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Gut geplant ist halb verliebt

Als Buch hier erhältlich:

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Wütend klingelt Heather bei ihrem neuen Nachbarn. Wie kann dieser Idiot es wagen, um zwei Uhr nachts lautstark auf seiner E-Gitarre zu üben? Aber statt sich zu entschuldigen, bringt Josh Tanner sie zum Schweigen. Einfach so, mit einem heißen Kuss! Für die angehende Hochzeitsplanerin ist glasklar: Der unfassbar selbstüberzeugte Playboy-Musiker aus 4A ist ab sofort ihr Feind Nr.1. Wenn auch einer, der von nun an regelmäßig in ihren Träumen die erste Geige spielt …

"Bücher wie dieses sind der Grund, warum wir alle so gern lesen.”

All About Romance


  • Erscheinungstag: 01.12.2017
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955767501
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für alle, deren Leben in irgendeiner Weise

mit Krebs in Berührung kam.

Ich sehne mich nach einer Welt,

in der jeder ihn besiegen kann.

Doch bis es so weit ist:

Bleiben Sie tapfer und halten Sie

fest zusammen.

1. Kapitel

Seit sie denken konnte, hatte Heather Fowler diesen einen Traum gehabt: in New York zu leben. Das hatte sie schon als altkluge Achtjährige erklärt, als die beste Freundin ihrer Mutter nach einem Glas Wein, den sie wie Wasser heruntergestürzt hatte, zu redselig geworden war und sie gefragt hatte, was sie denn später mal werden wolle. Damals war sich Heather noch nicht sicher gewesen, was die Zukunft für sie bereithielt. Doch sie hatte definitiv gewusst, wo sie stattfinden würde.

In New York City.

Genauer gesagt, in Manhattan.

Ihre Obsession hatte begonnen, als die Serie Friends im Fernsehen wiederholt wurde, und steigerte sich noch, nachdem Heather die Sex and the City – DVDs ihrer Mom entdeckt hatte. Die hatte sie sich heimlich angeschaut, während ihre Mutter Doppelschichten im Diner geschoben hatte.

Die Leute in New York waren so dynamisch, so strahlend. Sie erlebten etwas. Wichtige Dinge, spannende Dinge. Dinge, die Spaß machten.

Heather wollte unbedingt eine von ihnen werden.

Später, in der Highschool, blieb ihr Traum immer präsent. Während ihre ambitionierten Mitschüler davon träumten, zum Mars zu fliegen, und die bescheideneren die nächste Mall als Ziel anvisierten, war es für Heather immer und ausschließlich New York City gewesen.

Ihre Mutter hatte nie so getan, als würde sie Heathers Traum verstehen. Joan Fowler hatte ihr ganzes Leben in Merryville, Michigan, verbracht und nur zwei Wohnsitze gehabt: das kleinbürgerliche Haus ihrer Eltern und den Wohnwagen, den sie gemietet hatte, nachdem ihre Eltern sie auf die Straße gesetzt hatten – im vierten Monat schwanger.

Und auch wenn sich Heather für ihre Mutter – und für sich selbst – etwas Besseres gewünscht hatte als abgetragene Kleidung und einen Wohnwagen mit zwei Räumen, in dem es permanent nach Peroxid stank (was dem Friseurinnen-Nebenjob ihrer Mutter zu verdanken war), hatte Joan immer zufrieden gewirkt.

Eines musste man Heathers Mutter lassen: Sie hatte ihre Tochter immer ermutigt, ihrem Wunsch zu folgen.

Wenn du nach New York willst, dann gehst du nach New York. Ganz einfach.

Also war Heather gegangen.

Aber so einfach war es nicht gewesen. Sie hatte den einen oder anderen Umweg nehmen müssen: College an der Michigan State University. Ein winziges Apartment in Brooklyn Heights, das sie sich mit vier Mitbewohnern teilte. Die Wohnung lag zwar streng genommen in New York City, entsprach allerdings nicht ganz der städtischen Eleganz, die ihr vorgeschwebt hatte.

Aber Heathers Entschlossenheit blieb ungebrochen. In einem ihrer Praktika während der Collegezeit hatte ihr ein Mentor einmal gesagt, sie solle sich wie für den Job kleiden, den sie haben wollte, nicht für den, den sie hatte. Das tat Heather seitdem, hatte das Motto inzwischen jedoch erweitert: Lebe das Leben, das du haben willst, nicht jenes, das du hast.

In ihrem Fall bedeutete das, so sparsam zu sein, dass sie eine Miete zahlen konnte, die über dem lag, was sie sich hätte locker leisten können. Bisher. Als sie es sich bisher hätte leisten können. Denn Heather stand kurz vor einer Beförderung – von der Assistenz – zur vollwertigen Hochzeitsplanerin. Es war zum Greifen nahe. Das Apartment würde ihr helfen, dieses Ziel zu erreichen. Eine Wohnung im Postleitzahlenbereich 10128, direkt östlich am Central Park gelegen.

Sie hatte es geschafft. Sie hatte sich den Traum erfüllt, oder wenigstens schon mal einen Teil davon.

Und es war …

Furchtbar.

Jetzt war es zwei Uhr morgens, und Heather war noch nicht einmal ansatzweise am Einschlummern. Nach einem weiteren misslungenen Einschlafversuch öffnete sie sie Augen. Ihre Nasenflügel bebten. Erfolglos probierte sie, geduldig zu bleiben, drehte sich dann energisch um und schlug mit der Handfläche geräuschvoll gegen die Wand über dem Kopfende ihres Bettes.

Sie hatte die Wände ihres Schlafzimmers absichtlich weiß gelassen, nachdem sie gelesen hatte, dies habe eine beruhigende Wirkung. Auch die Vorhänge waren weiß, ebenso wie der Teppich am Fußende des Bettes, die Blumen auf ihrem Tisch, der Lampenschirm.

Weiß beruhigt, Weiß beruhigt, Weiß beruhigt …

Sie wartete. Und wartete – eine Pause, und Heather hielt den Atem an.

Dann wieder: Bum ba-dum bum bum bum …

Weiß war nicht ansatzweise beruhigend genug für diesen Mist.

Heather unterdrückte den Drang zu schreien. Wurde die Musik soeben noch lauter? War das überhaupt möglich?

Offensichtlich. Wer auch immer auf der anderen Seite ihrer Schlafzimmerwand lebte, konnte entweder nicht hören, wie sie gegen die Wand donnerte, oder es war der Person vollkommen egal.

Heather schloss die Augen und versuchte, sich einzureden, es sei ein angenehmes Geräusch. Versuchte, so zu tun, als seien das wilde Gehämmer des Schlagzeugs und das Quietschen irgendeiner Gitarre ein Schlaflied.

Erneut öffnete sie die Augen. Nein, das funktionierte nicht.

Heather warf genervt die Bettdecke zurück – ein schicker neuer weißer Bezug für ihre schicke neue Wohnung – und schlüpfte in ihre Pantoffeln. Sie griff sich ein Haargummi von ihrem Nachttisch und band mit geübten Handgriffen rasch ihre zerzausten dunkelblonden Locken zu einem Dutt zusammen. Danach setzte sie ihre Brille auf, warf sich einen grauen Hoodie über, ohne sich die Mühe zu machen, den Reißverschluss hochzuziehen, riss die Wohnungstür auf und machte sich auf den kurzen Weg zu der Tür von Apartment 4A.

Das Gebäude war ein Altbau, daher die dünnen Wände, doch es war kürzlich renoviert worden – und seitdem hatte es die moderne Klingel, auf die Heather jetzt mit ihrem manikürten Finger fest drückte.

Und noch einmal, als niemand öffnete.

Und noch einmal und noch einmal und noch einmal.

Sie drückte, bis sie fast einen Krampf im Finger bekam und …

Hoppla!

Rückartig wurde die Tür geöffnet und Heather hatte plötzlich eine männliche Brust vor der Nase. Eine unbekleidete männliche Brust, so muskulös, wie sie es bisher nur bei Models in Magazinen oder auf Werbeplakaten gesehen hatte. Ein auf so spektakuläre Weise geformter Oberkörper, dass es geradezu unverschämt war.

Ja, es war absolut unverschämt.

Nicht sexy. Überhaupt nicht sexy.

Heather befahl sich hochzusehen und fing den Blick aus grünlich-blauen Augen eines Mannes auf, der äußerst amüsiert wirkte für jemanden, dessen Klingel fast abgerissen worden war.

Der Kerl lehnte sich mit einem Unterarm – der mindestens genauso unverschämt muskulös war wie der Oberkörper – gegen den Türrahmen. Mit der anderen Hand kratzte er sich träge an seinem Waschbrettbauch.

„Hallo“, sagte er und grinste sie an.

Es war ein nettes Lächeln. Auch die Stimme gefiel ihr, doch Heather war im Augenblick so was von überhaupt nicht in der Stimmung zu flirten.

„Lass mich raten“, sagte sie und schenkte ihm ein übertriebenes, falsches Lächeln. „Du steckst mitten in einer Quarterlife Crisis. Vielleicht dauert es etwas länger als erhofft, das Eckbüro zu kriegen, und du dachtest, du lenkst dich ab, indem du … gleich kommt’s … eine Band gründest!“

Er schien ihr übermüdetes Gezicke gar nicht wahrzunehmen, denn sein Lächeln wurde noch breiter. „Du bist die neue Nachbarin.“

Sie deutete auf ihre nur wenige Meter entfernte Apartmenttür.

„4C.“

„Wie nett“, sagte er anerkennend.

Einen Moment lang hätte sie schwören können, dass sein Blick zu ihren Brüsten herunterwanderte, doch als sie mit zusammengekniffenen Augen wieder zu ihm hinaufschaute, war da nur ein unschuldiges Lächeln.

„Also stimmt das mit der Band?“

Statt die Frage zu beantworten, streckte er seine Hand aus. „Josh Tanner.“

„Ziemlich gute Manieren für jemanden, der so wenig Rücksicht auf seine Nachbarn nimmt“, murmelte sie und gab ihm widerwillig die Hand. „Heather Fowler.“

„Heather Fowler“, wiederholte er langsam, als würde er überlegen, ob der Name zu ihr passte oder nicht, sich aber offenbar nicht entscheiden mochte.

Ehe sie reagieren konnte, streckte er den Arm aus und zupfte mit Daumen und Zeigefinger an einer Locke, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte. „Hübsch.“

„Okay, das reicht“, fuhr sie ihn an. „Hört das mit der Musik jetzt auf oder nicht?“

„Na ja, schwer zu sagen.“ Er verschränkte seine Arme vor seiner muskulösen Brust. „Ich bin sehr sprunghaft, wegen der … Wie hieß das? Quarterlife Crisis?“

„Sei einfach nicht so laut“, meinte sie erschöpft und rieb sich die Stirn.

„Mrs. Calvin hat es nie gestört.“

„Wer zum Teufel ist Mrs. Calvin?“

„Die Dame, die vor dir in Apartment 4C gewohnt hat. Sie hat jeden Mittwoch Bananenbrot gemacht und immer einen Laib für mich mitgebacken. Ich schätze, du backst nicht.“

„War diese Mrs. Calvin taub?“, warf Heather ein und überging die Backfrage. Eigentlich backte sie gerne, doch nicht für diesen Typen, egal, wie umwerfend sein Oberkörper auch sein mochte.

„Komplett“, bestätigte Josh. „Sie stellte ihr Hörgerät jeden Abend um acht Uhr aus, also genau dann, wenn meine Band und ich anfingen zu proben.“

„Aha!“, stieß sie hervor und zeigte mit einem Finger auf sein Gesicht. „Du bist also tatsächlich in einer Band.“

„Natürlich.“

„Nun, ihr müsst damit aufhören.“

„Oh, die Jungs sind heute Abend gar nicht hier“, erwiderte er lapidar. „Das war ich alleine. Ich habe mit einer unserer Aufnahmen geprobt.“

„Kannst du das bitte irgendwann anders tun?“

„Es ist Freitagnacht, Süße. Mach dich mal locker. Willst du auf ein Bier reinkommen?“

„Nein“, antwortete sie und brachte die folgenden Worte sehr langsam und mit einer, wie sie fand, bewundernswerten Geduld heraus. „Was ich will, ist, dass du diese grässliche Musik abstellst, damit ich, wenn mein Wecker in vier Stunden klingelt, nicht hier vorbeikommen und dich umbringen muss, bevor ich zur Arbeit fahre.“

„Arbeit? An einem Samstag? Darf ich hoffen, das bedeutet, du bist doch eine Profi-Bäckerin, die gerne früh aufsteht, um köstliche süße Brötchen zu backen?“

„Sehe ich aus wie jemand, der köstliche süße Brötchen backt?“

„Du siehst aus wie jemand, der süße Brötchen hat.“

Heather verzog ihr Gesicht. „Du bist ein Schwein.“

„Ich wehre mich nur“, entgegnete er grinsend. „Mein Ego ist angekratzt, weil du überhaupt keine Bewunderung zeigst für all das, wofür ich so hart gearbeitet habe.“

Er streckte die Arme seitlich aus und schaute an seinem Körper herunter.

Heather verdrehte die Augen. Toller Körper hin oder her, dieser Kerl war wirklich widerlich. „Was passiert denn normalerweise, wenn eine Frau morgens um zwei Uhr an deine Tür hämmert?“, fragte sie gereizt.

Genüsslich zog er die Augenbrauen hoch.

„Vergiss es“, murmelte sie, peinlich berührt, sich selbst in diese Unterhaltung reingeritten zu haben. „Kannst du bitte, bitte, einfach nur leise sein, bis ich morgen um sieben das Haus verlassen habe?“

„Um … zum Bäcker zu gehen?“, fragte er hoffnungsvoll.

Ja. Es stand fest. Sie musste ihren neuen Nachbarn umbringen.

Hörbar genervt atmete Heather aus. „Zur Park Avenue United Methodist Church, um zu überprüfen, ob der Florist mit den Schleifen für die Kirchenbänke da ist. Und um den Tisch mit dem Gästebuch aufzubauen. Und zum Brautraum, um dafür zu sorgen, dass es dort nicht immer noch nach Zwiebeln riecht. Und dann zum Bleecker Hotel, um sicherzustellen, dass das mit dem Gabentisch seinen Gang geht, dass der Florist pünktlich ist, dass die Caterer in die Küche kommen, dass sie den guten Tanzboden aufbauen und nicht den miesen, der genau in der Mitte gerissen ist, denn wenn sie das tun, so wahr mir Gott helfe …“

„Und genau deswegen meiden moderne Männer den Altar“, unterbrach Josh sie. „Du bist eine furchteinflößende Braut, 4C.“

„Ich bin nicht die Braut“, murmelte sie und rieb ihre müder und müder werdenden Augen. „Ich bin die Assistenzplanerin.“

Assistenzplanerin. Was heißt das?“

Es bedeutet, dass ich verdammt noch mal etwas Schlaf brauche, damit ich eine Hochzeitsplanerin werden kann.

„Verstehe“, meinte Josh, obwohl sie gar nichts gesagt hatte. Er lehnte sich zu ihr herunter. „Möchtest du hereinkommen und darüber reden?“

„Ich habe eine bessere Idee. Wie wäre es, wenn du wie jeder andere normale Mensch über zweiundzwanzig ins Bett gehen würdest?“, schnauzte sie ihn an.

„Ich dachte, du fragst nie“, gab er zurück, trat zur Seite und schwang seinen Arm nach hinten, als würde er sie hereinbitten.

Heather legte sich eine Hand aufs Herz und stieß einen Laut aus, als würde sie dramatisch nach Luft schnappen. „Du meinst … du meinst, ein großer, gut aussehender Adonis wie du würde tatsächlich mich kleines Häschen mit ins Bett nehmen?“

„Wie gesagt, ich muss noch überprüfen, ob deine Brötchen auch wirklich, na ja, süß sind“, entgegnete er und schenkte ihr ein weiteres lässiges Grinsen.

Heathers aufgesetztes Lächeln verblasste. Sie trat einen Schritt nach vorne, sehr dicht an ihn heran, und ignorierte – so gut es eben ging – die von ihm ausgehende Hitze. „Ich verschwinde jetzt zurück in meine Wohnung, und ich werde schlafen. Und wenn ich auch nur einen Pieps von deiner Seite der Wand höre, werde ich mir eines von Mrs. Calvins ruhmreichen Bananenbroten schnappen und es dir hinten …“

Joshs beugte seinen Kopf zu ihrem herunter und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Sehr fest.

Heather hob bereits die Hände, um ihn zurückzustoßen, und kam mit der Bewegung bis zu seinen Schultern, stellte dann allerdings fest, dass es ein guter Kuss war. Ein verdammt guter Kuss. Joshs Lippen waren warm und trocken, er schmeckte ein wenig nach Schokolade und nach ziemlich viel Vergnügen.

Einen kurzen Moment lang war Heather in Versuchung. Es war schon eine Weile her, seit sie das letzte Mal Spaß gehabt hatte, einfach so, nur für sich. Etwas unternommen hatte, das nichts mit den Wedding Belles zu tun gehabt hatte oder damit, nach New York zu ziehen. Oder damit, zu überprüfen, ob ihre Mom rechtzeitig daran dachte, ihre Rechnungen zu bezahlen, oder …

Die Realität holte sie in genau dem Moment ein, als ihr neuer Nachbar geschickt mit seinem Mund versuchte, ihren zu öffnen.

Sie trat zurück, ehe er den Kuss fortführen konnte und die Dinge richtig interessant werden würden. „Was zu Teufel war das denn?“, stieß sie hervor und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.

Josh zuckte mit den Schultern. „Offensichtlich der schnellste Weg, dich zum Schweigen zu bringen. Das hätte ich schon vor fünf Minuten ausprobieren sollen, bevor du angefangen hast, von Schleifen und alldem zu faseln.“

„Na gut“, erwiderte sie zähneknirschend. „Wir machen einen Deal. Ich höre auf, von Schleifen zu reden, wenn du die Musik abstellst. Abgemacht?“

„Du musst dich mal entspannen, Assistenzplanerin.“

„Ganz im Gegenteil. So werden wir mich nicht nennen, kapiert?“ Heather wandte sich um und ging entschlossen zu ihrer Wohnung.

„Hey, 4C“, rief er, als sie gerade in ihr Apartment trat.

Wider besseren Wissens blickte sie noch einmal zu ihm herüber. „Was ist?“

Er zwinkerte ihr zu. „Bis demnächst.“

Seine Tür fiel ins Schloss. Heather blieb allein auf dem Flur zurück und kam sich vor wie eine Idiotin, die mit weit geöffnetem Mund vor sich hinstarrte. Sie ballte die Fäuste, marschierte in ihre neue Wohnung, verriegelte die Tür und krabbelte zurück ins Bett. Doch obwohl es jetzt endlich still war, lief ihr Gehirn auf Hochtouren.

Was. Zur Hölle. War das?

2. Kapitel

„Liebes, ist das schon dein dritter Kaffee?“, fragte Brooke Baldwin. Heathers Freundin und Kollegin betrachtete sie neugierig.

Heather schnaubte. „Eher der fünfte“, gab sie säuerlich zurück und schenkte sich aus der eleganten silbernen Kanne nach, die bei den Wedding Belles an Hochzeitstagen immer für die zahlreichen Lieferanten bereitstand. Koffein vereinfachte das nie enden wollende Chaos einer Samstagnachmittags-Hochzeit nicht unbedingt, half aber dabei, hellwach zu bleiben.

„Na gut, dann iss wenigstens etwas, um all das Koffein aufzusaugen.“ Brooke nahm einen Muffin aus dem Gebäckkorb und reichte ihn Heather, zusammen mit einer Serviette.

„Ich habe keinen Hunger“, erwiderte Heather, führte den Kaffeebecher an ihre Lippen und drehte sich um. Kritisch beobachtete sie, wie einige der Floristen-Assistenten die golden glänzenden Herbstblätter weniger behutsam verstreuten, als sie es gern gesehen hätte.

Der Muffin tauchte vor ihrem Gesicht auf.

„Komm schon. Es ist Banane-Walnuss.“

„Igitt, dann will ich ihn erst recht nicht.“ Die Erwähnung eines Bananengebäcks erinnerte Heather daran, warum sie bereits bei ihrem fünften Kaffee heute war. Wegen dieses unreifen Irren in 4A.

„Was hast du plötzlich gegen Bananen?“, fragte Brooke und biss mit großem Appetit in den verschmähten Muffin.

Das mochte Heather an Brooke. Wie sie einfach aß, was sie mochte, ohne sich dafür zu rechtfertigen. Schokolade, Cupcakes, Bananen-Muffins … Keine Leckerei war vor ihr sicher. Manchmal fragte Heather sich, ob all das Süße, das in Brookes Körper hineinwanderte, dafür sorgte, dass sie in allem, was sie sagte und tat, so liebevoll und herzerwärmend wirkte. Doch sie bezweifelte es. Für sie war Schokolade auch nicht gerade ein Fremdwort und sie hatte eine ernsthafte Schwäche für Eiscreme. Durch ihre Adern floss trotzdem nichts Liebliches.

Brooke Baldwin aber – sie war eine von den Guten. Sie war der jüngste Zugang bei den Belles. Im vergangenen Januar war sie von Kalifornien nach New York gezogen, um einem unfassbaren Kerl von einem Exverlobten zu entkommen, und Alexis, die Inhaberin der Belles, hatte sie sich geschnappt und ins Team geholt.

Wenn Heather ganz ehrlich zu sich war, und das war sie meistens, hatte es sie ein klein wenig gekränkt, als ihre Chefin ihr erzählt hatte, sie würde eine Neue einstellen, statt jene zu befördern, die sie schon hatte. *Hüstel, Heather, hüstel*.

Brooke war direkt als Hochzeitsplanerin zum Team gestoßen. Nicht wie Heather als Assistenzplanerin. Es hatte Heather einen Stich versetzt, zu wissen, dass sie zwei Jahre ihres Lebens in die Belles investiert hatte und nun eine Neue an ihr vorbeizog.

Doch nach nur fünf Sekunden, die sie in Brookes Bewerbungsunterlagen geschaut hatte, wusste sie, diese Frau hatte die Position mehr als verdient. Sie hatte nicht nur ihre eigene Agentur in Los Angeles geleitet, Brooke war gut. Richtig gut.

Es hatte geholfen, dass Heather und Brooke von der ersten Sekunde an einen guten Draht zueinander gehabt hatten. Jemanden zu verabscheuen, der so liebenswürdig und anständig war wie Brooke, wäre schwer gewesen. Bestes Beispiel für ihre umwerfende Art: Brooke hatte es geschafft, sich innerhalb weniger Monate nach ihrer Ankunft den heißesten, reichsten Junggesellen der Stadt zu angeln. Seth Tyler hatte die Belles mit der Planung der Hochzeit seiner Schwester betraut. Als ersten Auftrag hatte Brooke einen Traumjob ergattert – nur hatte diese Hochzeit letztlich gar nicht stattgefunden. Denn es hatte sich herausgestellt, dass der Verlobte seiner Schwester gar nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Letztlich hatte das aber keine Rolle mehr gespielt. In der Zwischenzeit war Seth Tyler nämlich längst Brookes sonnigem California-Girl-Charme verfallen.

Jetzt lebten sie Downtown, in einem prachtvoll renovierten alten Gebäude, mit eingebauter Bar, einem Whirlpool, der groß genug für eine vierköpfige Familie war, und keinem Möchtegern-Musiker als Nachbarn.

Heather würde Brooke spätestens jetzt ernsthaft hassen, wenn die umwerfende Blondine nicht so eine gute Freundin wäre.

„Wie wäre es, wenn ich dir ein Frühstücks-Sandwich mit ein paar Proteinen besorge?“, fragte Brooke und biss noch einmal herzhaft von dem Muffin ab. „Du siehst aus, als hättest du vor lauter Hunger schon ganz schlechte Laune.“

Verdammt. Sie hatte Hunger und schlechte Laune.

„Ach was, ich hol mir selbst eins“, antwortete Heather zerstreut. Ihr war aufgefallen, dass ein paar der goldenen Stuhlschleifen etwas schief hingen, und sie beugte sich nach vorne, um das in Ordnung zu bringen.

„Auf keinen Fall!“ Brooke spülte den letzten Muffinhappen mit einem Schluck Wasser herunter. „Das hier ist dein Auftritt. Ich hole das verdammte Sandwich.“

Überrascht sah Heather sie an. „Das ist auch dein und Alexis’ Auftritt. Wir drei hatten uns darauf geeinigt, hierfür zusammenzuarbeiten, da es ein Last-Minute-Auftrag war und ihr beide ausgebucht wart.“

Brooke zuckte mit den Schultern. „Klar, aber du hast am meisten von uns dreien dafür gearbeitet. Du hast hier deine Vision umgesetzt, Süße, und es ist eine sehr gute.“

„Das ist sie wirklich“, erklang es von einer dritten Person hinter ihnen.

Heather drehte sich um und sah das Gründungsmitglied des Belles-Trios dort stehen, die Arme elegant vor dem Oberkörper verschränkt. Sie begutachtete die Umgebung und nickte anerkennend.

Heather verdrehte die Augen in Richtung ihrer Freundin und Chefin. „Im Ernst? Wie zum Teufel schaffst du es, jetzt so ein Kleid zu tragen?“

Alexis trug ein ärmelloses T-Shirt-Kleid in einer Farbe, die sich nur als nude beschreiben ließ. Doch während das körperbetonte, hautfarbene Stück an Heather furchtbar ausgesehen hätte – und an so gut wie jeder anderen Frau, die sie kannte – sah Alexis darin unaufgeregt stilvoll aus.

Andererseits, wann war Alexis nicht mühelos geschmackvoll gekleidet? Die Geschäftsführerin der Belles war eine jener Frauen, die es fertigbrachten, den Old-School-Glamour der Reichen genauso wie die Girl-Power einer modernen jungen Frau zu verkörpern. Sie war schön, ja, aber sie war schlicht eine tolle Gesamterscheinung. Ihr dunkelbraunes Haar war meistens zu einem raffinierten Dutt gebunden, ihr Make-up immer natürlich und makellos, ihre Haltung schien direkt aus einem Handbuch für gutes Benehmen zu stammen.

Alexis sah an ihrem Kleid herunter. „Ist es nicht gut? Ich habe es online bestellt, aber das Model hatte deutlich größere Brüste als ich, und ich befürchte, ich sehe damit aus wie ein ausgestopftes Kondom.“

Brooke verschluckte sich an ihrem Wasser. „Das hätte ich jetzt überhaupt nicht von dir erwartet.“

Heather brach in Gelächter aus. Das war eines der Dinge, die sie an Alexis liebte. Die Frau hatte das Aussehen eines 20er-Jahre-Filmstars, aber das lose Mundwerk eines Lkw-Fahrers, wenn es ihr gerade in den Kram passte. Es hatte etwas gedauert, bis Heather das erkannt hatte.

Sie hatte sich damals, als sie unbedingt den Job bei Alexis haben wollte, fast auf die Knie in der Belles-Zentrale geworfen, nachdem sie eine Rezension über Alexis Morgans heißes neues Hochzeitsplanungsprojekt im The Knot gelesen hatte. Die kühle Perfektion der Chefin hatte sie anfangs eingeschüchtert – jedoch nicht so sehr, dass es sie davon abhielt, Alexis praktisch anzuflehen, sie als Auszubildende einzustellen. Stück für Stück hatte Alexis sich ihr gegenüber geöffnet und als eine Frau entpuppt, die gütig, großzügig und ein klein wenig durchtrieben war. Heather konnte nicht genau sagen, wann sich ihr Verhältnis von Chefin und Angestellte zu Freundschaft gewandelt hatte, aber die beiden hatten sich gefunden nach dem Motto: Gegensätze ziehen sich an. Heather war ein bisschen laut, vielleicht sogar einen Tick derb, wenn ihre Trailer-Park-Vergangenheit durchschien; Alexis, der ehemalige Country-Club-Liebling, das exakte Gegenteil.

Den Kommentar über ausgestopfte Kondome mal außen vor gelassen.

Als hätte sie Heathers Gedanken gelesen, schürzte Alexis die Lippen. „Ich fürchte, mein Mangel an aktuellen Sexualkontakten macht sich langsam bemerkbar.“

„Hört, hört“, sagte Heather und hob eine Hand, um eine weitere Schleife zu richten. „Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal ein ausgestopftes Kondom gesehen habe.“

„Okay, findet außer mir niemand, dass das ein unappetitliches Bild ist?“, wandte Brooke ein. „Es lässt mich an Würstchen denken.“

„Oh, apropos Würstchen …“ Ruckartig hob Heather ihren Kopf.

„Schon unterwegs“, gab Brooke zurück und leerte ihre Wasserflasche. „Alexis, möchtest du etwas von Starbucks? Ich muss Heather etwas zu essen geben, bevor sie jemanden anfällt.“

„Aah, bring mir bitte auch einen Kaffee mit“, warf Heather ein. „Einen großen.“

„Nur wenn er entkoffeiniert ist.“ Brooke hielt Heathers fünften, fast leeren Becher Kaffee in die Höhe und sah sie eindringlich an.

„Entkoffeinierter Kaffee ist wie ein unausgestopftes Kondom“, entgegnete Heather. „In meinen Augen völlig nutzlos.“

„Ich gebe auf.“ Brooke warf ihre Hände in die Luft. „Wenn du nachher irgendwann abhebst, bist du selbst schuld.“

Alexis warf ihr einen besorgten Blick zu. „Du hast nicht geschlafen? Ich kann dir einen schönen Tee empfehlen.“

„Soll ein schöner Tee meinen lauten Musikernachbarn in einen netten, ruhigen Buchhalter verwandeln?“

„Oh, aber Musiker sind irgendwie sexy“, warf Brooke interessiert ein.

Alexis nickte. „Das sind sie.“

Heather verengte die Augen. „Erstens sind sie nur sexy, wenn sie nicht gerade nebenan wohnen. Und zweitens hätte ich nicht gedacht, dass ihr beide auf Musiker steht.“

„Ich glaube, jede Frau steht auf Musiker. Jedenfalls ein bisschen“, wandte Brooke ein.

„Nee.“ Heather schüttelte den Kopf. „Du“, sie zeigte auf Brooke, „stehst auf Typen, die groß, dunkelhaarig und mürrisch sind. Und du“, jetzt deutete sie auf Alexis, „stehst auf …“

Alexis hob ihre Augenbrauen. „Ja? Glaub mir, ich kann kaum erwarten, das zu erfahren.“

Heather wechselte einen Blick mit Brooke. „Ähm, ich wollte sagen, ungeheuer brillant, ein bisschen ernst und herrlich britisch?“

Brooke nickte enthusiastisch. Alexis stöhnte auf. „Nicht das schon wieder!“

Heather zuckte mit den Schultern. „Hey, du hast gefragt. Und ich weiß gar nicht, warum du dich beschwerst. Ich hatte nur darüber sinniert, dass es schön wäre, einen ruhigen Buchhalter als Nachbarn zu haben.“

Heather hatte soeben Logan Harris beschrieben, den langjährigen Buchhalter der Belles und Alexis’ Freund und angeblichen Nicht-Lover. Der Mann war unfassbar sexy, vor allem mit seinem britischen Akzent. Objektiv betrachtet, natürlich. Heather war nie ernsthaft interessiert gewesen, denn auch wenn ihre Chefin es immer geleugnet hatte, schien Logan irgendwie zu ihr gehört zu haben. Es war, als wären sie längst zusammen, hätten das aber beide noch nicht erkannt.

Alexis bekam wieder diesen verstockten Blick, wie immer, wenn die beiden versuchten, Logan in ein romantisches Licht zu rücken.

Brooke wechselte das Thema. Vermutlich spürte sie, dass Alexis’ Stimmung zu kippen drohte. „Willst du uns ernsthaft erzählen, dass dich ein heißer Musiker völlig kalt lässt?“

Heather schürzte ihre Lippen, und ein Bild von Joshs wie gemeißelt aussehenden Bauchmuskeln und sehr ansehnlichen Bizeps kam ihr in den Sinn.

„Aha“, rief Brooke. „Erwischt!“

„Okay, er sieht gut aus“, gab Heather zu. „Aber auf eine Art, die nach zu vielen Martinis vielleicht zu einer Affäre führen würde. Nicht so, als würde man sein Herz an ihn verlieren wollen.“

„Affären haben ihre Berechtigung.“

„Ja, das haben sie“, antwortete Heather langsam. „Aber ich werde keine mit einem Typen anfangen, dessen Briefkasten neben meinem hängt. Außerdem habe ich …“

„Affären irgendwie satt?“, beendete Alexis den Satz für sie.

Heather zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Das alles erscheint mir wie Zeitverschwendung. Dieses vergebliche Warten auf den Einen, der dir, statistisch gesehen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Herz brechen wird. Ich sage ja nicht, dass mir das nie passieren wird, mich zu verlieben. Ich … erwarte es nur nicht unbedingt, weißt du?“

Und das traf den Kern der Sache. Heather war noch nie verliebt gewesen. Nicht einmal ansatzweise. Lust, ja. Zuneigung, sicher. Aber sie hatte noch nie diese Hals-über-Kopf-Liebe erfahren, das Gefühl, sein Herz an jemanden zu verlieren.

Und mit siebenundzwanzig war sie in dieser Hinsicht längst überfällig. Dennoch war ihr sehr bewusst, wie fatal es sein konnte, sich zu schnell und zu sehr in den falschen Mann zu verknallen. Sie hatte es Mal um Mal bei ihrer Mom erlebt. Nicht dass ihre Mutter nur mit Idioten zusammen gewesen wäre – na gut, ein paar von denen waren wirklich übel gewesen –, aber bei Joan Fowler war immer alles schnell gegangen. Jeder Kerl, den sie mit nach Hause gebracht hatte, war der Eine gewesen; jeder Typ, mit dem es länger als eine Woche gut lief, ihr Seelenverwandter.

Heathers Mom war eine clevere Frau. Sie war streitlustig, lebhaft und hatte Köpfchen. Außer wenn es um Männer ging. Vielleicht hatte Joan Fowler nichts aus ihren Fehltritten in der Liebe gelernt, Heather aber schon. Irgendwann im Alter von vierzehn Jahren hatte sie die Hoffnung auf ein „Glücklich-bis-an-ihr-Lebensende“ aufgegeben. Für ihre Mutter und für sich selbst.

Das hielt sie aber nicht davon ab zu träumen. Manchmal, in schwachen Momenten, wollte sie es. Sie wollte den Ritter, das weiße Pferd, das ganze Paket. Doch selbst in den schwächsten Momenten war sich Heather darüber im Klaren, dass allzu attraktive Musiker nicht zu jenen Männern gehörten, in die sich eine smarte junge Frau ernsthaft verlieben sollte.

„So sehr ich mir auch wünschte, ich hätte die Liebe deines Lebens in meiner Hosentasche, ist das Beste, was ich dir im Augenblick bieten kann, ein Frühstück“, sagte Brooke mitfühlend.

„Das nehme ich“, antwortete Heather und verdrängte ihr Selbstmitleid auf irgendwann später. „Speck, Eier und Gouda? Und vergiss bitte nicht den Kaffee.“

„Schon unterwegs“, sagte Brooke. „Alexis?“

„Nein, ich brauche nichts, danke. Ach, bevor du gehst …“

Erwartungsvoll blickten Heather und Brooke ihre Chefin an. Alexis lächelte langsam und triumphierend. „Wir haben die Hochzeit der Robinsons bekommen.“

Einen Augenblick lang herrschte fassungsloses Schweigen, dann folgte wildes Gekreische, am lautesten von Heather.

„Im Ernst?“, fragte sie. Sie schlang die Arme um ihre Chefin und drückte sie glücklich. Dabei hüpfte sie ungehemmt auf und ab.

Danica Robinson war die größte Nummer in der Promi-Welt, seit es etwas leiser um die Kardashians geworden war. Als Tochter des größten Produzenten Hollywoods und eines internationalen Supermodels hatte sie das umwerfende Aussehen und unbegrenzte Vermögen, das legendäre Hochzeiten ermöglichte.

Jene Art von Hochzeiten, über die nicht nur die größten Brautzeitschriften berichteten, sondern auch Magazine wie E! und Us Weekly und People und Vogue und …

„Und sie will dich.“

Heather brauchte ganze dreißig Sekunden, um zu begreifen, dass Alexis mit ihr sprach.

„Warte, was?“, fragte Heather ungläubig.

Alexis’ Augen funkelten vor Freude und auch Brooke grinste sie an.

„Was meinst du damit, sie will mich?“, fragte Heather und wagte es nicht zu hoffen.

Heather dachte nicht, ihr fehle das Zeug dazu. Sie wusste, sie war gut. Sie wusste, Alexis wusste, dass sie gut war. Aber sie hatte wenig Erfahrung. Alexis hatte ihr in den vergangenen Monaten mehr und mehr Verantwortung übertragen, doch anders als Brooke und Alexis hatte Heather keine kilometerlange Referenzliste mit berühmten Kunden vorzuweisen. Sie hatte durchaus bei einer Menge Hochzeiten mitgearbeitet, aber sie hatte noch keine für sich beanspruchen können, keine, die sie ganz allein ausgerichtet hatte.

Aber wenn sie Alexis richtig verstand …

Vor Aufregung fing Heathers Herz an zu pochen.

„Sie hat die Fotos von der Monteith-Hochzeit im August auf unserer Website gesehen“, erklärte Alexis und bezog sich auf die piekfeine, aber kleine Hochzeit mit Black-Tie-Dresscode, die Heather für einen Kongressabgeordneten mittleren Alters und seine zweite Frau ausgerichtet hatte. „Danica sagte, es entspreche genau der Art von Klasse, die ihr vorschwebt. Und bestand darauf, dass, wer auch immer diese Hochzeit geplant habe, auch ihre Hochzeit planen solle.“

„Die Monteith-Hochzeit war deine“, sagte Heather zögernd, auch wenn sie ihre Chefin nicht unbedingt daran erinnern wollte, wessen Name letztlich mit dem Projekt verbunden war.

Alexis schüttelte den Kopf. „Du weißt genauso gut wie ich, dass ich wegen meiner Erkältung und der Kehlkopfentzündung zu nichts zu gebrauchen war. Du bist eingesprungen und hast das Ding gerockt. Du weißt es, ich weiß es und jetzt weiß es auch Danica Robinson.“

Heilige Scheiße.

Heather, die noch nie zu denen gehört hatte, die sich cool und unbeteiligt gaben, kreischte wieder, führte einen kleinen Glückstanz auf und breitete die Arme weit aus. „Im Ernst? Im Ernst! Gruppenumarmung, Leute. Gruppenumarmung hier bei mir.“

„Ich freue mich so sehr für dich“, rief Brooke, als sie sich in Heathers offene Arme warf. „Das ist es. Dein großer Durchbruch!“

„Brooke hat recht“, bestätigte Alexis und trat nur halb in den Kreis ein. Sie führte stattdessen eine Bewegung aus, die einem Schultertätscheln ähnelte. Alexis drückte ihre Zuneigung nicht gerne körperlich aus. „Ich weiß, du schaffst das, Heather. Wir schauen mal, wie es dir damit ergeht, das alles ganz alleine zu managen, und dann denke ich, wäre es mal an der Zeit, darüber zu sprechen, deine Position zu ändern, meinst du nicht?“

Heather widerstand dem Drang, eine Siegerfaust zu machen. Das war es. Das war es! Die Chance, endlich aufzusteigen.

„Weiß Jessie es schon?“, fragte Heather und meinte damit die langjährige Empfangsdame der Belles, die im Büro saß und sich um das pausenlos klingelnde Telefon kümmerte.

„Ja. Sie hat dafür gesorgt, dass dein Lieblings-Champagner gekühlt, und für später bei Shorty’s eine Reservierung aufgegeben ist.“

Das war Tradition bei den Belles, jedes Mal, wenn sie einen besonders wichtigen Kunden an Land gezogen hatten. Zur Feier des Tages durfte die auserwählte Hochzeitsplanerin die Speisen und Getränke bestimmen.

„Shorty’s“, sagte Heather verträumt. „Und sie weiß, dass ich Whiz mag, oder? Extra viel?“

Alexis verdrehte die Augen. „Ja, ich schätze, sie kennt inzwischen deine Vorliebe für Sprühkäse auf Philly Steak Sandwiches.“

„Du bist ja nur sauer, weil sie keine Dreifachrahm-Brie-Variante haben“, erwiderte Heather und gab Alexis einen Schmatzer auf die Wange. „Und wehe, du bestellst schon wieder einen Salat.“

Statt darauf einzugehen, hielt Alexis warnend einen Finger in die Luft. „Es gibt da ein winziges, klitzekleines Detail, das ich vielleicht über die Robertson-Hochzeit erwähnen sollte.“

„Schieß los“, sagte Heather.

In diesem Moment konnte sie nichts erschüttern. Weder der Umstand, dass es nur Truthahn-Speck statt des echten auf ihrem Lieblingssandwich gab, noch eine schlaff herabhängende Stuhlschleife. Nicht einmal ein lärmender Nachbar.

„Sagt dir der Name Heidi Rivera etwas?“

„Klar. Mal ist sie Danica Robertsons Freundin, mal ihre Feindin, aktuell eher Letzteres.“ Heather hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich beim bunten Promitreiben auf dem Laufenden zu halten.

„Ganz genau. Heidi heiratet im Plaza. Im Februar.“

„Ja, und?“

„Nun … Danica möchte auch im Plaza heiraten. Vor Heidi.“

„Vorher?“, fragte Heather. „Es ist Oktober. Wie kann sie ernsthaft glauben, dass wir eine Hochzeit im Plaza in weniger als vier Monaten zustande bringen?“

„Tut sie auch nicht“, sagte Alexis in äußerst behutsamem Tonfall. „Sie möchte es in drei Monaten haben.“

3. Kapitel

Eine Sache, die einen erwachsenen Mann auf die Palme bringen kann: Seine Mutter kommt morgens um sieben Uhr vorbei.

Eine Sache, die einen erwachsenen Mann umbringen kann: Seine Mutter kommt morgens um sieben vorbei, ehe er sich überlegt hat, wie er seine Begleiterin von letzter Nacht möglichst freundlich wieder loswird.

Josh Tanner lag noch im Bett und ging im Geiste seine Liste der todsicheren Methoden durch, eine Frau behutsam aus seinem Apartment zu befördern, als er hörte, wie die Wohnungstür geöffnet und wieder geschlossen wurde.

Er schloss die Augen und stöhnte hörbar. Es gab nur eine Person in seinem Leben, die einen Schlüssel zu seinem Apartment hatte, und Sue Tanner musste erst noch in Gänze erfassen, was Josh mit den Worten „nur für den Notfall“ gemeint hatte.

Die hübsche Brünette kam gerade aus dem Badezimmer, wo sie sich ohne zu fragen Joshs Zahnbürste geliehen hatte, und sah ihn verwirrt an. „Ist jemand hier?“

Wie aufs Stichwort ertönte ein Klopfen an der Tür. „Joshy? Bist du angezogen?“

Josh seufzte, schwang seine Beine über die Bettkante und ging unverfroren nackt zu seiner Kommode.

„April, Süße“, sagte er zu der Frau und nahm zwei T-Shirts und Jogginghosen für sie beide heraus, „mach dich darauf gefasst, meine Mutter kennenzulernen.“

„Deine Mutter?“, kreischte sie mit hoher Stimme, und das Geräusch ähnelte erstaunlicherweise jenem, das sie von sich gegeben hatte, als sie …

„Es tut mir leid“, sagte er und meinte es so. Ihretwegen und seinetwegen.

„Joshy?“

Gütiger Himmel.

„Mom. Einen Moment, ja?“

April nahm eilig die Kleidung entgegen, die er ihr reichte. Bei ihrer zierlichen Figur würden sie ihr viel zu groß sein, aber sie hatten nicht die Zeit, dass sie sich wieder in ihr hautenges Kleid zwängen konnte.

Er zog sich ein weißes T-Shirt über, schlüpfte in die blaue Jogginghose und warf April einen flüchtigen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass die kritischen Körperteile bedeckt waren. Dann öffnete er die Tür.

„Oh, hallo, mein Liebling“, sagte seine Mutter freudestrahlend. „Ich dachte, du hättest noch geschlafen.“

„Sicher hast du das.“ Automatisch machte er einen Ausfallschritt und stellte sich vor seine Mutter, um ihr die Sicht in sein Schlafzimmer zu versperren. Nur weil er gelernt hatte, Sue Tanners Aufdringlichkeit zu ertragen, hieß das nicht, dass die arme April das auch musste.

Doch gerade, als er seiner Mutter vorschlagen wollte, lieber etwas später wiederzukommen, nahm er einen schwachen Vanilleduft wahr. April kam hinter ihm hervorgeschlüpft und streckte seiner Mutter bereits die Hand entgegen.

„Mrs. Tanner. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“

Au weia.

Das Einzige, was noch schlimmer war als eine Frau, die seine Mutter nicht kennenlernen wollte, war eine Frau, die es wollte.

Er musste sie beide loswerden. Schnell.

Aber zuerst … Koffein.

Er beugte sich herunter, gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und ging in die Küche, um sich den so dringend benötigten Kaffee zu holen.

„Ach, Sie sind ja bezaubernd, meine Liebe“, sagte Sue mit zuckersüßer Stimme. „Sie haben wirklich hübsche Augen. Ich wette, die sind meinem Sohn sofort aufgefallen.“

Josh verkniff sich ein Schnauben und griff nach der Dose, in der er seine teuren Kaffeebohnen italienischer Röstung aufbewahrte. Ja. Das wird es gewesen sein. Ihre Augen.

April hatte einen fantastischen Körper und ein tolles Lächeln. Nach dem Gig seiner Band im Irish Pub um die Ecke vergangene Nacht war sie auf ihn zugekommen. Es bedurfte eines fünfminütigen Gesprächs, damit er sicherstellte, dass sie keine seiner Alarmsirenen aktivierte, die ihn vor einer „Verrückten“ warnten, und dann hat er sie mit zu sich genommen.

Um ehrlich zu sein, war es mit ihr nicht gerade der Sex seines Lebens gewesen. Das bedeutete aber nicht, dass sie es verdiente, von seiner Mutter verhört zu werden.

„Lass sie in Ruhe, Mom“, sagte er raunend.

Seine Mutter ignorierte ihn und führte eine strahlende April in die Küche. „Es tut mir schrecklich leid, dass ich einfach so in euren Morgen hereinplatze“, rief sie.

Jetzt schnaubte Josh doch.

„Oh nein, überhaupt kein Problem“, sprudelte es aus April heraus. „Ich bin nur enttäuscht, dass Sie hier sind, bevor ich uns allen Frühstück machen konnte.“

Sein Becher knallte auf den Küchentresen. Und jetzt?

„Oh, Sie sind ja süß. Überlassen Sie das mal mir. Ich bin gekommen, um Pfannkuchen zu machen! Josh liebt es, wenn ich Pfannkuchen mache.“

„Weißt du, was ich auch liebe?“, murmelte er brummig über das Surren der Kaffeemühle hinweg. „Wenn du mich vorher anrufst.“

„Du willst meine Pfannkuchen also nicht?“ Seine Mutter wandte sich endlich von April ab.

Josh dachte nach, während er sich umdrehte, um seine beiden Besucherinnen zu betrachten. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Tresen.

Einerseits hatte er hier zwei Frauen vor sich, die ihm bereitwillig Frühstück machen wollten.

Andererseits … hatte er hier zwei Frauen, die ihm bereitwillig Frühstück machen wollten.

Aber was zum Teufel sollte er jetzt tun? Es war schon schwer genug, eine Frau dazu zu bringen, von alleine auf die Idee zu kommen zu gehen. Auf keinen Fall würde er sich um beide gleichzeitig kümmern können.

Josh seufzte. „Pfannkuchen wären toll, Mom. Der perfekte Kraftstoff für die Unterhaltung über persönliche Grenzen, die wir gleich führen werden.“

Doch keine der Frauen beachtete ihn.

„Nun, April, was machen Sie beruflich?“, fragte Sue, ging zu Joshs winziger Speisekammer und nahm den Mehlbehälter heraus, den sie für ihn besorgt hatte – ohne dass er darum gebeten hätte.

„Ich bin Marktanalytikerin“, antwortete April im Plauderton. Josh rieb sich die Schläfen. Großer Gott, hatte ihre Stimme letzte Nacht auch schon so quietschig und nervig geklungen? „Eigentlich ist hier mein Lebensmittelpunkt, aber ich reise viel.“

Sue gab einen schnalzenden ts – Laut von sich und schob Josh zur Seite, um alle Zutaten auf seinem Tresen auszubreiten. „Reisen ist nichts. Es muss schwer sein, parallel eine Beziehung zu führen.“

Josh drehte sich um, damit April nicht sah, wie er das Gesicht verzog.

„Kaffee, die Damen?“

„Immer“, kam es von seiner Mutter. „Dein Vater besteht darauf, dieses billige Zeug zu nehmen, wenn er einkaufen geht.“

„Kommst du deswegen unangekündigt?“, fragte Josh. „Weil mein Kaffee besser ist?“

„Deswegen und weil ich einen Pfannkuchen essen möchte. Wenn ich sie zu Hause mache, isst dein Vater sie. Und wenn er sie isst, kippt er Sirup darauf. Und dann wäre die Diät, auf die ich ihn gesetzt habe, völlig umsonst gewesen.“

„Die Diät, die ihr … zusammen machen wolltet?“

„Halt dich besser zurück, mein Lieber“, sagte sie mit einem kleinen Zwinkern.

Seine Eltern hatten beide etwas zugelegt, nachdem sie die Sechzig überschritten hatten. Sein Vater nahm das ohne zu murren hin, doch seine Mom strebte „eine Kleidergröße weniger“ an.

Jedenfalls bis der Heißhunger auf Pfannkuchen sie überkam.

„Oh, Mist!“, kam es aus Richtung von Joshs Küchentisch.

Joshs One-Night-Stand, mit dem er gleich frühstücken würde, blickte mit bedauernder Miene von ihrem Handy auf.

„Es tut mir leid, aber ich muss gehen“, sagte April. „Eine Kollegin hat Magen-Darm und ich muss sie bei einer Telefonkonferenz vertreten.“

„Kein Problem“, sagte Josh, während seiner Mutter ein „Oh, nein!“ entfuhr.

„Nächstes Mal?“, fragte April, kam herüber und berührte den Arm seiner Mutter.

Auf gar keinen Fall.

Er mochte April. Sie war eine süße Frau. Hübsch. Klug. Sympathisch.

Aber er hatte ihr vergangene Nacht sehr deutlich gemacht, dass es ihm nur um die eine Nacht ging. Ausschließlich um die eine Nacht.

Der unerwartete Besuch seiner Mutter hatte ihr am Morgen eine Gnadenfrist verschafft, trotzdem hatte er keineswegs vor, mehr daraus werden zu lassen. Das war nicht sein Ding – jedenfalls nicht mehr.

Josh machte sich darauf gefasst, irgendwelche Esseneinladungen seiner Mutter an April abzuwehren, doch zu seiner Überraschung tätschelte seine Mutter nur unverbindlich ihren Handrücken.

„Es war so nett, Sie kennenzulernen, meine Liebe. Viel Erfolg bei Ihrem Meeting.“

„Vielen Dank“, antwortete April und war höflich genug, nicht weiter darauf einzugehen. Sie wandte sich an Josh und wollte etwas sagen. Doch dann sah sie offenbar ein, dass es nichts zu sagen gab, und beäugte sich stattdessen selbst in der übergroßen Kleidung, die er ihr zugeschoben hatte. Wahrscheinlich wägte sie ab, ob sie, wenn sie ging, lieber etwas trug, das dreimal zu groß war, als das Kleid von gestern Abend, das – wenn er sich richtig erinnerte – hautfarben und knalleng war und wahrscheinlich nicht unbedingt etwas, in dem sie vor die Mutter eines Typen treten wollte.

„Sie gehören dir, wenn du willst“, sagte Josh und deutete mit dem Kinn auf die Klamotten.

Ihr Kopf schnellte hoch. „Wirklich?“

Josh lächelte. „Klar. Behalt sie.“

Das Leuchten in ihren Augen verblasste, als sie begriff, dass behalt sie eine völlig andere Bedeutung hatte als du kannst sie später zurückbringen.

Es würde kein Später geben.

Nicht für April.

Und auch für keine der anderen Frauen, die er mit nach Hause nahm.

Fünf Minuten später stakste April in ihren High Heels und dem Kleid von letzter Nacht durch sein Wohnzimmer und hatte sich offenbar dafür entschieden, dass es morgens um sieben besser aussah, im Ausgehkleid als im T-Shirt eines One-Night-Stands nach Hause zu gehen.

„Es war wirklich nett, Sie kennenzulernen“, sagte April und winkte seiner Mutter zaghaft zu.

„Sie auch, Liebes“, erwiderte seine Mutter mit einem Winken und bediente sich an dem restlichen Kaffee aus Joshs French Press.

Und weil er kein völliger Idiot war, brachte Josh April zur Tür, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel zu sagen gab.

Sogar jetzt noch zögerte sie kurz, und gab ihm damit die Chance, sie nach ihrer Nummer zu fragen.

Was er nicht tat.

„Wir sehen uns“, sagte April und winkte ihm ähnlich unbeholfen zu wie zuvor seiner Mutter.

„Klar“, antwortete er, beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Sie würden sich nicht wiedersehen, und beide wussten das. Oder falls sie sich wiedersahen, würde es keine Wiederholung von gestern Nacht geben. Auch das wussten beide.

Josh seufzte kurz erleichtert auf, als die Tür sich hinter ihr schloss. Sein Junggesellenstatus war wiederhergestellt, genauso, wie er es haben wollte. Es brauchte. Das Leben war zu kurz, viel zu kurz, um nur mit einer Person zu schlafen. Machte ihn das zu einem Arsch? Vielleicht. Machte ihm das etwas aus? Nicht besonders.

„Nun, sie wirkte nett“, sagte Sue. Sie hielt ihren Becher mit beiden Händen fest, trank einen Schluck und beobachtete ihn durch den aufsteigenden Dampf.

„Danke, dass du sie nicht zum Weihnachtsessen eingeladen hast“, entgegnete er und machte sich daran, noch eine Kanne Kaffee zu kochen, nachdem seine Mutter die erste ausgetrunken hatte.

„Das hätte ich nicht getan!“ Seine Mutter klang empört.

„Nicht? Du lädst sie nur zum Frühstück ein?“

„Gibst du ihnen nichts zu essen, nachdem du fertig mit ihnen bist?“

„Mom!“ Er zuckte innerlich zusammen.

„Irre ich mich?“, fragte sie. „Das ist die Dritte in ebenso vielen Monaten, die ich treffe und die du einfach so gehen lässt. Nichts als ein Abschiedsgruß gibst du ihnen mit.“

„Nun, wenn du ab und zu mal anrufen würdest, bevor du hier auftauchst, könnte ich dir das ersparen“, antwortete er spitz.

Sue seufzte. „Ich weiß. Es tut mir leid. Manchmal … muss ich dich einfach sehen. Weißt du?“

Joshs Brust zog sich zusammen. Er verstand sofort, was seine Mutter sagte – und auch, was sie nicht sagte, wofür er ihr dankbar war.

Er wollte nicht an jene Tage erinnert werden. Daran, wie verzweifelt er sie und seinen Vater gebraucht hatte. Dabei wusste er, dass er nicht als Einziger Narben davongetragen hatte. Und so sehr, wie er versuchte, nach vorne zu schauen, war Sue verzweifelt bemüht, die Verzweiflung von damals aus ihrem Leben zu verbannen. Wenn das für sie bedeutete, dass sie vorbeikam und nach ihm sah – solange sie nicht gerade seine Temperatur überprüfte –, konnte er damit leben.

Josh sah herüber zu seiner Mutter, hielt ihrem Blick stand. Er hatte die gleichen blau-grünen Augen wie sie. „Mom. Ich weiß. Ich verstehe das und es macht mir nichts aus. Deshalb hast du den Schlüssel zu meinem Apartment. Nur … beim nächsten Mal vielleicht eine kleine Warnung vorab, okay?“

Fältchen bildeten sich um ihre Augen, als sie ihn anlächelte. „Aber wenn ich vorher anrufe, sagst du mir vielleicht, ich soll nicht kommen.“

„Ich werde dir sagen, komm später. Du weißt schon. Hinterher.

„Nachdem du deine schnelle Nummer durchgezogen hast, meinst du.“

Himmel, Mom! Hast du dir was in den Kaffee gekippt?“

Seine Mutter war noch nie der zarte, zerbrechliche Typ Frau gewesen, aber normalerweise sprach sie nie so unverblümt über seine … Beziehungen.

„Es tut mir leid, wenn ich dich in Verlegenheit bringe, Schatz. Ich würde nur gerne einmal herkommen und ein Mädchen sehen, dass du tatsächlich anschaust.“

„Was?“, murmelte er knurrend und schaufelte Bohnen in seine Mühle.

Sue gestikulierte mit ihrem Becher in Richtung Wohnungstür. „Dieses Mädchen war bildhübsch und süß, aber ich bin mir nicht sicher, ob dir das überhaupt aufgefallen ist.“

„Ist mir aufgefallen.“

Letzte Nacht.

Ihm war es auch an diesem Morgen aufgefallen, es war ihm nur so …

Schrecklich egal.

Seine Mutter schüttelte den Kopf, als sie zum Kühlschrank ging. „Eines Tages wirst du ein Mädchen finden, bei dem du nicht weggucken kannst. Und ich hoffe, ich bin dann da, um jede Minute davon auszukosten.“

„Oh, ich bin mir sicher, das wirst du“, sagte er brummend.

„Josh Tanner, du hast keine Milch mehr!“

„Ja, nun, ich esse viel Müsli“, sagte er und notierte im Geiste Milch auf seiner Einkaufsliste. „Soll vorkommen.“

„Nun, ohne kann ich keine Pfannkuchen machen. Was ist mit Buttermilch?“

„Selbstverständlich habe ich Buttermilch vorrätig. Welcher dreiunddreißigjährige Junggeselle hat das nicht?“

Seine Mutter schloss die Kühlschranktür. „Dein Sarkasmus wird dir nicht dabei helfen, Pfannkuchen zu bekommen.“

„Ich laufe schnell zum Kiosk.“

„Unsinn. Frag doch einfach Mrs. Calvin, ob sie welche hat. Dafür sind Nachbarn doch da.“

„Sie ist ausgezogen“, erwiderte Josh und trank den letzten Schluck seines Kaffees. „Sie wollte näher bei ihrer Familie sein.“

„Ach, wie schade. Sie war eine nette alte Dame. Und taub, was für die nächtlichen Band-Proben sehr hilfreich war.“

„Du auch, wie?“, fragte er und ging ins Schlafzimmer, um seine Schuhe zu holen.

„Was, ich auch?“

„Das neue Mädel in 4C ist wegen meiner Musik am Durchdrehen.“

Eine Woche war vergangen, seit sie an seine Tür gehämmert hatte, und er hatte seine Musik jeden Abend aufs Neue etwas zu laut aufgedreht, in der Hoffnung, sie würde noch einmal herüberkommen, um die Knutscherei zu wiederholen. Dafür, dass der kurze Kuss sie eigentlich nur zum Schweigen bringen sollte, war er überraschend heiß gewesen. Er hätte nichts gegen eine Wiederholung einzuwenden – gefolgt von einer Tätigkeit, bei der deutlich weniger Kleidungsstücke im Spiel wären als beim Knutschen.

„Ein Bandmitglied ist wohl kaum der ideale Nachbar, Schatz.“

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