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Gartenglück mit Seeblick

Als Buch hier erhältlich:

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Ein Paradies zwischen Blumeninsel und Rheinfall

Als Marlene überraschend einen Garten am Bodensee erbt, hat sie keine Ahnung, was sie damit soll. Aber sie muss zumindest einen Blick darauf werfen und Ordnung schaffen, bevor sie ihn verkaufen kann. Und plötzlich hat sie alle Hände voll damit zu tun, ihr eigenes Gemüse zu ziehen, die Erdbeeren vor den Schnecken zu retten und gemeinsam mit den Gartennachbarn für den Erhalt der Anlage zu kämpfen – und sich dabei ganz zufällig zu verlieben.


  • Erscheinungstag: 28.06.2022
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365000458

Leseprobe

1. Kapitel

Beim Gehen verfing sich mein Schal in der Tür, und ich konnte gerade im letzten Moment noch verhindern, stranguliert zu werden. Erschrocken zuckte ich zurück, löste die Fessel um meinen Hals und suchte hektisch nach meinem Schlüssel. Ich war viel zu spät dran, es war schon … oh herrje, zwei Minuten bis zu meinem Date. Ich zog den Schal aus der Tür, knallte sie erneut zu, dann hastete ich die Treppen hinunter und konnte mich gerade noch so davor retten, über den letzten Absatz zu stolpern.

Eile ist des Teufels Bote, dachte ich an das Sprichwort, das meine Großmutter immer zitierte. Leider war die Eile meine ständige Begleiterin, und aktuell war ich ohnehin schon zu spät für mein Date mit Nils. Aber die akademische Viertelstunde, sagte man, war doch okay. Mein Bus fuhr in vier Minuten, wenn ich Glück hatte, würde ich das mit dem akademischen Viertel gerade noch schaffen.

Ich tippte schnell eine Nachricht in mein Handy, dass ich mich ein bisschen verspätete.

Wie er wohl war, der Nils? Bisher kannte ich nicht mehr von ihm als sein Foto und ein paar Nachrichten. Onlinedating! Nachdem eine Arbeitskollegin meiner Freundin Jasmin vorletzte Woche einen Mann geheiratet hatte, den sie über eine Flirt-App kannte, hatten auch Jasmin und ich uns bei solch einer App angemeldet, um uns selbst einmal umzusehen.

»Wir sind Mitte dreißig, Leni, langsam wird’s eng«, entschied Jasmin, und dann begannen wir fleißig, Fotos anzuschauen und nach rechts und links zu wischen. Ich weigerte mich immer noch, Torschlusspanik zu bekommen. Oder hatte sie unterbewusst schon zugeschlagen? Jedenfalls hatte ich nun doch mein erstes Online-Date.

Selbst das Kennenlernen fand ich auf diese Art schon mühsam. Von einigen Männern hatte ich direkt in der zweiten Nachricht eine Einladung zum Oralsex bekommen und dankend abgelehnt – gut, aber immerhin wusste man da, woran man war. Andere suchten »derzeit nichts Festes« und Sven, 38, hatte »noch nie im Leben ein Date, oh bitte, bitte geh mit mir aus«. Alles nicht so recht mein Fall.

Dann kam Nils, 35. »Anwalt, kultiviert, mag Reisen, guten Wein und die schönen Seiten des Lebens.« Okay, der Text war etwas angeberisch, ich schrieb ihn trotzdem an. Seine Nachrichten klangen nett, humorvoll und authentisch. Es hatten sich ein paar witzige Schlagabtäusche ergeben, und wenn ich daran dachte, dass ich Nils in weniger als einer halben Stunde persönlich gegenüberstehen würde, dann war ich durchaus ein bisschen aufgeregt. Deshalb war ich im Übrigen auch so spät dran. Vor lauter Aufregung war mir erst der Föhn auf die Füße gefallen, dann hatte ich meinen Nagellack an den Rock geschmiert, den ich eigentlich anziehen wollte, und schließlich hatte ich mir die Finger in der Tür meines Badezimmerschranks geklemmt. Eine Verspätung von fünfzehn Minuten sollte da doch wirklich zu verzeihen sein. Dafür hatte ich mein Bestes gegeben.

Der Bus hielt an der Steinernen Brücke und ich stieg aus. Siebzehn Minuten nach acht. Ich hatte das akademische Viertel also schon um zwei Minuten überzogen. Die Bar, in der wir verabredet waren, war nur eine Querstraße weiter, hundert, maximal zweihundert Meter entfernt. Dafür brauchte ich keine vier Minuten. Schon war ich bei der Ampel, lag super in der Zeit. Und dann klingelte mein Telefon. Ich zog am Reißverschluss meiner Handtasche, der immer genau in solchen Momenten klemmte. Vielleicht hatte ich ja Glück und es war Nils, der mir sagen wollte, dass er sich ebenfalls verspätete.

Es war nicht Nils.

»Leni, deine Tante ist gestorben!«, rief meine Mutter mir statt einer Begrüßung entgegen.

»O mein Gott, Corinna ist tot?« Mein Herz blieb stehen. Corinna war die beste Freundin meiner Mutter, zu der ich schon von klein auf Tante gesagt hatte. Schwach setzte ich mich auf den Rand eines ausladenden Schaufensters.

»Oh.« Mama unterbrach sich. »Nein, Tante Anni.«

»Oh«, sagte ich ebenfalls und versuchte, möglichst betroffen und nicht nur erleichtert – Corinna ging es also gut – zu klingen, als ich hinzufügte: »Das tut mir sehr leid.« Nach einer angemessen trauernden Pause fragte ich: »Und … wer genau ist Tante Anni?«

Meine Mutter sog scharf die Luft ein. »Kind, du interessierst dich überhaupt nicht für deine Familie!«

Sie hatte also auch keine Ahnung.

»Ich gebe dir mal deinen Vater. Es geht da auch um rechtliche Konsequenzen.«

Rechtliche Konsequenzen? Und was hatte ich damit zu tun, ich kannte die Frau ja noch nicht mal?

Sie murmelte leise, dann raschelte es.

»Leni? Ja, hier ist Papa.« Er räusperte sich umständlich. Doch bevor ich ihn ebenfalls fragen konnte, wer Tante Anni war, sagte er: »Wir erben Annis Schrebergarten.«

Aha. Ich verstand noch immer nicht, warum diese Info wichtig für mich war.

»Ist das nicht toll? Am Bodensee! Er soll direkt am Ufer liegen. Du wirst so viel Spaß haben!«, hörte ich meine Mutter aus dem Hintergrund quietschen.

»Am Bodensee? Wieso werde ich dort Spaß haben?«, fragte ich entsetzt. Der Bodensee war groß und von Ulm bis zum östlichsten Ufer fuhr man bereits eine Stunde.

»Weißt du, es gibt dort einige Auflagen. Der Rasen muss regelmäßig gemäht werden, die Hecken geschnitten, dieses, jenes. Und wir dachten, da du ja nicht richtig arbeitest …«

»Ich arbeite richtig. Ich bin Freiberuflerin!« Und als Journalistin hatte ich jede Menge zu tun. Im Namen der Redaktion, die die meisten meiner Artikel druckte, hetzte ich von einem Termin zum nächsten, ganz zu schweigen von den Abenden, die ich mit Recherche verbrachte.

»Ja, wie gesagt«, Papa räusperte sich erneut. »Da hat die Familie beschlossen … Du musst dich um den Garten kümmern.«

Bitte was? Feine Familie, dachte ich. »Die arme Frau ist noch nicht einmal unter der Erde und ihr verteilt schon ihre Besitztümer.« Diese Entscheidung ließ sich doch sicherlich noch einmal diskutieren, ich versuchte es erst mal mit schlechtem Gewissen.

»Die Beerdigung war vor sechs Wochen«, erklärte mein Vater.

»Die … und wieso erfahre ich jetzt erst von Annis …« Tod? Ihrer Existenz?

Ich hörte, wie Mama Papa das Telefon wieder wegnahm.

»Der Kleingartenverein hat schon mehrfach bei Harald angerufen.« Okay, Harald war Papas Bruder. Den kannte ich immerhin. »Die sind mit der aktuellen Situation gar nicht glücklich, es muss sich jemand kümmern.«

»Und da dachtet ihr gleich an mich.«

»Du hast doch einen grünen Daumen.«

»Ich hatte in der Schule mal einen Kaktus.«

»Eben. Du wirst morgen früh um acht zum Rasenmähen erwartet.«

Ich beschloss, die Diskussion mit meiner Familie – Mama, Papa, Harald, Oma und Opa – auf später zu verschieben.

»Aha. Ich melde mich nachher noch mal bei euch. Jetzt habe ich etwas vor. Ich bin grundsätzlich eine viel beschäftigte Frau. Viel zu viel beschäftigt. Bis dann«, verabschiedete ich mich und legte schnell auf. Für mein Date war ich nun schon geschlagene dreißig Minuten zu spät. Falls Nils überhaupt noch da war. Schnell checkte ich meine Nachrichten, aber der letzte Satz stammte von mir: die Entschuldigung, dass ich ein paar Minuten später kam – aktuell ungefähr fünfunddreißig.

Im leichten Jogging-Schritt trabte ich die Straße hinunter, um wenigstens auf den letzten Metern noch ein paar Sekunden gutzumachen. Abgehetzt sah ich ja sowieso schon aus. Ich öffnete die Tür zur Bar und blickte mich um. Außer Frauen und gemischten Gruppen gab es nur zwei einzelne Männer. Einen Endfünfziger am Tresen mit einem halb leeren und einem vollen Bierglas vor sich, dem dazu passenden Bauch und einer geröteten Nase. Wenn Nils seine Profilbilder nicht bis zur Unkenntlichkeit retuschiert hatte, musste er also der andere, etwa zwanzig Jahre jüngere Typ sein, der dort rechts an einem Tisch saß. Ich sah ihn nur im Profil, aber das gefiel mir: eine gerade Nase, dunkle, leicht verwuschelte Haare und schöne Hände, die gelangweilt das Etikett von einer Flasche Beck’s knibbelten.

»Nils?« Ich schob mich auf den Stuhl ihm gegenüber und lächelte ihn an.

Er blickte hoch. Dann auf seine Armbanduhr. »Das ist jetzt nicht dein Ernst«, sagte er.

»Tut mir leid. Ich habe dir geschrieben, ich komm ein bisschen später.« Man hörte meiner Stimme das schlechte Gewissen an, sie klang quäkig.

»Ein paar Minuten.« Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Jetzt ist es gleich Viertel vor neun.«

»Die beste Zeit, um ein Bier zu trinken«, versuchte ich, das Positive zu sehen.

»Wir waren um acht verabredet.« Er nahm den offenbar letzten Schluck aus seiner Bierflasche und knallte sie auf den Tisch.

»Dein Beck’s geht auf mich«, gab ich mich immer noch versöhnlich.

Aber er stand schon auf und griff nach seiner Lederjacke, die er über die Stuhllehne gehängt hatte. Braun, wie seine Schuhe. Die Anzughose war dunkel-, das Hemd hellblau. Ich wusste nicht, ob ich seinen Stil attraktiv oder spießig finden sollte. Er betonte seine große schlanke Figur, aber als er erneut demonstrativ auf seine Armbanduhr sah, entschied ich mich für spießig. Eindeutig.

»Jetzt stell dich nicht so an.« Langsam fand ich, er übertrieb. Ja, ich war zu spät, aber ich hatte mich schließlich entschuldigt! War er überhaupt nicht neugierig auf mich? Ich mochte seinen Humor, die schlagfertigen Antworten und dachte, ihm würde es genauso gehen. Und dann wollte er uns nicht einmal eine Chance geben. Wieso war er dann überhaupt bis jetzt geblieben? Nur um mir das zu sagen?

»Ich hab um halb zehn eine Telefonkonferenz.«

»Du hast mich zwischen deine Termine gequetscht?« Ungläubig sah ich ihn an. »Ich habe eine Stunde im Bad verbracht dafür, dass du dir nicht mal eine ganze Stunde Zeit für unser Date nimmst?«

Ich meinte, einen Anflug schlechten Gewissens in seinem Gesicht lesen zu können. Dann schnalzte er mit der Zunge. »Zeit ist Geld«, sagte er. »Und weißt du, wie schwierig es ist, eine Telko mit Übersee zu organisieren? Wenn das Date ein Reinfall gewesen wäre, hätte ich wenigstens nicht den ganzen Abend vergeudet.«

Ein Reinfall? Jetzt war aber Schluss! »Ein Date mit mir ist ganz sicher kein Reinfall!«, regte ich mich auf. »Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, ein Date mit dir ist ein Reinfall.« Ich hatte wohl ein bisschen zu laut gesprochen, zwei junge Mädels am Nebentisch schauten zu uns rüber und kicherten. Egal.

»Du bist unpünktlich, offenbar chaotisch und verpeilt. Das ist die Definition von Reinfall«, gab er zurück.

»Du scheinst die Definition von Spießer zu sein.« Und ich keine Koryphäe in Schlagfertigkeit. Aber langsam wurde ich wirklich wütend. Er war derjenige, der sich keine Zeit nehmen wollte für unser Date! »Gut, dass ich zu spät gekommen bin, so einen unflexiblen Workaholic würde ich sowieso nicht daten wollen!« Ich schulterte meine Handtasche, um in einem dramatischen Abgang abzurauschen, da kam er mir zuvor: Er warf sich die Lederjacke über die Schulter. Kurz vor der Eingangstür drehte er sich noch einmal um.

»Das Beck’s geht tatsächlich auf dich.«

Na, wunderbar. Meine Tante war tot und mein Date weg. Ich sah auf die Fahrplan-App und stellte fest, mein Bus ebenfalls. Der nächste kam in einer Stunde. Unfall auf der Strecke. Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und bestellte einen Rotwein.

Als mein Handy mir mit einer neuen Nachricht vermeldete: Du hast ein Match!, überlegte ich, das Telefon in meinem Wein zu ertränken. Onlinedating war wohl einfach nicht das Richtige für mich. Woher wusste man denn, ob die Chemie stimmte, wenn man sich noch nie gesehen hatte? Ich hatte schließlich auch gedacht, sie würde bei Nils und mir ganz wunderbar passen, und was war? Wir hatten es noch nicht mal eine Minute gemeinsam am Tisch ausgehalten. Ich schnaubte verächtlich. Nein, dann lieber allein mit einem Wein in einer Bar sitzen und sich dort nach geeigneten Männern umschauen. Neugierig wagte ich einen Blick nach links, einen nach rechts, aber an Singlemännern saß weiterhin nur der Endfünfziger am Tresen. Du hast ein Match! Schon wieder. Und eine Nachricht gleich dazu: Thommy, 39, wollte wissen, ob ich mich auf sein Gesicht setzen wollte. Jetzt reichte es aber. Entschlossen öffnete ich die App und suchte nach der Option »Konto löschen«. Doch ganz so einfach machte man es mir nicht. Noch während ich mich durch mein Profil klickte, trudelte eine weitere Nachricht auf meinem Handy ein, diesmal über den Messenger. Sie war von Jasmin. Ruf mich an. Notfall.

Also unterbrach ich meine Suche nach der Löschfunktion. Nach dem ersten Klingeln nahm sie schon ab.

»Leni?«, fragte sie besorgt. »Was ist los? Du weißt doch, dass ich auf einem Date bin.«

»Ja, du hattest mir …« Weiter kam ich nicht.

»Was?«, rief sie erschrocken aus. »Im Krankenhaus?«

Jetzt fiel der Groschen. Musste am Rotwein liegen. Ich unterdrückte ein Grinsen, als sie kiekste: »Ich bin sofort bei dir!«

»Krankenhaus Wilmas Bar«, informierte ich sie. »Unsere Medizin: Rotwein und Tapas.« Apropos: Ich würde uns zum Trost ein paar Oliven und diese leckeren Knoblauch-Champignons bestellen.

Es dauerte keine zwanzig Minuten, dann kam Jasmin herein. Ihre roten Haare wehten wie eine Fahne hinter ihr her. Wäre ich eine weniger großzügige Person – ach, und bescheiden war ich auch, lobte mich kaum selbst –, wäre ich auf diese Haarfarbe neidisch. So aber gönnte ich ihr das Glück und wünschte mir nur manchmal, meine dunklen Haare hätten auch diesen seidigen Schimmer. Das ist bei Locken allerdings verflucht schwierig hinzubekommen.

»Das war das schlimmste Date meines Lebens«, stöhnte Jasmin, zog ihren Mantel aus und setzte sich mir gegenüber. Sie schob sich eine Olive in den Mund und nuschelte: »Du glaubst es nicht.«

»Rotwein?«, fragte ich und winkte den Kellner herbei.

Dankbar nickte sie und nahm noch eine Olive, bevor sie nach einem zweiten Besteck und Brot mit Aioli fragte. »Jetzt ist es doch auch egal, wir knutschen heute sowieso nicht mehr.«

Auch wieder wahr.

»Er ist polyamourös. Seine Frau ist eine tolle Frau, aber er ist kein Mann für die Monogamie«, erzählte sie mir dann von ihrem Date. »Deshalb haben sie eine offene Beziehung und er datet andere Frauen. Also, sobald er es geschafft hat, seiner Frau davon zu erzählen, haben sie eine offene Beziehung. Bis dahin ist es wohl der gute alte Seitensprung.«

»Wow.« Mehr brachte ich nicht heraus.

»Das wäre mal eine relevante Info im Voraus gewesen.« Sie holte ihr Smartphone aus der Handtasche. »Ich habe seine Frau übrigens bei Facebook gefunden.«

Oha. Wir wurden unterbrochen, als der Kellner Jasmins Rotwein, das Brot und die Knoblauchmayonnaise brachte.

Erwartungsvoll schaute ich Jasmin an, die sich erst einmal genüsslich mit einem Stück Aioli-Brot beschäftigte.

»Und? Willst du es ihr erzählen?«

»Einerseits denke ich: Ich würd’s auch wissen wollen. Andererseits …« Jasmin zuckte mit den Schultern. »Ob sie mir überhaupt glaubt? Hinterher muss ich mir noch irgendwelche Beschimpfungen gefallen lassen, dass ich ihren Mann angebaggert hätte.«

Wir überlegten ein Weilchen. Schließlich sagte ich: »Solange er sich bei jeder Frau so blöd anstellt wie bei dir, liegt die Gefahr eines Seitensprungs doch eher bei null. Vielleicht kannst du dir den Stress einfach sparen.«

Damit hatten wir das Problem gelöst und konnten uns wieder dem Rotwein zuwenden, der wirklich ausgezeichnet war. Spanische Weine, ich liebte sie. Nicht, dass ich was gegen französische oder italienische einzuwenden gehabt hätte, nein, einen guten Rotwein nahm ich immer gern mit, ob ungarisch oder österreichisch, auch unter den deutschen gab es gute Tropfen. Aber die Spanier, die hatten es mir irgendwie angetan. Glücklich genoss ich einen großen Schluck.

»Apropos schräge Typen: Was war denn bei dir los?«, fragte Jasmin in diesem Moment.

Ich seufzte. »Nils ist ein spießiger Spießer, der abgezischt ist, weil er um halb zehn noch eine Telefonkonferenz hatte.«

»Oh.« Jasmin seufzte. »Euer Date war recht kurz, hm?«

»Unser Date war quasi nicht existent. Er ist gleich abgehauen.«

»Aber wieso denn gleich, wenn …« Jasmin unterbrach sich und blickte mich vorwurfsvoll an. »Warst du wieder zu spät?«

»Ich hab Bescheid gesagt!«

Sie seufzte erneut.

»Und mich entschuldigt!«

»Ach, Leni.« Sie legte mir eine Hand auf den Arm und lächelte resigniert. Dann wechselte sie das Thema: »Was machst du denn am Wochenende? Wollen wir es jeweils noch mal mit einem Date probieren?«

»Oh Gott, bloß nicht!« Erschrocken zuckte ich zurück.

»Hey, du willst doch jetzt nicht aufgeben, nur weil ein Date nicht geklappt hat?«

Ein sehr vielversprechendes Date. Ich traute mich nicht, ihr zu sagen, dass ich wirklich Hoffnung gehabt hatte, mit Nils einen schönen Abend zu verbringen. Immer deine Träumereien, Leni, würde sie liebevoll sagen.

»Ich glaub, ich mach erst mal eine Pause«, sagte ich und zupfte am Ärmel meiner Bluse. »Jetzt am Wochenende habe ich ohnehin genug zu tun. Ich muss …« Schlagartig fiel mir das Telefonat mit meinen Eltern wieder ein. »Früh aufstehen und Rasen mähen zum Beispiel«, sagte ich und stöhnte auf.

»Bitte was?«

Etwas hilflos zuckte ich mit den Schultern. »Ja, so habe ich auch reagiert. Ich habe einen Garten geerbt.«

»Ach du Scheiße.«

»Hey!« Also so schlimm sollte ein Garten doch wohl nicht sein. Dort gab es schließlich Blumen und Gemüse und Sonne und Gras, und … Vielleicht war es sogar ganz hübsch! »Es ist ja nur, bis wir ihn verkaufen können«, relativierte ich. »Aber so lange muss sich eben jemand kümmern.«

»Und warum du?«

»Meine Familie meint, als Freiberuflerin hätte ich ja viel Zeit.«

Jasmin schnaubte. Dann schürzte sie die Lippen und sagte: »Eine Festanstellung würde aber vielleicht tatsächlich etwas Struktur in dein Leben bringen. Kein Chaos, keine Unpünktlichkeit …«

»… keine Kreativität, keine genialen Reportagen«, unterbrach ich kämpferisch. Auf meine Arbeit war ich stolz und wollte daran rein gar nichts ändern. Also gut, etwas bessere Bezahlung und die Möglichkeit, mich wirklich tiefer mit einem Thema zu beschäftigen. Aber andererseits: »Kein Chef, keine Abgabezwänge …«

»… kein Geld«, ergänzte Jasmin.

»Damit Heiratsschwindler mich erst gar nicht als potenzielles Opfer sehen können.« Ich fischte die letzte Olive aus dem Schälchen. »Nein, im Ernst, es ist manchmal hektisch, aber was glaubst du, wie mein Hirn anfängt zu rattern, wenn ich auf ein neues Thema stoße?«

»Und das würde es bei einem regelmäßigen Gehaltseingang nicht tun?«

»Es ist nicht so leicht, bei einer guten Zeitung unterzukommen«, verteidigte ich mich.

»Weil Berichterstattungen über Liederkranz-Jubiläen unter deiner Würde liegen.« Jasmin schüttelte den Kopf. »Leni, wirklich, du musst aufhören, deinem Traum als Marlene Wallraff oder Todenhöfer nachzujagen.«

»Toden…?«, begann ich entsetzt, aber sie winkte schnell ab.

»Du weißt, was ich meine. Große Reportagen, weltbewegende Berichte, Enthüllungsjournalismus par excellence.«

Als sie merkte, dass mich ihre Worte irritierten, langte sie wieder über den Tisch, um nach meiner Hand zu fassen. »Ich mein’s doch nur gut. Was ist, wenn du deine nächste Reportage nicht verkaufst? Und die übernächste? Bei den aktuellen Mietpreisen? Und wie willst du dir überhaupt etwas leisten, Urlaub, zum Beispiel?«

Jasmin war gerade einmal einen Monat älter als ich, aber manchmal führte sie sich auf wie meine Mutter. Schlimmer als meine Mutter, dachte ich, die war nämlich von Hippie-Eltern großgezogen worden und Selbstfindungs-Fanatikerin. Wahrscheinlich steckte ich ihretwegen im Freiberufler-Dasein fest, sie selbst war immerhin angestellt – als Lehrerin in einer Waldorfschule. Weshalb ich wiederum auf einer ganz normalen Schule gewesen war. »Bist du verrückt, Leni, weißt du, was die Eltern auf einer Waldorfschule alles machen müssen? Das tu ich mir wirklich nicht an«, hatte meine Mutter entsetzt geantwortet, als ich sie einmal danach gefragt hatte. Ich fuhr mir durch die Haare und atmete tief aus. Meine widersprüchliche Mutter war jetzt wirklich nicht Thema.

»Du hast schon recht«, gab ich zu und sah Jasmin an. »Ein regelmäßiges Gehalt, regelmäßige Arbeitszeiten, das wäre auch nicht schlecht. Andererseits …« Seufzend brach ich ab. Ach verdammt. Entschlossen hob ich mein Glas und sagte: »Weißt du was? Wir treffen eine Abmachung. Sechs Monate. Wenn sich in sechs Monaten nichts tut, wenn ich in sechs Monaten nicht weiß, was ich machen will, dann nehme ich jeden geregelten Job an, den ich kriegen kann. Aber sechs Monate versuche ich es noch.«

Jasmin sah mich lange an. Ihr Blick machte mich nervös. Skepsis konnte ich darin lesen, aber auch ein bisschen Stolz. Schließlich hob sie ebenfalls ihr Glas und wir stießen an.

»Auf die Arbeit«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu: »Und apropos: Du machst dir keine Vorstellungen, wie viel Arbeit so ein Garten macht.«

***

»Als Erstes muss der Rasen gemäht werden. Der steht ja schon meterhoch!«

»Das Häuschen braucht einen neuen Anstrich, so gammelt es dir bis Ende des Jahres weg.«

»Das ganze Unkraut in den Beeten! Da gehört tüchtig gejätet.«

»Sie sollten den Boden vertikutieren, da wächst ja nur noch Moos statt Gras!«

»Die Rosen müssen zurückgeschnitten werden, dann treiben sie bis zur Blüte noch einmal richtig aus und werden wunderschön.«

»Haben Sie überhaupt Erfahrung? Das sieht mir ja nicht so aus! Wer kommt in solchen Schuhen in den Garten?«

Ich blickte auf meine Turnschuhe. Sie waren modisch, bequem und … na ja gut, weiß.

Aber es war viel zu früh an einem Samstagmorgen, es war quasi noch Samstagnacht, ich befand mich einfach noch halb im Tiefschlaf. Dafür waren die Hobbygärtner um mich herum umso munterer. Allmählich bekam ich eine Vorstellung davon, wie viel Arbeit so ein Garten machte. Und wie viel mehr Arbeit die Nachbarschaftspflege.

»In den Beeten sind die Salate völlig verkümmert, da haben Sie nur noch Wildpflanzen.« Ein kleiner Mann mit Strohhut, ich schätzte ihn auf um die siebzig, verschränkte die Arme vor seinem bunt gestreiften T-Shirt, was seinen üppigen Bauch nur noch mehr betonte. »Fünfzig Prozent der Nutzfläche müssen kleingärtnerisch genutzt werden.«

»Nur fünfzig? Ich dachte, das wäre hier hundert Prozent Kleingarten.«

Er funkelte mich an. »Es müssen Obst und Gemüse zur Eigennutzung angebaut werden.«

Vor der Laube stand ein Apfelbaum, unverkennbar mit seinen weiß-rosa Blüten, unter den Sträuchern sollte bestimmt einer im Sommer Früchte tragen und in den Beeten fanden sich vereinzelte Strünke, die mir nach Gemüse aussahen.

»Und das haben Sie nachgemessen? Mit den fünfzig Prozent?«, fragte ich neugierig.

Er straffte seine Schultern, um sich größer zu machen, was bei dem Bauch und seinen im Gegensatz dazu dünnen, in Cargoshorts steckenden Beinen unfreiwillig komisch aussah. »Wenn das bis nächste Woche nicht geändert ist, fliegen Sie ratzfatz hier raus.« Sein Gesicht war mittlerweile stark gerötet und ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich kein Problem mit einem Rausschmiss hätte, da ich nicht freiwillig hier war. Aber dann wiederum hatte ich auch keine Lust, Mama, Papa und Onkel Harald zu erklären, weshalb sie den Garten nun sofort und vermutlich zum Schleuderpreis abgeben müssten. Also nickte ich gottergeben und gähnte dann noch einmal herzhaft.

»Ich mach dir jetzt erst mal einen schönen starken Kaffee«, sagte da eine kleine Frau mit grauem Kurzhaarschnitt, packte mich resolut am Handgelenk und zog mich hinter sich her in den Nachbargarten, in dem schon jetzt im April viele bunte Blumen blühten.

»Ganzjährige Mischung«, sagte sie stolz, als sie meinen Blick auf ihre Beete bemerkte.

»Hm?«

»Acht in der Früh ist nicht deine Uhrzeit, was?«, fragte sie mitleidig, während sie mich an einen Gartentisch verfrachtete, auf dem eine gelbe Plastikdecke lag.

»Vormittags ist nicht meine Uhrzeit«, bestätigte ich, und sie lachte.

»Ich bin die Sigrid.« Ihr Händedruck war ebenso kräftig, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.

»Marlene«, sagte ich und schaute ihr wie hypnotisiert beim Bedienen des Kaffeevollautomaten zu, der auf einem kleinen Arbeitstischchen vor dem Eingang in ein dunkles Gartenhäuschen stand. Ein bunter Streifenvorhang zwischen Tür und Gartenhaus-Wohnzimmer sollte, nahm ich an, die Fliegen draußen halten. Im schummrigen Licht konnte ich beige-braune Möbel erkennen und war froh, dass wir bei dem guten Wetter draußen saßen. Es gab einen unglaublichen Krach, als Sigrid die Milch aufschäumte, und dann stellte sie eine Tasse herrlich duftenden Cappuccino vor mich hin.

»Hmm.« Ich schnupperte ausgiebig, bevor ich einen Löffel des angebotenen Rohrzuckers über den Milchschaum rieseln ließ. Die Pause tat gut.

Nach dem Abend mit Jasmin, der noch sehr nett geworden war, hatte ich nur noch kurz mit meinen Eltern geschrieben. Sie hatten mir die Adresse geschickt und mehrfach betont, wie wichtig es war, dass ich pünktlich kam. Also war ich um kurz nach sechs aufgestanden, um rechtzeitig am Bodensee anzukommen. Eine Stunde Fahrtzeit von Ulm, einschließlich eventueller Verkehrsturbulenzen und der Tatsache, dass ich morgens grundsätzlich etwas langsam war; ich ging also um halb sieben – na gut, es wurde ein paar Minuten später – aus dem Haus. So früh war ich nicht einmal unterwegs, wenn ich zur Arbeit musste.

Jetzt trank ich einen Schluck Kaffee und spürte so etwas wie Lebensgeister in meinem Körper erwachen. Endlich Zeit, meine Umgebung wahrzunehmen: Der Garten lag tatsächlich direkt am See, von meinem Platz auf Sigrids Terrasse aus konnte ich auf den schmalen Weg blicken, der an weiteren Gärten vorbei zum Ufer führte, wo das Wasser an einen kleinen Kiesstrand schwappte. Von meiner eigenen Terrasse würde der Blick ebenso schön sein. Die Parzelle lag sogar noch dichter am Wasser.

Die Sicht war klar, die Sonne glitzerte auf dem See, und ich konnte an zwei Ausflugsschiffen vorbei bis zum Pfänder blicken, dem Bregenzer Hausberg auf der österreichischen Seite des Bodensees. Die Alpen erstreckten sich dahinter und für einen Moment war ich wirklich ergriffen von der Aussicht.

»Wow«, flüsterte ich. Ich hatte nicht gewusst, dass es hier so schön war.

Die Kleingartenanlage befand sich ganz in der Nähe von Lindau, offenbar war gerade ein Schiff im Hafen eingelaufen, es tutete, und ich fühlte mich beinahe wie im Urlaub. Nur müder.

»Was ist das denn?«, fragte ich Sigrid dann mit Blick auf eine Rasenfläche direkt oberhalb des Kiesstrands, auf der einige Plastiktische und – stühle standen, noch schmutzig vom Winter. Daneben ein Haus, deutlich größer als die Gartenlauben in den Parzellen und richtig aus Stein gemauert.

»Unser Vereinsheim«, erklärte Sigrid stolz und gab den Rest des Milchschaums auf eine zweite Tasse Kaffee.

Da könnte man richtig was draus machen, schoss es mir durch den Kopf. Ich atmete tief ein, sog den Duft nach Frühling in mich auf.

Sigrid setzte sich mit ihrem Cappuccino mir gegenüber. Beide Hände auf den Tisch gelegt, sah sie mich neugierig an. »Du bist also die Nichte von Anni. Hast ihre Nase geerbt.«

»Ach.« Unwillkürlich fasste ich mir an die Nase. Sie war weder besonders groß noch knollig oder sonst wie auffällig. Ich hatte sie immer für eine ganz normale Nase gehalten. Tante Annis Nase. Na gut, hätte schlimmer kommen können.

»Ihr hattet nicht viel Kontakt, oder?«

»Nicht sehr viel, nein«, gab ich zu, um nicht »überhaupt keinen« sagen zu müssen.

»Dachte ich mir.« Sie nickte wissend, und ich fragte mich, was sie mir vorenthielt.

»Wie viel Gartenerfahrung hast du?«, fragte sie dann.

Und nun musste ich doch sagen: »Überhaupt keine.«

»Dachte ich mir«, wiederholte Sigrid, nahm den letzten Schluck ihres Kaffees, stand auf und rieb sich die Hände. »Dann machen wir uns mal an die Arbeit.«

Ungefähr zwei Stunden später dankte ich Gott dafür, dass es Sigrid gab, und verfluchte den Teufel dafür, dass er sie mir geschickt hatte. Sie hatte mir gezeigt, wie der historische Rasenmäher von Anni funktionierte – Benzin, dass das noch nicht verboten war! – und was in den Beeten Kraut und was Unkraut war. Nun jedoch taten meine Arme weh, der Rücken schmerzte und ich entwickelte schon die dritte Blase an den Handflächen.

»Ich will nach Hause!«, jammerte ich.

Aber Sigrid schüttelte den Kopf. »Nix da! Wenn wir jetzt aufhören mit dem Unkraut, überwuchert der Giersch in drei Tagen wieder dein komplettes Beet.«

Du hast ja auch keine Blasen an den Händen, du stehst ja hauptsächlich daneben und gibst Anweisungen, dachte ich. Ganz fair war das aber auch nicht, deshalb sprach ich es nicht aus. Sigrid opferte schließlich jede Menge Zeit für mich. Wobei, wenn ich näher darüber nachdachte, dass der alte Mann im Garten zu meiner Rechten seit einer guten Stunde in regelmäßigen Abständen über die Hecke lugte, um mir zuzusehen, dann fragte ich mich schon, ob sie nicht ganz froh war über die Abwechslung.

»Hast du selbst nichts zu tun?«, fragte ich keuchend, als ich, die rechte Hand am Rücken, vorsichtig aufstand. »Ich halte dich den ganzen Tag von deiner eigenen Arbeit ab.«

»Wenn man regelmäßig jätet, hält man das Zeug ganz gut in Schach«, antwortete sie grinsend. »Und zum Rasenmähen findet sich oft einer der Männer hier, den ich mit meinem Karottenkuchen bezirzen kann. Wenn du den Garten einmal gut in Schuss hast, dann darfst du auch mal Pausen machen.« Sie überlegte kurz. »Wie sieht das bei dir eigentlich aus? Bist du verheiratet?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Verliebt, verlobt, verpartnert?«

Erneut verneinte ich.

»Da hast du also noch mehr Gemeinsamkeiten mit Anni.«

Na, dann passte es doch hervorragend, dass ich diejenige war, die ihren Garten geerbt hatte. »Ich hatte allerdings nicht gehofft, mit achtzig noch Single zu sein.« Ich zog die Nase kraus.

»Dann bist du wieder Single. Und froh drum.« Sigrid zwinkerte mir zu.

Bevor ich sie fragen konnte, wie bei ihr da die Lage war, wurden wir in unserem Gespräch unterbrochen. Der kleine ältere Herr mit Strohhut tauchte vor meinem Gartentor auf. Mit leicht gerötetem Gesicht blickte er nach links, nach rechts, drehte sich einmal zu jeder Seite und schürzte seine Lippen. »Da ist aber noch ordentlich was zu tun«, sagte er.

Ich schnappte nach Luft. Ich hatte so geschuftet die letzten Stunden!

»Unser Vorsitzender«, raunte Sigrid mir zu. »Sei freundlich.«

Es gab einen Vorsitzenden? Ich dachte, das wäre … mein Blick wanderte den Weg hinauf in die Richtung, in der sich der Eingang des Gartens befand. »e. V.« stand hinter dem Namensschild, richtig, ein Verein. Und ein Verein brauchte natürlich einen Vorsitzenden.

»Dann stelle ich mich jetzt noch einmal richtig vor«, sagte ich also lächelnd, zog meine Gartenhandschuhe aus und reichte ihm die Hand. »Marlene Wissmann, Annis Nichte.«

Etwas misstrauisch sah er mich an, so schnell vergab er mir unsere frühmorgendliche Begegnung wohl nicht. Aber dann ging Sigrid zu meinem Beet und holte den Eimer mit dem gejäteten Unkraut zwischen dem ganzen Gestrüpp hervor. »Das kippen wir jetzt erst einmal auf den Kompost«, sagte sie laut und überdeutlich.

Seine Miene wurde augenblicklich freundlicher und nun fasste er auch endlich meine immer noch ausgestreckte Hand. »Ich sehe, Sie geben sich ja wirklich Mühe. Wenn mal nicht alles auf Anhieb klappt, fragen Sie ruhig.« Beinahe jovial tippte er sich an den Strohhut und verschwand in Richtung seines eigenen Gartens.

»Eine Hürde ist geschafft.« Sigrid klatschte in die Hände. »Dann mal weiter mit dem Unkraut, dahinten warten noch jede Menge fieser Disteln auf uns. Und anschließend kommt dann die schöne Arbeit.«

Anschließend bin ich wahrscheinlich tot, dachte ich, aber da Sigrid sich nun ebenfalls Gartenhandschuhe überstreifte und sich zu mir ins Beet hockte, wollte ich ihren guten Willen nicht unterminieren.

***

Als ich am frühen Abend endlich zu Hause war, schaffte ich es gerade noch, meine Schuhe von den Füßen zu streifen, deren ursprüngliche Farbe schon seit Stunden nicht mehr zu erahnen war. Die dreckige Hose auszuziehen war mir dann aber doch zu viel und ich ließ mich direkt aufs Sofa sinken. Ich schaltete den Fernseher ein, aber als mir die Fernbedienung herunterfiel, brachte ich es nicht fertig, mich so weit nach ihr zu strecken, wie es nötig gewesen wäre, um den Sender zu wechseln. Also blieb das Programm genau da stehen, wo ich es gestern ausgemacht hatte. Irgendwann müsste ich aufs Klo, dann würde ich mich sowieso bewegen, dann konnte ich immer noch umschalten.

Mein Handy klingelte, zum Glück steckte es noch in meiner Hosentasche, das hervorzuholen gelang mir gerade so auch noch in meinem aktuellen Zustand. Jasmin, zeigte das Display an, und ich wischte nach rechts, um den Anruf anzunehmen.

»Hey«, begrüßte ich meine Freundin schlapp, die auch gleich wissen wollte, weshalb ich so erschöpft klang.

»Ich hatte keine Ahnung, wie viel Arbeit so ein Garten macht«, sagte ich müde.

Jasmin lachte dreckig. »Weshalb ich anrufe«, fuhr sie fort. »Es ist Samstagabend, was wollen wir unternehmen? Mir wäre nach Tanzen.«

»Bist du wahnsinnig?« Ich konnte keinen einzigen Muskel mehr rühren.

»Kino?«

»Nur, wenn die Leinwand mein Fernseher ist.«

»Gott, bist du langweilig.« Jasmin stöhnte.

»Im Fernsehen läuft …« Fußball. Dritte Liga.

»Wir finden schon was auf Netflix«, sagte Jasmin. »Wenn das mit unseren Dates im wahren Leben nicht klappt, könnten wir wenigstens eine Liebesschnulze anschmachten.«

»Solange es nicht Grüne Tomaten oder Wenn der weiße Flieder wieder blüht ist.«

»Angriff der Killertomaten?«, fragte Jasmin. »Ich bin in einer Stunde bei dir.«

»Klingt traumhaft«, murmelte ich zustimmend. »Und bring Pizza mit.«

Als ich mich zurück auf die Couch sinken ließ, fiel mir auf, dass ich unglaublich k. o. war, aber unerklärlicherweise auch so zufrieden wie schon lange nicht mehr.

2. Kapitel

Die Woche fing nicht gut an. Zuerst einmal hatte ich am Montagmorgen solch einen heftigen Muskelkater, dass selbst die Treppen hinunter zur Haustür ein schier unüberwindbares Hindernis darstellten, obwohl ich nur im ersten Stock wohnte. Mir taten Stellen meines Körpers weh, von denen ich nicht einmal wusste, dass es dort Muskeln gab. Außerdem regnete es seit dem Unwetter in der Nacht durchgängig, sodass meine frisch gebändigten Locken sofort anfingen, sich zu kringeln.

Im Ulmer Tagblatt war es auch nicht besser: Gerry, der Redaktionsleiter, brauchte mich nun doch nicht für die Pressekonferenz der Stadt zum neuen großen Bauprojekt. Anstelle eines abgerissenen Kaufhauses sollte eine schicke neue Passage gebaut werden, ich nahm an, das gleiche Prinzip, das es schon dreimal in jeder Großstadt gab.

Das Tagblatt war mein Hauptarbeitgeber und Gerry damit eine Art Chef für mich, zumindest jedenfalls der Chefredakteur, der mir Aufträge zuteilte und meine Artikel abnahm. Umgekehrt war ich für ihn definitiv eine »normale« Mitarbeiterin, er behandelte mich wie die fest Angestellten. Manchmal wünschte ich mir, er wäre etwas höflicher. Wenn ich wollte, könnte ich schließlich jeden Auftrag, der mir nicht gefiel, ablehnen – die Freiheit der freien Mitarbeiter. Aber für aufgesetzte Höflichkeiten kannten wir uns wohl einfach schon zu lange. Gerry gehörte zu den Personen, bei denen »bitte« und »danke« zu Fremdwörtern wurden, wenn man in einer Art Vertrauensverhältnis gelandet war.

»Das übernimmt Susanne«, informierte er mich nun zur Pressekonferenz.

Susanne war fest angestellt und deshalb natürlich erste Wahl.

»Ich hab mich gestern dafür gemeldet!«, beschwerte ich mich.

»Und? Eine Antwort bekommen?«

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