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Gefährliche Affäre

Das Wiedersehen mit Suzanne, der Witwe seines Freundes Rick, stürzt den FBI-Agenten Hart Branson in einen Konflikt. Denn obwohl er Suzanne eine Mitschuld an Ricks Tod gibt, verzehrt er sich heimlich nach ihr ...


  • Erscheinungstag: 08.05.2017
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766481
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Der Motor des Flugzeugs röchelte erneut, und der Frontpropeller blieb stehen.

„N299V, falsche Landebahn. Wiederhole: falsche Landebahn!“

Suzanne Cassidy blickte zum Funkgerät, biss sich auf die Lippen und umklammerte den Steuerknüppel noch fester. Sie hatte keinen Treibstoff mehr, sie musste es darauf ankommen lassen.

Plötzlich gingen vor ihr sechs schwarze Cobra-Helikopter herunter.

Sie schrie auf, riss den Knüppel nach hinten und schloss die Augen.

Die Maschine bockte, die Nase kam kurz hoch, dann trafen die Räder hart auf dem Boden auf.

Suzanne wurde in den Sitz zurückgeworfen. Sie öffnete die Augen wieder und sah, wie die Cobras abrupt abdrehten. Die nagelneue Cirrus SR20, die sie und ihr Partner für die Firma erstanden hatten, schlidderte die Landebahn entlang.

Suzanne fluchte und bremste stärker.

Das Flugzeug brach seitwärts aus, runter von der Asphaltpiste. Die Räder gruben sich in Gras und Erde. Steine schlugen gegen das Fahrwerk.

Das rechte Rad verfing sich in einer flachen Grube, die Cirrus kreiselte und stand.

Irgendwo begann eine Sirene zu heulen.

Suzanne rang nach Luft. Das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen, ihre Hände zitterten, sie fühlte sich völlig kraftlos. Dennoch stieß sie die Tür auf und kletterte hinaus auf die Tragfläche.

„He, was zum Teufel haben Sie hier verloren? Dies ist Militärgelände und keine Flugschule. Sie hätten uns alle umbringen können.“

Beim Klang der tiefen Stimme fuhr sie herum. Sie ließ sich auf den Boden gleiten und klammerte sich an den Tragflügel, um nicht den Halt zu verlieren. Panik überkam sie.

Sie war noch nicht bereit dazu, ihm gegenüberzutreten. Nicht hier. Nicht so.

Doch sie stand da wie gelähmt, atemlos, während er auf sie zukam. Und dann erkannte er sie.

Fast hätte sie die Nerven verloren. Vor beinahe einem Jahr hatte sie Three Hills verlassen, aber es war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte.

Die Erinnerungen überwältigten sie, doch sie wehrte sie ab. Dafür war jetzt kein Platz. Nicht, wenn sie überleben wollte.

„Suzanne!“ Er spuckte ihren Namen aus wie einen Fluch.

Die heiße Nachmittagssonne schien sein dunkelblondes Haar in geschmolzenes Gold zu verwandeln. In seiner Pilotenbrille spiegelten sich der Hangar, die Wüste und sogar ihr Bild, während seine Augen verhüllt blieben. Suzanne brauchte seine Augen gar nicht zu sehen, sie erinnerte sich lebhaft daran. Sie waren so tiefblau wie der Himmel über der Wüste vor einem Gewitter. Dunkel, turbulent, drohend und anscheinend stets auf sie gerichtet.

Ein Beben ging durch ihren Körper, und sie versuchte wegzusehen. Stattdessen glitt ihr Blick über seine hohe, sehnige Gestalt in der Fliegeruniform. Sie nahm seine kantigen Gesichtszüge wahr. Züge, die alles andere als gefällig waren. Und dennoch, er wirkte unglaublich anziehend, ja sogar gewinnend.

War er Freund oder Feind? Die Frage beschäftigte sie seit Stunden, sie jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Jemand versuchte, sie zu vernichten, vielleicht zu töten, und Hart Branson war entweder ihre Rettung – oder der Verantwortliche dafür.

Sie war gekommen, um sich Klarheit zu verschaffen.

Wortlos drehte Hart sich um und ging auf einen Hangar zu.

Verwirrt sah Suzanne ihm nach. Sie griff nach ihrer Tasche und folgte ihm. Es mochte unklug sein, sich an ihn zu wenden, vielleicht sogar gefährlich, aber sie konnte nicht mehr zurück. Er war ihre einzige Chance.

„Hart, bitte, so hör doch …“

Er fuhr herum. „Was willst du von mir, Suzanne?“

Seine Feindseligkeit war offensichtlich. Warum? Womit hatte sie ihn dermaßen erbost?

Am liebsten wäre sie vor seinem kalten, bohrenden Blick geflohen. Sie widerstand. „Das … das FBI war bei mir zu Hause.“

Hart rührte sich nicht. Seine Züge waren wie versteinert.

Sie schluckte und zwang sich fortzufahren, obwohl sie seine Verachtung geradezu körperlich empfand. „Sie sagten, dass bei Ricks letztem Einsatz Militärgeheimnisse entwendet wurden.“

Da er nicht reagierte, sprach Suzanne weiter. „Sie hatten die Sache nicht weiter verfolgt, aber nun werden diese Informationen international gehandelt und sie … sie …“

Die Luft über dem Asphalt waberte in der gnadenlosen Hitze Arizonas, doch sein Schweigen war eisig.

„Sie behaupten, dass Rick lebt, Hart.“ Suzanne nahm den Anflug von Hysterie in ihrer Stimme wahr, die andrängenden Tränen, und fügte hastig hinzu: „Sie glauben, er habe seinen Tod vorgetäuscht und die Geheimnisse verraten – und dass ich seine Komplizin sei.“

Abgründige Wut stieg in Hart auf, doch er riss sich zusammen. Er hatte Verrat erfahren und würde vermutlich wieder verraten werden, aber so etwas würde er Rick nie unterstellen, und das wusste sie. Warum also war Suzanne hier? Er hatte nicht damit gerechnet, sie je wieder zu sehen, und das war ihm nur recht. Denn seiner Meinung nach trug sie die Schuld an Rick Cassidys Tod.

Er nahm die Sonnenbrille ab, betrat den Hangar, warf seinen Helm auf eine Werkbank und wandte sich um. „Und das soll ich dir wirklich glauben, Suzanne?“

Sie war ihm nach drinnen gefolgt, doch jetzt blieb sie stehen. Sein Hohn traf sie wie ein Hieb. Tränen traten ihr in die Augen, heiß und stechend. Verzweiflung stieg in ihr auf.

Sie nahm alle ihre Kraft zusammen, reckte die Schultern und richtete sich kerzengerade auf. „Es ist die Wahrheit.“ Es sollte klar und überzeugend klingen, doch es wurde nur ein bebendes Flüstern.

Mit schmalen Augen musterte Hart sie, das Misstrauen stand in sein Gesicht geschrieben. Jede Frau, die ihm nahegestanden hatte, jede hatte gelogen und betrogen. Zuerst seine Mutter, dann seine einzige Tante, diverse Pflegemütter und schließlich seine Exfrau. Doch Suzannes Schuld war die schwerste, denn sie hatte ihren Mann auf dem Gewissen.

Hart hatte früh genug gelernt, dass er nur sich selbst trauen durfte. Und einer Frau gar zu vertrauen war pure Dummheit.

Er wandte sich zu einer Werkbank, auf der eine Kaffeekanne stand. Während er danach griff, ballte er die andere Hand zu einer Faust. Sein Zorn wuchs.

Noch vor einem Jahr war Suzanne Cassidy die Frau des besten, des einzigen Freundes gewesen, den er je gehabt hatte. Dennoch hatte er sich vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen gefühlt. Er hatte sich dafür verabscheut und versucht, die Gefühle mit Willenskraft zu verdrängen.

Er erinnerte sich an einen Abend, an dem Suzanne zum Stützpunkt kam, um sich vor einem unvorhergesehenen Einsatz von Rick zu verabschieden. Als Hart sah, wie sie Rick küsste und ihm liebevolle Worte zuflüsterte, war ihm klar geworden, dass sie ihm mehr bedeutete, als für seinen Seelenfrieden gut war.

Am Tag seiner Rückkehr zur Basis hatte er um Versetzung gebeten. Aus den Augen, aus dem Sinn, hatte er sich gesagt. Die Versetzung wurde jedoch nicht gewährt.

Und dann war Rick umgekommen, und Hart gab Suzanne die Schuld, denn sie hatte etwas Unverzeihliches getan.

Warum also verspürte er nun den fast unwiderstehlichen Drang, sie in die Arme zu nehmen und sie zu küssen? Warum dieses brennende Verlangen bei ihrem Anblick?

Er empfand Selbstekel.

Heftig knallte er die Kaffeekanne wieder auf die Werkbank und merkte in seiner Wut nicht, dass das heiße Getränk auf seine Hand spritzte. Er drehte sich zu ihr um. „Rick war kein Verräter, Suzanne.“

Durch das Fenster hinter ihm fielen Sonnenstrahlen auf ihre Tränen, sodass sie glitzerten. Hart hielt sich an seinen Zorn, um das Mitgefühl abzuwehren, aber er konnte sich an ihrer Schönheit nicht sattsehen. Diese Mischung aus Zartheit und Kraft in ihren Zügen fesselte ihn. Und sie war inzwischen noch schöner geworden.

Suzannes Lippen waren von einer lockenden Fülle, die Konturen weich geschwungen. Die leichte Stupsnase verlieh ihr etwas Kesses, während das tiefe Braun ihrer Augen, durchsetzt mit goldfarbenen Pünktchen, ihn an die Unergründlichkeit der Wüste in einer mondlosen Nacht erinnerte.

Sein Blick glitt zu ihrer blassgelben Bluse, verharrte auf der Rundung ihrer Brüste, der schmalen Taille, dem sanften Schwung ihrer Hüften und den Jeans, die ihre langen Beine eng umhüllten.

Plötzlich brachen all die alten Sehnsüchte wieder über ihn herein. Es prickelte ihm in den Fingern, die dunkle seidige Fülle ihres Haars zu berühren, durch die üppigen Wellen zu fahren, die ihr über die Schultern fielen, sie im Nacken zu fassen und an sich zu ziehen, diesen verführerischen Körper zu streicheln, ihre Leidenschaft zu entfachen, bis …

Hart ballte jetzt beide Hände zu Fäusten, geschüttelt von trügerischen Emotionen. Er wollte diese Gefühle nicht.

„Ich weiß, dass Rick kein Verräter war“, sagte sie und beendete damit das eisige Schweigen. „Aber ich schwöre, ich sage die Wahrheit. Ich brauche Hilfe, Hart, und da dachte ich …“ Ihre Stimme versagte, doch sie zwang sich, weiter zu sprechen. „Ich dachte, du könntest vielleicht … du würdest …“

Er strahlte nichts als Feindseligkeit aus – nein, Hass.

Diese Erkenntnis schockierte Suzanne. Aber warum? Nun, das war nicht mehr wichtig. Ihre letzte Hoffnung war gerade gestorben.

Sie wandte sich zum Gehen. Wie dumm von ihr, hierherzukommen. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf, drehte sich um, stieß gegen einen Stuhl, wischte sich über die Augen und hastete zum Tor.

Schuldgefühl und Mitleid überkamen Hart, aber das schob er ebenso entschlossen beiseite wie den Drang, sie aufzuhalten. Tränen waren bloß eine der weiblichen Strategien, ihren Willen durchzusetzen. Auch das gehörte zu seinen bitteren Erfahrungen.

Er lehnte sich an eine UH-60 Blackhawk. Trotz seiner lockeren Haltung war jeder Muskel seines Körpers, jeder Nerv angespannt. Er durfte nicht wankend werden, durfte ihren Worten keinen Glauben schenken.

Aber neugierig war er doch. „Falls deine Geschichte wahr ist, was erwartest du dann von mir, Suzanne?“ Seine Stimme war hart und unnachgiebig, genau wie seine Züge. Ein Teil von ihm wünschte, sie würde wortlos gehen. Der andere Teil – gegen den er ständig ankämpfte – drängte ihn, ihr zu folgen, sie in die Arme zu schließen und sich das zu nehmen, was er sich seit Langem ersehnte.

Suzanne drehte sich um, und als ihre Blicke sich trafen, stockte ihr der Atem. Eine Sekunde lang sah sie das Begehren in seinen Augen, und es entfachte erneut das Feuer, das in ihr schon vor Ricks Tod für ihn gebrannt hatte.

Im nächsten Moment war es erloschen, und sie sah nur noch kalte Wut.

Erinnerungen überschwemmten sie. Der Augenblick, als sie Hart zum ersten Mal sah … die unmittelbare Anziehung … die Schuldgefühle. Für Suzanne spielte es keine Rolle, dass ihre Ehe praktisch nicht mehr existierte, dass ihr Mann ständig Affären hatte – sie hatte an der Beziehung festgehalten. Und sie hatte sich unablässig mit Selbstvorwürfen gequält.

Ihre Mutter, die sich unbekümmert dauernd neu verliebte, war bei ihrer sechsten Ehe angelangt. Suzanne wollte es ihr nicht gleichtun. In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet – dieses Versprechen nahm sie ernst.

Und dann hatte Rick die Scheidung gefordert.

Sie schob die Erinnerungen von sich und sah Hart an. Wie gut kannte sie ihn wirklich? Er war Ricks Vorgesetzter und Freund gewesen, nicht ihrer.

Freund oder Feind? Machte sie sich Illusionen? Doch trotz ihrer Zweifel und Ängste zogen diese unerklärlichen Schwingungen, die vom ersten Tag an zwischen ihnen bestanden hatten, sie zu ihm.

Vielleicht war das Durcheinander ihrer Gefühle nur auf ihre gegenwärtige Verstörtheit zurückzuführen. Vor einem Monat war das FBI bei ihr aufgetaucht und hatte sie unerbittlich verhört. Nach dem dritten Verhör in der letzten Woche hatte Suzanne beschlossen, selbst aktiv zu werden und ihre Unschuld zu beweisen. Sie hatte ihre Cousine Molly angerufen, die im Außenministerium arbeitete, den einzigen Menschen, dem sie vertraute. Doch Molly war nicht zu erreichen. Sowohl Mollys Chef als auch ihre Mutter erklärten, sie sei bei einem Überlebenstraining in der Wildnis von Montana.

Und da hatte Suzanne an Hart gedacht. Nur er konnte Ricks Tod bezeugen.

Sie spürte seinen Blick und riss sich zusammen. „Ich wende mich an dich“, beantwortete sie seine Frage, „weil ich sonst niemanden habe. Ich will nicht umgebracht werden oder mein restliches Leben in Haft verbringen. Du kannst mir helfen, Hart.“

Wenn nicht er genau derjenige ist, dachte sie, vor dem ich mich hüten muss.

In Hart stritten Vernunft und der Zorn, der sich seit Ricks Tod in ihm aufgestaut hatte. Ihre Behauptungen waren absurd. Schlichtweg lächerlich. Dennoch würde das erklären, warum neuerdings Nachforschungen über ihn angestellt wurden.

Er versuchte, ruhig und vernünftig zu überlegen.

Vor einer Woche hatte sein Kommandant ihn informiert, dass jemand aus Washington angerufen und gezielte Fragen in Bezug auf Hart gestellt hatte. Das war nichts Ungewöhnliches. Über die Cobra Corps wollte oft jemand etwas wissen, obwohl fast alle Einsätze dieser Eliteeinheit topsecret waren.

Die Truppe bestand aus 32 Piloten, Offizieren der Luftwaffe, und den dazugehörigen Mechanikern, Assistenten, Funkern, den Crew Chiefs sowie einem Arzt. Ihre Basis lag in Three Hills, Arizona, doch sie wurden oft abberufen. Die Einsätze waren meistens höchst gefährlich: politische Geiseln befreien, politische Erpressungen „umgehen“, Putsche verhindern, Terroristen in Schach halten.

Die Nachfragen aus Washington hatten jedoch Hart persönlich gegolten. Trotzdem machten weder er noch der Kommandant sich Gedanken darüber. Hart war Flugleiter und stand vor der Beförderung. Die Überprüfung war zwar nicht Vorschrift, aber vielleicht war da jemand übergenau. Eine Formalität.

Oder sollte er sich wirklich Gedanken machen? Am Vortag hatte jemand aus Washington – ohne seinen Namen zu nennen – Harts Dienstakte angefordert. Das war in der Tat ungewöhnlich. Es musste nichts weiter bedeuten, es mochte mit der Beförderung oder mit einem Spezialeinsatz zusammenhängen. Oder aber seine Karriere war ernsthaft gefährdet.

Bestand zwischen Suzannes plötzlichem Auftauchen, ihren unglaublichen Behauptungen und diesen Vorgängen eine Verbindung?

Er schüttelte den Kopf. Unsinn. Zudem hatte sein Kommandant die Bitte abgewiesen und Harts Personalakte nicht herausgegeben.

„Auch das FBI kann einen Toten nicht auferstehen lassen, Suzanne“, sagte er kühl. Seine Stimme klang bitter.

„Hart, ich weiß nicht …“

„Rick ist tot, Suzanne. Ich habe gesehen, wie sein Chopper direkt getroffen wurde, wie er explodierte und in Einzelteile zerfetzt abstürzte. Das überlebt niemand.“

In erneuter Panik tat sie einen Schritt auf ihn zu. Mochte er sie vernichten wollen – sie würde sich nicht abweisen lassen. Jedenfalls nicht, bevor sie die Wahrheit erfuhr.

„Freunde dich mit dem Feind an“, hatte Rick mal gesagt, „dann wird er vertrauensselig.“

Sie sah in Harts Augen und suchte nach einer Antwort auf Fragen, die zu stellen sie niemals gewagt hätte. Doch das war, bevor das FBI vor ihrer Tür stand.

Hatte Hart vielleicht Rick umgebracht, um sich selbst abzusichern? War er der Verräter, den das FBI suchte? Vielleicht sogar ein Mörder? Sie holte tief Luft. War es möglich, dass die aufgefundene Leiche gar nicht Rick war? Sie musste Hart dazu bringen, ihr zu helfen, und gleichzeitig herausfinden, ob er unschuldig war oder aber ihr diese Sache eingebrockt hatte.

„Das FBI glaubt nicht an Ricks Tod.“ Sie nahm eine Akte aus ihrer Tasche und legte sie mit bebenden Händen auf eine Arbeitsplatte neben Hart.

Misstrauisch blickte er auf den Ordner.

„Das ist ein Kontoauszug von einem Konto, das ich nie eröffnet habe.“ Sie wies auf ein Blatt.

Er sah näher hin. Das Konto bestand erst seit sechs Wochen. Der Kontostand betrug 155 000 Dollar.

Sie zeigte auf ein Foto. „Und hier spreche ich angeblich mit einem Spion aus Europa.“

Suzanne war zu erkennen, jedoch nicht ihr Gesprächspartner. Hart schaute auf, noch immer nicht bereit, ihr zu glauben. Sie hätte das Geld selbst einzahlen können und der Mann auf dem Foto mochte irgendjemand sein – ihr Komplize, ein Freund, ihr Liebhaber oder gar ein völlig Fremder auf der Straße. Aber warum sollte sie sich so komplizierte Lügen ausdenken? Was wollte sie wirklich?

„Er kam in das Auktionshaus, wo ich arbeite …“ Sie brach ab. Hart wusste ja nichts von ihrem neuen Job. „Ich bin nicht mehr Lehrerin“, erklärte sie. „Ich bin jetzt Partnerin in einem Antiquitätengeschäft und Auktionshaus in Beverly Hills.“ Wie sehr sich ihr Leben doch verändert hatte, seit sie Hart zum letzten Mal gesehen hatte und in das Geschäft ihres Cousins Clyde eingestiegen war.

Sie war nach Los Angeles gegangen mit dem festen Vorsatz, wieder als Lehrerin an einer High School zu arbeiten. Doch nach zwei Tagen in ihrem neuen Job hatten mehrere Schüler in ihrer Klasse einen Streit angefangen, und sie konnte sie nicht besänftigen. Im nächsten Moment knallten Schüsse, und einer der Jungen fiel zu Boden.

Suzanne ließ sich beurlauben, denn der Vorfall hatte sie so mitgenommen, dass sie nicht mehr vor die Klasse treten konnte. Eine Woche darauf, als sie in einem kleinen Antiquitätenladen herumstöberte, lief sie Clyde in die Arme, der sich gerade mit dem Geschäftsinhaber unterhielt.

Clyde Weller war Suzannes Cousin väterlicherseits und ihr bester Freund aus Schulzeiten. Im Laufe der Jahre hatten sie sich aus den Augen verloren, und diese Begegnung war ein echter Glücksfall.

Sie gingen zusammen essen und redeten und redeten. Irgendwann machte Clyde einen Vorschlag, der so naheliegend war, dass Suzanne sofort Ja sagte. Sie war verwitwet, hatte nach Ricks Tod eine beträchtliche Abfindung bekommen, die sie anlegen wollte, und besaß einen Hochschulabschluss in Kunstgeschichte. Clyde ersteigerte seit geraumer Zeit bei Auktionen Antiquitäten für Kunden und kannte sich in der Branche bestens aus. Er plante schon lange, eine eigene Galerie zu eröffnen und selbst Auktionen zu veranstalten.

Das Schicksal schien seine Hand im Spiel zu haben, als sie sich jetzt wieder trafen. Sie legten ihre Ersparnisse sowie ihre Nachnamen zusammen und gründeten „Casswell’s“.

Hart sah sie aufmerksam an, stellte jedoch keine Fragen. Also beschloss sie, die Geschichte für sich zu behalten. Offenbar interessierte ihn ihr Privatleben nicht, und das war ihr recht so. Sie brauchte lediglich seine Hilfe, um sich von den lächerlichen Beschuldigungen des FBI reinzuwaschen.

„Wie dem auch sei, vor ungefähr zwei Monaten kam der Mann auf dem Foto in die Galerie und stellte sich als Mason Brunswick vor“, fuhr Suzanne fort. „Er sagte, er wolle ‚Casswell’s‘ – das ist der Name unserer Firma – einige alte Gemälde für eine Auktion überlassen. Am nächsten Tag begegnete ich ihm auf dem Heimweg auf der Straße. Wir plauderten eine Weile, er fragte mich etwas über eins der Gemälde. Bei der Gelegenheit wurde wohl dieses Foto aufgenommen.“

„Angenommen, deine Geschichte stimmt“, sagte Hart jetzt. „Angenommen, Rick hätte den Absturz irgendwie überlebt, die Leiche wäre nicht seine. Was sollte ich für dich tun können?“ Er wusste nicht, wieso er überhaupt fragte. Ihre Geschichte stimmte natürlich hinten und vorne nicht. Die Army hatte Ricks Leiche erst nach einem halben Jahr aufgefunden, aber es war seine. Was also wollte Suzanne?

Anstatt ihr Fragen zu stellen, sollte er ihr diese dubiose Akte zurückgeben und sich verabschieden.

„Nur du hast gesehen, wie Rick starb, Hart“, beharrte sie, obwohl sie den Zynismus in seinem Blick sah. „Du kannst bezeugen, dass er an jenem Tag die Cobra flog.“

Hart antwortete nicht.

Sie hielt seinem Blick stand, während Zweifel sie überkamen. Wenn sie nun in eine Falle getappt war? Wenn das Ganze eine Finte von ihm war und sie bereits genau das tat, was er wollte? Oder wenn der einzige Mensch, der ihr helfen konnte, ihr nicht glaubte? Eine Flut von „Wenns“… Und eine Flut von Empfindungen: Angst, Anziehung, Misstrauen, Verlangen.

Ihr Puls begann zu rasen, das Atmen fiel ihr schwer, als er sie lange und intensiv ansah. Ihr wurde fast schwindelig.

Sag doch etwas, flehte sie stumm. Sie verschränkte ihre zitternden Hände ineinander. Nur jetzt nicht zusammenbrechen! Sie wollte den Blick abwenden, diesen erbarmungslosen Augen entkommen – es gelang ihr nicht.

Es war jedoch nicht sein Schweigen und nicht ihre eigene Angst, was sie am meisten irritierte. Es war der beinah unwiderstehliche Drang, Hart zu berühren, der Wunsch, seine Körperwärme, seine Kraft zu spüren.

Wie oft hatte sie im vergangenen Jahr an ihn gedacht, von ihm geträumt? Hatte versucht, ihn zu vergessen, all die Erinnerungen und Fantasien auszulöschen?

„Das FBI bereitet eine Anklage gegen mich vor, Hart.“ Ihre Stimme klang hilflos und flehend, sie konnte es nicht ändern. „Sie gehen davon aus, dass Rick den Absturz überlebte – oder den Helikopter an dem Tag gar nicht selbst flog.“ Sie atmete tief durch. „Meine einzige Chance, ihre sogenannten Beweise zu widerlegen, bist du.“

„Man hat Ricks Leiche identifiziert“, gab Hart knapp zurück. „Glaubst du, das war ein Irrtum?“

Sie zuckte die Schultern. „Das FBI glaubt es wohl.“

Er sah, wie sie die Angst und Verzweiflung zu verbergen suchte und gegen Tränen ankämpfte. Seit er Suzanne auf dem Rollfeld erkannt hatte, stritten in ihm die widersprüchlichsten Gefühle: Begehren und Zorn, Anklage und Sehnsucht. Das alles war ihm nicht neu, er hatte es das ganze Jahr über ertragen, doch jetzt waren diese Gefühle stärker, heißer denn je.

Einerseits wollte er nur vergessen. Er wollte sie in die Arme nehmen, endlich die Süße ihrer Lippen kosten, ihren schlanken Körper an seinem spüren und in der Leidenschaft versinken, die – das wusste er – in ihr schlummerte.

Wie viele Nächte hatte er seit ihrer Abreise schlaflos verbracht, während er ihren Körper neben sich wahrzunehmen meinte. Hatte sich vorgestellt, wo sie sein mochte – und mit wem? In manchen Nächten war ihm, als brächten die Erinnerungen ihn um. In anderen wünschte er sich, es wäre so.

Seit etwa einem Monat jedoch hatte er nicht mehr von ihr geträumt. Er glaubte, er hätte es überstanden und seine Gefühle für sie wären abgestorben. Jetzt wusste er, dass er sich geirrt hatte.

Allerdings empfand er nicht nur Verlangen. Er wollte sie gleichzeitig so einschüchtern, dass sie ihm die Wahrheit sagte. Er wollte sie packen und die Lügen aus ihr herausschütteln.

„Bitte, Hart“, flehte Suzanne. „Du musst mir zuhören. Ich …“

Er schüttelte den Kopf und ging an ihr vorbei zum Tor. „Rick ist tot, Suzanne. Du weißt es, ich weiß es, die Army weiß es. Und ich bin sicher, das verflixte FBI weiß es auch.“

2. Kapitel

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Der Sekretär blickte von seinem Karteikasten hoch.

„Ja, ich …“ Suzanne sah zu Harts Bürotür hinüber. Sie wusste, dass er da war und zuhörte. Nur die Nerven behalten. „Ich möchte bitte Captain Branson sprechen.“

„Wen darf ich melden, Miss?“, fragte der Soldat.

„Suzanne Cassidy.“ Warum kam Hart nicht an die Tür? Er bekam doch sicherlich alles mit.

Der Sekretär verschwand in Harts Büro und schloss die Tür. Kurz darauf kam er zurück, sprach jedoch kein Wort, sondern verließ den Raum.

Sie war überrascht, als sie Hart im Türrahmen lehnen sah. Durch das Fenster in seinem Büro flutete Sonnenlicht und ließ sein Haar golden schimmern, sodass die Schatten auf seinem Gesicht noch tiefer wirkten.

Sie wollte ihn nicht anstarren, doch sie konnte nicht anders.

„Suzanne“, sagte er und brach damit den Bann.

„Ich …“ Ihre Kehle war plötzlich trocken, und sie umklammerte den Gurt ihrer Tasche so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. „Ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden kann, Hart“, brachte sie schließlich heraus.

Er zuckte die Schultern.

Unwillkürlich erschrak sie, harrte jedoch aus. Er war ein alter Freund und zugleich ein Fremder. Sie brauchte ihn und fürchtete ihn gleichzeitig.

Sein ganzer Körper strahlte Kraft aus, in seinen Augen lag Härte. Um die Augen- und Mundwinkel hatte er unzählige kleine Falten, aber Suzanne wusste, dass Hart nicht oft lachte. Und sie wusste auch, dass sie es sich nicht erlauben durfte, seinen Worten zu trauen.

„Ich kann nichts für dich tun, Suzanne“, entgegnete er steif. Er konnte nicht zulassen, dass sie wieder in sein Leben trat.

Er ging durch den Raum und machte die Tür zum Flur auf. Dabei fing sie einen kurzen Blick von ihm auf – er war kalt, wachsam und voll Zorn. Während sie ihm nachlief, hörte sie ihren Namen rufen.

„Suzanne?“ Es war der Crew Chief. „Suzanne Cassidy? “

Sie blieb stehen. Alles an ihm war fleischig – Nacken, Brust, Bauch, Arme, sogar die Hände. Seine Augen waren von fast demselben trüben Grau wie sein Haar, und sein Gesicht war von Falten zerfurcht.

„Chief Carger“, begrüßte sie ihn.

Zu Beginn ihres Aufenthalts in Three Hills hatte Rick montags Fußballabende veranstaltet, bei denen für ein paar Piloten, Mechaniker und den Crew Chief auf der Terrasse gegrillt und das Spiel im Fernsehen angeschaut wurde. Rick hatte ihr erzählt, dass der Chief seine Angehörigen vor Jahren bei einem Brand verloren hatte. Danach war die Army seine Heimat und das Corps zu seinen Kindern geworden.

Anfangs hatte Suzanne den Chief gemocht und ihn ebenfalls als Vaterfigur betrachtet. Doch nach einer Weile fühlte sie sich in seiner Gegenwart merkwürdig unbehaglich.

„Nett, dass Sie sich an mich erinnern, Ma’am“, sagte Carger. „Wie schön, Sie wiederzusehen.“ Er maß sie mit hastigen Blicken, und nun wusste sie, was sie an ihm störte. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut?“ Er sah zu Hart hinüber. „Aber ich will nicht stören, Sir.“

Hart waren die schnellen, forschenden Blicke ebenfalls nicht entgangen. Schon damals hatte er gemutmaßt, dass der Chief sich mehr als nur oberflächlich für Suzanne interessierte, hatte es aber seiner eigenen unsinnigen Eifersucht zugeschrieben. Jetzt sah er seinen Verdacht bestätigt. Sie fühlten sich beide zu der Frau ihres Kameraden hingezogen.

„Was gibt’s, Chief?“, wollte Hart wissen, wobei er sich über Carger ebenso wie über sich selbst ärgerte.

„Ich wollte melden, Sir, dass wir ein Problem mit Cowboys Vogel haben. Die Benzinleitung. Könnte ein paar Tage dauern, bis ich die Ersatzteile kriege.“

Hart nickte. „Gut. Reb hat Urlaub. Cowboy soll notfalls seinen Chopper nehmen.“

„Das war auch meine Idee, Sir.“ Carger sah erneut Suzanne an. „Suzanne … Mrs. Cassidy. War nett, Sie zu sehen.“

Suzanne wartete, bis er gegangen war. „Bitte, Hart, bedenk doch…“, machte sie noch einen Versuch.

Er wandte den Blick ab. „Nein.“

Am liebsten wäre sie vor Verzweiflung auf die Knie gefallen und hätte ihn um Hilfe angefleht. Doch sie bewahrte einen Rest von Haltung und lief an ihm den Flur hinunter bis zum Ausgang.

Auf der Straße entdeckte sie eine Telefonzelle und ging hinein. Mit Tränen in den Augen blätterte sie in dem halb zerfetzten Telefonbuch. „Das kann er mir nicht verweigern“, murmelte sie vor sich hin. Sie fand die Nummer eines Taxi-Unternehmens und wählte sie auf ihrem Handy.

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