×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Hörensagen«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Hörensagen« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Hörensagen

Warum wir nicht glauben dürfen, was wir wollen

Der Kampf um die Wirklichkeit ist in vollem Gange. Wohin man sieht, breitet sich Widerstand gegen die Wissenschaft aus. Nahezu täglich sind wir mit Fake News, Verschwörungsmythen und verzerrten Tatsachen konfrontiert.

Åsa Wikforss, eine der renommiertesten Philosophinnen Schwedens, hat die falschen Fakten dicke. Anschaulich führt sie uns durch die Welt der Wahrheitsfindung und macht begreiflich, was Wissen eigentlich ist: Was unterscheidet Wahrheit von Glauben, Meinung und Lügen? Und warum kann es etwas wie alternative Fakten gar nicht geben? Sie zeigt, wie wir die Fallstricke der Meinungsmache durchschauen und der um sich greifenden Faktenresistenz mit guten Argumenten begegnen können.

Für alle, die ihren Verstand schärfen und sich die Wirklichkeit nicht verdrehen lassen wollen.

»Eine durchdachte, vernünftige und wundervoll aufgebaute Analyse eines der drängendsten Themen unserer Zeit.«
Steven Pinker, Autor des Bestsellers »Aufklärung jetzt«

»Möge dieses in ruhigem Ton geschriebene und dabei stringent argumentierende Buch auch in Deutschland eine Diskussion entfachen.«Marko Martin,Deutschlandfunk Kultur, 17.05.2021


  • Erscheinungstag: 23.03.2021
  • Seitenanzahl: 276
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950423
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

VORWORT

Der Kampf um die Wirklichkeit ist längst in vollem Gange. Wir ertrinken in Fake News, Verschwörungstheorien und verzerrten Tatsachenberichten. Überall breitet sich Widerstand gegen die Wissenschaft aus, und es ist vom Tod des Expertentums die Rede. Weltmächte werden von Politikern regiert, die sich nicht im Geringsten um die Wahrheit scheren und die aktiv dazu beitragen, zu desinformieren, zu spalten und das Vertrauen in unsere wissenschaftlichen Institutionen zu untergraben. Nicht einmal die elementarsten Erkenntnisse sind vor den Feinden der Wissenschaft sicher – vielleicht ist die Erde ja doch eine Scheibe? Wir leben in einer Zeit des Postfaktischen und der alternativen Fakten.

Der Begriff »alternative Fakten« ist zu einer Art Symbol für diesen Vorgang geworden. Er geht auf den Streit über die Anzahl der Zuschauer bei der Amtseinführung Donald Trumps am 20. Januar 2017 zurück. Trumps damaliger Pressesprecher Sean Spicer – der insgesamt nur sechs Monate im Amt war – behauptete, es sei das größte Publikum, das je in Washington gewesen sei, um an einer Amtseinführung teilzunehmen. Evident war jedoch etwas ganz anderes: Bilder von der Amtseinführung Obamas 2009 zeigten, dass damals viel mehr Menschen versammelt waren, und laut den Statistiken wurden an jenem Tag auch deutlich mehr U-Bahn-Tickets verkauft. Als immer deutlicher wurde, dass Spicer falsche Zahlen genannt hatte, fragte man nach, wie er – als Pressesprecher des Weißen Hauses! – offensichtliche Tatsachen habe infrage stellen können. Daraufhin äußerte Trumps Beraterin Kellyanne Conway im Fernsehen den Satz, der weltweit Aufsehen erregte: Spicer habe lediglich alternative Fakten präsentiert.

Dieser dreiste Versuch, Tatsachen zu leugnen, machte mich wütend, und ich hatte den Eindruck, dass es Zeit wurde, mich als Philosophin in die Debatte einzumischen. Das Ergebnis ist dieses Buch. Ich versuche darin, aus philosophischer und psychologischer Perspektive die Bedrohung zu erläutern, der die Wissenschaft permanent ausgesetzt ist, und Werkzeuge an die Hand zu geben, um ihr zu begegnen. Mein Ausgangspunkt liegt dabei im Philosophischen. Es geht mir darum, begreiflich zu machen, was Wissen eigentlich ist, warum die Wahrheit so schwer zu fassen ist und weshalb es keine alternativen Fakten gibt (Kapitel 1 und 2). Zugleich geht es mir aber auch darum zu verstehen, warum wir Menschen so anfällig für Falschaussagen sind und welche psychologischen Mechanismen dazu führen, dass wir verfügbares Wissen einfach ausblenden (Kapitel 3). Diese Mechanismen sind wie eine Art innerer Feind, sie führen zu verzerrten, emotional aufgeladenen Denkmustern und spielen dadurch auf gefährliche Weise den äußeren Feinden in die Hände: bewussten Lügen, Desinformation und Propaganda (Kapitel 4). Die entscheidende Frage ist, was wir tun können, um uns gegen das, was da gerade passiert, zu schützen. Dabei kommt natürlich auch den Schulen eine zentrale Rolle zu. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass unsere Schulen schlecht dafür gerüstet sind, Angriffen auf die Wissenschaft zu begegnen (Kapitel 5).

Abschließend möchte ich erläutern, was wir tun können, um mit den Anfeindungen gegen die Wissenschaft umzugehen. Es ist zweifellos eine der größten Herausforderungen der Gegenwart, und jeder Einzelne von uns muss seinen Teil dazu beitragen.

Denn Wissen ist wichtig. Natürlich haben wir das Recht zu glauben, was wir wollen. Wenn man aber glaubt, was man will, statt das, wofür es gute Gründe gibt, es zu glauben, verweigert man sich wissenschaftlichen Erkenntnissen, die es bereits gibt, und das hat Konsequenzen. Impfgegner haben dazu beigetragen, dass sich die Masern wieder in Europa ausbreiten konnten. 2018 gab es sechzigtausend Fälle, zweiundsiebzig davon führten zum Tode, und 2019 hat sich die Ansteckungsgeschwindigkeit noch verdoppelt. Das alles wäre vermeidbar gewesen. Klimaleugner im Weißen Haus haben bewirkt, dass die USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen sind, mit verheerenden Folgen für unseren Planeten. Und Forscher haben gezeigt, dass in denjenigen Staaten, in denen der Abstand zu Hillary Clinton besonders gering war, aller Wahrscheinlichkeit nach Fake News zum Sieg Donald Trumps geführt haben.1

Natürlich fing es nicht erst mit Trump an, und es wird wohl auch nicht mit ihm enden. Dennoch personifiziert er die Ära des Postfaktischen, weil sich in ihm all dessen Komponenten vereinigen. Er hat offensichtlich kein Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen, bemühte sich bei Regierungsbeschlüssen nie darum, vorher die Faktengrundlage zu prüfen, und stellte konsequent Mitarbeiter ein, die keinerlei Expertise auf ihrem Zuständigkeitsgebiet haben. Er verband sich mit autoritären Herrschern wie Putin oder Orbán und bezeichnete etablierte Medien als Volksfeinde (ein Begriff, den auch Lenin und Stalin verwendet haben). Er liebt Verschwörungstheorien, flirtet mit Impfskeptikern, und er verbreitet permanent Unwahrheiten und irreführende Meldungen. Wie es aussieht, ändert sich daran auch nichts, im Gegenteil. Die Washington Post hat mitgezählt und stellte fest, dass er im zweiten Amtsjahr durchschnittlich 16,5 falsche oder irreführende Behauptungen pro Tag veröffentlichte, während es im ersten Amtsjahr »nur« 5,9 waren.

Zu Beginn meiner Arbeit an diesem Buch stand die Sorge, die demokratischen Institutionen der USA könnten einer Präsidentschaft Donald Trumps möglicherweise nicht standhalten. Das System zeigte sich jedoch widerstandsfähiger, als ich befürchtet hatte. Medien und Gerichte beispielsweise stellen sich Trump immer wieder entgegen.2 Noch besorgniserregender erscheint mir inzwischen der Blick auf Europa, wo sich in immer mehr Ländern antidemokratische Kräfte Gehör verschaffen und sich auf geschickte Weise Desinformation unterschiedlichster Art zunutze machen. Denn Wissen ist für die demokratische Gesellschaft von großer Bedeutung. Autoritäre Herrscher beginnen immer zunächst damit, sich der Wahrheit zu bemächtigen. Die beste Möglichkeit, uns Menschen zu beeinflussen, besteht ja nicht darin, uns zu zwingen, etwas zu tun, sondern darin, uns dazu zu verleiten, etwas zu tun. Die Desinformationskampagnen unserer Zeit sind deshalb so gefährlich, weil sie nicht als solche daherkommen. Statt die Menschen mit eindeutigen politischen Botschaften zu bombardieren, wie zu Sowjetzeiten, bringen sie Falschmeldungen und verzerrte Darstellungen in Umlauf, die darauf zugeschnitten sind, unsere Ängste und Sorgen zu bedienen und uns dazu zu bringen, sie aktiv weiterzuverbreiten. So schleicht sich ein verzerrtes Weltbild bei uns ein, ohne dass wir es überhaupt bemerken. Immer wieder gibt es ambitionierte Versuche, das, was verbreitet wird, auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Doch diese werden sofort wieder unterdrückt, und Desinformation und die Verbreitung von Verschwörungstheorien werden fortan dazu genutzt, das Vertrauen in die Faktenprüfer zu untergraben. Der Kampf um die Wirklichkeit wird immer mehr zu einem Kampf um die Glaubwürdigkeit von Quellen, und es sind deutliche Tendenzen erkennbar, dass das Vertrauen – auch in Schweden, wo ich herkomme – immer stärker polarisiert und politisiert wird.

Angesichts der Kakophonie sich widersprechender Stimmen fühlt man sich schnell verloren und neigt dazu, den Glauben an die Vernunft und an die Möglichkeit der Wahrheitsfindung aufzugeben. Genau das wollen die Apostel des Postfaktischen ja auch erreichen. Dieses Buch stellt den Versuch dar, dem Gefühl des Ausgeliefertseins etwas entgegenzusetzen und Mut und Vertrauen zu schaffen. Man kann den Verzerrungen und dem Unbegründeten entgegenarbeiten, man kann Gefälschtes und Undurchschaubares durchschauen und zum Begründbaren und Klaren finden. Es gibt glaubwürdige Quellen und funktionierende Wissensinstitutionen, und zusammen müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht, um sie zu stärken. Im Laufe der Geschichte sah sich die Wissenschaft immer wieder grundsätzlich infrage gestellt und hat am Ende doch immer gesiegt. Der Mensch ist eben, wie schon Aristoteles sagte, trotz allem das vernunftbegabte Tier.

Stockholm, 10. 02. 2019

1.
WISSENSRESISTENZ

WERDEN WIR FAKTENRESISTENT?

»Wissenschaftler warnen: Gefährdung der Erde durch neue Art faktenresistenter Menschen«. Unter dieser aufsehenerregenden Überschrift wurde in der amerikanischen Zeitschrift The New Yorker vom 12. Mai 2015 ein Artikel veröffentlicht, in dem beschrieben wird, wie bei Menschen, die allem Anschein nach durchaus über die normalen Mechanismen zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen verfügen, diese Mechanismen aus irgendeinem Grund plötzlich versagen. Darüber hinaus, so heißt es weiter, scheine sich ihre Faktenresistenz zu verstärken, je mehr Fakten man ihnen vorsetze. Die Hypothese der Wissenschaftler laute deshalb, dass auf dem Weg vom Hörnerv zum Gehirn Informationen blockiert und dadurch die normalen Funktionen des menschlichen Bewusstseins außer Kraft gesetzt würden.

Dieser Artikel ist natürlich Satire. Sein Verfasser ist der Komiker Andy Borowitz, der ein beeindruckendes Gespür für aktuelle gesellschaftliche Strömungen hat – und wie man sich darüber lustig machen kann. Ein Jahr vor Trumps Eintritt in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 griff Borowitz mit diesem Artikel etwas vor, das nach der Wahl allseits Thema werden sollte: einer zunehmenden Faktenresistenz. Schon immer gab es Menschen, die in unterschiedlicher Weise die herkömmlichen Auffassungen von der Welt, in der wir leben, infrage stellten – Verschwörungstheoretiker, Wissenschaftszweifler und Mystiker. Doch was 2016 passiert ist, ist meines Erachtens so noch nie dagewesen. Plötzlich scheint es, als lebten wir nicht mehr in einer Wirklichkeit und als könnten wir uns nicht einmal mehr auf die grundlegenden Fakten darüber verständigen, wie die Welt ist. Beinahe fragt man sich, ob Borowitz nicht recht hat und in unseren Gehirnen tatsächlich eine Art Blockade eingetreten ist.

Was geschieht da, und was können wir dagegen tun? Um das herauszufinden, müssen wir ganz von vorne beginnen, mit ein wenig grundlegender Philosophie.

Was also sind Fakten? Die kurze Antwort lautet: Wie die Welt ist. Sie umfassen alles, von banalen Alltagsfakten bis hin zu Fakten über die Entstehung des Universums. Es gibt psychologische Fakten darüber, wie wir denken und fühlen; gesellschaftliche Fakten über Arbeitslosigkeit, Inflation, Kriminalität und so weiter; medizinische Fakten über Krankheiten und ihre Ursachen; biologische Fakten über die Entwicklung der Arten; physikalische Fakten über Elementarteilchen und wie sie sich bewegen; Fakten darüber, wie meine Küche aussieht, und Fakten über das Liebesleben der Prominenten.

Eine etwas längere und philosophischere Antwort lautet, dass Fakten dasjenige sind, was Tatsachenbehauptungen wahr macht, also Wahrmacher. Es gibt Behauptungen darüber, wie die Welt ist, zum Beispiel die, in meinem Garten stehe ein Pferd. Solche Behauptungen sind entweder wahr oder falsch, je nachdem, was ist, welche Fakten vorliegen. Meine Behauptung ist wahr, wenn tatsächlich, faktisch, ein Pferd in meinem Garten steht.

Schnell wird dabei klar, dass es eine Menge Fakten gibt, über die wir nichts wissen – entweder, weil sie zu trivial sind, als dass wir uns die Mühe machen würden, ihnen auf den Grund zu gehen (etwa, wie viele Haare ich auf dem Kopf habe), oder Fakten, die ganz einfach zu schwer zu prüfen sind (über andere Planeten in fernen Galaxien). Wahrscheinlich gibt es auch zahlreiche Fakten, über die wir kein Wissen erlangen können, weil wir dazu rein kognitiv nicht in der Lage sind. Hierzu könnten etwa Fakten über die Entstehung des Universums gehören. Wie kann aus nichts eine Welt entstehen? Die Antwort darauf könnte für uns unbegreiflich sein. Auch Fakten über das menschliche Bewusstsein könnten dazuzählen: Wie kann ein grauer Klumpen Materie, also die Hirnsubstanz, ein so buntes Feld von Subjektivität erschaffen, wie ich es von mir selbst so gut kenne? Auch wenn der Mensch das Tier mit der größten kognitiven Kapazität ist, sind seine Fähigkeiten doch begrenzt. Ebenso, wie es zahlreiche Fakten gibt, die mein Hund Eliot aufgrund seiner fehlenden kognitiven Fähigkeiten niemals begreifen wird (dass die Erde rund ist, zum Beispiel), gibt es mit Sicherheit auch Dinge, die wir Menschen niemals erfassen werden.

Deshalb liegt durchaus ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung, wir seien faktenresistent, zumindest teilweise. Es gibt tatsächlich eine Menge Fakten, über die wir nie etwas wissen werden, weil sie uns nicht interessieren, und eine Menge Fakten, über die wir nie etwas wissen können, selbst wenn wir es wollten. Zugleich ist es natürlich auch so, dass unsere Wissbegier die Grenzen permanent verschiebt, und es wäre eine schlechte Idee, ein für alle Mal festzulegen, über welche Fakten wir Wissen erlangen können und über welche nicht. Neue Techniken ermöglichen uns, entlegene Galaxien zu beobachten und den Mikrokosmos zu untersuchen. Unsere wissenschaftlichen Erklärungsmodelle werden immer ausgefeilter, und was sich lange als Rätsel dargestellt hat, als Mysterium jenseits des menschlichen Verstandes, kann plötzlich erklärt werden: warum Dinge, die wir loslassen, herunterfallen, wie sich die Arten entwickelt haben und was Leben ist. Möglicherweise ist die Neuropsychologie bereits auf einem guten Weg, die Natur des menschlichen Bewusstseins zu erklären. So gesehen sind wir wohl nie weniger faktenresistent gewesen als heute.

Ebenso wird schnell deutlich, dass ein Individuum, das tatsächlich vollkommen faktenresistent wäre, auf Erden nicht lange überleben könnte. Denn um zu überleben, müssen wir ununterbrochen Fakten aufnehmen: Fakten darüber, was gefährlich ist und was nicht, wie wir Wasser und Nahrung bekommen und über andere Menschen. Die Evolution hat uns mit Fähigkeiten ausgestattet, die garantieren, dass wir Informationen über die Umwelt effektiv aufnehmen können (zum Beispiel über unseren Seh- und Hörsinn) und dazu in der Lage sind, diese kognitiv zu bearbeiten, sodass sie zu Handlungsweisen führen, die unser Überleben sichern. Man hört einen Elefanten durch den Dschungel toben und springt zur Seite, man sieht Wasser und füllt ein Gefäß damit, um zu trinken. Eine genuine Unfähigkeit, Fakten zu erfassen, wäre eine evolutionäre Unmöglichkeit. Auch das wird in Andy Borowitz’ Artikel thematisiert. Er schreibt, die Wissenschaft hoffe, dass die Faktenresistenz mit der Zeit abnehme und dass vorläufige Forschungsergebnisse darauf hinweisen würden, dass die Menschen wieder offener für Fakten würden, wenn sie sich in einer Umgebung befänden, wo es an Nahrung, Wasser und Sauerstoff mangele.

Es gäbe noch weit mehr über Fakten zu sagen, und ich werde im nächsten Kapitel auch noch einmal darauf zurückkommen. Bereits jetzt dürfte jedoch klar geworden sein, dass das, was um uns herum geschieht, mit dem Postulat einer zunehmenden Faktenresistenz von uns Menschen nicht auf den Punkt gebracht werden kann. Das Problem ist eben gerade nicht, dass es Unmengen von Fakten gäbe, die wir Menschen plötzlich nicht mehr aufnehmen könnten. Die Fakten, um die es geht, sind unter anderem den Experten wohlbekannt – zum Beispiel über Klima, Bevölkerungszuwachs, Impfungen, Einwanderung und Arbeitslosigkeit. Das Problem ist vielmehr, dass es Wissen gibt, das wir aus unterschiedlichen Gründen ablehnen oder nicht annehmen können. Wir sind nicht faktenresistent, wir sind wissensresistent geworden. Um diesen wichtigen Unterschied zu verstehen, müssen wir überlegen, was Wissen ist.

WAS IST WISSEN?

Sucht man im Internet nach Bildern zum Thema Wissen (was ich manchmal tue, wenn ich eine Vorlesung vorbereite), stößt man auf Bilder von Gehirnen, in denen es zwischen den Synapsen blitzt und blinkt. Es ist ziemlich natürlich, davon auszugehen, dass das Wissen im Kopf sitzt. Ich lese einen Text, nehme die Informationen in mich auf und kann wiedergeben, was ich gelernt habe, zum Beispiel in einer Prüfung oder in einem Vortrag. Doch es ist zugleich ein grundfalsches Bild.

Zunächst einmal müssen wir zwischen praktischem und theoretischem Wissen unterscheiden, auf Englisch spricht man von knowledge that versus knowledge how. Theoretisches Wissen ist Wissen, wie man es in einem Buch findet. Es enthält immer eine bestimmte Behauptung, die auf die Wendung »wissen, dass …« folgt. Ich weiß, dass Stockholm die Hauptstadt von Schweden ist, dass Obama in den USA geboren wurde und dass Elektronen eine negative Ladung haben. Doch auch unser Alltagswissen besteht aus einer Menge theoretischen Wissens. Ich weiß, dass ich in Göteborg geboren bin, dass es regnet und dass das Auto in der Garage steht.3 Praktisches Wissen enthält keinen solchen Denkinhalt. Es kann eher als ein Vermögen begriffen werden: als die Fähigkeit, etwas zu tun. Auf Schwedisch (wie auch auf Deutsch) sagt man, man kann etwas, wenn es um diese Form des Wissens geht, statt zu sagen, man weiß etwas: Ich kann lesen, Tennis spielen, Fahrrad fahren und einigermaßen gut Englisch sprechen.

Natürlich gibt es eine Interaktion zwischen praktischem und theoretischem Wissen. Jedes Tun bedarf eines theoretischen Wissens, auch wenn dieses mehr oder weniger bewusst sein mag. Um Rad fahren zu können, muss ich zum Beispiel wissen, dass die Pedale dazu dienen, sich vorwärtszubewegen, und dass man auf dem Sattel sitzt – doch es ist unwahrscheinlich, dass ich bewusst darüber nachdenke. In der Philosophie ist lange darüber gestritten worden, ob praktisches Wissen auf ein so geartetes theoretisches reduziert werden kann. Die Frage ist bis heute nicht entschieden, aber wer schon einmal versucht hat, jemandem am Telefon zu erklären, wie man Fahrrad fährt (ich habe das bei einer Freundin versucht, die sich mein Fahrrad ausgeliehen hatte), wird bald feststellen, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass praktisches Wissen nur eine Form impliziten theoretischen Wissens ist.

Was das praktische Wissen angeht, wird also schnell ersichtlich, dass es nicht im Kopf sitzen kann. Natürlich brauchen wir unser Gehirn, um Dinge wie Radfahren oder Tennisspielen tun zu können, doch am natürlichsten wäre es zu sagen, das Vermögen sitze im ganzen Körper. Dass das theoretische Wissen ebenfalls nicht im Kopf sitzt, ist weniger offensichtlich. Das theoretische Wissen hat schließlich mit unseren Gedanken zu tun, und die sitzen doch wohl im Kopf? Die Antwort ist, dass ein wichtiger Bestandteil dessen, was Wissen ausmacht, im Kopf sitzt, jedoch nicht das Wissen selbst.

Welches ist nun aber dieser Bestandteil? Wie wir schon festgehalten haben, gibt es eine riesige Menge Fakten in der Welt, und erst wenn wir anfangen, darüber nachzudenken, wie die Welt ist, können wir Kenntnis von diesen Fakten erlangen. Allerdings genügt es nicht, einfach nur nachzudenken. Vielleicht macht es mir Spaß, darüber nachzudenken, ob es auch auf anderen Planeten Leben gibt. Nachdem ich über die Entdeckung von Trappist-I gelesen habe, einen kleineren Stern etwa vierzig Lichtjahre entfernt, der von sieben Planeten von der Größe der Erde umgeben ist, denke ich den Gedanken, dass es Leben auf diesen Planeten gibt. Doch um es zu wissen, genügt es nicht, den Gedanken zu denken – ich muss auch glauben, dass es Leben auf diesen Planeten gibt, ich muss davon überzeugt sein. Es ist ein wichtiger Unterschied, ob man lediglich einen Gedanken denkt (oder fantasiert) oder ob man von etwas überzeugt ist. Wenn mir jemand erzählt, im Wohnzimmer stehe ein Elefant, so kann ich nicht vermeiden zu denken, ›ein Elefant steht im Wohnzimmer‹, aber ich werde wohl kaum glauben, was man mir gesagt hat.

Was aber bedeutet es, etwas zu glauben? In der Philosophie spricht man von Fürwahrhalten. Ich glaube, dass es auf den Planeten Leben gibt, wenn ich es für wahr halte. Ich glaube, dass noch Bier im Kühlschrank ist, wenn ich es für wahr halte. Warum ist es wichtig, zwischen Gedanken (Überlegungen, Fantasien, Spekulationen) und Fürwahrhalten zu unterscheiden? Weil das Fürwahrhalten einen völlig anderen Typ mentalen Zustands darstellt, der eine ganz andere Rolle in unserer Psychologie spielt als reine Gedanken oder Fantasien. Das Fürwahrhalten ist vor allem entscheidend, wenn es darum geht zu handeln. Wenn ich nur fantasiere, dass noch Bier im Kühlschrank ist, werde ich nicht hingehen, um mir eins zu holen. Oder um ein noch greifbareres Beispiel zu nennen: Wenn ich an einem Fußgängerüberweg stehe und darauf warte, auf die andere Seite wechseln zu können, gehe ich nicht eher, als bis ich wirklich glaube, dass ich sicher rüberkomme.

Hier stoßen wir jedoch auf gewisse Schwierigkeiten mit der Terminologie. Im Englischen spricht man von »belief«, auf Schwedisch wie auf Deutsch aber gibt es keinen Begriff, der genauso gut funktionieren würde. »Überzeugung« ist ein wenig hochtrabend und passt nicht recht, wenn es um Alltägliches geht; »es ist meine Überzeugung, dass noch Bier im Kühlschrank ist«, klingt doch eher seltsam. Auch deutet es etwas Stärkeres an als nur ein gewöhnliches Fürwahrhalten – dass man sich ganz sicher ist. Ein anderer Begriff wäre »Meinung«. In gewisser Weise könnte das eine gute Übersetzung von »belief« sein, doch es gibt ein Problem: Es hat sich eingebürgert, »Meinung« für bloßes Finden zu benutzen, für etwas, das von dem, was wir wissen, getrennt ist, also von den Fakten, und wenn man sagt, »Meinungen« seien Teil des Wissens, wird es heikel. »Glauben« ist noch problematischer, weil dieser Begriff häufig in religiösen Zusammenhängen benutzt wird und gerne als Gegensatz zum Wissen. Worauf man dabei hinaus will, ist eher das, was man im Englischen »faith«, also etwa Vertrauen nennt, und das ist etwas, das sich eher an unsere Gefühle richtet als an unsere Kognition. Im Schwedischen (Deutschen) markieren wir das manchmal, indem wir sagen, dass wir an etwas glauben, zum Beispiel an das ewige Leben oder an Gott. Wenn ich hier von glauben rede, meine ich jedoch nur kognitives Glauben, Fürwahrhalten. So gesehen bilden Wissen und Glauben dann keinen Gegensatz, sondern im Gegenteil: Ich kann nichts wissen, was ich nicht glaube.

Ich habe mich dennoch entschieden, Überzeugung für das englische »belief« zu benutzen, also für den mentalen Zustand, in dem wir uns befinden, wenn wir etwas für wahr halten; den mentalen Zustand, der notwendig ist, wenn wir Wissen haben wollen. Manchmal spreche ich auch von Auffassung oder Beurteilung, um die Begriffe ein wenig zu variieren, doch in den meisten Fällen werde ich mich an Überzeugung halten. Allerdings ist dabei wichtig festzuhalten, dass man durchaus einer Überzeugung sein (etwas für wahr halten) kann, ohne sich vollkommen sicher zu sein.

Dass Wissen Glauben oder Überzeugung voraussetzt, hat einige interessante Konsequenzen. Um zum Beispiel zu wissen, dass das Klima sich verändert, genügt es nicht, dass ich einen Text über den Klimawandel lese. Wenn ich darüber hinaus nicht auch glaube, was in dem Text steht, wenn ich den Inhalt des Textes nicht für wahr halte, habe ich in dieser Frage kein Wissen erlangt. Das bedeutet, dass es bei Wissensvermittlung nicht nur darum geht, Informationen zu verbreiten; man muss die Leute auch dazu bringen zu glauben, was man behauptet. Das erklärt wiederum, warum es so wichtig ist, tatsächlich Wissen zu verbreiten. Da Überzeugungen für das menschliche Handeln eine besondere Rolle spielen, reicht es nicht, einen anderen Menschen lediglich darüber zu informieren, wie die Dinge sind. Wenn er nicht glaubt, was wir sagen, wenn er nicht überzeugt wird, wird er sein Handlungsmuster nicht ändern. Wer nicht glaubt, dass Rauchen Krebs verursacht, ist nicht motiviert, sein Verhalten zu ändern.

»Bei der Wissensvermittlung geht es nicht nur darum, Wissen zu verbreiten – man muss die Leute auch dazu bringen zu glauben, was man behauptet.«

Dass Überzeugung ausschlaggebend ist, hängt auch mit einem Problem zusammen, das die britische Philosophin Miranda Fricker als epistemische Ungerechtigkeit bezeichnet.4 Damit ist die Beobachtung gemeint, dass jemand, dessen Überzeugungen nicht ernst genommen werden, jemand, der immer infrage gestellt wird (aufgrund von Vorurteilen gegen Geschlecht, Ethnie, Klasse, Alter und so weiter), schließlich selbst an seinen Überzeugungen zu zweifeln beginnt, auch wenn es keinen wirklichen Grund dafür gibt. So jemand wird dann eines Wissens beraubt, das er sonst gehabt hätte.

Die meisten unserer Überzeugungen sind so banal, dass wir sie selten oder nie bewusst denken. Natürlich glaube ich, dass ich zwei Beine habe, aber wann habe ich das zuletzt bewusst gedacht? Ich glaube auch, dass der Boden in meiner Wohnung es aushält, dass ich darauf gehe, dass Pferde größer sind als Ameisen und dass der Mond kein Stück Käse ist. Diese Überzeugungen sind Teil unseres kognitiven Systems, sie sind ausschlaggebend für unser Tun und wie wir denken (wenn ich nicht glauben würde, dass der Boden mich trägt, würde ich mich vollkommen anders verhalten), doch es braucht schon etwas Besonderes, um sie uns bewusst zu machen. Es scheint auch eine Menge Überzeugungen zu geben, die wir uns nur schwer bewusst machen können. Das hat bereits Freud betont, auch wenn er mehr auf unsere unbewussten Wünsche abzielte (oft sexuelle, wie das sexuelle Begehren gegenüber der eigenen Mutter). Inzwischen werden Freuds Theorien immer häufiger infrage gestellt, vor allem, was ihre wissenschaftliche Begründung und Überprüfbarkeit angeht. Freud selbst beschrieb seine Entdeckung des Unterbewussten als eine der größten Entdeckungen aller Zeiten (vergleichbar mit der Entdeckung des Sonnensystems), viele sind jedoch inzwischen der Meinung, dass es nichts gibt, was die Funktion hätte, die Freud dem Unterbewussten zuschrieb (zum Beispiel, was den Ursprung von Neurosen angeht).5 Dagegen gibt es aktuelle Forschungen, denen zufolge es ziemlich schwierig sein kann zu wissen, was man wirklich glaubt.

In den vergangenen Jahren hat man sich vor allem für die sogenannten impliziten Vorurteile interessiert. Indem man Menschen schnelle Assoziationstests durchführen lässt, kann man ihre unbewussten Vermutungen, etwa über Geschlecht oder Ethnie, untersuchen.6 Die Tests sind darauf ausgelegt herauszufinden, was in System 1 abläuft, im schnellen unbewussten Denken, das nicht durch unser Reflexionsvermögen oder unsere Fähigkeit zur kritischen Beurteilung gefiltert wird, also durch das langsame Denken oder System 2.7 Dabei zeigt sich, dass selbst Menschen, die sich für frei von Vorurteilen gegen beispielsweise Männer und Frauen halten, auf eine Art und Weise assoziieren, die nur als vorurteilsvoll bezeichnet werden kann: Frauen werden mit Heim, Kind und Küche assoziiert, Männer mit Karriere und Stärke. Ich habe selbst so einen Assoziationstest gemacht, und das Ergebnis war wirklich ernüchternd. Die große Frage ist natürlich, wie diese Ergebnisse zu bewerten sind. Eine Möglichkeit ist, sie als verdeckte Überzeugungen zu bewerten: Ich kann von mir sagen, dass ich glaube, dass Frauen ebenso in der Lage sind, Ingenieure zu werden, wie Männer, gleichzeitig habe ich den impliziten Glauben, dass Frauen nicht so gut für den Ingenieurberuf geeignet sind wie Männer. Eine gewisse Evidenz für diese Deutung der Ergebnisse stellt die Tatsache dar, dass implizite Assoziationen tatsächlich unser Handeln zu beeinflussen scheinen – ebenso wie es Überzeugungen tun.8

In jedem Fall wird klar, dass es, auch wenn Überzeugungen mentale Zustände sind, nicht leicht ist zu erkennen, was man eigentlich glaubt – manchmal muss man betrachten, was man tut, um das beurteilen zu können. Trump mag vollkommen überzeugt sein, dass niemand Frauen so sehr respektiert wie er selbst (was er tatsächlich behauptet hat), doch sein Handeln zeigt, dass das Selbstbetrug ist.

Damit haben wir eine Komponente des Wissens identifiziert: den Glauben oder die Überzeugung – den mentalen Zustand, der eine entscheidende Rolle für unser Handeln spielt. Es ist ziemlich unumstritten, dass sich unsere Überzeugungen (bewusste oder unbewusste) im Kopf befinden, auch wenn natürlich nicht ganz klar ist, wo genau.9 Derzeit entwickelt sich die Neurophysiologie unglaublich schnell, was vor allem den immer besseren Methoden zur Messung der Hirnaktivität zu verdanken ist, zum Beispiel mittels EEG (einer Art Magnetkamera, die die Aktivität des Gehirns misst). Dadurch erwerben wir immer mehr Wissen darüber, welcher Teil des Gehirns für welche kognitive Funktion die entscheidende Rolle spielt. Dennoch wird es wohl noch lange dauern, bis wir einen bestimmten mentalen Zustand (zum Beispiel Überzeugung oder Schmerz) mit einer bestimmten Art von neurophysiologischem Zustand identifizieren können. Es ist sogar möglich, dass es keine solche einfachen Zusammenhänge gibt und derselbe Zustand auf mehrere verschiedene Weisen in unserem Gehirn hervorgerufen werden kann. Wie auch immer: Festzuhalten bleibt, dass es weiterhin logisch erscheint, dass die Überzeugungen im Kopf sitzen. Warum können wir dasselbe dann nicht auch vom Wissen behaupten?

»Wissen ist nicht dasselbe wie Überzeugungen, so stark diese auch sein mögen.«

Die Antwort finden wir bereits bei Platon (427348 v. Chr.), dem großen Philosophen der Antike. In seinem in Dialogform verfassten Werk Theaitetos (ca. 369 v. Chr.) erläutert er den Wissensbegriff. Platons Held, sein Lehrer Sokrates, diskutiert mit Theaitetos, einem Mathematiker, und bittet ihn um eine Erklärung, was eigentlich Wissen ist. Theaitetos beginnt zu argumentieren, Wissen beruhe auf unserer Wahrnehmung der Dinge, unserem Empfinden, merkt jedoch ziemlich bald, dass das nicht ganz stimmt. Sokrates weist ihn nämlich unter anderem darauf hin, dass unsere Empfindungen widersprüchlich sein können. Etwas kann weich aussehen und sich doch hart anfühlen, und dann müssen wir unser Urteilsvermögen bemühen, um zu entscheiden, ob es wirklich weich ist oder nicht. Wissen kann also nicht identisch damit sein, wie wir die Welt wahrnehmen, sondern hat mit unserer Beurteilung oder unseren Überzeugungen zu tun. Sofort sieht Theaitetos jedoch auch ein, dass man ebenso wenig behaupten kann, das Wissen beruhe darauf, wie wir die Dinge beurteilen. Schließlich gibt es Fehlurteile. Wir können der Welt Eigenschaften zuschreiben, die sie nicht hat (wir können glauben, der Ochse vor uns sei ein Pferd), doch die Welt kann keine Eigenschaften haben, die sie nicht hat (der Ochse kann kein Pferd sein). Also muss Wissen etwas sein, das über die Beurteilung hinausgeht: Es ist notwendig, dass die Beurteilung wahr beziehungsweise gerechtfertigt ist.

Die Philosophen seit der Antike haben Platons Schlussfolgerung akzeptiert. Wissen setzt sowohl voraus, dass man ein Urteil fällt (eine Überzeugung hat), als auch, dass die Beurteilung richtig ist. Ich kann nicht wissen, dass es regnet, wenn es nicht regnet. Dies mag offensichtlich erscheinen, hat jedoch wichtige Konsequenzen. Zum einen bedeutet es, dass das Wissen nicht im Kopf sitzt, wie oben bereits angedeutet. In meinem Kopf befindet sich die Überzeugung, dass es regnet, aber der Wahrheitsgehalt meiner Überzeugung hängt davon ab, wie das Wetter wirklich ist, das heißt, von meiner Umgebung. Dies bedeutet wiederum, dass Wissen nicht dasselbe ist wie Gewissheit im psychologischen Sinne. Ich kann völlig davon überzeugt sein, dass ich recht habe, und dennoch keine Kenntnis haben, wenn sich herausstellt, dass meine Überzeugung falsch ist. Als Trump darauf bestand, bei seiner Vereidigung am 20. Januar 2017 habe in Washington, D. C., die Sonne geschienen, gelang es ihm möglicherweise, sich selbst zu überzeugen. Vielleicht war er so vom Augenblick ergriffen, dass er tatsächlich dachte, die Sonne würde scheinen, obwohl es regnete, vielleicht hat er aber auch ein beinahe schon pathologisches Vermögen, sich selbst zu überzeugen. Daraus folgt jedoch nicht, dass er Kenntnis hatte, dass er wusste, dass die Sonne schien. Es regnete schließlich in Strömen.

Dies ist absolut grundlegend und verdient eine Wiederholung: Wissen ist nicht dasselbe wie Überzeugungen, so stark diese auch sein mögen. Es kann sich anfühlen, als wüsste man etwas, man kann ein sehr starkes Gefühl haben, recht zu haben – wenn aber das, was man glaubt, nicht wahr ist, hat man kein Wissen und keine Erkenntnis über die entsprechende Sache. Wenn einer meint, das Klima werde durch den Menschen beeinflusst, und ein anderer meint das nicht, dann können nicht beide Wissen haben – einer hat unrecht. Um einmal den größten Aufklärungswissenschaftler unserer Zeit, Hans Rosling, in einer berühmten Diskussion im dänischen Fernsehen über die Flüchtlingsströme zu zitieren: »Nein, ich habe recht, nicht Sie.« So kann es sein, und das muss man sich dann manchmal auch zu sagen trauen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man die Person kritisiert, die unrecht hat. Man kritisiert ihre Behauptung, und man tut es, weil das Ziel ist, die Wahrheit zu finden. Meistens ist es nicht unsere Schuld, wenn wir falsche Überzeugungen haben. Meist haben wir dann eher Pech gehabt. Darauf werde ich im Laufe meines Buches noch mehrfach zurückkommen. Was wir für den Moment festhalten sollten, ist die Einsicht, dass gerade, weil Wissen nicht nur eine Frage dessen ist, was wir im Kopf haben (also was wir glauben), sondern auch dessen, wie die Welt tatsächlich ist (dass das, was wir glauben, auch wahr ist), Wissen nichts Persönliches ist.

Was bedeutet es also, wenn etwas wahr ist? Ein anderer großer Philosoph der Antike, Aristoteles (384322 v. Chr.), gab darauf eine kurze und präzise Antwort: Über das, was ist, zu sagen, dass es ist, oder über das, was nicht ist, zu sagen, dass es nicht ist.10 Kann man dieser Definition von Wahrheit noch etwas hinzufügen? Viele meinen, Aristoteles gebe hier Ausdruck für etwas, das in der Philosophie als Korrespondenztheorie der Wahrheit bezeichnet wird, die etwa besagt, dass Wahrheit aus der Übereinstimmung von Denken und Welt besteht: Meine Überzeugung, dass es regnet, ist wahr und gerechtfertigt, wenn und nur wenn es eine Korrespondenz zwischen meiner Überzeugung (dass es regnet) und dem, wie die Welt ist (es regnet), gibt. Heutzutage findet eine ziemlich detaillierte und hochdifferenzierte Diskussion zur Korrespondenztheorie der Wahrheit statt. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, näher darauf einzugehen, in Kapitel 2 werde ich jedoch noch einmal auf die Wahrheit zurückkommen. Was wir hier schon einmal festhalten können, ist ganz einfach, dass alle seriösen Wahrheitstheorien akzeptieren, dass es einen Unterschied zwischen Überzeugung und Wahrheit gibt: Dass ich glaube, dass es regnet, bedeutet nicht, dass es regnet. Ich kann unrecht haben.

Wissen bedarf deshalb nicht nur Überzeugungen, sondern wahrer Überzeugungen: Sie müssen sich bestätigen. Doch auch das genügt noch nicht. Fragen Sie sich einmal, wie viele Menschen in Ihrem Büro gerade Kaffee trinken. Es ist gegen zehn, und Sie nehmen an, dass achtzehn Personen gerade ihren Vormittagskaffee trinken. Es stellt sich heraus, dass tatsächlich zufällig gerade achtzehn Personen in Ihrem Büro Kaffee trinken. Heißt das, Sie wussten es? Die Antwort lautet wahrscheinlich nein. Eine richtige Vermutung ist nicht dasselbe wie Wissen. Damit hat sich auch Platon schon beschäftigt. Nachdem es Sokrates gelungen ist, Theaitetos davon zu überzeugen, dass Wissen richtiger Beurteilungen bedarf, weist er darauf hin, dass man richtiges Glauben nicht mit Wissen gleichsetzen kann. Es gebe eine ganze Berufsgruppe, die das beweise, meint Sokrates, nämlich die Anwälte, die geschickt darin seien, Leute zu überreden. Wenn ein Richter davon überzeugt (dazu überredet) wird, dass eine Person eine gewisse Tat begangen hat, ohne dass es eigentlich Beweise dafür gibt, dass diese Person wirklich schuldig ist, dann hat der Richter keine Erkenntnis – auch wenn es vielleicht tatsächlich so ist, dass die Person die fragliche Tat begangen hat.

Was einer wahren Überzeugung zum Wissen fehlt, hat deshalb mit den Gründen für die eigene Überzeugung zu tun. Wer richtig rät, hat keinerlei guten Grund für seine Überzeugung. Wenn ich Sie frage, warum Sie glauben, dass achtzehn Personen in Ihrem Büro Kaffee trinken, haben Sie darauf keine Antwort, und das bedeutet, dass Sie nicht wissen, dass es achtzehn sind. Wer von einem geschickten Rhetoriker oder Propagandisten überredet wird, ohne dass irgendwelche Gründe oder Evidenzen vorliegen, hat ebenfalls keinen Grund für seinen Glauben. Sokrates’ Richter, der glaubt, dass die Person vor ihm die Tat begangen hat, glaubt dies nicht, weil es evident ist, dass sie die Tat begangen hat, sondern, weil es dem Anwalt gelungen ist, ihn zu manipulieren.

In der Philosophie ist man sich daher einig, dass Wissen (mindestens) drei Bedingungen erfüllen muss:

  • Man muss eine Überzeugung haben, einen mentalen Zustand mit einem spezifischen kognitiven Gedankeninhalt (dass es regnet, dass die Erde rund ist, dass achtzehn Personen im Büro Kaffee trinken).

  • Die Überzeugung muss wahr sein. Der Gedankeninhalt muss in irgendeiner Hinsicht mit der Welt übereinstimmen: Es regnet, die Erde ist rund, achtzehn Personen trinken Kaffee im Büro.

  • Die Überzeugung muss auf irgendeiner Form von guten Gründen oder Evidenz basieren. Wer richtig rät, hat kein Wissen.

Wie wir gleich sehen werden, ist die dritte Bedingung, dass nämlich Wissen Evidenz erfordert, von besonderer Bedeutung, wenn es um Wissensresistenz geht. Denken wir also einmal genauer über diese Bedingung nach.

EVIDENZ

Im Alltag reden wir selten über Evidenz. Sie gehört eher in einen wissenschaftlichen Kontext und ist in etwa synonym mit »wissenschaftlichem Beleg«. Zum Beispiel ist manchmal die Rede von evidenzbasierter Medizin, was so viel bedeutet wie, dass man systematisch untersucht, wie effektiv eine Behandlung ist und welche Risiken sie birgt. Unser Alltagswissen basiert natürlich nicht auf wissenschaftlichen Belegen, deshalb mag es seltsam erscheinen, wenn man sagt, Wissen benötige Evidenz.

In diesem Fall ist es aber so, dass nur der Terminus sich nicht ganz richtig anfühlt. Zwar sprechen wir im Alltag wahrscheinlich eher ungern von Evidenz, dennoch geht es um genau das: um gute Gründe für unsere Überzeugungen, um Belege. Ich überlege, ob ich noch mehr Bier mitbringen soll, wenn ich einkaufen gehe. Sie sagen mir, das sei nicht nötig, denn es sei noch jede Menge Bier im Kühlschrank. Ich frage: »Woher wissen Sie das?«, und Sie sagen, Sie hätten noch mal nachgeschaut, kurz bevor wir losgegangen seien. Damit geben Sie mir einen guten Grund für Ihre Behauptung, in gewisser Hinsicht geben Sie mir Evidenz. (Auf Englisch funktioniert der Terminus »evidence« auch außerhalb der Wissenschaft ausgezeichnet.) Da ich gute Gründe habe, Ihnen zu glauben, und Sie eine gute Begründung haben, weil Sie noch mal in den Kühlschrank geschaut haben, bin ich sofort überzeugt, dass es noch jede Menge Bier im Kühlschrank gibt, und beschließe, nicht noch mehr zu kaufen. Einfach gesagt: Wir tendieren dazu, das zu glauben, von dem wir gute Gründe haben, es zu glauben.

Dieses Beispiel illustriert zwei wichtige Quellen für unser Alltagswissen, zwei wichtige Möglichkeiten, Evidenz zu erhalten: direkt über unsere Sinne (was wir sehen, hören und fühlen) sowie indirekt über andere Menschen und das, was sie uns sagen. Beide sind entscheidend, damit wir als Menschen funktionieren können.

Denken Sie einmal über Ihren Tag nach, was Sie getan haben. Als Erstes sind Sie aufgewacht, vermutlich haben Sie gefrühstückt, vielleicht haben Sie den Bus genommen, um zur Arbeit zu kommen, Sie haben sich mit anderen unterhalten, sind Ihren Aufgaben nachgegangen, haben Lebensmittel eingekauft, sind nach Hause gefahren und haben gekocht. All diese scheinbar einfachen Verrichtungen setzen eine Menge Alltagswissen voraus. Zunächst einmal muss man wissen, wo man ist und wie man sich in der Welt bewegt, ohne sich selbst zu verletzen. Das setzt voraus, dass einem die eigenen Sinne zuverlässige Informationen liefern, was vor allem über das Sehen, Hören und Fühlen geschieht (bekanntermaßen kommt man aber auch mit weniger Sinnen aus). Ich weiß, wo meine Wohnungstür ist, und kann sie deshalb öffnen und zur Arbeit gehen. Die Evidenz für meine Überzeugung, wo die Tür ist, bekomme ich durch meinen Sehsinn (und die Erinnerung an frühere Wahrnehmungen dieser Art). Ich werde nicht vom Bus überfahren, weil ich weiß, dass er sich von rechts nähert. Die Evidenz liefert mir ein weiterer Sinneseindruck: Ich höre ihn. Ich weiß, dass ich meine Busfahrkarte in der Tasche habe, denn ich fühle, dass sie da ist. Die Evidenz liefert mir mein Tastsinn. Ich komme zur Arbeit und erfahre, dass wir um elf eine Besprechung haben, denn mein Kollege informiert mich darüber. Zur Vorbereitung lese ich mir einen Bericht durch und eigne mir dadurch Wissen an, das ich bei der Besprechung präsentieren werde und aufgrund dessen wir Entscheidungen treffen können. Die Evidenz liefern mir Experten. Und wenn ich nach Hause fahre, weiß ich, wo ich Lebensmittel einkaufen kann, weil ich mich erinnere, wo der Laden ist – Wissen, das auf vorheriger Erfahrung basiert.

All das ist trivial, und vielleicht ist das der Grund, weshalb wir so selten über die entscheidende Rolle nachdenken, die Evidenz in unserem Alltag spielt. Auch wenn wir uns nicht damit befassen, unsere Alltagsüberzeugungen systematisch zu prüfen (zum Beispiel meine Überzeugung, wo sich meine Wohnungstür befindet), verlassen wir uns auf die Evidenz, die unsere Sinne oder andere Menschen uns liefern, so wie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sich auf Evidenzen verlassen, wenn sie ihre Theorien formulieren. Normalerweise läuft alles wie erwartet, und wir haben keinen Grund, darüber nachzudenken, warum wir glauben, was wir glauben. Wenn aber die Dinge nicht so sind, wie wir erwarten, sind wir schnell dabei, Hypothesen aufzustellen und diese zu prüfen. Ich komme nach Hause und stelle fest, dass ich meine Wohnungstür nicht aufschließen kann. Mein erster Gedanke ist vielleicht: Habe ich den falschen Schlüssel mitgenommen? Ich sehe nach und stelle fest, dass es derselbe Schlüsselbund ist wie immer, also der mit dem etwas albernen Anhänger. Ich überlege, ob ich im falschen Stock gelandet bin, stelle aber fest, dass »Svensson« an der Nachbartür steht, genau, wie es sein soll. Dies ist eine wissenschaftliche Art zu denken, wenn auch im Kleinen: Ich stoße auf eine Evidenz gegen meine Überzeugung (dass ich mit meinem Schlüssel meine Wohnungstür aufschließen kann) und formuliere sogleich verschiedene Hypothesen, die erklären könnten, was passiert ist, und dann »überprüfe« ich sie. So gesehen gibt es keinen radikalen Unterschied zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen.

»Wissen ist das Ergebnis einer kognitiven Arbeitsteilung, an der wir alle auf unterschiedliche Weise beteiligt sind.«

Dass unsere Sinne eine entscheidende Quelle für unser Wissen sind, ist offensichtlich. Welchen enormen Einfluss andere Menschen auf unser Wissen haben, vergisst man dagegen leicht. Zunächst einmal erhalten wir ständig Informationen von Freunden und Bekannten; darüber, wo sie sind, wie es ihnen geht, was sie erlebt haben, was sie vorhaben und so weiter. Normalerweise vertrauen wir dem, was sie sagen, und normalerweise haben wir auch guten Grund dafür, was bedeutet, dass das, was sie sagen, uns Evidenz liefert. Wenn eine Freundin mir erzählt, dass sie kürzlich in der Stadt war und auf dem Marktplatz eine große Demo gesehen hat, dann habe ich guten Grund zu glauben, dass auf dem Marktplatz eine große Demo stattgefunden hat – auch wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Jedoch wissen wir das meiste über die Welt nicht, weil wir es selbst erlebt oder Freunde uns darüber berichtet haben, sondern weil wir es von Experten unterschiedlichster Art gelernt haben. Überlegen Sie einmal, was Sie über Geografie wissen: Kontinente, Meere, Berge, Städte, Flüsse. Vielleicht sind Sie viel gereist, dennoch haben Sie wohl kaum jeden Winkel der Welt vermessen. Was Sie über die Geografie der Welt wissen, wissen Sie ausschließlich aus Büchern, Zeitungen, Fernsehen, Radio und diversen anderen Quellen im Internet. Wenn Sie diesen Quellen nicht trauen könnten, würden Ihre geografischen Kenntnisse auf eine kleine Ansammlung lose zusammenhängender Gewissheiten über Orte, an denen Sie gewesen sind, zusammenschrumpfen.

Unser Wissen ist unser gemeinsames: das Ergebnis geteilter kognitiver Arbeit, zu der wir alle auf unterschiedliche Weise beitragen. Das ist ein einzigartiges menschliches Phänomen, das natürlich mit einem anderen einzigartigen menschlichen Phänomen zusammenhängt: der Sprache. Dank der Sprache können wir Wissen bewahren und von Individuum zu Individuum, von Generation zu Generation weitergeben. Lange handelte es sich dabei ausschließlich um mündliche Tradierung, was sowohl die Akkumulation als auch die Weitergabe beschränkte. Doch nachdem vor gut dreitausend Jahren die Schriftsprache erfunden wurde (und einige Zeit später auch die Buchdruckkunst), bildete diese den Grundstein für unsere enorme Wissensexpansion. Wir brauchen nicht in jeder Generation von vorne zu beginnen, weil wir, wie Isaac Newton es formuliert, als Zwerge auf den Schultern von Riesen stehen.11 Wir können auf etabliertem Wissen aufbauen und neue Wahrheiten entdecken. Dabei geht es nicht nur um Expertise im Sinne von Forschung, sondern auch um das komplexe Geflecht von Expertisen, das die menschliche Gesellschaft ausmacht – Automechaniker, Bäcker, Floristen, Sportler, Musiker, Lehrer, Juristen, Politiker und so weiter. Die Entstehung der menschlichen Zivilisation hing damit zusammen, dass die Menschen sich spezialisierten und eine bestimmte Aufgabe in der Gesellschaft übernahmen, was auch zu einer Arbeitsteilung im Bereich Wissen und in der Expertise führte.

ZWEIFEL

Eine wichtige und schwierige Frage ist, wie viel Evidenz genau man benötigt, um seine Überzeugung als Wissen bezeichnen zu können (vorausgesetzt natürlich, die Überzeugung ist wahr). Im Alltag scheinen die Anforderungen nicht besonders hoch zu sein. Ich weiß, dass es regnet, weil ich beim Aufwachen Regentropfen auf der Fensterscheibe höre, ich weiß, dass mein Auto in der Garage steht, weil ich es dort stehen gelassen habe, und ich weiß, dass Bier im Kühlschrank ist, weil Sie es mir gesagt haben. Aber natürlich besteht immer noch das Risiko, dass etwas anders ist, als ich denke. Vielleicht stammen die Tropfen, die ich höre, von einem Rasensprenger? Vielleicht wurde das Auto in der Nacht gestohlen? Vielleicht sagen Sie mir nicht die Wahrheit, vielleicht haben Sie längst alles Bier ausgetrunken?

Wer so denkt, kommt leicht zu dem Schluss, dass Wissen höhere Anforderungen stellt: Anscheinend genügt es nicht, eine gewisse Evidenz vorweisen zu können, sondern die Evidenz muss so stark sein, dass jeder Zweifel ausgeschlossen ist. Um zu wissen, dass es regnet, genügt es nicht, dass ich es auf die Scheibe prasseln höre, ich muss den Regen auch sehen und fühlen! Um zu wissen, dass Bier im Kühlschrank ist, muss ich noch einmal hineinschauen, und ich muss mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass das Auto noch in der Garage steht. Wissen verlangt nicht nur gute Gründe, Wissen erfordert Beweise.

Ein Blick in die Geschichte der Philosophie zeigt, wie es enden kann, wenn man erst einmal anfängt, so zu denken. Innerhalb der Mathematik und der Logik gibt es natürlich Beweise. Sind bestimmte Axiome und Regeln gegeben, kann man bestimmte Theoreme beweisen – das heißt, man kann zeigen, dass, wenn die Prämissen wahr und richtig sind, es auch die Folgerung sein muss.

Versucht man dieses Modell jedoch auf die Außenwelt zu übertragen, wird es problematisch. Angenommen, ich höre, sehe und spüre die Wassertropfen. Habe ich damit bewiesen, dass es regnet? Kaum. Es könnte ja sein, dass das Wasser, das ich sehe, lediglich Teil einer kostspieligen Hollywoodproduktion ist (wenn man in New York gelebt hat, wo an jeder Ecke ein Film gedreht wird, weiß man, dass so etwas durchaus passieren kann). Und auch, wenn man dieses Szenario ausschließen kann, bleiben doch andere. Es könnte schließlich sein, dass ich träume. Oder noch schlimmer: Vielleicht befinde ich mich in einer Matrix-Situation, in der all meine Sinneseindrücke (die Tropfen, die ich sehe, höre und spüre) von einem Computer stammen, der an mein Gehirn angeschlossen ist. In so einer Situation verlieren alle gewöhnlichen Sinnesevidenzen ihre Bedeutung. Es gibt keine Verbindung mehr zwischen dem, wie mir etwas erscheint, und dem, wie es ist – dass es aussieht, als würde es regnen, heißt nicht, dass es tatsächlich regnet. Dann bin ich gründlich hereingelegt worden.

Wenn man zu diesem Schluss gekommen ist, ist man beim philosophischen Skeptizismus angelangt: dem Gedanken, dass wir vielleicht gar kein Wissen haben. Der Philosoph, der vielleicht am bekanntesten dafür ist, diese Art skeptische Herausforderung angenommen zu haben, ist René Descartes (15961650). In seinem berühmten Buch Meditationes de prima philosophia (Betrachtungen über die erste Philosophie) beschreibt er, wie er sich lange Sorgen gemacht hat, dass das, was wir normalerweise als gute Gründe annehmen, vielleicht gar keine sind, und beschließt, gründlich vorzugehen, um ein für alle Mal auszuschließen, was er nicht sicher weiß. Im Nachthemd setzt er sich vor den Kamin und beginnt damit, seine gewöhnlichen Überzeugungen von der Welt um sich herum zu untersuchen, ob zum Beispiel die Überzeugung, dass er vor dem Feuer sitzt, sich bezweifeln lässt. Er stellt fest, dass unsere Sinne uns oft trügen. Dinge scheinen auf eine bestimmte Weise zu sein, sind aber in Wirklichkeit ganz anders. Dieser Zweifel reicht jedoch nicht weit, da unsere Sinne uns nur in bestimmten Situationen trügen. Dann geht er weiter, indem er darüber reflektiert, dass wir oft träumen und dass Träume uns ebenso wirklich erscheinen können wie das Wachleben, zumindest solange wir uns im Traum befinden. Dadurch kommt Descartes zu der Frage, ob er sich sicher sein kann, dass er nicht träumt. Wenn nicht, so scheint ihm, kann er seinen Sinnen nicht trauen. Es sieht aus und fühlt sich an, als säße er vor einem Feuer, aber wenn er nur träumt, können seine visuellen und sinnlichen Wahrnehmungen ihm keine wirkliche Evidenz liefern. Allein die Möglichkeit, dass er träumt, unterminiert die normale Evidenzrolle der Wahrnehmung.

Dieser Zweifel führt laut Descartes zu verheerenden Konsequenzen. Wenn wir unseren Sinnen nicht trauen können, können wir auch keiner Wissenschaft trauen, die auf der Beobachtung der Welt um uns herum basiert – Physik, Astronomie, Medizin. Aber vielleicht ja wenigstens der Mathematik? Auch wenn ich schlafe, ist zwei plus zwei immer noch vier. Doch auch das lässt sich bezweifeln, sagt Descartes. Es könnte ja sein, dass ich mich irre. Ich könnte zum Beispiel von einem bösen Dämon hereingelegt worden sein, der dafür sorgt, dass ich mich immer verrechne, immer falsch denke. Und solange diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, behauptet Descartes, habe ich keinen triftigen Grund, an die mathematische Behauptung zu glauben. Alles Wissen scheint damit unterminiert worden zu sein.

»Die Forderung nach Beweisen führt zu einer skeptischen Überhitzung.«

Wie soll man auf diese Art des Skeptizismus reagieren? Descartes selbst war im Grunde kein Skeptiker, sondern wollte nur ein für alle Mal unwiderlegbare Gründe für alles Wissen finden, um nicht mehr von Zweifeln geplagt zu werden. Die Lösung findet er in sich selbst. Er kann alles bezweifeln, bis auf das eine: dass er denkt. Das kann er nicht bezweifeln, denn wer zweifelt, denkt. Hat man das einmal festgestellt, meint Descartes, kommt man weiter. Es gibt kein Denken ohne ein Ich. Also weiß er auch, dass er ist. Dies ist die Bedeutung der berühmten Worte cogito ergo sum: Ich denke, also bin ich.

Auch wenn wir Descartes recht geben, dass das Denken die Existenz eines Ich voraussetzt (was nicht alle Philosophen getan haben), kann einem das Ergebnis mager vorkommen. Wenn das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich denke und dass ich bin, wie soll ich dann damit das Wissen zurückerobern, von dem ich geglaubt habe, dass ich es hätte – all mein Alltagswissen, meine Kenntnisse in den verschiedenen Wissenschaften, in der Mathematik? Descartes’ Antwort war nicht sehr überzeugend. Er behauptete, dass er, von der Prämisse ausgehend, dass es ihn selbst gibt, beweisen könne, dass es Gott gibt. Wenn er das beweisen könne, falle alles an seinen Platz: Da Gott kein Betrüger sei, folge daraus, dass er, Descartes, seinen Sinnen und seinem Denkvermögen trauen könne. Wenn es uns nicht gelinge, Wissen zu erwerben, sei das allein unsere Schuld, denn es bedeute lediglich, dass wir die Gaben, die Gott uns gegeben habe, nicht genutzt hätten. Mit einem Schlag wären alle Zweifel wie weggeweht. Leider ist es mit seinem Gottesbeweis nicht weit her (es lässt sich leicht beweisen, dass er nicht funktioniert), und dass wir uns nicht irren könnten, solange wir nicht nachlässig seien, ist schlicht falsch.12

Die Geschichte der Philosophie zeigt deutlich, dass es viel einfacher ist, alles Wissen niederzureißen, als es wiederaufzubauen. Viele sind daran gescheitert, der Herausforderung der Skeptiker zu begegnen. Ich werde mich hier nicht in die Debatte hineinbegeben, möchte aber betonen, dass es keine besonders vielversprechende Strategie ist zu versuchen, einen Skeptiker zu widerlegen. Wesentlich aussichtsreicher – und interessanter – ist es, die Ausgangspunkte des Skeptikers zu hinterfragen. 1939 hielt der berühmte Philosoph G. E. Moore einen Vortrag in Cambridge, dem er den dreisten Titel Ein Beweis für die Existenz der Außenwelt gab.13 Und damit nicht genug. Der Beweis ging folgendermaßen: Er streckte zunächst eine Hand aus und behauptete: »Hier ist eine Hand«, und dann die andere und behauptete: »Hier ist eine zweite«, worauf er den Schluss zog, dass mindestens zwei Objekte in der Außenwelt existierten (seine Hände) und dass damit die Existenz der Außenwelt bewiesen wäre. Lange wurde darüber diskutiert, worauf Moore damit eigentlich hinauswollte. Er war ein hochgebildeter Philosoph mit einer langen Karriere. Er glaubte doch nicht ernsthaft, die Existenz der Außenwelt beweisen zu können, indem er seine Hände hochhielt? Eine Interpretation lautete, dass Moore eben die Ausgangspunkte der Skeptiker infrage stellen wollte. Sämtliche skeptischen Argumente gehen von bestimmten Annahmen aus, zum Beispiel von der, dass unsere Sinne uns täuschen können. Indem Moore seine Hände hochhielt und behauptete, er wisse, dass er zwei Hände habe, beabsichtigte er demnach zu zeigen, dass er mehr Grund habe zu glauben, dass er zwei Hände habe, als auch nur irgendeine Annahme der Skeptiker zu akzeptieren. Es bedürfte also mehr als nur wilder skeptischer Hypothesen, wie etwa böser Dämonen oder Matrix-Situationen, um Moore daran zweifeln zu lassen, dass er zwei Hände hat.

Ich glaube, man sollte zwei Dinge aus der philosophischen Diskussion über den Skeptizismus mitnehmen. Zum einen, dass Wissen keine absolute Gewissheit oder Beweise voraussetzt. Die Forderung nach Beweisen führt zu einer Art skeptischer Überhitzung. Ich kann aufgrund dessen, dass ich Tropfen auf der Scheibe höre, wissen, dass es regnet – und dass es Bier im Kühlschrank gibt, weil Sie es mir sagen, auch wenn ich nicht ganz ausschließen kann, dass ich unrecht habe. Wenn meine Überzeugung richtig und gerechtfertigt ist, sind die Gründe für mein Wissen ausreichend, auch wenn sie nicht genügen, um zu beweisen, dass meine Überzeugung wahr ist. Läuft es schlecht und es stellt sich heraus, dass meine Überzeugung falsch war, obwohl ich gute Gründe für sie hatte, dann habe ich natürlich kein Wissen. Aber wenn sie wahr ist, dann reichen die Gründe aus, damit ich sagen kann, ich weiß es. Diese Position nennt man Fallibilismus, nach dem englischen »fallible«, fehlbar, also Irrtumsmöglichkeiten ausgesetzt. Wissen zu haben erfordert keine absolute Gewissheit, sondern nur, dass die Gründe es wahrscheinlich genug machen, dass meine (tatsächlich wahren) Überzeugungen wahr sind.14 Die Tatsache, dass ich Tropfen höre, macht es wahrscheinlich, dass es regnet – genau wie die Tatsache, dass Sie sagen, dass noch Bier im Kühlschrank ist, es wahrscheinlich macht, dass noch Bier da ist.

Das Zweite, was wir mitnehmen sollten, ist, dass es keinen Widerspruch gegen meine Überzeugung bedeutet, wenn ich darauf hinweise, dass ich mich irren kann. So etwas erlebt man ja leider häufig in der Debatte. Jemand weist darauf hin, dass eine bestimmte Überzeugung oder Theorie nicht bewiesen sei, dass sie falsch sein könne, und das wird dann so interpretiert, als würde man diese Überzeugung oder Theorie zugleich wieder infrage stellen. In der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter vom 19. Dezember 2016 findet sich zum Beispiel ein Interview mit einer Trump-Anhängerin, die auch den Klimawandel bezweifelt. Sie sagt: »Wissenschaft ist Theorie, oder? Keine Wahrheit. Genau wie die Evolutionstheorie. Auch die ist doch bloß eine Theorie.« Natürlich ist es korrekt, dass Wissenschaft aus Theorien besteht (woraus denn sonst?). Seriöse wissenschaftliche Theorien werden jedoch systematisch geprüft und gründen auf so starken Evidenzen, dass wir gute Gründe haben, sie zu glauben. Dass die Evidenz die Möglichkeit, dass die Theorie falsch ist, nicht ausschließt, bietet uns überhaupt keinen Grund, an ihr zu zweifeln: Das Fehlen eines Beweises bildet an sich kein Gegenargument. Stattdessen wären seriöse Gegenevidenzen erforderlich, und wenn die nicht gegeben sind (was weder im Falle der Evolutionstheorie noch bei den Klimatheorien der Fall ist), dann ist die Tatsache, dass eine wissenschaftliche Theorie nur eine Theorie ist und im Prinzip fehlerhaft sein kann, überhaupt kein Grund, an ihr zu zweifeln.

Das Traurige ist, dass Scott Pruitt, den Trump als Leiter der Environmental Protection Agency (der amerikanischen Umweltschutzbehörde) berief, sich genau dieser Argumentationsweise bediente. Am 1. März 2017 schockierte Pruitt die Wissenschaft, indem er bestritt, dass die Erderwärmung tatsächlich vom Kohlendioxidausstoß verursacht wird. Wir wüssten das noch nicht, behauptete er, und müssten das erst weiter prüfen. Klimaforscher wiesen diese Behauptung sofort zurück, ebenso Pruitts Vorgängerin, Gina McCarthy. Diese argumentiert, dass es in der Wissenschaft um Evidenz gehe und nicht darum, was man zufällig glaube, und was die Erderwärmung angehe, gebe es eine überwältigende und robuste Evidenz, dass der Kohlendioxidausstoß die maßgebliche Ursache sei. Weiterhin sagt sie: »Ich kann mir nicht vorstellen, welche Evidenz die Wissenschaft ihm noch liefern könnte, damit er es begreift.«15 Pruitt argumentiert hier, als wäre die Abwesenheit eines Beweises die Evidenz gegen die Behauptung, dass der Kohlendioxidausstoß für die globale Erderwärmung verantwortlich ist. Was es aber nicht ist – es genügt vollauf, dass die Evidenz groß genug ist und dass sich die Wissenschaftler in dieser Sache einig sind. In einem Klimabericht von 2014 werden die Ergebnisse von zweitausend wissenschaftlichen Artikeln zusammengefasst, und man kommt zu dem Schluss, dass der radikale Anstieg des Kohlendioxidausstoßes für den Klimawandel verantwortlich ist, den man seit den 1950er-Jahren beobachtet.16 Höchste Wahrscheinlichkeit genügt vollauf, wenn es um Erkenntnis geht.

Autor