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Ein Kowalski kommt selten allein 1

hier erhältlich:

MEIN EX, SEINE FAMILIE, DIE WILDNIS UND ICH

Entweder ein Exklusivinterview mit Joe Kowalski oder … Den Rest kann Keri sich denken. Ihre steile Karriere beim angesagten "Spotlight Magazine" würde in einer rasanten Talfahrt enden. Da scheint Joe das kleinere Übel zu sein. Auch wenn es ihr schwerfällt, ausgerechnet ihren Exlover - mittlerweile ein berühmter Autor - um ein Interview zu bitten. Überraschenderweise ist Joe, der sonst Presserummel meidet wie die Pest, nicht abgeneigt. Er stellt jedoch recht eigenwillige Bedingungen: Nur wenn Keri mit ihm zum Campen fährt, beantwortet er ihre Fragen. Gummistiefel, Mückenspray und einen Bikini soll sie in den Koffer packen - aber bloß kein Handy. Und Keri fragt sich: Will er sie etwa halb nackt und wehrlos in der Wildnis?

EIN BISSCHEN KOWALSKI GIBT ES NICHT

Moment mal - die hübsche Lady da am Tresen wird belästigt! Doch als Kevin Kowalski, Besitzer der Sportsbar, ihren aufdringlichen Verehrer k.o. schlägt, erlebt er gleich mehrere Überraschungen. Die erste: Das Opfer, Beth Hansen, ist sauer auf ihn, statt dankbar zu sein. Der Typ da auf dem Kneipenboden ist nämlich ihr Boss! Und dank Kevin ist sie jetzt ihren Job los. Die zweite: Nicht lange, und er sieht Beth wieder - was in einem heißen One-Night-Stand endet. Die dritte: Kevin wird Daddy! Und die vierte Überraschung: Beth denkt gar nicht daran, ihn in ihr Leben zu lassen. Aber Kevin nimmt es sportlich. Gewinner ist schließlich der, der zuerst am Ziel ankommt. Und seines ist glasklar: Beth, Baby und Flitterwochen.


  • Erscheinungstag: 03.09.2015
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 624
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955764852
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Shannon Stacey

Ein Kowalski kommt selten allein 1

Image

Shannon Stacey

Mein Ex, seine Familie,
die Wildnis und ich

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Alexandra Hinrichsen

Image

MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-527-8

WIDMUNG

Für Stuart und unsere Jungs, denn es gibt nichts Schöneres, als nach einem langen Ausflug mit den Quads abends mit euch ums Lagerfeuer zu sitzen. Ich liebe euch über alles, selbst wenn ihr mit Schlamm vollgespritzt seid und nach Mückenspray riecht. Für Steve und Carla, durch die wir Spaß am Quadfahren bekommen und viele neue Freunde kennengelernt haben. Ein herzliches Dankeschön an meine Redakteurin Angela James, die sich dieses Buches, das mir so sehr am Herzen liegt, angenommen und es so viel besser gemacht hat.

1. KAPITEL

Du hast es mit Joseph Kowalski auf dem Rücksitz eines 78er Ford Granada getan und vergisst, mir das zu erzählen? Der Mann ist Bestsellerautor, und nur J. D. Salinger hat die Öffentlichkeit mehr gescheut als er!“

Keri Daniels schlürfte die letzten Tropfen ihres zu fruchtig geratenen Smoothies durch den Strohhalm. „Würdest du das nicht auch lieber für dich behalten?“

„Dass ich Sex mit Joseph Kowalski hatte?“, fragte ihre Chefin Tina.

„Nein, dass du Sex auf dem Rücksitz eines 78er Granada hattest.“ Keri hatte keine Ahnung, wie Tina Deschanel von ihren Highschoolsünden erfahren hatte. Aber ihr war klar, dass sie jetzt in Schwierigkeiten steckte.

Eine gut bezahlte Reporterin bei einem Hochglanz-Klatschmagazin durfte derart sensible Informationen nicht für sich behalten. Schon gar nicht, wenn es um einen Promi ging, der auf der Most-Wanted-Liste der Chefredakteurin stand. Und dass sie dieses pikante Detail aus ihrem Leben bisher geheim gehalten hatte, würde Keri sicher nicht unbedingt dabei helfen, Redakteurin zu werden.

Tina zog ein Foto aus ihrer Handtasche und schob es über den Tisch. Keri schaute jedoch gar nicht hin. Im Geiste stellte sie eine kurze Liste der Leute zusammen, die wussten, was sie im hässlichsten Auto in der Geschichte der fossilen Brennstoffe gemacht hatte. Ihre Freunde. Der Polizist, der in einem wirklich ungünstigen Moment mit einer Taschenlampe an die beschlagene Scheibe geklopft hatte. Ihre Eltern, weil der Polizist in dieser Nacht schlechte Laune gehabt hatte. Die schätzungsweise sechshundert Jugendlichen, die in diesem Jahr mit ihr auf die Highschool gegangen waren – und jeder, dem diese sechshundert Jugendlichen von dem Vorfall erzählt hatten. Vielleicht war kurze Liste nicht der richtige Ausdruck.

„Das ist zwei Jahrzehnte her“, sagte Keri, da ihre Chefin eindeutig eine Erklärung erwartete. „Nicht gerade brandheiße News. Und du hast mich mit dieser Einkaufstour regelrecht überfallen.“

Ihr Tisch im Außenbereich des Cafés war von einer solchen Unmenge an Tüten umringt, dass die schiere Masse einen mit Steroiden vollgepumpten Packesel in die Knie gezwungen hätte. Keri wurde klar, dass Tina diese Einkaufstour bloß eingefädelt hatte, um sie zunächst in Sicherheit zu wiegen. Eigentlich keine große Überraschung. Tina Deschanel war eine hinterlistige Schlange und jede freundliche Geste von ihr bloß das Vorspiel für einen schmerzhaften Biss in den Hintern.

„Überfallen?“, wiederholte Tina so laut, dass sie zwei Hollywoodsternchen beim Knutschen aufscheuchte. Auf diese platte Art und Weise hatten die beiden wohl versucht, die Aufmerksamkeit der Paparazzi auf sich zu ziehen. Eine fanatische Horde von Bluthunden, diese Paparazzi. Und Keri würde sehr bald dazugehören, wenn sie nicht höllisch aufpasste.

„Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe?“, fuhr Tina fort. „Da wende ich mich völlig ahnungslos an diese Frau, die in ihrem Blog erwähnt, dass sie mit Joseph Kowalski zur Highschool gegangen ist. Natürlich wittert sie sofort Geld, und ich fordere dafür handfeste Beweise von ihr. Und dann schickt sie mir tatsächlich ein paar Fotos. Sie war sogar so freundlich, Bildunterschriften hinzuzufügen.“

Nach diesem Wink mit dem Zaunpfahl ahnte Keri bereits, was auf sie zukam. Mit einem ihrer perfekt manikürten Fingernägel angelte sie sich das vergrößerte Foto und zog es zu sich heran.

Ein Mädchen lächelte ihr daraus entgegen. Die junge Frau trug einen pinkfarbenen flauschigen Pullover, ausgeblichene, verwaschene Jeans und rosa Pumps. Der übermäßig aufgetragene Eyeliner erinnerte an einen Waschbären und ließ ihre dunklen Augen noch dunkler wirken. Dazu trug sie hellen Lippenstift, und ihr hochgeföhntes Haar hatte in etwa die Ausmaße des Bundesstaats Wisconsin.

Keri erwiderte das Lächeln, während sie an ihre Lockenstab- und Haarsprayzeit zurückdachte. Wenn das Umweltministerium damals das Cheerleading verboten hätte, wäre die globale Erwärmung heute kaum der Rede wert.

Dann sah sie den Jungen an. Er lehnte an dem hässlichen Auto und hatte die Arme um die Taille der jungen Keri geschlungen. Joes blaue Augen waren genauso dunkel wie der Schulpullover, den er anhatte. Sein Grinsen wirkte gleichzeitig unschuldig und unartig. Und diese verdammten Grübchen – denen war sie komplett verfallen gewesen. Ein Baseballcap der Red Sox verbarg sein honigbraunes Haar, aber sie musste es gar nicht sehen. Sie wusste noch ganz genau, wie es sich zwischen ihren Fingern angefühlt hatte.

Es erstaunte sie immer wieder, wie sehr sie ihn manchmal vermisste.

Aber wen hatten sie da gerade angelächelt? Keri konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wer hinter der Kamera gestanden hatte. Schließlich riss sie sich von dem glücklichen Paar los und las den Text, der auf den unteren Teil des Fotos getippt war:

Joe Kowalski und seine Freundin Keri Daniels ein paar Stunden bevor ein Polizist sie beim Rummachen in einer dunklen Gasse erwischte und daraufhin ihre Eltern informierte. Gerüchten zufolge jagte Mr Daniels Joe mit einem Golfschläger bis ganz nach Hause.

Keri prustete los. „Dad hat ihn nur bis zur nächsten Straßenecke gejagt. Sogar ein 78er Granada ist schneller als ein übergewichtiger Mann mittleren Alters mit einem Fünfereisen.“

„Ich fürchte, ich finde das alles gar nicht komisch.“

„Du hast meinen alten Herrn auch nicht gesehen, wie er in seinem Bademantel das Auto verfolgt hat. Damals war es allerdings nicht so lustig.“

„Bleib bei der Sache, Keri“, forderte Tina sie ärgerlich auf. „Du gehst jeden Tag in der Redaktion am Schwarzen Brett vorbei, oder?“

„Ja.“

„Dann hast du doch sicherlich auch jeden Tag den Zettel mit der Überschrift ‚Most Wanted: Spotlight Magazines begehrteste Promis‘ gesehen?“

„Ja, hab ich.“

„Und ist dir dabei nicht aufgefallen, dass Joseph Kowalski seit mehreren Jahren auf Platz drei dieser Liste steht?“, fragte Tina. Als Keri nickte, beugte ihre Chefin sich über den Tisch und fügte hinzu: „Du wirst mir ein exklusives Interview mit diesem Mann besorgen.“

„Oder …?“

Tina lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte drohend die Arme vor der Brust. „Lass es gar nicht so weit kommen, Keri. Die Verfilmung vom elften Bestseller dieses Mannes wird der Sommerblockbuster des Jahrhunderts werden. Die Promis haben Schlange gestanden, um für den Film vorzusprechen. Die Schlange war länger als die am roten Teppich vor der Oscarverleihung. Und der Mann ist ein einziges Mysterium.“

„Ich verstehe einfach nicht, warum du so hinter ihm her bist. Er ist doch bloß ein Schriftsteller.“

„Joseph Kowalski ist nicht bloß ein Schriftsteller. Er hat die Medien wie ein Profi um den Finger gewickelt und wurde über Nacht zum Promi. Er hat sensationelle Partys in New York geschmissen, zu denen er immer mit diesem bildschönen Rotschopf an der Seite erschienen ist – Lauren Huckins hieß sie. Dann pfefferte Lauren ihm eine millionenschwere Klage wegen Zufügung seelischer Grausamkeit um die Ohren, er erkaufte sich ihr Schweigen und ist seitdem plötzlich von der Erdoberfläche verschwunden? Da steckt doch eine große Story dahinter, und ich will sie. Unsere Leser werden sich die Finger danach lecken. Und Spotlight wird ihnen Joseph Kowalski auf dem Silbertablett servieren, denn du kennst ihn wie sonst keiner.“

„Kannte. Ich kannte ihn.“ Keri seufzte und schob das Foto zurück über den Tisch. Dabei hätte sie es lieber behalten, um später von der Vergangenheit zu träumen. „Vor achtzehn Jahren.“

„Du warst seine Jugendliebe. Nostalgie, Schätzchen! Und es geht das Gerücht um, dass er immer noch Single ist.“

Tatsächlich wusste Keri genau, dass er immer noch Single war: Die Daniels und die Kowalskis lebten nämlich nach wie vor im selben kleinen Städtchen in New Hampshire. Obwohl Mr und Mrs Kowalski inzwischen in einem viel schöneren Haus wohnten. Sehr viel schöner, wenn man Keris Mutter glauben durfte.

„Du bist so schnell in dieser Branche aufgestiegen“, fügte Tina hinzu, „weil du gute Instinkte und ein Händchen für Menschen hast. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich dir vertraut habe. Aber das hier …“ Tina brach ab.

Keri war jedoch klar, worauf ihre Chefin hinauswollte: Entweder machte sie dieses exklusive Interview, oder ihre Karriere bei Spotlight war vorbei. Bei einem anderen Magazin würde sie ganz von vorne anfangen und sich mühsam hocharbeiten müssen. Und da ihre Karriere praktisch ihr ganzes Leben ausmachte, durfte sie diese Warnung nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Aber Joe wiedersehen? Dieser Gedanke weckte ihre Neugier und jagte ihr zugleich unvorstellbare Angst ein. „Er wird nicht fröhlich mit mir über sein wahnsinnig privates Privatleben plaudern, nur weil wir in der Highschool mal was miteinander hatten, Tina. Es war zwar eine tolle Zeit, aber so toll nun auch wieder nicht.“

Das war schamlos gelogen. Joe Kowalski hatte die Messlatte für Keris Sexleben sehr hoch gelegt. Ein hässliches Auto, eine Whitesnake-Kassette, billiger Apfelwein – und trotzdem führte er noch immer ihre persönliche Top Ten der unglaublichsten Höhepunkte an.

Nun fuhr Tina sich mit der Zunge über die Schneidezähne. Keri kannte sie lange genug, um zu wissen, dass ihre Chefin zum tödlichen Biss ansetzte.

„Ich habe deine anderen Storys schon an die Kollegen verteilt“, erklärte Tina. So mit jemandem in der Redaktion umzuspringen – noch dazu mit jemandem von Keris Status – war eine Frechheit.

„Das ist vollkommen inakzeptabel, Tina. Du überschreitest deine …“

„Ich kann keine Grenzen überschreiten, die ich nicht habe, Daniels. Es ist mein Magazin. Deine Beförderung zur Redakteurin hängt davon ab, ob du ein Interview mit Kowalski kriegst. Ganz einfach.“ Damit griff Tina in ihre Handtasche und reichte Keri ein weiteres Blatt Papier. „Hier sind deine Flugdaten.“

Der besagte Megabestsellerautor versuchte gerade, sich zwischen einer normalen BiFi und einer mit Peperoni zu entscheiden. In genau diesem Moment hörte er, dass Keri Daniels wieder in der Stadt war.

Joe Kowalski nickte der Kassiererin zu, die eine Kundin an der Kasse stehen gelassen hatte, um die Neuigkeiten als Erste weiterzuplappern. Es war nicht das erste Mal, dass Keri hierher zurückkehrte. Wenn sie in den vergangenen achtzehn Jahren nicht ein einziges Mal nach Hause gekommen wäre, hätte Janie Daniels persönlich einen Flug nach Los Angeles gebucht und ihre Tochter an den Haaren hergeschleift.

Es war seines Wissens allerdings das erste Mal, dass Keri nach ihm suchte.

„Sie hat nach deiner Telefonnummer gefragt“, fügte die Kassiererin hinzu, während sie ihn wie ein halb verhungerter Piranha anstarrte. „Natürlich wird ihr niemand die Nummer geben. Wir alle wissen ja, wie wichtig dir dein Privatleben ist.“

Und außerdem hatte auch niemand seine Nummer, aber das musste er nicht betonen. Er war überrascht, dass Keri so lange gebraucht hatte – besonders wenn man bedachte, wie viele Jahre Tina Deschanel seinem Agenten schon in den Ohren lag.

„Vielleicht organisiert sie das Klassentreffen mit“, sagte Joe zu der Kassiererin und bemerkte sofort ihre offensichtliche Enttäuschung. Klassentreffen versprachen keine großartigen Klatschgeschichten.

Die Medien waren seit Jahren hinter seinem Agenten her, aber nur Keri Daniels’ Chefin Tina zeigte sich als die Hartnäckigkeit in Person. Joe hatte Keris Karriere von Anfang an verfolgt und eigentlich darauf gewartet, dass sie ihre gemeinsame Geschichte veröffentlichen würde. Doch das war nie passiert. Bis jetzt?

Obwohl er nicht so ein eingefleischter Einsiedler wie Salinger war, liebte Joe die Zurückgezogenheit. Die Einwohner New Englands mochten es nicht, wenn sich Außenstehende in ihr Leben einmischten. Dazu kam, dass Joe der Stadt gegenüber immer wieder seine Großzügigkeit bewies: in Gestalt von einem Baseballstadion, Spielplätzen, Spenden an die Bücherei oder etwas anderem, das eben gerade gebraucht wurde. Das alles hielt die Einheimischen davon ab, Joes Privatleben an die Öffentlichkeit zu tragen. Und zum Zeitpunkt seines Durchbruchs konnten sich die fortgezogenen Klassenkameraden gar nicht mehr an Dinge erinnern, die für die Medien interessant gewesen wären.

Niemand kannte die Details der gerichtlichen Einigung außer den Anwälten, seiner Familie und Lauren – die finanziell ruiniert wäre, wenn sie ihr Schweigen brach. Und so unwahrscheinlich das auch war: Seine und Keris Geschichte war niemals in den Medienberichten aufgetaucht, die sein PR-Manager kontrollierte. Trotz der aktuellen Aufregung um die Buchverfilmung schaffte Joe es, sein Privatleben für sich zu behalten.

„Du bist nicht alt genug für ein Ehemaligentreffen“, meinte Tiffany, während sie ihn mit ihren viel zu jungen Wimpern anklimperte.

Kurzerhand entschied Joe sich für ein halbes Dutzend von beiden und warf die Tüten mit den BiFis in seinen Einkaufswagen. Auf seiner Liste stand allerdings noch viel mehr, als in seinen Wagen passen würde. Er ärgerte sich schwarz, dass er Terry nicht mitgenommen hatte. Sie hätte einen zweiten Wagen schieben und ihm die neugierige Kassiererin vom Hals halten können. Das konnte sie gut. Jahrelange Erfahrung.

Die knisternde Lautsprecherdurchsage kam wie gerufen. „Ähm … Tiffany, kannst du bitte zurück an die Kasse kommen? Ich muss meine Kinder in zehn Minuten abholen.“

Das Mädchen rollte mit den Augen. Bevor Tiffany zurück in den vorderen Teil des winzigen Supermarktes ging, rief sie ihm noch über ihre Schulter zu: „Sie wohnt bei ihren Eltern. Ich vermute, du weißt noch, wo das ist.“

Ja, das wusste er. Die Frage war nur, was er jetzt tun sollte. Er und seine Familie bereiteten sich gerade darauf vor, für zwei Wochen die Stadt zu verlassen. Andererseits wäre es jammerschade, wenn er das Spiel verpassen würde, das Keri da spielte.

Vorausgesetzt, das stimmte überhaupt. Nicht, dass sie in der Stadt war, sondern dass sie ihn erreichen wollte. Seiner Erfahrung nach erfanden die Leute auch bereitwillig Dinge, wenn die Gerüchteküche der Kleinstadt nicht genug hergab.

Joe starrte auf eine Reihe von Peperonigläsern. Wenn Keri Daniels tatsächlich nach seiner Telefonnummer forschte, musste jemand aus dem Nähkästchen geplaudert haben. Vermutlich hatte Keris Chefin irgendwie erfahren, dass ihre Starreporterin einst das Mädchen gewesen war, von dem Joe Tag und Nacht geträumt hatte – und hatte sich gleich wie ein tollwütiger Pitbull auf die Geschichte gestürzt. Wenn das stimmte, sah er Keri bald wieder. Und diesmal würde sie ihn anbetteln. So wie er sie damals angebettelt hatte, bevor sie nach Kalifornien gegangen war.

Zwei Stunden später hatte er zu Hause seine Einkäufe verstaut und saß seiner Zwillingsschwester am Küchentisch ihrer Mutter gegenüber. Theresa Kowalski Porter sah ganz und gar nicht glücklich aus.

„Du bist doch ein dämlicher Scheißkerl.“

Während er gern mit Worten spielte – ja, sie auskostete –, spuckte Terry die Worte genauso aus, wie sie ihr in den Kopf kamen.

„Ich hab dich ja damals schon für einen Idioten gehalten. Du hast dir wirklich jeden Mist von ihr gefallen lassen“, sagte sie. „Aber jetzt willst du dir noch einen Nachschlag holen?“

„Ich bin mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass ihre Chefin sie hergeschickt hat. Sie soll unsere gemeinsame Vergangenheit dafür einsetzen, mich zu manipulieren und dem Magazin ein Interview zu besorgen.“

„Keri Daniels hat nie Hilfe gebraucht, um Leute zu manipulieren. Und über das Restliche eine Prozent will ich mit leerem Magen gar nicht nachdenken.“

Früher war die gesamte Familie Kowalski alles andere als gut auf Keri zu sprechen gewesen, doch Terry hatte ihre Abneigung gegen sie nie überwunden. Und das lag nicht nur daran, dass seine Schwester es eben ausgezeichnet verstand, einen Groll gegen jemanden zu hegen – das konnte sie wirklich gut. Vielmehr war der Grund dafür, dass Keri sie tief verletzt hatte, noch bevor sie dann Joe verletzt hatte.

Terry und Keri waren seit dem Kindergarten beste Freundinnen gewesen, obwohl die beiden Namen zusammen ziemlich blöd klangen. Die Schwierigkeiten zwischen ihnen fingen im ersten Jahr an der Highschool an, als Mr Daniels befördert wurde. Daddys Geld brachte Luxus mit sich. Außerdem entwickelte sich Keris Körper, und sie fand neue Freunde. Am Anfang des zweiten Jahres hatte Keri Terry hinter sich gelassen, und das hatte Terry ihr nie verziehen. Joes Beziehung mit Keri war das Einzige, das die Zwillinge jemals auseinandergebracht hatte.

Und genau deshalb sprach er nun als Erstes mit Terry. Er fragte sie: „Bist du nicht wenigstens ein Winziges bisschen neugierig, was aus ihr geworden ist?“

„Nein.“ Sie holte sich eine Dose Limo aus dem Kühlschrank und öffnete sie, ohne ihm eine anzubieten. Ein schlechtes Zeichen. „Sie hat dir damals das Herz gebrochen. Und nach fast zwanzig Jahren will sie jetzt aus der Geschichte Kapital schlagen und ihre Karriere dadurch vorantreiben. Das ist alles, was ich über die Keri von heute wissen muss, herzlichen Dank.“

Joe zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an den Küchentisch. „Es ist doch nur ein Abendessen, Terry. Mit jemandem, der uns beiden mal viel bedeutet hat.“

„Warum sprechen wir überhaupt darüber, Joe? Keri Daniels ist mir scheißegal. Wenn du mit ihr essen gehen willst, tu das. Du bist erwachsen.“

„Ich brauche ein Alibi für die Familie.“

Terry lachte und nahm dann eine Liste vom Kühlschrank, um die Armee von Plastiktüten zu ihren Füßen zu überprüfen. „Okay, anscheinend nicht ganz erwachsen.“

„Du weißt doch, wie Ma ist. Sie liegt mir ständig in den Ohren und will sicher sein, dass ich bis zur Abreise übermorgen auch ja fertig bin. Dabei bin ich jedes Jahr der Erste, der seine Sachen gepackt hat. Aber wenn ich auch nur für ein paar Stunden aus ihrem Blickfeld verschwinde, flippt sie aus.“

„Du bist echt ein Volltrottel. Ma weiß, dass Keri in der Stadt ist. Sag ihr einfach, dass du mit dem Miststück essen gehst, das dir das Herz rausgerissen und drauf rumgetrampelt hat. Meinst du, dass drei Gläser Erdnussbutter reichen?“

„Wir sind bloß zwei Wochen weg. Und ich will nicht, dass die ganze verdammte Stadt erfährt, dass ich mich mit ihr treffe.“

„Acht Erwachsene, fünf Kinder … Ich denke, drei reichen.“

„Terry.“ Er wartete, bis sie ihn ansah. „Sieben Erwachsene.“

„Was? Oh. Ja.“ Sie lachte über sich selbst, doch der Schmerz war ihr deutlich anzusehen. „Wer ist hier der Trottel, hm?“

„Er“, sagte Joe nicht zum ersten Mal. „Hast du diesen Scheidungsanwalt schon angerufen, den mein Agent empfohlen hat?“

„Das habe ich bis nach dem Urlaub verschoben.“ Sie hob die Hand und blockte damit seine ärgerliche Erwiderung ab, mit der sie offenbar rechnete. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde: Ich würde lieber über Keri Daniels sprechen.“

„Okay. Wenn sie mit mir essen gehen will, erzähle ich jedem, dass ich morgen Abend ein Meeting in Boston habe. Spielst du mit?“

„Warum hast du mir das nicht auch einfach erzählt?“ Terry war eindeutig genervt.

„Ich hab drüber nachgedacht. Aber ich hab damals ein Geheimnis draus gemacht, als ich mich mit Keri getroffen habe. Und du warst verletzt, als du’s rausgefunden hast, Schwesterherz. Ich wollte nicht, dass sich das wiederholt.“

Sie seufzte, und Joe roch den Duft des Sieges. Schließlich sagte sie: „Okay, ich spiele mit. Trotzdem denke ich, dass du ein Idiot bist. Wie viele Gläser Gurken haben wir letztes Jahr gegessen?“

„Du willst, dass ich was tue?“

Joe streckte sich auf dem ramponierten Ledersofa in seinem Büro und versuchte, nicht über den schockierten Ton seines Agenten zu lachen. „Verabredung zum Abendessen. Reporterin vom Spotlight Magazine. Du hast schon richtig gehört.“

„Hat dieses Deschanel-Miststück eins von den Kindern entführt? Deine Mutter bedroht? Ich kenne da Leute, Joe. Ich kann das für dich regeln.“

„Die Reporterin ist Keri. Keri Daniels.“

Eine bedeutungsschwangere Pause. „Na, das ist ja großartig. Das würde ich nur allzu gerne für dich erledigen, Joe. Mit einer großen Filmpremiere und einer Deadline in Sichtweite wünsche ich mir nämlich nichts sehnlicher, als dass dich deine große Jugendliebe komplett aus der Bahn wirft. Und dass du vor jemandem einen Seelenstriptease hinlegst, vor dem du dich früher ausgezogen hast. Klasse Idee.“

„Dan. Luft holen.“

„Oh, ich hole so viel Luft, dass ich hyperventiliere. Ich muss mir eine scheiß Tüte vors Gesicht halten. Oder besser: Ich stülpe dir die Tüte über den Kopf, weil sich dein Hirn anscheinend verflüssigt hat und ausläuft.“

„Tina Deschanel muss rausgefunden haben, dass Keri und ich in der Highschool zusammen gewesen sind, da bin ich mir ziemlich sicher. Und ich zweifle nicht daran, dass Keri das Interview genauso wenig machen will wie ich.“

„Dann mach’s nicht. Bitte. Um meiner fünfzehn Prozent willen: Mach’s nicht.“

„Ich werde bloß mit ihr essen gehen. Danach kann sie zurück nach Kalifornien fliegen und ihrer Chefin sagen, dass sie’s versucht hat.“

„Warum rufst du sie dann nicht an?“

Gute Frage. Die erbärmliche Antwort wollte er Dan nicht beichten.

Nach all diesen Jahren wollte er Keri nicht einfach anrufen. Er wollte sie sehen, ihr gegenüberstehen. Okay, wenn er ehrlich war, wollte er wissen, ob er noch die Keri von früher in ihr erkennen würde. Die Keri, die er geliebt hatte.

Im schlimmsten Fall würde sich das, was sie mit ihm zu besprechen hatte, am Telefon klären lassen. Dann würde er sie gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Aber er war eben neugierig. Um der alten Zeiten willen wollte er sie wiedersehen.

„Ich bin berühmt“, erwiderte Joe schließlich. „Ich bezahle andere Leute dafür, dass sie meine Telefonate für mich erledigen.“

„Schwachsinn. Und da wir gerade vom Bezahlen reden: Warum lädst du mir das auf? Jackie ist für Presse und Publicity zuständig.“

„Ihr würde vermutlich der Kopf platzen.“

Die Stille am anderen Ende der Leitung dauerte so lange, dass Joe fast glaubte, sein Agent hätte aufgelegt. Aber dann meinte Dan: „Joe, wir arbeiten jetzt schon ewig zusammen. Seit fast fünfzehn Jahren halte ich dir den Rücken frei. Und ich denke, dass bei der ganzen Sache für dich nichts Gutes herauskommt – in persönlicher Hinsicht noch weniger als in beruflicher.“

„Ich weiß, aber ich werde es trotzdem machen.“

Keri trank noch einen Schluck Leitungswasser und widerstand der Versuchung, schon wieder auf die Uhr zu sehen. Sie war wohl durch ihr dickes Spesenkonto zu verwöhnt, aber ein Treffen in einem billigen Restaurant, nur um Joes Privatleben zu schützen? Das war ihrer Meinung nach übertrieben.

Und warum hatte Joes Agent sie angerufen? Konnte Joe sich nicht selber mit ihr zum Essen verabreden? Vielleicht konnte er das mit seinem übergroßen Ego nicht vereinbaren und musste sie wie eine Fremde behandeln. Dabei kannte sie ihn gut genug. Zum Beispiel wusste sie, dass er ein Muttermal auf seiner rechten Pobacke hatte, das aussah wie eine Amöbe.

Leider spielten ihre Ansichten anscheinend keine Rolle. Tina hatte ihr sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie tun musste, was immer Joseph Kowalski von ihr verlangte. Und wenn sie durch einen brennenden Reifen springen musste, um den Herrn Schriftsteller glücklich zu machen.

Die Situation ging ihr total auf die Nerven. Sie kriegte schon Kopfschmerzen, wenn sie bloß an ihre Chefin dachte. Und wenn sie einfach abhauen würde? Die Versuchung war groß. Einen neuen Job zu bekommen wäre kein Problem. Allerdings würde sich ihr Weg an die Spitze um einige Jahre verlängern.

Okay, schön. Es war ja schließlich nur ein Interview.

Das letzte Foto, das von ihm veröffentlich worden war, stammte aus der Zeit, als sein sechster Roman herausgekommen war. Er hatte darauf ausgesehen wie der Joe von früher, nur ohne das breite Lächeln und die Grübchen. Es war eines von diesen typischen Autorenfotos, und sie hatte es gehasst. Inzwischen war er vermutlich ein fetter, kahlköpfiger Kerl mit einem krummen Rücken, weil er den ganzen Tag am Schreibtisch saß.

Sie dagegen war gut gealtert. Vielleicht war sie nicht mehr ganz so knackig wie in der Highschool. Doch das kleine Schwarze, das sie anhatte, stand ihr hervorragend. Ihr Haar fiel ganz glatt bis auf die Schultern und war trotz einiger dezenter Strähnchen immer noch naturblond.

„Hey Baby“, ertönte eine Stimme neben ihr.

Mit einem Mal fühlte sie sich wieder wie mit achtzehn: Sie hatte große Pläne, toupiertes Haar und war scharf auf Joe Kowalski.

Keri konnte den billigen Cidre förmlich schmecken, als sie sich umdrehte. Innerlich machte sie sich auf einen alten, fetten Joe gefasst, aber sie erblickte … einfach nur Joe.

Er war sogar noch besser gealtert als sie, der Mistkerl. Sein Gesicht war gereift, und seine Falten verliehen ihm Charakter. Trotz allem wirkte er noch immer wie eine ungezogene Version des netten Jungen von nebenan. Er war natürlich nicht ganz so schlank wie früher, aber das fiel höchstens jemandem wie ihr auf. Immerhin hatte sie ein ganzes Schuljahr damit verbracht, diesen Körper zu berühren.

Unterm Strich hatte er auch heute noch mehr Ähnlichkeit mit dem Jungen, der ihr die Unschuld geraubt hatte, als mit dem langweiligen Schriftsteller, dem sie auf charmante Art und Weise ein Interview entlocken wollte.

„Hi Joe.“ Sie hatte sich unzählige Begrüßungen zurechtgelegt – niedliche, lustige und ernsthafte. In diesem Moment schien ihr Kopf jedoch vollkommen leer zu sein. „Danke, dass du gekommen bist.“

Er setzte sich ihr gegenüber. „Du siehst verdammt gut aus, wenn ich das mal so sagen darf.“

Das erlaubte sie ihm allzu gern. „Du auch“, gab sie zurück. „Interessantes Restaurant, das du da ausgesucht hast. Eine exzentrische Wahl des reichen und zurückgezogen lebenden Schriftstellers?“

Joe lächelte sie an, und seine Grübchen ließen sie fast schwach werden. Warum konnte er nicht einfach fett und unattraktiv sein?

„Ich mag die Salatbar hier“, erwiderte er. „Also, wo versteckt sich Tina? Unter dem Tisch? Auf dem Herrenklo?“

Keri lachte – zum Teil auch, weil er das Thema so offen ansprach. „Nein, sie weigert sich, die Stadt zu verlassen. Ihre Lungen vertragen angeblich keine saubere Luft.“

Obwohl seine Grübchen noch zu sehen waren, nahmen seine blaugrauen Augen einen ernsten Ausdruck an. „Seit ich das erste Mal auf den Bestsellerlisten gestanden habe, wartet Terry darauf, dass du unsere Geschichte verkaufst.“

Der Name seiner Schwester ließ sie zusammenzucken. Dass Terry immer noch so eine schlechte Meinung von ihr hatte, machte Keri traurig. Es gab nur zwei Dinge, die sie in ihrem Leben bereute. Und beide hatten mit den Kowalskis zu tun.

„Ich werde beruflich erpresst“, gab sie zu. „Wenn ich kein exklusives Interview mit dir kriege, werde ich bei Spotlight rausgeschmissen.“

„Das hab ich mir schon gedacht. Wer hat gepetzt?“

Keri holte eine Kopie von dem Foto heraus, das Tina ihr vorgelegt hatte. Nur mit Mühe hatte sie diesen Abzug ergattern können. Sie reichte ihm das Bild und antwortete: „Keine Ahnung. Weißt du noch, wer das gemacht hat?“

„Das war Alex. Als wir … Na ja, die Bildunterschrift trifft es ganz gut.“

Sie erinnerte sich. Alex war ein Freund von Joe gewesen. „Aber Tina hat die Fotos direkt von der Person, die in ihrem Blog behauptet hat, mit dir zur Schule gegangen zu sein. Und sie sagte mir, dass es eine Frau gewesen ist.“

„Er heißt jetzt Alexis. Du willst gar nicht wissen, was er für seine Brüste bezahlt hat.“

Keri lachte, während Joe weiterhin das Foto betrachtete. Mit einem Lächeln auf den Lippen legte er den Kopf schief. Nostalgie – offenbar hatte Tina recht gehabt.

Die Kellnerin kam mit gezücktem Block an ihren Tisch.

Noch immer schaute Joe auf das Foto. „Erinnerst du dich an den Abend, an dem du deine Cocktails ohne den Orangensaft getrunken und dann auf Alex’ Billardtisch gestrippt hast?“

„Ich wette, da werden heute noch Witze drüber gemacht“, mischte sich die Kellnerin ein, die Joe erst jetzt ansah.

„Da kannst du Gift drauf nehmen“, sagte er und wurde rot.

„Und ich wette, heute werden die Witze über Alex’ Brüste gemacht“, meinte Keri, und Joe lachte.

Die Kellnerin wurde ungeduldig. „Wisst ihr denn schon, was ihr möchtet?“

Und dann tat Joe, was er immer getan hatte, wenn ihm jemand diese Frage gestellt hatte. Er schaute Keri tief in die Augen und sagte: „Ja, Ma’am, das tue ich.“

Ein Schauder durchfuhr Keri von Kopf bis Fuß. Still und vergnügt beobachtete sie ihn, während er das Essen bestellte. Und er bestellte für sie beide genau das, was Keri zu Highschoolzeiten am liebsten gegessen hatte: Cheeseburger mit medium gebratenem Bacon, extra Gurke und Pommes. Von der Salatbar war plötzlich keine Rede mehr.

Als die Kellnerin gegangen war, schaute Keri ihn strafend an. „Das sind mehr Kalorien, als ich in den letzten zwei Jahren zu mir genommen habe, Joe.“

Er winkte ab. „Lass uns zur Sache kommen.“

Aber Keri wollte nicht. Sie genoss das reizvolle Prickeln viel zu sehr, das sie jedes Mal verspürte, wenn Joe sie ansah. Seine blauen Augen hatten dieselbe Wirkung auf sie wie damals.

Joe lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Vermutlich sollte die Geste einschüchternd wirken. Doch Keri bemerkte dabei nur, wie gut seine Oberarme trainiert waren und wie das weiße T-Shirt seine sonnengebräunte Haut betonte. Das konnte nicht nur vom Schreiben kommen.

„Fassen wir mal zusammen“, fuhr er fort. „Ich gebe niemals Interviews. Du willst eins. Nein, du brauchst eins, weil deine rabiate Chefin dir damit droht, dich rauszuschmeißen. Richtig?“

Das Prickeln wurde blitzartig schwächer. „Das trifft es ganz gut.“

„Ganz gut? Volltreffer würde ich sagen, Baby. Denn wenn ich dir das Interview nicht gebe, hockst du bald irgendwo im Gebüsch und wartest darauf, dass einer betrunkenen Paris Hilton der Busen aus dem Dekolleté hüpft.“

Und damit war das Prickeln weg. „Jajaja, Rache ist süß. Ich weiß, Joe.“

„Nicht wahr?“ Auftritt der Grübchen.

Keri zuckte mit den Schultern. Sie würde ihm weder einen Deal anbieten noch irgendwelche Versprechungen machen. Nach all den Jahren im Promi-Geschäft wusste sie, wie man mit Berühmtheiten umgehen musste. Allerdings hatte sie es hier mit Joe Kowalski zu tun. Mit Joe, der sie nackt gesehen und dem sie das Herz gebrochen hatte. Das änderte alles.

„Ich fahre morgen für zwei Wochen weg“, meinte er.

Da war das Prickeln wieder. Diesmal war es jedoch eher ein panisches Kribbeln. „Wozu gibt es Telefon, Fax und E-Mails?“

„Da, wo ich hinfahre, gibt’s das alles nicht.“

Sie lachte. „Antarktis oder Amazonas?“

„Ich verlasse noch nicht mal den Bundesstaat.“

In der Highschool war Joe ein lausiger Spieler gewesen: Er konnte einfach kein Pokerface aufsetzen. Aber jetzt hatte sie nicht die geringste Ahnung, was in ihm vorging. Ihre Instinkte mochten sie an die Spitze des Spotlight katapultiert haben; in diesem Moment ließen sie Keri im Stich. Und dennoch hatte sie das dumpfe Gefühl, dass er etwas plante.

Während die Kellnerin servierte, hatte Keri Zeit zum Nachdenken. Joe war nie ein hinterhältiger Typ gewesen. Wenn er sich also zum Essen mit ihr traf, dann standen die Chancen für ein Interview gut. Er würde niemals jemanden zum Spaß erniedrigen.

Es stimmte zwar, dass Geld einen Menschen verändern konnte – und Joe verfügte inzwischen über ein ungeheures Vermögen. Doch so wie ihre Mutter über ihn sprach und wie sie selbst ihn gerade erlebte, schien Joe noch ganz der Alte zu sein. Bloß seine Spielzeuge waren mittlerweile wahrscheinlich teurer.

Was aber noch lange nicht hieß, dass sie nicht trotzdem das tun musste, was er wollte. Ganz und gar nicht.

Sie biss in den Cheeseburger mit Bacon, und der lange vergessene Geschmack explodierte förmlich auf ihrer Zunge. Seufzend schloss sie die Augen und kaute langsam, um den Moment voll auszukosten.

„Wann hast du zum letzten Mal so einen gegessen?“

Keri schluckte und freute sich schon auf den nächsten Bissen. „Das ist viel zu lange her.“

Er lachte.

Während des Essens unterhielten sie sich angeregt über alles Mögliche. Als sie über den Film sprachen, fiel Keri jedoch auf, dass Joe sich sehr bedeckt hielt. Offenbar wollte er nichts preisgeben, das sie möglicherweise für einen Artikel verwenden konnte.

Es würde ihr nicht gelingen, Joe auszutricksen. Sie würde ihm keine Informationen entlocken können, mit denen Tina auch nur ansatzweise zufrieden war.

„Weißt du“, sagte sie, den halben Cheeseburger noch in der Hand, „ich würde das Essen mit dir wirklich gern einfach genießen. Aber das geht nicht, bevor wir nicht über das Interview gesprochen haben. Also, was muss ich tun?“

„Darüber hab ich vorher schon ein bisschen nachgedacht. Ich finde, du solltest mitkommen.“

„Wohin?“

„Dorthin, wo ich hinfahre.“

Keri legte den Cheeseburger auf den Teller. „Zwei Wochen lang?“

Die Zeit war kein Problem, da sie ohne das Interview sowieso nicht nach Kalifornien zurückkommen konnte. Aber sie wollte einfach gerne wissen, worauf sie sich da einlassen sollte.

„Ob du die ganzen zwei Wochen dableibst oder nicht, ist deine Sache. Für jeden ganzen Tag, den du mit uns Kowalskis durchhältst, darfst du mir eine Frage stellen.“

Im Gegensatz zu Joe konnte Keri ein Pokerface aufsetzen, und genau das tat sie jetzt. „Wen meinst du mit ‚uns Kowalskis‘?“

„Die ganze Familie.“ So tiefe Grübchen hatte sie noch nie an ihm gesehen. „Eben alle.“

Ihr erster Gedanke: Ach du Scheiße! Ihr Zweiter: Ob das „People Magazine“ wohl Leute braucht?

Joe zog einen Zettel aus der Hosentasche. „Hier, ich hab dir eine Liste mit all den Dingen gemacht, die du brauchst. Hab ich auf dem Parkplatz geschrieben.“

Keri faltete den Zettel auseinander. Sie las sich die Liste zweimal durch und versuchte daraus abzuleiten, was ihr bevorstand.

MITBRINGEN: Mückenspray, T-Shirts, Sweatshirts (mindestens eins davon mit Kapuze), ein Flanellhemd (dringend notwendig), Pyjama (optional), Unterwäsche (auch optional), Badeanzug (möglichst knapp), noch mehr Mückenspray, Turnschuhe, wasserfeste Schuhe, dicke Socken, Sonnenmilch, zwei Rollen Kleingeld.

ZU HAUSE LASSEN: Handy, BlackBerry, Laptop, Fotoapparat, Kamera, Wecker, Diktiergerät, sonstiger Elektrokram.

Sie hatte keinen blassen Schimmer, was das zu bedeuten hatte. Wollte Joe sie halb nackt verschleppen und sicherstellen, dass sie nicht mal per SMS Hilfe rufen konnte?

2. KAPITEL

Der erste Tag des alljährlichen Familienurlaubs war für Terry Kowalski Porter immer die Hölle. Die zwölf Tage voller Spaß und Entspannung waren umrahmt von zwei Tagen, an denen sie sich am liebsten vor einen fahrenden Zug geworfen hätte.

Auf der Autobahn ging es im Familienkonvoi noch gesittet zu. Doch sobald sie den Campingplatz erreicht hatten, waren ihre Verwandten plötzlich in alle Winde verstreut. Terry rannte sich die Füße wund, um überall zu helfen.

Zuerst musste sie zu ihren Eltern. Mit ihrem riesigen Luxuscampingwagen brachten sie das gesamte Lager zum Stillstand, solange sie nicht vernünftig geparkt hatten. Leo Kowalski weigerte sich standhaft, jemand anderen ans Steuer des Gefährts zu lassen, das sein Sohn ihm gekauft hatte. Terrys Aufgabe war es also, ihren ungeduldigen Bruder in Schach zu halten, bis ihr Dad das Schlachtschiff präzise eingeparkt hatte.

Dann ging es darum, Bodenunebenheiten auszugleichen, Vorzelte aufzubauen, Abwasserrohre, elektrische Leitungen und Wasserleitungen zu legen und anzuschließen. Das alles war Routine, aber bei Leo und Mary Kowalski ging immer irgendetwas schief.

„Nennst du das etwa gerade, Mary?“ Ihre Eltern waren immer laut.

„Ich bin drinnen, Leo. Wie soll ich wissen, was gerade ist?“

„Haben wir nach links Schlagseite?“

Dann kam ihr mittlerer Bruder Mike mit seiner Familie an die Reihe. Sie brauchten drei nebeneinanderliegende Zeltplätze für ihre kleine Campingsiedlung. Auf dem ersten Platz stand das Wohnmobil – sehr viel kleiner als der ihrer Eltern –, in dem Mike, Lisa und die beiden Jüngsten schliefen. Außerdem gab es dort einen Multifunktionsgrill und eine so riesige Campingküche, dass alle drei Brüder und Mikes Ältester anpacken mussten, um sie aus dem Anhänger zu wuchten.

Auf dem zweiten Zeltplatz stellten sie den Campinganhänger ab, den sie hinter dem Wohnmobil hergezogen hatten und in dem die beiden älteren Jungs übernachteten. Hier spannte Lisa auch ein wahres Spinnennetz von Wäscheleinen, an dem ganze Wäscheberge zum Trocknen aufgehängt werden konnten.

Auf dem dritten Zeltplatz errichteten sie einen großen Zeltpavillon mit Abdeckplanen, damit Lisa mit ihren vier wilden Gören nicht im Wohnmobil bleiben musste, wenn es regnete.

Terrys kleiner Bruder Kevin, das jüngste Kind von Leo und Mary, war am schnellsten versorgt. Seit seiner Scheidung benötigte er nur ein kleines Zelt, einen tragbaren Holzkohlegrill und die größte Kühlbox, die man für Geld kaufen konnte. Er selbst behauptete, ein Campingpurist zu sein, doch Terry wusste es besser. Kevin sah es einfach nicht ein, das ganze Zeug mitzuschleppen, wenn seine Eltern vier Zeltplätze weiter ein mobiles Zuhause im Wert von einer halben Million dabeihatten.

Joe mietete sich immer eine der Hütten auf dem Campingplatz. So konnte er seinen Laptop mitbringen und relativ komfortabel und in Ruhe arbeiten. Meist half Terry ihm dabei, seinen Geländewagen auszuräumen. Aber da sie gerade nicht mit ihrem Zwillingsbruder sprach, schickte sie stattdessen ihre Neffen zu ihm.

Das Chaos, das die vier Jungs um die Hütte herum verursachen würden, war nur der Anfang ihrer Rache an Joe Kowalski.

Am Telefon hatte ihr Bruder ihr mitgeteilt, dass sie nun doch ein Glas Erdnussbutter mehr brauchen würden. In dem Moment war Terry klar gewesen, dass der Dummkopf Mist gebaut hatte.

Der Kowalski’sche Familienurlaub war Joe anscheinend noch nicht stressig genug: Jetzt musste er auch noch Keri Daniels anschleppen. Und das Schlimmste war, dass der Rest der Familie sich auf Joes Seite geschlagen hatte. Ihre Eltern waren begeistert. Mike und Lisa war die Sache egal, und Kevin? Terry kannte ihren jüngsten Bruder. Sie wusste, dass er versuchen würde, Keri ins Bett zu kriegen. Und wenn er das nicht schaffen sollte, würde er seinen großen Bruder mit ihr aufziehen, wo es nur ging.

Natürlich hatte keiner von den anderen eine zwölfjährige Tochter, die Camping hasste. Die es hasste, länger als eine Stunde kein Internet zu haben. Und die es am allermeisten hasste, dass ihre Eltern sich getrennt hatten. Natürlich konnte sie auch nicht verstehen, warum die Exfreundin ihres Onkels Joe mitkam, ihr Vater aber nicht – denn streng genommen war er noch gar kein Ex.

Ebendiese zwölfjährige Tochter lümmelte gerade in einem Liegestuhl vor dem noch verschlossenen Wohnmobil und schlürfte Cola. Terrys Brüder hatten ihr geholfen, den Wagen einzuparken, ihn gerade aufzustellen und Wasser- und Abwasserleitungen anzuschließen. Danach hatte Terry sie weggescheucht. Nachdem jetzt kein Mann mehr im Haus war, mussten sie und Steph sich daran gewöhnen, die Dinge alleine anzupacken.

Leider war es eine wahre Herausforderung, ihre Tochter dazu zu bringen, auch nur den kleinen Finger zu rühren. „Stephanie, ich hab dich doch gebeten, wenigstens die Fenster zu öffnen und das Vorzelt aufzubauen.“

„Das macht Dad sonst immer.“

„Dad ist aber nicht hier. Und du hast ihm früher immer dabei geholfen. Also weißt du, wie das geht.“

Augenrollen. „Warum konnte ich nicht einfach bei ihm bleiben?“

Terry atmete tief durch. Zum x-ten Mal erinnerte sie sich daran, dass es Steph nur darum ging, wer ihr in den nächsten zwei Wochen einen Internetzugang bieten konnte. Ihre Frage hatte nichts damit zu tun, welchen ihrer Elternteile Stephanie am meisten liebte. Terry antwortete: „Weil seine Wohnung nicht groß genug ist und du zu alt bist, um mit ihm auf diesem verdammten Futonbett zu schlafen.“

„Wann kommt Onkel Joes Freundin?“

„Ich weiß es nicht, Steph. Lass uns doch einfach den Wagen fertig machen, dann können wir …“

„Ich glaub, das ist sie.“

Terry drehte sich um und murmelte ein Wort, dass sie sonst nie benutzte, wenn ihre Tochter sie hören konnte.

Natürlich war sie es. Warum konnte Keri Daniels nicht auch nur ein Kilo zunehmen – oder zehn? Oder wenigstens schlecht gefärbte Haare haben, verdammt? Aber nein, sie war immer noch schlank und sah immer noch großartig aus. Und keins ihrer Körperteile schien der Schwerkraft erlegen zu sein, wie es bei Terry der Fall war.

Mit schockiertem Gesicht starrte Keri gerade zu den Anhängern, die auf dem Vorplatz verstreut herumstanden und darauf warteten, dass ihre Besitzer sie abluden. Auf den Ladeflächen standen zwölf Quads in verschiedenen Größen und Farben, eins von den vierrädrigen Motorrädern war nigelnagelneu.

Keri wandte sich um und sah Terry zum ersten Mal seit Jahrzehnten in die Augen. „Was zum Teufel ist das denn?“

„Das sind Quads“, erwiderte Terry. „Mein Dad hat uns mal mitgenommen, als wir zehn waren. Oder hast du das auch vergessen?“

Keri verzog angewidert ihre karmesinroten Lippen. „Um Himmels willen, Joe muss Geld haben wie Heu. Hättet ihr nicht eine Kreuzfahrt buchen können oder so?“

„Wir mögen Quads. Außerdem bringt die Familie nichts enger zusammen als so ein Zeckencheck nach einer Fahrt.“

„Zeckencheck?“, fragte Keri. Terry hatte das Vergnügen, ihre ehemalige Freundin und aktuelle Erzfeindin unter ihrem professionell aufgetragenen Rouge erbleichen zu sehen. „Zeckencheck? Ich kann das nicht.“

„Steph, sag deinem Onkel Joe Bescheid, dass Keri Daniels da ist.“

„Onkel Joe, deine Freundin ist da!“, brüllte das Mädchen in Richtung der Hütten.

„Wenn ich gewollt hätte, dass es über den Zeltplatz geschrien wird, hätte ich’s selber gemacht.“

Aber in Wirklichkeit war Terry nicht nach Schreien zumute. Ihr war vielmehr danach, sich vor Lachen im Gras zu wälzen.

Miss Perfect zog ein Gesicht, als wäre sie soeben in hohem Bogen in einem stinkenden Misthaufen gelandet. Vielleicht würden die nächsten zwei Wochen doch ganz lustig werden. Rache war tatsächlich süß.

Keri sah, wie Joe auf sie zukam. Er hatte die Hände in den Taschen, und seine sexy Grübchen waren sogar von Weitem sichtbar. Zuerst war sie sprachlos.

Dann sagte sie nur: „Du wirst mich nicht nach Zecken absuchen, Joseph Kowalski.“

„Verdammt, Baby, mach mir meine Hoffnungen nicht gleich am ersten Tag kaputt“, gab er breit lächelnd zurück, und Keri kam sich wie eine Idiotin vor. „Ich sehe, du hast Terry entdeckt.“

„Ich werde nicht mit einem dieser Dinger fahren.“ Sie zeigte auf die Anhänger mit den vierrädrigen Geländefahrzeugen.

„Siehst du das rote, glänzende da drüben? Das ist für dich, Baby. Und sag mir jetzt nicht, dass du die Regeln schon wieder vergessen hast.“

Wie könnte sie! Die Regeln waren per Boten bei ihren Eltern zu Hause abgegeben worden, noch bevor sie an dem Morgen aufgestanden war.

1.  Nur „offizielle“ Antworten auf „offizielle“ Fragen dürfen bei „Spotlight“ veröffentlicht werden.

2.  Jegliche Erwähnung, wohin wir fahren, was wir tun oder wer dabei ist, ist verboten. Ansonsten werden Du und Dein Magazin vom besten Rechtsteam verklagt, das ich finden kann, bis Euch die Ohren schlackern.

3.  Für jeden ganzen Tag, den Du mit der Familie Kowalski verbringst, darfst Du eine Frage stellen.

4.  Für jede Antwort von mir darf ich Dir wiederum eine Frage stellen. Wenn Du sie nicht beantwortest, verfällt Deine nächste Frage.

5.  Die Weitergabe jeglicher Informationen außer der Interviewfragen und meiner Antworten an Tina Deschanel – insbesondere die beiliegenden MapQuest-Anfahrtsdaten – ziehen eine Horrorshow nach sich, an der Du nicht beteiligt sein willst. Glaub mir.

6.  Wenn Du Dich weigerst, bei Familienunternehmungen mitzumachen, bekommst Du kein Interview (Das schließt Kevin und jede Form von Nacktheit aus – was bei ihm Sex beinhalten kann, aber nicht muss).

Keri hatte nicht vor, sich vor irgendeinem der Kowalskis auszuziehen. Keine Zeckenchecks. Kein Sex. Kein Nacktbaden. Sie hatte einen einteiligen Badeanzug eingepackt. Und Pyjamas waren definitiv nicht optional.

Als ihr dieser letzte Gedanke durch den Kopf schoss, schaute sie sofort panisch die Reihe der Camper und Zelte entlang. „Wo schlafe ich überhaupt?“

Joe lächelte immer noch, obwohl Terry inzwischen gegangen war und mit dem Mädchen, das wohl ihre Tochter war, ihren Campingwagen bewohnbar machte. „In der Hütte, gleich um die Ecke“, antwortete er.

„In der Hütte?“ Das klang nicht allzu schlecht. „Du meinst, so richtig mit Wänden und einer Tür und einem Bett?“

„Sogar mit Elektroanschlüssen.“

Keri schnaubte. „Nachdem ich ja alle elektrischen Geräte zu Hause lassen musste, werden sich die als besonders nützlich erweisen.“

„Fahr dein Auto hier ran. Vielleicht können wir so deine Sachen ausladen, bevor die ganze Familie rauskriegt, dass du da bist. Sie sind alle zum Laden gegangen, um den Campingplatzbesitzern Hallo zu sagen und Feuerholz zu kaufen.“

Keri fuhr ihren gemieteten Kleinwagen den engen Schotterweg hoch und parkte vor der ersten Hütte neben Joes riesigem Geländewagen. Das Häuschen war zwar klein, wirkte aber solide und hatte sogar eine schöne, kleine Veranda.

Auf Joes Zeichen hin öffnete sie die Tür und ging hinein. Von innen sah die Hütte noch kleiner aus. Doch es gab Deckenventilatoren, einen Gaskamin und eine kleine Sitzecke. Im hinteren Teil standen ein Doppelbett und ein Etagenbett. Ein farbenfroher Webteppich bedeckte den Dielenboden.

Und Joes Sachen waren über jeden Quadratzentimeter verteilt. Nur der untere Teil des Etagenbetts war frei. „Was ist das?“, fragte Keri.

„Unsere Hütte. Du musst im Etagenbett schlafen, weil ich der berühmte Schriftsteller bin.“

„Du bist ein ganz schön bekloppter berühmter Schriftsteller, wenn du meinst, dass ich mit dir unter einem Dach schlafe.“

„Die anderen Hütten sind für die nächsten Wochen ausgebucht. Du kannst aber natürlich gerne nach Hause fahren. Ich bin sicher, deine Chefin würde das verstehen.“

„Oder du schläfst in meinem Zelt.“

Keri wirbelte beim Klang der zweiten männlichen Stimme herum. Der Mann war unglaublich groß, unglaublich muskulös und … „Oh Gott. Kevin? Mit was zum Teufel haben sie dich denn gefüttert?“

„Bier und Steak, dreimal täglich. Du siehst super aus, Keri. Wir haben uns echt lange nicht gesehen.“

Sie überlegte, wie viel jünger er als sie, Joe und Terry war. Sechs Jahre? So ungefähr. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er schlaksig gewesen und hatte Pickel gehabt. Das war jetzt nicht mehr der Fall.

„Du passt doch kaum alleine in dein Zelt rein“, sagte Joe zu ihm, bevor Keri sich eine passende Antwort ausdenken konnte. „Wo soll denn da noch eine Frau Platz haben?“

„Sie könnte auf mir liegen.“

„Hau ab“, meinte Joe, und Keri lachte. „Aber hol Keris Sachen aus dem Auto, bevor du gehst.“

Kevin seufzte und warf Keri einen bedauernden Blick zu. „Es ist ein hartes Schicksal, der einzige Kowalski mit Muskeln zu sein.“

Damit verschwand er. Keri nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich zu beruhigen. Ohne Erfolg. Sogar nach fast zwanzig Jahren in Kalifornien war es ihr nicht gelungen, ihr Zentrum, ihr Chi, ihr Zen oder was auch immer zu finden.

Entweder zog sie für vierzehn Tage mit Joe Kowalski in diese Hütte. Oder ihre Karriere war im Eimer, und sie würde sich eine heruntergekommene Wohnung mit einem Fremden teilen müssen.

Und dann fragte sie sich, ob Pyjamas für Joe wohl auch optional waren. Plötzlich musste sie ganz schnell den Deckenventilator einschalten. Es war auf einmal so heiß in der Hütte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob ein Joe ohne Pyjama ein Vor- oder ein Nachteil war. Und das war erst recht schlecht für ihr Zen!

Kevin kam zurück und stellte ihre Sachen neben der Tür ab. „Ich hab die Meute abgefangen und zurückgedrängt. Ich würde sagen, du hast maximal fünfzehn Minuten, bis sie zurückkommen.“

Und damit war er weg. Keri atmete noch einmal tief durch und versuchte, sich für die kommenden Stunden, Tage und Wochen zu wappnen. Auch diesmal ohne Erfolg.

„Das ist so was von unprofessionell von dir“, warf sie Joe vor, der mit riesigem Tamtam sein Kissen aufschüttelte und seine sehr bequem aussehende Matratze austestete.

„Genau. Dass ich für dich mein Privatleben den Massen preisgeben soll, nur weil wir beide vor zwanzig Jahren mal Sex hatten, ist dagegen natürlich der Inbegriff der Professionalität.“

Keri ging zu ihrem Bett hinüber, um ihre eigene Matratze auszuprobieren. Es war genau das, wonach es aussah: ein unbequemes Stück Schaumstoff auf einer Unterlage aus Sperrholz, die auf Holzbohlen lag. Super. „Wenn ich eine Wahl hätte, würde ich das hier sicher nicht machen. Aber meine Karriere bedeutet mir nun mal viel.“

„Nein, Baby, deine Karriere bedeutet dir alles. Wir werden dich daran erinnern, dass Erfolg nicht nur aus Leitartikeln und Abgabeterminen besteht.“

Sie bemerkte, dass er dabei nicht lächelte. Glaubte er den Mist etwa wirklich, den er da verzapfte?

„Dann tust du das alles nur für mich?“, entgegnete sie. „Um die oberflächliche Prinzessin aus ihrem Elfenbeinturm zu befreien?“

Nun kamen die Grübchen wieder zum Vorschein. „Als edler Prinz, dessen reines Herz die oberflächliche Prinzessin auf ihrem Weg in den Elfenbeinturm zertrampelt hat, will ich dich mal mit Matsch in den Haaren sehen.“

„Also ist das alles eine einzige große Verschwörung, um mich zu erniedrigen.“ Sie stand auf und war fest entschlossen, in ihr Auto zu steigen und wegzufahren. „Vermutlich hattest du überhaupt nie die Absicht, meine verdammten Fragen zu beantworten.“

Doch Keri kam nicht weit. Schon packte Joe sie am Arm und wirbelte sie herum. Und wie es das Schicksal wollte, landete sie so, dass sie die Fußenden des Etagenbetts in ihrem Rücken spürte. Als er ein Bein zwischen ihre Schenkel schob und beide Hände rechts und links neben ihrem Kopf abstützte, erkannte ihr verräterischer Körper sofort die Schließfachposition von früher und entspannte sich automatisch. Sie musste sogar die Fäuste ballen, damit ihre Finger nicht von selbst in die Vordertaschen seiner Jeans schlüpften.

In der Schule hatte sie jede freie Minute in dieser Position zugebracht: sie mit dem Rücken an ihrem Schließfach, er gegen sie gelehnt. Es war natürlich unvermeidbar gewesen, dass ein Lehrer sie so erwischt hatte. „Daniels und Kowalski, auseinander! Ich will, dass man mehr zwischen euch durchschieben kann als ein Blatt Papier!“

Im Moment passte kaum ein Blatt Papier zwischen sie, und es war weit und breit kein Lehrer in Sicht. Obwohl die Chancen gut standen, dass demnächst seine Familie auftauchen würde. Wobei Keri sich nicht sicher war, ob seine Verwandten entsetzt wären oder ihn ermutigen würden.

„Ich habe dich nicht hergebracht, um dich zu erniedrigen, Baby.“

Insgeheim wünschte Keri sich, dass er aufhören würde, sie so zu nennen. Aber sie konnte ihn nicht daran hindern, ohne dass er merkte, dass es ihr etwas ausmachte. „Warum bin ich dann hier? Du hättest einfach Nein sagen oder das Interview um zwei Wochen verschieben können.“

„Dann könnten wir beide aber keine Zeit miteinander verbringen.“

Wie hatte sie es nur in der Highschool geschafft, sich nicht vollkommen in diesen Augen zu verlieren? Es war schwer, sich auf seine Worte zu konzentrieren, wenn er sie so anschaute. „Das mit uns, das ist fast zwanzig Jahre her, Joe.“

„Ganz genau. Aber du warst damals nicht nur meine große Liebe, weißt du? Du warst auch meine beste Freundin. Deshalb will ich wissen, was alles passiert ist. Oprah Winfrey würde sagen, dass ich mit der Geschichte abschließen muss.“

„Als ob du dir ihre Talkshow anguckst.“ Keri juckten die Finger – so groß war das Bedürfnis, sie in seine Hosentaschen zu stecken. Also vergrub sie die Hände in ihren eigenen Taschen.

„Meine Nichte guckt Talkshows. Sie würde dir bestätigen, dass Oprah genau das sagen würde, da bin ich mir sicher.“

„Ich glaube, es geht dir höchstens zu zehn Prozent darum, mit der Geschichte abzuschließen. Zu neunzig Prozent ist es Rache.“

Joe lächelte. „Siebzig-dreißig.“

„Dreißig-siebzig.“

Er kam noch näher, und Keri hatte keinen Platz, um zurückzuweichen. Ungefähr eine Milliarde Gedanken schossen ihr durch den Kopf, aber nur zwei blieben hängen. Würde er sie küssen? Und warum war ihr das nach all den Jahren und ein paar wichtigen, aber zum Scheitern verurteilten Beziehungen nicht einfach scheißegal?

Nostalgie wahrscheinlich. Immerhin hieß es, dass ein Mädchen den ersten festen Freund nie vergaß. Und mehr als einmal hatten ihre Träume seitdem auf dem Rücksitz eines 78er Granada gespielt. Trotzdem: Das hier war zu viel.

Ein kurzer Blitz erleuchtete die Hütte. Joe fluchte so leise, dass es nur jemand hören konnte, der zwischen ihm und dem Bett eingeklemmt war.

Jemand rief: „Sag Cheese!“

„Das ist Bobby“, teilte Joe ihr mit, bevor er einen Schritt zurücktrat – was Keri erstaunlicherweise störte. Hatte er sie wirklich küssen wollen? „Er hat sein ganzes Taschengeld für Einwegkameras ausgegeben.“

„Ich dachte, Kameras wären verboten.“

„Nein, Baby, bloß für dich sind Kameras verboten. Wir haben welche: Einwegkameras, Fotoapparate, Digitalkameras, Videokameras, Digital-Video-Camcorder – alles, was das Herz begehrt. Ja, ich vermute, Ma hat irgendwo in ihrer Handtasche sogar ihre alte Pocketkamera.“

Keri sah den kleinen Jungen an, der sie mit einem Grinsen belohnte, das später vermutlich genauso gefährlich sein würde wie das seines Onkels. „Hi Bobby. Sagt man nicht ‚Cheese‘, bevor man das Foto macht?“

„Wenn man das so rum macht, verstecken sich die Leute. Deswegen überrasche ich sie gerne.“

Sie lächelte ihn an. Allerdings ließ ein Gedanke sie nicht los: Wie würde wohl Bobbys Mutter reagieren, wenn sie zwischen den Urlaubsfotos ihres Sohnes eins fand, auf dem Joe Keri gegen das Bett drückte?

„Granny hat mich geschickt“, fuhr der Junge fort. „Ihr sollt aus eurem Versteck kommen und die Quads abladen, damit die Hänger auf den Parkplatz können. Und sie meint, dass Keri besser schnell Hallo sagen soll. Sonst kriegt Onkel Kevin alle ihre gerösteten Marshmallows.“

Während Joe um die Anhänger herumging und die Halteseile löste, beobachtete er, wie Keri die Kowalski-Familie im Schnelldurchlauf kennenlernte. Dann erinnerte er sich daran, dass sie ja als Reporterin arbeitete und ihre Mütter außerdem befreundet waren. Keri war bestimmt schon bestens über alle im Bilde. Trotzdem waren seine Verwandten eine ganz schön einschüchternde Horde.

Natürlich kannte Keri seine Eltern und seine Geschwister bereits, aber Mike und Kevin hatten sich in der Zwischenzeit ziemlich verändert. Mikes Frau Lisa war erst aus Massachusetts hergezogen, als Joe mit der Uni fertig gewesen war. Keri hatte sie also nie kennengelernt. Und ihre vier Jungs – Joey (fünfzehn), Danny (zwölf), Brian (neun) und Bobby (sechs) – waren kaum auseinanderzuhalten, wenn sie ständig herumtobten. Terrys Tochter Stephanie war schon ein halber Teenager. Dazu kamen Kevin mit seinem frechen Charme und Terry mit ihrem jahrzehntealten Groll. Eine interessante Mischung!

Joe konnte kaum glauben, dass Keri gedacht hatte, er wollte sie mit seiner Einladung nur erniedrigen. Okay, vielleicht war Einladung nicht gerade das richtige Wort für das, was er getan hatte. Aber bis sie ihm diese Anschuldigung an den Kopf geworfen hatte, war er sich dieses Missverständnisses nicht bewusst gewesen.

Möglicherweise hatte er die Schwingungen total falsch gedeutet, die im Restaurant zwischen ihnen geherrscht hatten. Er hätte geschworen, dass auch sie das leichte Aufflackern des einst tosenden Infernos zwischen ihnen bemerkt hatte. Und dann war sie tatsächlich auf sein lächerliches Angebot eingegangen. Sie hatte es nicht geradeheraus abgelehnt, wie er eigentlich erwartet hatte. Daher hatte er geglaubt, dass sie genauso wie er daran interessiert wäre, das Feuer zwischen ihnen von Neuem zu entfachen. Im Grunde war sein Angebot bloß ein Scherz gewesen, ein missglückter Versuch, ihr abzusagen. Doch sie hatte es offenbar ganz anders verstanden und einen Racheakt dahinter vermutet, der Shakespeare alle Ehre gemacht hätte.

In dem Stück war Joe der Böse – und er kam sich auch so vor. Wie konnte er ihr jetzt noch beibringen, dass er sich all das erst auf dem Weg zum Restaurant ausgedacht hatte und sein Vorschlag ein Akt der Verzweiflung gewesen war? Ein feiger Versuch, das Interview abzulehnen, ohne Nein sagen zu müssen? Dass die Sache doch ganz lustig werden könnte, war ihm erst in den Sinn gekommen, als sie ihm diesen gewissen Blick zugeworfen hatte. Diesen Blick, dem er schon in der Highschool nicht hatte widerstehen können. Dann hatte sie die Augen geschlossen und vor Genuss aufgeseufzt, als sie in den Cheeseburger gebissen hatte – da war er Feuer und Flamme gewesen. Weil sie seinem dummen Plan zugestimmt hatte, war er der Meinung gewesen, dass es ihr genauso gehen würde. Und dass ihr kühles, nüchternes Verhalten nur ihre Begeisterung verschleiern sollte.

Nun wusste er jedoch, dass sie bloß mit Gleichmut auf eine bevorstehende seelische Tortur reagiert hatte, und das war ätzend. Wenn er jetzt einen Rückzieher machte, hatte er keinerlei Kontrolle mehr darüber, was sie drucken würde. Außerdem würde er erklären müssen, warum er gleich am ersten Tag aufgegeben hatte.

„Wenn du hier schon den ganzen Tag rumstehen und deine Exfreundin anstarren musst, geh wenigstens aus dem Weg.“

Mikes Stimme brachte Joe ins Hier und Jetzt zurück und machte ihm bewusst, was er da gerade tat: mit einem Halteseil in der Hand von Keri Daniels zu träumen.

Er warf seinem jüngeren Bruder das Seil zu und setzte sich rittlings auf die erste Maschine. „Hast du die Schlüssel?“

Mike hielt eine Handvoll hoch und warf ihm dann den richtigen zu. „Du weißt, dass Terry niemanden hier weglässt, bevor nicht jeder einzelne Schlüssel beim richtigen Besitzer ist. Sie würde sie uns an den Kopf tackern, wenn sie ein Gerät hätte, das unsere dicken Schädel durchbohren kann.“

Joe startete das Geländefahrzeug, fuhr rückwärts die Rampe hinunter und parkte es an der Seite. Mikes vier Jungs beobachteten ihn dabei wie die Aasgeier. Nachdem er ihnen den Blick des Todes zugeworfen hatte, kletterte er zurück auf den Hänger.

„Lisa mag sie“, meinte Mike, der das Familiendrama von seinem ganz eigenen Standpunkt aus betrachtete.

„Schlüssel. Woher weißt du das?“

„Körpersprache. Wir sind seit sechzehn Jahren verheiratet, Joe. Ich weiß es inzwischen vorher, wenn sie bloß pinkeln muss.“

„Aber du weißt nicht, wie sie es findet, dass du deine dreckigen Socken nicht ausschüttelst?“

Mike wollte ihm eine langen, aber Joe trat aufs Gas und lachte, während er Joeys Maschine auslud. Über die Schulter bemerkte er, wie sein Namensvetter vor Freude auf der Stelle hüpfte. Vorsichtshalber warf Joe ihm einen weiteren Blick des Todes zu, bevor er wieder auf den Anhänger kletterte. Aus dem Augenwinkel sah er Keri, die ihre Schutzkleidung im Arm hatte und total fehl am Platz wirkte.

„Sie will noch mal schwanger werden.“

Abrupt wandte Joe sich seinem Bruder zu. Schwanger? „Wovon zum Teufel redest du?“

„Lisa möchte noch ein Kind.“

„Oh.“ Das ergab mehr Sinn als sein allererster Gedanke bei diesen Worten. Wenn auch nicht viel. „Ihr kommt doch kaum mit den vier Jungs klar. Lisa plant sogar eine Party, wenn Bobby im Herbst endlich in die Schule kommt. Bist du dir wirklich sicher?“

Mike nickte und gab Joe den Schlüssel für Dannys Maschine. „Sie hat es mir direkt gesagt. Sie meinte, dass es diesmal ja vielleicht ein Mädchen wird.“

„Oder es wird wieder ein Junge. Außerdem ist es ja nicht so, als ob es keine Zwillinge in unserer Familie gäbe. Denk mal drüber nach, Mike. Sechs Jungs. Da müssten wir ja jemanden anheuern, um euren ganzen Krempel herzubringen.“

Mike lachte, aber Joe konnte erkennen, wie angespannt er innerlich war. Obwohl Mike zwei Jahre jünger war als er, verhielt er sich in letzter Zeit so, als wäre er der Älteste. Und Joe war nicht der Einzige, dem das aufgefallen war.

„Weißt du, was du brauchst? Lass uns die Mühlen hier abladen und dann rausfahren. Nur wir Brüder“, schlug Joe vor.

„Die Kurzen werden einen Koller kriegen“, erwiderte Mike. Dennoch erhellte sich sein Gesicht bei der Aussicht auf einen kleinen Ausflug.

Die Kowalskis fuhren ihre Maschinen in ganz unterschiedlichem Tempo. Wenn Granny und die kleinen Kinder auf ihren eigenen Maschinen dabei waren, konnten halb tote Packesel sie mühelos überholen. Wenn die zwei Jüngsten bei ihren Eltern mitfuhren und Granny ein Nickerchen machte, ging es schon etwas abenteuerlicher zu. Und manchmal blieben alle Kinder bei Leo und Mary. Dann konnten Joe, Kevin, Terry – und letztes Jahr ihr Mann Evan –, Mike und Lisa die Sau rauslassen und durch die Wälder jagen.

Aber die reinen Brüder-Touren, die waren etwas Besonderes und hatten einen hohen Adrenalinfaktor. Nur Joe, Mike und Kevin – Testosteron, Matsch, Felsen und eine kombinierte Power von zweitausendeinhundert Kubikzentimetern auf vier Rädern. Es war fast so gut wie Sex, obwohl die Abriebrate meist höher war.

Mike schaute zu seiner Frau, um ihre Laune einzuschätzen. „Lisa wäre total angefressen, wenn die Jungs ihr beim Aufbauen dauernd im Weg wären. Erinnerst du dich an das Jahr, als ich im Pavillon schlafen musste?“

Joe rief nach seiner Schwägerin. Er winkte sie herüber und sagte zu ihr: „Wir haben da ein gewisses Bedürfnis nach Geschwindigkeit.“

Lisa war eine kleine, zerbrechlich aussehende Brünette mit einer selbstbewussten, nicht sonderlich zerbrechlichen Einstellung. „Ihr fahrt ganz sicher nicht raus, wenn noch so viel Arbeit zu erledigen ist.“

Joe setzte sein gewinnendstes Lächeln auf, aber sie war schließlich seit sechzehn Jahren mit einem Kowalski verheiratet und zog vier von der Sorte groß. Sie war gegen das Grinsen immun und sagte nur: „Vergiss es.“

„Keri und ich nehmen die Jungs in ein paar Tagen mit zum Pizzaessen in die Stadt“, schlug Joe vor. Gegen Bestechung, die Freiheit versprach, war Lisa nicht immun. „Du und Mike könntet euch aus dem Staub machen und zu der kleinen, verborgenen Lichtung fahren, die ihr so mögt. Davon kriegt ihr immer so rosige Wangen.“

Wie immer konnte sie der Aussicht auf ungestörten Sex nicht widerstehen. „Eine Stunde. Und ihr spielt beim ersten Poolbesuch die Bademeister.“

„Drei Stunden. Dafür spielen wir zweimal Bademeister und spendieren den Jungs noch ein Eis.“

„Zwei Stunden, mehr nicht. Zweimal Bademeister, Eis für die Jungs plus Lagerfeueraufsicht heute Abend.“

„Gebongt.“

Nachdem Lisa gegangen war, lächelte Joe seinen Bruder an. „Ein Kinderspiel.“

„Klappt bei mir nie.“

„Du bist ja auch ihr Mann. Sie mag mich lieber, weil sie meine Unterhosen nicht waschen muss. Außerdem sehe ich besser aus.“

Mike lachte. „Das rede dir ruhig weiter ein, während ich im Wald flachgelegt werde, mein Freund.“

„Du magst es da draußen bloß, weil die Mückenstiche deinen kleinen Freund größer aussehen lassen.“

Joe duckte sich, um Mikes Schlag zu entgehen. Dann fuhr er Dannys Maschine die Rampe herunter. Als er bemerkte, dass Keri ihn beobachtete, ließ er den Motor aufheulen. Lachend warf sie ihr Haar zurück, genau, wie sie es in der Highschool getan hatte. Joe versuchte, sich seine Chancen auf einen kleinen Ausflug mit ihr zu der Lichtung auszurechnen.

Der Gedanke an Keri, ein Bett aus Gras und eine Flasche Mückenspray verursachten ein riesiges Durcheinander in seinem Kopf, sodass er sich im Geiste eine kalte Dusche verpassen musste. Er musste sein „kleines Problem“ schnellstens in den Griff bekommen, ehe er mit seinen Brüdern loszog. Denn ansonsten standen ihm harte Zeiten bevor, die für ihn nur in einer Katastrophe enden konnten.

3. KAPITEL

Joe würde dafür bezahlen, dass er sie alleine gelassen hatte. Keri wusste nur noch nicht, wie. Während er und seine Brüder auf Tour gegangen waren – was auch immer das heißen mochte –, musste sie sich alleine mit dem Kowalski-Clan herumschlagen.

Blitz. „Sag Cheese!“

„Cheese.“ Keri lächelte und versuchte dabei, die Wäscheleine um einen Baumstamm zu binden. Wenn sie richtig gezählt hatte, war das jetzt das elfte langweilige Foto, das Bobby seit Joes Verschwinden von ihr geschossen hatte. „Verschieß deine ganzen Bilder nicht gleich am ersten Tag.“

„Du bist hübsch.“

„Danke.“

„Tante Terry sagt, dass du bestimmt getunt bist. So wie Daddys Auto.“

Sie schaute in Terrys Richtung, die sich plötzlich sehr intensiv mit ihrer Wäscheleine beschäftigte. „Nö, an mir ist nichts getunt.“

„Sie hat gesagt, dass du bestimmt halb aus Plastik bist. Onkel Kevin meinte, dass er mal fühlen will und ihr dann Bescheid sagt. Und dann hat Onkel Joe ihn geboxt und gesagt, dass er höchstens einen Tritt in den A-R-S-C-H fühlen würde, wenn er das macht.“

„Robert Joseph Kowalski!“ Lisa stürzte auf den Jungen zu und verscheuchte ihn. „Weg mit der Kamera, und ab auf den Spielplatz, du Lausebengel!“

Terry kümmerte sich noch immer um ihren Knoten. Was offenbar sehr anstrengend sein musste, so rot war sie im Gesicht. Lisa grinste Keri verlegen an und machte sich daran, ihre eigene Leine festzubinden.

Die Bemerkung mit dem Plastik hätte Keri vermutlich viel mehr ausgemacht, wenn Joe sie nicht verteidigt hätte. Ihr wurde ganz warm bei dem Gedanken. So war er schon in der Schule gewesen. Er hatte sie beschützt, ohne sie einzuengen, und sie war sich wie eine Prinzessin vorgekommen. Gerade kam sie sich allerdings nicht besonders vornehm vor. Sie stand auf einer Kühlbox und brach sich nacheinander die Fingernägel ab, während sie versuchte, eine Wäscheleine aufzuhängen. Trotzdem fand sie sein Verhalten irgendwie süß. Nicht so süß, dass sie ihm verziehen hätte. Aber süß genug, um Schmetterlinge im Bauch zu haben.

Terry, die alte Angeberin, hatte ihre Leine befestigt und setzte sich nun mit einer Limo auf eine andere Kühlbox. „Die Jungs kommen jede Minute zurück, Lisa. Hast du dein Kleingeld?“

Keri bemerkte, wie Lisa errötete. Sie hätte allzu gerne gewusst, worum es ging, wollte Terry aber nicht fragen. Immerhin hatten sie es geschafft, zwei Stunden nicht miteinander zu reden. Vielleicht gelang es Keri sogar, das Schweigen auf zwei volle Wochen auszudehnen.

Andererseits hatte sie keine Lust, sich vierzehn Tage lang dem aufgestauten Ärger aus zwanzig Jahren auszusetzen. Und schließlich waren sie beide keine Teenager mehr. Außerdem wollte sie endlich wissen, was sie mit ihren zwei Rollen Kleingeld anfangen sollte. Keri holte tief Luft und sah Terry an. „Wofür ist das Kleingeld eigentlich?“

„Für die Duschen im Badehaus“, erwiderte Terry, und einen Moment lang glaubte Keri, dass das die ganze Antwort war. Dann holte auch Terry einmal tief Luft und entspannte sich. „Wenn die Jungs rausfahren, bauen sie … eine gewisse testosterongeladene Spannung auf. Mike schleppt Lisa immer mit ins Badehaus, sobald er wieder da ist.“

„Zeckencheck“, murmelte Lisa und war fast so rot wie Terry vor ein paar Minuten.

„Ach so … Und wer sucht Kevin und Joe unter der Dusche nach Zecken ab?“, fragte Keri. In dem Moment war sie endlich fertig. Sie zog an der Leine, und als diese hielt, sprang Keri von ihrer Kühlbox herunter.

Terry zuckte mit den Achseln, aber ihre Grübchen – die nicht ganz so ausgeprägt waren wie die ihres Bruders – kamen kurz zum Vorschein. „Die müssen die Angelegenheit wohl sozusagen in die eigenen Hände nehmen.“

Plötzlich war Keri nicht mehr warm, sondern ziemlich heiß. Damals hatten sie es noch nicht getan, und Joe hatte ihr gezeigt, wie er die Angelegenheit sozusagen in seine eigenen Hände nahm. Und das war ein Anblick, den sie nie vergessen hatte.

Jetzt verwandelte sich das Bild. Vor ihrem geistigen Auge sah sie einen älteren Joe – nackt, eingeseift und …

Heiliger Bimbam, es war schon wieder so heiß! Wenn sie geahnt hätte, dass sie von Joes Anwesenheit Hitzewallungen kriegen würde, hätte sie vielleicht doch lieber gleich gekündigt. Oder sie hätte sich Kräutertee eingepackt.

„Denk nicht mal dran, Keri Daniels.“

Keri überlegte kurz. Sollte sie Terry gegenüber ganz erwachsen behaupten, sie wäre nur beruflich an Joe interessiert? Oder sollte sie sich auf das Niveau begeben, auf dem Terry sich ohne Zweifel die nächsten zwei Wochen bewegen würde?

„Oh, ich denke sehr wohl daran, Theresa Kowalski.“

„Sie heißt Porter!“, rief eine Stimme aus einem der Wohnwagen, und alle drei Frauen fuhren zusammen. Die vier Jungs waren bei ihrem Mix aus Fußball und Basketball nicht zu übersehen, aber Keri hatte Steph total vergessen. Ups. Hoffentlich war sie ein bisschen diskreter als ihr kleiner Cousin.

Wütend starrte Terry sie an. Ohne Worte wollte sie Keri offensichtlich warnen, Joe bloß nicht zu nahe zu kommen. Das würde sich schwierig gestalten, da die beiden jede Nacht in derselben Hütte schlafen würden. Und ob Joe einen Pyjama trug, wusste Keri immer noch nicht.

„Ich schmeiß mal ein paar Würstchen auf den Grill“, sagte Lisa in einem verzweifelten Versuch, die Wogen zu glätten.

„Das kannst du dir sparen, bis die Jungs wieder da sind“, entgegnete Terry. „Außerdem wird Mike sowieso irgendeine Ausrede finden, warum er dich im Badehaus braucht.“

„Voll eklig!“, schrie Stephanie. „Nur zur Info: Ich setze jetzt Kopfhörer auf.“

Nach einer Weile grinste Lisa Terry an und meinte: „Komm mir ja nicht so. Evan und du habt mehr Zeit im Badehaus verbracht als alle anderen.“

Keri bemerkte, dass Terrys Lächeln auf einmal verkrampft wirkte und dass Lisa sich am liebsten geohrfeigt hätte. Bei einem hastigen Frühstück an diesem Morgen hatte ihre Mutter Keri erzählt, was sie wusste. Allerdings war das nicht viel gewesen.

Evan Porter hatte seine Frau vor drei Monaten verlassen und war in eine winzige Wohnung über dem Waschsalon gezogen. Niemand schien die Gründe dafür zu kennen, aber es gab keine Hinweise auf eine andere Frau. Oder einen anderen Mann.

„Haben die Wohnmobile denn keine Badezimmer?“, fragte Keri, um das unangenehme Schweigen zu brechen.

Beide Frauen lachten, und Lisa antwortete: „Du kannst nicht mit einem Kowalski Sex unter der Wohnmobildusche haben, ohne den Wagen von seinen Stützen zu kippen. Aber ich übernehme für drei Tage deine Poolschicht, wenn du das schaffst.“

„Und ich verspreche dir eins: Wenn du mit meinem Bruder im Wohnmobil oder irgendwo anders Sex hast, klau ich dir deine kompletten Mückensprayvorräte“, sagte Terry. So wie Lisa der Atem stockte, schien die Drohung ernst gemeint zu sein. „Lach nur, Keri. Aber sobald die Sonne untergeht, würdest du dir lieber die Beine mit Klebeband zusammenkleben, als auf das Mückenspray zu verzichten. Glaub mir.“

„Wahrscheinlich würden die Männer nur Minuten später versuchen, sich durch das Klebeband durchzubeißen. Immerhin wäre sie dann die einzige Frau im Umkreis von zehn Meilen, die nicht nach Autan stinkt“, lachte Lisa.

Keri musste diesen interessanten Gedanken zum Glück nicht kommentieren: Aus der Ferne waren bereits die Motoren der Geländemaschinen zu hören. Auf dem Campingplatz galt ein striktes Tempolimit. Sobald die drei Kowalski-Brüder jedoch in Sichtweite waren, konnte Keri erkennen, dass sie woanders ordentlich Dampf abgelassen hatten. Sowohl die Männer als auch ihre Maschinen waren mit Schmutz und Matsch bedeckt. Das Einzige, das noch blitzte, war ihr breites Grinsen.

Joe erwartete nicht allen Ernstes, dass sie bei so was mitmachte, oder?

Als die Männer von ihren Quads kletterten, kamen die Jungs vom Spielplatz angelaufen. Stephanie, Leo und Mary stiegen aus den Campingwagen.

„Endlich krieg ich was zu essen!“, rief Leo.

Obwohl sie Leo Kowalski lange nicht gesehen hatte, verehrte Keri ihn immer noch grenzenlos. Er war ein recht kleiner, drahtiger Mann. Vermutlich würde er jedoch eines der Quads stemmen können, wenn es drauf ankam. Solange sie denken konnte, trug er das graue Haar militärisch kurz geschnitten. Seine Augen waren noch genauso strahlend blau wie früher. Die Grübchen hatte allerdings Mary den Kindern vererbt, die inzwischen zur Bilderbuchoma geworden war.

Vor Jahren hatte Keri vor Leo Kowalski eine Heidenangst gehabt. Ihr eigener Vater war stets eher ein ruhiger Typ gewesen – abgesehen von der Sache mit dem Fünfereisen. Leo dagegen sprühte noch heute vor Energie, und seine Stimme klang, als hätte er ein Megafon verschluckt. Keri konnte den Mann jedoch nie richtig einschätzen. Früher hatte er seinen Kindern oft eine Tracht Prügel hinter dem Holzschuppen angedroht. Natürlich hatten weder Keri noch die Kowalski-Kinder den Schuppen je zu Gesicht bekommen: Leo hatte ihnen niemals auch nur ein Haar gekrümmt. Doch das hatte seine Drohungen nicht weniger wirkungsvoll gemacht. Schon damals hatte Keri schnell gemerkt, dass die Kinder sich eher vor Mary und ihrem Holzlöffel in Acht nehmen mussten.

Am meisten mochte Keri an Leo und Mary, dass sie sie behandelten, als ob sie gerade mal achtzehn Stunden und nicht achtzehn Jahre weg gewesen wäre. Keine melodramatischen Szenen, kein Groll, keine Ermahnungen, keine übertriebene Freundlichkeit. Sie waren einfach … normal.

Anders als die anderen. Joe, Mike und Kevin schrien gegeneinander an, um der Familie von ihrem Ausflug zu erzählen. Sie warfen mit Worten wie Quergefälle, hochkantig und Überhang um sich und hätten genauso gut Chinesisch reden können, was Keri betraf. Unterm Strich hatten sie sich jedenfalls fast die Hälse gebrochen, waren aber sicher nach Hause zurückgekommen.

Jetzt waren sie schmutzig, hungrig und – wenn sie danach ging, wie Joe sie anstarrte – so „angespannt“, wie die Frauen es vorhergesagt hatten.

Natürlich winkte Mike Lisa zu sich heran. „Warte mit dem Essen noch ein bisschen, ich muss erst diesen Matsch hier abduschen. Du musst mich auch nach Zecken absuchen.“

„Verdammte Glückspilze“, brummte Kevin, bevor er sich saubere Klamotten holen ging.

Keri war sich nicht sicher, warum er die Mehrzahl Glückspilze benutzt hatte. Dann sah sie Joe auf sich zukommen. Er erinnerte stark an einen Waschbären: Die einzigen Stellen, die außer seinen Haaren nicht von Schlamm bedeckt waren, waren die Ringe um seine Augen, da wo seine Schutzbrille gesessen hatte.

„Denk nicht mal dran, mich anzufassen“, warnte sie ihn.

„Ich glaube, ich habe eine Zecke auf dem Rücken. Du solltest mit ins Badehaus kommen und mal nachschauen.“

Sie merkte ihm an, dass er sich nur wegen der Kinder zurückhielt. Ansonsten hätte er wahrscheinlich behauptet, die Zecke wäre in seiner Hose. „Netter Versuch, Kowalski. Bei dem ganzen Dreck könnte die Zecke den Weg zu deiner Haut auch mit einem GPS-Gerät nicht finden.“

Er seufzte. „Dann muss ich das wohl allein erledigen.“

Sofort spürte sie wieder die Hitzewallungen. Keri schaute zu, wie er auf seine Maschine stieg und in Richtung Hütte davonbrauste. Währenddessen versuchte sie, das Bild von Joe unter der Dusche aus ihrem Kopf zu verbannen.

Das war ihr jedoch auch ein paar Minuten später nicht gelungen, als er mit einer Sporttasche auf seiner Maschine an ihr vorbeifuhr. Sie sah ihm den ganzen Weg zum Badehaus hinterher und dachte ernsthaft darüber nach, ob sie hinterhergehen sollte. Schließlich würde sie ganz sicher kein Interview bekommen, wenn Joseph Kowalski an einem Zeckenbiss starb.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass alle anderen sie dabei beobachteten, wie sie Joe hinterherblickte. Und sie begriff, dass Joe nicht zum Badehaus fuhr, weil die Dusche in der Hütte zu klein war – sondern weil es keine gab. Und auch keine Toilette. Was sollte sie machen, wenn sie mitten in der Nacht mal musste?

Blitz. „Sag Cheese!“

Keri beobachtete, wie Terry dem neunjährigen Brian einen Dollar zusteckte, und schüttelte den Kopf. Wetten, dass er ihr geschmolzene Marshmallows in die Haare schmierte, wenn sie nicht aufpasste?

Es war Zeit für geröstete Marshmallows, und sie sah zu, wie Leo und sämtliche Frauen ihre Stühle weit vom Lagerfeuer entfernt aufstellten. Anscheinend hatten die drei Kowalski-Brüder Lisa versprochen, dass sie heute auf die Kinder aufpassen würden. Obwohl Keri Brüste hatte, war sie davon ausgenommen, denn Joe hatte sie für sich eingespannt.

Aber sie war vorbereitet. Vor Jahren hatte sie eine Story über ein Sommercamp für Kinder benachteiligter Familien geschrieben. Seitdem wusste sie, wie man das perfekte Marshmallow-Keks-Sandwich herstellte.

Am allerwichtigsten waren perfektes Timing und sorgfältige Vorbereitung. Zuerst legte man einen Butterkeks auf den Campingtisch, darauf kam ein etwas kleineres Stück Schokolade. Daneben wurde ein zweiter Keks platziert. Zuerst wurde dann der Marshmallow goldbraun geröstet. Danach legte man den Marshmallow auf die Schokolade und achtete darauf, dass sich die Kante des Schaumballs auf gleicher Höhe mit einer Kante des Kekses befand. Schließlich wurde der zweite Keks draufgesetzt, man drückte ihn vorsichtig herunter und zog gleichzeitig seinen Stock aus dem Marshmallow heraus. Dadurch wurde der weiche Schaum gleichmäßig über die Schokolade verteilt. Zum Schluss musste man noch bis zehn zählen, bevor man essen konnte. Das war das perfekte Marshmallow-Keks-Sandwich.

„Hat jeder einen Stock?“, fragte Kevin.

Die Kinder brüllten und wedelten mit ihren Stöcken. Keri zuckte zurück, als Danny ihr mit seinem Stock fast eins auf die Nase gab.

Kevin riss die Tüte mit den Marshmallows auf, und Bobby quietschte vor Freude. Bevor Keri einwenden konnte, dass es für die Marshmallows noch zu früh war, hatten alle Kinder ihre Stöcke ausgestreckt. Kevin bestückte die wie Degen gezückten Stöcke mit Schaumbällen.

Mit Grauen beobachtete sie, wie die Kinder sich gegenseitig um das Feuer herum anrempelten. Joe, Mike und Kevin gingen ständig um sie herum, korrigierten die Haltung der Stäbe und sagten Bescheid, wenn ein Marshmallow gedreht werden musste. Bobbys Schaumball ging plötzlich in Flammen auf. Reflexartig hielt Mike ihn davon ab, den Stock wie wild zu schütteln und so den brennenden Marshmallow durch die Gegend zu schleudern.

Auf einmal waren alle Stöcke auf sie gerichtet. Auf jedem steckten Marshmallows in den unterschiedlichsten Farben. Die hellbraunen bis kohlschwarzen Klumpen tropften von den Stockenden.

„Du bist ja noch gar nicht fertig!“, kreischte Stephanie in dem Moment, als Bobbys verkohlter Klumpen vom Stock rutschte und auf Keris Turnschuh tropfte.

„Ich brauch einen Keks!“

„Wo ist die Schokolade?“

„Onkel Joe, sie weiß ja gar nicht, wie man ein Marshmallow-Keks-Sandwich macht!“

Keri verteilte hastig Kekse und Schokolade, während Bobbys verbrannter Schaumzucker ihre Schuhbänder verklebte. Als sich Brian sein Sandwich in den Mund schob, röstete Joey bereits seinen zweiten Marshmallow.

Als Lisa dem Zuckerrausch eine halbe Stunde später endlich ein Ende bereitete, war Keri erschöpft. Alles klebte, und ihr war schlecht von den vielen Sandwiches, die die Kinder extra für sie gemacht hatten. Einmal hatte sie versucht, Stephanies Sandwich aus Versehen fallen zu lassen und mit dem Fuß unter den Tisch zu schieben. Aber das Mädchen hatte es gemerkt und ihr sofort ein neues zubereitet – Steph hatte nicht gewollt, dass Keri traurig war.

Und Brian, der kleine Tollpatsch, hatte sich seinen Dollar redlich verdient. Er war für den Marshmallow in ihrem Haar und in ihrem linken Ohr verantwortlich. Genauso wie für den Schokoladenfleck auf ihrer Hose und für die Kekskrümel, die bei seiner Umarmung den Weg unter ihr T-Shirt gefunden hatten.

Sobald der letzte Bissen verschlungen war, rannten die Kinder auf den Spielplatz und ließen die Erwachsenen mit den Überresten der Schlacht zurück. Keri wollte sich gerade in einen Stuhl fallen lassen, als Joe sie am Arm festhielt.

„Du hast Marshmallow am Hintern“, sagte er. Seine Grübchen verrieten, dass er sie am liebsten schallend ausgelacht hätte.

„Das war das blödeste, chaotischste Marshmallowrösten, das ich je erlebt habe“, fauchte sie und widerstand mit Mühe dem Drang, ihn gegen das Schienbein zu treten.

„Du hast Schokolade am Mund.“

Bevor sie reagieren konnte, strich er mit dem Finger über ihren Mundwinkel und dann über die Unterlippe. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie konnte ihre Augen nicht von Joe losreißen, als er nun die Schokolade von seinem Finger lutschte.

Der Anblick ließ sie erzittern, und sie hatte Schwierigkeiten, zu schlucken. Joe ließ sich viel Zeit dabei, auch das letzte bisschen Schokolade abzulecken. Keri wurde mit einem Mal unglaublich heiß.

Gerade noch rechtzeitig konnte sie ein Stöhnen unterdrücken und vergrub ihre Nägel in ihrer Handfläche. Was war nur mit ihr los? Ihr Körper reagierte, als ob sie seit … Ja, wie lange hatte sie eigentlich keinen Sex mehr gehabt?

Monate? Sogar Jahre? Nein so lange kann es nicht her sein, dachte sie. Das wäre ja erbärmlich. Der Letzte war Scott gewesen – ein Kollege, mit dem sie eine Affäre gehabt hatte, bis er nach New York gezogen war. Das war vor … einunddreißig Monaten gewesen.

Sie hatte seit einunddreißig Monaten keinen Sex gehabt.

„Muss das in aller Öffentlichkeit sein?“, fragte Kevin und schubste Joe aus dem Weg. Er hob ein Schokoriegelpapier auf und ging wieder.

Keri drehte ihrem Peiniger den Rücken zu. Schnell machte sie sich nützlich und sammelte die verstreuten Butterkekse auf, die auf dem Tisch lagen. Zum Glück hatte Kevin sie unterbrochen. Wer wusste schon, wozu ihr verräterischer Körper sie sonst getrieben hätte …

Sie durfte nicht mit Joe alleine sein. Aber das war ein Problem, da sie sich ja die Hütte teilten und nur wenige Meter voneinander entfernt schliefen. Tagsüber konnte sie sich natürlich immer bei der Familie aufhalten. Abends musste sie dann einfach so tun, als würde sie schon schlafen, wenn Joe in die Hütte kam.

Keri musste es einsehen: Sie konnte Joes Charme nicht widerstehen. Oh Gott, sie steckte in Schwierigkeiten! Doch diesmal würde sie Ärger mit Tina bekommen und nicht mit ihrem Dad. Und Tina war weitaus furchterregender – auch ohne Fünfereisen.

Sehr viele quälend lange Stunden später war Joe endlich mit Keri allein. Leider trug sie einen Pyjama, der bis unter die Augenbrauen zugeknöpft war. Sie wälzte sich wie die Prinzessin auf der Erbse in ihrem unbequemen Bett herum. Alle paar Minuten stieß sie einen dieser kleinen Seufzer aus, mit denen Frauen mitteilten, dass sie genervt waren. Wenn er heute Schlaf finden wollte, musste er sie fragen, was los war.

Aber er hatte gar nicht damit gerechnet, gut zu schlafen. Dass Keri Daniels nur wenige Meter von ihm entfernt schlafen sollte, konnte er nicht gerade als eine seiner besten Ideen bezeichnen. Und dass sie das für dreizehn Nächte tun sollte, war ein geradezu idiotischer Einfall gewesen.

Keri seufzte wieder. Die Seufzer wurden lauter, und er wusste genau, warum.

„Je mehr du darüber nachdenkst, desto nötiger musst du.“

Sie hob den Kopf an und boxte ihr Kissen zu einem Ball zurecht. „Dabei habe ich seit Stunden nichts getrunken.“

„Das hab ich mitgekriegt. Aber jetzt denkst du drüber nach – und das nicht gerade leise.“

„Na schön“, gab sie zurück. Dann hörte er, wie sie die Bettdecke zurückwarf und in Richtung Tür stolperte.

„Die Taschenlampe steht rechts neben der Tür auf dem Boden.“

Geräuschvoll hantierte sie im Dunkeln herum, und schließlich ging die Taschenlampe an. Sie schaffte es zweimal, ihm direkt in die Augen zu leuchten, während sie ihre Schuhe anzog. Dann verließ sie die Hütte.

Nach etwa zwanzig Sekunden kam sie jedoch wieder hereingestürzt.

„Oh Gott!“, rief sie und schlug die Tür hinter sich zu. „Da draußen sind Augen.“

Von Schlaf konnte er heute Nacht höchstens träumen. „Pelzige Waldtierchen, Baby.“

„Ich glaub, das war ein Waschbär.“ Sie schob den Riegel vor.

Joe konnte es sich kaum verkneifen, sie auszulachen. „Sieh’s mal positiv: Wenn die Waschbären bei unserer Hütte rumhängen, besuchen die Stinktiere und Bären vermutlich jemand anderen.“

„Wie kannst du das nur witzig finden?“

„Ich muss halt nicht aufs Klo.“

Keri richtete die Taschenlampe auf ihn. „Ich kann nicht schlafen, bevor ich nicht auf dem Klo war, Kowalski. Und wenn ich nicht schlafe, schläfst du auch nicht.“

Das sah Joe ein und stand auf. Anders als Keri trug er keinen Pyjama, der bis unter die Augenbrauen zugeknöpft war. Er musste lachen, als der Lichtstrahl für einen kurzen Moment auf seine Boxershorts fiel und Keri die Lampe dann hastig wieder auf die Tür richtete. Er schlüpfte in Jogginghosen und Turnschuhe und zog nach kurzem Zögern auch ein T-Shirt über. Sein Oberkörper war zwar noch knackig genug, um beim weiblichen Geschlecht gut anzukommen. Doch die Frauen hier draußen waren eher von der summenden und stechenden Sorte.

„Lass uns gehen“, sagte er und war nicht überrascht, als sie ihm den Vortritt ließ. Die Taschenlampe behielt sie natürlich.

Der Campingplatz war ruhig, als sie zum Badehaus hinübergingen. Ein paar Feuer glühten noch. Die Kowalskis waren an einem Montag angereist: So konnten sie alles in Ruhe aufbauen und ein paarmal ungestört mit den Quads herumfahren, bevor es auf dem Platz voll wurde. Joe nahm Keri die Lampe ab und schaltete sie aus.

„Ich kann nichts sehen“, protestierte sie.

„Bleib einfach kurz stehen. Deine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit.“

„Wenn ich zu lange stehen bleibe, werd ich hier zum Mückenbuffet.“

Er lachte leise und lief weiter. „Früher bist du gerne mit mir die ganze Nacht draußen geblieben.“

„Ich hab auch auf Billardtischen zu Guns N’ Roses gestrippt“, entgegnete Keri. „Aber die Zeiten ändern sich. Und die Menschen auch.“

Joe hätte gerne bestritten, dass er sich verändert hatte, aber das hätte vermutlich nicht gestimmt. Als Junge war er draufgängerisch gewesen und hatte seine Träume verwirklicht, aber jetzt war er irgendwie müde geworden und immer noch auf der Suche nach … irgendetwas. Doch obwohl Keri sich mehr verändert hatte als er selbst, fühlte er sich wieder jung, seit sie da war.

„Zu Hause ist es nie so dunkel wie hier“, flüsterte Keri und erinnerte Joe so daran, wie weit weg ihr Zuhause war.

„In der Stadt ist es hell“, murmelte er. Er war froh, dass sie am Badehaus angekommen waren und er nicht weiter mit ihr über Los Angeles reden musste.

Nach ein paar Minuten kam Keri wieder heraus und lächelte verlegen. „Danke. Jetzt kann ich schlafen.“

„Oder wir gehen los und knutschen auf der Wippe“, sagte er, um sie zum Lachen zu bringen.

Es funktionierte. „Terry hat mich gewarnt: Sie klaut mir das Mückenspray und gibt es mir nicht eher wieder, bis ich mir die Beine mit Klebeband zusammengebunden habe, wenn ich was mit dir anfangen sollte.“

Als Keri nun über einen Stein stolperte, griff Joe instinktiv nach ihrer Hand, damit sie nicht fiel. Nachdem sie sich gefangen hatte, behielt er ihre Hand in seiner und erkundigte sich: „Wie seid ihr da denn drauf gekommen?“

Sie schaute ihn an, und ihr Lächeln blitzte in der Dunkelheit auf. „Oh, gleich, nachdem Lisa um drei Tage Poolschicht gewettet hat, dass du und ich es nicht schaffen, unter der Wohnmobildusche Sex zu haben, ohne den Wagen von seinen Stützen zu kippen.“

Joe blieb stehen, ohne sie loszulassen. „Warum zum Teufel habt ihr darüber gesprochen, dass wir Sex haben? Nicht, dass das was Schlechtes wäre. Aber … warum?“

„Eigentlich nur, um Terry zu ärgern.“ Sie sah ihn nicht an.

„Drei Tage, ja?“

Als sie sich von ihm lösen wollte, hielt er sie weiterhin fest. Schließlich pikste sie ihn in die Brust. „Vergiss es, Kowalski. Am Pool sitzen kann ich tatsächlich am besten.“

„Du warst noch nie mit meinen Neffen am Pool.“

Er war also nicht der Einzige auf dem Campingplatz, der im Geiste die Wörter Joe, Keri und Sex in einem Satz benutzte. Interessant.

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