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Ein neuer Tag in Virgin River

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Die Bücher zur beliebten Netflix-Serie

Vanessa Rutledge kann nicht glauben, dass ihr geliebter Ehemann Matt bei einem Auslandseinsatz gestorben ist. Nur der Gedanke an ihren kleinen Sohn hilft ihr, jeden neuen Tag zu überstehen. In diesen dunklen Stunden ist er ihr größtes Glück. Ein Glück, das sie nur mit einem teilen kann – Paul Haggerty, dem besten Kumpel von Matt. Seine Fürsorge lässt sie wieder Freude am Leben spüren, und schon bald empfindet sie mehr für Paul als nur Freundschaft. Bevor Vanessa es jedoch wagt, ihren Gefühlen nachzugeben und ihr Herz zu öffnen, führt ihr Weg sie noch einmal an das Grab ihres Mannes.

»Die Virgin-River-Romane sind so mitreißend, dass ich mich auf Anhieb mit den Charakteren verbunden gefühlt habe.«
SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber


  • Erscheinungstag: 27.10.2020
  • Aus der Serie: Virgin River
  • Bandnummer: 5
  • Seitenanzahl: 512
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745701371

Leseprobe

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

willkommen zurück in Virgin River!

Viele von Ihnen haben mir geschrieben und gefragt, ob Virgin River auf einem wirklichen Ort basiert. Wenn ja, dann würden Sie gern dort hinziehen! Es fällt mir schwer, aber ich muss Sie bitten, die Kartons lieber wieder auszupacken. Virgin River existiert ausschließlich in meiner Fantasie.

Aber ich verspreche Ihnen, dass Sie auch in den nächsten Bänden dieser Serie alte Freunde wiedertreffen und neue Freunde finden. Genau wie im richtigen Leben drehen sich die Geschichten um erfüllte Liebe, Lektionen, die zu lernen, und schwere Abschiede, die zu ertragen sind. In Ihren Briefen haben Sie mir erzählt, wie gut Ihnen die starken, attraktiven Männer in Virgin River gefallen, und Sie haben die Schönheit, die innere Stärke und Intelligenz der Frauen bewundert. Am häufigsten höre ich allerdings, wie toll Sie es finden, wie verbunden sich die Menschen an diesem Ort fühlen – und zwar nicht nur der romantischen Liebe verbunden, sondern auch der Brüderlichkeit, der Nachbarschaft und der immerwährenden Freundschaft.

Denn abgesehen von ihrem offensichtlichen Sex-Appeal ist es der solide emotionale Kern der Männer aus Virgin River, der so viele von Ihnen anspricht. Diese Romanfiguren verkörpern Werte, die für uns alle bewundernswert und ehrenhaft sind.

Deshalb kann Virgin River im Herzen eines jeden entstehen, auch wenn es ein erfundener Ort ist. Es ist ein Ort, an dem ein Glas halb voll ist, wo die Menschen Kraft gewinnen, indem sie sich ihren Herausforderungen stellen und ihre Lasten tragen, und wo man das Richtige tut, einfach weil es das Richtige ist.

Möchten Sie in Virgin River leben? Dann schließen Sie einfach die Augen, und öffnen Sie Ihr Herz.

Robyn Carr

PROLOG

Nachdem er sechs Monate in Virgin River verbracht hatte, war Paul Haggerty endlich wieder in Grants Pass. Mitgebracht hatte er einen Schmerz in seiner Brust, für den er einfach keine Linderung fand. Diese letzten sechs Monate waren für ihn die Hölle gewesen.

Im letzten Herbst war Paul nach Virgin River gefahren, um Jack Sheridan zu helfen, sein neues Haus fertigzustellen. Sehr zu seiner Überraschung hatte er entdeckt, dass Vanessa Rutledge dort bei ihrem Vater und ihrem jüngeren Bruder lebte, während ihr Mann Matt im Irak diente. Sie war schwanger und schöner als je zuvor. Vanessa wiederzusehen hatte in Paul die alten Gefühle geweckt, die er für sie empfand, seitdem er sie vor so vielen Jahren das erste Mal gesehen hatte. Leider hatte sie seinen besten Freund Matt geheiratet.

Nicht lange vor der Geburt ihres Babys hatten sie alle an einer Videokonferenz mit Matt teilgenommen. Der Anruf war vor allem für Matt und Vanni organisiert worden, denn es war das erste Mal seit sechs Monaten, dass sie sich sehen konnten. Aber auch alle anderen erhielten die Gelegenheit, ihm kurz Hallo zu sagen, und als die Reihe an Paul war, hatte Matt zu ihm gesagt: »Sollte hier etwas schieflaufen, kümmere dich bitte um Vanni.«

Und schiefer hätte es nicht laufen können. In der ersten Dezemberwoche war Matt bei einer Explosion in Bagdad ums Leben gekommen. Es war eine schreckliche Zeit gewesen, und Vanni hatte Paul gebeten, die letzten zwei Monate bis zur Geburt des Babys bei ihr zu bleiben. Natürlich hatte er zugestimmt und sich während der ganzen Zeit zusammengerissen, um Vanni eine Stütze zu sein. Doch die mentale Belastung, seine geheime Liebe für Vanni und die Trauer um seinen besten Freund fraßen ihn bei lebendigem Leibe auf.

Paul hatte geglaubt, dass durch die Rückkehr nach Grants Pass sein Schmerz abklingen würde oder er sich doch zumindest davon ablenken könnte. Stattdessen baute sich der Druck jedoch nur noch weiter auf. Ein Männerabend mit ein paar Leuten aus seinem Bautrupp, bei dem er sich heftig betrank, hatte seinem gebrochenen Herzen nur Kopfschmerzen beigemischt. Er fühlte sich wie ein wandelnder Toter, der sich durch die Tage schleppt und in schlaflosen Nächten im Bett hin und her wälzt.

Ohne lange darüber nachzudenken, rief er eine Frau an, mit der er schon ein paarmal ausgegangen war. Terri. Er suchte Ablenkung bei einer Person, die mit seinem Drama nichts zu tun hatte. Terri erschien ihm deshalb geeignet, weil sie eine lockere Freundschaft verband; eine Freundschaft ohne Klammern, ohne Erwartungen. Hinzu kam, dass sie ihn immer zum Lachen gebracht hatte. Sie war einfach eine nette junge Frau von neunundzwanzig Jahren. Paul selber war sechsunddreißig. Terri war die einzige Frau, mit der er in den letzten Jahren überhaupt ausgegangen war, und er hatte schon wieder seit sechs Monaten nicht mehr mit ihr gesprochen. Das allein hätte ihm zu denken geben sollen, aber er hatte nicht darauf geachtet.

»Hey, Terri. Lange nicht gesehen«, begann er das Gespräch und lud sie zum Essen ein. Zuvor fragte er allerdings nach, ob sie in einer Beziehung steckte, denn er wollte ihr Leben nicht verkomplizieren.

Sie lachte darüber. »Schön wär’s. Nein, ich habe keinen Freund, Paul. Tatsächlich bin ich während der letzten paar Monate kaum einmal ausgegangen. Lass uns irgendwo hingehen, wo es ruhig und ungezwungen ist. Dann können wir uns einfach erzählen, was es Neues gibt.« Es war genau die Antwort, auf die er gehofft hatte, und dafür war er ihr dankbar.

Paul klingelte unten an der Haustür. Als sie ihm die Wohnungstür öffnete, fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, wie hübsch sie war. Von kleiner Statur, mit schulterlangem dunkelbraunem Haar und großen Augen strahlte sie ihn mit diesem vielversprechenden, verführerischen Lächeln an, das vor einem Jahr seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie lachte auf ihre ungestüme Art und schlang ihm die Arme um den Hals. »Gott, es ist so schön, dich zu sehen! Ich bin gespannt, was du zu deiner Entschuldigung vorzubringen hast, monatelang einfach so zu verschwinden!«

»Hey, erinnerst du dich noch an Rosa’s? Dieses winzige mexikanische Restaurant? Wie wär’s, wenn wir dorthin gehen?«

»Das wäre super.«

Auf der Fahrt zum Restaurant presste Paul die Kiefer zusammen und schaute stur auf die Straße. Er rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Vielleicht war das doch keine so gute Idee, dachte er. Als sie durch die Tür traten, wies Terri auf eine dunkle Nische in der Ecke. »Da hinten«, sagte sie, und nachdem sie sich gesetzt hatten, stellte sie fest: »Du warst noch nie ein wirklich gesprächiger Mensch, Paul, aber offensichtlich ist mit dir etwas nicht in Ordnung.«

»Ich bin gerade erst aus Kalifornien zurückgekommen und habe mich noch nicht wieder richtig eingelebt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist mehr als das. Du bist verwirrt und nervös, und ich wollte es zwar nicht erwähnen, doch du hast dunkle Ringe unter den Augen, als würdest du nicht genug schlafen. Wir haben uns seit Langem weder gesehen noch voneinander gehört, deshalb weiß ich, dass es mit mir nichts zu tun haben kann. Du verhältst dich wie jemand, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Erzähl mir, was ist los? Ich bin eine gute Zuhörerin.«

Mehr war nicht nötig. Paul bestellte für sich ein Bier und ein Glas Wein für Terri. Und schon sprudelte es aus ihm heraus. Sein bester Freund – tot. Die Frau seines besten Freundes – schwanger. Er selbst bleibt länger als geplant und tut alles, um ihr beizustehen.

»Lieber Himmel«, sagte sie kopfschüttelnd. »Du hättest mich anrufen können, weißt du. Ich meine, wenn man etwas Furchtbares erlebt und niemanden hat, mit dem man darüber reden kann, wird doch alles nur noch viel schlimmer.«

»Ich komme mir vor wie ein richtiger Idiot, weil ich das alles jetzt bei dir ablade.«

»Ach, hör schon auf. Ich bin eine Frau, und Frauen reden über ihre Tragödien und ihren Kummer. Und wenn du es nicht rauslässt, wird es dich innerlich zerfressen.«

»Genauso fühlt es sich an«, gestand Paul. »Als hätte ich Säure geschluckt. Matt und ich sind Freunde seit der Junior High. Ich habe zwei Brüder, aber Matt war ein Einzelkind, deshalb hat er mehr Zeit bei mir zu Hause verbracht als bei sich. Dann haben wir zusammen im Marine Corps gedient. Er ist dabeigeblieben, während ich in die Reserve ging. Ich glaube, meine Eltern sind über seinen Tod genauso betroffen wie ich. Aber seine Frau … ach Terri, so viel Leid habe ich noch nie gesehen. Da stand sie. Kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. Sie hat sich die Augen ausgeheult, bis sie keine Kraft und keine Tränen mehr hatte. Es gab nichts, das ich tun konnte, außer sie in die Arme zu nehmen. Aber nachts war es noch schlimmer, wenn im ganzen Haus nichts anderes mehr zu hören war als Vanni, die in ihrem Bett schluchzte.«

Terri griff nach seiner Hand. »Paul …«

Er hielt ihre Hand, während er weiter erzählte. »Als dann ihre Wehen einsetzten, wollte sie, dass ich bei der Geburt dabei bin. Weil Matt nicht dabei sein konnte, nehme ich an. Von allem, was ich je in meinem Leben getan habe, war es das Schlimmste und Schönste zugleich, zu sehen, wie dieses Baby geboren wurde. Als ich Matts Kind dann in den Armen hielt, war ich richtig stolz.« Er wandte den Blick ab und blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. »Auf seinem Grabstein steht jetzt: Matt Rutledge, geliebter Mann, Vater, Bruder, Sohn und Freund. Bruder, damit bin ich gemeint … also wir, seine Waffenbrüder. Ich kann es nicht fassen, dass er nicht mehr bei uns ist. Aber so ist es, und wie es aussieht, komme ich einfach nicht darüber hinweg. Und wenn es mir schon so geht, dann wird es Vanni ganz sicher vor Schmerz zerreißen.«

In diesem Augenblick wurde das Essen serviert, aber sie stocherten beide etwas lustlos darin herum. Paul bestellte sich noch ein Bier und erzählte ihr Geschichten aus der Zeit, in der er mit Matt zusammen aufgewachsen war. Sie hatten Football gespielt, waren viel zu schnell mit den Wagen ihrer Eltern herumgerast, hatten mit wenig Erfolg versucht, Mädchen abzuschleppen, und waren nach zwei Jahren am College ins Corps eingetreten. Matts Eltern waren damals komplett ausgerastet. »Auch meine Eltern waren nicht glücklich darüber, aber Matts Eltern sind total durchgedreht. Seine Mutter war davon überzeugt, dass ich es war, der Matt das eingeredet haben musste. In Wirklichkeit war er es, der es unbedingt wollte. Ich bin nur deshalb mit ihm zusammen ins Corps eingetreten, weil ich ihn nicht alleine gehen lassen wollte. Vielleicht wollte ich aber auch nur nicht ohne ihn zurückbleiben. Meine Mutter hat immer gesagt, dass wir an der Hüfte zusammengewachsen sind.«

Ihre Teller wurden abgeräumt, und beim Kaffee ließen sie sich Zeit, während Paul weiter seinen Erinnerungen nachhing. Bald schon hatten sie mehr als zwei Stunden in dieser Ecknische gesessen.

»Ich habe noch nie jemanden verloren, der mir so nahestand«, sagte Terri mit Tränen in den Augen. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer das sein muss. Du hättest mich anrufen sollen, Paul. Ohne Hilfe hättest du das nicht allein auf dich nehmen dürfen.«

Er drückte ihr die Hand. »Als ich dich angerufen habe, hatte ich nicht die geringste Absicht, das alles bei dir abzuladen. Jedenfalls nicht bewusst. Ich dachte, du könntest mich ein Weilchen davon ablenken. Aber es hilft, mit jemandem zu reden, der selbst nichts damit zu tun hat. In Virgin River sind sie alle völlig fix und fertig – Vanni, ihr Vater, ihr kleiner Bruder. Da konnte ich mich nicht eine Sekunde lang mal gehen lassen. Nicht einmal bei meiner eigenen Familie ist das möglich. Meine Mutter fängt an zu weinen, sobald der Name Matt fällt.«

»Du musst dich fühlen, als würdest du jeden Augenblick explodieren.«

»Weißt du, was ich mir wünsche? Ich weiß, es ist verrückt, aber ich wünschte, ich wäre dort bei ihm gewesen. Ich wünschte, es hätte mich an seiner Stelle getroffen.«

Terri schüttelte den Kopf. »Nein. Lieber Gott, nein.«

»Er hat eine Familie. Er müsste bei ihnen sein. Du hast keine Ahnung, was für ein Mann er war. Er hat Loyalität neu definiert. Auf Matt konnte ich immer zählen.«

»Und er hat auf dich gezählt. Er hat dich gebeten, seiner Frau beizustehen …«

»Darum hätte er mich nicht bitten müssen.«

»Paul, du hast für Matt getan, was er für dich getan hätte.«

Ein paar Sekunden lang wurde Paul nachdenklich, als er bemerkte, dass diese Frau, mit der er ein paarmal ausgegangen war, mit der er zweimal im gegenseitigen Einverständnis geschlafen hatte, ihm in diesem Maß Trost und Verständnis entgegenbrachte. »Ich bin dir etwas schuldig, Terri. Mir war nicht klar, wie sehr ich über all das einmal reden musste.«

Sie lächelte und erwiderte kopfschüttelnd: »Männer. Euer Stoizismus führt nur zu Magengeschwüren und verursacht in der Regel Migräne.«

Er grinste sie an und fühlte sich fast schon wieder menschlich. »Eine Migräne hatte ich noch nie, doch ich glaube, meine Kopfschmerzen lassen ein wenig nach. Zum ersten Mal seit ziemlich langer Zeit.«

»Schau dich mal um«, bat sie ihn. »Hier ist nur noch ein Pärchen, und das isst gerade. Lass uns von hier verschwinden, bevor sie anfangen, die Stühle umzudrehen und den Boden zu wischen.«

»Ja«, stimmte er zu. »Ich habe dir schon genug zugemutet. Und danke. Dafür, dass du zugehört hast.«

Als er sie die Treppe zu ihrer Wohnung im zweiten Stock hinaufbegleitete, drehte sie sich um und fragte: »Willst du mit reinkommen?«

Sofort schüttelte er den Kopf. Terri hatte heute Abend viel für ihn getan, allein dadurch, dass sie ihm die Möglichkeit geboten hatte, sich einmal auszusprechen. Er hatte nicht vor, das auszunutzen. »Ich glaube nicht. Aber danke.«

Daraufhin lächelte sie nur, griff nach seiner Hand und zog ihn in die Wohnung. »Das sollte ich lieber lassen«, wiederholte er. Seine Stimme klang aber schon weicher. Und kaum war die Tür ins Schloss gefallen, hatte er die Hände auch schon um ihre Taille gelegt, während er mit dem Mund ihren Mund suchte. Und genau wie beim letzten Mal, als er mit ihr zusammen war, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu erreichen, um die Arme um seinen Nacken zu legen und sich an ihn zu schmiegen.

»Nein«, flüsterte er an ihren Lippen. »Ich bin völlig durcheinander. Sag mir Nein.«

Sie aber presste sich an ihn und schob seine Lippen mit ihrer Zunge auseinander. »Das würde ich nur sehr ungern machen.«

Und Paul war hin und weg. Sein Verstand verabschiedete sich, sein Urteilsvermögen setzte aus, jegliche Willenskraft war verflogen. Er bestand nur noch aus primärem Verlangen, Schmerz und Dankbarkeit. So unbelastet hatte er sich seit Monaten nicht mehr gefühlt, und er war geschwächt, weil er die Last der Trauer so lange getragen hatte. Bevor auch nur eine ganze Minute vergangen war, hatte er Terri bereits auf der Couch liegen. Er küsste sie, streichelte sie und hörte sie leise flüstern: »Ja, ja, ja.«

Bevor er seine Hand unter ihr Stricktop schob, kam er für einen Augenblick wieder zu sich. »Terri, das ist keine gute Idee … Deswegen hatte ich dich nicht angerufen … Das hatte ich nicht geplant …«

»Ich auch nicht«, hauchte sie und schloss die Augen. »Gott, ich habe dich vermisst.«

Pauls Verstand verabschiedete sich wieder. Er bestand nur noch aus körperlichem Empfinden. Er war hart, sie war weich. Er war verzweifelt, sie heiß und bereit, und sie schien ebenso bedürftig zu sein, wie er sich fühlte. Er rieb sich an ihr, hielt ihre nackte Brust in der Hand und glitt mit seiner Zunge über ihren Hals und tiefer. Er merkte, wie sich ihre Hände an seiner Gürtelschnalle zu schaffen machten, dann an seinem Reißverschluss. Gleichzeitig zerrten seine Hände an ihrer Kleidung, während Terri sich wand und stöhnte. Als er mit den Lippen ihre Spitze umschloss, fühlte er sich von ihrer Hand umschlossen und wäre beinahe sofort gekommen. Er griff in seine Tasche, zog ein Kondom aus der Brieftasche und fragte sie in einem heiseren, drängenden Flüstern: »Du verhütest doch?«

»Die Pille, du erinnerst dich?«, antwortete sie atemlos. »Oh Gott, oh Gott, oh Gott.«

Paul fühlte, wie sein Puls sich ein wenig verlangsamte. Der Gentleman in ihm musste sich vergewissern, dass sie nicht zu kurz kam, also nahm er sich einen Augenblick Zeit, streichelte mit den Fingern ihre intimste Stelle, während seine Lippen heiß über ihre Brust strichen. Bald schon verwandelten sich ihre Seufzer in leise, heisere Schreie. Langsam drang er in sie ein und genoss es, wie sie die Hüften gegen seine drängte. Ihre Leidenschaft raubte ihm den Atem, und endlich konnte er entspannen und die Monate des Elends mit einem letzten Stoß hinter sich lassen.

Das Erste, was er fühlte, als er keuchend versuchte, wieder zu Atem zu kommen, war eine überwältigende Erleichterung. Eine elementare, grundlegende körperliche Entlastung, so wirksam wie ein Betäubungsmittel. Als Nächstes empfand er Bedauern. Das hätte er nicht tun sollen. Auch wenn sie eine Übereinkunft getroffen hatten, konnte er spüren, dass ihr etwas an ihm lag. Warum sonst sollte sie ihm mit so viel Einfühlungsvermögen zuhören, ihn in die Wohnung ziehen und sich ihm so hingeben.

Aber er liebte eine andere.

Haggerty, du bist ein hirnloser Volltrottel! schimpfte er mit sich selbst.

Dennoch schob er ihr zärtlich eine Haarsträhne hinters Ohr, während sie langsam wieder auf der Erde landete und die Augen aufschlug. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.

Sie nickte und lächelte. »Gott, ich habe dich so sehr vermisst.«

Zärtlich küsste er ihre Lippen. »Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Ich bin viel zu sehr aus dem Lot geraten. Aber ich danke dir.«

Sie legte ihm eine Hand an die Wange. »Es war mir ein Vergnügen«, sagte sie leise und lächelte.

Er stützte sich ab, um sie nicht zu erdrücken, und brachte ein Lächeln zustande, auch wenn er sich dumm und schuldig fühlte. Nachdem eine angemessene Zeit verstrichen war, entschuldigte er sich: »Es tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben. Ich sollte lieber aufbrechen.«

»Ich weiß. Aber vielleicht wird es diesmal keine sechs Monate dauern, bis du mich wieder einmal anrufst.«

»Das wird nicht geschehen.« Er nahm sich vor, sie noch einmal anzurufen, sie zu einem Drink einzuladen und zu versuchen, ihr zu erklären, dass sein Herz anderweitig gebunden war, auch wenn diese Liebe vermutlich unerfüllt bliebe. Doch solange er so empfand, war es nicht richtig, mit Terri intim zu sein. Sie war ein guter Mensch. Sie hatte etwas Besseres verdient.

1. KAPITEL

Vanessa Rutledge stand am Grab ihres Mannes. Den Mantel hatte sie vorn übereinandergeschlagen und hielt ihn fest, um sich vor der frischen Märzbrise zu schützen, die ihr rotes Haar verwirbelte. »Du wirst es für eine sehr seltsame Bitte halten, das ist mir schon klar … doch ich habe einfach keine Ahnung, wen ich sonst fragen soll. Matt, du weißt, dass ich dich liebe, dass ich dich immer lieben werde, dass ich dich jeden Tag in den Augen deines Sohnes wiedererkenne. Aber, mein Schatz, ich will noch einmal lieben, und dazu brauche ich deinen Segen. Wenn ich den habe, wäre es schön, wenn du den Mann, der meine Zukunft sein wird, mal ein bisschen anschieben könntest. Lass ihn wissen, dass es in Ordnung ist. Machst du das? Lass ihn wissen, dass er mir so viel mehr bedeutet als …«

»Vanessa!«

Ihr Vater stand auf der Terrasse hinter dem Haus und hielt das Baby von sich entfernt, als hätte es ihm gerade auf die Messeuniform gemacht. Es war höchste Zeit loszufahren. Der kleine Matt war vor sechs Wochen zur Welt gekommen, und an diesem Morgen hatte sie einen Termin bei Mel Sheridan, um sich zum ersten Mal nach der Geburt untersuchen zu lassen. Ihr Vater, General a. D. Walt Booth, diente ihr als Chauffeur und wollte sich in der Zwischenzeit um das Baby kümmern.

»Ich komme, Dad!«, rief sie zurück, wandte sich aber noch einmal zum Grab um. »Wir werden später noch mal ausführlicher darüber reden müssen«, teilte sie dem Grabstein mit. Dann blies sie einen langen Kuss in dessen Richtung und eilte den kleinen Hügel hinab an den Ställen vorbei und zum Haus hinauf.

Das kleine Bergdorf mit seinen sechshundert Einwohnern war der letzte Ort, den Vanessa je als Wohnort für sich in Betracht gezogen hätte. Als ihr Vater das Grundstück zwei Jahre vor seiner Pensionierung gefunden hatte, waren sie und Matt hergekommen, um es sich anzuschauen. Matt hatte sich sofort verliebt. »Wenn ich falle«, hatte er gesagt, »begrabe mich auf diesem kleinen Hügel unter dem Baum.«

»Hör auf damit!«, hatte sie lachend geantwortet und ihm auf den Arm geboxt. Damals wussten sie beide nicht, wie prophetisch seine Worte waren.

Jahre bevor sie Matt begegnet war, hatte es eine Zeit gegeben, in der Vanni sich vorgestellt hatte, nach ihrem Diplom in Kommunikationswissenschaften den anspruchsvollen Job einer Nachrichtenmoderatorin anzustreben. Dann aber beschloss sie aus einer Laune heraus, erst einmal ein Jahr als Flugbegleiterin zu arbeiten und die Welt zu sehen, bevor sie sich auf eine Laufbahn mit achtzig Wochenstunden einlassen würde. Aus einem Jahr waren fünf geworden, denn sie liebte diesen Job, das Reisen, die Leute. Als Matt in den Irak ging, hatte sie immer noch für die Fluggesellschaft gearbeitet. Es waren ihre Einsamkeit und die fortschreitende Schwangerschaft gewesen, die sie veranlasst hatten, zu packen und nach Virgin River zu gehen. Sie war davon ausgegangen, dass es nur vorübergehend sein würde. Sie wollte das Baby bekommen, darauf warten, dass ihr Mann aus dem Krieg zurückkehrte und ihn dann zu seinem nächsten Posten begleiten. Stattdessen hatte man Matt hierhergebracht, auf diesen kleinen Hügel mit dem Baum.

Inzwischen weinte sie nicht mehr so oft, auch wenn sie ihn vermisste. Sie vermisste sein Lachen, die langen mitternächtlichen Gespräche, und sie vermisste jemanden, der sie in den Armen hielt und mit ihr flüsterte.

Walt hatte die Windeltasche geschultert und war schon auf dem Weg zum Auto. »Vanessa, du verbringst viel zu viel Zeit damit, dich mit diesem Grab zu unterhalten. Wir hätten einen anderen Platz finden sollen. Außer Sichtweite.«

»Ach du lieber Himmel.« Interessiert sah sie ihn an, und um ihren Mundwinkel zuckte es. »Matt wird sich doch nicht etwa beschwert haben, dass ich ihn belästige, oder?«

»Das ist nicht lustig.«

»Du machst dir zu viele Sorgen.« Sie nahm ihrem Vater das Baby ab und legte es in seinen Kindersitz. »Es ist ja nicht so, als würde ich dort vor mich hin brüten. Aber es gibt ein paar Dinge, die nur Matt hören sollte. Und, meine Güte, er ist so praktisch …«

»Vanessa! Um Himmels willen!« Er holte tief Luft. »Du brauchst Freundinnen.«

Sie lachte über ihn. »Freundinnen habe ich reichlich.« Aus ihren Flugbegleitertagen hatte sie viele Freundinnen, und auch wenn sie nicht in der Nähe wohnten, waren sie fantastisch. Sie besuchten sie, hielten Kontakt und gaben ihr jede Gelegenheit, über Matt zu reden. Zuerst über ihre Trauer, dann über das Baby und nun über ihre Besserung. »Es wird dich freuen, dass Nikki übers Wochenende hochkommt. Sie ist eine Freundin.«

Walt hievte sich auf den Fahrersitz. »In letzter Zeit haben wir Nikki sehr oft gesehen. Das mag daran liegen, dass sie sich von dem Baby nicht fernhalten kann, oder aber es läuft nicht so gut mit ihr und dem … dem …« Walt brachte es nicht über sich, den Satz zu Ende zu bringen.

»Ja, sie kann sich nicht von dem Baby fernhalten, und, nein, mit Craig läuft es nicht so gut. Ich habe das Gefühl, sie werden sich trennen.«

»Ich habe ihn noch nie gemocht«, stellte Walt mit einem leicht knurrenden Unterton fest.

»Niemand mag ihn. Er ist ein Idiot«, bestätigte Vanni. Ihre beste Freundin – viel zu nett, als gut für sie war – wünschte sich einen Mann und Kinder. Stattdessen war sie mit ihrem Partner in einer Art Wohngemeinschaft hängen geblieben, die bereits vor Jahren ihren Reiz verloren hatte, weshalb sie heute fast genauso allein war wie Vanni.

Abgesehen von ihren Flugbegleiterkolleginnen hatte Vanni aber auch noch andere Freundinnen, denn sie hatte engeren Kontakt zu ein paar Frauen aus dem Ort. Da waren ihre Hebamme Mel Sheridan, Paige, die zusammen mit ihrem Mann in dem einzigen Bar-Restaurant arbeitete, das der Ort zu bieten hatte, und Mels Schwägerin Brie. Dennoch, es gab ein paar Dinge, die nur Matt verstehen konnte.

Wenn man in einem Ort wie Virgin River lebt, wo die Arztpraxis nur mittwochs Termine vergibt, kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass man nicht lange herumsitzen und warten muss. Und wirklich, Mel stand im Empfangsbereich gleich hinter der Tür und wartete auf sie. Als sie hereinkamen, hellte sich ihr Gesicht erfreut auf, und sofort streckte sie die Hände nach dem Baby aus. »Oooooh, komm einmal heeer«, surrte sie. »Lass dich anschauen!« Sie hob es hoch, wie um es zu wiegen. Dann drückte sie den Kleinen an sich. »Er sieht gut aus, Vanni. Auf der Brust hat er schon ein ganz hübsches Fettpölsterchen angesetzt.« Sie schaute Walt an. »Wie geht es dem Großvater?«

»Der Großvater könnte etwas mehr Schlaf gebrauchen«, grummelte Walt.

Vanessa verzog das Gesicht. »Es zwingt dich niemand, nachts jedes Mal mit aufzustehen. Beim Stillen kannst du mir sowieso nicht helfen.«

»Ich wache halt auf, das ist alles. Und wenn ich wach bin und Vanni auch, kann ich ebenso gut einmal nachschauen, ob sie etwas braucht.«

Mel lächelte ihn an. »Sie sind ein guter Großvater. Ehe Sie sich’s versehen, wird der Kleine die Nacht durchschlafen.«

»Wann hat David durchgeschlafen?«, erkundigte Vanni sich nach Mels einjährigem Sohn.

»Das erste oder das letzte Mal? Frag mich lieber nicht danach, denn bei uns zu Hause gibt es Schlafprobleme. Und jetzt lässt Jack ihn auch noch in unserem Bett schlafen. Ich rate dir, fang damit gar nicht erst an!«

Vanessa schielte auf Mels zunehmend runderen Bauch. David war gerade ein Jahr alt geworden, und ihr zweites Baby wurde im Mai erwartet. »Ich hoffe nur, ihr habt ein wirklich großes Bett«, sagte sie.

»Da wird reichlich Platz sein, wenn ich Jack rauswerfe. Komm mit. Wir wollen uns erst einmal Mattie anschauen und zusehen, dass er seine Impfungen bekommt.« Mel trug das Baby nach hinten ins Untersuchungszimmer. Vanessa folgte ihr.

Mel hatte dem kleinen Matt in Vanessas Schlafzimmer auf die Welt geholfen, und ihre Verbindung zu ihm hatte sich seitdem vertieft und verstärkt. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, dass das Baby bei gutem Gewicht und bester Gesundheit war. »Ich bringe ihn raus zu Walt. Zieh du dich bitte aus und schlüpf in den Untersuchungskittel, ja?«

»Ja. Mach ich«, antwortete Vanni.

Ein paar Minuten später war Mel wieder zurück. »Dein Dad hat den Kleinen auf einen Kaffee zu Jack mitgenommen. Und vermutlich auf einen kleinen Plausch von Mann zu Mann.«

Vanni saß bereits auf dem Untersuchungstisch, und Mel prüfte Herz und Blutdruck. Dann ließ sie sie die Position für eine Unterleibsuntersuchung einnehmen. »Es sieht alles bestens aus. Du hattest eine wunderbare Entbindung, Vanni, und bist in einem ausgezeichneten Zustand. Und, Junge, du hast schnell wieder abgenommen. Ist es nicht ein Wunder, was das Stillen bewirkt?«

»Meine alten Jeans kann ich aber noch nicht tragen.«

»Ich wette, du stehst kurz davor. Na los, setz dich auf«, sagte Mel und half ihr dabei. »Gibt es etwas, worüber du reden möchtest?«

»Eine Menge. Kann ich dich einmal etwas Persönliches fragen?«

»Du kannst mich alles fragen«, antwortete Mel, während sie die Krankenakte ergänzte.

»Ich weiß, dass du verwitwet warst, bevor du Jack geheiratet hast …«

Mel hörte auf zu schreiben. Sie klappte die Krankenakte zu, schaute Vanni an und lächelte verständnisvoll. »Das Gespräch hatte ich erwartet.«

»Wie lange war es?«, fragte Vanni, und Mel wusste genau, worauf sich die Frage bezog.

»Ich habe Jack neun Monate nach dem Tod meines Mannes kennengelernt. Sechs Monate später haben wir geheiratet. Und wenn du dich mit den Geschichtsschreibern und Klatschmäulern im Ort unterhältst, wirst du erfahren, dass ich zu dieser Zeit bereits mindestens im dritten Monat schwanger war. Eher schon im vierten.«

»Wir haben einen Geschichtsschreiber hier im Ort?«

»Ungefähr sechshundert«, erwiderte Mel lachend. »Wenn es etwas gibt, das du lieber geheim halten willst, solltest du darüber nachdenken, in einen anderen Ort zu ziehen.«

»Matt ist zwar erst ein paar Monate tot, aber er ist jetzt fast ein Jahr lang nicht mehr bei mir … Mel, er war nicht auf einer Geschäftsreise. Er war in einem Kampfeinsatz und für mich unerreichbar. Insgesamt habe ich dreimal mit ihm gesprochen und einmal in Echtzeit sein Gesicht gesehen, über eine Videokamera. Die Briefe waren kurz und spärlich. Es ist wirklich lange her, seit …«

Mel legte Vanni eine Hand aufs Knie. »Es gibt dafür keine Faustregel, Vanessa. Ich habe viel darüber gelesen, was es bedeutet, Witwe zu sein. Wie es aussieht, kann es sogar ein Hinweis darauf sein, dass die Menschen in ihrer Ehe glücklich waren, wenn sie kurz nach dem Verlust ihres Partners relativ schnell eine neue Beziehung eingehen. Für solche Menschen war die Ehe eine gute Erfahrung.« Sie lächelte.

»Ich wusste noch nicht einmal genau, ob ich schwanger war, als Matt letzten Mai in den Irak ging. Natürlich denke ich jetzt nicht an eine weitere Ehe. Aber ich denke daran … Also, was ich denke, ist, dass ich nicht ewig allein sein will.«

»Natürlich sollst du nicht ewig allein sein. Du hast noch ein langes Leben vor dir.«

Vanni lächelte. »Meinst du, ich sollte mir schon mal über Empfängnisverhütung Gedanken machen?«

»Darüber können wir reden. Du willst schließlich nicht so unvorsichtig sein wie deine Hebamme. Vor allem wenn man sich bereits um ein Baby kümmern muss. Glaube mir.« Mel holte Luft und strich sich mit einer Hand über den großen Bauch. »Ich hatte mir damals nicht erlaubt, weiter zu denken! Ich weiß noch, als meine Schwester zu mir sagte: ›Ich kenne Witwen, die wieder geheiratet haben und glücklich sind.‹ Da hätte ich ihr fast den Kopf abgerissen, so entsetzt war ich. Ich hatte nicht die geringste Hoffnung, dass das Leben weitergehen könnte.«

»Jedenfalls ist es für dich weitergegangen«, stellte Vanni fest.

»Aber hallo. Als ich hierherkam, war ich fest entschlossen, meine Tage einsam und elend zu verbringen, aber dieser verflixte Jack … er hat mich in einen Hinterhalt gelockt. Ich glaube, ich war vom ersten Moment an in ihn verliebt, doch ich habe mich dagegen gewehrt. Als würde ich die Erinnerung an meinen Mann verraten, wenn ich mein Leben weiterlebe, was natürlich absurd ist. Mein Mann war jemand, der sich gewünscht hätte, dass ich in meinem Leben Liebe finde, und ich wette, bei euch war es dasselbe.«

»Man schickt einen Mann nicht in den Krieg, ohne ein paar Dinge besprochen zu haben. Das haben meine Eltern mir beigebracht. Für meinen Bruder und mich war es immer ein erster Hinweis darauf, dass dem General ein möglicher Einsatz bevorstand, wenn die Papiere hervorgeholt wurden. Testamente, Fonds und so weiter. Nicht nur für den Fall, dass ihm etwas zustößt, sondern auch, falls Mom etwas geschehen sollte, während er in irgendeinem Einsatzgebiet im Dschungel oder in der Wüste steckt.« Vanni lächelte etwas wehmütig. »Matt hielt sich nicht lange mit dem Worst-Case-Szenario auf, aber er kam schnell und präzise auf den Punkt. Er sagte, ich wäre nicht der Typ, mich im Leid zu suhlen, und er wäre enttäuscht von mir, wenn ich es täte. Er hatte ein paar Wünsche – wo er begraben werden wollte, was mit seinen persönlichen Sachen geschehen sollte, an denen er am meisten hing, dass ich seine Eltern regelmäßig besuche, vor allem wenn wir Kinder hätten. Und dass ich nicht zögern soll, wenn mir ein guter Mann über den Weg läuft.« Sie holte tief Luft. »Meine Wünsche an ihn waren in etwa identisch.« Sie setzte sich gerade auf. »Falls ich das Glück haben sollte, einem Mann zu begegnen, der halb so wundervoll ist, wie Matt es war, sollte ich vorbereitet sein.«

»Absolut richtig. Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, nicht einmal hier in unserem guten alten Virgin River. Wir suchen dir etwas, worauf du dich verlassen kannst, während du die Möglichkeit in Betracht ziehst. Möchtest du eine Pille haben, die du während der Stillzeit nehmen kannst? Soll ich dich mit einem Diaphragma ausstatten, oder willst du eine Spirale? Hast du dir schon mal Gedanken über die verschiedenen Möglichkeiten gemacht?«

Dankbar lächelte Vanni. Natürlich hatte sie darüber nachgedacht. »Ja. Eine Spirale bitte.«

»Dann wollen wir mal die verschiedenen Modelle durchgehen. Übrigens, physisch steht dem Geschlechtsverkehr nichts mehr im Wege. Solltest du also einen Mann finden …«

Vanni lachte. »Danke.«

»Du besitzt gesunden Menschenverstand. Vergewissere dich, dass auch ein Kondom zum Einsatz kommt. Wir wollen doch die Übertragung jeglicher …«

»Ich besitze gesunden Menschenverstand«, versicherte Vanni. »Und einen extrem guten Geschmack.«

Es gab einen Mann, den Vanessa im Kopf hatte, und er war auch der Grund, weshalb sie Matt um Hilfe und seinen Segen gebeten hatte. Es war Matts bester Freund, ihr bester Freund. Paul.

Monatelang war er in Virgin River geblieben, um sie zu unterstützen und zu trösten. Weit weg von seinen Eltern, Brüdern und deren Familien hatte er Weihnachten zugebracht. Sie hatten viel Zeit darauf verwendet, über Matt zu reden, wegen Matt zu weinen, stundenlang und völlig verloren in sentimentalen Erinnerungen. Ohne Pauls Stärke hätte sie die schlimmste Zeit niemals überstanden. Er war ihr Fels in der Brandung gewesen.

Natürlich reichte ihre Beziehung zu Paul viel weiter zurück. Nicht erst nach Matts Tod waren sie Freunde geworden. Tatsächlich war es Paul gewesen, auf den sie vor langer Zeit in jener Nacht, in der sie Matt kennengelernt hatte, zuerst aufmerksam geworden war. Er war so riesig, hatte so lange Beine und große Hände, dass er sich schon hätte anstrengen müssen, um nicht aus einer Menge herauszuragen. Dann diese widerborstigen sandfarbenen Haare, die einfach kurz geschnitten sein mussten, weil sie sich jeder Art von Styling entzogen. Nicht, dass Paul ein Mann war, der allzu viel Aufhebens um sein Haar machte. Selbst von Weitem war erkennbar, dass er sich auf das Wesentliche beschränkte. Es war seine Männlichkeit, die ihr aufgefallen war. Er hatte ausgesehen wie ein Holzfäller, der sich fein gemacht hatte, um in die Stadt zu gehen. Dazu kam sein gewinnendes Lächeln. Einer seiner Schneidezähne stand ein klein wenig schief, und auf der linken Wange zeigte sich ein Grübchen. Dichte braune Augenbrauen, Augen in der Farbe dunkler Schokolade – Details, die sie natürlich erst kurz darauf entdeckt hatte. Und Matt hatte sie noch nicht einmal bemerkt …

Aber es war Matt gewesen, der auf sie zugestürmt war, der sie von den Füßen gefegt und sie zum Lachen gebracht hatte, dessentwegen sie errötet war. Während Paul sich scheu und schweigsam zurückhielt, wickelte Matt sie mit seinem Charme vollkommen ein. Und ehe sie sich’s versah, fing sie an, ihn wie verrückt zu begehren, ihn tief zu lieben. Als Trostpreis war er kaum zu bezeichnen. Er war einer der besten Männer der Welt. Ein hingebungsvoller Ehemann, der sie innig liebte.

Schon bevor Matt gestorben war, hatte sie für Paul eine große Zuneigung empfunden, die sich danach vertiefte. Als der kleine Mattie geboren wurde, hatte sie ihm zwar noch gesagt: »Außer Matt werde ich niemanden lieben.« Aber während der darauffolgenden Wochen hatte sie erkannt, dass sie ihre Liebe zu Matt ebenso wenig aufgeben musste wie auch Paul. Matt würde für sie beide immer eine Rolle spielen. Und es erschien ihr wie die natürliche Ordnung der Dinge, dass Paul nun an seine Stelle treten sollte. Von seiner Seite aus gab es allerdings nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er mehr für sie empfand als eine besondere Freundschaft. Sie bezweifelte nicht, dass Paul sie liebte, dass er den kleinen Matt liebte, aber es schien nicht die Art von Liebe zu sein, die sie in kalten Nächten wärmen könnte.

Nachdem er nach Grants Pass zurückgekehrt war, hatte sie ihn einige Male angerufen – freundliche, lockere Gespräche über das Baby, den Ort und seine Freunde hier, über Dad und ihren Bruder, manchmal sogar über Matt.

»Das Baby hat jetzt schon fast eineinhalb Pfund zugenommen«, hatte sie ihm berichtet. »Er hat sich schon so sehr verändert.«

»Wem sieht er denn ähnlich? Sind seine Haare immer noch dunkel, oder hat er schon ein kleines Feuerchen auf dem Kopf wie seine Mom?«

»Noch immer ganz der kleine Matt. Ich wünschte, du könntest ihn sehen. Ihn in den Armen halten.« Mich in den Armen halten!

»Ich muss versuchen, wieder einmal runterzukommen.«

Aber bislang hatte er sie nicht besucht. Und er ließ niemals erkennen, dass er sich danach sehnte. Nicht eine Spur von Verlangen drang durch diese Telefonverbindungen.

Sie kam sich schon vor wie eine Idiotin, weil sie sich nach ihm sehnte. Aber es war nicht zu leugnen – sie vermisste ihn sehr. Und das nicht auf die Art, wie eine junge Witwe allgemein einen Mann in ihrem Leben vermisst. Es war die Art, wie eine Frau den Mann vermisst, der sie erregt, der sie bewegt.

Als Vanni in Mels Begleitung wieder ins Wartezimmer zurückkam, sah sie die Freundin ihres jüngeren Bruders dort sitzen. »Brenda!«, rief sie, ging auf sie zu und umarmte sie. »Solange sie nur mittwochs Termine vergeben, ist die Wahrscheinlichkeit wohl ziemlich groß, dass man alle seine Freunde hier trifft.« Sie lachte.

»Ist anzunehmen.« Brenda zuckte mit den Schultern und errötete leicht.

»Ich muss meinen Dad retten, bevor er es noch mit einer schmutzigen Windel zu tun bekommt. Er ist mit dem Baby bei Jack. Wir sehen uns später … vielleicht heute Abend zum Essen?«

»Klar«, antwortete Brenda. »Bis später.«

Vanni verschwand durch die Tür, und Brenda versank in ihrem Sessel. Das Wartezimmer war einmal das Empfangszimmer des alten Hauses gewesen und noch immer so eingerichtet. An den vorderen Fenstern hingen schwere cremefarbene Samtvorhänge, die mit Schärpen zurückgebunden waren und nie zugezogen wurden. Ein altes, mit burgunderrotem Samtstoff bezogenes Sofa nebst Polsterbank wurde von zwei Ohrensesseln mit geschwungenen Beinen aus Holz flankiert. Der Stoff dieser Sessel, ein gelber Brokat, hatte bereits vor langer Zeit seinen Glanz verloren. Im Raum verteilt standen noch ein paar Rohrstühle, obwohl das Wartezimmer kaum einmal besetzt war. Hier waren nur Mel und Doc Mullins, die sich um ihre Patienten kümmerten, sodass die einzelnen Termine angenehm weit auseinanderlagen, falls nicht jemand unangemeldet auftauchte.

Brenda stützte einen Ellbogen aufs Knie und legte die Stirn in die Hand. »Puh«, stöhnte sie. »Natürlich muss ich Vanessa hier begegnen. Mist.«

Mel nahm Brendas Patientenakte in die Hand, schmunzelte nur und ging zu ihr, um sie hochzuziehen. »Mach dir deswegen keine Sorgen. Komm mit, wir wollen dich mal unter die Lupe nehmen.«

»Aber sie ist Tommys Schwester! Was denn, wenn sie mich fragt, weshalb ich hier war?«

»Brenda, da wird es kein Problem geben.« Mel zog sie hinter sich her bis ins Untersuchungszimmer. Während Brenda bei der Tür stehen blieb, nahm Mel die Papierabdeckung vom Untersuchungstisch und legte eine neue auf. Dann reichte sie Brenda einen Umhang, klappte die Patientenakte auf und sagte: »So … du bist also hier, weil du dir Sorgen wegen zu starker Menstruationsblutungen machst …«

»Ja schon, aber …«

»Verstehe. Nur dass mit deiner Periode alles in Ordnung ist.«

»Ja, damit ist alles in Ordnung«, gestand Brenda scheu. »Ich brauche die Pille, um nicht schwanger zu werden …« Sie schaute zu Boden. Mel hob ihr das Kinn mit einem Finger an.

»Natürlich. Ich weiß. Aber falls Vanessa dich überhaupt jemals fragen sollte, warum du hier warst, dann sagst du einfach, dass du dir wegen deiner Periode Sorgen gemacht hast, ich dich untersucht habe und alles in Ordnung ist. Was meinst du?«

»Wirklich?«

»Ich rede nicht über die Angelegenheiten meiner Patienten. Zieh dir den Umhang über. Ich will dich mal untersuchen, und dann reden wir über das, weshalb du wirklich hier bist. Und Brenda – es wird alles in Ordnung sein.«

»Meine Mom weiß nicht, dass ich das vorhabe. Sie glaubt, ich bin wegen meiner Periode hier.«

»Alles klar«, sagte Mel, dachte jedoch, dass Sue Carpenter nicht auf den Kopf gefallen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie genau wusste, was vor sich ging, war ziemlich hoch. Immerhin gingen Tommy und Brenda seit Beginn des Schuljahres fest miteinander, und es bestand kein Zweifel daran, dass es ihnen wirklich ernst war. »In fünf Minuten bin ich wieder zurück«, erklärte Mel und verließ das Untersuchungszimmer.

Nur wenige siebzehnjährige Mädchen reden gern mit ihren Müttern über Empfängnisverhütung, auch wenn sie sich noch so gut verstehen. Als Mel zurückkam, hatte Brenda ihren Umhang angelegt und war bereit, sich untersuchen zu lassen. »Ich werde einen neuen Pap-Abstrich machen müssen und würde auch gerne, wenn es dir nichts ausmacht, noch einmal einen Test auf Geschlechtskrankheiten machen, um sicherzustellen, dass es nichts gibt, das behandelt werden muss. Sollten wir uns über die Pille danach unterhalten?«

»Wie?«

»Hattest du kürzlich ungeschützten Geschlechtsverkehr?«

»Nein«, antwortete Brenda. »Die Sache ist die, Tommy wagt sich nicht an mich heran, wenn ich mich nicht auch selbst schütze, obwohl er … du verstehst …«

»Kondome hat«, half Mel weiter.

»Ja. Er sagt, das würde nicht reichen.«

»Also, Gott segne ihn«, meinte Mel. Dieses wunderbare Mädchen, eine begabte Schülerin, der aller Voraussicht nach viele Colleges ein Vollstipendium anbieten würden, war vor weniger als einem Jahr das Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden – das war, bevor Tom hierhergezogen war. Mit einem Haufen anderer Teenager hatte sie eine Bierparty im Wald besucht, um mal heimlich ein Bier zu trinken, und musste dann drei Monate später feststellen, dass sie schwanger war, ohne auch nur die geringste Idee zu haben, wie das geschehen konnte. Und als wäre das nicht schlimm genug, litt Brenda auch noch unter einer heftigen Chlamydieninfektion, die möglicherweise dazu geführt hatte, dass es plötzlich zu einer Fehlgeburt gekommen war.

Mel führte ihre Untersuchung durch, machte ein paar Tests, gab ihr einen Dreimonatsvorrat an Antibabypillen und ein Rezept mit auf den Weg und sagte: »Lass dich dafür loben, dass du dich um deine Gesundheit kümmerst, Brenda. Ich weiß, dass man sich, wenn man so jung ist, davor fürchten kann, um diese Art von Hilfe zu bitten. Aber es ist klug von dir, Vorkehrungen zu treffen.«

»Was sagst du, wenn meine Mutter dich danach fragt?«

»Das wird sie wahrscheinlich nicht tun, aber falls doch, werde ich ihr sagen, dass mit dir alles in Ordnung ist.«

»Und du glaubst, das reicht?«

»Ach Schätzchen, ich bin inzwischen sehr, sehr gut darin, Dinge für mich zu behalten. Frag nur Jack«, fügte sie lachend hinzu. »Du kannst sofort damit anfangen, die Pillen zu nehmen, aber es wird noch zwei Wochen dauern, bis die Wirkung einsetzt. Versuche dich daran zu erinnern, sie jeden Tag zur selben Zeit einzunehmen. Zum Beispiel kurz bevor du ins Bett gehst oder gleich nachdem du morgens aufwachst. Das macht es sicherer.«

Ein wenig emotional erklärte Brenda: »Er wird von hier weggehen, weißt du. Gleich nach seinem Highschool-Abschluss wird er die Grundausbildung machen, und dann geht er nach West Point.«

Mel legte dem Mädchen eine Hand auf das hübsche weiche Haar. »Erstens, du würdest niemals einen anderen Typ Freund haben wollen. Er ist ehrgeizig und wird es weit bringen. Er gehört zu den Besten der Besten. Zweitens, nur weil du jetzt die Pille hast, bedeutet das nicht, dass du etwas tun musst, wozu du nicht bereit bist. Du verstehst, was ich meine?«

Brenda nickte.

»Er wird kommen, wenn er kann. Er wird Urlaub haben, und ihr werdet euch viele Briefe schreiben – wundervolle Briefe.«

Wieder nickte Brenda, korrigierte jedoch: »E-Mails.«

»Genauso gut. Die Pille soll deiner Gesundheit und Sicherheit dienen, Brenda. Es ist aber nicht nötig, dass du ihm unbedingt etwas mit auf den Weg gibst, woran er sich erinnern kann. Setz dich nicht unter Druck.«

»Nein, das mache ich nicht.« Etwas leiser fügte sie hinzu: »Ich verstehe, was du mir sagen willst, aber Tom würde mich nie dazu drängen. Abgesehen davon – ich liebe ihn.«

Mel lächelte. »Wie schön für dich. Er ist ein ganz besonderer junger Mann. Und du, meine Liebe, bist eine ganz besondere junge Frau. Du allein bestimmst, was mit deinem Körper geschieht. Vergiss das nie.«

Nikki Jorgensen parkte vor der Booth-Ranch und drückte kurz auf die Hupe, bevor sie ausstieg. Als sie ins Haus kam, saß Vanni mit ihrem Baby auf dem Boden. Der kleine Matt lag auf einer Babydecke, und um ihn herum lag Spielzeug verstreut, für das er absolut zu jung war.

»Schnell«, rief Vanni ihr zu. »Er lächelt

Nikki warf ihre Handtasche auf einen Stuhl und kniete sich Vanni gegenüber auf den Boden. Die beiden Freundinnen waren sich nicht im Geringsten ähnlich. Vanni war eine Frau von klassischer Schönheit mit rotem Haar, Nikki dagegen klein und dunkel, mit langen schwarzen Haaren, die ihr wie ein glatter, seidiger Mantel über den Rücken bis fast zur Taille fielen. Vanni war couragiert, Nikki eher ein ruhiger Mensch, der Auseinandersetzungen hasste. Nikki erzählte gern, dass Vanni als Sprössling des Militärs gelernt hatte, wie man einen Haushalt in sechs Stunden zusammenpackte und mit den Zollbehörden in fremden Ländern umging, während sie selbst sich in der Highschool mit den neuesten Haarmoden beschäftigte.

Ein paar Minuten lang beschäftigten sie sich damit, dem Baby Grimassen zu schneiden, bis Vanni schließlich sagte: »Ich kann es kaum abwarten, Paul zu erzählen, dass er wirklich lächelt.«

Und das reichte, um sie verstummen zu lassen. »Hast du etwas von Paul gehört?«, fragte Nikki schließlich vorsichtig.

Vanni schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. »Nun, ich rufe ihn an. Ungefähr zweimal in der Woche. Aber er hat erst einmal hier angerufen.«

»Oh Vanni«, meinte Nikki mitfühlend.

»Vergiss es. Wahrscheinlich ist es eine Erleichterung für ihn, dass er der Witwe Rutledge gegenüber keinerlei Verpflichtungen mehr hat …«

»Ich bin sicher, dass das nicht der Grund ist«, behauptete Nikki und strich Vanni über das rote Haar.

»Vor ein paar Monaten hätte ich nicht einmal daran gedacht, dass ich Gefühle für ihn haben könnte. Ich meine, diese Art von Gefühlen. Für mich war er wie ein Anker. Mein Fels in der Brandung. Und dann hat er mir allmählich immer mehr bedeutet. Seit er weg ist … Ich vermisse ihn so sehr. Und nicht nur, weil er mich als Freund unterstützt hat.«

»Wer könnte denn für dich auch attraktiver sein als jemand, der Matt ebenso vermisst wie du? Ein Mann, der den kleinen Mattie genauso sehr liebt, wie Matt selbst es getan hätte? Abgesehen davon – es ist ja nicht so, als hättest du ihn gerade erst kennengelernt. Du hast mit ihm zu tun seit dem Tag, als Matt dir zum ersten Mal begegnet ist! Du kennst ihn besser als jeden anderen. Jedenfalls musst du dir nicht den Kopf darüber zerbrechen, was für eine Sorte Mensch er ist.«

»Ich habe einfach Angst … ich bin mir nicht sicher, ob ich Matt wirklich loslassen kann.«

Nikki lachte. »Vanni, du musst Matt genauso wenig loslassen, wie Paul ihn loslassen muss. Er wird für immer ein Teil von euch beiden sein.«

Dankbar lächelte Vanni sie an. »Das habe ich in letzter Zeit auch gedacht. Ich muss mich wirklich nicht entscheiden, oder?«

»Auf keinen Fall, Süße.«

»Also, wie sieht’s mit dir und Craig aus?«

Nikkis Lächeln verblasste. »Wie immer. Nicht gut. Ich habe ihm ein Ultimatum gestellt. Entweder alles oder nichts. Ständig redet er nur davon, dass er mehr Zeit braucht. Aber wie lange noch? Das geht jetzt schon fünf Jahre so. Er weiß, dass ich mir eine Familie wünsche, und meine Uhr tickt.«

Zweifelnd schüttelte Vanni den Kopf. »Er wird dich niemals aufgeben«, sagte sie, befürchtete in Wahrheit jedoch, dass Nikki ihn niemals verlassen würde, obwohl er ihr nicht ein Zehntel von dem gab, was sie brauchte.

Nikki reckte das Kinn vor. »Ach ja? Willst du darauf wetten?«

»Nikki, meinst du es diesmal wirklich ernst?«

Nikki spielte mit dem Fuß des Babys. »Ich werde nicht durch mein Leben gehen, ohne das hier wenigstens zu versuchen. Ich bin egoistisch. Ich will alles. Und mit Craig ist über alles nicht zu verhandeln.«

Paul war jetzt etwas mehr als sechs Wochen wieder in Grants Pass. Nach diesem Abend mit Terri hatte er ihr versprochen, Kontakt zu halten, und als sie ihn nun an seinem Arbeitsplatz aufsuchte und fragte, ob er sich kurz für ein Gespräch freimachen könnte, glaubte er, es ginge darum, dass er nicht wie angekündigt angerufen hatte.

Aber nein.

Er versuchte es sich mit seinen langen Beinen in ihrem kleinen Toyota einigermaßen bequem zu machen, den sie vor seinem Büro geparkt hatte, und fragte sie: »Was ist los?« Nicht ohne ein paar nervöse Tränen zu vergießen, erklärte sie ihm, dass sie schwanger sei und außer ihm kein anderer Mann infrage käme.

»Schwanger?«, wiederholte er fassungslos. »Schwanger?«

»Ja. Es war in der Nacht, nachdem du wieder in der Stadt warst. Du erinnerst dich. Es ist ganz schön heiß hergegangen in dieser Nacht. Du wirst es wohl kaum vergessen haben.«

»Wie, um alles in der Welt, konnte das passieren? Du hast mir gesagt, dass du die Pille nimmst, und ich hatte ein Kondom benutzt.«

»Ich weiß es auch nicht«, sagte sie schniefend. »Wahrscheinlich ist es meine Schuld.«

»Deine Schuld? Wie?«

»Ich hatte so lange keinen Freund mehr. Da bin ich ein bisschen nachlässig mit der Pille geworden und habe manchmal vergessen, sie einzunehmen. Dein Anruf … der kam für mich völlig überraschend. Ich hatte so lange nichts mehr von dir gehört und konnte einfach nicht darauf verzichten, dich zu sehen. Aber du hattest dieses Kondom, und ich war mir sicher, dass nichts passieren würde. Keine Ahnung, was schiefgelaufen ist. Es muss an mir liegen, weil ich die Pille manchmal vergessen hatte, und an dir, weil dein Kondom nicht in Ordnung war … Eine andere Erklärung fällt mir dazu nicht ein …«

»Oh Mann.« Paul holte tief Luft. »Okay.« Langsam gewann er die Oberhand über seine Panik. »Okay, sag mir, was du brauchst.« Er griff nach ihrer Hand und hielt sie mit beiden Händen fest.

»Irgendeine Chance, dass du an Heirat denken könntest?«

Darüber musste er nicht einmal nachdenken. Es gab eine andere Frau, seit langer, langer Zeit schon hatte es eine andere Frau gegeben. »Gott, Terri, wir können nicht heiraten. Als was hattest du uns mal bezeichnet? Freunde mit Privilegien? Wir sind zwei Erwachsene, die sich mögen und gegenseitig respektieren, und das ist eine Menge, aber nicht genug. Du bedeutest mir viel, aber unsere Beziehung reicht nicht, um zu heiraten. Vor allem nicht, um verheiratet zu bleiben.«

»Im Augenblick ist das für mich ein bisschen weit gedacht«, wandte sie ein.

»Wir kennen uns eigentlich doch gar nicht. Nicht wirklich.«

»Wir kennen uns so gut, dass ich jetzt schwanger bin.«

»Soll das bedeuten, dass du beschlossen hast, das Baby zu bekommen?«

»Ich bin fast dreißig«, sagte sie spitz. »Ich werde es nicht abtreiben lassen.«

»Okay, okay, gut.« Wider alle Vernunft, die ihm sagte, dass sich das regeln ließe, dass eine Abtreibung möglich wäre, fühlte Paul sich erleichtert. Er wollte nicht in dieser Lage sein, aber er wollte auch nicht, dass dieses Baby einfach verschwand. »Ich kann dir finanziell helfen. Ich werde auch alles tun, um dich emotional zu unterstützen. Das schwöre ich dir, ich werde dir beistehen. Aber Terri, alles, was darüber hinausgeht, wäre für uns beide ein Fehler.«

»Warum?«, fragte sie, und die Tränen stiegen ihr wieder in die Augen.

Er legte einen Arm um sie und drückte sie, so fest es der enge Raum in ihrem Wagen erlaubte, an seine Schulter. »Da gibt es viele Gründe. Vielleicht erinnerst du dich daran, dass wir anfangs darüber gesprochen hatten, bevor überhaupt etwas zwischen uns passiert ist. Keiner von uns hat eine ernste Beziehung gesucht. Wie oft haben wir uns gesehen? Dreimal in einem Jahr? Viermal? Gott, es tut mir leid, Terri, aber in der Nacht, als das passiert ist, waren wir uns so nahe wie nie zuvor. Und das auch nur, weil ich durcheinander war und du so nett warst, mir zuzuhören. Süße, wir lieben uns einfach nicht.«

»Woher willst du wissen, dass ich dich nicht liebe?«

»In den letzten sechs Monaten haben wir ein Mal miteinander geredet. Wenn du solche Gefühle für mich hättest – ich wäre nie darauf gekommen.« Er zog sie ein wenig näher an sich. »Terri, du bist eine ganz besondere Frau und wunderbar. Aber wie es aussieht, sind wir nur zwei Leute, die ein halbes Jahr bestens damit leben können, nicht miteinander zu reden und uns nicht zu sehen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe gewusst, dass dieser Abend ein Fehler war. Ich habe mich viel zu sehr meinen Gefühlen hingegeben, und du fühlst dich mir viel zu stark verbunden. Aber das hat mit wirklicher Liebe nichts zu tun. Es waren nur meine Krise und dein Mitgefühl. Deshalb sind wir jetzt da, wo wir sind. Wenn wir heiraten, würde dich das nur daran hindern, das zu finden, was du wirklich brauchst. Und glaube mir, mich brauchst du nicht.«

»Was soll ich denn tun?«

Was soll ich denn tun? dachte er egoistisch. »Was immer du willst. Ich werde dir helfen, wo ich nur kann. Es tut mir leid, aber du hast einen Mann verdient, der dich ebenso sehr liebt, wie du ihn liebst.«

»Aber ich bekomme doch ein Kind von dir!«, rief sie verzweifelt.

»Ich werde wirklich alles tun, was ich tun kann, Terri. Nur werde ich dich nicht heiraten. Das würde nicht lange dauern. Am Ende wären wir noch Feinde, und das sollten wir tunlichst vermeiden.«

»Wäre denn die Vorstellung für dich so schrecklich, mich als Frau zu haben?«, fragte sie kläglich.

Paul hatte nichts gegen Terri, absolut nichts. Das Problem lag bei ihm. Er fand Terri attraktiv, begehrenswert, lustig und süß, weshalb er auch bei ihr gelandet war, als Vanni noch mit seinem besten Freund verheiratet war. Er hätte alles dafür gegeben, sich in sie verlieben zu können. Aber wenn er an Vanni dachte, beschleunigte sich sein Puls, und sein Herz klopfte. Wenn er an Terri dachte, musste er lächeln, weil sie so süß war, weil sie ihn zum Lachen brachte und weil sie einfach ein guter Mensch war. Der Gedanke an Vanni erfüllte ihn mit Angst und Lust. Und einer lächerlichen Hoffnung. Er mochte Terri, nach Vanni war er völlig verrückt, und das seit Jahren. Paul hatte keine Ahnung, warum. Vielleicht war es ein böser Fluch, der ihn veranlasste, sich etwas zu wünschen, das er nie haben könnte.

Terri gegenüber war es nicht fair. Es war nicht richtig, und es war auch nicht der leichteste Weg. Aber es war, wie es war. Sein Testosteronpegel schoss sofort nach oben, wenn er mit Terri zusammen war, weil sie verführerisch, hübsch und eben auch erreichbar war. Und weil er allein war. Er war auch nur ein Mann. Manchmal war es schön, eine Frau in seinem Leben zu haben. Es war ein großer Fehler gewesen, Terri nach Matts Tod anzurufen, wenn doch Vanni die einzige Frau auf der Welt war, die er haben wollte. Aber damals hatte er sich so sehr nach Verständnis gesehnt, nach Freundschaft.

»Ich glaube, dass du eine wundervolle Frau für den richtigen Mann sein wirst. Aber der bin ich nicht. Ich will alles tun, was ich tun kann, um mich daran zu beteiligen, Terri. Ich werde nicht davonlaufen, ich werde mich nicht verstecken. Und, lieber Gott, Terri, es tut mir leid. Ganz sicher hatte ich das so nicht geplant.«

Joe Benson war Architekt und hatte seit ungefähr zehn Jahren die Häuser für die Firma Haggerty Construction entworfen. Er war ein wenig besorgt um seinen Freund Paul. Ein paarmal war er Paul auf irgendeiner Baustelle begegnet, und sie hatten davon gesprochen, sich einmal auf ein Bier zu treffen. Aber dann war Paul ihm ausgewichen. Er wirkte abgelenkt, missmutig, wenn nicht sogar deprimiert, was kaum ein Wunder war, denn Paul hatte nach Matts Tod eine Menge zu verarbeiten. Joe nahm an, dass er wie ein Dampfkochtopf unter Druck stehen musste. Also tat er, was ein guter Freund tut – er drängte ihn. Es war an der Zeit, dass Paul es mal rausließ, damit er vorwärtskam.

Joe betrat die kleine, dunkle, ruhige Bar und wartete darauf, dass Paul sich zeigte. Er selbst hatte das Lokal ausgesucht, denn es war ein Ort, wo ein Mann in aller Ruhe über die Dinge sprechen konnte, die ihn innerlich zerfraßen. Mehrmals schaute er auf die Uhr und fragte sich, ob Paul überhaupt auftauchen würde. Joe hatte bereits ein Bier getrunken und dachte schon daran, ihn entweder auf seinem Handy anzurufen oder einfach zu gehen, als Paul mit hängendem Kopf endlich hereinstapfte. Und er sah aus, wie er nun bereits viel zu lange aussah. Der Mann litt an Leib und Seele.

»Ein Bier, bitte«, rief er dem Barkeeper zu, bevor er Paul überhaupt Hallo sagte. »Heineken.«

»Also«, begann Joe und griff nach seinem fast leeren Glas. »Du bist in einer lausigen Verfassung.«

Paul schwieg eine Weile und wartete auf sein Bier. Als es kam, trank er erst mal einen großen Schluck, bevor er nickte. »Kann man so sagen.«

»Hör mal, ich dachte, wenn wir mal ein Bier miteinander trinken, darüber reden …«

»Glaub mir, darüber willst du nicht reden, Joe.«

»Mit dem Geschäft alles okay?«, fragte Joe, um sich ans Thema heranzutasten. Pauls Familienunternehmen war eine solide kleine Firma, die Qualitätsbau betrieb. Während Matt von Kindesbeinen an Pauls bester Freund gewesen war, stand Joe ihm am nächsten, seit sie beide nach Desert Storm in derselben Reserveeinheit waren. Seitdem hatten sie auch zusammengearbeitet und waren später gemeinsam wieder in den Irak zurückgegangen.

»Das Geschäft läuft gut«, antwortete Paul. »Das ist nicht das Problem.«

Joe klopfte Paul kräftig auf die Schulter. »Du bist in letzter Zeit nicht mehr derselbe, Kumpel. Du hast Schwierigkeiten, nach Matts Tod wieder in die Gänge zu kommen … Du weißt, dass er das nicht gewollt hätte.«

»Ich weiß …«

»Vielleicht ist es ja mehr als Matt«, fuhr Joe fort. »Ich habe das Gefühl, dass dich da etwas regelrecht auffrisst.«

»Tatsächlich?« Paul lachte trocken. »Lieber Himmel, du bist ja hellsichtig.« Er nahm einen weiteren tiefen Zug von seinem Bier.

»Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass du es einfach mal ausspuckst? Dann könnten wir es uns gemeinsam anschauen. Bald komme ich nämlich nicht mehr mit dir mit, wenn du so schnell trinkst.«

Paul schüttelte den Kopf. »Ich habe richtig Scheiße gebaut, Joe. Ich habe mich in einen Schlamassel manövriert, aus dem ich nicht mehr rauskomme.«

Eine ganze Weile schaute Joe ihn nur an. Dann klopfte er mit seinem Glas auf den Tresen, und als der Barkeeper kam, sagte er: »Noch mal dasselbe, hm?« Während er auf sein Getränk wartete, wandte er sich wieder Paul zu und fragte: »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie du einen momentan verwirren kannst?«

»Ja. Du solltest dir stabilere Leute suchen, mit denen du trinken gehst.«

»Also, bevor ich das tue …«

Es dauerte einen Augenblick, bis Paul schließlich damit rausrückte: »Ich habe mit einer Frau geschlafen, die jetzt schwanger ist …«

»Unmöglich«, sagte Joe völlig verblüfft. »Nein, dafür bist du viel zu clever …«

Paul lachte. »Wie es aussieht, bin ich das nicht. Vielleicht sollte ich den Hersteller der Kondome verklagen, hm?«

»Ach du Scheiße. Oh Gott. Liegt dir viel an der Frau? Das will ich doch hoffen?«

»Sie ist ein nettes Mädchen«, meinte Paul achselzuckend. »Aber es war nicht … ach Mann. Es war … Wir waren nicht … Mist. Es war nur so ein Ding. Du verstehst? Ich kannte sie ungefähr ein Jahr, aber ich war nur ein paarmal mit ihr aus. Wir hatten wirklich nichts miteinander laufen, außer …«

»Ach du Scheiße«, wiederholte sich Joe.

Paul drehte sich Joe zu. »Die ganze Zeit, während ich letzten Herbst in Virgin River war, habe ich nicht ein einziges Mal mit ihr gesprochen. So oberflächlich war unser Verhältnis. Ich bin ständig hierhergefahren, um mich um die Firma zu kümmern, um meinen Dad und meine Brüder, aber ich habe sie nicht ein einziges Mal angerufen. Und sie mich auch nicht. Aber …«

»Aber …?«

»Aber als ich dann wieder ganz hier war, hatte ich einen dicken Knoten im Magen, nach allem, was in Virgin River los war. Und da habe ich sie angerufen. Wahrscheinlich triebgesteuert. Und rate mal, was passiert ist?«

»Oh verflucht. Was hast du jetzt vor?«

»Welche Möglichkeiten habe ich denn?«, fragte Paul zurück und ließ den Kopf hängen. »Ich werde mich um sie kümmern, es ist schließlich mein Kind. Was soll man sonst machen?« Traurig schüttelte er den Kopf. »Ich will auch, dass sie es bekommt«, fuhr er fort. »Ich weiß, es ist dumm. Ich sollte wahrscheinlich irgendwas versuchen. Sie bestechen zum Beispiel. Sie dazu bringen, es abzutreiben. Aber wenn ein Kind von mir unterwegs ist, will ich daran teilhaben. Ich bin verrückt, meinst du nicht?«

Joe lächelte geduldig. »Ich weiß nicht. Vielleicht bist du nicht verrückt, was das angeht. Aber was ist mit der Mutter? Ist sie jemand, mit der man so etwas durchziehen kann?«

»Schwer zu sagen. Sie will, dass ich sie heirate. Das kann ich nicht. Ich habe vor, nur einmal zu heiraten, und dann soll es eine Frau sein, die ich so sehr liebe, dass ich mich gar nicht mehr bremsen kann. Wenn ich diese Frau jetzt heirate, würde doch wirklich alles nur noch schlimmer für sie, schlimmer, als es schon ist. Ich kann mich nicht verstellen. Nicht bei so etwas. Ich wäre der schlechteste Ehemann für sie. So schnell heiratet man nicht.«

»Es ist ein großer Schritt, bei dem man sich dauerhaft festlegt«, stimmte Joe ihm zu. »Man kann nur selbst wissen, ob einem so etwas gelingen kann. Wenn nicht, tut man das Nächstbeste. Man steht seinen Mann und kümmert sich um sie.«

»Ja, da kommt bloß noch hinzu, dass ich mit ihr geschlafen habe, während ich eine andere Frau liebe. Warum, zum Teufel, habe ich das getan? Welcher armselige Mistkerl tut so etwas? Was habe ich mir nur dabei gedacht?«

An diesem Punkt des Gesprächs begriff Joe gar nichts mehr. Paul liebte eine andere Frau? Nicht, dass Männer über die Frauen sprechen, für die sie schwärmen, wenn sie sich treffen. So etwas tun sie einfach nicht. Sie erwähnen kaum einmal, wie sie sich fühlen. Er kannte Paul jetzt eine ganze Weile, und da hatte es sehr wenige Frauen gegeben. Paul war immer der Ruhige, er hielt sich zurück. Selbst als sie zusammen im Ausland waren, im Krieg, als es eine Menge Spannung abzubauen galt, hatte Paul nie Frauen abgeschleppt.

Der Barkeeper brachte Paul ein weiteres Bier, und er trank einen großen Schluck davon.

»Du liebst eine andere?«, hakte Joe nach.

»Ich bin so ein Versager …«

»Du liebst jemanden?«

»Es war ein Fehler, das ist alles. Ich hatte keinen Grund …«

»Paul. Du liebst jemanden?«

»Ja. Jahrelang war ich ein echt beschissener bester Freund. Es ist Vanni. Ich konnte nichts dagegen machen. Ausgesucht habe ich mir das nicht, aber …«

Nun brauchte Joe einen kräftigen Schluck. Er war bereit, Paul bei fast allem zu helfen, aber damit hätte er nie gerechnet. Und wieso nicht? Weil er für Paul dasselbe getan hätte, was Paul für Matt getan hatte – der Witwe beizustehen. »Puh«, sagte er schließlich. »Verdammter Mist.«

»Verdammter Mist«, echote Paul.

»Vanni?«

Paul nickte grimmig. »Willst du mal versuchen, dir vorzustellen, welche Schuldgefühle ich deswegen hatte? Mit aller Macht habe ich versucht, mir das auszureden. Manchmal war ich verdammt nahe dran. Ich habe mich von ihnen ferngehalten, verstehst du? Weil ich mit Matt zwar immer prima reden konnte, aber sobald ich Vanni zu Gesicht bekam, hatte ich das Gefühl, dass mein Herz gleich explodiert … Ach Gott.« Er legte den Kopf in die Hand. »Und jetzt habe ich eine andere Frau geschwängert. Glaubst du, ich hätte es noch mehr vermasseln können?«

Joe schüttelte den Kopf, dachte allerdings: ja. Du könntest der Tote sein. »Bist du sicher, dass das Kind von dir ist? Vielleicht ist es das ja gar nicht.«

»Daran habe ich auch schon gedacht, aber ich glaube, das ist reines Wunschdenken. Sie hat mir gesagt, dass sie seit Ewigkeiten mit keinem Mann mehr zusammen war, weshalb sie auch mit der Pille geschlampt hat. Und was hatte ich dagegenzusetzen? Ein armes altes Kondom aus der Brieftasche, das schon lange damit rechnen musste, niemals aus der Packung gezogen zu werden. Wahrscheinlich hat es vom vielen Aus- und Einsteigen im Truck ein Loch bekommen. Nee, das ist meins.«

»Aber du wirst dich da doch noch absichern, bevor du den Collegefonds anlegst, oder?«

»Ja. Natürlich. Im Augenblick möchte ich sie aber nicht zu sehr drängen. Sie ist ein Wrack. Ein verheultes, niedergeschlagenes Wrack. Wenn sie das Gefühl bekommt, dass ich sie unter Druck setze – wer weiß, wozu sie fähig wäre. Ich möchte nicht, dass sie abtreibt, nur weil sie Angst hat, ich würde die Verantwortung nicht übernehmen. Ich werde vorläufig mal weiter annehmen, dass es mein Kind ist, weil es höchstwahrscheinlich stimmt. Später können wir uns immer noch um die Details kümmern.«

»Was wirst du wegen Vanni unternehmen?«

»Zum Teufel, was kann ich tun? Vanni leidet im Augenblick sehr. Glaubst du etwa, ich könnte ihr diesen Schmerz nehmen, wenn ich ihr sage, dass ich sie von der Sekunde an, als ich sie zum ersten Mal sah, liebe, mich dann aber beeilt habe, eine andere Frau, die ich kaum kenne, zu schwängern?«

Joe musste einfach lächeln. »An deinem Vortrag werden wir noch etwas arbeiten müssen, mein Freund. Du solltest aber einen klaren Kopf behalten, Paul. Es ist schließlich nicht so, als hättest du Vanni betrogen. Hm?«

»Warum habe ich dann das Gefühl, als wäre es so?«

»Weil du in einem Gefühlschaos von Schuld und Bedauern steckst, das ist alles. Und lass dich mal vom Haken, was Matt angeht. Was immer du für Vanni empfindest, es hat niemals ihre Ehe oder eure Freundschaft belastet.«

Schweren Blickes schaute Paul seinen Freund an. »Auch wenn ich bei Vanni nicht die geringste Chance habe, muss ich ihr erklären, was ich für sie empfinde. Aber dazu ist es noch zu früh. Matt ist erst vor Kurzem gestorben. Du musst mir glauben, ich habe mir niemals gewünscht, dass Matt etwas zustößt.«

Joe schüttelte Paul am Arm. »Natürlich hast du das nicht. Aber die Sache mit Vanni? Du bist es dir selbst schuldig zu erfahren, woran du mit ihr bist, bevor du dir all diesen Kummer einhandelst.«

»Ja.« Paul ließ den Kopf hängen. »Ich bin sicher, sie wird einfach versuchen, mir so schonend wie möglich beizubringen, dass …«

»Aber andererseits … man kann nie wissen.« Joe zuckte mit den Achseln. »Vielleicht wird es ja ausnahmsweise mal in deinem Sinne laufen. Und falls es dazu kommt und sie dir dann sagt ›Ich liebe dich auch‹, wirst du sagen müssen: ›Ich werde bald Vater.‹ Puh.« Joe lachte unglücklich auf. »Das tut weh. Ich schätze, mein Freund, so oder so sitzt du in der Patsche.«

Paul schaute Joe in die Augen und sagte: »Wir werden noch eine Menge mehr Bier brauchen.«

2. KAPITEL

Mike Valenzuela war der Polizist in Virgin River, und als solcher verbrachte er sehr viel Zeit damit, die Nebenstraßen in den Bergen, die den Ort umgaben, abzufahren, um sich mit der Beschaffenheit des Geländes vertraut zu machen. Für ihn war es wichtig, die Leute zu kennen, die Gebäude, die Fahrzeuge. Das war der beste Weg, um sicherzugehen, dass einem Unregelmäßigkeiten auffielen. Er stieg aus seinem Jeep und lief eine Weile durch Büsche und unter Bäumen entlang, wobei er darauf achtete, möglichst nicht gesehen zu werden. Dabei kam er wieder an dem halb verborgenen Wohnwagen sowie einem Lagerhaus aus Metall vorbei, das er schon seit längerer Zeit im Auge behielt. Zwischen dem Gebäude und dem Wohnwagen standen ein Anhänger und ein Generator, und über allem war ein Tarnnetz gespannt, ein deutliches Zeichen dafür, dass hier Cannabis angebaut wurde. Doch bisher hatte er hier noch nie irgendwelche Aktivitäten beobachten können. Mike blieb auf Distanz, denn manchmal waren diese Anlagen mit Sprengfallen gesichert.

Diesmal sah er zufällig, wie sich ein Fahrzeug entfernte, und dieses Fahrzeug kannte er. Es war ein Truck von Ford, dunkel, mit getönten Scheiben. Der Fahrer war in der Gegend bekannt als jemand, der illegal Marihuana anbaute. Ein »Grower«.

In den letzten paar Jahren war der Kerl mehrfach gesichtet worden. Er trug große Scheine in der Brieftasche, denen der Geruch von frisch geerntetem Marihuana anhaftete. Als Mel damals gerade ganz neu in Virgin River angekommen war, hatte der Mann sie entführt und zu einem Wohnwagen auf einer illegalen Plantage wie dieser gebracht. Sie hatte einer in den Wehen liegenden Frau helfen sollen. Kurz danach war Paige, die inzwischen mit Jacks Koch Preacher verheiratet war, von ihrem gewalttätigen Ex entführt worden. Auf einmal war dieser Mann zur Stelle gewesen und hatte ihre Rettung ermöglicht, indem er den Ex k. o. schlug. Aber am wichtigsten war, dass Mike ihn erst vor ein paar Monaten dabei beobachtet hatte, wie er sich mit einem Detective des Sheriff Departments an einem abgeschiedenen Ort getroffen hatte. Mikes Anwesenheit in der Gegend war reiner Zufall gewesen. Aber die beiden Männer hatten den Ort vermutlich sorgfältig ausgewählt, denn Virgin River hatte den Ruf, drogenfrei zu sein. Hier gab es keine illegalen Grower in der Nähe, von denen Mike oder sonst jemand etwas gewusst hätte. Es war ein guter Platz für ein geheimes Treffen.

Mike beschloss, sich die Anlage einmal genauer anzuschauen. Der Mann hatte auf die eine oder andere Art mit einem Cop zu tun, und Mike wollte einfach mal wissen, was hier lief. Schon aus mehreren Metern Entfernung sah er, dass das Vorhängeschloss an dem Lagerhaus offen stand. Schlamperei, war sein erster Gedanke. Er setzte seine Schritte langsam und mit Bedacht. Dabei lauschte er nach einem verdächtigen Klicken und hielt nach einem Stolperdraht Ausschau. Allerdings gab es eine Faustregel, die besagte, dass Grower zwar ihre Pflanzen vor anderen Growern schützen wollten, aber nicht wirklich scharf darauf waren, einen Gesetzeshüter zu verletzen oder gar zu töten. Nicht einmal einen kleinen Dorfpolizisten wie Mike. Das brächte nur eine ganze Horde von Cops in die Gegend, die alles auffliegen lassen würden, was ansonsten übersehen oder ignoriert wurde.

Dementsprechend entdeckte Mike auch keine Fallen und kam unbeschadet am Lagerhaus an. Er zog das Vorhängeschloss heraus und schob die Tür ganz langsam auf. Die Anlage war so gut wie leer. Direkt hinter der Tür standen zwar ein paar Pflanzen mittlerer Größe, aber es waren so wenige, dass man diese Menge mit einem ärztlichen Rezept und einer Genehmigung legal anbauen durfte. Doch die ganze Ausrüstung für eine große Plantage war vorhanden – Töpfe, Bewässerungsanlage, Lampen, Düngemittel. Offensichtlich hatte der Mann alles angeschafft, was ein Grower für einen großen Betrieb brauchte, nur Pflanzen gab es so gut wie keine. Demnach sah er zwar aus wie ein Grower, baute aber nichts an.

Lieber Himmel, dachte Mike. Der Typ ist Drogenfahnder. Entweder war er selbst Polizist, der undercover arbeitete, oder er war ein Informant der Polizei. Er hatte hier etwas installiert, das aussah wie eine illegale Plantage, aber das war nur ein Trick. Und es gab bloß einen Grund, sich als Grower auszugeben, wenn man es nicht war – die Fahndung nach anderen Growern.

Es dauerte lange, auch nur eine oberflächliche Bekanntschaft zu anderen Growern aufzubauen, und selbst wenn man sich irgendwann freundlich zunickte, wurde doch immer eine gewisse Distanz gewahrt. Es sei denn, man machte Geschäfte miteinander. Aber niemals zeigten sie einander ihre versteckten Plantagen. Sie erkannten sich gegenseitig im Baumarkt, der Gärtnerei, beim Einkauf von Zubehör, beim Transport von großen Säcken Hühnerdung auf den Ladeflächen ihrer Trucks. Aber sie luden sich nicht zu Dinnerpartys auf ihre Marihuanaplantagen ein.

Fakt war, dass die örtlichen Strafverfolgungsbehörden dem illegalen Anbau nicht Herr wurden. Sie verfügten nur über begrenzte Mittel und zu wenig Personal. Viele Fälle ließen sie schleifen, wenn sie zu geringfügig waren, um zu einer Verurteilung zu führen. Gab es zum Beispiel einen telefonischen Hinweis auf eine Friseurin, die einen Hummer fuhr, einen Generator hinter dem Haus und ein paar abgedunkelte Fenster hatte, war es ziemlich offensichtlich, was sie tat. Aber die Cops hatten dickere Fische zu grillen. Sie suchten nach Anlagen mit mehr als tausend Pflanzen, um eine Verurteilung erwirken zu können, oder zehntausend Pflanzen, um die Sache als bundesstaatliches Verbrechen dem FBI zu übertragen. Alles andere war nur eine Verschwendung ihrer kostbaren Zeit.

Dieser Kerl also, der sich in diesem Gebiet niederließ und alles tat, um als illegaler Grower zu gelten … Er musste hinter irgendetwas her sein. Langsam trat Mike ein paar Schritte von dem Lagerhaus zurück und schaute sich draußen noch einmal vorsichtig um. Dann sah er sich das Vorhängeschloss an. Offensichtlich ein Versehen seines Freundes, des Kerls in dem Truck. Wenn er nicht befürchten müsste, dessen Einsatz damit zu gefährden, würde er ihn aufsuchen. Er würde ihm sagen, dass er verstand, was los war, und ihm raten, vorsichtiger zu sein. Stattdessen nahm er das Schloss und steckte es in die Tasche. Er wollte über all das noch eine Weile nachdenken, bevor er etwas unternahm.

Paul saß in einem kleinen italienischen Restaurant in Grants Pass, starrte in seinen Kaffee und wartete. Als er aufschaute, sah er, wie Terri das Restaurant betrat, und er runzelte leicht die Stirn. Es gab keinerlei Grund, nicht von ihr angezogen zu sein. Sie war eine schöne, weichherzige Frau mit einer sehr attraktiven Figur, die bald in der Mutterschaft erblühen würde.

Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er und erhob sich. Ja, sie war eine reizvolle Frau, aber anders als Vanni hatte sie keinerlei Wirkung auf seinen Blutdruck. Die Chemie zwischen ihnen war angenehm, aber nicht explosiv.

Er rückte einen Stuhl für sie zurecht, damit sie sich setzen konnte. »Alles in Ordnung, Paul?«, fragte sie leicht nervös.

»Natürlich. Mir geht’s gut. Wir haben seit letzter Woche nicht mehr miteinander gesprochen. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich wollte mich früher melden.«

»Das ist schon in Ordnung. Was ist los?«

»Ich dachte, wir sollten uns einmal unterhalten. Der Schock und die Tränen haben, glaube ich, das letzte Mal verhindert, dass wir etwas klären konnten.« Er griff über den Tisch und tätschelte ihre Hand. »Ich wüsste auch nicht, wie das zu vermeiden gewesen wäre.«

»Klären?«, wiederholte sie.

»Du hast mir nicht wirklich gesagt, was ich deiner Meinung nach im Augenblick für dich tun kann.«

»Nun, ich hatte es selbst erst kurz vorher erfahren, deshalb hatte ich auch noch nicht lange darüber nachdenken können. Ich meine, nachdem die beste Lösung für dich nicht infrage kam.«

Dazu sagte Paul lieber nichts, denn das Thema wollte er nicht wieder aufgreifen. Unangenehm berührt senkte er den Blick. Auch wenn aus Vanni und ihm nichts werden sollte, was er befürchtete, empfand er für Terri einfach nicht die Leidenschaft, die notwendig war, um sich auf eine Heirat einzulassen. Dennoch würde er einen großen Teil seines Lebens wegen des Kindes an sie gebunden sein. »Wie steht es mit einer Krankenversicherung? Finanziellen Verpflichtungen?«

»Ich habe einen guten Job, Paul. Meine Versicherung wird mir durch die Schwangerschaft helfen, auch wenn ich es meinem Chef noch nicht erzählt habe. Ich glaube nicht, dass das die Art von Hilfe ist, die ich brauchen werde.«

»Wie fühlst du dich?«, fragte er.

»Gut«, antwortete sie. »Ausgezeichnet.«

Ein Kellner trat an ihren Tisch, reichte ihnen die Speisekarten, nahm die Getränkebestellungen entgegen und entfernte sich wieder.

»Nur zu«, forderte Paul sie auf. »Wirf einen Blick in die Karte, und schau mal, was du gerne zu Mittag essen würdest.«

»Ich habe, äh, im Augenblick keinen wirklichen Hunger.«

»Aber Terri, du musst doch essen. Du versorgst jetzt zwei Körper, und einer davon wächst noch.« Dann lächelte er sie freundlich an. »Ich weiß. Ich bin auch etwas nervös, und ich glaube, diese Ängste werden wir hinter uns lassen müssen, wenn wir das schaffen wollen.«

»Klar.« Sie blickte in ihre Speisekarte, die sie so hoch hielt, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Dahinter nahm er jedoch eine Bewegung wahr, die nahelegte, dass sie sich die Augen wischte. Dann ließ sie die Karte wieder sinken. Und als der Kellner mit Wasser und Eistee neben ihnen stand, sagte sie: »Ich werde nur einen Salat essen.«

»Ich nehme eine Lasagne. Dazu Brot. Und bringen Sie der Lady bitte auch noch eine Minestrone zu ihrem Salat.« Als der Kellner gegangen war, wandte Paul sich wieder ihr zu: »Mach dir keine Sorgen, Terri. Es wird uns irgendwann leichter fallen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Hast du es deinen Eltern schon gesagt?«

Sie senkte den Blick. »Meiner Mutter habe ich es erzählt. Meine Eltern sind geschieden, und ich hatte nie viel Kontakt mit meinem Dad.« Verlegen schaute sie auf. »Sie würde dich gern einmal kennenlernen.«

»Sicher.« Paul setzte sich in seinem Stuhl zurück. »Nachdem wir Zeit hatten, die Dinge ein wenig zu klären, hm?« Sie nickte. Diese Frau war weit von dem Energiebündel entfernt, das er vor einem Jahr kennengelernt hatte. Heute war sie kleinlaut, verlegen und unterwürfig. Gut, er hatte sie nicht wirklich gekannt, aber im Augenblick war es, als würde er sie überhaupt nicht kennen. Selbst wenn er sich noch so sehr wünschte, dass das alles nicht wahr wäre – er musste einfach einsehen, dass es für sie schwieriger war als für ihn. Sie war so gut zu ihm gewesen. Er hasste es, sie zu verletzen.

»Und du? Hast du es deinen Eltern erzählt?«

Er lachte kurz. »Nein. Ich denke, damit werde ich auch noch ein wenig warten.«

»Werden sie ausflippen?«

Wieder lachte er. »Nun, ich denke, sie werden überrascht sein. Vorsichtshalber sollte ich wohl meinen Erste-Hilfe-Kurs mal auffrischen.«

»Oh.« Reflexartig legte sie sich eine Hand auf den Bauch.

Sogleich griff Paul nach ihrer anderen Hand und hielt sie fest, um sie zu beruhigen. »Terri, du musst keine Angst haben, dass sie ein Problem für dich sein könnten. Meine Eltern sind wirklich anständige Menschen. Selbst wenn sie von mir zutiefst enttäuscht wären, dir und deinem Kind werden sie mit Freundlichkeit begegnen. Mit Respekt.«

»Unserem Kind«, korrigierte sie ihn leise, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen hatte.

Darauf ging Paul nicht ein. Vielleicht würde er irgendwann an den Punkt gelangen, aber so weit war er noch nicht. Wenn er daran dachte, war es entweder ihr Baby oder sein Baby, aber niemals ihr gemeinsames Baby. »Warst du schon beim Arzt?«

»Nur einmal, um mir bestätigen zu lassen, was ich längst wusste. Du weißt doch, ich bin noch nicht sehr weit.«

Er wusste genau, wie weit sie war. Fast bis auf die Minute. »Und wann ist der voraussichtliche Geburtstermin …?«

»November. Der zwanzigste.«

»Bist du mit dem Arzt zufrieden?«

»Es ist eine nette Ärztin.« Terri zuckte mit den Achseln. »Sie ist mir empfohlen worden …«

Zu Pauls großer Erleichterung wurde ihnen das Essen gebracht. Er wartete, bis Terri ein paar Bissen zu sich genommen hatte, erst dann begann er, selbst zu essen. Dabei ertappte er sich dabei, sie im Auge zu behalten, weil er sicher sein wollte, dass sie tatsächlich aß. So saßen sie in einem ungemütlichen Schweigen beieinander. Nach ein paar Minuten zog er eine Visitenkarte aus der Hemdtasche, drehte sie kurz um, um sich zu vergewissern, dass es auch die richtige war, und schob sie ihr über den Tisch zu. »Hier sind meine Telefonnummern, privat, bei der Arbeit und mein Handy. Ich habe zwar deine Privatnummer, aber ich weiß nicht, wo du arbeitest. Du bist Sekretärin, nicht wahr?«

Sie nickte. »Anwaltssekretärin. Ich denke daran, eine Ausbildung zur Rechtsassistentin zu machen.«

»Hey, das ist großartig.«

»Na ja, das war, bevor ich …«

Es gefiel ihm, dass sie eigene Ziele hatte, etwas, worauf sie sich freuen konnte, zumal er ihr in dieser Hinsicht wenig zu bieten hatte. Auch wird sie damit bessere Aussichten auf ein höheres Einkommen haben, dachte er. Denn sie wird eine berufstätige Mutter sein. Oder … vielleicht sollte sie auch lieber nicht arbeiten müssen. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. »Hör zu, es ist schwer, langfristige Pläne zu machen, wenn man kurzfristige Probleme hat. Aber wenn das etwas ist, was du wirklich machen willst, dann gib die Idee nicht auf. Noch nicht. Anscheinend entwickeln die Dinge sich immer irgendwie so, wie es sein soll. Du wirst überrascht sein.«

»Im Augenblick fällt es mir ein bisschen schwer, so etwas zu klären. Solche Fragen …«

»Worüber machst du dir sonst noch Sorgen?«

»Nun, ich wohne in einem kleinen Apartment in der oberen Etage. Es ist ein schönes Apartment. Du kennst es. Als alleinstehende Frau wohnt man gern ganz oben. Das ist sicherer, schon allein deshalb, weil es weniger Möglichkeiten gibt einzubrechen. Aber alleinerziehende Mütter werden damit wahrscheinlich große Probleme haben. Babys brauchen eine Menge Ausrüstung. Verstehst du?«

Kinderwagen, Windeltasche, Autositz, Babyschaukel, Reisebett und so weiter. Jahrelang hatte er seinen Brüdern dabei zugesehen, wenn sie ins Haus ihrer Eltern gestapft kamen, beladen mit all diesen Babysachen. Es war eine steile Treppe, die zu ihrem Apartment führte. Sie sollte in einem Haus wohnen, dachte er. In einer sicheren Umgebung. Er glaubte zu fühlen, wie eine Migräne im Anzug war. Die erste seines Lebens.

»Ich habe keine Rücklagen«, fuhr sie fort. »Ich komme ganz gut zurecht, kann aber keine großen Sprünge machen. Mein Büro zahlt sechs Wochen Urlaub und gewährt auf Wunsch eine Freistellung bis zu sechs Monaten. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass sechs Wochen nicht reichen werden. Nicht bei einem Neugeborenen. Und dann … was ist mit der Kinderbetreuung? Ich habe noch nicht einmal gemerkt, dass sich das Baby bewegt, und mache mir jetzt schon Sorgen darüber, ihn bei einer fremden Person zu lassen. Oder sie. Ihn oder sie.«

Paul lächelte freundlich. »Versuche doch, dir über solche Dinge jetzt noch nicht den Kopf zu zerbrechen, Terri. Du wirst diese Entscheidungen nicht allein treffen müssen. Lass nicht zu, dass du deswegen schlaflose Nächte hast. Ich werde mit anpacken.«

»Anpacken? Wie denn?«

»Nun, finanziell und hoffentlich auch bei der Betreuung.«

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