimmer mit angeblich guten Bakterienstämmen einnebeln, auf den Markt zu werfen. Der Hersteller eines probiotischen Sprays behauptet, dass es »die Balance gesunder Bakterien wiederherstellt« und »eine gesunde Immunabwehr für Ihr Zuhause erzeugt«. 91 Wenige dieser Produkte sind jedoch streng getestet worden, und klinische Tests von anderen Arten von Probiotika, wie jene, die oral zugeführt werden, haben größtenteils enttäuschende Resultate erbracht. 92 Selbst wenn es Wissenschaftlern gelingt, wirksame Probiotika zu identifizieren, gibt es wahrscheinlich bessere Wege, sie aufzunehmen, als sie im Haus zu versprühen. »Das erscheint mir die am wenigsten effiziente Art und Weise der Verabreichung zu sein«, sagte Brent Stephens, Leiter der Built Environment Research Group am Illinois Institute of Technology. »Wenn wir ein Vitaminpräparat einnehmen, spritzen wir es ja auch nicht in die Luft und laufen drumherum.«

Darüber hinaus ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir den einen magischen Mikroorganismus entdecken, eine einzige ideale Mikrobe, die uns hilft, eine Erkältung abzuwehren oder Heuschnupfen aufzuhalten. Es existiert nicht einmal so etwas wie ein ideales Mikrobiom – wenn man von hundert gesunden Menschen einen Abstrich nimmt, erhält man hundert verschiedene Mikrobenmischungen. Eine Spezies, die bei der einen Person gesundheitsfördernd wirkt, kann eine andere krank werden lassen, eine Mikrobe, die einem Kind in der Wachstumsphase hilft, kann für einen älteren Menschen gefährlich sein. Sollten wir also unsere Gebäude so bauen, dass sie gesunde Mikrobiome fördern, selbst wenn wir gar nicht genau wissen, worauf wir abzielen? »Das ist, als würde man aufs Gaspedal drücken, ohne zu wissen, in welche Richtung man fahren will«, meinte Rob Knight, ein Mikrobiomforscher von der University of California, San Diego.

Im Augenblick liegt der beste Weg zu einem gesundheitsfördernden heimischen Mikrobiom nicht in raffinierten Produkten oder Technologien. Achten Sie darauf, dass alle Gegenstände trocken sind. Verzichten Sie auf Reinigungsmittel, Textilien und Materialien, die mit Antimikrobiotika behandelt sind. Öffnen Sie das Fenster. Schaffen Sie sich einen Hund an. (Oder, wenn Sie den Platz dafür haben, eine Kuh.)

Vor allem sollten wir uns an die unumstößliche Tatsache gewöhnen, dass wir in unseren eigenen Häusern in der Unterzahl sind. Unsere Gebäude leben, und selbst die winzigsten Bewohner können enorme Auswirkungen auf unser Wohlbefinden haben. Das mag uns beunruhigend erscheinen, aber es stellt auch eine Chance dar – nämlich Innenräume zu entwerfen, die tatsächlich gut für unsere Gesundheit sind. Und wo ließe sich das besser lernen als in Krankenhäusern, deren Architektur nicht selten über Leben und Tod entscheidet.

ZWEI

EIN KRANKENHAUSZIMMER FÜR SICH ALLEIN

Im Februar 2013 eröffnete das Center for Care and Discovery, ein zehnstöckiges Krankenhaus in Chicago, offiziell seine Pforten. Die ersten hereinströmenden Patienten brachten ihre Mikroben mit: Sie verteilten Bakterien in der Eingangshalle, verströmten Viren in den Fluren und ließen Pilze in ihren Betten zurück. Sie teilten diese Mikroorganismen mit ihren Mitpatienten, gaben sie an die nächsten Bewohner ihrer Zimmer weiter. »Zog eine Patientin oder ein Patient in ein neues Zimmer um, wurde sie oder er tatsächlich in kurzer Zeit von einigen der Bakterien im Raum besiedelt – Bakterien des vorherigen Patienten«, erzählte mir Jack Gilbert, der mikrobielle Ökologe, der eine einjährige Studie über Mikroben in dem neuen Krankenhaus geleitet hat. »Das geschah auch, wenn das Zimmer zuvor gereinigt worden war.« 93

Nach einem Tag strömten die Bakterien in neuen Bahnen: vom Körper des neuen Patienten auf die Oberflächen im Raum. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden ähnelten die Mikroben auf den Seitenteilen des Bettes, den Armaturen und anderen Flächen stark denen, die der Patient mitgebracht hatte. »Die Fluktuation geschah ziemlich schnell«, so Gilbert. Nachdem dieser Patient entlassen worden war, wiederholte sich der Kreislauf: Der neue Patient in dem Zimmer übernahm zuerst die Mikroorganismen seines Vorgängers und verteilte dann seine eigenen – eine Art endloses Stille-Post-Spiel.

Dieser Mikrobenaustausch spielt sich auch in anderen Gebäuden ab, aber in Krankenhäusern, wo viele Menschen Krankheitserreger mitbringen, kann er sich verheerend auswirken. SARS, das tödliche Atemwegsvirus, das erstmals 2002 in China auftauchte, kam über Krankenhäuser und Notaufnahmen in Umlauf, wo sich Patienten gegenseitig ansteckten, genauso wie das Klinikpersonal, das sie versorgte. 94 Keime können auch weiterleben, nachdem der betreffende Patient entlassen wurde: Wenn ein Patient an einer Clostridioides-difficile-Infektion leidet, die zu schwerem Durchfall und sogar zum Tod führen kann, ist das Risiko, dieselbe Krankheit zu bekommen, für die nachfolgenden Patienten in dem Raum erhöht. 95

Viele Krankenhauspatienten haben ein geschwächtes Immunsystem oder offene Wunden, was sie besonders anfällig für Infektionen macht. Wegen der Ausbreitung antibiotikaresistenter Stämme von Bakterien und Pilzen sind diese durch Krankenhauserreger hervorgerufenen Infektionen, die 7 bis 10 Prozent der Patienten befallen, gefährlicher und schwieriger zu behandeln als andere. 96

Diese Herausforderungen haben Architekten im Bereich des Gesundheitswesens dazu veranlasst, ihre Gebäude mit Blick auf Mikroorganismen zu entwerfen. Als die Leitung der Skåne Universitätsklinik in Malmö, Schweden, 2005 beschloss, die Abteilung für Infektionskrankheiten umzubauen, wollte sie ein Gebäude, das Sicherheit bieten würde in dem, wie sie es nannte, »postantibiotischen Zeitalter« – einem Zeitalter, in dem wirksame Antibiotika knapp werden und Epidemien in Windeseile auf der ganzen Welt um sich greifen können. 97

Um gemeinsam genutzten Raum auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, entschied das Planungsteam, dass jeder Patient ein eigenes Zimmer bekommen sollte, wodurch erwiesenermaßen die Übertragung von Infektionskrankheiten gebremst wird. (Die Wirkung dieser Maßnahme kann ungeheuer sein: Als das Montreal General Hospital die Intensivstation von Mehrbett- auf Einzelzimmer umstellte, sank die Geschwindigkeit, mit der Patienten sich mit potenziellen Krankheitserregern ansteckten – darunter mehrere medikamentenresistente Bakterienstämme –, um über 50 Prozent, und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Krankenhaus reduzierte sich um 10 Prozent.) 98

Aber das Planungsteam ging noch weiter: Es wollte darüber hinaus vermeiden, dass sich die Patienten auf den Fluren über den Weg liefen. Also entwarfen die Planer ein rundes Gebäude mit Außenbalkonen an den Stationen in den höheren Stockwerken. Jedes Krankenzimmer besitzt zwei Türen, eine zum Flur innerhalb des Gebäudes und eine andere, die direkt zu den außen verlaufenden Gängen führt. Die Patienten betreten ihre Zimmer über die Außentüren. »Man kann Patienten von draußen direkt in ihre Räume bringen, sodass sie nicht mit Husten und Fieber in Wartezimmern herumsitzen«, sagte Torsten Holmdahl, der in den Planungsprozess eingebundene Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten. (Der Bereich für die ambulante Betreuung und die Notaufnahme im ersten Stock haben ebenfalls Eingänge, die unmittelbar von draußen in die separaten Behandlungszimmer führen.)

Sowohl über die äußeren als auch über die inneren Zugänge gelangt man in kleine Vorräume, wo sich Personal und Besucher die Hände waschen und desinfizieren und, wenn nötig, Masken und Schutzkleidung überziehen können. (Die Studienergebnisse sind gemischt, aber einige deuten darauf hin, dass bequem zu erreichende Waschbecken und Desinfektionsmittelspender die Handhygiene des Klinikpersonals verbessern und damit die Wahrscheinlichkeit verringern, dass es Bakterien von einem Patienten auf den nächsten überträgt.) 99

Die Türen zu den Vorräumen sind luftdicht verschlossen und stehen unter Druck, wodurch keine kontaminierte Luft durch sie hineindringen kann. »Das schützt den Patienten vor der Außenwelt und umgekehrt«, so Holmdahl. Die übergroß gebauten Krankenzimmer können im Fall einer Epidemie in Doppelzimmer umgewandelt werden oder sogar in Hochrisiko-Isolierzimmer, indem die Luftzirkulation erhöht wird und die Vorräume verschlossen werden.

Das 2010 eingeweihte Gebäude hat sich im Großen und Ganzen als Erfolg erwiesen. Krankheiten machen weniger schnell die Runde als in der alten Einrichtung, sagte mir Holmdahl. Auch wenn die Folgen für die Patienten noch nicht formell wissenschaftlich untersucht wurden, ist dieser Umbau Vorbote für eine Zukunft, in der Architekten mikrobielles Leben ernst nehmen. Und passenderweise geschieht das zunächst im Zusammenhang mit Krankenhäusern, dem Geburtsort einer Disziplin, die als »evidenzbasiertes Design« bezeichnet wird.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Forschung eine überwältigende Anzahl an Belegen dafür gesammelt, dass die Bauweise von Krankenhäusern die Genesung der Patienten beeinflusst. Dort kann Architektur buchstäblich Leben retten. Die richtigen Gestaltungsentscheidungen können Stress verringern, Schmerzen lindern, den Schlaf verbessern und die Stimmung heben, medizinische Fehler vermeiden helfen, verhindern, dass Patienten stürzen, die Ansteckungsrate von Infektionen senken und die Genesung beschleunigen. 100 Tausende Studien haben überdeutlich gezeigt: Gutes Design ist eine wirkungsvolle Medizin.

Das moderne Krankenhaus ist die jüngste Manifestation einer Idee, die Jahrhunderte zurückreicht. Im Laufe der Geschichte haben viele Gesellschaften ihre eigenen Strukturen geschaffen, um für die Kranken zu sorgen. 101 Die alten Griechen bauten Tempel, in denen kranke Bürger Rat von Asklepios, dem Gott der Heilkunst, empfangen konnten, während die Römer valetudinaria, Militärhospitäler für kranke und verwundete Soldaten, errichteten. Im mittelalterlichen Europa war die Pflege der Kranken oft mit Religion verknüpft: Klöster betrieben Krankenhäuser, und Kleriker leiteten eigenständige christliche Hospitäler.

Säkulare Krankenhäuser entstanden vermehrt im 18. und frühen 19. Jahrhundert, als die Ausübung der Heilkunde wissenschaftlicher und professioneller wurde. Diese Einrichtungen, die in erster Linie für die Armen gedacht waren, sandten nicht gerade Signale der Hoffnung: Ihre Mittel waren knapp, sie waren überfüllt, dunkel, schmutzig und gefährlich. Die Patienten teilten sich nicht nur die Zimmer – manche sogar die Betten. Infektionskrankheiten grassierten, und jene, die es sich leisten konnten, waren im Allgemeinen besser damit bedient, sich zu Hause gesund pflegen zu lassen.

Dies waren die haarsträubenden Bedingungen, die schließlich die britische Krankenschwester Florence Nightingale zum Handeln bewegten. 102 Im Jahr 1854 reiste Nightingale in die Türkei, um sich um britische Soldaten, die in den Schlachten des Krimkrieges verwundet worden waren, zu kümmern. Sie war in einem improvisierten Lazarett in einer umgebauten Kaserne stationiert. In dem Gebäude wimmelte es von Läusen, Flöhen und diversen Nagetieren. Das Wasser war verunreinigt, die Abflüsse funktionierten nicht richtig, die Böden der Stationen waren mit Abwasser bedeckt. Es fehlte an den grundlegendsten Materialien. Die Patienten wurden in schmutzige, blutige Leintücher gehüllt.

Trotz des Widerstands der militärischen Führung begann Nightingale einen Sauberkeitsfeldzug. Unter ihrer Leitung badete das Krankenhauspersonal die Soldaten und wusch ihre Bettwäsche, reinigte die verstopften Rohre und Abflüsse, ersetzte mit Ungeziefer befallene Böden und tünchte die Stationen mit Kalkfarbe. Und obwohl die Theorie von Keimen als Krankheitserreger sich noch nicht durchgesetzt hatte, ahnte Nightingale instinktiv, was Mikrobiologen später bestätigten: Ständig ausgetauschte Frischluft kann die Geschwindigkeit drosseln, mit der eine ansteckende Krankheit um sich greift. Um die Luftzirkulation im Lazarett zu verbessern, ließ sie Fenster und Lüftungsluken im Dach installieren. Die Mortalitätsrate sank. 103

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