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Honeymoon alone

Als Buch hier erhältlich:

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Take me to the isle of paradise

Eden gibt ihrem betrügerischen Verlobten vor der Hochzeit den Laufpass und muss daraufhin allein in die tropischen Flitterwochen fahren. Also packt sie ihren Reiseführer und ihr gebrochenes Herz ein und macht sich auf den Weg. Eden plant, am Strand zu entspannen, im Meer zu schwimmen und Cocktails zu trinken. Womit sie nicht rechnet, ist der gutaussehende Fremde, der sich am ersten Abend mit an ihren Tisch setzt.

Philip Meyer ist ein mürrischer Workaholic und so irritierend zynisch, dass Eden vergisst, dass sie um ihre gescheiterte Beziehung trauert. Sie nimmt sich vor Philip zu beweisen, dass er die Welt mit falschen Augen sieht.

Die beiden haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam, doch versuchen Eden und Philip zu vergessen, wen sie zurückgelassen haben. Zwischen Katamaranfahrten und Mitternachtsschwimmen, Zimmerservice am späten Abend und geflüsterten Nichtigkeiten müssen sie jedoch feststellen, dass sich Gegensätze vielleicht wirklich anziehen …

Olivia Hayle ist ein bisher unentdecktes Romance-Juwel! Mit ihrem unterhaltenden Schreibstil und der unvergleichlichen Chemie der Charaktere, fesselt sie einen von der ersten bis zur letzten Seite. Diese spicy Romance mit Grumpy x Sunshine Trope ist das perfekte Buch für den Sommer. Leserinnen und Leser von Emily Henry und Christina Lauren werden hier voll auf ihre Kosten kommen.


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365009666

Leseprobe

Olivia Hayle

Honeymoon Alone –
Als Single in die Flitterwochen

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von
Carina Obster

HarperCollins

1

Manche Dinge schafft man nur schwer allein. Zum Beispiel große Flachpackmöbel zusammenzubauen oder die Highschool zu überstehen. Oder in einem Restaurant zu essen. Aber meine beste Freundin starrt mich vom Handydisplay an und will diese Tatsache irgendwie nicht begreifen.

»Setz dich einfach hin«, sagt sie. »Bestell und iss. Wen kümmert’s, was die anderen denken?«

Ich lege mich auf mein Hotelbett. »Mich kümmert’s.«

»Nein, tut es nicht. Die anderen sind unwichtig.«

»Stimmt, und es ist ja nicht so, dass ich nach Barbados gereist bin, um mich in meinem Hotelzimmer zu verstecken.«

»Ganz bestimmt nicht. Du bist dort hingereist, um die schönsten zwei Wochen deines Lebens zu verbringen«, sagt Becky. Sie sitzt auf ihrer üblichen Paisley-Couch und hat ein Schwangerschaftskissen neben sich liegen. Meine zukünftige Patentochter ist der einzige Grund, warum sie nicht hier bei mir sein kann. »Du wirst es ihm heimzahlen. Oder nein, besser: Ich werde seinen Namen nicht aussprechen und du darfst ihn nicht einmal denken.«

Ich salutiere. »Jawohl, Ma’am.«

»Nein, du wirst in diesem herrlichen Hotelrestaurant zu Abend essen, das Wetter genießen und danach kannst du dir zur Belohnung auf deinem Zimmer alte Folgen von irgendwelchen Serien ansehen.«

»Seit du schwanger bist, bist du ganz schön autoritär«, erwidere ich.

Die Stimme ihres Mannes ertönt laut im Hintergrund. »Ha, schau, sie sagt es auch!«

Becky macht Pssst. »Ich rede gerade mit Eden.«

»Hallo, Patrick«, begrüße ich ihren Mann.

»Hey, Eden«, ruft er zurück. »Genieß ein bisschen Sonne für mich mit!«

»Wird gemacht!« Ich begegne Beckys Blick. »Aber du hast recht. Ist doch egal, wenn ich die einzige Person bin, die dort allein isst, oder?«

»Völlig egal«, stimmt sie zu. »Es ist ja nicht so, dass du auch nur einen einzigen Menschen von dort nach deiner Rückkehr wiedersehen wirst.«

»Genau.« Ich setze mich auf und schaue zu meinem Koffer hinüber, der halb geöffnet auf dem Teppichboden liegt. Er ist voll mit bunten Sommerkleidern – wie ein Klamottengeschäft am Black Friday. »Ich ziehe mein rotes Kleid an.«

»Genau«, pflichtet sie mir bei. »Und … ähm, Eden? Als Beweis will ich ein Foto von dir mit einem bunten, tropischen Cocktail in der Hand.«

Ich rolle mit den Augen. »Okay.«

»Gut«, sagt sie und lächelt mich an. »Ich wünschte, ich wäre jetzt bei dir.«

»Ich auch«, sage ich. »Danke.«

»Jederzeit. Jetzt geh, hab Spaß, und komm ganz braun gebrannt zurück, damit ich neidisch sein kann.«

Wir legen auf und ich bin allein in meinem leeren, ruhigen Hotelzimmer. Ohne Meerblick. Das wäre zu teuer gewesen. Stattdessen schaue ich auf den wunderschönen, gepflegten Garten des Winter-Resorts hinunter. Das neu eröffnete Luxushotel, das Caleb und ich für unsere Flitterwochen gebucht haben, erfüllt alle Erwartungen.

Und ich werde dafür sorgen, dass ich das alles gebührend genieße. Selbst wenn ich es Becky jeden Tag mit Selfies beweisen muss.

In den ersten Wochen, nachdem ich von Calebs außerbeziehungsmäßigen Aktivitäten erfahren hatte, kam ich kaum aus dem Bett. Schon der Gang zum Café am Ende der Straße fühlte sich wie ein Marathonlauf an.

Als ich eines Tages mit Becky telefonierte und ihr erzählte, was ich zum Abendessen kochen wolle, sagte sie: »Schick mir ein Foto, sonst glaub ich’s dir nicht.«

Auch wenn ich es ihr nicht erzählte, wusste sie, dass ich es doch meistens nicht schaffte zu kochen.

Und so habe ich ihr seitdem immer wieder Bilder von dem geschickt, was ich mache. Irgendwann gegen Ende der drei Monate seit dem Aus meiner Verlobung fühlte sich mein Alltag allmählich nicht mehr wie eine sportliche Herausforderung an. Mittlerweile ist der Schmerz nicht mehr unerträglich. Er ist keine Last mehr auf meinen Schultern, die mich zu Boden drückt. Stattdessen gleicht er einem Rucksack, der zwar immer noch schwer ist, mich aber nicht mehr so sehr beeinträchtigt.

Vielleicht kann ich ihn eines Tages ganz ablegen.

Ich ziehe das rote Kleid an und stecke mein Handy, mein Portemonnaie und meinen Reiseführer in eine Umhängetasche. Das ist meine Reise. Ich habe sie geplant, daran festgehalten und jahrelang davon geträumt.

Als Teenager hatte ich ein Visionboard über meinem Schreibtisch hängen. Es hatte sich im Laufe der Jahre stark verändert, aber ein paar Bilder waren gleich geblieben – konstante Anker in einem sich ständig verändernden Meer von Träumen.

Auf einem Bild war die türkisblaue Karibik abgebildet, die an einen von Palmen gesäumten weißen Sandstrand grenzte.

Es ist das erste Mal, dass ich das Land verlassen habe, wenn man die Fahrten von meinem Zuhause in Washington State nach Vancouver, Kanada, nicht mitzählt. Und das tue ich nicht. Nicht wirklich. Nein, es ist das erste Mal. Ich bin hier. Ich ziehe es durch.

Und der absolut letzte Mensch, an den ich jetzt denken sollte, ist Caleb.

Ich fahre mir mit einer Bürste aggressiv durch mein braunes Haar, als ob ich ihn so aus meinen Gedanken kämmen könnte.

Als ich schließlich mit dem Aufzug nach unten in die Lobby fahre, bin ich innerlich ruhiger. Mein Spaziergang führt mich durch den Garten des Resorts. Die leise zirpenden Insekten bringen mir ein Ständchen, während ich durch den offenen Säulengang schlendere.

Das Restaurant öffnet sich auf der einen Seite zum Garten und auf der anderen zum Meer hin. In dem konstant warmen Klima braucht man keine Fenster.

Die Luft ist heiß und feucht und umhüllt mich wie eine weitere Schicht Kleidung. Doch die sanfte Brise, die vom Meer – vom Karibischen Meer, versteht sich – herüberweht, bringt gleichzeitig eine angenehme Kühlung.

Plötzlich ist mir ganz schwindlig.

Ich bin im Ausland, denke ich, und das kann mir niemand nehmen. Der Zauber liegt genau hier. Er liegt in den neuen Erfahrungen, dem ruhigen Meer und den Sandstränden. Ich muss nur die Hand ausstrecken und danach greifen.

Am Empfangstresen des Oberkellners bleibe ich stehen. Die mit Leinen gedeckten Tische dahinter sind mit Gästen besetzt, es scheint voll zu sein. Ich lehne mich zurück und schaue mich um. Es ist kein einziger leerer Tisch in Sicht.

Vielleicht kann ich ja jetzt doch den Zimmerservice bestellen und eine alte Fernsehserie bingewatchen.

»Guten Abend«, begrüßt mich der lächelnde Mann am Empfang. »Haben Sie für heute Abend eine Reservierung?«

»Nein, leider nicht. Ich sehe, dass Sie ziemlich voll sind. Haben Sie vielleicht einen Tisch für eine Person?«

»Nur eine?«

»Ja.« Ich sinke in mich zusammen.

»Lassen Sie mich nachsehen …« Er schaut auf den Bildschirm und tippt ein paar Mal darauf. »Wir scheinen noch einen Tisch frei zu haben. Unser letzter Tisch für heute Abend!«

»Oh, das ist wunderbar. Danke.«

Neben mir räuspert sich ein Mann. »Da bist du ja«, sagt er zu mir. »Tut mir leid, ich bin spät dran. Ein Tisch für zwei, bitte.«

Ich schaue zu dem Fremden auf.

Er überragt mich um ein paar Zentimeter, trägt ein weißes Hemd, hat dunkelbraunes Haar und sieht mich vielsagend an.

»Kein Problem«, sagt der Mann am Empfang und holt eine weitere Speisekarte hervor. »Hier entlang, bitte.«

Er dreht sich um und bahnt sich einen Weg durch das überfüllte Restaurant. Währenddessen liefere ich mir ein Wettstarren mit dem aufdringlichen Fremden.

Er hebt eine Augenbraue. »Wollen wir uns den letzten Tisch teilen?«, fragt er und zeigt in Richtung des Mannes.

Ich bin zu verblüfft, um etwas anderes zu tun, als dem Mann gehorsam durch das Restaurant zu folgen. Er führt uns zu einem Tisch mit zwei Stühlen direkt an der Strandpromenade und den sanften Wellen. Auf dem Tisch steht eine einzelne brennende Kerze, deren Flamme in der leichten Brise flackert.

»Bitte sehr«, sagt der Mann vom Empfang fröhlich und legt die Speisekarten auf den Tisch. »Ihr Kellner wird gleich kommen, um Ihre Getränkebestellung aufzunehmen.«

Dann lässt er mich mit dem großen Fremden vor mir allein. Der zieht einen Stuhl hervor und setzt sich wie selbstverständlich, so als hätte er ihn mir nicht gerade quasi weggenommen. An seinem markanten Kiefer sind ein paar Bartstoppeln zu sehen. Er wirkt verschlossen und ein wenig skrupellos, als würde er viel Zeit damit verbringen, seinen Willen durchzusetzen. So wie er es jetzt gerade tut.

»Entschuldigen Sie«, sage ich. »Aber was sollte das?«

»Vielleicht will ich Sie einfach nur kennenlernen.«

Seinem fehlenden Akzent nach zu urteilen, ist er ebenfalls Amerikaner. Ich schaue mich im überfüllten Restaurant um und sehe ihn vielsagend an. »Nein, Sie wollten sich den letzten Tisch in einem vollen Restaurant schnappen.«

»Ihnen entgeht auch nichts.« Mit dem Kinn weist er auf den Stuhl vor sich. »Nehmen Sie Platz.«

»Nur damit Sie es wissen, ich hab sieben Jahre lang Karate gemacht und immer Pfefferspray bei mir. Davon abgesehen sind wir in der Öffentlichkeit.«

»Danke für die Warnung«, entgegnet er und öffnet seine Speisekarte. »Der Fisch hier soll gut sein, hab ich gehört.«

Ich setze mich schließlich hin, langsam, zögerlich. »Ja. Das sagt schon der Name.«

Leise brummelt er vor sich hin. Ich schaue in meine Speisekarte, aber die Worte verschwimmen vor meinen Augen. Wenigstens muss ich so jetzt nicht allein hier sitzen und mir Gedanken darüber machen, was die anderen Gäste von mir denken könnten.

Er blättert eine Seite in seiner Karte um. »Als Dankeschön geht das Abendessen auf mich«, sagt er. »Suchen Sie sich aus, was Sie wollen. Und Sie müssen auch keinen Verlegenheits-Small-Talk machen, wenn Sie nicht in der Stimmung sind. Ich muss sowieso ein paar Mails beantworten.«

Verwirrt schaue ich ihn an. »Sie wollen jetzt arbeiten?«

Er hält seinen Blick auf die Speisekarte gerichtet. »Wäre es Ihnen lieber, wir würden über belangloses Zeug reden, nur um die Stille zu füllen?«

»Wow. Ich … okay, wow.«

Er blickt mit einem leichten Stirnrunzeln auf. »Was?«

»Ich glaube nicht, dass jemals irgendjemand so mit mir gesprochen hat wie Sie gerade.«

»Ah. Ich kann ziemlich direkt sein.«

»Ach wirklich?«, frage ich sarkastisch.

Er legt die Speisekarte auf den Tisch und sieht drein, als hätte er Schmerzen. »Es tut mir leid, dass ich Ihren Abend durcheinandergebracht habe. Ist es okay für Sie? Wenn nicht, gehe ich, ganz kommentarlos.«

»Schon gut«, höre ich mich sagen. Immerhin habe ich jetzt eine Geschichte, die ich Becky erzählen kann. »Ich bin nur … überrascht.«

Er nickt, als wäre damit alles geklärt, und schaut wieder in seine Speisekarte.

Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Ich schaue weiter durch das Menü, ohne wirklich auf die Worte zu achten, und werfe ihm verstohlene Blicke zu. Seit Caleb und ich unsere Verlobung gelöst haben, habe ich nicht mehr mit einem Mann gesprochen, der nicht entweder zur Familie gehört, ein Arbeitskollege oder der Ehemann einer Freundin ist.

Er beugt sich vor und eine dunkle Locke fällt ihm in die Stirn. Im Glas der schweren Uhr an seinem Handgelenk spiegelt sich die flackernde Kerze auf dem Tisch.

»Was nehmen Sie?«, frage ich ihn schließlich.

Energisch klappt er die Speisekarte zu. »Das Steak.«

»Das Steak«, wiederhole ich. »In einem Restaurant, das für seinen Fisch berühmt ist? Auf einer Insel mitten in der Karibik? Sie wissen doch, dass Barbados berühmt ist für seinen Schwertfisch?«

»Ja.«

»Ich glaube, ich nehme den Marlin aus regionalem Fang.«

Erneut gibt er dieses leise Brummeln von sich und greift in seine Hosentasche. Er holt ein Handy heraus und legt es auf die Tischplatte. »Ich will ja nicht unhöflich sein«, sagt er, »aber ich muss wirklich ein paar Mails beantworten.«

»Sie arbeiten im Urlaub?«

Er hat den Blick bereits auf den Handybildschirm geheftet. »Ja.«

»Warum haben Sie dann nicht einfach beim Zimmerservice bestellt?«, frage ich.

Er sieht nicht zu mir auf, scheint sich aber zu verspannen. »Mein Zimmer war noch nicht ganz fertig, als ich angekommen bin. Sie bringen es gerade in Ordnung.«

»Oh.« Das erscheint mir in einem Fünf-Sterne-Resort etwas seltsam, aber gut. Amüsiert studiere ich erst die Dessert-, dann die Weinkarte, registriere die unmöglichen Preise für ein kleines Glas bis hin zur Literflasche. Bei meinem und Calebs Gehalt wären wir wohl nur ein Mal hierhergeflogen.

Dieses Winter-Resort hat unsere Geldbeutel ohnehin schon genug strapaziert. Als ich die Flitterwochen stornieren wollte, erfuhr ich, dass wir Stornogebühren für die Flüge zahlen müssten und die Anzahlung für das Standard-Doppelzimmer im Resort verlieren würden. Nun ja. Caleb hatte mir bereits die Hochzeit genommen, und ich wollte verdammt sein, wenn er mir auch noch meinen lebenslangen Traum nahm, hier Urlaub zu machen.

Mein früheres Ich wäre nie auf die Idee gekommen, allein in ein fremdes Land zu reisen. Aber mein früheres Ich dachte auch, seine Trauzeugin sei eine seiner besten Freundinnen und sein Verlobter der Mann, mit dem er sein Leben verbringen würde, also war es auch nicht gerade allwissend.

Und offenbar ist das jetzige Ich eine Abenteurerin, die bereit ist, mit einem völlig Fremden im Paradies zu speisen. Ich fühle mich an meinem Platz gefangen. Wenigstens esse ich nicht allein, aber ich bin immer noch nervös. Nur jetzt aus einem anderen Grund.

Ich schaue zu dem Mann hinüber. Er hat mir nicht einmal seinen Namen gesagt. Den leichten Falten in seinen Augenwinkeln nach zu urteilen, ist er vielleicht ein paar Jahre älter als ich, aber nicht viel mehr. Er schaut düster drein, während er seine Mails beantwortet.

Wahrscheinlich läuft es nicht gut auf der Arbeit, denke ich. Ich bin dankbar, dass meine Kindergartenkinder noch kaum schreiben können. Keine Mails, über die ich mich aufregen muss.

Der Kellner kommt an unseren Tisch. »Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?«

»Rotwein«, sagt der Mann mir gegenüber. »Den Merlot.«

»Kommt sofort. Und für Sie, Ma’am?«

»Ich hätte gern einen Rumpunsch, bitte.«

Das Lächeln des Kellners wird breiter. »Der Hauscocktail. Eine gute Wahl. Essen Sie zum ersten Mal bei uns?«

»Es ist sogar meine erste Nacht auf der Insel.«

»Wirklich? Willkommen!«, sagt er und schaut von mir zu dem Mann mir gegenüber. »Sie zwei werden eine wunderbare Zeit hier zusammen verbringen. Es ist die romantischste der karibischen Inseln, wissen Sie?«

Der Fremde legt sein Handy weg. »Wirklich?«

»Oh ja«, sagt der Kellner mit einem Augenzwinkern. »Also, amüsieren Sie sich gut, ja? Ich komme gleich wieder, um Ihre Essensbestellung aufzunehmen.«

Er verschwindet zwischen den Tischen und überlässt den geheimnisvollen Mann und mich unserem Schicksal. Oder besser gesagt, ihn seinem Handy und mich einem schweigenden Gegenüber.

Ich lege den Arm aufs Geländer neben uns. Das Meer ist in der Dunkelheit verschwunden und ich kann gerade so das leise Plätschern der Wellen hören.

»Sie haben mir gar nicht Ihren Namen genannt, als Sie sich zu mir an den Tisch eingeladen haben.«

Er tippt wieder auf seinem Handy herum, bevor er es mit dem Display nach unten auf den Tisch legt. Dann sieht er mich aus dunkelblauen Augen an. »Phillip Meyer«, sagt er und streckt seine große Hand über den Tisch. »Ist mir ein Vergnügen.«

Ich ergreife sie. »Eden Richards.«

Mit festem Griff schüttelt er mir die Hand, als wäre dies ein geschäftliches Treffen. »Nochmals vielen Dank, Eden, dass Sie mich nicht verscheucht haben, sonst müsste ich jetzt mit einem Mini-Markt vorliebnehmen.«

Meine Hand ist warm, als ich sie aus seinem Griff löse. »Gern. Altruismus ist voll mein Ding.«

Er hebt die Augenbrauen und seine Augen funkeln amüsiert. »Altruismus?«

Die Rückkehr unseres Kellners erspart mir eine Antwort. Er bringt einen Rumpunsch in einem Becher und ein Glas Rotwein, wobei das eine Getränk deutlich spaßiger aussieht als das andere. Es ist mit einem Minzzweig und einer gefrorenen Zitronenscheibe garniert.

»Für die schöne Dame«, sagt der Kellner lächelnd, bevor er sich an Phillip wendet. »Sie sind ein Glückspilz.«

Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, aber Phillip kommt mir zuvor. »Ja, und sie erinnert mich auch immer gern daran.«

Der Kellner lacht und ich starre Phillip über den Tisch hinweg an. Er starrt zurück, doch ich kann seinen Blick nicht lesen. »Sie haben mir heute Abend einen Gefallen getan. Ich bin wirklich ein großer Glückspilz.«

Ich will mit den Augen rollen, kann es mir aber verkneifen, bis der Kellner unsere Essensbestellungen aufgenommen hat und gegangen ist. »Jetzt sind wir also ein Paar?«

»Ich hab nur mitgespielt«, meint Phillip. »Keine Sorge, ich hab Ihre sieben Jahre Karateunterricht nicht vergessen. Oder Ihr Pfefferspray. Wie haben Sie das durch den Zoll bekommen?«

»Nicht so wichtig«, erwidere ich. Imaginäre Dinge lassen sich ganz einfach durchschmuggeln. Das Wichtigste ist, dass er so nicht auf dumme Gedanken kommt.

Aber er schaut schon wieder auf sein Handy.

Ich nehme einen Schluck von meinem Rumpunsch. Er ist sehr gut gewürzt, lecker.

Genießerisch schließe ich die Augen und lausche den Wellen in der Ferne.

Ich bin im Urlaub. Ich bin in der Karibik. Ich kann mein Schicksal jetzt selbst bestimmen.

Und ich werde mich prächtig amüsieren.

»Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?«, frage ich. »Weil ich Ihnen heute Abend schon einen getan hab.«

Er schaut auf. »Ja.«

Ich reiche ihm mein Handy. »Können Sie ein Foto von mir machen?«

»Ein Foto?«

»Ja.«

Seine Miene verrät deutlich, wie sehr er mich dafür verurteilt. Ich ignoriere es und posiere fröhlich, halte mein Getränk in die Kamera, als würde ich jemandem zuprosten.

Nach ein paar Sekunden lässt er mein Handy sinken. »So, hab ein paar gemacht.«

»Super, danke.«

Sein Kiefer mahlt. »Sie werden Ihre Social-Media-Accounts mit Urlaubsfotos spammen, stimmt’s?«

Ich schüttle den Kopf und denke an all die Freunde, die Caleb und ich gemeinsam haben. Auf keinen Fall habe ich vor, mich noch mehr zu demütigen, indem ich Fotos aus diesem Urlaub poste und sich dann alle fragen, wieso nur ich auf den Fotos bin. »Nein. Und selbst wenn ich es täte, wäre das so schlimm?«

Er nimmt einen Schluck von seinem Wein, anstatt zu antworten. Sein Schweigen spricht Bände.

»Ich wette, ein Drink mit Rum aus der Gegend würde Ihnen noch besser schmecken«, sage ich.

»Auf keinen Fall.«

Ich muss lächeln. Er benimmt sich wie einer der mürrischen Fünfjährigen in meiner Klasse, wenn sie kein Nickerchen gemacht haben. Nur dass er wahrscheinlich Mitte dreißig und ein Workaholic ist. Was bedeutet, dass er wahrscheinlich seit einem Jahrzehnt kein Nickerchen mehr gemacht hat.

»Was?«, fragt er.

»Nichts. Sie sind nicht besonders gut drauf, oder?«

Er schweigt wieder. Seinem leicht überraschten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, habe ich ihn überrumpelt.

Mittlerweile erkenne ich sofort, wenn jemand schlecht drauf ist. Nach einem Flug, auf dem ich nicht nur ein-, sondern zweimal weinen musste, und nach den letzten Monaten, in denen ich mit all meinen Habseligkeiten in ein neues Haus gezogen bin, ist es erfrischend, mit jemandem zu reden, der nichts über meine Situation weiß.

Phillip seufzt, fast widerwillig. »Stimmt, ich bin heute nicht in Bestform.«

»Das ist okay. Wir können nicht immer auf der Gewinnerseite stehen.« Dann denke ich noch einmal über meine Worte nach und schüttle sofort den Kopf. »Sorry, vergessen Sie, was ich gesagt habe.«

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Warum sind Sie heute Abend allein hier?«

»Dasselbe könnte ich Sie fragen.« Meine linke Hand schließt sich um den Becher. Sie sieht nackt aus ohne den Verlobungsring.

Den, den ich Caleb entgegengeschleudert habe, nachdem ich es herausgefunden hatte.

Es war dramatisch und verdammt befriedigend, ihm dabei zuzusehen, wie er sich über die Risse auf dem Gehweg gebeugt hat, um nach dem glitzernden Ding zu suchen. Er hat es immer gehasst, Dreck unter den Fingernägeln zu haben. Ich hoffe, er hat an diesem Nachmittag reichlich davon abbekommen.

Ich habe mich weiß Gott schmutzig genug gefühlt, als ich herausgefunden habe, dass er eine Affäre mit meiner Trauzeugin hatte, der ehemaligen Dritten in unserem (Beckys und meinem) Freundinnentrio.

»Ich reise allein«, erklärt Phillip. »Ich bin nur hier, um mir die Insel anzusehen.«

»Na, sieh mal einer an«, sage ich und schenke ihm mein breitestes Lächeln. »Genau deshalb bin ich auch hier.«

Er streicht sich mit der Hand über das Kinn und lässt den Blick durch das Restaurant schweifen. Auch ich schaue mich um. Das Lokal ist voller Menschen. Die meisten von ihnen sind Paare, die sich an von Kerzen beleuchteten, weiß gedeckten Tischen gegenübersitzen.

Ein Paar küsst sich ganz ungeniert.

Ich stöhne. »Gott, hier sind lauter Flitterwöchner.«

»Ganz schlimm«, sagt er.

»Darauf können wir uns wohl einigen.«

»Ja, anscheinend.«

»Wissen Sie, warum sie so schlimm sind?«, sage ich und spüre, wie meine Nervosität ein wenig nachlässt. »Weil sie es ständig allen mitteilen müssen. Als ob die ganze Welt erfahren müsste, dass sie frisch verheiratet sind.«

Phillip nickt, sein Kiefer ist angespannt. »Zum Beispiel die Flugbegleiter«, sagt er. »An den Check-in-Schaltern.«

»Oder die Kellner beim Frühstück, Mittag- und Abendessen. Wissen Sie, als ich vorhin eingecheckt habe, habe ich gehört, dass es sogar jemand dem Pagen erzählt hat. Während der die schweren Koffer getragen hat.«

»Er soll ihnen also auch noch gratulieren, während er sie bedient«, meint Phillip. »Das ist mies.«

»Aber so richtig«, stimme ich zu. Ich nehme einen weiteren Schluck aus meinem fast leeren Becher. Ich fühle mich gut. Besser, als ich erwartet hatte – dafür, dass es die erste Nacht meiner Solo-Reise ist. »Na ja, ich bin ja nicht in den Flitterwochen.«

»Nach Ihrer vernichtenden Kritik an allen Frischvermählten dachte ich mir das schon«, gibt er ganz trocken und amüsiert zurück. Es wirkt fast so, als wolle er dieses Gespräch beenden, könne sich aber nicht dazu durchringen.

»Sehr subtile Kritik, oder?«, sage ich. »Tja, eigentlich sollten es ja meine Flitterwochen sein.«

»Oh.«

Der Kellner kommt mit unserem Essen. Ein Steak für den Herrn, Fisch für die Dame. Beide Gerichte riechen fantastisch. Ich bin hungriger, als ich dachte. Der Flug, der Stress, all das verfliegt, sobald das warme Essen vor mir steht.

Es entsteht eine weitere lange, höfliche Gesprächspause. Ich nehme einen Bissen von meinem Fisch. Er ist köstlich, gut gewürzt und heiß.

»Soll ich sagen, dass es mir leidtut?«, fragt Phillip schließlich.

»Oh nein. Es war besser so. Gut, dass ich ihn los bin. Aber ich wollte nicht auf einen Urlaub verzichten, den ich im Voraus geplant und bezahlt habe, wissen Sie? Schon gar nicht, wenn es meine Trauminsel ist.«

»Verstehe …« Er seufzt. »Wäre ja auch eine Verschwendung.«

»Eine kolossale Verschwendung. Deshalb bin ich hier.«

»Wo Sie alle Frischvermählten dissen.«

Wieder muss ich lachen. »Ja. Ist vielleicht etwas zynisch von mir.«

Er zuckt ganz leicht mit der Schulter und schaut mich aus seinen dunkelblauen Augen an. »Zyniker stehen auf der Gewinnerseite, um Ihren Ausdruck zu verwenden.«

»Dann bin ich wohl jetzt eine frisch bekehrte Zynikerin.«

Er lässt ein halbherziges Lachen hören und macht sich wieder daran, sein Steak mit dem Messer zu bearbeiten. Es dauert nicht lange, bis er erneut seine Mails checkt und der finstere Gesichtsausdruck wieder da ist. Aber ich bin zufrieden. Ich habe es geschafft, ihm ein paar Emotionen zu entlocken. Und ich habe mein erstes Dinner for one überlebt, auch wenn ich weiß, dass Becky mir den Sieg nicht gönnen wird, weil ich technisch gesehen nicht allein war.

Sobald wir fertig sind, bittet Phillip um die Rechnung, und als sie kommt, wirft er nicht einmal einen Blick darauf.

»Stellen Sie sie auf Bungalow zwölf aus«, sagt er.

»Phillip …«, werfe ich ein.

»Natürlich, Sir«, antwortet der Kellner.

»Phillip, ich möchte meinen Anteil selbst zahlen.«

Er schüttelt den Kopf und schiebt den Stuhl zurück. »Nein.«

»Nein? Warum nicht?«

»Weil Sie so freundlich waren, mir zu erlauben, Ihren entspannenden Abend zu stören«, antwortet er. »Vielen Dank für den heutigen Abend, Miss …«

»Richards«, sage ich. Hat er meinen Namen schon wieder vergessen? »Ich heiße Eden Richards.«

»Eden. Stimmt. Genießen Sie den Rest Ihrer Reise.«

»Ja, Sie auch. Arbeiten Sie nicht zu viel.«

Er stößt einen belustigten Laut aus und verlässt das Restaurant. Inmitten der Scharen von glücklichen Frischvermählten wirkt er groß und stoisch.

Er wohnt also in einem Bungalow. Es ist die teuerste Unterkunftsoption im Resort, das habe ich bei meiner Recherche kurz gesehen. Ein einziger Blick auf den Preis hat mir klargemacht, dass es nichts für Leute wie Caleb und mich ist.

Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk, das jetzt wässrig und nach Zitrone schmeckt.

Anscheinend kann man in einem Bungalow wohnen und trotzdem unglücklich sein.

Mag sein, dass ich im billigsten Zimmer des Hotels wohne. Mag sein, dass ich jeden Abend nervös sein werde, wenn ich allein im Restaurant essen muss. Aber ich bin hier, an diesem wunderschönen Ort, und ich bin es mir schuldig, das Beste aus diesem Aufenthalt zu machen.

Ich kann mein Schicksal jetzt selbst bestimmen, denke ich wieder. Ich werde die besten zwei Wochen meines Lebens hier verbringen. Das habe ich mir verdient.

2

Als ich aufwache, geht gerade die strahlende Sonne auf. Die Wolken ziehen schnell über den Himmel. Er sieht aus wie ein Baldachin, dessen Muster sich ständig verändert. Von meinem Hotelzimmerfenster aus kann ich den sattgrünen Garten des Resorts sehen. Alles scheint hier ein bisschen heller zu sein. Sogar die Blumen erscheinen größer, ihre Farben intensiver.

Dank der unglaublichen Gesetze des Jetlags stehe ich schon früh am Frühstücksbuffet. All die Köstlichkeiten des nicht enden wollenden Festmahls durchzuprobieren, dürfte die schwierigste Aufgabe sein, an die ich mich in meinen zwei Wochen auf der Insel wagen werde. Alle nur erdenklichen Früchte, Omeletts, Pfannkuchen, Waffeln, Eier, Toast, Croissants und verschiedene Arten von Müsli … Es ist so beeindruckend, dass ich ein Foto davon für die Nachwelt machen muss.

Ich setze mich an einen Tisch an der Strandpromenade und verbringe den Vormittag mit genau vier Dingen: essen, die türkisfarbenen Wellen beobachten, mein Buch lesen und nach Phillip Meyer Ausschau halten.

Multitasking war schon immer mein Ding.

Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob die Bungalowbewohner tatsächlich in die normale Frühstücksbar gehen. Wahrscheinlich bekommen sie das ganze Buffet direkt in ihre Stranddomizile geliefert. Die pro Nacht wahrscheinlich so viel kosten, wie ich in einem Monat verdiene.

Aber ich halte die Augen offen, nur für den Fall …

Gerade trinke ich mein zweites Glas Mangosaft, als ich ihn endlich entdecke. Er geht zielstrebig durch die Frühstücksbar und bleibt an der Kaffeetheke stehen.

Er trägt eine beigefarbene Hose und ein blaues Polohemd und sieht aus, als würde er gleich auf einem Golfplatz Geschäfte abschließen. Ich lasse mein Buch auf dem Tisch liegen, stehe auf und schlendere auf ihn zu.

Ein paar dunkelbraune Locken sind ihm ins Gesicht gefallen, das heute schon brauner aussieht als gestern, was in vielerlei Hinsicht ungerecht ist.

»Guten Morgen«, sage ich.

Er dreht den Kopf zur Seite, hält seine Kaffeetasse umfasst. »Hallo«, erwidert er. »Eden, richtig?«

»Jap.« Ich ziehe ein paar zusammengeknüllte Zwanziger aus der Tasche meines Kleides und halte sie ihm hin. »Danke, dass Sie die Rechnung gestern übernommen haben, aber ich möchte Ihnen das Geld gern zurückzahlen.«

Er starrt auf meine Hand, als würde sie ihn beleidigen. »Was? Nein, auf keinen Fall.«

»Doch. Es war kein Date, und wir kennen uns nicht. Ich kann Sie nicht für mich bezahlen lassen.«

»Eden«, sagt er und betont dabei jeden einzelnen Buchstaben. Dann stellt er seine Kaffeetasse ab. »Ich habe mich Ihnen aufgedrängt. Auf keinen Fall werde ich Ihr Geld annehmen.«

Ich schenke ihm mein schönstes Lächeln. »Sie wissen schon, dass ich Sie quer durchs ganze Resort verfolgen muss, wenn Sie das nicht annehmen. Nicht vergessen, ich weiß, in welchem Bungalow Sie wohnen.«

Der erwachsene Mann vor mir rollt doch tatsächlich mit den Augen. »Okay. Und Karate können Sie auch, oder?«

»Schwarzer Gürtel«, lüge ich mit einem strahlenden Lächeln. »So, bitte schön. Ich bin dazu erzogen worden, meinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.«

Phillip sieht aus, als würde es ihm Schmerzen bereiten, aber er nimmt das Geld aus meiner ausgestreckten Hand. »Gut. Wenn Sie es wirklich so wollen.«

»Ja.«

»Okay«, sagt er. »Aber ich möchte, dass Sie zur Kenntnis nehmen, dass es gegen meinen Willen ist.«

Ich grinse. »Ist zur Kenntnis genommen. Nun ja, ich hoffe, Sie haben einen schönen Urlaub. Vergessen Sie nicht, auch ein paar Tage ohne Arbeit einzuplanen. Es ist eine wunderschöne Insel, wissen Sie.«

Er nickt. »Ich habe einiges geplant.«

»Gut. Viel Spaß!«

»Ihnen auch«, sagt er und schiebt das Geld lässig in seine Gesäßtasche.

Ich kehre zu meinem Tisch zurück, und als ich mich kurz umdrehe, um zu sehen, wo Phillip sich hingesetzt hat, ist er verschwunden. Auch die Tasse an der Kaffeetheke ist weg.

Da hat er ein ganzes Schlaraffenland vor sich, und alles, was er will, ist eine Tasse Kaffee.

Ich schlage mein Buch wieder auf. Diese Bungalow-Typen, denke ich.

***

Allein am Strand zu faulenzen, ist viel einfacher, als allein in einem Restaurant zu essen, stelle ich fest. Es klappt fast ganz ohne Komplikationen. Abgesehen davon, dass ich einige Stellen an meinem Rücken nicht selbst erreiche und mich dort nicht mit Sonnenmilch eincremen kann, hat Calebs Abwesenheit praktisch keine Nachteile. Dafür jedoch eine ganze Reihe von Vorteilen.

Zum einen kann ich in Ruhe mein Buch lesen. Es geht um zwei Menschen, die nicht zusammen sein sollten, aber allen Widrigkeiten trotzen und, wie ich mir ziemlich sicher bin, am Ende alle Hindernisse überwinden werden.

Ich wollte es schon seit Wochen lesen.

Ich lese eine Seite. Und dann noch eine. Und stelle fest, dass ich mich überhaupt nicht auf die Geschichte konzentrieren kann. Normalerweise gefällt mir die Art, wie die Figuren miteinander interagieren, aber heute kann ich dem Ganzen nicht folgen. Ich bin zu sehr von den Gesprächen um mich herum fasziniert.

Vermutlich könnte man einen ganzen Krimi über die Gäste schreiben, die hier im Winter-Resort Urlaub machen. Ich halte das Buch ein Stück von mir weg und lasse den Blick umherschweifen, geschützt von der Sonnenbrille.

Das Paar neben mir strahlt diese mühelose Eleganz aus. Er hat zerzaustes Haar, das zu dunkel aussieht, als dass es seine natürliche Farbe sein könnte. Sie blättert beiläufig in einer Zeitschrift über Inneneinrichtung und kaut Kaugummi.

Sie würden sich ausgezeichnet als Verdächtige eignen. Ich würde ihnen einen wohlklingenden Namen geben. Fitzgerald als Nachname vielleicht oder Huntington. Sie sind hierhergereist, um ihre kriselnde Ehe zu kitten.

Ich tippe mit dem Finger auf den Buchrücken und wünschte, ich hätte einen Notizblock dabei.

In der Geschichte würde es auch eine Romanze geben. Zwei Besucher des Resorts würden sich ineinander verknallen. Vielleicht könnte einer von ihnen der Verdächtige im Mordfall sein …

Und wer wäre das Opfer?

Ich schaue den Strand entlang, sehe mir die vielen Touristen um mich herum an, von denen einer interessanter ist als der andere. Zum ersten Mal seit Monaten verspüre ich den Drang zu schreiben. Meine Umgebung in Geschichten zu verwandeln.

Mir hat so lange die Inspiration gefehlt.

Aber vielleicht auch nicht, muss ich mir eingestehen. Vielleicht hat die Inspiration überall auf mich gewartet und ich habe sie nicht gesehen. Ich hatte nicht das Verlangen, Ideen zu nähren, sie zu ausgewachsenen Geschichten heranzuzüchten.

Wenn ich ehrlich bin, war dieses Verlangen schon gedämpft gewesen, bevor ich Calebs und Cindys schmutziges kleines Geheimnis entdeckt habe. Ich war gestresst wegen der Hochzeitsplanung gewesen und mein Verlobter hatte mich in keinster Weise unterstützt.

Eine Affäre.

Vielleicht haben zwei dieser Leute eine Affäre. Vielleicht die beiden neben mir. Ich beobachte sie aus dem Augenwinkel. Sie ist verheiratet und mit ihrem Liebhaber hier, dem Mann mit den gefärbten Haaren. Vielleicht trifft sie im Resort auf jemanden, den sie kennt und der ihr Geheimnis entdeckt.

Da haben wir das Motiv.

Ich krame in meiner Tasche nach einem Stift, finde aber keinen. Stattdessen muss ich mich mit meinem Handy begnügen. Die Ideen strömen nur so aus mir heraus, kleine Gedankenfetzen, aus denen sich mehr entwickeln könnte, wenn man ihnen die Zeit dazu gibt.

Mord im Paradies ist immer eine gute Prämisse.

Ich lasse meinen linken Fuß vom Liegestuhl gleiten und tauche ihn in den warmen Sand darunter. Das sanfte Rauschen der Wellen am Strand begleitet meine kreative Arbeit.

Es ist fast ein Jahr her, dass ich mein letztes Buch fertig geschrieben habe, einen Kriminalroman mit einer intensiven Liebesromanze im Mittelpunkt. Einen romantischen Thriller. Eine Kombination aus dreien meiner Lieblingselemente: wahre Verbrechen, ein bisschen Mystery und eine Liebesgeschichte, die es mit den großen historischen Vorbildern aufnehmen kann.

Und genau wie die Bücher, die ich davor geschrieben hatte, befindet es sich jetzt in einem Ordner auf meinem Laptop.

Seit fast sieben Jahren habe ich niemandem mehr meine Texte gezeigt. Nicht seit … nun ja, diese Sache passiert ist, über die ich nicht gern nachdenke. Mein eigener persönlicher Voldemort.

Die Sache, deren Name nicht genannt werden darf.

Ich grabe meine Zehen tiefer in den Sand und erblicke zwei Frauen, die am Ufer stehen. Sie sehen aus, als würden sie sich streiten. Die Hände der einen Frau bewegen sich fließend und elegant wie Schwanenhälse, während sie ihren Standpunkt darlegt. Das Gesicht der anderen ist wie versteinert.

Schwestern, denke ich. Sie sind nach dem Tod eines Elternteils gemeinsam auf einer All-inclusive-Reise, die aus dem geerbten Vermögen bezahlt wird. Sie könnten ein wenig Sand ins Getriebe der Handlung streuen …

Mit Sand kenne ich mich aus. Cindy und Caleb haben mir auch welchen ins Getriebe gestreut.

Davor hatte ich alles genau geplant.

Im Grunde den Rest meines Lebens oder zumindest die nächsten zwei Jahrzehnte. Caleb und ich haben für ein größeres gemeinsames Haus gespart. In zwei oder drei Jahren hätten wir versucht, schwanger zu werden. Haus, Kinder, Jobs, zwei Autos und vielleicht ein Hund. Vorhersehbar, stabil und sicher.

Und nun habe ich all diese freie Zeit, meine bequeme Beziehung ist gescheitert, und ich weiß nicht einmal, wer ich allein überhaupt bin.

Noch schlimmer ist der Gedanke daran, wieder zu daten. Sich in Apps anzumelden und Männer im Internet kennenzulernen. Allein der Gedanke daran lässt mich erschaudern.

Ich tippe auf die Seite meines Handys und beobachte wieder das Paar neben mir. Das könnte es sein. Das Mordopfer könnte hier sein, um jemanden zu treffen, den es nur von einer Dating-App kennt. Das würde auch die Ermittlungen erschweren, denn meine Figuren könnten das nur herausfinden, wenn sie Zugriff auf das Handy des Mordopfers hätten. Das natürlich gesperrt wäre.

Meine Finger fliegen geradezu über das Display, während ich Ideen und Fragmente für eine Geschichte notiere.

Plötzlich werde ich von einer vertrauten Stimme aus meinen Grübeleien gerissen.

»Nein, das geht nicht. Das wissen Sie genau. Diese Papiere müssen wasserdicht sein, wenn Sie wollen …«

Es ist Phillip, der Ruhestörer und Tischbesetzer. Mit einem Smartphone in der Hand und Kopfhörern in den Ohren läuft er über den weißen Sandstrand.

Ich beobachte ihn, wie er bis zum Ende des Strandabschnitts des Winter-Resorts schlendert. Dann macht er auf dem Absatz kehrt und geht zurück. Seine nackten Füße hinterlassen Spuren im feuchten Sand.

Er scheint verärgert zu sein. Selbst aus der Ferne und mit Sonnenbrille sieht sein Gesicht angespannt aus. Erst Mails beim Abendessen und jetzt also Business-Calls an einem karibischen Strand.

Ich lege die Beine hoch und wende mich wieder der Notizen-App auf meinem Handy zu. Er hat etwas an sich, das meine Fantasie anregt, wenn er so gestikulierend hin und her marschiert.

Vielleicht ist er der Manager des Resorts in meiner Geschichte. Er hat ein Geheimnis, etwas, das er vor den Gästen und dem Personal verbirgt …

Oder ist er vielleicht ein hochkarätiger Besucher, der aus New York oder London geflohen ist, wo gerade sein Unternehmen bankrottgegangen ist? Auf jeden Fall ist er auch ein Verdächtiger.

Als er an mir vorbeikommt, bekomme ich einen Teil seines Gesprächs mit.

»Briggs, das ist nicht mein Problem, sondern Ihres. Sie sind derjenige, den der Klient angefragt hat, auch wenn ich das nicht verstehe.«

Er geht noch drei weitere Male vorbei. Jedes Mal amüsiere ich mich mehr. Er bietet eine großartige Vorlage für eine Figur, die man ausbauen kann. Mürrisch, reich und mit einem großen Geheimnis, das ganz am Ende rauskommt. Vielleicht eines, das die beiden Hauptfiguren und ihre Liebesgeschichte beeinflusst …

Direkt vor meinem Stuhl bleibt er stehen. Er steht mit dem Rücken zu mir und starrt Richtung Horizont.

»Okay. Schicken Sie mir den Papierkram, dann lese ich mir das durch. Okay. Tschüss.«

Er dreht sich in meine Richtung und hält inne, als er mich sieht.

Ich lächle schwach und hebe die Hand zur Begrüßung.

Miesepeter hin oder her, er gehört jetzt zu meinen Romanfiguren.

Eine Sekunde steht er da wie eine Statue, dann nickt er grüßend. Ein knappes Kopfnicken, als wären wir Geschäftspartner, die einander auf dem Flur begegnen. Dann dreht er sein Handy in der Hand und schreitet über den Strand zurück in Richtung der Bungalows. Ich beobachte, wie er zwischen den Luxusdomizilen und den Jetset-Bewohnern, die dort wohnen, verschwindet.

Das ist ein Teil des Resorts, den ich noch erkunden muss.

Ich greife nach meiner Limo und nehme einen großen Schluck. Die zwei Wochen hier werde ich vielleicht doch ganz gut rumbringen.

3

Am nächsten Morgen bin ich zurück in der Frühstücksbar, um meine Inspektion des Buffets zu beenden. Mein Fazit: Das Obst ist ein Muss, vor allem die Mangos, die hier auf der Insel angebaut werden. Für die Waffeln jedoch – so gut sie auch sind – sollte man nicht extra Platz auf dem Teller reservieren, sondern lieber den fluffigen Pfannkuchen den Vorzug geben, die auf Bestellung zubereitet werden. Am Ende meiner Reise werde ich mein Frühstück bis ins kleinste Detail perfektioniert haben.

Ich esse auf der Terrasse des Resorts, die einen Blick auf das kristallklare blaue Wasser bietet. Palmen, die sich sanft im Wind wiegen, spenden kühlenden Schatten. Ich sitze jetzt schon eine Weile hier, esse und lese das erste der drei Bücher, die ich auf diese Reise mitgenommen habe. Aus den Augenwinkeln beobachte ich wieder die anderen Gäste.

Die Schwestern von gestern sind wieder da. Sie streiten sich zwar nicht um das Frühstück, doch ich nehme eine gewisse Vehemenz in ihren Gesten wahr. Natürlich weiß ich nicht, ob sie Schwestern sind. Ich weiß überhaupt nichts über sie, und das lässt meiner Fantasie viel Raum, Geschichten zu spinnen.

Der geheimnisvolle Geschäftsmann, der der Bösewicht in meiner neuen Geschichte sein könnte, taucht nicht auf.

Der Morgen ist angenehm warm, aber die Luftfeuchtigkeit ist trotzdem hoch, und ich bin gezwungen, mein langes Haar zu einem Zopf zu flechten. Kleine Locken umspielen mein Gesicht und kräuseln sich auf eine Weise, wie sie es zu Hause nie tun würden. Da ich dunkle Augen und hellbraunes Haar habe, könnte man meinen, dass meine Haut schnell bräunt, aber ich werde immer erst rosa.

Als der Morgen langsam in den Mittag übergeht, ziehe ich mir einen Bikini und ein leichtes Kleid an und schnappe mir meine Strandtasche und meinen Reiseführer. Als ich durch die Lobby gehe, atme ich tief den Zitrusduft ein, der immer durch die Gemeinschaftsbereiche des Hotels wabert. Fünf-Sterne-Service eben. Morgen findet mein erster gebuchter Ausflug statt, und ich möchte genau wissen, was mich erwartet.

An der Rezeption hat sich eine Schlange gebildet. Ich stelle mich hinter ein Pärchen mit riesigen Taschen, das wahrscheinlich gerade eincheckt. Das Warten macht mir nichts aus. Ich will mir nur den Abholort für morgen bestätigen lassen, damit ich meine Schnorcheltour nicht verpasse.

Hinter mir seufzt jemand verärgert. Offenbar sind nicht alle damit einverstanden, warten zu müssen. Ich werfe einen Blick über die Schulter.

Es ist Phillip Meyer.

Er hat mich noch nicht bemerkt. Über meinen Kopf hinweg blickt er direkt zur einzigen Mitarbeiterin an der Rezeption, lässt sie nicht aus den Augen. Sein Kiefer ist angespannt.

Ich kann nicht anders und frage: »Na, in Eile?«

Er sieht mich an, und seine Augen hellen sich auf, als er mich erkennt. »Hallo, Eden. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«

»Hi.«

»Man sollte meinen, dass ein solches Hotel zumindest zwei Rezeptionisten beschäftigt.«

»Vielleicht haben sie ja zwei«, sage ich ruhig. »Vielleicht ist einer krank geworden oder musste wegen eines wichtigen Anrufs weg …«

Er schweigt einen Moment lang, als hätte er keine richtige Antwort erwartet. »Ja. Kann sein.«

»Möchten Sie auschecken? Ich glaube, da drüben sind Kästen, wo Sie Ihre Schlüsselkarte hinterlegen können. Wenn Sie es eilig haben.«

»Ich möchte nicht auschecken.«

»Oh, okay.« Ich drehe meinen Reiseführer um, halte ihn mit beiden Händen fest und überlege, was ich sagen soll.

Er kommt mir zuvor. »Sie auch nicht, oder?«

»Nein.«

»Dachte ich mir. Keine Taschen«, meint er und sieht an mir hinunter. Sein Blick bleibt an meinen Händen haften. »Ist das ein Reiseführer?«

Ich schaue hinunter. Bunte Post-it-Zettel kleben zwischen den Seiten. »Ja. Ich habe mich etwas über die Insel schlaugemacht.«

»Soso.« Er zieht einen Mundwinkel nach oben. »Wie lange haben Sie vor zu bleiben? Zwei Monate?«

»Zwei Wochen«, antworte ich. »Aber es schadet nie, vorbereitet zu sein. Vorsicht ist besser …«

»… als Nachsicht«, beendet er den Satz für mich. »Dem kann ich nur zustimmen.«

»Ach? Wo ist denn dann Ihr Reiseführer?«

Er hält sein Handy hoch. »Das geballte menschliche Wissen, nur ein Tippen entfernt und wahrscheinlich aktueller als jedes Buch.«

»Sie scheinen sehr an Ihrem Handy zu hängen«, erwidere ich. Was für ein brillanter Konter. Mein witzigster Spruch bisher.

Aber er stößt nur einen missbilligenden Laut aus. »Die Krankheit des modernen Zeitalters. Wieso stehen Sie eigentlich an? Ist Ihr WLAN auch so schlecht?«

»Nein, es funktioniert. Stehen Sie deshalb an?«

Er nickt. »Scheinbar reicht das Netz nicht bis zu den Bungalows, zumindest nicht immer. Ich musste heute Morgen einen geschäftlichen Videocall machen und die Verbindung ist immer wieder abgebrochen.«

»Haben Sie versucht, die Videofunktion auszuschalten? Manchmal hilft das.«

Sein geduldiger Gesichtsausdruck wirkt gespielt. »Ja, hab ich versucht.«

Da ist wieder der mürrische Fünfjährige.

»Nehmen Sie Ihre Anrufe in der Lobby entgegen«, schlage ich vor.

»Das werde ich in Zukunft wohl tun müssen.« Eine Falte erscheint zwischen seinen dunklen Augenbrauen. »Also, warum stehen Sie an?«

»Ich habe für morgen eine Schnorcheltour gebucht. Das wird wahrscheinlich der Höhepunkt meiner gesamten Reise sein. Ich kann’s kaum erwarten, die Meeresschildkröten zu sehen. Ich will nur noch mal schauen, ob ich mir den richtigen Treffpunkt notiert habe.«

»Eine Bootsfahrt bei Sonnenuntergang?«

»Ja, denke schon. Ich glaube, Startpunkt ist der Hafen in Bridgetown.«

»Amüsieren Sie sich gut«, sagt er.

»Danke. Das habe ich vor. Oh, jetzt geht es vorwärts.«

Das Paar vor uns schlurft mit seinen großen Koffern zur Rezeptionistin, die sie herzlich begrüßt. Die Frau antwortet. Ihre Stimme ist laut und hallt in der Lobby wider. »Vielen Dank. Wir sind so froh, dass wir endlich hier sind. Wir sind in unseren Flitterwochen!«

Ich kann mir ein leises Stöhnen nicht verkneifen. Phillip stößt einen Laut aus, der mindestens genauso zynisch klingt.

»Flitterwöchner«, murmelt er vor sich hin.

Ich schüttle den Kopf. »Sie sind überall.«

»Dafür habe ich bei meiner Rezension schon einen Stern abgezogen«, erklärt er finster.

Er sagt es ganz trocken und ich muss lachen. Eigentlich nur kichern, aber Phillips Augenbrauen schießen in die Höhe.

»Oh nein«, sage ich. »Ich wette, das wird ganz schlimm sein für dieses Multi-Millionen-Dollar-Resort.«

Er schaut weg, verzieht aber die Lippen zu einem ironischen Lächeln. »Das ist auch gut so. Ich kann sehr überzeugende Rezensionen schreiben.«

Das Hochzeitspaar checkt ein und wird mit einem fröhlichen »Willkommen im The Winter, wo immer Sommer ist« auf sein Zimmer geschickt. Der Spruch ist so kitschig, dass ich darauf wette, dass er den Angestellten bei der Einstellung eingebläut wird.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich die Rezeptionistin mit einem breiten Lächeln. In diesem Moment kommt ein weiterer Mitarbeiter aus dem Personalraum und geht schnell zur Rezeption.

Er nimmt mit jemandem hinter mir Blickkontakt auf. Vermutlich mit Phillip. »Ich kann Ihnen gleich hier drüben helfen, Sir. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.«

Ich widerstehe dem Drang, zu Phillip hinüberzusehen, weil ich mir sicher bin, dass mir der Satz »Ich hab’s Ihnen ja gesagt!« deutlich ins Gesicht geschrieben steht.

Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass er die Worte hören kann.

Als ich mit meinen Fragen fertig bin, ist er weg und die Lobby wieder leer. Ich verlasse die Lobby durch die Seitentür, die zum Garten und dem Holzweg führt, der sich zum Meer hinunterschlängelt.

Nur etwa die Hälfte der gleichmäßig über den weißen Sandstrand verteilten Liegestühle scheint besetzt zu sein. Ohne meine Sonnenbrille könnte ich allerdings nichts sehen, denn das helle Licht überstrahlt alles. Das türkisfarbene Meer ist klar und ziemlich unruhig. Es ist der erste Tag, an dem es nicht glatt wie ein Spiegel daliegt.

Mein Liegestuhl ist noch frei. Natürlich ist er eigentlich nicht meiner, aber nach einem Tag fühlt es sich schon irgendwie so an. Wir Menschen sind eben Gewohnheitstiere. 

Das bringt mich auf eine Idee.

Zwei der Figuren in meiner Geschichte könnten sich am Strand über irgendetwas streiten. Die anderen bekommen es mit und nach dem Mord wird der Verdacht auf die beiden fallen. Aber das ist nur ein weiteres Ablenkungsmanöver, ein sogenannter Red Herring, denn eigentlich haben sich die beiden nur um den Liegestuhl gestritten.

»Das ist meiner.«

»Ihrer?«

»Da lag kein Handtuch drauf!«

»Nein, aber ich sitze immer hier.«

»Und woher soll ich das bitte schön wissen?«

Mein armes Buch liegt ungeöffnet neben mir, während ich mir Notizen auf dem Schreibblock mache, den ich heute mitgebracht habe.

Es ist Monate her, seit ich mich so animiert gefühlt habe und meine Umgebung eine Quelle der Inspiration und nicht des Frusts gewesen ist. Vielleicht brauchte ich einfach nur einen Tapetenwechsel.

Während ich immer noch manisch auf meinem Notizblock herumkritzle, ruft Becky an. Ich bin gerade dabei, die Nebenfiguren auszuarbeiten und zu entscheiden, wer das Mordopfer sein soll, aber das Paar, das sich bei der Aufklärung des Verbrechens ineinander verlieben soll, ist nicht am Strand. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie aussehen oder wie ihre Liebesgeschichte ausgestaltet werden soll.

»Hey.«

»Oh, das ist deine konzentrierte Stimme.«

Ich kichere. »Ich habe doch nur ein Wort gesagt.«

»Ja, und es klang sehr konzentriert. Ist es gerade schlecht?«

»Nein, natürlich nicht. Ich bin im Urlaub und habe massenhaft Zeit.«

»Ich habe deinen Reiseführer gesehen und bin mir nicht sicher, ob ›massenhaft Zeit‹ wirklich die richtige Beschreibung ist. Du packst eine ganze Menge Aktivitäten in diese zwei Wochen.«

»Also die ersten Tage lasse ich es sehr ruhig angehen.«

»Ach ja?«

»Ja. Und ich habe sogar mit einem anderen Gast hier im Hotel gesprochen.«

Becky holt theatralisch Luft. »Gesprochen? Oh, wow! War es in einem Aufzug? Und ging es ums Wetter?«

»Nein und nein, du Klugscheißerin. Ich saß mit ihm am selben Tisch.«

Wie erwartet verliere ich mich kurz darauf in zahlreichen Details. Ich schaue über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass mich kein großer, dunkelhaariger, finster dreinblickender Mann belauscht, aber er ist nirgends zu sehen. Die Leute um mich herum haben sich auch alle verzogen.

Zehn Minuten später wird mir klar, warum.

Das Meer war schon vorher unruhig, aber jetzt ist es geradezu rau. Es ist kein einziger Schwimmer in Sicht. Über mir ziehen rasch schwere Wolken vorbei, die die Sonne und den blauen Himmel verdunkeln.

Schnell packe ich meine Sachen zusammen und klemme mein Handy zwischen Ohr und Schulter. »Wie geht es dir? Tun dir noch die Füße weh?«

»Das ist jetzt das geringste meiner Probleme. Wunde Füße, heftigstes Sodbrennen, Rückenschmerzen, und ich habe SPD, was im Grunde bedeutet, dass mein Becken auseinanderreißt. Und dabei steht mir die eigentliche Geburt noch bevor.«

»Klingt ja wunderbar.«

»Oh ja, das ist es. Ich kann es nur empfehlen. Patrick ist so neidisch, dass er das nicht auch kann.«

Ich kichere. »Du hast es bald durchgestanden. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen, aber …«

»Aber ich habe mir das selbst eingebrockt«, beendet sie kläglich den Satz für mich. Ich liebe ihren trockenen Humor. »Na ja, Patrick hat geholfen, aber ich wusste, worauf ich mich einlasse.«

»Heißt aber nicht, dass du dich nicht beschweren darfst.«

»Danke. Du hast dir schon viel anhören müssen.«

Ich seufze. »Na ja, du hast dir auch viel über Caleb und Cindy anhören müssen.«

»Hey, ich war auch wütend darüber. Bin ich immer noch. Verdammt, ich muss los. Falls ich von dieser Couch runterkomme.«

Ich lächle. Sie heitert mich immer auf. »Wir reden später.«

»Ich freue mich schon drauf«, sagt sie. »Noch viel Spaß dabei, echte Menschen in Romanfiguren zu verwandeln.«

Ich muss lachen. »Klingt, als wäre ich eine Verrückte.«

»Sind das nicht alle Schriftsteller?«, fragt sie und dann ist die Leitung tot.

Ich lächle immer noch, als ich über den weißen Sand zum Poolbereich stapfe.

Möglicherweise sind wir das ja, wir Schriftsteller. Vielleicht kann ich das Autorinnendasein hier wieder ausprobieren, an diesem neuen Ort. Für den Rest meines Aufenthalts kann ich sein, wer ich will. Eine völlig neue Version von mir selbst, die es in Pinecrest, Washington, niemals geben könnte.

Der Gedanke an Cindy hat mir einen Stich ins Herz versetzt. Es wird vorbeigehen, wie immer, aber ich lege trotzdem einen Zwischenstopp bei der Poolbar ein, um mir einen Mojito zu holen – das wird das Ganze beschleunigen.

Schnell stelle ich fest, dass sämtliche Leute, die den Strand wegen des Wetterumschwungs verlassen haben, in den Poolbereich gewechselt sind. Sie liegen in den Cabanas und unter den Sonnenschirmen. Alles ist voll.

Ich schnappe mir meinen Mojito und meine Strandtasche und gehe an der Längsseite des Pools entlang. Ganz am Ende steht ein einziger freier Liegestuhl, der durch einen überdimensionalen Sonnenschirm vor möglichem Regen geschützt ist.

Wenn ihn schon sonst niemand haben will …

In meinen Flip-Flops marschiere ich weiter, den Blick fest auf mein Ziel gerichtet. Dieses Resort ist eine wahre Goldgrube der Inspiration. Ich kann es kaum erwarten, meinen Notizblock wieder aufzuschlagen.

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