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Ein Arzt, ein Kuss, ein Heiratsantrag

hier erhältlich:

Dem wunderbarsten Mädchen der Welt begegnet Medizinstudent Leo auf einer Party, aber am nächsten Tag verschwindet Alex spurlos. Erst zehn Jahre später sieht Leo sie wieder. Noch immer wunderbar – doch inzwischen hat er als Arzt in Abgründe geblickt, die ihre Liebe verbieten …


  • Erscheinungstag: 30.08.2023
  • Seitenanzahl: 130
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745753431
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

10 Jahre zuvor …

Die Party war zu Beginn etwas lahm gewesen, aber gegen dreiundzwanzig Uhr war das Haus voll von Leuten, und Leo Cross wurde es allmählich viel zu heiß in seinem Kostüm.

Eigentlich hatte es nach einer ziemlich guten Idee geklungen, eine Mottoparty zu veranstalten. „Raumschiff Orion“ war für die sechs Medizinstudenten nicht nur eine Fernsehshow, sondern ein echtes Freitagabendritual in dem weiträumigen Haus, das sie sich im Westen von London teilten. Es war diese eine Stunde in der Woche, die sie sich frei hielten für etwas anderes als Studium, Freundinnen oder Schlaf. Und das bestandene sechste Semester war ein guter Anlass zum Feiern gewesen. Mit so viel Alufolie, wie sie tragen konnten, hatten die Studenten die Räume ausgekleidet und ein paar aufblasbare Planeten an die Decken gehängt. Es war nur logisch gewesen, sich dann auch noch wie die Raumschiffmannschaft aus der Fernsehserie zu verkleiden!

Aber ein warmer Sommerabend war nicht der optimale Zeitpunkt für schwere Uniformen und hohe Kragen, und Leo wünschte, die integrierte Temperaturregelung per Knopfdruck wäre tatsächlich bereits erfunden worden.

Ein Mädchen in einem blauen Jumpsuit drängte sich plötzlich dicht an ihn. „Captain Boone! Sie sehen heute Abend besonders verlockend aus.“

„Maddie. Wie gehts?“

„Willst du einen irdischen Cocktail?“ Maddie schlang ihre Arme um Leos Schultern. Anscheinend hatten sie und Pete wieder gestritten, und es war wie üblich nur eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder versöhnten. Aber im Moment genoss Pete am anderen Ende des Raumes die Aufmerksamkeit einer Rothaarigen im Kostüm einer Hydra und Maddie hatte wohl postwendend beschlossen, Pete seine eigene Medizin schlucken zu lassen.

Leo befreite sich aus Maddies Griff. „Nein danke, aber …“ Nicht mit mir! Wenn Pete und Maddie ihre Spielchen spielten, war das in Ordnung, aber Leo wollte da nicht reingezogen werden.

„Leo!“ Maddie schob ihre Unterlippe schmollend vor, aber Leo zog es vor, sich schnell unter die Leute zu mischen. Er bahnte sich seinen Weg zur Küche, machte einen Bogen um die üblichen Verdächtigen am Bierfass, schlüpfte durch die Hintertür in den Garten und seufzte herzhaft, als ihm die nächtliche Sommerluft durchs Gesicht strich. Der gepflasterte Bereich des Gartens war voll mit jungen Leuten, die tranken und redeten, also setzte Leo seine kleine Flucht bis zu den Bäumen am Ende des Gartens fort. In der Dunkelheit stieß er plötzlich gegen etwas Weiches, das angenehm duftete. Er bemerkte einen grünlichen Silberschimmer, dann löste sich plötzlich ein Schatten aus der Dunkelheit: Leutnant Tara Xhu.

„Noch ein Flüchtender?“ Ein Lächeln umspielte die Lippen des unbekannten Partygastes.

„Das kann man wohl sagen. Wie hast du es denn bis hierher geschafft?“

Tara – oder wie auch immer ihr Name wirklich war – zuckte mit die Schultern. „Ich bin nicht sicher. Ich habe nur eine Episode gesehen, das musste als Information für das Kostüm reichen. Ich kann nicht sagen, welche Strategie Leutnant Tara für ihre Flucht benutzt hätte.“ Ihre Lippen lächelten verschmitzt. „Und du bist Captain Boone?“

Leos Augen begannen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und je mehr er sah, desto besser gefiel ihm, was er sah. Das Mädchen hatte dicke schwarze Strumpfhosen an, Boots und ein schulterfreies Top, das ihre zierliche Figur umschmeichelte – und den Blick auf die grünen Reptilienschuppen freigab, die auf ihre Schultern gemalt waren. In einem Halfter an ihrem Schenkel war eine nachgemachte Laserpistole befestigt. Silbern schimmernde Metalldrähte schlängelten sich um Finger und Handrücken. Ihr eigentlich dunkles Haar hatte sie an den Spitzen grün angesprayt und mit dolchförmigen Anstecknadeln zu einem Irokesen arrangiert.

Leo hatte sich schon einige Male auf den ersten Blick verliebt, aber nach dieser Begegnung verloren seine vergangenen Erlebnisse jegliche Bedeutung!

Plötzlich zog die schöne Unbekannte ihre mit Strasssteinen besetzte Augenbraue hoch, und Leo bemerkte, dass sein Blick dem Weg der aufgemalten Schuppen gefolgt war, die sich von ihrem Gesicht über ihren Hals zogen und auf Brusthöhe unter ihrem Top verschwanden.

„Ähm, tolles Kostüm. Deine Schuppen sehen … sie sehen wirklich echt aus.“ Captain Thomas Boone hätte zweifellos ein bisschen weltgewandter reagiert, aber der hatte auch mehr Erfahrungen mit den Wundern der Galaxis als Leo.

„Danke. Irisierendes Bodypainting nennt man das. Aber auf dem Weg hierher im Bus habe ich mich ein wenig wie eine Idiotin gefühlt.“ Sie grinste ihn an und verschwand wieder auf die alte Picknick-Bank, die unter den Bäumen stand. „Also, wem oder was bist du entkommen? Oder wolltest du einfach nur ein wenig frische Luft schnappen?“

„Ein bisschen von beidem.“ Leo setzte sich neben sie und streckte seine Beine aus. Diese elfenhafte Kopie einer Tara hatte eine Leichtigkeit in ihren Bewegungen, eine innere Freude in sich, die so anders war als das Kriegerische, das die echte Tara ausstrahlte. Und obwohl er fast einen halben Meter von ihr entfernt saß, konnte Leo ihre Wärme spüren.

„Wohnst du hier?“, fragte sie.

„Ja.“

„Dann bist du Medizinstudent?“

„Das ist richtig. In ein paar Wochen geht das vierte Jahr los, das könnte also die letzte Party für eine lange Weile sein.“

„Ich habe gehört, dass das ein besonders hartes Jahr sein soll. Interessant, aber …“

Das war exakt das, was Leo befürchtete. Es würde harte Arbeit werden, aber er konnte es nicht erwarten, sein bisher Erlerntes in die Praxis umzusetzen.

„Und was machst du?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Im Moment nichts. Ich komme gerade von einem Auslandsjahr in Australien zurück.“

„Echt? Wie war es?“ Alles, was Leo jetzt wollte, war, mit ihr hier im Dunkeln zu sitzen und ihr zuzuhören.

Sie lachte. „Es ist schwer, es in einem Satz zu erklären. Aber … Ich liebe Australien.“

Leo konnte sich vorstellen, dass sie jeden Moment dieses Auslandsjahres genossen hatte. Auch hier und jetzt ging eine unglaubliche Präsenz von ihr aus. Sie lebte den Augenblick. Es war irgendwie ansteckend.

Sie zupfte gedankenverloren an ihrer Frisur. „Wolltest du schon immer Mediziner werden?“

„Ja. Mein Onkel ist Arzt, und als ich neun war, habe ich miterlebt, wie er jemandem das Leben gerettet hat. Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe, nichts anderes zu wollen als das.“

Sie nickte ruhig. „Du hast also eine Berufung. Eine Mission fürs Leben, das ist schön.“

Manchmal, wenn er nachts über seinen Büchern hockte, hatte er diesen Eindruck nicht. Aber aus Taras Mund klang es wie etwas Besonderes. „Ja, ich denke, so ist es.“

„Ich suche noch nach meiner Berufung. Es gibt so viele Möglichkeiten, dass man sich unmöglich festlegen kann. Deswegen helfe ich jetzt ein Jahr lang auf der Farm meines Vaters aus und mache mir Gedanken über ein Studium.“

„Du wirst schon das Richtige finden.“ Leo war nach den wenigen gemeinsamen Minuten mir ihr ganz sicher, dass sie es von ganzem Herzen tun würde.

„Ja, ich denke, das werde ich.“ Sie schien einen Moment darüber nachzudenken und lächelte plötzlich. „Es gibt nichts Besseres, als einen Stall auszumisten, wenn man wichtige Entscheidungen für die Zukunft treffen muss.“

„Soll ich dir etwas zu trinken holen?“ Leo hoffte, sie würde Ja sagen. Dann könnten sie ihre Unterhaltung hier draußen weiterführen und nicht im stickigen Lärm der Party.

„Nein, danke. Ich habe einen dieser blauen Cocktails probiert, und er war mir viel zu süß.“ Sie zögerte und dann schien sie eine Idee zu haben. „Dieses Café um die Ecke, ob es noch auf hat?“

„Es ist die ganze Nacht geöffnet.“ Süße Vorfreude machte sich in Leo breit.

„Okay, wollen wir?“

Ihre Kostüme waren bei Weitem nicht die Auffälligsten in dem Café in dieser Nacht, aber Alex zupfte trotzdem ein wenig verlegen an ihren grünen Haaren und an ihren Strass-Augenbrauen. Leo hatte sie lachend überzeugt, so zu bleiben wie sie war, weil von einem Raumschiffkapitän schließlich erwartet wurde, dass sein erster Leutnant ihn begleitete.

Sie redeten die ganze Nacht, füllten sich mit Kaffee ab, dann um drei Uhr morgens mit Schinken und Käse auf Toast. Um sechs verbot sie ihm, sie nach Hause zu bringen, und sie einigten sich schließlich auf die Bushaltestelle.

„Kann ich dich anrufen?“ Leo wünschte, dass der Bus nicht so schnell kommen würde.

„Das habe ich gehofft.“ Sie lächelte ihn an und griff in ihre Jacke, um ihr Handy rauszuziehen. Sie las ihre Nummer ab. Seine Finger zitterten, während er die Nummer in sein Handy tippte. Er drückte auf Anruf und ihr Handy klingelte. Sogar ihr Klingelton klang frisch und voller Freude. „Es hat geklappt.“ Zu seiner Freude speicherte sie sofort seine Nummer ab.

„Leutnant Tara.“ Leo grinste als er die Worte sprach und sie in sein Handy tippte. „Wie ist denn nun dein richtiger Name?“

„Alex.“ Sie drehte sich um, als sie den Bus kommen hörte. „Da ist mein Bus. Du wirst mich doch anrufen?“

„Ja.“ Leo fragte sich, ob es angebracht war, sie zum Abschied zu küssen, aber er musste einsehen, dass er seine Chance verpasst hatte. Die Nacht war perfekt, so wie sie war. Sie hatten ihre Gedanken ausgetauscht, und alles um sie herum war unwichtig geworden. Und wenn er sie küsste, wollte er sie richtig küssen, nicht nur zum Abschied.

Sie stieg in den Bus, entwertete ihre Fahrkarte und drehte sich zu ihm, um ihm zuzuwinken. Der Bus fuhr davon. Sie jetzt anzurufen, wäre wohl ein wenig zu voreilig. Er machte sich auf den Weg zurück nach Hause. Sein Handy brummte.

Mögen wir uns in anderen Welten wiedersehen!

Es waren Leutnant Taras Abschiedsworte aus der Fernsehserie.

Und etwas Schlaf finden.

Leo grinste und textete ihr zurück, wartete bis der Bus um die Ecke bog und ging.

Er rief sie am nächsten Abend an, aber sie ging nicht dran. Auch am nächsten Tag ging sie nicht an ihr Handy.

Leo zählte seine Anrufe, und er wusste, dass sie auf ihrem Display sehen konnte, dass er es war. Sechs Mal hatte ein bisschen was von Stalking, deswegen begann er, ihr Texte zu schicken. Keine Antwort. Er ließ eine Woche vergehen und rief erneut an. Er hinterließ ihr eine sorgsam formulierte Nachricht auf der Mailbox: Wenn sie jetzt nicht antwortete, würde er aufgeben.

Er gehörte offensichtlich nicht in die Welt der großartigen und temperamentvollen Tara. Es war wohl Zeit, sich elegant zurückzuziehen und sich auf den nächsten Lebensabschnitt zu konzentrieren.

2. KAPITEL

Zeitreise in die Gegenwart …

Alexandra Jackson zitterte, als sie die marmorne Halle des Hotels durchquerte. Der Rezeptionist zeigte ihr den Weg zur Kaffee-Lounge. „Oh, danke, und wo ist die Damentoilette?“ Sie hatte noch zehn Minuten Zeit und ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie musste sich unbedingt beruhigen.

„Da durch …“ Alex folgte der Richtung, die der Finger des Rezeptionisten zeigte und betrat den geschmackvoll eingerichteten Vorraum der Damentoilette. Sie setzte sich und atmete tief ein und aus. Ganz langsam.

Leo Cross. Sie hatte in den vergangenen zehn Jahren sehr oft an ihn gedacht. Öfter, als eine gemeinsame Nacht in einem Café vermuten ließ. Vielleicht wegen der Ereignisse auf ihrem Heimweg. Ein Auto hatte sie überfahren, kurz nachdem sie aus dem Bus gestiegen war.

Es hatte alles verändert.

Sie hatte ihr Handy bei dem Unfall verloren, und als ihre Eltern ihr ein neues brachten, hatte sie damit auch eine neue Nummer gehabt. Doch das dürfte ihn nach all den Jahren kaum noch interessieren!

Die Erinnerungen an Leos jungenhaften Charme, die Leidenschaft, mit der er über seine Pläne sprach, Arzt zu werden, hatten noch lange in ihr nachgeklungen. Wie ein Mahnmal begleitete sie die Erinnerung durch die mühseligen Monate der Reha, als sie das Laufen mit der Prothese völlig neu lernen musste, und als sie von Zu Hause wegging, um an die Universität zu gehen … Leos Pflichtgefühl, seine absolute Sicherheit, eine Berufung im Leben zu haben – all das hatte sie angespornt. Wenn er es konnte, konnte sie es auch.

Sie hielt so lange sie konnte an diesem Traum fest, an dem Traum von Leo als Ritter in Weiß, der eine Mission hatte. Leo, der Raumschiffkapitän. Nichts war zu schwer für diesen Mann. Aber dann wurde sie mit Karacho in die Realität zurückgeholt.

Sieben Jahre nachdem sie sich auf der Party kennengelernt hatten, las sie zufällig seinen Namen in der Zeitung. Sie konnte es gar nicht glauben und recherchierte im Internet. Und er war es tatsächlich. Der neueste TV-Arzt, charmant und weltmännisch, der auf jeder angesagten Party gesichtet wurde. Es schien, dass der Leo, den sie kennengelernt hatte, seine Weltretterambitionen verloren hatte und stattdessen auf seine verführerischen blauen Augen, seine blonden Haare und auf modische Outfits setzte.

Sie hatte darüber nachgedacht, ihn zu kontaktieren. Aber was sollte sie ihm sagen? Dass sie offenbar all die Jahre ein Idealbild von ihm in ihrem Herzen getragen hatte und keinen Mann aus Fleisch und Blut? Nein! Das perfekte Bild behielt man am besten in seinen Träumen und in seiner Vorstellung, dort konnte es nicht von der Realität zerstört werden.

Aber nun hatte Leo Cross etwas, das sie brauchte.

Alex schulterte ihre Tasche, zog ihre Jacke gerade und ihre Hose glatt. Er würde sie nicht erkennen, sich vermutlich nicht einmal an sie erinnern. Sie könnte von vorn beginnen und so tun, als sei er ein ganz anderer Mensch als der, den sie vor Jahren kennengelernt hatte.

Als sie die Kaffee-Lounge betrat, entdeckte sie ihn sofort. Er saß an einem der Tische. Sein Anblick raubte ihr noch immer den Atem. Sein Haar war kürzer und saß akkurater, aber es verlieh ihm noch immer etwas Engelhaftes, auch wenn der sanfte Ausdruck um seine Augen verschwunden war. Er war tadellos gekleidet, schwarzer Anzug, weißes Hemd und eine dezent gemusterte, teuer aussehende Krawatte. Sie fragte sich, ob der Stapel an Unterlagen, der gerade seine ganze Aufmerksamkeit forderte, mit ihr zu tun hatte. Aber sie verwarf den Gedanken wieder. Sie war es, die ihn beeindrucken musste und nicht umgekehrt.

Er sah auf, als sie ankam, und für einen kurzen Moment blitzte Unsicherheit in seinen Augen auf. Dann sprang er auf, und die Unterlagen fielen auf den Teppich.

„Leutnant Tara!“ Sein Lächeln war genauso hinreißend wie damals, und dass er sie erkannt hatte, ließ Alex für einen Moment vor Verlegenheit erstarren. „Ist es denn zu fassen! Wie geht es dir? Was machst du so?“

„Ich denke, das weißt du schon! Schließlich sind das meine Unterlagen, die du gerade auf den Boden geworfen hast!“

Leo starrte sie einen Moment lang fassungslos an. „ Du bist Alexandra Jackson?!“

„Mir ist Alex lieber …“

„Damit du nicht mit den vielen Silben kämpfen musst?“ Leos trockener Humor schien noch vorhanden zu sein. Sie grinste ihn etwas unbeholfen an.

„Hast du schon vorher gewusst, dass ich es bin?“, fragte er. Irgendwie sympathisch, dass er davon ausging, dass jemand sein Lächeln auch mal vergessen könnte.

„Ja, ich hätte aber nicht gedacht, dass du dich an mich erinnerst.“

„Nun, es ist schön, dich zu sehen. Es ist nur schade, dass ich es nicht geschafft habe, mich durch all das Material zu arbeiten, das du mir geschickt hast.“ Er bückte sich, um die Blätter aufzuheben, versuchte, den unordentlichen Stapel zu bändigen und legte ihn auf den Tisch.

Sie dagegen hatte über ihn alles gelesen, was sie finden konnte. Er hatte zu den Besten an der Uni gehört und besaß eine eigene Arztpraxis im Zentrum von London. Er hatte eine Zusatzqualifikation als Berater und war Mitglied zahlreicher Institutionen. Begonnen hatte er als Co-Moderator für eine interaktive Radioshow, die dreimal pro Woche ausgestrahlt wurde, jetzt hatte er seine eigene Radiosendung. Fernsehauftritte folgten, außerdem einige Bestseller. Zudem war er Pate verschiedener Gesundheitsinitiativen. Das allein wäre schon beeindruckend genug gewesen, doch wenn sein soziales Engagement nur halb so ausgeprägt war, wie es in den Zeitungen stand, dann müsste er tatsächlich Superman sein.

„So.“ Er bedeutete ihr, sich ihm gegenüber in den Sessel zu setzen. „Sollen wir übers Geschäftliche reden?“

„Ja, das wäre gut.“ Deswegen war sie ja hier. Und nicht, um an seinem Lächeln zu kleben.

„Gut.“ Er schien es kaum abwarten zu können, das Gespräch zu beginnen. Schnell lege Alex ihren Mantel und ihre Tasche auf einen leeren Stuhl und setzte sich.

„Ich möchte ehrlich zu dir sein, was die Gründe sind, weshalb wir hier sind.“ Das war schon mal gut. Alex nickte wieder ein wenig unbeholfen. „Ich muss sichergehen, dass alles vertraulich behandelt wird. Die Informationen werden später sowieso an die Öffentlichkeit gehen, aber ich möchte nicht, dass es von jemandem kommt, der nicht mit uns in Verbindung steht.“

„Ich verstehe, ich sage kein Wort.“

„Danke. Wie du weißt, wird bei 2KZ, dem Radiosender, für den ich arbeite, im Februar immer eine besondere Wohltätigkeitsorganisation ausgiebig der Öffentlichkeit vorgestellt. Dafür hattest du dich mit deiner Organisation beworben.“

„Ja, wir haben vor Weihnachten angefragt, aber unsere Bewerbung hatte keinen Erfolg.“

„Richtig.“ Er machte eine Pause, um die besondere Situation wirken zu lassen. „Aber die Organisation, die wir ausgesucht hatten, hat Probleme. Zuerst waren es nur Vorwürfe, aber inzwischen gibt es genügend belastende Beweise. Deswegen mussten wir unsere Entscheidung revidieren.“

„Und wir haben jetzt eine zweite Chance?“ Alex fragte sich, um welche Organisation es sich handeln könnte und was man ihr vorwarf, aber ein Blick in Leos Gesicht verriet ihr sofort, dass er auf keinen Fall darüber reden würde.

„Wir haben überlegt, das Charityprojekt für dieses Jahr ganz zu begraben, weil wir nicht jede Organisation auf Unregelmäßigkeiten prüfen können, doch wir fanden, dass das auch keine Lösung ist. Aber das Programm wird etwas anders aussehen. Wir planen ein paar Anrufsendungen, statt Beiträge vorzuproduzieren. Wäre das trotzdem etwas für dich?“

Alex schluckte. „Das ist ein großes Projekt für uns. Das würde einen hohen personellen Aufwand bedeuten. Kannst du mir sagen, an welcher Stelle der Liste wir stehen?“ Dass sie erfuhr, nur zweite Wahl zu sein, war nicht so schlimm, auch wenn Leo es etwas taktvoller hätte sagen können. Aber sie musste sicher sein, dass der Radiosender ausreichend interessiert war, um ihr Projekt ernsthaft vorzustellen und nicht einfach nur eine Lücke im Programm mit ihr füllen wollte.

„Nein, aber ich kann dir versichern, dass wir sorgsam auswählen, was in unser Programm passt. Und ich brauche deine Antwort jetzt.“

Mit anderen Worten: Sie würde ihm vertrauen müssen. Dem alten Leo zu vertrauen war sicher einfacher als diesem neuen. Aber Alex wusste auch, dass sie verrückt sein müsste, diese Chance nicht zu nutzen. „Ja, wir sind interessiert. Danke. Das ist eine wunderbare Möglichkeit für uns.“

Er quittierte ihre Dankbarkeit mit einem Lächeln und schnipste mit den Fingern den Kellner herbei. „Sollen wir einen Tee nehmen? Einen Darjeeling vielleicht?“

Der Kellner zückte schon seinen Stift. Alex war noch nie hier gewesen und hatte keine Ahnung, was sie nehmen sollte. Leo hatte sie schon damals im Café selbst bestellen lassen. Damals hatte sie damit keine Probleme gehabt. Kaffee oder Tee, mit oder ohne Milch. Aber in jener Nacht schien alles unkomplizierter gewesen zu sein.

„Das klingt gut, aber ich nehme lieber einen Lady Grey, wenn Sie haben.“

Ein Hauch von Lächeln umspielte Leos Lippen. „Lady Grey! Eine gute Idee!“ Er blickte zum Kellner hoch. „Eine Kanne für zwei, bitte.“

„Sandwiches oder Kuchen?“, fragte der Kellner. Leo winkte ab und sein Blick schweifte zu Alex.

„Nein danke, nicht für mich.“ Sie rang eh schon um Konzentration, die Leo ihr raubte. Sie war nicht sicher, ob sie jetzt mit krümeligem Kuchen fertig werden würde.

Leo blätterte in den Unterlagen, die vor ihm lagen. „So. Deine Organisation nennt sich also Gemeinsamer Weg ?“

„Ja.“

„Kein Kürzel? Vielleicht etwas Griffigeres?“

„Nein.“ Jetzt machte sich etwas Trotz in ihr breit. Ihr war aber auch klar, wenn sie dieses Projekt machen wollte, würde sie mit Leos direkter Art zurechtkommen müssen. „Wir wollen mit unserem vollen Namen auftreten, weil das unsere Art ist.“

„Okay, verstehe. Und du …“ Er nahm ein Blatt vom Stapel und Alex erkannte, dass es ihr Lebenslauf war. „Du bist ausgebildete Physiotherapeutin, und du hast die Organisation Gemeinsamer Weg gegründet, um jungen Menschen mit Behinderungen Sport zu ermöglichen.“

„Ja, ich habe ein paar Bilder mitgebracht, um dir zu zeigen …“

„Später vielleicht. Ich möchte zunächst noch wissen, wie die Organisation geleitet wird.“ Er sah die Fotos noch nicht einmal an, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. „Wie ich es verstanden habe, verfügt ihr über ein sehr geringes Budget. Du arbeitest drei Tage pro Woche als Physiotherapeutin. Den Rest deiner Zeit widmest du dieser Organisation. Unentgeltlich. Es scheint nur eine einzige Teilzeitangestellte zu geben, die für ihre Arbeit bezahlt wird. Nämlich die Frau, die mich gestern angerufen hat, um das Treffen zu organisieren. Es kommt mir allerdings so vor, als würde Rhona mehr tun, als man von einer Teilzeitmitarbeiterin erwarten würde.“

„Ich denke, dass die Leute, die uns unterstützen, Wert darauf legen, dass wir das Geld für das Projekt verwenden und nicht für laufende Kosten. Ich habe mit Rhona eine Vereinbarung, die uns beiden nützt. Sie hat familiäre Verpflichtungen, und wir bieten ihr dafür Flexibilität. Und sie trägt ihren Teil dazu bei. Außerdem haben wir ein starkes Netzwerk aus engagierten Unterstützern.“ Alex hatte auch Fotos von ihnen, aber sie bezweifelte, dass er sie sehen wollte.

Er nickte. „Aber du hast ein eigenes Büro?“

„Ja, in einem Loft. Die Anwaltsfirma, der es gehört, nutzt es nicht und überlässt es uns mietfrei.“

„Das ist nett von ihnen. Und was ist eure Gegenleistung?“ Seine Augen schienen sie zu durchbohren. Verlockend und schmeichelnd.

„Der Sohn des Seniorpartners nimmt an unserem Programm teil.“

„Und dieser Junge erfüllt die Kriterien dafür?“

Alex wusste, wo in dem Stapel sich das Foto befand und fingerte es heraus. Sie legte es vor Leo auf den Tisch. „Er kam ohne Unterschenkel zur Welt. Und wie jeder Fünfjährige liebt er es herumzulaufen und Fußball zu spielen. Sein Name ist Sam.“ Leo schaute auf das Foto und sein Gesichtsausdruck wurde sanfter. Als er seine Fingerspitzen danach ausstreckte, erkannte sie die sanften blauen Augen des jungen Mannes wieder, den sie damals getroffen hatte.

„Sieht aus, als wäre Sam ziemlich gut am Ball.“

„Ist er. Was ihm an Schnelligkeit fehlt, macht er mit Taktik wett.“

„Ich hoffe, ich kann ihn mal spielen sehen.“ Es war nur ein kurzes Aufblitzen von Mitgefühl, eine kleine Gewissheit, dass Leo wirklich verstanden hatte, um was es bei Gemeinsamer Weg ging. Aber für Alex war es genug, um ihre Vorbehalte gegenüber Leo aufzugeben und ihm alles über ihr Herzensprojekt zu erzählen. Und dann war der Moment plötzlich vorbei.

Der Tee kam, und Leo nutzte die Unterbrechung, um seine geschäftsmäßige Befragung fortzusetzen. Wofür sie ihre Spendengelder ausgaben. Wie viele Helfer sie hatte und wie es um die Sicherheit stand. Alles sehr gründlich. Aber er gab sich mit ihren Antworten zufrieden.

„Und nun, da ich alles Nötige weiß“, sein Lächeln war wieder zum Dahinschmelzen, „können wir uns mit der Frage beschäftigen, wie der Radiosender über euch berichten wird.“

Vielleicht war er etwas streng mit ihr gewesen. Nein, nicht vielleicht. Er war sehr streng gewesen! Aber Alex hatte sich nicht einschüchtern lassen, und das gefiel ihm gut.

Was für eine freudige Überraschung, sie so unverhofft wiederzusehen!

Doch als ihm klar geworden war, was sie in den vergangenen zehn Jahren durchgemacht haben musste, hatte sich seine Freude schnell in Erschütterung gewandelt. Der Unfall, der Verlust ihres Beines. Aber sie hat sich nicht unterkriegen lassen.

Aus Respekt vor Alex hatte Leo sich voll und ganz auf das konzentriert, was sie mit ihrer Organisation bis jetzt erreicht hatte, und war betont sachlich geblieben. Und das schien Alex nur recht zu sein. Schließlich hatte sie sich zehn Jahre lang nicht bei ihm gemeldet. Und obwohl sie gewusst hatte, wer er war, hatte sie die Vorbereitung ihres Treffens einer Mitarbeiterin überlassen!

Ein Notfall in seiner Praxis hatte Leo davon abgehalten, sich besser auf dieses Gespräch vorzubereiten. Also hatte er die Fragen gestellt, die er stellen musste, und sorgfältig darauf geachtet, seine Gefühle für sich zu behalten.

Ihre Wohltätigkeitsorganisation hatte zwar noch einen amateurhaften Anstrich, aber der Kerngedanke war wunderbar und wurde zweifellos gut umgesetzt. Mithilfe des Radiosenders würden bald unlaublich viele Menschen von Alex und ihrem Projekt erfahren!

„Wie ich schon sagte, Alex, was wir uns vorstellen, weicht ein wenig vom ursprünglichen Angebot ab.“ Das war der springende Punkt. „Die Idee ist nun, dass ein Vertreter von Gemeinsamer Weg einmal pro Woche während des gesamten Februars Teil meiner Radiosendung ist. Ich nehme an, das wirst du sein?“

Panik flackerte in ihren Augen auf, aber sie parierte wunderbar. „Ja, das werde ich sein.“

„Ich versuche auch, ein wenig Sendezeit in anderen Formaten zu bekommen. Dazu müsste ich ein wenig Zeit mit dir verbringen und mir die Arbeit aus erster Hand erklären lassen. Ich nehme an, dass du keine Einwände hast?“

„Wir würden uns sehr freuen. Woran dachtest du?“

„Ich wollte ein paar Beiträge für unsere Webseite machen, vielleicht auch eine kleine Reportage. Dafür müsste ich dann aber mit einem Übertragungswagen anrücken.“ Er bemerkte die plötzliche Stille. Er konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie damit ein Problem hatte, und er wartete, bis sie es ansprach.

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