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Die Wege der Liebe sind unergründlich ... und manchmal auch steinig

Laylas Verlobter erleidet unerwartet einen Herzinfarkt und stirbt - und zwar in den Armen einer anderen Frau. Sie ist entschlossen Loch Harris, das Dorf, das sie immer ihr Zuhause genannt hat, zu verlassen. Eine unerwartete Erbschaft und die Liebe zu ihrem Heimatort, bringen sie jedoch dazu, es sich noch einmal anders zu überlegen.

Doch plötzlich steht ihre abwesende Mutter vor der Tür und bringt mit einem provokativen Geständnis ihr Leben durcheinander. Ebenso machen Gerüchte, dass der prominente Sänger Mask sich in Coorie Cottage niedergelassen hat die Runde, und Layla sieht das als Chance, ihn als Headliner für den Eröffnungsabend ihres Musiklokals zu engagieren. Doch der zurückgezogene Star versucht entschlossen niemanden an sich heranzulassen und Laylas Bemühungen und die Anziehung zwischen ihnen an sich abprallen zu lassen. Dies gestaltet sich jedoch immer schwieriger, je näher er und Layla sich kommen. Aber er ist nicht ohne Grund untergetaucht, und schon bald holt ihn seine Vergangenheit in Loch Harris ein ...


  • Erscheinungstag: 23.07.2024
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365005712

Leseprobe

Kapitel 1

»Du hast es mal wieder geschafft, Mac!« Ich grinste in mein Handy. »Dein Notizbuch liegt noch hier zu Hause.«

Ich warf einen Blick auf die ledergebundene Kladde auf dem gläsernen Wohnzimmertisch. Daneben stand ein gerahmtes Foto, das uns beide am Ufer von Loch Harris zeigte.

Macs kastanienbraunes Haar war von hauchfeinen grauen Strähnen durchzogen und wir lachten für das spontane Selfie fröhlich in die Kamera. Seine hellblauen Augen mit den schweren Lidern waren von Fältchen umgeben, weil er in die Sonne blinzelte, und ich schmiegte mich an ihn. Die Sommersprossen auf meiner Nase und meinen Wangen zeichneten sich im hellen Licht deutlich ab.

Wenn mein Dad Harry uns besuchte, warf er Mac immer wieder misstrauische Seitenblicke zu. »Stört dich der Altersunterschied wirklich nicht, Layla?«, brummte er mir dann zu. »Der alte Ziegenbock ist doch gerade mal ein Jahr jünger als ich.«

Nach einer kurzen Pause, in der ich den roségoldenen Verlobungsring mit dem funkelnden Morganit darin bewunderte, fuhr ich mit meiner Sprachnachricht fort: »Jedenfalls hoffe ich, dass das Meeting mit deinem Agenten auch ohne dein Notizbuch gut läuft. Ruf mal an, wenn du fertig bist. Ich liebe dich!«

Ich legte auf und setzte mich wieder an meinen antiken Schreibtisch aus Eichenholz, der ganz hinten im Wohnzimmer meines Cottage stand. Durch die altweiß lackierten Schiebefenster konnte ich im Hintergrund die schimmernde Oberfläche des Loch Harris ausmachen.

Es war ein klarer Aprilmorgen, und hier und da schimmerte durch den dichten Wald, der den See umgab, der bunte Umriss eines Angelboots hindurch. Dicke Narzissenbüschel schoben sich wie zitronengelbe Trompeten aus dem Boden.

Unser Dorf, das jemand vor langer Zeit in einem Moment des Einfallsreichtums nach dem See benannt hatte, war mit seinen hingetupften alten Steincottages, den Kirchen mit ihren Buntglasfenstern und der kleinen Auswahl an Geschäften der Inbegriff des rauen, geheimnisvollen Charmes, der Schottland ausmachte. Die schier unendliche Anzahl an aufregenden Wanderwegen, die Weite des Sees, der sich wie ein Spiegel unter dem Himmel spannte, und die spektakulären Galen-Wasserfälle, die nur eine Viertelstunde Fahrtweg entfernt lagen, lockten die Touristen in Scharen nach Loch Harris.

Mac und ich wohnten gemeinsam in meinem ehemaligen Elternhaus. Das war es jedenfalls gewesen, bis die Ehe meiner Eltern implodierte. Ich war sieben gewesen, als meine Mutter Tina feststellte, dass sie mehr vom Leben wollte, als Loch Harris ihr je bieten könnte, und über Nacht aus unserem Leben verschwunden war.

Seitdem waren zweiundzwanzig Jahre vergangen, in denen sie für mich zu einem ominösen, fernen Geschöpf in London geworden war, das mir hin und wieder Geburtstags- oder Weihnachtskarten schickte. Und um ehrlich zu sein, war mir dieser Zustand nur recht so.

Dad hatte mich von da an allein großgezogen, wobei ihm allerdings seine Eltern unter die Arme gegriffen hatten, die inzwischen aber verstorben waren.

Trotz der Abwesenheit meiner Mutter war unser weiß gekalktes Cottage stets von Musik erfüllt gewesen. Von klein auf war ich an den Anblick von Dads Plattensammlung gewöhnt, die sich über den Wohnzimmerboden ergoss, während er stolz die Hüllen mit einem feuchten Lappen reinigte. »Wen interessiert schon Schmuck?«, sagte er dann zu mir. »Das hier sind die einzigen Schätze, die du je brauchen wirst.«

Dads größter Held war Eric Clapton – deswegen hatte er mich ja auch nach einem seiner größten Hits benannt.

Irgendwann hatte ich Dad gegenüber erwähnt, dass ich langsam gern allein wohnen würde, woraufhin er mehr als bereitwillig das Cottage geräumt und damit all die schmerzhaften Erinnerungen an meine Mutter, die darin steckten, hinter sich gelassen hatte. Seitdem wohnte er ein kleines Stückchen die Straße runter im Haus meiner Großeltern, die damals bereits verstorben waren.

Ich schob mir eine Strähne meiner gewellten hellbraunen Haare hinters Ohr und scrollte weiter durch meine E-Mails.

Es standen mehrere Abgabetermine an: eine Buchbesprechung für eine Glasgower Zeitung sowie die Aufbereitung eines Interviews, das ich mit einer aufsteigenden Krimi-Autorin aus den Niederlanden für ein Online-Magazin geführt hatte.

Wie für so viele freiberufliche Journalistinnen war die Prokrastination mein Todfeind.

Als ich nach einem Stift griff, fiel mein Blick auf einen Papierfetzen, auf welchen Mac in krakeliger schwarzer Schrift etwas notiert hatte.

Hendry hob seine Waffe. Er hielt sie so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Vor dem zerfetzten Sonnenaufgang zeichnete sich die flackernde Silhouette des Mörders ab …

Eine Idee für seinen nächsten Polit-Thriller, der den Arbeitstitel Injustice trug.

Mac verzeichnete als Autor seit Jahren beeindruckende Erfolge. Aber selbst der große Mac Christie mit seinem kultivierten Lächeln und seinem sympathischen Charme litt unter gelegentlichen Anfällen von Selbstzweifeln. In solchen Phasen hörte ich ihn regelmäßig mit der Faust auf seinen Schreibtisch im Gästezimmer hämmern, gefolgt von einer Schimpftirade, die sich gewaschen hatte.

Ich spielte mit meinem Verlobungsring, dann öffnete ich YouTube, um beim Arbeiten ein paar meiner Lieblingslieder anzuhören. Während Mac am liebsten umgeben von Stille arbeitete, war ich am produktivsten, wenn laute Musik dröhnte. »Musst du die Lautstärke bis zum Anschlag hochdrehen?«, rief Mac mir dann immer durch den Flur zu. »Wir sind hier doch nicht in der O2-Arena!«

Oft gab ich mich auch Tagträumen hin, in denen ich sogar ein eigenes Musiklokal besaß. Doch als ich Mac davon erzählt hatte, meinte er nur: »O Gott. Einen ruhigen kleinen Jazzclub könnte ich ja noch verstehen. Aber doch bitte nicht diese hysterische Rockmusik, die klingt, als würde jemand fünf Minuten lang gefoltert werden.«

»Ist es zu laut, bist du zu alt«, hatte ich daraufhin grinsend zurückgerufen, woraufhin Mac seinen Schreibtisch verließ und mich ins Schlafzimmer entführte, um mir zu beweisen, dass er alles, aber sicher nicht alt war.

Nachdem ich eine äußerst schmeichelhafte Besprechung des historischen Liebesromans verfasst hatte, den man mir zugeteilt hatte, tappte ich vom Wohnzimmer in die Küche, um mir ein schnelles Mittagessen zuzubereiten.

Mein Dad war zwar gelernter Landschaftsgärtner, besaß aber auch darüber hinaus großes handwerkliches Geschick und hatte die Einbauschränke aus dunklem Holz, die wir jahrelang stillschweigend geduldet hatten, nach seinem Auszug mithilfe seiner Handwerkerfreunde aus der Gegend blassgelb lackiert.

Auf den dunkelbraunen Arbeitsflächen hatte ich mehrere Topfpflanzen, von Heidekraut bis hin zu Efeu, verteilt. In der Ecke stand eine altmodische gelbe Seidenlampe und unsere ramponierten weißen Küchengeräte hatte ich durch einen Herd und einen Kühlschrank aus Edelstahl ersetzt.

Meine nackten Füße taperten leise über den polierten Dielenboden, als ich von den Küchenschränken zum Kühlschrank hinüberging. Mac hatte noch nicht zurückgerufen. Aber vielleicht hatte er meine Nachricht ja auch noch gar nicht abgehört. Ich riss die Kühlschranktür auf und holte eine Packung Vollkornbrot, Räucherlachs und etwas Blattsalat heraus.

Ein hartes Klopfen an der Haustür übertönte den Klang von Stevie Nicks’ Stimme, die gerade einen Song über Papierblumen zum Besten gab.

Durch die Milchglasscheibe konnte ich die unscharfe Silhouette eines groß gewachsenen Mannes ausmachen. Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. »Mac!«, rief ich und drückte die Klinke herunter. »Hast du jetzt auch noch deinen Schlüssel vergessen?«

Doch vor mir stand nicht mein Verlobter, sondern unser Dorfpolizist Tom, der mich ernst musterte. Hinter ihm spähte eine sympathisch wirkende Polizistin hervor, die ich noch nie gesehen hatte.

Ich blinzelte verwirrt.

Kapitel 2

Ich hielt meinen Verlobungsring mit der anderen Hand fest umklammert. »Da muss ein Irrtum vorliegen.«

Tom verschränkte die Hände. »Es tut mir fürchterlich leid, Layla.«

Ich sprang von meinem Sessel auf und lief vor Tom und der fremden Polizistin, die mich vom Sofa aus mitfühlend musterten, auf und ab. »Nein. Nein, ich glaube das nicht! Das ergibt doch alles keinen Sinn!« Meine Gedanken schwirrten wild durch meinen Kopf. »Mac war doch mit seinem Agenten in der Stadt verabredet. Wie sollte er da in irgendeinem Hotel in Stirling landen?«

Mein Herz fühlte sich wie ein kalter Klumpen in meiner Brust an und die Farben meines Wohnzimmers verschwammen zu einem wabernden Nebel aus Grau und Bordeauxrot.

Tom stand auf und tätschelte mir den Arm. Über das Gesicht seiner Begleiterin, die sich als Constable Emma Nicholson vorgestellt hatte, zuckte ein mitleidiges Lächeln, als sie sagte: »Ich denke, Sie sollten sich besser setzen, Layla.«

Einen Augenblick lang musterte ich sie wortlos, dann nickte ich langsam und ließ mich wieder auf meinen Sessel sinken.

Emma beobachtete Tom aus dem Augenwinkel. Verlegenes Schweigen senkte sich über den Raum.

»Als Mac den Herzinfarkt hatte, war er nicht mit seinem Agenten unterwegs«, erklärte Tom.

Ich runzelte die Stirn. »Was soll das bedeuten?«

Wieder wechselten Tom und Emma einen kurzen Blick und ich atmete stockend ein. Was ging hier vor sich?

»Mac ist in einem Zimmer im Bookman Hotel zusammengebrochen – und er war zu diesem Zeitpunkt nicht allein.«

Toms Worte trafen mich wie ein Faustschlag und einen Moment lang verschlug es mir die Sprache. »Willst du mir damit etwa sagen, dass er mit einer anderen Frau zusammen war?«

Emma blinzelte mit ihren blassblauen Augen. »Ja. Ja, das war er.«

Tom musterte konzentriert meinen weinroten Teppich, ehe er wieder zu mir aufsah. »Bei dieser anderen Frau handelte er sich um Hannah Darley-Patrick.«

Jetzt wurde es langsam albern. Das war doch alles vollkommener Unsinn! »Nein«, stieß ich hervor. »Das kann nicht stimmen. Das ist seine Ex-Frau!«

Tom und seine Begleiterin schwiegen.

»Und was haben sie dort gemacht?«, krächzte ich. Noch ehe ich fertig gesprochen hatte, wurde mir klar, wie dumm meine Frage war.

Weiterhin nur Schweigen.

Zu meiner eigenen Überraschung gab ich einen trockenen Lacher von mir, der fremd klang, als würde er zu jemand anders gehören. »O nein. Sie waren miteinander im Bett, oder?«

Emma senkte den Kopf. »Ja, so scheint es. Es tut mir aufrichtig leid.«

Ich fuhr mit den Händen über meine Oberschenkel und erhob mich wieder ruckartig aus dem Sessel. »Das kann alles nicht wahr sein«, murmelte ich. Der Verlobungsring an meinem Finger funkelte. »Sie wollen mir also erzählen, dass mein Verlobter einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hat, während er seine Ex-Frau gevögelt hat?«

Nun sprangen auch Tom und Emma auf. »Es tut mir wirklich unendlich leid, Layla«, betonte Tom erneut.

In meinem Herzen rangen Entsetzen und Wut miteinander. »Oh, mir tut es leid.«

Emma kam einen Schritt auf mich zu. »Gibt es jemanden, den wir kontaktieren können? Sie sollten im Augenblick besser nicht allein sein.«

Ungläubig rieb ich mir die Arme, bevor ich ziellos an meinem Pullisaum herumzupfte. »Harry«, murmelte ich. »Sie könnten Harry anrufen.«

»Harry Devlin ist Laylas Vater«, erklärte Tom seiner Kollegin.

»Und Faith«, fügte ich verzweifelt hinzu. »Ich brauche Faith.«

Mac und ich hatten uns vor zwei Jahren kennengelernt, als ich ihn im Auftrag eines Lifestyle-Magazins interviewte.

Er war einer von diesen charismatischen, immer ein wenig ironisch wirkenden älteren Männern mit anziehendem Lächeln und einer Charakternase.

Vom ersten Augenblick des Interviews an hatte Mac schamlos mit mir geflirtet, und als wir aus dem Restaurant in Edinburgh, in dem das Interview stattfand, aufbrechen wollten, schnappte er sich mein Handy und speicherte seine Nummer darin ab.

Ich weiß noch genau, wie warm, benebelt und geschmeichelt ich mich durch seine Aufmerksamkeit fühlte. Wie groß meine Bewunderung für diesen berühmten Politthriller-Autor war. Nachdem ich aus Prinzip ein paar Tage hatte verstreichen lassen, rief ich ihn an.

Wenige Dates später hatte Mac darauf bestanden, mich in Loch Harris zu besuchen, und war von dem silbrig schimmernden Wasser und den verzauberten Wäldern ringsum vollkommen hingerissen gewesen. Er meinte, die Schönheit der Umgebung würde ihm Energie spenden, und als er verkündete, dass er beschlossen hätte, eine der kuschligen neuen Ferienwohnungen zu mieten, die kürzlich in Dorfnähe entstanden waren, konnte ich mein Glück kaum fassen.

Mein Dad war Mac von Tag eins an mit Skepsis begegnet, insbesondere nachdem er erfahren hatte, dass er schon einmal verheiratet gewesen war. »Euch trennt ein Altersunterschied von fünfundzwanzig Jahren!«, protestierte Dad regelmäßig. »Er könnte dein Vater sein!«

»Ist er aber nicht, sondern du.«

»Und jetzt ziehst du mit ihm zusammen?« Er hatte tief durchgeatmet.

»Nicht ganz, Dad. Er zieht bei mir ein.«

Mein Vater schob seine gebräunten Hände in die Taschen seiner Cargohose. »Hör auf, so kleinkariert zu sein.« Dann zog er mich in eine von seinen bärenstarken Umarmungen. »Muss dem alten Knacker ja mächtig das Ego polieren, mit einer so umwerfenden Neunundzwanzigjährigen gesehen zu werden.«

»Alter Knacker?« Ich grinste. »Echt jetzt?« Beim Anblick von Dads finsterer Miene platzte ich halb vor Lachen. »Mac ist vierundfünfzig, nicht vierundneunzig, Dad. Ein Jahr jünger als du, nebenbei bemerkt.«

Ein roter Schimmer legte sich auf seine wettergegerbten Wangen. »Er war schon mal verheiratet, Liebes.«

»Na und? Du doch auch«, konterte ich, versuchte aber, dabei keine Erinnerungen an meine Mutter in mir hochkommen zu lassen.

Tina war für mich meistens nicht viel mehr als eine gesichtslose Silhouette. Sie war in meinem Leben kaum mehr als eine Randfigur gewesen, und das schon, ehe sie einen gebrochenen Ehemann und eine zutiefst verwirrte Tochter hatte sitzen lassen, um in London ein neues Leben anzufangen.

Je weniger ich an meine Mutter dachte, desto besser ging es mir.

»Aber das ist doch etwas ganz anderes«, widersprach mein Dad.

»Nein, ist es nicht. Er ist über fünfzig, Dad, genauso wie du. Jeder in diesem Alter hat eine Vorgeschichte.«

Und jetzt hatte diese Vorgeschichte in Form von Macs Ex-Frau Hannah, mit der er vierundzwanzig Jahre lang verheiratet gewesen war, ihr Haupt mit dem strengen schwarzen Bob aufgerichtet.

Als Tom und Emma mein Cottage wieder verlassen hatten, ließ ich mich gegen die Haustür sinken.

Mein Blick landete auf meinem Verlobungsring. Der roségoldene Reif schien mich förmlich anzugrinsen.

Das Ding hätte genauso gut aus einem Kaugummiautomaten stammen können. Was mir einst so viel bedeutet hatte, erschien mir jetzt billig und geschmacklos.

Mac war nicht hier bei mir in Loch Harris gewesen, als das Leben aus ihm gewichen war. Stattdessen hatte er sich mit ihr in einem Hotelbett gewälzt.

Kapitel 3

»Ich könnte ihn umbringen!«, knurrte Dad in seine Teetasse.

Meine beste Freundin Faith verschränkte die Arme, sodass ihre drei goldenen Armreifen gegeneinanderklimperten. »Ich fürchte, das dürfte sich als einigermaßen schwierig erweisen, Harry.«

»Du weißt genau, wie ich das meine.«

Als Dad und Faith bemerkten, dass ich aus dem Bad zurück war, ließen sie ihre Teetassen stehen und eilten zu mir. Ich schniefte in ein Taschentuch und versuchte zu vergessen, dass mir aus dem Spiegel gerade ein Gesicht entgegengeblickt hatte, welches an das einer geschmolzenen Wachsfigur erinnerte.

Durch das Küchenfenster hinter Faith konnte ich den graublau schimmernden See erkennen. »Wieso war er mit ihr zusammen? Wieso hat er sich mit Hannah getroffen, wenn er doch mit seinem Agenten verabredet war?«

Faith schob sich eine rotblonde Haarsträhne aus der Stirn. »Du wirst später noch genug Zeit haben, darüber zu grübeln. Jetzt solltest du erst mal an dich selbst denken.«

»Wie soll das denn bitte gehen? Ich habe gerade herausgefunden, dass mein Verlobter gestorben ist, während er eine andere gevögelt hat! Und, nebenbei bemerkt, nicht irgendeine andere …«

Dads Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Ich bemerkte, dass er sein Lieblings-Pink-Floyd-T-Shirt trug.

»Hat sich seine Ex schon bei dir gemeldet?«, fragte er.

Ich tupfte mit einer Taschentuchecke an meinen Augen herum, ohne damit viel zu erreichen. »Nein, noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass das nur eine Frage der Zeit ist.«

Dad und Faith wechselten einen vielsagenden Blick. »Keiner zwingt dich, mit dieser Anna zu reden, wenn du nicht willst, Liebes«, sagte er dann.

»Zumindest noch nicht«, fügte Faith hinzu.

»Ihr Name ist Hannah, Dad. Und ich wüsste nicht, wie ich um ein Gespräch mit ihr herumkommen sollte. Sie war die Letzte, die Mac lebend gesehen hat.« Ein trockenes Krächzen drang aus meiner Kehle. »Ach, was heißt gesehen. Wir wissen doch alle, was sie wirklich gemacht haben! Jedenfalls kein Kreuzworträtsel gelöst.«

Dad schloss mich in seine Arme. Er roch nach feuchter Erde und unter seinen Fingernägeln hingen letzte Dreckreste.

Ich schluchzte mehrmals tief, bis ich endlich wieder das Gefühl hatte, atmen zu können. »Du musst zum Friseur«, murmelte ich gegen Dads Schulter.

Seine Brust hob sich. »Ich dachte, ich probiere mal den Zauseliger-Landschaftsgärtner-Look.«

Ich hob den Kopf und musterte seine schulterlangen grauen Locken. »Steht dir sogar«, murmelte ich naseputzend.

Dad drückte mich wieder fester an sich. »Du weißt, dass wir beide für dich da sind, oder? Ganz egal, was du brauchst. Du musst nur fragen.«

Bilder von Macs blauen Augen mit den schweren Lidern zogen an mir vorbei. Ich ging auf die Zehenspitzen und drückte Dad einen Kuss auf die Wange. »Ja, weiß ich. Danke.«

Dann zuckte ich zusammen, als plötzlich ein Bild von Hannah mit ihrem gepuderten, streng geschnittenen Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte. Die Frau ließ mir einfach keinen Frieden. Egal, wohin ich mich drehte, überall im Cottage sah ich sie mit Mac im Bett, wie sie es wie zwei Duracell-Häschen miteinander trieben.

Ich schüttelte das Bild von mir ab und versuchte, mich zusammenzureißen. Ich wusste, was Faith und Dad von meinem Anliegen halten würden, wollte es aber trotzdem äußern. Denn aus meiner Sicht brachte es nichts, das Unvermeidliche hinauszuzögern. »Es gibt da tatsächlich etwas, das ich brauche.«

»Und was?«, fragte Faith.

Ich richtete meinen Blick auf sie. »Ich glaube, ich muss mit Hannah sprechen. Und zwar jetzt.«

Dad und Faith schauten mir mit entsetzten Mienen aus dem Wohnzimmer hinterher.

»Was hast du vor?«, fragte Faith vorsichtig. »Wonach suchst du?«

Ich verschwand in unserem Schlafzimmer am hinteren Ende des Flurs, wobei ich penibel darauf achtete, den Anblick unseres Bettes mit seinem kaffee- und cremefarbenen Überzug und den beiden Wurfkissen im Vanilleton zu vermeiden. Das leise Ticken des Weckers hing in der Luft.

Auf dem weißen Nachttisch an Macs Bettseite lag sein Adressbuch. »Wusste ich doch, dass ich es hier gesehen habe«, murmelte ich.

»Was ist das?«, fragte Dad, der in der Tür stehen geblieben war. »Liebes, du stehst noch unter Schock. Meinst du nicht, es wäre besser, wenn du dich etwas hinlegst? Ich könnte dir eine schöne Tasse Tee bringen und …«

Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre das Schlimmste, was ich im Moment tun könnte. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich die beiden vor mir.«

Ich blätterte durch das Adressverzeichnis, bis ich Hannahs Handynummer unter dem Namen, den sie in ihrer zweiten Ehe angenommen hatte, fand. Auf einmal kam mir ein Gedanke. Nicht nur ich war verletzt worden, sondern auch ihr jetziger Mann Mark. Aber dem wütenden, egoistischen Teil von mir war das gerade vollkommen egal.

Dad seufzte tief auf. »Layla. Nun sei doch vernünftig. Das ist wirklich nicht der richtige Augenblick, um …«

»Und wann ist der richtige Augenblick, Dad? Wann genau sollte ich deiner Meinung nach die Ex-Frau meines Verlobten fragen, wieso er zu seinem Todeszeitpunkt mit ihr im Bett war?«

Bedeutsames Schweigen senkte sich über das Schlafzimmer.

»Mein Handy liegt auf dem Kaminsims«, sagte ich zu Faith, als ich wieder in den Flur kam. »Neben dem Foto.«

Faith zögerte kurz, dann lief sie an mir vorbei ins Wohnzimmer und holte das Telefon von seinem Platz neben dem Bild, das einen breit grinsenden Mac zeigte. Sie reichte mir das Handy.

Macs Gesicht mit dem ansprechenden Lächeln schien einem förmlich aus dem Bilderrahmen entgegenzuspringen. Im Hintergrund funkelten die Lichter von New York.

Ohne auf Dads und Faiths flehende Blicke einzugehen, legte ich das Handy auf dem Couchtisch ab und suchte erneut Hannahs Nummer aus dem Adressbuch heraus, das ich versehentlich wieder zugeschlagen hatte. Beim Anblick von Macs krakeliger Handschrift zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen.

Meine Wangen waren heiß und klebrig vor Tränen. »Faith, könntest du bitte eine Kanne Tee aufsetzen?«

Sie senkte den Kopf, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass sie sich geschlagen gab. »Natürlich. Und Buttertoast mach ich dir auch. Keine Widerrede – du solltest wenigstens versuchen, etwas zu essen.«

Während das Freizeichen bereits erklang, forderte Faith Dad auf, sie in die Küche zu begleiten. »Komm, Harry. Layla hat ihre Entscheidung getroffen.«

Dad warf mir einen besorgten Blick zu. »Ja, das sehe ich.«

Ich beobachtete, wie sich die beiden in Richtung Küche davonmachten, um dort mit Kanne und Tassen herumzuscheppern. Mir war klar, dass sie sich Sorgen machten. Aber es war nun mal niemandem – und am wenigsten mir selbst – damit geholfen, wenn ich so tat, als wäre nichts geschehen.

Ich wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als Hannahs kratzige Stimme aus dem Hörer blökte. »Hallo?«

Kapitel 4

»Hallo?«, wiederholte sie. »Wer ist da?«

»Ich bin’s, Layla«, sagte ich und begann, auf und ab zu laufen.

»Layla«, entgegnete sie ausdruckslos.

Einen Moment lang gelang es mir noch, mich an der Stille festzuklammern, dann wurde ich von einer Flutwelle aus Abneigung mitgerissen. Im ovalen Spiegel über dem Kamin erhaschte ich einen kurzen Blick auf mich und wünschte sofort, ich hätte es bleiben lassen. Ich sah aus wie ein Negativ meines wahren Ichs – blass und mit seelenlosen grauen Augen. Mühsam zwang ich die erstbesten Worte hervor, die mir einfielen. »Du schuldest mir eine Erklärung.«

Ich musste mit eigenen Ohren hören, was geschehen war. Und zwar aus Hannahs Mund.

»Ich bezweifle, dass dies der passende Zeitpunkt für ein solches Gespräch ist«, erwiderte sie gefasst.

Wut loderte in mir auf. »Und welcher Zeitpunkt wäre deines Erachtens besser geeignet? Vielleicht beim Nachmittagstee? Oder wäre es dir nächsten Mittwoch um fünfzehn Uhr recht?«

»Es besteht keinerlei Grund, sarkastisch zu werden.«

Ich presste das Handy an mein Ohr. »Wie kannst du es wagen, mir vorzuschreiben, was ich gerade zu fühlen habe?« Ich fuhr mir durch mein wirres Haar. »Ich habe gerade erfahren, dass mein Verlobter gestorben ist, während er seine Ex-Frau gevögelt hat. Meinst du nicht, dass ich in emotionaler Hinsicht damit alle Trümpfe in der Hand habe?«

Am anderen Ende der Leitung ertönte ein erschütterter Schluchzer. Ich presste die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Das Licht der frühen Nachmittagssonne strich über meine nackten Zehen.

»Es tut mir so leid.« Sie schluckte vernehmlich. »Dich zu verletzen war das Letzte, was Mac im Sinn hatte. Aber wir hatten so viel miteinander erlebt. Vierundzwanzig gemeinsame Jahre lassen sich nicht einfach so mir nichts, dir nichts auslöschen.«

Die Erkenntnis traf mich wie ein Faustschlag. »Versuchst du gerade, mir mitzuteilen, dass das heute nicht das erste Mal war?«

In der Küche stellte Faith mit lautem Klirren ihre Tasse ab und Dad machte große Augen.

»Lass uns … lass uns bitte ein andermal darüber reden, Layla«, erwiderte Hannah stockend. »Die Wunden sind noch zu frisch.«

Wie konnte man nur so anmaßend sein? War ihr denn überhaupt nicht bewusst, was sie da angerichtet hatte? »Du bist nicht in der Position, dich hinzustellen und mir Anweisungen zu erteilen.« Tränen brannten in meinen Augen. »Wie lange?«

Ein Schniefen, dann ein Rascheln.

»Ich hab dich was gefragt.«

Hannahs Seufzer erinnerte an einen Windstoß. »Anderthalb Jahre.«

Meine Schultern verkrampften sich unter meinem rosafarbenen Pulli. Faith versuchte von der Küche aus, meine Mimik zu deuten, doch ich starrte sie nur ausdruckslos an. »Aber das bedeutet ja, dass ihr die ganze Zeit, während ich mit Mac zusammen war …«

»Er hat dich geliebt, Layla. Sehr sogar. Aber Mac und ich haben in den Jahren unserer Ehe so viel miteinander durchgemacht …«

Ich ließ die Hand mit dem Telefon sinken, konnte den Blick nicht von dem Verlobungsring lösen, der an meiner linken Hand glitzerte.

»Layla?«, schnarrte Hannahs körperlose Stimme aus dem Hörer. »Layla? Bist du noch da?«

Kapitel 5

Faith strich sachte über den Ärmel meiner schwarzen Jacke. »Bist du bereit?«

Ich ließ die Schultern hängen. »Nicht wirklich.«

»Ach, wie solltest du auch? Entschuldige, die Frage war dämlich.«

Dad, dessen strahlend weißes Hemd das satte Braun seiner Haut betonte, kam auf mich zu und wartete auf mein Zeichen.

Ich nickte knapp, und wir machten uns in unserer Trauerkleidung den Flur entlang auf den Weg zur Limousine, die uns zur Kirche bringen sollte. Als ich am Spiegel vorbeikam, erlaubte ich mir einen kurzen Blick. Meine Augen waren umwölkt von Schmerz, und es mochte vielleicht auch einfach daran liegen, dass ich mein Haar hochgesteckt hatte, aber meine Wangenknochen traten deutlicher hervor als sonst. Dennoch war das keine große Überraschung, hatte ich seit Macs Tod vor über einer Woche ja kaum etwas gegessen.

Mit zittrigen Fingern trug ich noch eine Extraschicht Lippenstift auf, bevor ich die Lippen aufeinanderpresste und dann tief durchatmete.

Die Limousine wand sich die Landstraßen entlang wie eine schwarz schimmernde Schlange. Die vertrauten Hecken und das geschwungene Ufer des Loch Harris gingen sanft ineinander über wie auf einem Gemälde von Monet.

Ich hatte keine Ahnung, was ich empfinden sollte. Wut? Trauer?

Dad saß zusammen mit mir auf der Rückbank und hielt meine Hand. Seine raue Haut an meiner fühlte sich so tröstlich an wie eine warme Decke. Ich schenkte ihm ein tränennasses Lächeln und lobte seinen marineblauen Anzug. »Du siehst schick aus, Dad.«

Er verdrehte die Augen nach oben zum Wagendach. »Ich kann ja schlecht im Motörhead-T-Shirt auf eine Beerdigung gehen, oder?« Mit einem Finger lockerte er seinen Kragen.

Neben Dad beugte Faith sich nach vorne, um mich ansehen zu können. Sie hatte ihre blonden Locken zu einem Knoten hochgesteckt und zupfte unablässig an ihrem Rocksaum herum.

»Mac hat sich auf den ersten Blick in Loch Harris verliebt«, sagte ich unvermittelt. »Schade eigentlich, dass er die Gegend am Ende mehr geliebt hat als mich.«

Dad und Faith rutschten beklommen auf ihren Sitzen herum.

»Er fand es so schön hier, dass er meinte, er hätte nichts dagegen, eines Tages hier begraben zu werden. Ich dachte allerdings, das würde noch lange dauern. Dass wir noch viele gemeinsame Jahre erleben würden.«

Faith griff über die Beine meines Dads hinweg nach meiner Hand. »Du schaffst das heute. Wir sind immer für dich da.«

Ich nickte, obwohl ich mir alles andere als sicher war. »Hast du Mum erreichen können?«, murmelte ich nach kurzem Schweigen. »Weiß sie Bescheid?«

Dad biss die Zähne zusammen. »Ich hab sie angerufen und ihr mehrere Nachrichten hinterlassen, aber bisher hat sie nicht reagiert.«

»Okay, danke.«

Ich sah wieder zum Fenster hinaus. Blinzelte. Inzwischen hatten wir die Kirche fast erreicht.

Ich wusste selbst nicht, wieso ich Dad eine derart dumme Frage gestellt hatte. Natürlich würde sie nicht zur Beerdigung kommen. Zweifellos hatte sie deutlich Wichtigeres zu tun – wie beispielsweise ihre neuste Wohltätigkeitsveranstaltung in irgendeinem protzigen Londoner Hotel auszurichten. Worum es wohl diesmal ging? Einen Fundraiser für traumatisierte Hamster? Das Leid der Mittelschicht ins Scheinwerferlicht rücken, die schon seit drei Monaten nicht mehr im Urlaub gewesen war?

Vor Ärger schnürte sich mir die Kehle zusammen. Es war einfach nur traurig, dass Tina ihre einzige Tochter nicht als Priorität betrachtete. Oder die Beerdigung ihres Fast-Schwiegersohns.

Sie war Mac nur ein einziges Mal begegnet – als ich ihn zu einer Signierstunde in London begleitet hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren wir seit drei Monaten ein Paar, und Mum hatte uns überredet, im Anschluss mit ihr Mittag essen zu gehen.

Ich musste daran denken, wie sie unverhohlen mit ihm geflirtet hatte, ihre Riemchensandale vom Fuß baumelnd, und mit ihrer leicht kehligen Stimme gesagt hatte: »Er ist eher in meinem Alter als in deinem, Darling.«

Eine schmerzhafte Erinnerung an Mac nach der nächsten kam mir in den Sinn. Kleinigkeiten, die ich als selbstverständlich betrachtet hatte – sein langsames, selbstbewusstes Schlendern, wie er dröhnend über Monty Python lachte …

Was für ein verdammtes Chaos das alles nur war!

Vor der bogenförmigen roten Veranda mit den Granitstufen, die zur Kirche von Loch Harris hinaufführten, kam der Wagen zum Stehen. Beim Anblick der großen Trauergemeinde, die sich vor der gotischen Eichentür mit den beiden beeindruckenden Keltenkreuzen versammelt hatte, wäre ich am liebsten direkt wieder umgekehrt. Die Leute unterhielten sich mit zusammengesteckten Köpfen oder flanierten schweigend über den Friedhof. Schwarze Mäntel flatterten im Wind und hier und da ragte aus dem Meer an Köpfen ein schwarzer Hut hervor.

Ich erkannte das längliche, markante Gesicht von Macs Literaturagenten Garth Keller, der höflich lächelnd Macs Autorenkollegen und die Mitglieder seines PR-Teams begrüßte.

Macs Eltern waren bereits vor einigen Jahren verstorben, sodass kaum Familienmitglieder anwesend waren. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, seine jüngere Schwester Lois entdeckt zu haben, deren Gesicht jedoch halb hinter einem schwarzen Spitzen-Fascinator im spanischen Stil verborgen war.

Ein Blitzlicht flammte auf und ich rutschte unwillkürlich auf der Rückbank nach vorn. Mein Magen verkrampfte vor Panik. »Fotografen.«

Dad verrenkte sich nach hinten, um durch die Rückscheibe sehen zu können. »Aber nur ein paar, Liebes.«

»Ein paar sind ein paar zu viel.«

Doch Faith winkte ab. »Mach dir um die keine Gedanken. Garth meinte, er kümmert sich darum.«

»Garth? Du hast mit Garth gesprochen?«

Faith warf mir ein Lächeln zu. »Ja, vor ein paar Tagen habe ich ihn angerufen. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich. Macs PR-Leute meinten, dass sie noch den einen oder anderen Gefallen bei der Presse guthätten, den sie jetzt einfordern würden.«

Ich blinzelte. »Ist das der Grund dafür, dass die Details über Macs Todesumstände in der Öffentlichkeit totgeschwiegen werden – wenn ich mir das schlechte Wortspiel erlauben darf?«

Faith nickte und wechselte einen kurzen Blick mit Dad. »Ich weiß, was für ein arroganter Arsch Garth Keller sein kann, aber er hat auch seinen Nutzen.«

Ich zuckte zurück, als der Fahrer vor meinem Fenster erschien und mir die Wagentür aufhielt. Mit meinen wackligen Beinen und den schreckgeweiteten Augen kam ich mir vor wie ein Rehkitz, das gerade erst zur Welt gekommen war. Ich sog den würzigen Duft von Heidekraut und feuchtem Gras ein.

Dad und Faith stiegen ebenfalls aus und gingen rechts und links von mir in Stellung. Einen Augenblick lang standen wir so auf dem Kiesweg. Drüben an der Eingangstür brach sich die Morgensonne in akkurat geschnittenem blauschwarzen Haar.

Hannah.

Wieder einmal musterte ich den Verlobungsring an meiner linken Hand. »Wieso trage ich dieses dumme Ding überhaupt? Als würde es noch irgendwas bedeuten.«

Dad schlang den Arm um meine Taille und drückte mich liebevoll. »Du wirst Unmengen an Zeit für einen Neuanfang haben. Aber jetzt lass uns erst einmal diesen Tag überstehen.« Er musterte mich aus seinen grauen Augen. »Bereit?«

Ich zog den Ring von meinem Finger, und es kam ein Streifen Haut zum Vorschein, der minimal blasser war als meine restliche Hand. Dad und Faith wechselten einen erneuten angespannten Blick, während ich meine gesteppte Clutch aufriss und den Ring hineinpfefferte.

»Jetzt schon.«

Kapitel 6

Ich versuchte, Macs Sarg aus hellem Eichenholz hinter den glänzenden Scheiben des Leichenwagens keine Beachtung zu schenken.

Mac war nie der Herzchen-und-Blümchen-Typ gewesen, und in Anbetracht der Tatsache, dass er gerade Sex mit Hannah hatte, als sein Herz den Geist aufgab, hatte sich mein Bedürfnis, viel Geld in ein üppiges Gesteck zu investieren, in Grenzen gehalten.

Dad hatte fiese Witze darüber gerissen, dass er sicherlich irgendwo »ein paar Hände voll Saubohnenranken« auftreiben könnte. Obwohl ich das Angebot durchaus verlockend fand, hatte ich mich am Ende für einen schlichten runden Kranz entschieden, der mit Freesien, Prachtscharten und Tulpen in Hell- und Dunkellila geschmückt war. Dazwischen hatte die Floristin hellgrüne Eukalyptuszweige und Aspidistrablätter gesteckt.

Der Kranz war vorn an Macs Sarg angebracht, daneben befand sich ein Ungetüm aus weißen und gelben Lilien, das von blaugrün karierten Bändern zusammengehalten wurde. Die kelchförmigen Blüten wurden gegen die Scheibe gepresst, sodass man den Sarg von dieser Seite aus kaum sehen konnte.

Ich war mir ziemlich sicher, zu wissen, von wem das protzige Ding stammte.

Auf der anderen Seite meines Kranzes befand sich der Blumenschmuck von Macs Schwester Lois. Sie hatte sich für ein offenes Buch aus weißen und gelben Nelken entschieden, das ich weitaus geschmackvoller und angemessener fand als die Lilien.

In der Fensterscheibe des Leichenwagens konnte ich mein Spiegelbild erkennen. Zusammengepresste Lippen und geweitete Augen.

»Layla!«

Lois eilte auf mich zu. Die Erleichterung, endlich jemanden zu entdecken, den sie kannte, stand ihr ins blasse Gesicht geschrieben. Sie schloss mich in die Arme, bevor sie auf ihren dezenten schwarzen Absatzschuhen einen Schritt nach hinten machte und meine Hände umfasste. »Wie kommst du zurecht?«

Ich runzelte die Stirn. »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was ich gerade fühlen soll.«

»Das überrascht mich nicht.«

Sie begrüßte Dad und Faith, die hinter mir standen. »Kann es sein, dass fast alle Leute hier beruflich mit Mac zu tun hatten?«

»Nicht alle«, merkte ich an und nickte in Hannahs Richtung, die umgeben von einer kleinen Menschentraube Hof hielt.

Lois verzog ihre dunklen Augen zu schmalen Schlitzen. »Ach, die! Es tut mir so leid, dass sie hier ist. Ich wollte nicht, dass sie kommt, aber …«

»Ist schon gut«, unterbrach ich sie. »Na ja, gut vielleicht nicht unbedingt. Aber sie war nun mal vierundzwanzig Jahre lang mit ihm verheiratet.« Ich schluckte meine Wut hinunter. »Und sie war bei Mac, als er starb … oder besser unter ihm. Oder vielleicht auch auf ihm? Wer weiß …«

Mir versagte die Stimme und Dad zog mich in eine feste Umarmung. »Denk einfach nicht darüber nach, Liebes. Das ist es nicht wert.«

Faith neben mir nickte. »Harry hat recht … Ach du Scheiße. Cruella im Anmarsch.«

Hannah kam über den Kiesweg anstolziert und teilte in ihrem schwarzen Hosenanzug aus Samt, den stecknadeldünnen Stiletto-Absätzen und ihrem Missoni-Hut die Menge der Trauernden wie eine Gottesanbeterin. Der Hut war grau und mit einem Häkelschal aus türkis-goldener Seide verziert, der bei jeder Bewegung hinter ihr herflatterte.

Bei ihrem Anblick verkrampfte sich mein Kiefer.

»Hallo, Layla«, murmelte sie durch ihre schmalen roten Lippen.

Ich nickte kaum merklich. »Hannah.«

»Ich glaube, wir sollten reingehen, der Trauergottesdienst beginnt gleich«, stieß Faith hervor und bedachte Macs Ex mit einem kurzen, bitterbösen Blick.

Dad nahm mich am Arm, aber ich löste sanft seine Finger von meinem Ärmel. »Warum?«, fragte ich Hannah. »Warum wollte er mich heiraten, wenn er dir noch hinterherhing?«

Lois, Dad und Faith musterten Hannah ohne jegliche Sympathie.

Sie vergrub ihre dunkelrot lackierten Fingernägel in ihrer Fransentasche. »Auf seine Weise hat er dich geliebt«, krächzte sie in theatralischem Tonfall. »Wirklich. Aber ich war und blieb ein Hunger, den Mac niemals recht zu stillen wusste.«

»Oh, bitte«, platzte es aus Faith heraus. Sie stellte sich schützend vor mich. »Ersparen Sie uns die verstaubten Klischees.«

»Aber so war es nun einmal«, beharrte Hannah. »Mac fand es herrlich, eine deutlich jüngere Frau an seiner Seite zu haben. Es schmeichelte seinem Ego ungemein. Doch was die geistige Ebene betraf …«

»Ach so, darum ging es letzte Woche!«, schnaubte Dad und verschränkte die Arme. »Mac und Sie sind sich gerade auf der geistigen Ebene begegnet, als er über den Jordan gegangen ist.«

Hannah trat unruhig auf der Stelle. »Sie wissen genau, dass es so nicht war.«

»Keine Ahnung, wieso du darauf bestanden hast, heute zu kommen«, zischte Lois, ohne auf die neugierigen Blicke der vorbeilaufenden Trauergäste zu achten. »Hättest du nicht ein einziges Mal in deinem Leben an die Gefühle deiner Mitmenschen denken können?«

Ich atmete tief durch und bemerkte dabei im Augenwinkel einen Mann in Macs Alter, der unser Gespräch mit mehr als nur flüchtigem Interesse beobachtete. Insbesondere mich musterte er unter seinen silbrigen Brauen heraus eingehend. Ob er Journalist war?

Ich wandte den Kopf ab. Das war wirklich das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte. »Schluss jetzt, sonst werden wir für die Trauergemeinde noch zum Vorprogramm der Beerdigung.« Ich wandte mich an Lois, Faith und Dad. »Lasst uns in die Kirche gehen.«

Hannah kam einen Schritt auf mich zu. Ihre Absätze bohrten sich tief in den rosafarbenen Kies. »Wir konnten einfach nicht anders. Es tut mir leid.«

Fassungslos starrte ich sie an. Dad und Faith zogen mich in die kühle Luft der Kirche hinein, als sich mir der Mann mit den eindrucksvollen Augenbrauen in den Weg stellte. »Ich bedaure es wirklich außerordentlich, Sie stören zu müssen, Ms. Devlin, und das ausgerechnet heute. Aber ich bin David Murray, ein Freund von Mac.«

Er lächelte freundlich und strich sich dabei über seine schiefergraue Krawatte.

»Kann das nicht warten?«, ergriff Dad das Wort. »Layla hat gerade andere Sorgen.«

»Das ist mir bewusst, Sir. Aber ich bin nicht nur Macs Freund, sondern auch sein rechtlicher Vertreter.«

Murray warf einen kurzen Blick in Hannahs Richtung. »Seit Mac seinen ersten Bestseller geschrieben hat, bestand er darauf, dass ich mich um seine Finanzen kümmere.«

Er warf mir einen ernsten Blick zu. »Ihrem verstorbenen Verlobten war es überaus wichtig, dass sein letzter Wunsch unverzüglich umgesetzt wird, für den Fall, dass es …« Er verstummte und sein Kopf mit dem makellos frisierten stahlgrauen Haar zuckte zu Hannah. »Sagen wir, um eventuelle Unklarheiten zu verhindern.«

Ich musterte ihn verwirrt, mein Gehirn machte keinerlei Anstalten, seine Worte zu verarbeiten. »Mr. Murray, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Nennen Sie mich doch bitte David.« Er warf auch Faith und Dad ein Lächeln zu. »Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn wir uns nach der Beisetzung kurz unterhalten könnten.«

Ich winkte resigniert ab. »In Ordnung, wieso nicht? Mir ist bewusst, dass es noch so einiges zu regeln gibt.«

»Bist du sicher?«, hakte Dad nach. »Du musst nichts tun, was du nicht willst, Layla. Insbesondere nicht heute.«

Ich drückte meine Tasche fester an meine Brust. »Das weiß ich, Dad. Aber je eher ich diesen ganzen Mist hinter mir habe, desto besser.«

Kapitel 7

Nachdem der Trauergottesdienst mit einer mitreißenden Darbietung von Amazing Grace geendet hatte, war ich nur noch froh, endlich der Enge der Kirche zu entkommen. Mir war schon ganz schlecht von dem Geruch nach Bienenwachs und Kerzen.

Als ich nach draußen kam, blinzelte ich ins Sonnenlicht. Goldene Lichtsprenkel brachten die Buntglasscheiben zum Leuchten, sodass die dunkelroten und honiggelben Scherben ineinanderzufließen schienen.

Mac wurde mit Ausblick auf die Loch Harris Fells begraben, und sobald Reverend Callan die Beisetzung vollzogen hatte, entfernten sich Faith und Dad gemeinsam mit den übrigen Trauergästen diskret, um mir etwas Privatsphäre zu ermöglichen.

Ich starrte hinab in das Grab, betrachtete die Goldplakette, die mir vom Sargdeckel entgegenblinkte.

MacKenzie Terence Christie

Geboren am 18. Januar 1965

Gestorben am 2. April 2020

Meine Gefühle spielten komplett verrückt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich angemessen verhalten sollte. Wurde von mir erwartet, dass ich mich ins Gras warf und jämmerlich schluchzte? Ich fühlte mich betrogen. Ich war wütend und …

Auf einmal musste ich an die Überraschungsparty denken, die ich zu Macs nächstem Geburtstag geplant hatte, an Neujahr draußen auf dem Loch Harris samt angemietetem Boot, Ceilidh-Band und Feuerwerk.

In meiner Brust bildete sich ein trockenes Lachen, doch zum Glück wurde ich aus meinen Erinnerungen gerissen, ehe es aus mir herausplatzen konnte.

»Unser herzliches Beileid, Layla.«

»Wenn wir irgendetwas für dich tun können …«

Ich löste den Blick vom Grab und sah mich mit einer Traube von Macs Schriftstellerkollegen konfrontiert, die mich zögerlich und gleichzeitig besorgt musterten. Ob sie wussten, was zwischen Mac und Hannah gelaufen war, und es sich bei der Besorgnis in Wahrheit um Mitleid handelte?

»Komm, schaffen wir dich in den Wagen«, unterbrach Dad die Szene und schob mich sanft durch die Menge der Gäste, die uns ernst musterte. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte er nach rechts und links gewandt. »Sie sind herzlich eingeladen, auch das Trauermahl zu besuchen.«

Das Murmeln hinter uns verklang langsam, als Dad mich von Macs Grab wegführte. »Ich habe Lois gefragt, ob sie bei uns mitfahren will.«

Als Faith mich bemerkte, verabschiedete sie sich hastig von Reverend Callahan, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte, kam auf mich zu und umschloss fürsorglich meine Hände. »Du brauchst dich beim Trauermahl nur kurz blicken zu lassen, okay? Sobald es dir zu viel wird, verschwinden wir.«

Ich warf ihr ein zittriges Lächeln zu. »Danke, Faith. Ich bezweifle, dass ich das alles ohne Dad und dich geschafft hätte.«

Mein Vater seufzte. »Wir sind doch ein Team, Layla. Du und ich. Das war schon immer so.«

Lois erwartete uns bereits neben dem schwarzen Daimler. »Vielen Dank, dass ich bei euch mitfahren darf.«

Doch Dad winkte nur ab. »Sei nicht albern. Irgendwie sind wir doch eine Familie.«

Ich hob eine Braue. »Zumindest hätten wir bald eine sein sollen.«

Ohne weiter auf Hannahs grauen Hut zu achten, der immer wieder aus der Menschenmenge hervorblitzte, stieg ich gemeinsam mit den anderen in den Wagen. Ich konzentrierte mich auf die Bäume, die die Allee säumten, und die ersten Trauergäste, die bereits zu ihren Autos zurückkehrten.

Die Welt glitt wie in einzelnen Bildern hinter den Autofenstern vorbei, und zum ersten Mal wurde mir richtig bewusst, dass Mac nun fort war und ich nichts mehr hatte außer dem leeren Versprechen eines Verlobungsrings, der lose durch meine Handtasche kullerte, und dem beharrlichen Bild, wie Mac über seiner nackten Ex-Frau zusammenbrach.

Als hätte Lois meine Gedanken lesen können, drehte sie sich auf dem Beifahrersitz zu mir um. Wir sagten beide kein Wort, wechselten nur einen bedeutsamen Blick.

Dad und Faith hatten sich wieder zu mir auf die Rückbank gequetscht. Faiths Seidenrock war inzwischen ein wenig zerknittert und mein Dad hatte seine Krawatte gelockert.

Ich war innerlich so aufgeladen, so zerrissen, dass ich einfach nicht die Energie aufbringen konnte, weiter über Macs Anwaltsfreund nachzudenken. Egal, was er wollte – ich würde es machen. Ich wollte nur noch eins: dass dieser graue Aprilmorgen endlich endete.

Bei der Planung der Beerdigung hatte Lois vorgeschlagen, den Leichenschmaus im Aldebaran, einem altehrwürdigen Hotel am Ortsrand von Loch Harris, zu veranstalten.

»Mac mochte es dort, er meinte immer, das Hotel hätte Charakter«, hatte sie erklärt. »Er sagte sogar, er hätte sich dort die Inspiration für einen der Schauplätze seines neuen Romans geholt.«

Und so kam es, dass ich mich mit Dad, meiner besten Freundin und der Frau, die beinahe meine Schwägerin geworden wäre, wenig später in der halbrunden Auffahrt des Aldebaran wiederfand. Erleichtert stellte ich fest, dass wir die Ersten waren.

»Ich würde sagen, wir haben uns einen verdammt großen Drink verdient«, verkündete Dad, nachdem er sich bei unserem Fahrer bedankt hatte. Faith und ich hakten uns bei ihm ein, während Lois ein paar Schritte hinter uns lief.

Das Hotel war aus taubengrauen Backsteinen errichtet, die im weichen Licht der Westküste einladend schimmerten. Sprossenfenster schienen wie neugierige Augen und unter dem grünblau karierten Vordach standen zwei elfenbeinfarbene Tontöpfe mit üppigen Büschen darin.

Wir traten ein und wurden von einer Angestellten an die rechte Seite der verchromten Rezeption geleitet.

Dort waren in einem Veranstaltungsraum mit dem Namen »Selkie« Tische mit weißgestärkten Tischtüchern für uns aufgebaut und das Hotelpersonal verteilte Platten mit winzigen Meeresfrüchte-Kanapees, Sandwiches mit Thunfisch, Brie und Ei, Mini-Tartes und Focaccias darauf. Auf einem kleineren Tisch an der Seitenwand befand sich eine Auswahl an frischgebackenen Käse- und Früchte-Scones, Zitronen-Shortbread und Käsekuchen.

Dankbar nahm ich das Glas Weißwein entgegen, das mir von einem vorbeikommenden Kellner angeboten wurde, und genehmigte mir einen großzügigen Schluck. Kühl und frisch rann er meine Kehle hinunter. Faith gesellte sich, ebenfalls mit einem Glas Wein in der Hand, zu mir.

»Der Name des Saals gefällt mir«, bemerkte ich, während Faith sich einen Teller und eine Serviette nahm. »Schon witzig, oder? Dass Mac letztlich auch ein Doppelleben wie die Selkies geführt hat, die sich zwischen Seehund- und Menschengestalt hin und her verwandeln. Nur dass er ein zweites Leben mit Hannah lebte, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Ahnung hatte.«

Faith öffnete den Mund, um etwas Aufmunterndes zu sagen, aber ich winkte mit meinem Weinglas in der Hand ab. »Ich will diese verflixte Scharade hier einfach nur noch hinter mich bringen.«

Leises Gemurmel ließ uns beide herumfahren. Der Rest der Trauergemeinde trudelte ein und lobte höflich die Kombination aus dunkelblauem Teppich, elfenbeinfarbenen Wänden und dem Kristallleuchter, der von der Decke hing.

»Du musst was essen«, ordnete Faith an und drückte mir den Teller samt Serviette in die freie Hand. »Los.«

Ich zog eine Grimasse, lud mir zwei Tartes mit Ziegenkäse und rotem Pfeffer auf und versuchte, mich in irgendeiner Form dafür zu begeistern.

Sie warf mir einen kritischen Blick zu. »Das ist alles?«

»Bist du neuerdings meine Mutter?«

Faith schob sich eine Haarsträhne zurück in ihren Chignon. »Du kannst es dir nicht leisten, noch mehr abzunehmen.«

»Jetzt tu nicht so, als würde ich beim nächsten Windhauch davonwehen«, konterte ich und deutete dabei auf meinen Allerwertesten.

»Das vielleicht nicht, aber dein Gesicht ist ziemlich schmal geworden.«

Ich verdrehte die Augen und klatschte mir ein Tomate-Mozzarella-Sandwich auf den Teller. »Zufrieden?«

»Erst wenn ich sehe, dass du das Ding auch wirklich isst.«

Ich nahm einen winzigen Bissen von einer der Tartes und stellte dabei fest, dass ich deutlich hungriger war, als ich gedacht hatte. Schnell hatte ich auch die zweite Tarte verputzt und wollte mich gerade über das Sandwich hermachen, als David Murray neben mir auftauchte und mich mit einem entschuldigenden Blick bedachte. »Es tut mir ausgesprochen leid, Sie erneut belästigen zu müssen, Ms. Devlin …«

Dad, der mit Lois im Schlepptau zu uns zurückkam und wie sie eine dampfende Tasse Kaffee vor sich hertrug, legte eine Vollbremsung ein. »Muss das wirklich ausgerechnet jetzt sein?«

Ich stellte meinen Teller beiseite und strich mir erschöpft die Haare nach hinten. »Schon gut. Worum es auch geht, bringen wir’s hinter uns.«

David lächelte mir zu und nickte. »Danke.«

Er deutete in Richtung Tür. »Hinter dem Empfang gibt es ein ruhiges Eckchen. Dort können wir uns ungestört unterhalten.«

Er ging voraus und hielt mir die Tür auf. Dad, Lois und Faith sahen mir hinterher.

Leise Panflötenmusik drang aus der Lautsprecheranlage, als ich meinen Rock zurechtzupfte und auf einem der dick gepolsterten Sofas Platz nahm. David Murray setzte sich mir gegenüber. Zwischen uns stand ein wuchtiger Couchtisch aus kastanienbraunem Holz, und neben uns befand sich ein bodentiefes Fenster, hinter dem sich weite Rasenflächen und gepflegte Blumenbeete erstreckten.

»Ich kümmere mich schon seit Jahren um Macs rechtliche Belange«, begann David und legte dabei die Fingerspitzen aneinander. »In all der Zeit wusste er stets genau, was er wollte.«

Meine Haut prickelte. »Ja, das war er wohl. Ein Mann, der wusste, was er will.«

Einen Moment lang musterte David mich eindringlich. »Er hat Sie sehr geliebt, Layla.«

»Offenbar aber nicht genug.«

David rieb sich übers Gesicht. Er hatte freundliche Augen und einen sanften Gesichtsausdruck. »Das Verhältnis zwischen Hannah und ihm war sehr eigen und …«

Ich gab ein tiefes Grollen von mir. »Falls Sie gekommen sind, um ihn zu verteidigen, erkläre ich das Gespräch hiermit für beendet.« Ich schoss vom Sofa hoch. »Eines Tages werde ich Mac vielleicht verzeihen können, aber im Augenblick fällt es mir noch schwer, auch nur seinen Namen auszusprechen.«

David erhob sich ebenfalls. »Ich verstehe.«

»Ach ja? Ist das so?«

Er bedeutete mir, mich wieder zu setzen. »Bitte, Ms. Devlin.«

Ich machte meinem Frust mit einem tiefen Seufzer Luft und ließ mich wieder auf das Sofa sinken. »Falls ich irgendwelche Papiere unterzeichnen soll, müsste ich das erst mit Lois absprechen. Sie ist schließlich seine Schwester und das einzige Familienmitglied, das Mac noch hatte.«

David öffnete sein mit karamellfarbener Seide gefüttertes Jackett und holte einen schmalen weißen Umschlag aus der Innentasche, den er mir über den Couchtisch hinweg reichte.

Beim Anblick von Macs unleserlicher Handschrift geriet mein Herz kurz ins Stocken. Auf den Umschlag hatte er in schwarzer Tinte und in seinen typischen schiefen Buchstaben mit den überdimensionierten Schleifen meinen Namen geschrieben.

»Mac hat mich gebeten, Ihnen für den Fall, dass ihm jemals etwas zustoßen sollte, das hier direkt nach der Beisetzung zu übergeben.«

Ich nahm den Umschlag entgegen und musterte ihn.

»Er sagte außerdem, er hoffe, dass der Inhalt alles erklären würde.«

Mein Puls rauschte mir in den Ohren. Wie aus weiter Ferne war das Klirren von Kaffeegeschirr zu hören.

Ich drehte den Umschlag in meinen Händen, strich über die glatten, festen Kanten. Mac hatte immer schon einen Hang zur Dramatik gehabt. Aber das?

Ich blickte auf und versuchte erfolglos, Davids Gesichtsausdruck zu deuten. Er schenkte mir ein kaum wahrnehmbares, aufmunterndes Nicken und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das geheimnisvolle Kuvert in meinen Händen. Dann riss ich es mit einer Ungeduld auf, die mich selbst überraschte.

Kapitel 8

Macs Handschrift verschwamm auf dem Papier vor meinen Augen.

Ich suchte Davids Blick.

»Ich weiß, was darin steht«, bestätigte er meine Vermutung.

Ich räusperte mich und las laut vor.

Liebste Layla,

dass du diesen Brief liest, bedeutet, dass das Geheimnis, welches ich vor dir gehütet habe, enthüllt werden muss – und das tut mir unendlich leid.

Es bedeutet außerdem, dass du nicht den Rest deines Lebens mit mir verbringen wirst.

Ich versuchte, den schmerzhaften Kloß herunterzuschlucken, der sich in meiner Kehle bildete. Hatte Mac sich mit diesem Brief einen schlechten Scherz erlaubt?

Ich ließ das Papier sinken und starrte David über den Tisch hinweg an. Hinter ihm zog eine Gruppe von Trauergästen vorbei.

»Kann ich Ihnen einen Tee oder einen Kaffee bringen, Layla? Oder brauchen Sie vielleicht etwas Stärkeres?«

»Nein.« Ich zauderte. Der Brief fühlte sich fremd in meinen Händen an. »Nein, danke.«

Ich senkte den Blick und las weiter.

Du musst verstehen, dass ich mich durch die Begegnung mit dir wieder wie achtundzwanzig gefühlt habe. Und dafür werde ich dir ewig dankbar sein.

Einige weitere Hotelgäste liefen an uns vorbei. Ihre Schritte hallten auf dem schwarz-weiß gefliesten Boden wider.

Ganz gleich, was für Geschichten du auch hörst – bitte zweifle niemals daran, dass ich dich liebe.

Es stimmt, dass Hannah und ich niemals ganz voneinander lassen konnten …

Seine Worte trafen mich mit voller Wucht und ich musste einige Male blinzeln. »Warum tut er das? Warum sagt er mir das alles jetzt?«

David nickte verständnisvoll. »Ich weiß, das ist nicht leicht für Sie, Layla. Aber ich muss Sie bitten, den Brief bis zum Ende zu lesen.«

Ich gab einen resignierten Seufzer von mir und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Macs letzte Worte.

… aber ganz gleich, was ich für Hannah empfinden mag – du bedeutest mir alles.

Ich runzelte die Stirn und wedelte abschätzig mit dem Papier herum. In meinen Wimpern verfingen sich Tränen. »Ach, komm schon, Mac, erspar mir die ganze Elizabeth-Taylor-und-Richard-Burton-Nummer«, murmelte ich in mich hinein.

David zupfte an seinen Jackettknöpfen herum. »Ich will mich ja nicht einmischen, aber Mac hat Sie wirklich geliebt.«

Skeptisch musterte ich ihn. »Soll das heißen, Sie wussten von Hannah und ihm?«

»Nein. Jedenfalls anfangs nicht. Ich habe erst davon erfahren, als er mich bat, sein Testament zu ändern.«

Ich rutschte nach vorne auf die Sofakante. »Und wann war das?«

David rieb sich das Gesicht. »Vor zwei Monaten.«

»Vor zwei Monaten?«, wiederholte ich. »Warum, in Gottes Namen, hat Mac vor so kurzer Zeit sein Testament geändert?«

Verlegen mied David meinen Blick.

Ungläubig warf ich die Hände in die Luft. »Er wollte uns beide, und langsam gewinne ich den Eindruck, dass ich die einzige Dumme war, die nicht mitbekommen hat, was läuft!«

»Nein, Sie sind nicht dumm«, versicherte mir David in beschwörendem Tonfall. »Mac war ein Experte darin, sein Privatleben unter Verschluss zu halten. Auch nachdem er als Schriftsteller erfolgreich wurde.«

Ich wedelte wütend mit dem Brief herum. »Ach, sagen Sie bloß!«

David hob einen manikürten Finger und deutete auf den Brief. »Bitte, Layla.«

Frustriert ließ ich die Schultern sinken und widmete mich wieder Macs schiefer schwarzer Schrift.

Ich weiß, mein Verhalten ist unverzeihlich, und Worte reichen nicht aus, mein Bedauern zum Ausdruck zu bringen. Deswegen habe ich dich zur Alleinerbin sämtlicher Einnahmen aus meinen Büchern ernannt.

Einzig der Vorschuss für meinen letzten Roman Justice wird an Lois gehen.

Ich legte mir die Hand auf die Brust. »Was soll das bedeuten? Mac hat mir die gesamten Einnahmen hinterlassen?«

»Richtig«, bestätigte David. »Und wie umfangreich sein Gesamtwerk ist, brauche ich Ihnen ja wohl kaum zu sagen.«

Eine Schockwelle schwappte über mich hinweg. Was war das hier? Eine Art Bestechungsversuch aus dem Jenseits?

»Der Gesamtbetrag, exklusive der Umsatzbeteiligung an Justice, die Sie erst nach der Veröffentlichung erhalten werden, beläuft sich auf ungefähr …«

»Ich will es nicht«, unterbrach ich ihn mit erstickter Stimme. »Er hat sein Testament nur geändert, um sein Gewissen zu beruhigen. Damit möchte ich nichts zu tun haben.«

»Layla. Mir ist bewusst, dass Macs Verhalten vollkommen daneben war. Aber er hat darauf beharrt, dass Sie sein gesamtes Vermögen erben sollen.« Er beugte sich vor und ein blasser Sonnenstrahl verfing sich in seinem sorgsam zur Seite gekämmten grauen Haar. »Das Geld würde Ihnen eine durch und durch sorglose Zukunft ermöglichen.«

Auf einmal war mir nach Lachen zumute. »Und was für eine Zukunft soll das sein? Ich dachte immer, ich würde meine Zukunft mit ihm verbringen.« Ich klatschte den Brief auf die Tischplatte. »Wenn ich das Geld annehme, billige ich damit indirekt sein Verhalten.«

»Das stimmt nicht. Wissen Sie, nachdem Mac von seinen Herzproblemen erfahren hatte …«

»Was für Herzprobleme, David?«, stieß ich hervor. »Wovon reden Sie denn da?« Fassungslos ließ ich mich in das Sofa zurücksinken.

David klappte die Kinnlade herunter und leise Panik glomm in seinen Augen auf. »Oh, verflucht. Sagen Sie bloß, auch davon wussten Sie nichts? Mac meinte, er wolle es Ihnen erzählen.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um die Wut und den Schmerz in Schach zu halten, die jetzt mit aller Macht an die Oberfläche drängten. »Hat er aber nicht.«

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