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Ein Dackel trägt Prada

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Wie fängt man neu an, wenn der größte Fehler deines Lebens mehr als eine Million Aufrufe hat?

Vergessen Sie Diamanten - das Internet ist härter. Die Social-Media-Beraterin Isla Thompson hat diese Lektion auf die harte Tour gelernt, als sie aus den falschen Gründen viral ging. Einen Monat später hat Isla immer noch Albträume von dem Moment, in dem sie die Karriere eines jungen Starlets ruinierte und sich selbst zur unbrauchbarsten Influencerin in Manhattan machte. Aber sie kann es sich nicht leisten, sich zu verstecken, bis sie kein Instagram-Gift mehr ist. Nicht, wenn ihre vierzehnjährige Schwester Dani sie braucht, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Also nimmt Isla den erstbesten Job an, den sie bekommen kann: Sie kümmert sich um Camilla, einen glänzend aussehenden, übel gelaunten Höllenhund. Nach einer Woche, in der sie Camilla von Spielkameraden bis zu Hellsehern bringt, hat Isla den Verdacht, dass das Bellen des Dackels schlimmer ist als sein Biss - genau wie bei Camillas Besitzer Theo …


  • Erscheinungstag: 21.07.2022
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749903801
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für all die Hunde, die einen besonderen Platz in meinem Herzen eingenommen haben:
Jasmine, Cici, Zorro, Lady, Maggie und Harry

KAPITEL 1

Theo Garrison hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so unwohl in einem Anzug gefühlt, und das wollte etwas heißen – hatte doch eine Exfreundin ihn einmal gefragt, ob er in einem Dreiteiler den Mutterleib verlassen habe. Aber heute fühlte sich sein typisches Outfit an, als würde es ihm die Luft abschnüren. Dabei handelte es sich um eine perfekte Maßanfertigung. Er steckte einen Finger in seinen Hemdkragen und zerrte verzweifelt daran, um sich Erleichterung zu verschaffen. Aber die blieb aus.

Vielleicht lag es überhaupt nicht an dem Anzug.

Vielleicht lag es daran, dass er von zweihundert Menschen umgeben war. Zu viele Menschen für so einen Anlass. Theo mied große Zusammenkünfte tunlichst. Aber heute nicht. Heute war er hier, um seiner Großmutter die letzte Ehre zu erweisen, und sie verzichtete nie auf ein Publikum.

Nicht einmal nach ihrem Tod.

Er zerrte wieder an seinem Hemdkragen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, und seine Haut juckte vor Unbehagen, während der Pfarrer über das Leben von Theos Großmutter sprach. Die neugierigen Blicke machten Theo nervös. Er hasste es, beobachtet zu werden. Hasste es, dass die Leute ihn anstarrten wie ein Reptil in einem Terrarium, an dessen Scheibe sie klopften, um zu sehen, wie es reagierte. Zum Glück stand Etna Francois-Garrison heute im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, was zweifellos ihre Absicht gewesen war.

Warum sonst hätte sie entschieden, in einem Ballkleid von Valentino beerdigt zu werden?

Der Sarg – inzwischen geschlossen nach der offenen Aufbahrung am frühen Morgen – war schneeweiß, ausgeschlagen mit blassrosa Seide und bestückt mit funkelnden Steinen, bei denen es sich garantiert um echte Diamanten handelte. Als Bevollmächtigter des Nachlasses seiner Großmutter hatte Theo offen gesagt kaum einen Blick auf ihre Liste von Wünschen geworfen und alles einfach abgenickt. Was immer sie wollte, sollte sie bekommen. Keine Bitte war zu unverschämt. Es war das letzte Mal, dass er sie verwöhnen konnte. Das letzte Mal, um ihr zu zeigen, wie wichtig sie ihm war.

Immerhin hatte sie ihn zu sich genommen, als seine Eltern gestorben waren und er im zarten Alter von zehn Jahren als Vollwaise zurückgeblieben war. Sie war seine Mutter gewesen, sein Vater, seine Großmutter, seine Vertraute. Seine ganze Familie. Nur sie war fähig gewesen, so viele Rollen auszufüllen, und selbst damit war ihre Persönlichkeit noch nicht erschöpft.

Theo schluckte. In seiner Kehle hatte sich ein harter Kloß festgesetzt, und in seiner Brust klaffte ein großes Loch, umtost von einem Gefühl des Verlusts. Aber er hielt sich aufrecht, die Schultern gerade und leicht nach hinten gebogen, die Augen fest auf einen Punkt vor sich geheftet.

»Wenn die Familie nun bitte vortreten würde, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen«, sagte der Pfarrer und deutete auf Theo.

Die Familie. Das war ein Begriff, der sich auf mehrere bezog. Aber er war der Einzige, der sich rührte. Das war’s, die gesamte Familie Garrison auf eine Person reduziert. Eine Institution in Manhattan, die am seidenen Faden hing.

Theo stellte sich zum Pfarrer, neben dem ein kleiner tragbarer Tisch stand, beladen mit einem Berg von Rosen. Keine roten, weil seine Großmutter Klischees verabscheute. Keine weißen oder gelben, weil die zu traurig wirkten. Es waren pinkfarbene, in einem so kräftigen Ton, dass sie geradezu künstlich aussahen. Theo nahm sich eine und bemerkte, dass die Dornen gewissenhaft entfernt worden waren. Er rieb mit dem Daumen über eine raue grüne Stelle am Stiel, wo die scharfe Spitze gekappt war.

»Leb wohl, Gram«, sagte er und warf die Rose in die offene Grube, in die der Sarg hinuntergelassen worden war. Sie landete mit einem sanften Geräusch auf dem geschlossenen weißen Deckel. »Grüß die anderen von mir.«

Er nahm sich die nächste Rose und dann noch eine, warf eine für jeden, der jetzt an seiner Seite hätten stehen sollen – seine Mutter, seinen Vater, seinen Großvater; alle zu früh gegangen. Alle gestorben, bevor sie ein ganzes Leben gelebt hatten.

Theo trat von der Grabstelle zurück, froh darüber, dass er daran gedacht hatte, eine Sonnenbrille aufzusetzen. Er schirmte sich gerne von der Außenwelt ab, und im Moment brauchte er mehr denn je einen Schutzschild.

Als die Zeremonie zu Ende war, kamen die Leute zu ihm, um ihm zu kondolieren. Seine Hand wurde wieder und wieder gedrückt, seine Wangen wurden geküsst mit flüchtigen, parfümierten Berührungen. Theo hatte in der Menge viele vertraute Gesichter entdeckt. Die Trauergesellschaft war ein Who’s who der New Yorker High Society – Modezaren, politische Amtsträger, Finanzaristokraten –, genau wie seine extrovertierte, aufmerksamkeitsliebende Großmutter es sich gewünscht hätte.

Es war nicht von Bedeutung, dass er sich lieber allein von ihr verabschiedet hätte. Heute ging es um sie. Er atmete tief durch und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, während er wartete, dass die Trauergemeinde sich auflöste.

»Sie war eine großartige Frau«, sagte Pfarrer Ahern und kam zu ihm herüber, um ihm tröstend eine Hand auf die Schulter zu legen. »Unvergleichlich. Wirklich einzigartig.«

»Ich weiß.« Theo nickte.

»Sie hat jeden Sonntag meinen Gottesdienst besucht und sich immer in die erste Reihe gesetzt. Niemand hat es gewagt, ihren Platz einzunehmen, selbst wenn sie zu spät kam.« Der ältere Mann lachte leise und faltete die Hände vor seinem Talar. »Ein einziges Mal war ihre Bank tatsächlich von ein paar Jugendlichen besetzt, die sie prompt mit ihrer Handtasche verscheuchte. Als würde sie eine Schar Möwen verjagen. Danach hat es nie wieder jemand versucht.«

Theo schmunzelte. Er konnte es sich problemlos vorstellen. So war sie gewesen – eine Frau, die sich von niemandem auf der Nase herumtanzen ließ. Eine Autorität, selbst damals schon, als Frauen noch wenig zu melden hatten. Und zuletzt eine große Kämpfernatur, als sie sich bis zum letzten Atemzug gegen ihre Krankheit aufgelehnt hatte.

»Sie haben sie nie in die Messe begleitet«, bemerkte Pfarrer Ahern.

»Ich mag keine Menschenansammlungen.«

»Sie sollten es sich eher wie eine Gemeinschaft vorstellen.«

Theo beobachtete, wie die letzten Trauergäste zu den Limousinen gingen, die den Weg säumten, der sich durch den Friedhof schlängelte. Ein Stück weiter hinten stand die Pressemeute, in Schach gehalten von bulligen Bodyguards, die er eigens für heute engagiert hatte. Die Geier lauerten mit gezückten Kameras, was Theo in seiner Überzeugung bestärkte, dass es eine einzige Sache auf der Welt gab, die sich noch besser verkaufte als Sex.

Trauer.

»Ich mag auch Gemeinschaften nicht wirklich«, antwortete er dem Pfarrer.

Das war noch milde ausgedrückt. Abgesehen von heute konnte er sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal mit mehr als drei Leuten in einem Raum gewesen war – außerhalb der Arbeit. Und das war kein Zufall.

Pfarrer Ahern runzelte die Stirn. »Ich weiß, es muss schwer gewesen sein, Ihre Eltern auf so eine Art zu verlieren.«

»Das ist schon lange her.« Und trotzdem schreckte er jetzt noch, ein Vierteljahrhundert später, nachts aus seinen Albträumen hoch. Er würde die Bilder niemals aus dem Kopf bekommen – der zerstörte Wagen, die blutbespritzten Scheiben. Der Unfall beherrschte damals sämtliche Schlagzeilen, und die Leute reagierten schockiert, als hätte niemand es kommen gesehen.

Beliebter Hollywood-Star und New Yorker Verlagsfürst tödlich verunglückt.

Theos Herz krampfte sich zusammen. Seine Mutter und sein Vater hatten es durchaus kommen gesehen. Sie hatten Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Paparazzi mit ihrem zunehmend aufdringlichen, aggressiven Verhalten zu meiden. Zweitfahrzeuge zur Ablenkung, unübliche Strecken, Ausweichmanöver … frontal gegen einen Brückenpfeiler.

Darum ja, Theo hatte ein Problem mit der Presse. Er hatte auch ein Problem mit Leuten, die ihre Nase in sein Privatleben steckten. Er unterband das, indem er sich abschottete. Es war nichts Persönliches. Eine reine Schutzmaßnahme.

»Es ist okay, zu trauern«, sagte der Pfarrer. »Gott gab uns nicht ohne Grund Gefühle, und Trauer ist etwas ganz Natürliches.«

Bevor er weiterreden konnte, erschien Frank Ferretti vor ihnen. Frank war ganz in Schwarz gekleidet, wie es sich für eine Beerdigung gehörte – aber auch sonst entsprach diese Farbe dem Stil des älteren italienischen Mannes. Frank war ein langjähriger Freund der Familie, ursprünglich der Leibwächter von Theos Mutter und danach die rechte Hand und Vertrauensperson seiner Großmutter gewesen.

»Bereit?«, fragte Frank. »Ein Wagen wartet auf dich.«

Theo gab dem Pfarrer die Hand. »Ich danke Euch, Pater. Es war eine wundervolle Trauerfeier. Ihr habt ihrem Andenken alle Ehre erwiesen.«

»Falls Sie Ihre Meinung über Gemeinschaften ändern, würde ich mich sehr freuen, Sie als Teil der unseren zu begrüßen.«

Theo nickte, obwohl er genau wusste, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Schon als Kind hatte er alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wo immer er hingegangen war. Heute war das nicht anders. Und auch in Zukunft würde es nicht anders sein. Es würde sich nie etwas daran ändern, bis er derjenige war, der in einem Sarg unter der Erde lag.

Es war einfacher, wenn er für sich blieb.

»Hier entlang.« Frank führte Theo fort von der Familiengrabstätte, wo seine Großmutter neben ihrem Mann und Theos Eltern zur letzten Ruhe gebettet worden war. Die beiden Männer hielten sich abseits vom Hauptweg, überquerten einen gepflegten Grünbereich und schlüpften durch ein Loch in einer Hecke. Die Sonne schien warm auf Theos Nacken und Schultern. Sie erinnerte ihn daran, dass die Welt sich selbst an seinen dunkelsten Tagen immer weiterdrehte.

Hinter ihnen ertönten die verärgerten Rufe der Sensationsreporter, die erkannt hatten, dass ihnen ihr Knüller durch die Lappen ging. Frank und Theo rannten zu der wartenden Limousine und stiegen ein, als bereits die ersten Fotografen hinter ihnen durch die Hecke kamen. Blitzlichter gingen los, während sie Gas gaben, was Theo dazu veranlasste, den Türgriff zu umklammern.

Normalerweise hatten seine Fahrer die strikte Anweisung, niemals schnell zu fahren. Aber das hier waren keine normalen Umstände. Die Limousine steuerte auf den Haupteingang von Green-Wood zu, und schon kurz darauf ließen sie Brooklyn im Rückspiegel hinter sich und überquerten die Brücke nach Manhattan. Zum Glück war es ihnen offenbar gelungen, die Presse abzuschütteln. Auch wenn das Theo nicht davon abhielt, immer wieder einen Blick nach hinten zu werfen.

Er hatte Übung darin, über seine Schulter zu blicken.

»Die machen diesen Quatsch bloß, weil du darauf bestehst, so ein Rätsel zu sein«, murmelte Frank. »Je weniger du von dir preisgibst, umso verzweifelter sind sie auf Informationen aus.«

»Lass sie verzweifeln. Ich habe nicht die Absicht, denen auch nur ein einziges verdammtes Detail zu liefern.«

Frank stieß ein heiseres Lachen aus. Er hatte eine Stimme, die rau wie Krokodilshaut war. »Weißt du, ich habe neulich einen Artikel über dich gelesen.«

»Ach ja?« Theo zog eine Augenbraue hoch. »Haben die wieder den alten Mist von früher aufgewärmt? Denn von mir haben sie ganz bestimmt nichts Neues bekommen, über das sie schreiben können.«

»Die nennen dich den Einsiedler der Fifth Avenue.«

»Das klingt doch ganz gut.« Er sah Frank an. »Mir gefiel auch ›Der mysteriöseste Mann von Manhattan‹. Die machen aus mir noch eine Stadtlegende.«

»Lass dir das bloß nicht zu Kopf steigen.«

»Niemals.« Theo beobachtete, wie Manhattan langsam an ihnen vorbeirollte. Es gab Zeiten, in denen sich dieser Ort wie ein Schuhkarton anfühlte, was für jeden normalen Menschen bestimmt lächerlich klang. Aber etwas an der Art, wie die Wolkenkratzer in den Himmel emporragten, erinnerte Theo an die Gitterstäbe eines Käfigs. »Sie wird mir wirklich fehlen.«

»Ich weiß.« Frank legte eine schwere Hand auf Theos Schulter. »Mir auch.«

Die Limousine setzte ihren Weg durch die Stadt fort, und als sie sich der Upper East Side näherten, lehnte Theo seinen Kopf gegen die Lederstütze. Die Last der letzten paar Wochen brach über ihm zusammen und löste ein Gefühl der Erschöpfung und der Endgültigkeit aus, das bis tief in seine Knochen drang.

Nun war es vorbei. Sie war wirklich fort.

»Es wird nicht lange dauern, die letzten Kleinigkeiten durchzugehen«, versprach Frank, als würde er Theos Gedanken lesen. »Ich habe in einer Schublade noch mehr alte Fotos und ein paar Briefe gefunden. Ich dachte, du willst sie vielleicht haben.«

»Ehrlich gesagt, ich bin erledigt. Ich werde morgen nach der Arbeit vorbeikommen, um den Rest durchzuschauen.«

»Sicher, aber du musst trotzdem den Hund holen.«

Theos Kopf fuhr ruckartig zu seinem Sitznachbarn herum. Der Schlafmangel setzte ihm offenbar stärker zu, als ihm bewusst war. »Den Hund?«

»Ja, den Hund.« Frank sah ihn an, als wäre Theo ein zweiter Kopf gewachsen oder als würde er plötzlich Elbisch sprechen. »Camilla? Du weißt schon, der kleine fluffige Torpedo mit dem Gemüt eines angriffslustigen Säufers während einer Kneipenschlägerei. Rasiermesserscharfe Zähne. Unsichtbare Hörner und ein Teufelsschwanz … Klingelt da was bei dir?«

»Ist mir ein Begriff«, sagte Theo und schauderte. Der Hund seiner Großmutter war für sein schlechtes Benehmen genauso bekannt wie Theo für seine Zurückgezogenheit. »Aber warum muss ich ihn holen?«

Frank sah ihn noch immer mit diesem Blick an. Der Blick, der ausdrückte, dass er zwar sehen konnte, dass Theos Lippen sich bewegten, er aber kein Wort von dem verstand, was herauskam.

»Weil«, erwiderte der ältere Mann und dehnte das Wort, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen, »du nun der stolze Besitzer einer verwöhnten kleinen Ausgeburt der Hölle bist.«

»Was?« Theo blinzelte ungläubig und schüttelte seinen Kopf. »Seit wann?«

»Seit du die ganzen Unterlagen für den Nachlass unterschrieben hast. Du erinnerst dich, die Notare sind mit dir das Testament deiner Großmutter durchgegangen und die ganzen Spenden, die sie machen wollte, und …«

»Ja, ja.« Theo winkte ab. »Ich erinnere mich an dieses Meeting. Aber ich erinnere mich nicht, dass von dem Hund die Rede war.«

Fairerweise musste man sagen, dass er an jenem Tag wie in Trance gewesen war. Seine Großmutter hatte ihr Testament kurz vor ihrem Tod ändern lassen, da Theo darauf bestand, dass sie einen guten Teil ihres Vermögens den gemeinnützigen Organisationen vermachte, die sie unterstützte. Er war selbst vermögend, er brauchte ihr Geld nicht. Aber es war ihm schwergefallen, sich bei dem Notartermin zu konzentrieren, da die Trauer ihn bereits lähmte, als es mit seiner Großmutter erkennbar zu Ende ging. Es hatte sich angefühlt, als wäre sein Verstand von einem dichten Nebel umhüllt, und alles, woran er sich wirklich erinnern konnte, war, dass er wieder und wieder und wieder »Ja, natürlich« gesagt hatte.

Aber auch dazu, diesen kleinen Höllenhund zu übernehmen? Daran würde er sich doch sicher erinnern.

»Er stand auf der Liste der Erbstücke, die in der Familie bleiben sollen.« Frank rieb sich über das Kinn.

»Erbstücke?« Theo sog die Luft durch seine Zähne. »Willst du mich verarschen? Erbstücke sind so Dinge wie antike Uhren und Familienalben und gottverdammte bestickte Tischdecken. Aber keine Haustiere.«

Und ganz sicher nicht dieses Haustier. Erbstück, so ein Quatsch.

»Er stand auf der Liste«, beharrte Frank. »Machst du es dir neuerdings zur Gewohnheit, Papiere zu unterschreiben, ohne das Kleingedruckte zu lesen? Dein Großvater hätte dazu einiges zu sagen gehabt.«

Nein, Theo unterschrieb grundsätzlich nichts, ohne vorher den Inhalt sorgfältig zu studieren. Aber es waren außergewöhnliche Umstände gewesen – er hatte seiner Großmutter nichts abschlagen wollen, bevor sie diese Erde verließ. Er hatte sie in ihren letzten Tagen so glücklich und entspannt und geachtet wie möglich wissen wollen. Er hatte ein letztes Mal der perfekte Enkelsohn sein wollen. Trotzdem hätte er verdammt noch mal merken müssen, dass sie versuchte, ihm dieses schreckliche Tier unterzujubeln, selbst mit seinem benebelten Verstand.

Aber sie hatte Theo gegenüber nie ein Wort darüber verloren.

Was bedeutete, dass seine liebe und gleichzeitig raffinierte Großmutter ihren verwöhnten Köter absichtlich im Kleingedruckten versteckt hatte, damit Theo ihn übersah. Denn bei allem Bestreben, sie glücklich zu machen, diesem Wunsch hätte er niemals zugestimmt. Nie und nimmer.

Theos Leben lief reibungslos, weil er strikte Regeln einhielt:

  1. Keine Interviews

  2. Keine Überraschungen

  3. Keine Beziehungen

  4. Keine Ausnahmen

Der letzte Punkt auf der Liste war ganz besonders wichtig. Was ihn vor ein Problem stellte. Ein übellauniges Problem mit vier Beinen und glänzendem Fell.

»Ich kann das nicht glauben«, sagte Theo und schüttelte den Kopf.

Frank seufzte. »Lass uns sehen, was passiert, wenn wir bei ihr ankommen, okay?«

»Na schön.«

Als sie schließlich das elegante Stadthaus in der Upper East Side betraten, hatte Theo das Gefühl, als würde sein Kopf gleich explodieren. Das Haus war inzwischen fast leer geräumt, nachdem in der letzten Woche ein Heer von Mitarbeitern die beeindruckende Kunstsammlung und die ganzen antiken Einrichtungsgegenstände verpackt hatte. Die meisten Sachen gingen als Spenden an Museen oder in Versteigerungen für wohltätige Zwecke, während ein paar besondere Objekte per Testament an enge Freunde vergeben worden waren. Die umfangreiche Haute-Couture-Garderobe seiner Großmutter war für eine Ausstellung im Fashion Institute of Technology gelandet, und ihren Schmuck würde das Metropolitan Museum of Art bekommen.

Nun, alles bis auf ihren Ehering. Der lag sicher verstaut in Theos Privatsafe, neben dem Ehering seiner Mutter; aus rein sentimentalen Gründen. Keiner von beiden würde jemals wieder den Finger einer Frau zieren.

Alles andere war genau sortiert und dokumentiert. Ordentlich beschriftete Kartons waren nach Empfänger gestapelt. Das Arbeitszimmer war abgeschlossen und wartete darauf, dass Theo sich ein letztes Mal darin umschaute, um sicherzustellen, dass nichts Wichtiges übersehen worden war.

Alles war nach Plan gelaufen … bis jetzt.

Theos Schritte hallten durch den fast leeren Eingangsbereich, und das Geräusch wurde von der hohen Decke zurückgeworfen. Ohne Etna wirkte das Haus innen hohl. Es war eine leere Hülle, ohne Leben, ohne Licht und ohne Freude.

»Sie sind früh dran!« Eine Frau kam aus dem Wohnzimmer. »Ich habe Sie erst in einer Stunde erwartet.«

Theo kannte die Frau nicht, aber Frank stellte sie ihm rasch vor. »Das ist Marcie. Sie hat sich in den letzten Wochen um Camilla gekümmert, seit deine Großmutter im Krankenhaus lag.«

»Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust.« Marcie senkte den Kopf. »Und es tut mir leid, dass ich darauf bestehen musste, Camilla heute abzugeben. Ich weiß, es ist ein schwieriger Zeitpunkt. Aber ich … kann das nicht mehr.«

In diesem Moment, wie von einem Geräusch herbeigerufen, das kein menschliches Ohr hören konnte, vielleicht stammte es vom Teufel höchstpersönlich, erschien Camilla auf der Bildfläche. Die Dackeldame war nicht größer als ein Gartenzwerg und hatte kurze krumme Beine, die für einen watschelnden Gang sorgten. Dessen ungeachtet hätte man meinen können, die Königin von England hielt gerade Einzug.

Tatsächlich war Theo für einen Moment sicher, dass er Fanfaren gehört hatte, die ihre Ankunft verkündeten. Oder waren das einfach bloß Warnsirenen, die in seinem Kopf anschlugen?

Camillas langes champagnerfarbenes Fell war gebürstet und glänzte, und sie trug ein pinkes Halsband, an dessen Schlaufe vorn ein silbernes C baumelte. Auf den ersten Blick hätte man sie als niedlich bezeichnen können. Oder sogar als süß. Aber wer Camilla für ein lammfrommes Schoßhündchen hielt, das schmusen wollte und darum bettelte, am Bauch gekrault zu werden, täuschte sich gewaltig.

Oh nein, dieses kleine Biest war ein Diktator auf vier Beinen.

»Alles, was Sie benötigen, ist im Wohnzimmer«, sagte Marcie, und ihre Stimme kletterte eine Tonlage höher. »Ich habe in Camillas Tagesprogramm markiert, wie weit wir gekommen sind, und ich habe alle ihre Sachen zusammengepackt, damit Sie sie direkt mitnehmen können. In diesem Sinne, ich muss jetzt wirklich gehen. Also jetzt sofort.«

Und damit hastete Marcie davon, als hätte sie Angst, jemand könnte versuchen, sie aufzuhalten. Die Frau hatte offensichtlich einen Fluchtplan. Als die Haustür ins Schloss fiel und das Geräusch durch den Raum hallte, starrte Theo den Hund an.

Camilla starrte zurück.

»Tja, dann …« Frank stieß ein Räuspern aus. »Was willst du tun? Ich kann im Tierheim anrufen und sie abholen lassen. Oder ich kann ein bisschen herumtelefonieren und schauen, ob jemand von Etnas Freunden bereit ist, sie zu nehmen.«

Camilla drehte ihren Kopf zu Frank, und Theo hätte schwören können, dass die Augen des Dackels sich vor Zorn verengten.

Im Grunde seines Herzens wusste er, dass er den Hund nicht abschieben konnte. Nicht sofort. Seine Großmutter war sein Ein und Alles gewesen, und auch wenn er sich bei diesem Punkt definitiv gewehrt hätte, als sie noch lebte – nun war das keine Option mehr. Was bedeutete, dass er nur zwei Möglichkeiten hatte: ihren Wunsch zu erfüllen oder nicht.

»Ich weiß, ich werde es bereuen«, sagte Theo mit einem Kopfschütteln. »Aber ich nehme sie mit zu mir.«

»Bist du sicher?«, fragte Frank und zog eine Grimasse. »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Deine Großmutter wird den Unterschied nicht merken.«

»Ja, aber ich schon.« Er seufzte. »Aus irgendeinem Grund wollte Gram offenbar, dass sie zu mir kommt.«

Beide Männer sahen auf den kleinen wurstförmigen Vierbeiner, und für einen Moment bewegte sich keiner von ihnen. Dann marschierte Camilla zu Theo hinüber, hob ihren Kopf zu ihm und starrte mit ihren dunklen Knopfaugen direkt in seine Seele, als würde sie ihm telepathisch übermitteln, wie sehr sie ihn verachtete. Warum hatte Theo das Gefühl, dass dies kein gutes Ende nehmen würde? Erst ein paar Sekunden später, als die Hundedame ins Wohnzimmer zurückstolzierte, ihre Nase und den Schwanz hoch erhoben, wurde Theo bewusst, dass sie auf seinen Schuh gepinkelt hatte.

KAPITEL 2

Hätte Isla Thompson geahnt, dass sie in die Mündung ihres Karriereendes starrte, hätte sie wahrscheinlich etwas anderes angezogen. High Heels waren für eine schnelle Flucht ungeeignet. Genauso Schlauchkleider und absurd kleine Handtaschen, die Tetris-Fähigkeiten auf professioneller Ebene erforderten, um alles darin unterzubringen.

Leider hatte sie alle drei gewählt.

»Und aus diesem Grund habe ich mich für Sahara Vanderkamp entschieden, um mich für die diesjährige Met Gala einzukleiden.« Amanda Harte, Disney-Prinzessin und Amerikas neuer Nachwuchsstar, richtete ihr typisches strahlendes Lächeln auf die winzige Kamera von Islas Handy. »Wir wollten das diesjährige Motto Flora und Fauna: Mode in der Natur ergründen, indem wir uns Inspirationen holten aus meiner Heimat in …«

Isla schaltete innerlich ab, während ihre Klientin die Idee hinter dem Kleid erklärte. Die bauschige Monstrosität war eine netzhautversengende Kombination aus Tüll und Satin in leuchtendem Gold und Limettengrün, bestickt mit unzähligen Pailletten und Perlen. Wie hatte die Designerin es genannt? Eine Kreuzung aus kraftvoller Femininität und Avantgarde?

Avant-für’n-Arsch.

Das Kleid sah aus wie ein Kindergarten-Bastelprojekt, das schrecklich schiefgelaufen war. Aber Amanda hatte ja unbedingt aus der Masse der Fashion-Ikonen, Hollywood-Prominenz und Macher der Modeindustrie hervorstechen wollen.

Und offenbar war Limettengrün die Farbe des Jahres, darum war Islas Meinung nebensächlich.

Sie überwachte ihr Handy und verfolgte die Interaktionen der Nutzer, die sich das Live-Video auf Instagram ansahen. Herzen sprudelten am Rand des Displays empor, und Kommentare scrollten über die rechte Seite, gespickt mit Emojis und »I love you, Amanda!«-Bekundungen. Natürlich gab es auch, wie bei jedem weiblichen Nachwuchsstar im Netz, anzügliche Kommentare, aber es gehörte zu Islas Aufgaben, Amanda davor abzuschirmen.

»Das ist mein erstes Mal auf der Met Gala«, sagte Amanda lächelnd in die Kamera und brachte ihr Kleid zum Wogen in dem luxuriösen Hotelzimmer, das sie in Beschlag genommen hatten, einen Block entfernt vom Metropolitan Museum of Art. Im Hintergrund glitzerte Manhattan durch ein großes offenes Fenster, die perfekte Kulisse für dieses glamouröse Ereignis. »Tatsächlich bin ich ein wenig nervös …«

Islas Kopf fuhr hoch. Sie hatten darüber gesprochen. Regel Nummer eins: vor der Kamera keine Nervosität zeigen. Aufstrebend, aufstrebend, aufstrebend – so lautete das Motto. Amanda sollte selbstbewusst und warmherzig rüberkommen, ein hohes Identifikationspotenzial ausstrahlen, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Die Strategie war, sie so schön und talentiert erscheinen zu lassen, dass ihre Fans bloß hoffen konnten, ein Quäntchen von ihrem Erfolg zu erreichen.

Auch bekannt als die Taylor-Swift-Vermarktungsstrategie.

»Auf wen bist du heute Abend am meisten gespannt?«, fragte Isla, eine Aufforderung an ihre Klientin, über ihren neuesten prominenten Schwarm zu sprechen. Einen Schwarm zu haben, war gut; das ließ sie nahbarer wirken für die Millionen von Fans, die sich einloggten, um sie zu sehen. Aber statt auf einen süßen Jungen in ihrem Mathekurs abzufahren, schwärmte Amanda für die hübschen Stars, deren Poster die Innenseite der Schulspinde ihrer Fans zierten. Da kam wieder dieser Begriff ins Spiel: aufstrebend!

Amandas Anspannung verwandelte sich in pure Teenager-Freude – gerötete Wangen, glänzende Augen und ein breites Lächeln. »Tom Holland natürlich. Wer steht nicht auf Spiderman?«

Die Kommentare zum Livestream explodierten, und Herzen fluteten das Display. Isla zeigte Amanda den erhobenen Daumen und bedeutete ihr, zum Schluss zu kommen. Sie hatten ungefähr noch zehn Minuten Zeit, bevor sie in den Privataufzug des Hotels steigen und nach unten fahren würden, wo am Hinterausgang eine Limousine auf sie wartete.

»Vielen lieben Dank fürs Zuschauen.« Amanda warf der Kamera eine Kusshand zu. »Ich liebe euch alle. Denkt daran, nächsten Monat startet Rückkehr in den Himmel, mein allererster Film, den ihr nicht verpassen solltet. Bis später auf dem roten Teppich!«

Isla tippte auf den Bildschirm, um die Übertragung zu beenden, aber ihr Handy hängte sich für einen Moment auf. Das WLAN in diesem Hotel war katastrophal. Wie konnten sie mitten in der Upper East Side einen derart miesen Empfang haben? Amanda winkte weiter in die Kamera, und ihr Blick flackerte zu Isla für ein Signal, dass sie sich entspannen konnte. Der Bildschirm wurde schwarz.

»Mist.« Isla wackelte an dem Gerät, das auf einem stabilen, kleinen Stativ befestigt war, und tippte wieder auf den Bildschirm. Amandas restliche Truppe stand schon parat, um der jungen Schauspielerin für ihr Debüt auf der Met Gala den letzten Schliff zu verpassen.

»Können wir einen Zahn zulegen?« Manny, Amandas Manager, klatschte in die Hände. »In fünf Minuten müssen wir los.«

»Noch einmal nachpudern.« Die Visagistin näherte sich Amanda mit einer Puderdose und einer plüschigen Quaste. »Sie glänzt total in dem hellen Licht.«

»Glänzt.« Amanda rollte mit den Augen. »Ich glänze nicht, ich schwitze. Überall.«

»Okay, okay«, murmelte Isla, während sie noch immer auf dem Display herumtippte. Ihr Handy streikte total. Nun ja, das bedeutete, dass sie das Video wahrscheinlich nicht auf Amandas Instagram-Profil abspeichern konnte, aber wenigstens war die Session gut gelaufen. »Mein Handy ist tot. Ich hänge es mal an meine Powerbank …«

»Wir haben für so einen Scheiß keine Zeit mehr.« Manny tauchte vor ihr auf, und Islas Magen zog sich von seiner Raucherfahne zusammen. »Wir müssen Amanda runterschaffen. Jetzt.«

»Ich brauche noch einen Moment.« Amanda fächerte sich Luft zu. Das arme Mädchen war ganz blass im Gesicht, offenbar gingen die Nerven mit ihr durch. Heute war ein wichtiger Abend. Eine große Gelegenheit für sie, die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, kurz bevor ihr erster Film anlief.

»Wir hatten bei diesem Stream mehr Zuschauer als bei jedem anderen deiner Videos«, sagte Isla im Bemühen, Amandas Konzentration auf etwas Positives zu lenken. Das Mädchen musste heute Abend in Topform sein. Abgesehen von ihrem Kinofilm hatte sie vor Kurzem einen Vertrag mit einem bedeutenden Kosmetikhersteller abgeschlossen. Sie würde mit ihrem Gesicht die neue Produktserie für junge Haut bewerben, die demnächst auf den Markt kommen sollte.

Mit siebzehn stand sie an der Schwelle zu einer großen Karriere.

Aber das Internet konnte genauso grausam sein, wie es Bewunderung verteilte, und wenn Amanda heute Abend nicht lieferte … tja, dann konnte sie als Meme enden. Und das wollte niemand.

»Die Fans finden, dass du wunderschön aussiehst«, fügte Isla hinzu.

»Ich sehe aus wie etwas, das von einer Katze ausgekotzt wurde.« Amandas Brust begann sich zu heben, sodass das enge Mieder ihres Kleids spannte. »Was soll dieser Fummel hier überhaupt darstellen? Ich hätte mich niemals für dieses potthässliche Teil entschieden, wenn ein anderer Designer mich ausgestattet hätte. Aber nein. Die heben sich alle für die Kardashians auf.«

Shit. Ihre Klientin stand kurz vor einer ausgewachsenen Panikattacke – Isla kannte die Zeichen gut. Amanda schwitzte schneller, als die Visagistin ihre Haut trocken tupfen konnte, und ihre Hände zuckten nutzlos an den Seiten. Würde sie in diesem Zustand rausgehen und jemand würde ein Foto von ihr machen …

»Amanda, alles ist gut.« Isla wandte sich von ihrem Handy auf dem Stativ ab und ging zu ihr. »Die Met Gala ist die Veranstaltung, bei der man dick auftragen sollte. Das ist der ganze Sinn der Sache. Glaub mir, wenn du morgen wegen diesem umwerfenden Kleid auf Twitter trendest, wirst du froh sein.«

»Und wenn ich mich zum Gespött mache?« Amanda warf einen eisigen Blick zu ihrer Stylistin, die aussah, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Das hier ist meine einzige Chance. Oh Gott, was, wenn die Leute sich über mich lustig machen? Was, wenn ich auf der Worst-Dressed-Liste einer ekligen, pickligen Bloggerin lande?«

Denk nach, verdammt. Wir können im Moment keinen Teenager-Zusammenbruch gebrauchen.

»Ich kann das nicht.« Amanda schüttelte so heftig ihren Kopf, dass sich das sorgfältig festgesteckte Haarteil halb löste. Die Hairstylistin stieß einen spitzen Schrei aus, stürzte herbei und zwang den jungen Star, stillzuhalten, während sie ihr Kunstwerk reparierte.

»Alles wird gut«, sagte Isla in beruhigendem Ton. Sie sah zu Manny hinüber, aber der war mit seinem Handy beschäftigt und tippte mit zusammengezogenen Brauen auf seinem Display.

»Kann mir jemand einen Drink eingießen?«, sagte Amanda und presste eine Hand auf ihre Brust. »Ich muss meine Nerven beruhigen.«

Ach was, echt?

Isla warf einen Blick durch das Zimmer, und ihre Augen blieben an der geöffneten Champagnerflasche hängen, die in einem Eiskübel stand. Es kam ihr nicht richtig vor, einer Minderjährigen Alkohol zu geben. Obwohl Alkohol offenbar die geringste Sorge war, was die Nachwuchsstars in Hollywood betraf. Solange sie nicht gerade Koks von irgendeinem Toilettenwaschtisch zogen, war anscheinend alles okay.

Trotzdem …

»Am, Baby, sieh mich an.« Isla berührte den Arm ihrer Klientin und ignorierte deren Bitte. »Du hast hier jede Menge Leute, die dich umwerfend finden. Wir würden dir bestimmt keinen Scheiß erzählen. Das weißt du, richtig?«

Amanda sah sie an, die blauen Augen weit aufgerissen und voller Tränen. Aber sie nickte. Isla hatte eine Chance, die Situation zu entschärfen. Viele Leute dachten, ihr Job würde sich darauf beschränken, die perfekten Hashtags zu finden, Werbeverträge zu organisieren und die ständig wechselnden Algorithmen von Facebook zu verstehen. Aber bei einem jungen Star wie Amanda ging es auch um Unterstützung und Führung in einer furchtbar kritischen Öffentlichkeit.

»Lassen wir uns einen Augenblick Zeit«, schlug Isla vor und schenkte Manny einen bösen Blick, als er auf seine Uhr sah. Die Gala konnte ruhig noch ein paar Minuten warten. Außerdem dauerte der rote Teppich ewig bei solchen Events. »Um zu würdigen, was für ein großartiges Jahr vor dir liegt.«

Amanda griff nach einem Glas und der Flasche Dom Pérignon. »Gute Idee. Stoßen wir darauf an.«

»Vielleicht solltest du nicht …« Isla sah hilfesuchend zu Manny, aber der telefonierte nun und entfernte sich von der Gruppe. Offenbar hatte sonst niemand Bedenken, dass Amanda Alkohol trank. Sah Isla das zu eng? Wahrscheinlich. »Aber nur ein bisschen, okay? Du willst ja nicht über den roten Teppich torkeln.«

Die prickelnde Flüssigkeit schwappte in das Glas und stieg in einer Bläschenwelle rasch empor, schäumte fast über den Rand.

»Auf mich«, sagte Amanda und erhob ihr Glas.

»Auf dich, eine Frau an der Schwelle zu einer sagenhaften Karriere. Wir stehen alle hinter dir«, erwiderte Isla. Amanda schien sich langsam wieder einzukriegen. »Zeig es denen, Superstar!«

Amanda trank einen kleinen Schluck. Augenblick, nein … einen großen Schluck. Shit. Das Mädchen leerte das ganze Glas in einem Zug, als wäre es Wasser und draußen herrschten knapp vierzig Grad.

»Nicht übertreiben«, sagte Isla mit einem nervösen Lachen und nahm ihrer Klientin das Glas aus der Hand. Teenager. Sie hielten sich für unverwundbar.

Warte, bis du erst einmal sechsundzwanzig bist und jeder Hangover sich anfühlt wie eine ambitionierte Bongotruppe in deinem Kopf.

»Du schaffst das, okay?«, sagte Isla und schnappte sich Amandas mit Edelsteinen besetzte Handtasche und reichte sie ihr. »Zieh einfach dein Ding durch. Sei schön, lächle für die Kameras, und danach gehst du rein und genießt den Rest des Abends.«

Amanda atmete tief durch und nickte, und für einen ganz kurzen Augenblick dachte Isla, dass alles sich zum Guten wenden würde. Bis Amanda eine Hand vor ihren Mund presste und sich prompt erbrach. Die stückige Flüssigkeit spritzte auf ihr Designerkleid und den Boden, und im Zimmer hörte man ein kollektives Aufkeuchen, während die Umstehenden sich mit einem Sprung aus der Schusslinie brachten. Von dem säuerlichen Gestank drehte sich Isla der Magen um.

»Oh mein Gott.« Sie konnte ihre Klientin nur anstarren, mit offenem Mund und starr vor Schreck, während ihr Verstand rotierte wie dieser Strandball, der immer erschien, wenn ihr MacBook abstürzte.

Was zum Teufel sollten sie jetzt machen?

Amanda fing an zu weinen, und der ganze Raum brach in Panik aus. Das aufgeregte Stimmendurcheinander war nicht hilfreich, genauso wenig Mannys Frustschrei. Amanda weinte nur noch heftiger.

»Das kriegen wir wieder hin«, sagte Isla und ging in ihrem Kopf die Möglichkeiten durch. Ein ruiniertes Kleid konnte ausgetauscht, das Make-up ausgebessert werden. Wenn sie rasch handelten, war der Abend noch zu retten. »Mel, du hast ein Ersatzkleid dabei, richtig? Das pinke mit dem Rüschensaum. Ich werde unten anrufen, die sollen uns extra Handtücher bringen und …«

Die Worte erstarben auf ihren Lippen, als sie ihr Handy aus dem Stativ nahm und das Display plötzlich zum Leben erwachte, putzmunter und voll funktionsfähig. Dieses Mal gab es keine Herzen. Nur einen unablässigen Strom von Tränen lachenden Emojis und Ausrufungszeichen, weil Isla dieses kolossale Missgeschick versehentlich an mehr als eine Million Menschen gesendet hatte.

KAPITEL 3

Einen Monat später …

Isla schleppte sich durch den Flur zu ihrer Wohnung, ihre High Heels baumelten von ihrer linken Hand. Normalerweise hätte sie es nicht riskiert, barfuß über einen öffentlichen Teppichboden zu gehen – schon gar nicht in einem Gebäude mit fragwürdigen Standards wie diesem hier. Aber nachdem sie sechs Blocks in den hübschen, hochhackigen Todesfallen zurückgelegt hatte, um nach Hause zu kommen, hatten ihre Füße offiziell den Geist aufgegeben.

Außerdem war Fußhygiene gerade ihr geringstes Problem. Nach einer weiteren Jobabsage – diese hier kam, noch bevor sie von ihrem Vorstellungsgespräch zu Hause war – gab es wichtigere Dinge, um die sie sich Gedanken machen musste.

Sie schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf, trat ein, und ihre Mundwinkel zuckten bei dem vertrauten Anblick nach oben. Ihre kleine Schwester Dani stand an der provisorischen Ballettstange, die aus einer an der Wand befestigten Duschvorhangstange bestand, die sie im Ramschladen erstanden hatten. Sie trug einen schlichten schwarzen Gymnastikanzug und rosa Ballettstrümpfe, die am Knie ein Loch hatten. Ihre abgenutzten Spitzenschuhe waren an den Zehen ausgefranst, aber die Bänder, mit der größten Sorgfalt angenäht, waren neu und glänzten.

Klassische Musik schallte aus der Anlage, und Isla drückte auf die Pause-Taste. »Was habe ich dir gesagt zum Thema Ruhestörung und Nachbarn?«

Dani verharrte mitten im Plié. »Wenn du es tust, dann tu es richtig.«

»Das war bestimmt nicht das, was ich gesagt habe.« Isla musterte ihre Schwester und versuchte zu ignorieren, dass die Träger des Gymnastikanzugs in Danis Schultern schnitten. Er war inzwischen eindeutig eine Nummer zu klein, weil das Mädchen in die Höhe schoss wie Unkraut. Mit vierzehn hatte sie Isla größentechnisch bereits überholt.

»Oh, stimmt.« Dani grinste. »Das bezog sich auf die Hausaufgaben. Aber ehrlich gesagt, Ballett ist sogar noch wichtiger als Hausaufgaben, darum …«

»Darauf können wir uns gerne einigen, wenn du mit deinen Pliés die Rechnungen bezahlen kannst.« Isla hängte ihren Schlüsselbund an den Haken neben der Tür und stellte dann ihre Tasche auf der Küchenanrichte ab.

»Ich arbeite daran.« Dani setzte ihre Aufwärmübungen fort, und ihre Spitzenschuhe machten ein klopfendes Geräusch auf den Holzdielen. »Wie war dein Tag?«

Urgh. Du meinst, wie waren die drei Dutzend schriftlichen Absagen und dieses letzte Vorstellungsgespräch, das eindeutig nur aus Neugierde vereinbart worden war, weil der Personalreferent direkt losgelacht hatte, nachdem ich den Raum verlassen hatte?

»Er war … ganz gut«, antwortete sie ohne große Überzeugung.

In Wirklichkeit war er alles andere als gut gewesen. Wie hatte ihr ehemaliger Chef sie genannt? Oh, richtig: Instagram-Gift.

»Du hast mir mal gesagt, dass es besser ist, keine Antwort zu geben, als irgendeinen Stuss zu labern.« Dani senkte ihre Füße flach auf den Boden und runzelte die Stirn. »Was ist passiert?«

Was war nicht passiert?

Isla nahm eine angebrochene Flasche Wein aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas ein. Sie hatte sich die Flasche gut eingeteilt, weil sonst nur noch ein Tetrapak Wein unbekannter Herkunft da war. »Amanda hat ihren Werbevertrag mit der Kosmetikfirma verloren, noch dazu floppt ihr Film. Sie hat mir heute eine sehr wütende E-Mail geschickt.«

»Was ist mit ›jede Publicity ist gute Publicity‹?«

»Das ist ein Mythos. Wie sich herausstellt, sind manche Dinge richtige Karrierekiller.« Isla trank einen Schluck von ihrem Wein. »Und nun bin ich diese Frau, die eine Disney-Prinzessin live dabei filmte, wie sie sich vollgekotzt hat.«

Nachdem das Video sich rasend schnell im Internet verbreitet hatte und sogar im Fernsehen gelaufen war, war Isla prompt als Senior Social Media Consultant gefeuert worden. Auch ihre Privatkunden hatten sie wie eine heiße Kartoffel fallenlassen. Nun bekam jeder, der Islas Namen in die Suchmaschine eingab, Seite um Seite dasselbe angezeigt: Kotzprinzessin und die Person, die zu blöd war, die Aufnahme rechtzeitig zu stoppen.

Daher der immer größer werdende Stapel von Absagen.

»Ich nehme an, dein Bewerbungsgespräch lief nicht so gut?«

Isla zuckte bei dem besorgten Unterton ihrer Schwester zusammen. Die meisten Vierzehnjährigen hatten keine größeren Sorgen als die, welche Lipglossfarbe gerade total angesagt war oder wie man einen TikTok-Tanz einstudierte. Verflucht, Isla würde sogar behaupten, dass genau das die Dinge waren, um die sich ein Teenager sorgen sollte, nicht darum, wie lange er noch ein Dach über dem Kopf hatte.

»Nein, nicht wirklich«, gestand sie. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob ich dort überhaupt hätte anfangen wollen.«

Das war gelogen.

Isla war an einem Punkt angelangt, wo sie bereit war, alles anzunehmen. Es war demütigend, um einen Job zu betteln, den sie schon vor zehn Jahren mit geschlossenen Augen hätte machen können, nur um eine Absage zu erhalten, weil die Firma jemanden »mit mehr Erfahrung« gefunden hatte. Äh, wie bitte?

Mit anderen Worten: Sie war offiziell verbannt aus der Social-Media-Industrie.

»Wieso?« Dani kam herüber in die Küche, mit anmutig schwingenden Armen. Ihr dunkles Haar war zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt und mit einem Rest Satinband von ihren Spitzenschuhen fixiert. »Waren die nicht nett zu dir?«

»Nicht wirklich.«

Dani ging zu Isla und legte ihr den Arm um die Schulter. Sie beugte leicht den Oberkörper, damit sie ihren Kopf an die Schulter ihrer großen Schwester lehnen konnte. An manchen Tagen fühlte es sich an, als würden sie beide gegen den Rest der Welt kämpfen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht wussten, wo ihre Mutter sich derzeit aufhielt – ihre Väter hatten sie Gott weiß wie lange schon nicht mehr gesehen –, mussten sie fest zusammenhalten.

Isla dachte an den Tag zurück, an dem sich alles verändert hatte – den Abend vor ihrem zwanzigsten Geburtstag. Ihre Mutter hatte ihnen verkündet, dass sie mit einem Mann auswandern werde, den sie noch keine vier Wochen kannte, und sich seitdem nie wieder blicken lassen. Offenbar betrachtete sie die Mutterschaft als eine temporäre Verpflichtung. Damit blieb Isla mit der Verantwortung für ein Kind zurück und mit einer größeren Zukunftsangst als jemals zuvor.

Sechs Jahre später hatte sie für sich und ihre Halbschwester eine Existenz aufgebaut. Sie hatte Danis Traum von einer Ballettkarriere moralisch und finanziell unterstützt und arbeitete selbst erfolgreich in ihrem Traumberuf. Dabei tat sie alles, um vor ihrer Schwester zu verheimlichen, wie knapp das Geld oft war. Aber je älter Dani wurde, umso mehr bekam sie mit, was wirklich los war.

»Vielleicht kannst du in der Ballettschule fragen, ob sie uns das Geld für den Intensivkurs zurückerstatten«, schlug Dani leise vor.

Danis Platz im Ballett-Sommercamp war schon seit Monaten gebucht, lange bevor Islas berufliche Situation in sich zusammengestürzt war.

»Ich weiß, der Kurs war richtig teuer«, fügte sie hinzu.

Isla spürte Tränen in ihren Augen brennen, aber sie weigerte sich, vor ihrer Schwester auch nur die kleinste Schwäche zu zeigen. Ihre Aufgabe war, eine Stütze zu sein. Die Starke zu sein. Die positive Mutterfigur zu sein, die keine von ihnen jemals erlebt hatte.

»Dani, ich würde meine rechte Niere verkaufen, damit du am Ballettcamp teilnehmen kannst.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das illegal ist.«

Isla schnaubte und drückte ihre Schwester eng an sich. Dani roch wie immer nach übersüßem Vanille-Parfüm und ihrem Shampoo mit Mangoduft. Isla hätte alles für dieses Mädchen getan. Alles, um sicherzustellen, dass Dani in der Gewissheit aufwuchs, dass es sich lohnte, seine Träume zu verfolgen, und dass die Familie immer an erster Stelle kam, ganz gleich, was passierte.

»Und woher weißt du so gut über Organhandel Bescheid?« Isla zog eine Augenbraue hoch, und Dani grinste.

»CSI.«

»Ah, natürlich.« Isla lachte. Aber als Dani sich von ihr löste, sah sie, dass der übliche unbekümmerte Ausdruck in den blauen Augen des Mädchens von Sorge überschwemmt war. Isla hasste es, das zu sehen. »Warum gehen wir nicht in den Central Park, hm? Wir nehmen dein Handy mit, dann kann ich ein paar Fotos von dir für deinen Instagram-Account machen.«

»Wirklich?« Danis Augen leuchteten auf.

»Sicher. Ich gehe mich nur kurz umziehen.«

»Ich verspreche, dieses Mal werde ich dich nicht zwingen, hundert Fotos zu machen.« Dani grinste und drehte eine kleine Pirouette in der Küche. »Nicht mal halb so viel!«

»Gib kein Versprechen, das du nicht halten kannst«, gab Isla über ihre Schulter zurück, während sie auf ihr Zimmer zusteuerte. »Glaub mir, ich weiß, woher du diesen Hang zum Perfektionismus hast.«

Kaum hatte Isla die Zimmertür hinter sich geschlossen, sackte sie rücklings dagegen und schrumpfte in sich zusammen wie ein Luftballon am Tag nach einer Geburtstagsfeier. Draußen tobte das Leben in der Stadt. Sirenen und Hupen, laute Musik, die aus dem offenen Fenster einer Nachbarwohnung schallte, das kreischende Gelächter von Menschen, die den Nachmittag genossen. Isla schaute aus ihrem Fenster und betrachtete den gewohnten Anblick, den sie von ihrer gemütlichen (sprich engen) Wohnung aus hatte. Licht blendete auf, wo die Sonne sich in Fensterscheiben spiegelte, und die zickzackförmige Feuertreppe an dem Gebäude gegenüber hob sich deutlich ab. Dieselben drei Wohnungen wie immer hatten ihre Jalousien hochgezogen – sei es, um Voyeurismus zu begünstigen, sei es, weil nicht genügend Wert darauf gelegt wurde, ihm vorzubeugen.

Manchmal machte Isla sich Gedanken über das Leben ihrer Nachbarn. Hatten auch sie irgendwann in einer Sackgasse gesteckt und so kämpfen müssen wie sie? Hatten sie den Glauben an sich selbst und an die Welt verloren?

Nach ihrem Rauswurf aus der Agentur war Isla davon ausgegangen, dass sich alles bald wieder einrenken würde, wenn sie sich unauffällig verhielt und die Sache nicht schlimmer machte. Aber als dann Amandas Film beim Publikum durchfiel und alle ihre Werbepartner absprangen, waren die Leute für Isla plötzlich nicht mehr zu erreichen. Obwohl sie versucht hatte, das Ganze scherzhaft als ein »Miley-Cyrus-Manöver« abzutun, waren ihre Kontakte fester eingefroren als ein Botoxgesicht in der Upper East Side.

Das war typisch New York – war man erfolgreich, fühlte es sich an, als wäre die Sonne aus Gold. Fiel man in Ungnade, landete man so hart auf dem Asphalt, dass man sich jeden Knochen im Leib brach.

Wie lange noch würde sie fähig sein, so zu tun, als wäre alles in Ordnung? Nächste Woche war die Miete fällig, und die letzte Rate für Danis Elite-Ballettcamp war erst vor ein paar Tagen vom Konto abgebucht worden. Angesichts des Betrags hatte Isla mehrmals geschluckt. Aber Dani trainierte so hart, sie übte jeden Tag bis an die Schmerzgrenze, um die reichen Kinder mit ihren namhaften Trainern und ihren Privatstunden und ihrem Leben voller Chancen auszustechen.

Wie konnte Isla ihr da den Boden unter den Füßen wegziehen? Was für eine Lektion würde Dani daraus lernen?

»Du wirst eine Lösung finden«, sagte sie zu sich selbst. »Irgendjemand wird dich einstellen.«

Schließlich musste sie es hinkriegen. Denn ihre Schwester zu enttäuschen, war keine Option.

KAPITEL 4

Theo konnte nicht von sich behaupten, dass er schon öfter Zeuge eines richtigen Gemetzels geworden war. An den meisten Tagen sah er immer dieselben Orte: sein Penthouse, den Rücksitz seiner Limousine und sein Eckbüro im Verlagshaus, das sein Großvater vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet hatte. Das war’s.

Zwei Gebäude mit Privataufzügen und ein Fahrzeug. Nicht viel Raum für Abwechslung oder Überraschungen – was genau nach seinem Geschmack war. Wenn es nach ihm ging, war ein Leben mit minimalen Variablen ein Leben, auf das man sich verlassen konnte.

Leider war aber auch das Chaos zu etwas geworden, auf das er sich in letzter Zeit verlassen konnte.

Er stand in der Tür zu seinem Schlafzimmer und starrte blinzelnd auf die Verwüstung. Neben seinem Bett stand eine Schublade offen, und seine Sockenkollektion – gewöhnlich nach Farben sortiert – war wild auf dem Boden verstreut. Eine einzelne Socke, ihres Gegenstücks beraubt, hing schlaff vom Griff der Schublade. Seine Seidenkrawatten waren von der Hängevorrichtung im Schrank gerissen worden, und kleine messerscharfe Zähne hatten Fäden aus dem Stoff gezogen und die makellose glänzende Oberfläche ruiniert.

Aber das alles verblasste zur Bedeutungslosigkeit in Anbetracht der Kleiderhülle von der Reinigung, die sorgfältig über sein Bett drapiert gewesen war und nun in einem zerfledderten Haufen auf dem Boden lag, zerfetzt und in Stücke gerissen … genau wie der maßgeschneiderte Anzug darin.

»Das ist der dritte Anzug in diesem Monat.« Er streifte mit einer Hand seine Haare zurück und unterdrückte einen Frustschrei.

Camilla lag mitten im Raum, die Vorderpfoten gekreuzt, als würde gleich da Vinci höchstpersönlich ein Porträt von ihr anfertigen. Natürlich ertappte Theo sie nie auf frischer Tat. Dafür war sie zu clever. So viel zu dem Spruch, dass Schweigen Gold ist. Theo begann zu begreifen, dass Schweigen, wenn es sich um Hunde handelte, sehr, sehr verdächtig war.

Ein Fetzen hochwertiger italienischer Kaschmirwolle lag direkt neben Camillas Pfote. Sie senkte den Kopf, um daran zu schnüffeln, und sah dann wieder zu Theo, als wollte sie sagen: Schachmatt, Arschloch.

»Hailey!« Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte durch das Penthouse. Wo war die Hundesitterin? Sie hätte das verhindern müssen. Offenbar hatte die Agentur, die er beauftragt hatte, ihm schon wieder eine Niete geschickt.

Das war lächerlich. Es konnte doch nicht so schwer sein, eine fähige Aushilfe zu bekommen.

Er entdeckte die Frau in der Diele, wo sie mit einer Hand auf ihrem Smartphone tippte und mit der anderen einen Schal um ihren Hals wickelte. Ihr Pferdeschwanz hing schief herunter, und ihren Arm zierte ein hässlicher roter Kratzer.

»Hailey. Was zum Teufel soll das? Ich habe Camilla in meinem Schlafzimmer entdeckt. Dort sieht es aus, als wäre Godzilla durchgetrampelt.«

»Ich bin nicht Hailey.« Die Frau straffte sich und starrte ihn böse an. Ihr rosaroter Lippenstift war verschmiert bis über die Wange, und ihre Brille saß schief auf der Nase. »Hailey war die Frau, die letzte Woche hier war und nicht einmal einen Tag überlebt hat.«

Das erklärte, warum er sich all die Namen nicht merken konnte.

»Monica?«, riet er. Hmm, das schien auch nicht richtig zu sein.

»Monica war die Erste, die zu Ihnen kam, diejenige, die mir dringend empfahl, bloß die Finger von diesem Job zu lassen, nachdem sie das Handtuch geworfen hat. Und, habe ich auf sie gehört? Oh nein. Stattdessen habe mich von der noblen Adresse ködern lassen und von der Aussicht auf einen lukrativen Job.« Sie steckte das Telefon in ihre Handtasche und ließ den Verschluss zuschnappen. »Danach kam June, die in der Notaufnahme landete, nachdem Camilla sie absichtlich zum Stolpern gebracht hat.«

»Ich bezweifle stark, dass ein Hund …«

»Dann erst kam Hailey.« Die Frau kam nun richtig in Fahrt und war nicht mehr zu bremsen. »Dann Belinda, die fünfzehn Jahre für ihren letzten Kunden ohne jegliche Zwischenfälle gearbeitet hat. Nach ihr kam Portia, dann Amy, dann Fran und dann ich … Lucinda.«

Hatte er wirklich schon so viele Hundesitterinnen durch? Es waren gerade einmal vier Wochen.

»Gut, Lucinda.« Der Name sagte ihm nichts, nicht das Geringste. »Hören Sie, ich habe wirklich keine Zeit …«

»Nein, ich habe keine Zeit, Mr. Garrison.« Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter und starrte Theo mit glühenden Augen an. »Ich liebe Tiere, aber diese Kreatur kann nur vom Teufel persönlich abstammen. Und Sie«, sie stach mit dem Zeigefinger in seine Richtung, »sind keinen Deut besser.«

Theo blinzelte ungläubig. Was zur Hölle passierte hier gerade?

»Reiche Leute«, murmelte sie. »Sie denken, dass jeder, der für sie arbeitet, nichts weiter ist als eine Nummer in einer Tabelle.«

»Jetzt warten Sie mal eine Sekunde«, sagte er. »Die Konditionen für diesen Auftrag waren klar abgesteckt. Ich brauchte einen Hundesitter, nichts weiter. Sie kommen her, Sie kümmern sich um den Hund, Sie werden dafür bezahlt. Ende der Geschichte.«

»Das wäre ja in Ordnung, wenn Sie einen Hund hätten. Aber das ist kein Hund. Was Sie haben, ist eine Bestie aus einem Stephen-King-Roman – wahrscheinlich die Vorlage für Cujo persönlich. Und ich weiß mit meinem Leben wahrlich etwas Besseres anzufangen, als mich für einen Job zu erniedrigen.«

Erniedrigen? Okay, vielleicht war Camillas tägliches Programm ein bisschen umfangreicher als das eines durchschnittlichen Hundes – selbst Theo hatte bei einigen Punkten auf der Liste, die seine Großmutter ihm hinterlassen hatte, eine Augenbraue hochgezogen. Aber so hatte sie es sich für ihren Hund gewünscht, also wer war er, um das infrage zu stellen? Außerdem hatte er sich an eine der besten Agenturen in der Stadt gewandt, und man hatte ihm versichert, dass kein Bedürfnis eines Tieres zu groß war oder zu ausgefallen, selbst als er darauf hingewiesen hatte, was für ein verhätscheltes Leben Camilla bisher geführt hatte.

»Sie sind es offenbar gewohnt, dass alle nach Ihrer Pfeife tanzen, nur weil Sie mit ein paar Geldscheinen herumwedeln«, sagte Lucinda und schüttelte den Kopf. »Aber es gibt wichtigere Dinge als Geld. Meine Würde ist eins davon.«

Damit riss sie die Wohnungstür auf, marschierte hinaus und ließ die Tür mit einem Knall hinter sich ins Schloss fallen. Gleich darauf klingelte der Aufzug draußen im Flur, und Theo hob die Augen zur Decke. Er hatte wirklich keine Zeit für so etwas. Es gab furchtbar viel zu tun, nachdem ein weiteres Mitglied seiner Geschäftsleitung gekündigt hatte; noch dazu musste er die ganze Woche Anfragen der Presse zu einer geplanten Übernahme abblocken, die eigentlich top secret sein sollte.

Mit einem frustrierten Brummen zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Haustieragentur. Die Empfangsdame meldete sich beim dritten Klingeln, aber bevor er überhaupt ein Wort sagen konnte, hörte er ein Knacken in der Leitung, was bedeutete, dass sein Anruf umgeleitet wurde.

»Mr. Garrison, hier spricht Elaine Goldsmith. Ich nehme an, Sie rufen uns an, weil Sie abermals einen Ersatz benötigen.« Ihre Stimme klang akzentuiert, und sie hatte eine gewählte Ausdrucksweise. Beides hatte sie sich wahrscheinlich auf einer Elite-Universität angeeignet. »Ich fürchte, wir sind nicht länger in der Lage, Ihnen oder den Bedürfnissen Ihres Hundes zu dienen.«

»Warum nicht?«

»Weil die Sicherheit und das Wohlergehen meiner Mitarbeiterinnen oberste Priorität haben. Für die eine endete es mit einem Gips am Bein, eine andere hätte fast einen Finger verloren, und wieder eine andere weigert sich bis heute, zur Arbeit zu kommen.«

»Wollen Sie mir ernsthaft erzählen, dass von Ihren ›hochqualifizierten Expertinnen‹ keine in der Lage ist, mit einem Hund fertigzuwerden, der nicht größer als ein Laib Brot ist?« Theo wanderte in seiner Diele auf und ab und streifte wieder seine Haare zurück. Na schön, vielleicht war der Brot-Vergleich ein bisschen überzogen, aber mal im Ernst. Diese Frauen taten gerade so, als wäre Camilla ein gefährliches Raubtier und nicht ein kleiner Fiffi, der aussah, als würde er in eine schicke Handtasche gehören. »Mir wurde versichert, dass Sie mit jedem Tier zurechtkommen.«

»Nicht mit diesem, fürchte ich. Sie werden sich wohl an eine andere Agentur wenden müssen.« Ein Klicken in der Leitung signalisierte ihm, dass das Gespräch beendet war.

Theo starrte auf sein Telefon. Das hatte er nicht unterschrieben.

»Tja, genau genommen hast du das unterschrieben«, sagte er zu sich selbst. »Auf Treu und Glauben.«

Seine gerissene Großmutter sollte der Teufel holen, denn sie hatte genau gewusst, dass er ein weiches Herz hatte. Na ja, nur in ihrem Fall. Was den Rest der Welt betraf, hatte Theo Garrison einen Kohleklumpen, wo andere ein Herz besaßen.

Beim Klang des vertrauten Klickens von Krallen auf dem Marmorboden stellten sich seine Nackenhaare auf. Was nun?

Als er sich umdrehte, stand Camilla in dem bogenförmigen Durchgang zwischen der Diele und dem offenen Wohnbereich, ihre Louis-Vuitton-Leine im Maul. Offenbar war dies das universelle Signal, dass es Zeit war für eine Gassirunde. Hätte die Hundesitterin nicht wenigstens das noch erledigen können, bevor sie davonstürmte?

Theo rieb sich mit der Hand über das Gesicht und stieß ein langes Seufzen aus. »Also gut, ich geh mit dir raus.«

Zehn Minuten später überquerte Theo die Straße zum Central Park. Camilla stolzierte schwanzwedelnd vor ihm her und sah aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Zumindest bis ein kleiner Junge versuchte, sie zu streicheln, als sie an einer Ampel warteten, und sie ihn beinahe in die Hand biss.

»Musst du dich benehmen wie eine …« Camilla warf ihm einen Blick über die Schulter zu, der ihn herausforderte, seinen Satz zu beenden. »Vergiss es.«

Wie immer herrschte im Park viel Betrieb. Das war einer der Gründe, warum Theo es vorzog, auf seinem Laufband mit Blick auf den Park zu joggen statt durch den Park selbst. Sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten, war im Moment besonders anstrengend, vor allem nachdem der New Yorker seine Großmutter mit einer Titelstory gewürdigt hatte und auf dem Cover ein Foto von ihnen beiden zu sehen gewesen war.

Aber Theo hatte seine Verkleidung inzwischen perfektioniert und konnte eine makellose Bilanz vorweisen. Das Ziel war, wie ein Besucher auszusehen statt wie ein Anwohner. Aber nicht gleich wie ein ausgewachsener Tourist, sondern eher wie ein New Yorker aus einem anderen Stadtbezirk. Darum trug er auch eine Mets-Baseballmütze, obwohl es ihm in seiner Yankees-Seele wehgetan hatte, über dreißig Dollar für die blau-orange Scheußlichkeit hinzublättern. Ganz zu schweigen davon, dass sein Vater sich wahrscheinlich im Grab umgedreht hatte.

Er trug außerdem eine Rundum-Sonnenbrille, die seine Augen vollständig verbarg, und ein T-Shirt mit dem Logo einer kleinen Pizzeria in Williamsburg, was manche vielleicht als ein unnötiges übertriebenes Detail bezeichnet hätten. Aber Theo wusste, dass es die Berücksichtigung der Details war, durch die sich ein Mann von einem Jungen unterschied. Es genügte nicht, nur sein Gesicht zu verdecken – das konnte jeder. Man musste sich in eine andere Person verwandeln. Was ihm angesichts des Umstands, dass er gerade einen eingebildeten kleinen Rasseköter an einer protzigen LV-Leine mit eigenem Monogramm Gassi führte, ziemlich leichtfiel.

Camilla ging voran, zog nach links und dann nach rechts, während sie auf ihre übliche Stelle zusteuerte. Anscheinend wollte die verdammte Töle ausschließlich an einem bestimmten Gebüsch ihr Geschäft verrichten, was so typisch für sie war, dass Theo nur mit den Augen rollen konnte.

Er checkte seine E-Mails, während der Dackel ein kompliziertes Ritual begann. War ja klar, dass Camilla sich nicht einfach hinkauern und es hinter sich bringen würde. Oh nein, sie musste scharren und kreisen und schnüffeln, bis sie die exakte Stelle gefunden hatte, die ihres kleinen Hinterteils würdig war.

Glücklicherweise – oder unglücklicherweise, je nach Betrachtungsweise – hatte Theo jede Menge neue Nachrichten, die ihn beschäftigt hielten, während die Diva ihr Ding durchzog. Sein Posteingang quoll über vor noch mehr Bitten um ein Statement zu der Übernahme und so vielen Besprechungsanfragen, dass ihm fast schwindelig wurde. Kein Wunder, dass er seine Leute immer anherrschte, sich um ihre Arbeit zu kümmern – wie sollte man Leistung bringen, wenn man den ganzen Tag in sinnlosen Meetings verbrachte? Theo hätte liebend gern sein Büro von außen gesichert und ein »Kein Zutritt«-Schild an die Tür gehängt, wenn die Leute ihn dadurch in Ruhe gelassen hätten.

Aber seiner Büroleiterin zufolge hätte er dann wohl »unnahbar« gewirkt.

Als wäre Nahbarkeit erstrebenswert. Würden die Leute ein wenig mehr Zeit darauf verwenden, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern statt um die von anderen, würden sie im Leben schneller vorankommen.

»Äh, Verzeihung?« Eine fremde Stimme ließ ihn aufmerken. »Ich glaube, Ihr Hund … büxt gerade aus.«

Theos Kopf fuhr rechtzeitig herum, um Camilla auf das »Alice im Wunderland«-Denkmal zuflitzen zu sehen. Wie zum Henker …? Im nächsten Moment wurde ihm bewusst, dass er noch immer ihre Leine in der Hand hielt. Und dass am anderen Ende noch immer das Halsband befestigt war. Das kleine Biest hatte sich daraus befreit!

»Camilla!« Er stürmte los, der Dackeldame hinterher, die sich mit einer erschreckend hohen Geschwindigkeit bewegte. Jeden Morgen schleppte sie sich im Schneckentempo durch die Wohnung und tat ihr Bestes, um eine Schildkröte zu imitieren, und nun war sie plötzlich Usain Bolt?

»Shit, Shit, Shit.« Theo legte einen Zahn zu und überholte eine Frau mit Kinderwagen, die ihm etwas hinterherrief, als er sich zwischen ihr und einem anderen Parkbesucher durchquetschte. Gleich hinter dem Denkmal lag der Conservatory Water, und das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass Camilla in den See sprang und er sie aus dem Wasser fischen musste.

Womit hatte er das bloß verdient?

»Camilla, bleib sofort stehen!«

Camillas Ohren und ihr Schwanz flatterten im Lauf, und ihr Fell schimmerte in der Nachmittagssonne. Sie raste dicht an einem Kleinkind vorbei und brachte es ins Taumeln, woraufhin es auf seinem gut gepolsterten Hosenboden landete. Ein schrilles Geheul der Entrüstung zerriss die Luft. Köpfe drehten sich nach dem Dackel um, aber niemand schritt ein, um zu helfen. Alle wichen Camilla aus und gaben ihr freie Bahn zum See.

»Nicht ins Wasser!«, rief Theo, obwohl er wusste, dass es nutzlos war. Der Hund hörte auf niemanden.

Er hatte sie nun fast eingeholt und griff nach ihr, aber sie schlug blitzschnell einen Haken und entkam mit einer professionellen Ausweichtaktik. Sie hatte einen unlauteren Vorteil dadurch, dass sie so nah am Boden war. Theos knapp eins neunzig großer Körper war nicht dafür gemacht, sich in der Mitte zu biegen und gleichzeitig zu laufen. Der Hund entfernte sich nun vom Seeufer in Richtung Hans-Christian-Andersen-Denkmal, wo ein junges Mädchen in einem Ballerina-Outfit posierte.

Camilla stürmte direkt auf das Mädchen zu, das auf einem Bein stand und das andere hinter sich ausstreckte. Eine Frau mit einem Handy kauerte ein Stück vor ihr in der Hocke, um sie zu fotografieren.

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