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Für immer - Blue

Operation Heartbreaker: Besiege die Gefahr, vertraue deinen Freunden - und verschenke nie dein Herz.

Für Lucy hat die Liebe einen Namen: Blue McCoy. Als der attraktive Navy SEAL damals die Stadt verließ, wusste sie zwar, dass er dem Ruf nach Abenteuer, nach Gerechtigkeit folgen musste. Trotzdem tat es weh. Doch jetzt ist Blue zu Besuch in Hatboro Creek, genauso sexy und selbstbewusst wie damals. Für Lucy, die inzwischen Polizistin geworden ist, beginnt alles von vorn: Das Herzklopfen, die Hoffnung - und die Angst, dass Blue genauso schnell verschwindet wie er gekommen ist und ihr Herz als Scherbenhaufen zurücklässt. Aber dann wird sein Halbbruder ermordet. Schnell spricht alles dafür, dass Blue der Täter ist. Plötzlich ist Lucy ihrem Helden ganz nah - als Polizistin, die den Fall aufklären muss …


  • Erscheinungstag: 01.04.2010
  • Aus der Serie: Operation Heartbreaker
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862782741
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Lieutenant Blue McCoy führte sechs Männer über morastigen Boden. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich durch die Dunkelheit. Stück für Stück suchte er die weiche Erde nach Sprengfallen und Landminen ab‚ bevor er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte.

Vor ihnen befand sich ein Dickicht‚ und er registrierte jeden Schatten‚ jedes Blatt‚ jeden Zweig. Blue McCoy achtete auf jede noch so kleine Bewegung.

Die Geräusche der Nacht umgaben ihn. Insekten summten und zirpten‚ irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Plötzlich rief eine Eule durch die Dunkelheit. Mit ihrem gespenstischen Schrei behauptete sie sich als Herrin dieser nächtlichen Szenerie‚ als Königin dieser zwielichtigen Welt.

Blue McCoy gehörte in diese Welt. Eine Welt‚ in der er seine Männer so lautlos durch die Finsternis führte‚ dass nicht einmal die Ameisen zu ihren Füßen sie bemerkten.

Die Alpha Squad hatte über eine Stunde gebraucht‚ um das freie Feld zu überqueren. Noch fünf Meter‚ und die Männer würden im Schutz des Dickichts untertauchen. Dann konnten sie sich schneller fortbewegen. Schneller‚ aber nicht weniger vorsichtig.

Blue lauschte. Er verschmolz mit dem Land um sich herum‚ wurde eins mit der Nacht. Sein Herz schlug langsam im stillen‚ uralten Rhythmus der Erde. Er dachte nichts – an nichts als daran‚ zu überleben. All der Lärm der Air-Force-Basis‚ wo das SEAL-Team noch vor zehn Stunden gewesen war‚ war längst der Nacht gewichen. Hinter ihm waren sechs Männer‚ aber Blue vernahm nicht den geringsten Laut. Dass sie da waren‚ wusste er nur‚ weil er darauf vertraute und nicht im Geringsten daran zweifelte. Die anderen SEALs gaben ihm Rückendeckung‚ während er sie führte. Er wusste‚ dass sie sterben würden‚ um ihn zu beschützen. Das wusste er mit derselben Gewissheit‚ mit der er sein Leben für sie opfern würde.

Blue roch etwas und verharrte. Er nahm einen schwachen‚ moschusartigen Geruch wahr‚ atmete noch einmal tief ein. Es musste sich um ein Tier handeln‚ das sich genauso lautlos durch die Nacht bewegte wie er. Es war kein menschlicher Geruch‚ und daher nicht von Interesse. Denn heute Nacht war Blue auf menschliche Beute aus.

Geradewegs durch den Wald‚ direkt da vorn‚ nur vierzig Meter von ihnen entfernt‚ lag eine Hütte. Laut der Spione der Federal Intelligence Commission‚ kurz FInCOM‚ befand sich dort Karen‚ die fünfzehn Jahre alte Tochter von US-Senator Mike Branford. Die letzten Infrarotaufnahmen der Satelliten hatten gezeigt‚ dass außerdem mindestens vier ihrer Entführer in der Hütte waren. Weitere zehn Personen schliefen in einem zweiten Gebäude‚ das etwa zwanzig Meter nordöstlich lag. Und zwei fünf Mann starke Terroristen-Patrouillen überwachten den Wald in der näheren Umgebung. Vor wenigen Minuten hatte sich eine der Gruppen Blue und der Alpha Squad auf fast zwei Meter genähert. Der Kommandant hatte sich eine Zigarette angezündet und das rauchende Streichholz weggeworfen. Nur Zentimeter von Blues Hand entfernt war es zu Boden gefallen‚ bevor der Terrorist seinen Männern befohlen hatte weiterzugehen.

Mit ihren grün-schwarz bemalten Gesichtern‚ ihrer intensiven SEAL-Ausbildung‚ ihrer Erfahrung und Disziplin waren die Männer der Alpha Squad unsichtbar‚ umarmt von der Dunkelheit und eingehüllt vom Mantel der Nacht.

Nachdem sich die SEALs im Dickicht positioniert hatten‚ das um die Hütte herum wuchs‚ drehte sich Blue um und sah seinen Commander und Freund Joe Catalanotto an. Blue konnte Joe Cats Gesicht in der Dunkelheit zwar kaum erkennen‚ aber er sah ihn nicken.

Es war an der Zeit‚ loszulegen.

Aus dem Augenwinkel nahm Blue die schleichenden Bewegungen von Cowboy‚ Lucky‚ Bobby und Wes war. Sie verblassten‚ während die Männer in nordöstliche Richtung auf das zweite Bauwerk zusteuerten. Sie würden das Gebäude sichern und die Terroristen darin ausschalten.

Joe Cat und Harvard blieben vor der Hütte; Blue würde hineinklettern‚ sich das Mädchen schnappen und es da rausholen.

Harvard stand Wache‚ während Joe und Blue die Hütte auskundschafteten‚ insbesondere das Fenster‚ das Blue als Einstieg benutzen sollte. Nichts. Es gab keine Sprengfallen‚ keinen Alarm‚ keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen was sicher daran lag‚ dass die Hütte im Radius von einem halben Kilometer ja mit Sprengfallen‚ Alarmsystemen und bewaffneten Sicherheitspatrouillen gesichert war.

Vielleicht lag es auch daran‚ dass Aldo Fricker‚ der Anführer der Terroristen‚ Regel Nummer Eins vergessen hatte: Verlass dich nie auf Vermutungen. Die Terroristen ließen ihre verwundbare Seite ungeschützt‚ weil sie angenommen hatten‚ dass niemand den streng bewachten Umkreis des Geländes durchdringen konnte.

Sie hatten sich getäuscht.

Al Fricker‚ darf ich vorstellen: Alpha Squad‚ SEAL-Team Ten.

Joe Cat schnitt schnell und leise die Fensterscheibe der Hütte heraus. Harvard stützte Blues Fuß ab‚ und schon war er drinnen.

Mit dem Nachtsichtgerät sah Blue sich in Windeseile um; er entdeckte die junge Senatorentochter sofort. Sie lag zusammenkauert auf einem alten Messingbett‚ das in der südöstlichen Ecke des Raums stand. Soweit er es beurteilen konnte‚ lebte sie noch. Die vier Wachen schliefen in Schlafsäcken oder hatten sich auf dem blanken Boden bei der Tür ausgestreckt. Blue nahm das Nachtsichtgerät ab und wartete einige Sekunden‚ bis sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er lauschte auf den leisen Atem der schlafenden Wachen. Es wäre schlecht‚ das Mädchen zu wecken‚ wenn er das Gerät noch trug und damit wie ein Alien aussah. Sie wäre so schon verängstigt genug.

Er nahm vier Spritzen aus seiner Kampfweste und schlich durch das Zimmer. Jedem der Wachen verabreichte er eine sorgsam gewählte Dosis Schlafmittel. Er schob die Schutzkappen auf die Nadeln und stopfte die nun leeren Spritzen in einen Beutel. Schnell durchsuchte er die Hütte‚ um sicherzugehen‚ dass keine weiteren Terroristen auf der Lauer lagen. Dann ging er zu der Tochter des Senators.

Er schaltete die Taschenlampe an‚ schirmte das Licht mit einer Hand ab und blickte auf das schlafende Mädchen herunter. Sie hatte sich zusammengerollt‚ die Knie an die Brust gezogen. Ein Arm lag oben‚ das Handgelenk war an das Messinggestell des Betts gefesselt. Ihr Haar war wirr und verknotet‚ Schmutz und Blut aus Schürfwunden bedeckten ihr Gesicht‚ die bloßen Arme und Beine. Sie trug blaue Shorts und ein ärmelloses Top. Beide waren zerrissen.

Die Bastarde hatten ihr wehgetan. Karen. Sie hieß Karen Branford. Sie hatten sie geschlagen‚ vermutlich vergewaltigt. Verdammt‚ sie war fünfzehn Jahre alt!

Zorn erfüllte ihn. Heiß‚ zähflüssig und tödlich. Blue spürte‚ wie er durch seinen Körper sickerte‚ unter die Haut und ihn bis zu den Fingern und Zehen ausfüllte. Dieses Gefühl war ihm bei der Arbeit vertraut. Für gewöhnlich war er froh darüber. Aber in dieser Nacht bestand seine Aufgabe nicht darin‚ zurückzuschlagen. Heute Nacht sollte er dieses übel zugerichtete kleine Mädchen hier rausholen und sie in Sicherheit bringen.

Blue zog das Mikrofon seines Headsets dichter an seinen Mund. „Cat“‚ sagte er fast lautlos zu seinem Commander. „Sie haben sie verletzt.“

Joe Catalanotto fluchte. „Schlimm?“

„Ja.“

„Kann sie laufen?“

„Ich weiß es nicht“‚ erwiderte Blue.

Er drehte sich wieder dem Mädchen zu und erkannte am veränderten Klang ihres Atems‚ dass sie wach war. Wach und angsterfüllt.

Schnell kniete er sich neben sie und hielt die Taschenlampe so‚ dass sie sein mit Tarnfarben bemaltes Gesicht beleuchtete.

„Ich bin Lieutenant Blue McCoy‚ Miss“‚ sagte er mit gesenkter Stimme. „Ich bin ein US Navy SEAL‚ und ich bin hier‚ um Sie nach Hause zu bringen.“

Aus großen Augen starrte sie ihn an‚ sah auf seine Uniform und seine Waffe. Blue wusste‚ dass sie ihn nicht verstanden hatte.

„Ich bin ein amerikanischer Soldat‚ Karen“‚ erklärte er. „Ich bin ein Freund von Ihrem Daddy‚ und ich werde Sie hier rausholen.“

Bei der Erwähnung ihres Vaters flackerten gleichzeitig Einsicht und Hoffnung in ihren braunen Augen auf. In einem vergeblichen Versuch‚ den Anstand zu wahren‚ hatte sie sich das zerrissene Shirt zugehalten‚ doch jetzt ließ sie es los‚ um die Hand vor seine Taschenlampe zu halten.

„Pst“‚ flüsterte sie. „Sie wecken die Wachen auf.“

„Nein‚ tue ich nicht“‚ antwortete Blue. „Sie werden für eine ganze Weile nicht aufwachen. Und wenn sie es tun‚ werden sie bereits im Gefängnis sitzen.“ Er zog einen Dietrich aus seiner Weste und begann‚ die Handschellen zu bearbeiten. Nach drei Sekunden schnappte das Schloss auf.

Während sie sich das Handgelenk rieb‚ setzte er den Rucksack ab‚ schlüpfte aus seiner Kampfweste und knöpfte eilig das Tarnhemd auf‚ das er darunter trug. Es war feucht vom Schweiß und roch wahrscheinlich nicht besonders gut. Aber es war das Beste‚ was er ihr unter diesen Umständen anbieten konnte.

Sie nahm es schweigend entgegen‚ streifte es über und knöpfte es bis oben zu.

Blue zollte ihr große Anerkennung. Nach dem ersten Schrecken und der anfänglichen Angst hielt sie seinem Blick nun unnachgiebig stand‚ klar und tapfer. Er hatte braune Augen wie diese schon einmal irgendwo gesehen‚ vor einer halben Ewigkeit. Sie war auch fünfzehn Jahre alt gewesen …

Lucy. Die kleine Lucy Tait. Verdammt‚ er hatte seit Jahren nicht an sie gedacht.

Blue sah auf seine Armbanduhr und überprüfte die Zeit zwei Mal. Die Ablenkungsmanöver mussten gleich beginnen. Blue atmete tief ein‚ sah Karen an und fragte sie leise: „Können Sie laufen?“

Das junge Mädchen stand auf. Der Stoff von Blues Hemd reichte ihr bis über die Knie. „Mehr als das“‚ antwortete sie beherzt. „Ich kann rennen.“

Zum ersten Mal seit Stunden lächelte Blue. „Also gut. Los geht’s.“

Sie hatten das Dickicht halb durchquert‚ als Blue die ersten Schüsse hörte. Joe Cat und Harvard waren dicht hinter ihm. Blue spürte‚ wie sie sich zu den Gefechtsgeräuschen umwandten und sich fragten‚ welche ihrer Männer darin verwickelt waren. Sie wünschten‚ sie könnten umkehren und ihnen helfen‚ ihnen Rückendeckung geben.

„Das ist der falsche Weg“‚ hörte Blue Karen nach Luft ringend sagen. Sie befreite sich aus seinem Griff und sah sich gehetzt um.

Er umfasste wieder ihren Arm. „Nein‚ es ist nicht …“

„Doch‚ ich weiß es genau“‚ beharrte sie. „Ich habe schon einmal versucht‚ über diesen Weg zu flüchten. Da sind nichts als Klippen. Es gibt keinen Pfad zum Meer herunter. Wir werden in der Falle sitzen!“

Das Mädchen hatte zu fliehen versucht! Blue staunte über ihren Mut. Sie war tough. Wieder musste er an Lucy Tait denken. Er war in der Oberstufe gewesen‚ Lucy ein Frischling. Als sie sich das erste Mal begegneten‚ wurde sie gerade von ein paar Kids verprügelt. Sie blutete‚ und die Chancen standen nicht besonders gut für sie. Und trotzdem hob sie trotzig das Kinn und funkelte die anderen aus braunen Augen an‚ als wollte sie sagen: „Ihr könnt mir gar nichts anhaben!“

Blue hörte Cowboys Stimme über das Headset. „Cat! Etwa vier Tangos sind ausgebrochen. Sie laufen in deine Richtung!“

„Verstanden“‚ erwiderte Cat. Er wandte sich an Blue. „Geh.“

„Wir machen einen Fallschirmsprung ins Meer“‚ erklärte Blue Karen. „Dort wartet ein Schiff auf uns.“

Sie verstand nicht‚ was er meinte. „Fallschirm? Wie?“

„Vertrauen Sie mir“‚ sagte er.

Karen zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde‚ dann nickte sie.

Dann rannten sie wieder‚ ohne Cat und Harvard.

Der Wald führte auf ein Feld‚ und Blue fühlte sich verletzbar und ungeschützt. Wenn einer der Terroristen durch Cats und Harvards Hinterhalt käme … Aber das würden sie nicht.

„Schaltet für mich so viele wie möglich von ihnen aus“‚ sagte er in sein Mikrofon und hörte‚ wie Joe Catalanotto in sich hineinlachte.

„Aber sicher‚ Kumpel.“

Blue blieb am Rand der Klippe stehen. Er stellte die Riemen seines Rucksacks neu ein‚ sodass Karen an ihn gegurtet war und sie zusammen zum Wasser segeln konnten.

Das Mädchen beklagte sich nicht und sagte kein Wort. Dennoch war er sicher‚ dass die körperliche Nähe sie an die Brutalitäten erinnern musste‚ die sie während der vergangenen vier Tage hatte erdulden müssen.

Doch darüber konnte er nicht nachdenken; er konnte sich keine Gedanken über ihren Schmerz machen‚ nicht jetzt. Er musste sich auf das Schiff konzentrieren‚ das auf den Wellen tänzelte und in der Nacht unsichtbar war.

Er schaltete das Radargerät in seiner Weste ein und sah das Blinken und hörte das Piepsen‚ aus dem er schloss‚ dass das Schiff tatsächlich hier draußen war.

„Festhalten“‚ sagte er freundlich zu dem Mädchen‚ und dann sprang er.

Blue stand auf dem Deck der USS Franklin‚ als der Hubschrauber mit dem Rest der Alpha Squad aufsetzte.

Er versuchte‚ sie schnell durchzuzählen. Es war ein Reflex aus der Zeit vor so vielen Jahren‚ als es Frisco getroffen hatte. Er war zwar nicht im Dienst gestorben‚ aber was geschehen war‚ war fast noch schlimmer: Er hätte um ein Haar sein Bein verloren. Frisco hatte sich davon immer noch nicht erholt. Er saß immer noch im Rollstuhl‚ und er war immer noch irre wütend deswegen.

Frisco war der inoffizielle Botschafter der guten Laune in der Alpha Squad gewesen. Sympathisch und unbeschwert‚ war er mit jedem schnell ins Gespräch gekommen und hatte genauso schnell Freundschaften geschlossen. Er hatte viel Sinn für Humor und einen wachen Verstand. Wo auch immer er auftauchte‚ lächelten selbst Fremde bald. Und Friscos Wärme war echt. Er war eine wandelnde Party. Er hatte immer Spaß‚ in welcher Situation auch immer.

Und Alan „Frisco“ Francisco war der einzige SEAL‚ den Blue kannte‚ der die Höllenwoche – den Hell Week genannten Ausdauertest in der Grundausbildung – tatsächlich genossen hatte.

Aber als man Frisco gesagt hatte‚ dass er nie mehr würde laufen können‚ hatte er aufgehört zu lächeln – für immer. Sein Bein nicht benutzen zu können‚ war für ihn das Schlimmste‚ was ihm je hätte passieren können. Vielleicht sogar schlimmer‚ als zu sterben.

Blue beobachtete‚ wie die Männer aus den breiten Türen des Helikopters sprangen: Zuerst Joe Cat‚ das lange dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Ein Lächeln erhellte seine ernste Miene‚ was fast immer der Fall war‚ seit er geheiratet hatte. Neben ihm sprang Harvard aus dem Hubschrauber. Sein kahl rasierter Kopf glänzte wie eine polierte Bowlingkugel. Er sah sehr groß‚ sehr gemein und sehr Furcht einflößend aus. Dann kamen Bobby und Wes‚ die zweieiigen Zwillinge: der eine breit und groß‚ der andere drahtig und klein. Trotzdem bewegten sie sich wie eine Einheit‚ beendeten sogar die Sätze des anderen. Dann kam Lucky O’Donlon‚ Friscos Schwimmkumpel‚ und der Neue‚ Cowboy. Harlan „Cowboy“ Jones hatte in dem Einsatz‚ in dem Frisco verletzt worden war‚ Lucky ersetzt‚ danach war er für Frisco eingesprungen. Inzwischen waren daraus Jahre geworden.

Sie waren alle da. Alle atmeten‚ alle liefen.

Joe Cat entdeckte Blue und ging auf ihn zu.

„Alles okay?“‚ fragte er.

Blue nickte und steuerte mit Joe auf die Treppe zu‚ die unter Deck führte. „Der Arzt hat das Mädchen untersucht“‚ erzählte er. „Sie ist gerade beim Psychiater.“ Er schüttelte den Kopf. „Vier Tage‚ Cat. Warum zum Teufel haben sie so lange gebraucht‚ um uns hinzuschicken?“

„Weil Durchschnittspolitiker und Bürohengste keine Ahnung haben‚ was ein SEAL-Team erreichen kann.“ Joe Cat löste seine Kampfweste und ging direkt in den Speisesaal.

„Also wird ein fünfzehn Jahre altes Mädchen vier Tage lang brutal misshandelt‚ während wir rumsitzen und Däumchen …“

Cat blieb plötzlich stehen und drehte sich zu Blue um. „Ja‚ das regt mich auch auf“‚ erwiderte er. „Aber jetzt ist es vorbei. Lass es gut sein.“

„Glaubst du‚ Karen Branford wird es gut sein lassen?“

Blue las in Cats dunklen Augen‚ dass ihm die Antwort auf diese Frage nicht gefallen würde. „Sie lebt“‚ sagte er leise. „Das ist weit besser als die Alternative.“

Blue atmete tief ein. Er hatte recht. Cat hatte recht. Hörbar atmete er aus. „Tut mir leid.“ Sie gingen weiter. „Es ist nur … Das Mädchen hat mich an jemanden erinnert‚ den ich in Hatboro Creek kannte. Ein Mädchen namens Lucy‚ Lucy Tait.“

Joe Cat betrachtete ihn gespielt überrascht‚ während sie um die Ecke zum Speisesaal schlenderten. „Jo“‚ sagte er. „Habe ich dich richtig verstanden? Du hast tatsächlich andere Mädchen in Hatboro Creek gekannt außer Jenny Lee Beaumont? Ich dachte‚ die Sonne geht mit Jenny Lee auf und unter. Und alle anderen Mädchen werden unsichtbar in ihrem glanzvollen Schein.“

Blue überhörte Cats scherzhaften Tonfall standhaft. „Lucy war kein Mädchen“‚ erklärte er und goss schwarzen dampfenden Kaffee in einen Pappbecher. „Sie war … ein Kind.“

„Vielleicht solltest du mal bei ihr vorbeischauen‚ wenn du in South Carolina bist.“

Blue schüttelte den Kopf. „Das glaube ich kaum.“

Cat nahm einen Becher vom Regal und betrachtete Blue spekulierend. „Willst du wirklich zu dieser Hochzeit gehen?“‚ fragte er. „Weißt du‚ ich könnte ein wichtiges Training einrichten‚ wenn du eine Entschuldigung brauchst.“

„Es ist die Hochzeit meines Bruders.“

„Gerry ist dein Stiefbruder“‚ bemerkte Cat. „Und zufällig heiratet er Jenny Lee‚ deine Highschool-Liebe und die einzige Frau‚ über die ich dich je habe sprechen hören – mit Ausnahme von Lucy Tait jetzt.“

Blue trank einen Schluck Kaffee. Er war stark und heiß‚ es brannte in seinem Hals. „Ich habe ihm versprochen‚ sein Trauzeuge zu sein.“

Joe Cat biss die Zähne zusammen‚ während er Blue musterte. Ein Muskel seiner Wange zuckte. „Er hätte dich nicht darum bitten sollen“‚ sagte er. „Er will dich da haben‚ damit du ihm Brief und Siegel auf deine Zustimmung gibst. Dann kann er aufhören sich dafür schuldig zu fühlen‚ dass er dir Jenny Lee weggenommen hat.“

Blue zerknüllte den leeren Pappbecher in der Hand und warf ihn in den Müll. „Er hat sie mir nicht weggenommen. Sie war von Anfang an in ihn verliebt.“

1. KAPITEL

Es würde die Hochzeit des Jahres werden – nein‚ die Hochzeit des Jahrzehnts! Und Lucy Tait würde dabei sein.

Oh‚ nicht dass sie eingeladen war. Nein‚ Lucy würde keine der edlen Einladungskarten erhalten‚ keine goldenen Buchstaben auf schwerem cremefarbenen Papier‚ auf keinen Fall. Sie würde als Hilfskraft bei der Hochzeitsfeier dabei sein. Zuerst‚ um den Verkehr vor Hatboro Creeks schickem Countryclub zu regeln. Und dann‚ um die teuren Hochzeitsgeschenke im Ballsaal zu bewachen.

Lucy richtete sich den Kragen ihrer Polizeiuniform‚ während sie in ihrem Streifenwagen die Main Street entlangfuhr und nach einem Parkplatz in der Nähe von Bobby Joe’s Grill suchte.

Nicht‚ dass sie damit gerechnet hätte‚ zu Jenny Lee Beaumonts Hochzeit eingeladen zu werden. Sie hatte sich nie in deren Kreisen bewegt‚ nicht einmal zu Highschool-Zeiten. Aber‚ Mann … damals‚ als Lucy noch die schlanke Neuntklässlerin gewesen war und Jenny Lee die blonde schöne Homecoming Queen aus der Oberstufe‚ damals‚ da wollte Lucy unbedingt zu Jenny Lees exklusivem Klub dazugehören.

Sie hätte das natürlich niemals zugegeben. Genau‚ wie sie niemals den wahren Grund zugegeben hätte‚ warum sie so verzweifelt in Jenny Lees Nähe hatte sein wollen. Nämlich wegen Blue McCoy.

Blue McCoy.

Gerüchten zufolge kehrte er zur Hochzeit seines Stiefbruders zurück in die Stadt.

Blue McCoy.

Mit dem dunkelblonden Haar und seinen tiefblauen Augen‚ bei deren Anblick ihr jedes Mal fast das Herz stehen blieb‚ hatte Blue McCoy Lucy damals bis in ihre Träume verfolgt. Er war der Held ihrer Teenagerjahre – ein Einzelgänger‚ still‚ düster und gefährlich‚ der so gut wie alles konnte.

Inklusive‚ das Herz von Jenny Lee Beaumont für sich zu gewinnen.

Jenny Lee würde am Samstagnachmittag allerdings nicht Blue McCoy heiraten. Sie gab seinem Stiefbruder Gerry das Jawort. Er war zwei Jahre älter als Blue‚ hatte ein verschmitztes Lächeln‚ sah so gut aus wie ein Filmstar und hatte ein unbekümmertes Wesen. Manche würden Gerry für den Attraktiveren der McCoy-Brüder halten.

Jenny Lee offensichtlich.

Einen Block vom Restaurant entfernt fand Lucy eine Parklücke und stellte den leistungsstarken Motor ihres Streifenwagens aus. Nachdem sie kurz überlegt hatte‚ drehte sie den Zündschlüssel wieder und drückte auf den Schalter für den elektronischen Fensterheber. Der sommerliche Himmel wirkte bedrohlich. Lucy hätte wetten können‚ dass es anfing zu schütten‚ bevor sie aufessen konnte.

Während sie über den Bürgersteig eilte‚ vergewisserte sie sich‚ dass die Waffe sicher in ihrem Schulterholster steckte. Sie war bereits zehn Minuten zu spät dran‚ und im Terminplan ihrer Freundin Sarah war nur genau eine Stunde für die Mittagspause reserviert.

Im Restaurant war es wie gewöhnlich voll‚ aber Sarah hatte einen Tisch ergattert. Lucy rutschte auf die Bank und setzte sich ihrer Freundin gegenüber.

„Tut mir leid‚ dass ich zu spät bin.“

Sarah lächelte lediglich. „Ich hätte schon bestellt“‚ sagte sie. „Aber Iris hat sich noch nicht bis in diese Ecke durchgekämpft.“

Lucy drückte sich gegen die gepolsterte Rückenlehne. Seufzend stieß sie den Atem aus und blies sich dabei den Pony aus der Stirn. „Seit heute Morgen um sieben hetze ich durch die Gegend.“ Sie musterte ihre Freundin. Sarah wirkte erschöpft und erhitzt. Das dunkle Haar hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz gebunden‚ sodass es ihr nicht ins Gesicht fiel. Dunkle Ringe umschatteten ihr braunen Augen. „Wie geht es dir denn?“

„Ich bin im neunten Monat schwanger mit einem Kind‚ das offenbar beschlossen hat‚ erst zur Welt zu kommen‚ wenn es zur Wahl gehen darf“‚ erwiderte Sarah mit trockenem Humor. „Wir haben sechsunddreißig Grad im Schatten‚ ich habe Rückenschmerzen‚ wenn ich mich hinlege‚ mein Ischiasnerv klemmt ein‚ wenn ich sitze. Ich kann meinen Abgabetermin unmöglich einhalten‚ weil ich die letzten drei Tage damit verbracht habe‚ zu kochen statt zu schreiben. Mein Mann ist in den letzten achtundvierzig Stunden außerhalb seiner Schicht im Krankenhaus gerade mal für vier Stunden zu Hause gewesen. Meine Schwiegermutter ruft alle fünf Minuten an‚ um zu erfahren‚ ob die Fruchtblase schon geplatzt ist. Ich vermisse das Leben in Boston‚ und das hier ist seit etwa einer Woche meine erste Gelegenheit‚ jemandem das alles zu erzählen.“

Lucy lächelte amüsiert. „Dann hör jetzt nicht damit auf.“

„Nein‚ nein‚ ich bin fertig.“ Sarah fächelte sich mit der Serviette Luft zu.

„Tag‚ Ladies.“ Iris nahm sich den Stift vom Ohr und setzte ihn auf ihren Bestellblock. „Was kann ich euch heute bringen?“

„Ich hätte gern etwas mit Marzipan“‚ sagte Sarah.

Iris seufzte gutmütig und schob sich eine Strähne ihrer roten Locken zurück auf den Haarknoten. „Honey‚ ich habe es dir einmal schon gesagt. Wenn es nicht auf der Karte steht …“

„Ich brauche Marzipan“‚ stieß Sarah fast verzweifelt hervor. „Mandelcreme. Oder vielleicht ein Stück vom Obstkuchen‚ den meine Mutter gemacht hat. Seit Tagen kann ich an nichts anderes denken …“

„Wir nehmen beide ein Truthahn-Sandwich“‚ erklärte Lucy gelassen. „Vollkorn‚ Senf‚ keine Mayonnaise‚ mit Extra-Gurken.“

„Sorry‚ Süße“‚ murmelte Iris und sah Sarah an‚ bevor sie zum nächsten Tisch ging.

„Mein Leben“‚ verkündete Sarah dramatisch‚ „besteht aus einer einzigen Abfolge von Enttäuschungen.“

Lucy musste lachen. „Du bist mit dem nettesten Typen der Stadt verheiratet‚ bekommst ein Baby‚ hast gerade einen Preis für deine Musik gewonnen – und du bist enttäuscht?“

Sarah lehnte sich vor. „Ich bin entsetzlich neidisch auf dich“‚ entgegnete sie. „Du hast immer noch eine schlanke Taille. Du kannst deine Füße sehen‚ ohne dass du dir den Hals verdrehen musst. Du …“ Sie hörte mitten im Satz auf zu sprechen und blickte starr zur Tür. „Sieh jetzt nicht hin‚ aber ich glaube‚ wir werden überfallen.“

Lucy drehte sich um‚ als die Glastür des Restaurants aufschwang und ein Mann in grüner Armeehose eintrat. Lässig trug er einen schwer wirkenden grünen Seesack über der Schulter.

Er war eindeutig ein Soldat‚ nur dass die Uniform auf den zweiten Blick nicht vorzeigbar aussah. Als Erstes fielen Lucy seine Arme auf. Auf Schulterhöhe waren die Ärmel des grünen Hemds abgerissen worden; seine Arme waren muskulös und stark. Er sah aus‚ als könnte er locker das Dreifache seines Körpergewichts stemmen. Er trug das Hemd am Kragen offen und hatte es nur bis zur Brust zugeknöpft. Die Hose saß zweifellos bequem; und anstelle von klobigen schwarzen Armeestiefeln trug er nur Sandalen.

Er hatte eine Sonnenbrille auf‚ aber sein Blick schweifte schnell durch den Raum. Lucy konnte sich vorstellen‚ dass ihm wenig entging.

Sein Haar war dicht und dunkel-‚ nein‚ sandblond.

Und sie kannte sein Gesicht.

Lucy hätte Blue McCoy überall erkannt. Dieses starke Kinn‚ diesen festen Mund‚ der so gut wie nie lächelte‚ diese ausgeprägten Wangenknochen und diese gerade Nase … Die zwölf Jahre an mehr Lebenserfahrung seit ihrer letzten Begegnung ließen sein ohnehin ausdrucksstarkes Gesicht noch kraftvoller und stärker erscheinen. In den Fältchen um seine Augen und seinen Mund und in seinen unerbittlich strengen Zügen lagen jetzt auch Mitgefühl und Weisheit.

Als Teenager hatte er schon gut ausgesehen‚ aber als Mann war er atemberaubend attraktiv.

Lucy starrte ihn an. Sie konnte nicht anders. Blue McCoy war zurück in der Stadt. In Überlebensgroße.

Er beendete die kurze Überprüfung des Raums‚ und sein Blick kehrte zu ihr zurück. Während Lucy ihn betrachtete‚ nahm er die Sonnenbrille ab. Er hatte immer noch die blausten Augen‚ die sie je gesehen hatte. Und als er ihrem Blick begegnete‚ fühlte sie sich‚ als würde die Zeit stehen bleiben‚ gebannt.

Er nickte ihr zu‚ nur ganz kurz‚ und lächelte immer noch nicht. Dann huschte Iris an ihm vorbei.

„Setz dich irgendwo hin‚ Süßer!“‚ rief sie ihm zu.

Der Zauber war gebrochen. Blue wandte den Blick von Lucy ab‚ und sie drehte sich wieder zu Sarah um.

„Kennst du den?“‚ fragte Sarah. Ihrem scharfen Blick entging nichts – besonders nicht die Hitze‚ die Lucys Wangen erröten ließ. „Du kennst ihn doch?“

„Nicht richtig‚ nein“‚ erwiderte Lucy und gab dann zu: „Ich meine‚ ich weiß‚ wer er ist‚ aber …“ Sie schüttelte den Kopf.

„Wer ist er?“

Lucy sah wieder auf‚ aber Blue war damit beschäftigt‚ seinen Seesack unter einem Tisch auf der anderen Seite des Raums zu verstauen. „Blue McCoy.“ Lucy sprach den Namen leise aus‚ als könnte er sie von seinem Platz in dem lauten Restaurant hören.

„Das ist Gerry McCoys Bruder? Er sieht ihm überhaupt nicht ähnlich.“

„Sie sind Stiefbrüder“‚ erklärte Lucy. „Blues Mutter hat Gerrys Vater geheiratet‚ ist aber fünf Monate nach der Hochzeit gestorben. Kurz danach hat Mr. McCoy Blue adoptiert. So weit ich gehört habe‚ waren weder Mr. McCoy noch Blue glücklich darüber. Anscheinend haben sie sich nicht so gut verstanden‚ aber Blue konnte nirgendwo anders hin.“

„Ich schätze‚ du hast recht. Immerhin ist er nicht zurückgekommen‚ als Mr. McCoy vor fünf Jahren gestorben ist“‚ bemerkte Sarah.

„Gerry hat mir erzählt‚ dass Blue an der Operation Desert Storm beteiligt war. Er konnte nicht frei bekommen‚ in der besagten Woche jedenfalls nicht. Und Gerry wollte die Beerdigung nicht auf unbestimmte Zeit verschieben.“

„Gerrys Bruder ist in der Armee?“

„In der Navy“‚ korrigierte Lucy sie. „Er gehört zu einer Spezialeinheit der US Navy. Er ist ein Navy SEAL.“

„Ein was?“

„Ein SEAL“‚ sagte Lucy. „Das ist die Abkürzung für sea‚ air und land – die Einsatzorte der Einheit‚ im Meer‚ in der Luft und am Boden. SEALs sind eine Art Superkommando. Sie sind auf alles Mögliche spezialisiert‚ angefangen bei … ich weiß nicht … Unterwasserzerstörung über Fallschirmangriffe bis zu … zum Fliegen von hochmodernen Jets. Sie haben diese verrückten Ausbildungen‚ in denen sie lernen‚ unter unglaublichem Stress im Team zu arbeiten. Es gibt da diese eine Woche‚ die sie ‚Hell Week’ nennen. Sie dürfen nur vier Stunden schlafen – und zwar auf die Woche gerechnet. Sie müssen in Fünfzehn-Minuten-Phasen schlafen‚ während der Luftalarm heult. Wenn sie das Training abbrechen‚ fliegen sie aus dem Programm. Es sind ziemlich schaurige Sachen‚ und nur die härtesten und entschlossensten Männer schaffen es. Ein SEAL zu sein ist ein echtes Statussymbol – aus offensichtlichen Gründen.“

Sarah blickte sich im Raum um‚ ihre Augen glänzten interessiert. „Du hast dir ja verdammt viele Informationen über diesen Mann besorgt – dafür‚ dass du ihn angeblich gar nicht kennst.“

„Ich habe mal was über SEALs und diese Ausbildung gelesen‚ das ist alles.“

„Hmm.“ Sarah zog eine ihrer makellosen Augenbrauen hoch. „Bevor oder nachdem Gerrys Bruder zur Navy gegangen ist?“

Lucy zuckte die Schultern und bemühte sich um einen ungerührten Gesichtsausdruck. „Also war ich auf der Highschool in den Typ verliebt. Aufregend.“

Sarah stützte das Kinn auf eine Hand. „Von allen Leuten hier drinnen nickt er ausgerechnet dir zu“‚ bemerkte sie. „Hattest du mal ein Date mit ihm?“

Lucy konnte nicht anders‚ als bei der Frage zu lachen. „Keine Chance. Ich war drei Jahre jünger‚ und er ist …“

„Was?“

Iris trat an ihren Tisch‚ sie trug zwei große Sandwiches und einen Korb Pommes frites auf einem Tablett. Dankend lächelte Lucy der Kellnerin zu‚ wartete jedoch‚ bis sie gegangen war‚ bevor sie Sarahs Frage beantwortete.

„Er ist mit Jenny Lee ausgegangen.“

„Beaumont… ?“ Sarahs Augen leuchteten auf. „Du meinst dieselbe Jenny Lee‚ die am Samstag seinen Bruder heiratet?“ Als Lucy nickte‚ lachte Sarah leise. „Das ist ja herrlich.“

„Hast du das nicht gewusst?“‚ fragte Lucy. „Ich dachte‚ jeder in der Stadt weiß es. Scheint‚ als würden alle darüber reden – ob Blue McCoy bei der Hochzeit von seinem Stiefbruder und seiner Highschool-Liebe auftaucht.“

„Offensichtlich lautet die Antwort auf diese Frage: Ja“‚ erwiderte Sarah und warf einen Blick auf den uniformierten Mann auf der anderen Seite des Raums.

Lucy aß einen Bissen von ihrem Truthahn-Sandwich. Sie war sehr darauf bedacht‚ sich nicht zu dem Mann umzudrehen‚ den sie so faszinierend fand. Sarah hatte recht. Die Frage‚ ob Blue auf Gerrys Hochzeit erscheinen würde‚ war geklärt. Jetzt würde die ganze Stadt darüber spekulieren‚ ob Blue bei der Feier stören würde oder auf die Füße sprang‚ wenn der Pfarrer sagte: „… der möge jetzt sprechen oder für immer schweigen.“

Die Versuchung wurde zu groß‚ Lucy warf einen Blick über die Schulter. Blue aß und las dabei die Hatboro Creek Gazette‚ die Ausgabe der vergangenen Woche. Das blonde Haar fiel ihm in die Stirn‚ und er strich es mit einer weichen Bewegung zurück‚ bei der sich die Muskeln seines rechten Arms anspannten. Als spürte er Lucys Blick‚ sah Blue auf und direkt in ihre Augen.

In Lucys Magen schien irgendwer Polka zu tanzen. Blitzschnell‚ weil sie sich schuldig fühlte‚ schaute sie weg. Gott‚ man könnte meinen‚ sie wäre wieder fünfzehn und würde am Hafen herumschleichen‚ weil Blue dort arbeitete – in der Hoffnung‚ einen kurzen Blick auf ihn zu erhaschen. Doch er hatte damals keine Notiz von ihr genommen‚ und das würde er jetzt bestimmt auch nicht. Sie entsprach immer noch entschieden nicht dem Jenny-Lee-Beaumont-Typ.

„Was hat seine Mutter wohl dazu gebracht‚ ihn Blue zu nennen?“‚ überlegte Sarah laut.

„Sein richtiger Name ist Carter“‚ erklärte Lucy. „Blue ist ein Spitzname‚ die Kurzform von ‚Blue Streak’.“

„Nicht verraten“‚ sagte Sarah. „Er redet wie ein Wasserfall.“

Lucy musste lachen. Genau dafür war Blue McCoy nicht gerade bekannt. „Ich weiß nicht‚ seit wann er diesen Spitznamen schon hat. Aber er ist ein Läufer. Er hat auf der Junior-High und auf der Highschool alle Geschwindigkeitsrekorde im Sprint und bei Langstreckenläufen gebrochen.“

Sarah nickte und sah an Lucy vorbei‚ um einen weiteren Blick auf Blue zu werfen.

Fast im selben Moment‚ als sich die Himmelspforten mit einem lauten Donner öffneten‚ ging Lucys Polizeifunkgerät an.

„Bericht über einen 415 in Gang‚ Ecke Main und Willow“‚ ertönte Annabellas Stimme krächzend und blechern über den Lautsprecher. „Vielleicht 10-91 A. Lucy‚ wie lautet deine Position?“

Main und Willow war weniger als eineinhalb Blöcke vom Restaurant entfernt‚ es lag in entgegengesetzter Richtung zu ihrem Streifenwagen. Sie brauchte weniger Zeit‚ wenn sie hinjoggte‚ statt sich in den Wagen zu setzen und hinzufahren. Hastig schluckte Lucy einen halbzerkauten Bissen von ihrem Sandwich herunter und drückte auf den Sprechknopf des Funkgeräts. „Joe’s Grill“‚ sagte sie und war schon halb aufgestanden. „Ich übernehme das. Aber wenn du nicht willst‚ dass ich bei meinem Auto Pause mache und im Handbuch nachschlage‚ sag mir lieber‚ was ein 10-91 A ist.“

Annabella Sawyer‚ die Fahrdienstleiterin der Polizei‚ hatte sich etwas übereifrig in die Zahlencodes der California Police vertieft – ungeachtet der Tatsache‚ dass sie sich in South Carolina befanden. Und dass Hatboro Creek so klein war‚ dass sie nicht einmal die Hälfte der Codes brauchten. Ganz zu schweigen davon‚ dass kein Cop hier irgendwelche Codes auswendig lernen musste. Annabella benutzte sie trotzdem gern. Offensichtlich sah sie zu viele Reality-Serien im Fernsehen.

Lucy wusste trotzdem‚ was ein 415 war- diese Zahl hatte sie oft genug gehört. Ein 415 war eine Ruhestörung. Sogar in einer so winzigen Stadt wie Hatboro Creek kamen die häufig vor.

„Ein 10-91 A meldet ein wildes Tier“‚ antwortete Annabellas blechern klingende Stimme.

Lucy fluchte leise. Ohne Zweifel hatte sich Leroy Hurleys Hund‚ dieses Riesenvieh‚ mal wieder losgerissen.

„Sei vorsichtig“‚ sagte Sarah.

„Ich pack dir das Sandwich ein“‚ rief Iris‚ als Lucy die Tür aufstieß und auf den Bürgersteig hinaustrat.

Der Regen durchnässte ihre Kleidung so schnell‚ als würde jemand einen Feuerwehrschlauch auf sie richten. Sie hatte ihren Polizeihut im Wagen gelassen‚ und gerade jetzt‚ während sie schnellen Schritts zur Willow Street eilte‚ sehnte Lucy sich nach beidem – nach Hut und Wagen.

Mit etwas Glück hatte dieser plötzliche Regenbruch den 10-91 A vertrieben und er suchte irgendwo Schutz. Mit ein wenig Glück gab es den 415 nicht mehr. Mit etwas Glück …

Kein Glück. Leroy Hurleys knurrender Dobermann hatte Merle Groggin in die Enge getrieben. Andy Hayes brüllte Merle an‚ dass er von seinem Fächerahorn herunterkommen solle; die Szene spielte sich in Andys Vorgarten ab. Merle dagegen fuchtelte mit seinem Jagdmesser herum und rief Leroy zu‚ er solle seinen verdammten Hund einsperren oder notschlachten. Und Leroy machte sich fast in die Hose vor Lachen.

Das hier war definitiv ein ausgewachsener 415.

Als Lucy auf Leroy Hurley zuging‚ erblickte sein Hund sie und wandte sich zu ihr um. Ihr wurde mulmig zumute‚ als das Tier sie drohend anknurrte. Sie mochte Hunde. Die meisten jedenfalls. Aber dieser hier hatte eine böse Seite. Genau wie sein Herr.

„Leroy“‚ sagte Lucy und nickte dem runden Mann grüßend zu‚ als stünden sie nicht in einem sturzflutartigen Regenguss. „Habe ich Ihnen nicht letzte Woche gesagt‚ dass Sie Ihren Hund im Hof anbinden sollen?“

Der Dobermann verlagerte das Gewicht. Er blickte von Lucy zu Merle Groggin‚ als überlegte er‚ wer das köstlichere Mahl hergab.

Leroy zuckte die Schultern und lächelte. „Ich kann nichts dafür‚ wenn er sich losreißt.“

Sie nahm den unverkennbaren Geruch von Whiskey in seinem Atem wahr. Verflixt‚ er wurde noch gemeiner‚ wenn er getrunken hatte.

„Doch‚ das können Sie“‚ entgegnete Lucy und zog den Strafzettelblock aus ihrer Tasche. Er war sofort durchweicht. „Er ist Ihr Hund. Sie sind für ihn verantwortlich. Und damit Sie sich daran erinnern‚ brumme ich Ihnen jetzt ein Bußgeld in Höhe von fünfzig Dollar auf.“

Das Lächeln des dicken Manns verblasste. „Ich bin der Einzige‚ der in der Hand hat‚ ob Sie hier in einem Stück davonspazieren oder gefressen werden“‚ sagte er. „Und Sie wollen mir eine Geldstrafe aufbrummen?“

Lucy fixierte Leroy mit Blicken. „Drohen Sie mir etwa‚ Hurley?“‚ fragte sie mit gesenkter und fester Stimme und übertönte dennoch das Prasseln des Regens. „Denn wenn Sie mir drohen‚ werde ich Sie und Ihren Hund so schnell ins Gefängnis bringen‚ dass Ihnen schwindlig wird.“

Etwas in Leroys Blick veränderte sich‚ und Lucy spürte einen Anflug von Triumph. Er glaubte ihr. Sie hatte es darauf ankommen lassen‚ er glaubte ihr und würde gleich einlenken – trotz des Whiskeys‚ der das Wenige an Urteilskraft trübte‚ das ihm geblieben war.

„Rufen Sie Ihren Hund zurück“‚ sagte Lucy ruhig.

Noch bevor Leroy ihrer Aufforderung nachkommen konnte‚ brach die Hölle los.

Andy Hayes gab einen dröhnenden Schuss aus seinem doppelläufigen Gewehr ab‚ woraufhin Merle vom Baum fiel. Der Dobermann sprang auf den am Boden liegenden Mann‚ der den Hund mit seinem großen Messer angriff‚ woraufhin dieser anfing zu bluten. Winselnd raste das Tier davon und die Straße hinunter.

„Halt dich zur Hölle fern von meinem Baum!“‚ rief Andy.

„Du hast meinen Hund angestochen“‚ brüllte Leroy Hurley Merle an.

„Du hättest mich umbringen können“‚ rief Merle Andy nach‚ während er sich beeilte‚ vom Grundstück herunterzukommen. „Warum zum Teufel hast du nicht einfach den Scheißhund erschossen?“

Drohend marschierte Leroy auf Merle zu. „Wenn der Hund stirbt‚ hänge ich dich an deinem …“

„Alle sofort aufhören!“ Lucy stellte sich entschlossen zwischen Merle und Leroy. Sie hob die Stimme‚ sodass sie sicher auch im Haus gehört wurde. „Andy‚ dir ist klar‚ dass ich dich einbuchten muss – vorsätzliche Gefährdung und illegales Benutzen einer Schusswaffe. Und was Sie beide betrifft …“

„Ich hoffe‚ das dämliche Vieh kippt um.“ Merle redete mit Leroy Hurley‚ als wäre Lucy gar nicht da. „Denn wenn nicht‚ werde ich ihn eines Nachts erwischen und ihm den Garaus machen.“

„Ich geh nirgendwohin“‚ verkündete Andy. „Ich habe meine Rechte! Ich habe meinen Besitz verteidigt!“

„Vielleicht erledige ich dich zuerst!“ Leroys fleischiges Gesicht war vor Zorn gerötet‚ als er Merle anbrüllte.

Lucy tastete nach der Sprechtaste ihres Funkgeräts. „Zentrale‚ hier Officer Tait. Ich brauche Verstärkung‚ Ecke Willow und …“

Mit seinem massigen Arm stieß Leroy Hurley sie zur Seite‚ und Lucy plumpste mit dem Po hart auf die Straße. Sie tastete in der Pfütze nach dem Funkgerät und dem Strafzettelblock. Leroy bewegte sich mit einer für einen so dicken Mann überraschenden Geschwindigkeit über den Gehweg und auf Andys Haus zu. Während Lucy aufstand‚ schnappte er sich Andys Gewehr und richtete es auf Merle.

Schutzsuchend duckte sich Merle hinter ihr. Leroy schwang die Waffe in ihre Richtung.

„Leroy‚ nehmen Sie das runter“‚ befahl Lucy und strich sich mit der linken Hand das regennasse Haar aus dem Gesicht. Gleichzeitig öffnete sie den Druckverschluss ihres Holsters‚ in dem ihre Pistole steckte‚ mit der rechten Hand.

„Stillgestanden! Lassen Sie die Hände‚ wo ich sie sehen kann“‚ entgegnete Leroy.

Lucy hob die Hände. Mist! Wie hatte die Situation derart außer Kontrolle geraten können? Und wo zum Teufel blieb die Verstärkung?

Leroy schritt auf sie zu; Merle kauerte hinter ihr und benutzte sie als Schutzschild; und ausnahmsweise schwieg Andy Hayes jetzt.

„Gehen Sie von Merle weg“‚ befahl Leroy ihr leise.

„Leroy‚ nehmen Sie die Waffe runter‚ bevor es zu spät ist“‚ sagte Lucy. Sie versuchte‚ ruhig zu sprechen‚ damit die Verzweiflung nicht durchklang‚ die sie empfand.

„Wenn Sie nicht von ihm weggehen“‚ schwor Leroy mit wildem Blick‚ „puste ich ein Loch durch Ihren Körper.“

Lieber Gott‚ er meinte es ernst. Er hob das Gewehr‚ kniff ein Auge zu und zielte direkt auf Lucys Brust. Ihr Leben glitt so kurz und‚ oh‚ so bedeutungslos an ihr vorbei‚ als sie in den Gewehrlauf starrte. Gut möglich‚ dass sie durch seine Waffe starb. Gleich hier im Regen. Und was hätte sie dann im Leben vorzuweisen? Eine sechs Monate alte Polizeimarke. Ein geisteswissenschaftliches Studium. Eine Computerfirma‚ für die sie sich nicht mehr interessierte. Ein leeres Haus am Stadtrand. Keine Familie‚ nur ein paar Freunde …

„Tun Sie das nicht‚ Leroy“‚ sagte sie und schob die Hand vorsichtig zurück auf ihre Waffe. Lucy wollte nicht sterben. Sie hatte noch nicht einmal angefangen zu leben. Verflucht‚ wenn Leroy Hurley sie erschoss‚ starb sie im Versuch‚ an ihre Pistole zu gelangen.

„Bleiben Sie stehen!“‚ rief Leroy. „Ich habe gesagt: nicht bewegen!“

„Leroy‚ ich halte eine Neun-Millimeter-Uzi in der Hand“‚ sagte eine sanfte Stimme hinter Lucy. „Sie sieht klein und bescheiden aus‚ aber wenn ich den Finger am Abzug ein kleines bisschen bewege‚ feuert sie in der Sekunde sechzehn Kugeln ab. Damit kann ich sogar einen so dicken Mann wie Sie in zwei Hälften teilen.“

Es war Blue McCoy. Lucy hätte seinen samtweichen Südstaatenakzent überall erkannt.

„Sie haben genau zwei Sekunden‚ um das Gewehr fallen zu lassen“‚ fuhr Blue fort. „Oder ich schieße.“

Leroy ließ die Waffe fallen.

Lucy sprang vor und hob das Gewehr auf. Dann drehte sie sich um und sah Blue an.

Sein blondes Haar war nass und klebte ihm am Kopf. Seine Kleidung war genauso durchweicht wie ihre‚ und sie haftete ihm am Körper. Sie enthüllte und betonte seine muskulöse Statur. Er blinzelte leicht wegen des strömenden Regens. Andererseits stand er da und hielt eine sehr tödlich aussehende kleine Maschinenpistole in der Hand‚ als wäre der Himmel blau und als würde die Sonne scheinen.

Ununterbrochen ruhte sein Blick auf Leroy‚ aber seine glänzenden blauen Augen richteten sich jetzt kurz auf sie. „Alles okay?“

Sie nickte‚ unfähig‚ ein Wort zu sagen.

Am Ende der Straße hatte sich eine Menschenmenge gebildet. Mit einem Mal bemerkte Lucy die Leute. Zweifellos waren sie alle von Andys erstem Schuss nach draußen und in den Regen gelockt worden. Super. Sie stand da wie ein Idiot –ein Cop‚ der nicht in der Lage war‚ mit ein paar Störenfrieden zurechtzukommen. Der einen Navy SEAL brauchte‚ um gerettet zu werden. Wunderbar.

„Leroy‚ Andy‚ Merle“‚ sagte Lucy. „Sie alle bekommen eine Gratisfahrt zum Revier.“

„Oh‚ ich habe überhaupt nichts angestellt“‚ beschwerte sich Merle‚ als die lang ersehnte Verstärkung mit einem Polizeiwagen eintraf‚ in dem mehr als drei Männer Platz fanden. „Gegen mich liegt nichts vor.“

„Das Tragen einer Waffe sollte reichen“‚ erwiderte Lucy‚ nahm ihm geschickt das Jagdmesser ab und reichte es mit dem Gewehr an Frank Redfield weiter. Er war einer der Polizisten‚ die schließlich doch noch aufgetaucht waren.

„Wenn es um das Tragen von Waffen geht“‚ schimpfte Merle und wies mit einer Kopfbewegung auf Blue McCoy‚ während er von Frank zum Wagen geführt wurde‚ „was werden Sie ihm denn dann anlasten?“

Wieder strich Lucy sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Sie blieb stehen‚ um den durchweichten Strafzettelblock und das heruntergefallene Funkgerät aus dem Dreck aufzuheben. Forsch trat sie vor Blue.

„Merle hat recht und das wissen Sie‚ Lieutenant McCoy“‚ erklärte sie. Sie hoffte inständig‚ er möge das leichte Zittern ihrer Stimme als Reaktion auf die vorangegangenen Ereignisse zurückführen statt auf seine Nähe. „Ich bin nicht sicher‚ ob ich Sie damit durch die Stadt spazieren lassen kann.“

Den Griff voran‚ händigte er ihr die Waffe aus. „Sie lassen Tommy Parker damit durch die Stadt spazieren.“

Tommy Parker? Tommy Parker war neun Jahre alt. Lucy blickte auf die Waffe‚ die sie in der Hand hielt. Sie war leicht und … „Mein Gott“‚ sagte sie. „Plastik. Es ist eine Spielzeugpistole.“ Sie blickte Blue wieder in die Augen. „Sie haben geblufft.“

„Natürlich habe ich geblufft“‚ erwiderte er. „Ich würde mich nie im Leben mit einer Uzi erwischen lassen. Höchstens mit einer HK MP5K.“

Lucy sah ihn starr an‚ und er erwiderte ihren Blick. Dann lächelte er. Seine Zähne waren weiß‚ gerade und bildeten einen hübschen Kontrast zu seinem gebräunten Gesicht.

„War nur ein Scherz“‚ erklärte er sanft. „Wenn es drauf ankommt‚ würde ich auch eine Uzi nehmen. Trotzdem ist sie nicht meine erste Wahl.“

Na wunderbar. Er würde sie für eine Schwachsinnige halten‚ wenn sie ihn noch länger so anstarrte. Lucy schloss kurz die Augen. Doch als sie sie wieder öffnete‚ sah er sie immer noch an.

„Tut mir leid“‚ sagte sie. „Ich schulde Ihnen wirklich was. Sie haben mir da gerade den Hals gerettet‚ und … tja‚ danke.“

Er nickte und nahm ihren unbeholfenen Dank anstandslos an. „Gern geschehen“‚ sagte er. „Aber haben wir dieses Gespräch nicht bereits geführt? Es kommt mir vor wie ein Dejä-vu.“ Wieder lächelte er – reiner Sonnenschein im strömenden Regen. „Scheint‚ dass ich der kleinen Lucy Tait jedes Mal‚ wenn ich in Hatboro Creek bin‚ den Hals rette.“

Lucy war schockiert. „Sie erinnern sich an mich?“ Sobald sie die Frage ausgesprochen hatte‚ wurde Lucy verlegen. Natürlich erinnerte er sich an sie. Wie sie hier triefend vor Nässe dastand. Sie musste aussehen wie eine ertränkte Ratte. Zweifellos unterschied sie sich gerade nicht besonders von dem dünnen fünfzehnjährigen Mädchen‚ das Blue vor all den Jahren vor einer handfesten Prügelei hinter dem städtischen Baseball-Feld bewahrt hatte.

„Mich überrascht es etwas‚ dich zu sehen“‚ erklärte Blue gedehnt. „Ich hatte geglaubt‚ du hättest deine Sachen gepackt und South Carolina Vorjahren verlassen‚ Yankee.“

Yankee. Das war während der gesamten Highschool-Zeit ihr Spitzname gewesen. Lucy Tait‚ das Yankee-Mädchen. Sie war mit ihrer verwitweten Mutter von irgendwo aus dem hohen Norden hergezogen. Und sie war für die Leute nach all der Zeit‚ die vergangen war‚ immer noch das Yankee-Mädchen. Zwölf Jahre waren verstrichen. Zwölf Jahre. Ihre Mutter lebte nicht mehr. Und Lucy war kein Mädchen mehr. Doch einige Dinge änderten sich nie.

„Nein“‚ entgegnete Lucy fest. „Ich bin immer noch hier in Hatboro Creek.“

„Das sehe ich.“

Blue betrachtete Lucy‚ nahm den Anblick ihres langen braunen‚ nassen Haars in sich auf‚ das sie sich zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Die schönen‚ fast grazilen Konturen ihres Gesichts. Und ihren großen‚ schlanken Körper. Die kleine Lucy Tait war nicht mehr klein. Der Regen hatte den steifen Stoff ihrer Polizeiuniform durchweicht‚ schmiegte ihn an ihre weiblichen Rundungen. Ja‚ Lucy Tait war definitiv erwachsen geworden. Blue verspürte eine Welle unverkennbaren Interesses an ihr und musste lächeln. Im Alter von achtzehn hätte er niemals geglaubt‚ dass ihn der Anblick von Lucy Tait im Regen erregen könnte.

Aber wenn es eines gab‚ das er während seiner Arbeit als Navy SEAL gelernt hatte‚ dann das: Die Zeit und die Menschen änderten sich. Nichts blieb je‚ wie es war.

„Wie lange bist du schon Gesetzeshüterin?“‚ fragte er. Die Menschenmenge hatte sich zerstreut‚ und der Polizeiwagen fuhr davon. Der Regen wurde nicht weniger‚ aber er war warm. Blue mochte es‚ wenn ihm die Tropfen über das Gesicht rannen. Und Lucy schien es ebenfalls nicht eilig damit zu haben‚ sich irgendwo unterzustellen.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Seit sechs Monaten.“

Blue nickte.

Sie hob das Kinn. „Ich bin die erste Frau bei der Polizei in Hatboro Creek.“

So sehr er sich auch bemühte‚ ein Lächeln zu unterdrücken – es gelang ihm nicht. „Mit Sicherheit auch der erste Yankee in der Truppe.“

Lucy musste sich bewusst geworden sein‚ wie defensiv sie sich verhielt. Jetzt lächelte sie langsam‚ zuerst fast schüchtern‚ dann offener. „Ja“‚ erwiderte sie. „Ich nehme an‚ ich habe vor Kurzem sämtliche neue Rekorde in Hatboro Creek aufgestellt.“

Ihr Gesicht hätte man kaum als hübsch bezeichnet. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Ihr Mund war zu breit‚ zu edelmütig‚ zu groß für ihr Gesicht – außer wenn sie lächelte. Ihr Lächeln verwandelte sie vollständig. Es ließ ihre Augen glänzen und funkeln‚ bezaubernde Grübchen erschienen auf den perfekten‚ weichen und leicht gebräunten Wangen. Ihre Nase war gerade und groß‚ aber nicht zu groß für ihr Gesicht. Ihre Augen schimmerten warm und waren dunkelbraun‚ umrahmt von dichten dunklen Wimpern. Blue ertappte sich dabei‚ wie er sie fasziniert betrachtete‚ als ihr ein Regentropfen von dem unversehrten Ohrläppchen auf die Schulter fiel.

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