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INFLUENCE – Wie man (andere) überzeugt. Nützliche Erkenntnisse der Psychologie

Als Buch hier erhältlich:

Kaufen oder gekauft werden? – über die Psychologie des Überzeugens


Sie möchten andere von etwas überzeugen? Oder sich selbst davor schützen, beeinflusst zu werden? Der Sozialpsychologe und Marketingexperte Robert B. Cialdini hat die Verkaufs- und Verhandlungstechnik revolutioniert. Eingängig und unterhaltsam erläutert er in seinem Standardwerk die sieben wesentlichen Prinzipien, die uns in unseren täglichen Entscheidungen beeinflussen – und wie wir diese an anwenden können.

Basierend auf über 40 Jahren Forschung, bietet das Buch alles, was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, überzeugend aufzutreten und uns privat und beruflich weiterzuentwickeln. Um zahlreiche neue Studien, praktische Anregungen und aktuelle Fallbeispiele erweitert, liegt der Klassiker endlich in kompletter Neuübersetzung vor.


»Robert B. Cialdini hat das Unmögliche geschafft: Er hat ein Meisterwerk verbessert. Fesselnd und vielschichtig beschreibt er die subtile Macht, die Menschen aufeinander ausüben.«

Daniel Kahneman, Autor des Bestsellers Schnelles Denken, langsames Denken


»Ein phänomenales Buch! Ob Sie Verkäufe ankurbeln, einen besseren Geschäftsdeal abschließen oder Ihre Beziehung verbessern wollen, ›Influence‹ bietet wissenschaftlich gesicherte Prinzipien, die Ihr Leben verändern können.«

Daniel Shapiro, Gründer und Direktor des Harvard International Negotiation Program


  • Erscheinungstag: 21.03.2023
  • Seitenanzahl: 624
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365001295

Leseprobe

Für Hailey, die mich bei jeder Begegnung mehr verblüfft.

Für Dawson, der mich bei jeder Begegnung mehr davon überzeugt, dass er Großes vollbringen wird.

Für Leia, die mich bei jeder Begegnung glücklicher macht.

VORWORT

Influence war von Beginn an für ein breites Publikum gedacht, weshalb ich wissenschaftlichen Jargon um jeden Preis vermieden habe. Allerdings hatte ich anfangs einige Bedenken, dass meine Kollegen mein Buch als »Populärpsychologie« abtun könnten. Meine Sorge war nicht ganz unbegründet, denn wie der Jurist James Boyle so treffend feststellte: »Wenn Sie wissen wollen, wie echte Herablassung klingt, dann sollten Sie einmal hören, wie Akademiker das Wort ›Populärwissenschaft‹ aussprechen.« Seinerzeit fürchteten viele meiner Kollegen aus der Sozialpsychologie, sie könnten ihren professionellen Ruf aufs Spiel setzen, wenn sie für eine nichtakademische Leserschaft schrieben. Die Sozialpsychologie war wie ein Unternehmen mit einer genialen Forschungsabteilung, aber ohne Vertrieb. Wir verkauften nichts und tauschten uns ausschließlich in Fachzeitschriften aus, die außer uns kein Mensch las und schon gar nicht praktisch nutzte.

Zum Glück bewahrheiteten sich meine Befürchtungen nicht, und trotz seines lockeren Stils landete Influence nicht in der »Pop«-Schublade. 1 Daher habe ich die Schreibe in allen nachfolgenden Ausgaben beibehalten, so auch in dieser. Allerdings untermauere ich meine Aussagen, Empfehlungen und Schlussfolgerungen durchgängig mit wissenschaftlichen Untersuchungen. Auch wenn ich meine Erkenntnisse durch Interviews, Zitate und systematische persönliche Beobachtungen veranschauliche und erhärte, stützen sie sich stets auf saubere wissenschaftliche Forschung.

Hinweise zur aktuellen Ausgabe

Die Überarbeitung der aktuellen Ausgabe war eine echte Herausforderung. Eingedenk der Regel »Repariere nichts, was funktioniert« verspürte ich gewisse Hemmungen, größere Eingriffe vorzunehmen. Das Buch hatte sich schließlich öfter verkauft, als ich je zu träumen gewagt hatte, es hatte mehrere Ausgaben durchlaufen und war in 44 Sprachen übersetzt worden. Meine polnische Kollegin Wilhelmina Wosinska hat den Stellenwert des Buchs mit diesem hübschen (wenngleich etwas ernüchternden) Satz zusammengefasst: »Ihr Buch ist in Polen so bekannt, dass meine Studenten meinen, Sie müssten schon tot sein.«

Andererseits erinnerte ich mich an einen der Lieblingsaussprüche meines sizilianischen Großvaters: »Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, dann muss sich etwas ändern.« 2 Das wiederum sprach für eine zeitgemäße Aktualisierung. Die letzte Neuausgabe liegt bereits einige Zeit zurück, und seither ist vieles passiert, was Eingang in dieses Buch finden sollte. Erstens verstehen wir den Prozess der Beeinflussung heute noch besser; die Forschung hat weitere Fortschritte gemacht, die ich in den folgenden Seiten aufgenommen habe. Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen habe ich allerdings auch die Rolle des Einflusses im Alltag aktualisiert, also die Frage, wie der Prozess der Beeinflussung nicht im Labor, sondern im wirklichen Leben funktioniert.

Außerdem habe ich das Buch um etwas erweitert, das durch die Reaktionen meiner früheren Leser angeregt wurde. Einige von Ihnen haben die in diesem Buch beschriebenen Grundsätze in bestimmten Situationen wiedererkannt und mir davon geschrieben. Ihre Schilderungen, die Sie in jedem Kapitel unter der Überschrift »Erfahrungsbericht« finden, unterstreichen, wie leicht und häufig wir uns im Alltag beeinflussen lassen. Inzwischen habe ich zahlreiche neue Berichte gesammelt, die uns vor Augen führen, wie die in diesem Buch geschilderten Prinzipien in unserem Alltag und Beruf wirken. Ich danke den folgenden Personen, die persönlich oder vermittelt durch Kursleiter zu den Erfahrungsberichten früherer Ausgaben beigetragen haben: Pat Bobbs, Hartmut Bock, Annie Carto, Michael Conroy, William Cooper, Alicia Friedman, William Graziano, Jonathan Harries, Mark Hastings, Endayehu Kendie, Karen Klawer, Danuta Lubnicka, James Michaels, Steven Moysey, Katie Mueller, Paul Nail, Dan Norris, Sam Omar, Alan J. Resnik, Daryl Retzlaff, Geoffrey Rosenberger, Joanna Spychala, Robert Stauth, Dan Swift und Karla Vasks. Ein besonderer Dank den Lesern, die ihre Erfahrungen zu dieser Neuausgabe beigesteuert haben: Laura Clark, Jake Epps, Juan Gomez, Phillip Johnston, Paola, M. S., Joe St. John, Carol Thomas, Jens Trabolt, Lucas Weimann, Anna Wroblewski und Agrima Yadav. Damit möchte ich Sie alle ganz herzlich einladen, mir für mögliche künftige Neuausgaben Ihre Erfahrungen zu schildern. Sie können mir Ihre Berichte per E-Mail an die Adresse ReadersReports@InfluenceAtWork.com zukommen lassen. Zusätzliche Informationen zum Thema Beeinflussung finden Sie übrigens auf meiner Internetseite www.InfluenceAtWork.com.

Neben Erweiterungen bestehender Abschnitte habe ich drei neue Elemente in diese aktualisierte Ausgabe aufgenommen. Die erste Neuerung betrifft die Umsetzung bekannter Strategien der sozialen Beeinflussung im Internet. Soziale Medien und E-Commerce machen sich die Lektionen der Psychologie der Beeinflussung zu eigen. Daher habe ich in jedem Kapitel E-Boxes ergänzt, in denen ich aufzeige, wie die Übertragung auf die aktuellen Technologien funktioniert. Die zweite Neuerung sind erweiterte Anmerkungen, in denen Sie neben der zitierten Forschungsliteratur ergänzende Ausführungen zu den jeweiligen Themen finden. Und schließlich habe ich ein siebtes allgemeingültiges Prinzip der sozialen Beeinflussung ergänzt, und zwar das der Gemeinschaft. Diesem neuen Prinzip habe ich ein eigenes neues Kapitel gewidmet, in dem ich darstelle, wie empfänglich wir für die Botschaften von Menschen sind, wenn sie uns glauben machen, dass sie sinnvolle persönliche oder soziale Gemeinsamkeiten mit uns haben.

EINLEITUNG

Heute kann ich es ja zugeben: Ich bin ein echter Gimpel. So lange ich mich erinnern kann, gehe ich Verkäufern, Spendensammlern und Hausierern aller Art auf den Leim. Zwar geht es den wenigsten darum, mich übers Ohr zu hauen, und die meisten – zum Beispiel Vertreter gemeinnütziger Organisationen – haben natürlich nur die allerbesten Absichten. Aber das tut gar nichts zur Sache. Mit einer Häufigkeit, die mir selbst Angst macht, abonniere ich Zeitschriften, die ich gar nicht lesen möchte, oder kaufe Eintrittskarten zu Wohltätigkeitsveranstaltungen. Das könnte eine Erklärung für mein besonderes Interesse am Thema Beeinflussung sein: Wie schaffen es andere, uns herumzukriegen? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Welche Überzeugungstechniken sind besonders wirkungsvoll? Ich habe mich schon immer gefragt, warum ein Anliegen auf taube Ohren stößt, wenn es auf eine bestimmte Art und Weise vorgetragen wird, aber erfolgreich ist, wenn es nur ein klein wenig anders dargestellt wird.

So kam es, dass ich mich als Sozialpsychologe der Beeinflussung zuwandte. Anfangs führte ich dazu vor allem Laborversuche mit meinen Studenten durch. Ich wollte herausfinden, welche psychologischen Prinzipien einen Einfluss darauf haben, ob wir einem Anliegen entsprechen oder nicht. Heute kennt die Psychologie zahlreiche solcher Prinzipien und weiß, wie sie wirken. Ich bezeichne sie als »Einflusshebel« und beschreibe die wichtigsten davon in diesem Buch.

Mir wurde allerdings bald klar, dass Experimente unter Laborbedingungen nicht ausreichen. Sie verrieten mir nichts darüber, wie diese Prinzipien im wirklichen Leben funktionieren. Wenn ich die Psychologie der Beeinflussung tatsächlich verstehen wollte, musste ich meine Forschungen ausweiten. Ich musste mir ansehen, wie die Überzeugungsprofis vorgehen – die Menschen, die diese Hebel immer wieder so erfolgreich bei mir ansetzten. Sie wissen ganz genau, was funktioniert und was nicht; dafür sorgt schon das Gesetz vom Überleben der Besten. Sie verdienen schließlich ihren Lebensunterhalt damit, uns zu überzeugen. Wer nicht weiß, wie man andere überzeugt, hat keine Chance; Erfolg hat nur, wer die Kunst des Überzeugens beherrscht.

Natürlich sind professionelle Verführer nicht die Einzigen, die diese Prinzipien kennen und nutzen. Wir alle verwenden sie in unserem alltäglichen Umgang mit Nachbarn, Freunden, Partnern und Familien, und wir lassen uns alle von ihnen verleiten. Doch im Gegensatz zu uns haben die Überzeugungsprofis mehr als nur eine ungefähre Ahnung davon, was funktioniert und was nicht. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass diese Menschen meine wichtigsten Informanten zum Thema Beeinflussung waren. Drei Jahre lang ergänzte ich daher meine Laborversuche durch ein ausgesprochen unterhaltsames Programm: Ich tauchte systematisch in die Welt der Überzeugungsprofis ein – Verkäufer, Spendensammler, Werbeleute, Personalvermittler und viele mehr.

Ich wollte mir einen Insiderblick auf die beliebtesten und wirkungsvollsten Techniken und Strategien einer großen Bandbreite von Überzeugungsprofis verschaffen. Dazu interviewte ich nicht nur die Praktiker selbst, sondern auch die natürlichen Feinde (Betrugsdezernenten, Enthüllungsjournalisten, Verbraucherschützer) der schwarzen Schafe des Gewerbes. Außerdem vertiefte ich mich in die Handbücher, in denen Überzeugungstechniken von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.

Vor allem bediente ich mich aber der teilnehmenden Beobachtung – ein Forschungsansatz, bei dem der Wissenschaftler zum Spion wird. Anonym und mit verschleierten Absichten schleicht sich der Forscher dazu in das fragliche Gebiet ein und wird zum Teilnehmer der Gruppe, die er untersuchen will. Um die Strategien der Verkäufer von Zeitschriften (oder Staubsaugern oder Fotoporträts oder Gesundheitsartikeln) zu verstehen, wollte ich ihre Methoden von der Pike auf selbst erlernen und bewarb mich daher auf Stellenanzeigen von Verkaufsabteilungen. Auf diese Weise schleuste ich mich auch in Werbe-, PR- und Fundraising-Agenturen ein, um deren Techniken auf den Grund zu gehen. Viele der in diesem Buch gesammelten Informationen stammen aus meinen Erfahrungen als Lehrling in Unternehmen und Organisationen, die ihr Geld damit verdienen, uns von etwas zu überzeugen.

In diesen drei Jahren machte ich eine entscheidende Entdeckung. Überzeugungsprofis arbeiten zwar mit Tausenden von Methoden der Beeinflussung, doch die meisten davon fallen in sieben große Gruppen. Jede dieser Kategorien unterliegt einem psychologischen Grundprinzip, das unser Verhalten lenkt und diese Methoden so wirkungsvoll macht. Diese sieben Prinzipien – Gegenseitigkeit, Sympathie, soziale Bewährtheit, Autorität, Knappheit, Festlegung und Konsequenz sowie Gemeinschaft – stehen im Mittelpunkt dieses Buchs, jedem ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich beschreibe die Funktion jedes Prinzips in der Gesellschaft und zeige, wie Überzeugungsprofis ihre mächtige Hebelwirkung nutzen, um Produkte zu verkaufen, Spenden zu sammeln, Zugeständnisse zu erreichen, Wählerstimmen zu gewinnen oder Zustimmung zu etwas zu erhalten. 3

Jedes Prinzip wird darauf abgeklopft, inwieweit es geeignet ist, uns zu einer ganz bestimmten Art der reflexhaften und gedankenlosen Zustimmung zu bewegen – der Bereitschaft, einem Anliegen ohne langes Nachdenken zuzustimmen. Alles deutet darauf hin, dass diese Art der reflexhaften Zustimmung vor dem Hintergrund des modernen Lebens mit seiner Beschleunigung und Informationsflut immer weiter an Bedeutung gewinnen wird. Daher wird es für uns als Gesellschaft immer wichtiger, das Wie und Warum dieser Art der Beeinflussung zu verstehen.

Schließlich habe ich in dieser Ausgabe die Prinzipien nach den Erkenntnissen meines Kollegen Gregory Neidert neu geordnet. Je nach dem Ziel einer Botschaft sind manche Prinzipien wirkungsvoller als andere. Natürlich wollen uns alle Überzeugungsprofis dazu bewegen, unser Verhalten in der von ihnen gewünschten Art und Weise zu verändern; doch nach Neiderts Modell der sozialen Beeinflussung hängt es von ihrem zentralen Anliegen ab, welches Prinzip sie zur Anwendung bringen. Als eines der zentralen Anliegen der Überzeugungsarbeit nennt Neidert beispielsweise den Aufbau einer guten Beziehung. Die Forschung beobachtet, dass Botschaften eher Wirkung zeigen, wenn der Empfänger dem Sender gegenüber positiv eingestellt ist. Drei der sieben Prinzipien – Gegenseitigkeit, Sympathie und Gemeinschaft – bieten sich hier besonders an.

In anderen Situationen, etwa wenn bereits eine gute Beziehung besteht, kann das zentrale Anliegen die Beseitigung von Ungewissheit sein. Eine gute Beziehung zum Sender allein reicht schließlich nicht immer aus, um den Empfänger von einer Botschaft zu überzeugen. Ehe wir einem Anliegen entsprechen, wollen wir wissen, dass die Entscheidung, die man von uns erwartet, auch vernünftig ist. Daher dürfen auch die Prinzipien soziale Bewährtheit und Autorität nie vernachlässigt werden, denn wir halten eine Entscheidung für vernünftiger, wenn wir Belege dafür bekommen, dass Angehörige unserer Gruppe oder gar Experten diese Entscheidung gutheißen würden.

Aber selbst nachdem eine gute Beziehung hergestellt und Ungewissheit ausgeräumt wurde, muss noch ein letztes Ziel erreicht werden, um eine Verhaltensänderung wahrscheinlicher zu machen. Dann tritt das Anliegen des Handlungsanstoßes in den Vordergrund. Auch wenn mir ein guter Freund noch so viele Beweise dafür liefert, dass alle Welt an die positive Wirkung der täglichen sportlichen Betätigung glaubt und dass sogar führende Mediziner die Vorteile für die Gesundheit betonen, könnte das noch nicht ausreichen, um mich selbst in Bewegung zu setzen. Daher wäre der Freund gut beraten, auch die Prinzipien der Konsequenz und der Knappheit in seine Argumentation einzubeziehen. So könnte er mich beispielsweise an all das erinnern, was ich in der Vergangenheit über die Bedeutung meiner Gesundheit gesagt habe (Konsequenz) und was mir ohne sie alles entgehen würde (Knappheit). Diese Botschaft könnte mich schließlich motivieren, nicht nur eine Entscheidung zu treffen, sondern auch konkrete Schritte zu unternehmen. Diese Botschaft wäre also am ehesten geeignet, mich morgens aus dem Bett und ins Fitnessstudio zu bringen.

Die neue Anordnung der Kapitel (im Vergleich zu früheren Ausgaben) berücksichtigt daher, welche Prinzipien besonders geeignet sind, die jeweiligen Motive der Beeinflussung zu verfolgen: Gegenseitigkeit, Sympathie und Gemeinschaft, wenn es primär um den Aufbau einer Beziehung geht, gefolgt von sozialer Bewährtheit und Autorität zur Beseitigung der Ungewissheit und schließlich Knappheit sowie Festlegung und Konsequenz, wenn der Handlungsanstoß im Vordergrund steht. Ich möchte betonen, dass diese Prinzipien nicht der einzige Weg zum jeweiligen Ziel sind. Doch wenn sie sich anbieten, wäre es ein großer Fehler, sie nicht zu nutzen.

1

EINFLUSSHEBEL

Unser Handwerkszeug

Die Zivilisation schreitet in ihrer Entwicklung voran, indem sie diejenigen Operationen vermehrt, die wir ohne Denken ausführen können.

– Alfred North Whitehead

Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung.

– Leonardo da Vinci

In diesem Buch stelle ich Ihnen immer wieder Forschungsergebnisse vor, die uns zunächst verblüffen, die sich aber ganz einfach erklären lassen, wenn wir unsere natürlichen menschlichen Eigenheiten verstehen. Neulich las ich zum Beispiel von einem Experiment, dessen Teilnehmer einen Energydrink erhielten, der angeblich ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern sollte. Einige der Teilnehmer sollten für das Getränk den vollen Ladenpreis von 1,89 Dollar bezahlen, und den anderen teilten die Wissenschaftler mit, sie hätten einen Mengenrabatt bekommen und könnten ihnen das Getränk für 0,89 Dollar verkaufen. Dann erhielten die Teilnehmer eine halbe Stunde Zeit, in der sie so viele Denksportaufgaben wie möglich lösen sollten. Ich wäre davon ausgegangen, dass sich die zweite Gruppe, die den Preisnachlass bekommen hatte, besonders ins Zeug legen und mehr Aufgaben lösen würde. Doch das Gegenteil war der Fall. 1

Dieses Ergebnis erinnerte mich an eine Bekannte, die mich vor einigen Jahren aufgeregt anrief, um mir eine Geschichte zu erzählen. Sie hatte in Arizona einen Laden für indigenen Schmuck eröffnet. Dort war ihr etwas Merkwürdiges passiert, und nun hoffte sie, dass ich als Psychologe es ihr erklären könnte. Sie hatte eine Schmuckkollektion aus Türkis im Angebot, die wie Blei im Laden lag. Es war Hochsaison, die Touristen gaben sich die Klinke in die Hand, die Schmuckstücke waren von guter Qualität, der Preis war in Ordnung, doch die Sachen verkauften sich einfach nicht. Meine Bekannte hatte es mit einigen der üblichen Tricks versucht und sie zum Beispiel sichtbarer platziert, aber ohne Erfolg. Sie hatte ihren Verkäuferinnen sogar eingeschärft, die Kunden ausdrücklich auf die Schmuckstücke aufmerksam zu machen, doch auch das hatte nicht gefruchtet.

Eines Tages musste sie verreisen, um neue Ware für ihren Laden zu kaufen. Am Abend zuvor kritzelte sie ihrer Verkäuferin eine verzweifelte Notiz auf einen Zettel: »Alles in diesem Schaukasten: Preis × ½«. Sie hoffte, dass sie die Stücke auf diese Weise losschlagen könnte, auch wenn sie dabei Verlust machte. Als sie einige Tage später zurückkam, wunderte sie sich nicht, dass die Kollektion bis auf das letzte Stück verkauft war. Umso verblüffter war sie jedoch, als sie erfuhr, dass ihre Angestellte ihre hingeschmierte Notiz falsch entziffert hatte: Statt ½ hatte sie 2 gelesen und die gesamte Kollektion zum doppelten Preis verkauft.

Das wollte sie mir unbedingt erzählen. Ich ahnte den Grund, doch um es ihr zu erklären, musste ich etwas weiter ausholen und ihr eine andere Geschichte erzählen. Diese Geschichte handelt von Truthennen und stammt aus der Verhaltensforschung, die Tiere in freier Wildbahn beobachtet. Truthennen sind gute Mütter – fürsorglich, wachsam und wehrhaft. Sie verbringen viel Zeit damit, ihre Küken zu umsorgen, zu wärmen, zu putzen und unter ihrem Gefieder zu scharen, doch ihre Methode ist ein wenig sonderbar. Ihr mütterliches Verhalten wird fast ausschließlich durch ein einziges Signal angestoßen, nämlich das »Tschiip-tschiip« ihrer Küken. Andere Eigenschaften ihres Nachwuchses, etwa Geruch, Berührungen oder Aussehen, scheinen lediglich eine Nebenrolle zu spielen. Wenn ein Küken »tschiip-tschiip« ruft, dann kümmert sich die Truthenne darum, und wenn nicht, dann ignoriert sie es, und manchmal tötet sie es sogar.

Wie sehr sich Truthennen auf diesen Ruf verlassen, zeigte sich in einem Experiment mit einem ausgestopften Iltis. Da der Iltis ein natürlicher Feind ist, begrüßt ihn die Truthenne in der Regel mit wildem Gekreisch und attackiert ihn mit Schnabel und Klauen. Auch einen ausgestopften Iltis, der an einer Schnur gezogen wurde, griff die Henne sofort wutentbrannt an. Doch als diese Attrappe mit einem kleinen Rekorder ausgestattet wurde, der das »Tschiip-tschiip« der Küken abspielte, duldete die Henne die Annäherung des Feindes nicht nur, sondern sie nahm ihn sogar unter ihr Federkleid. Als der Rekorder abgestellt wurde, nahm die Henne ihre wütenden Angriffe auf die Iltisattrappe wieder auf.

KLICK & AB

Das Verhalten der Truthenne scheint vollkommen absurd: Einen natürlichen Feind nimmt sie auf, nur weil er »tschiip-tschiip« ruft, und eines ihrer eigenen Küken tötet sie, nur weil es das nicht tut. Sie wirkt wie ein Automat, dessen Mutterinstinkte von einem einzigen Signal ein- und ausgeschaltet werden. Die Truthenne ist jedoch kein Einzelfall: Verhaltensforscher haben diese regelmäßigen und blind mechanischen Verhaltensmuster bei zahlreichen Arten beobachtet.

Instinktverhalten wie dieses kann aus komplexen Abfolgen von Verhaltensweisen bestehen, zum Beispiel ganzen Balz- und Paarungsritualen. Diese Verhaltensmuster zeichnen sich dadurch aus, dass sie fast immer auf dieselbe Art und in derselben Reihenfolge ablaufen. Es wirkt, als wäre das Muster wie ein Programm in den Tieren abgespeichert. Wenn eine Situation Balz verlangt, dann wird das Balzprogramm abgespult, und wenn eine Situation Brutpflege erfordert, dann läuft das Mutterprogramm ab. Klick – wird das passende Programm aktiviert – & ab läuft die Standardabfolge von Verhaltensweisen.

Das Interessanteste daran ist, wie diese Programme aktiviert werden. Wenn ein Tier beispielsweise sein Revier verteidigt, dann aktiviert das Auftauchen eines Artgenossen das Programm zur Verteidigung des Reviers, das mit Wachsamkeit, Drohgebärden und nötigenfalls einem Angriff einhergeht. Das System hat allerdings eine Besonderheit. Es ist nicht der Rivale als solcher, der das Programm auslöst, sondern eine ganz besondere Eigenschaft: der sogenannte Schlüsselreiz. Dieser Schlüsselreiz ist oft nur ein winziger Aspekt des Eindringlings, zum Beispiel ein bestimmter Farbton. Verhaltensforscher beobachteten beispielsweise, dass ein männliches Rotkehlchen auch ein Büschel roter Brustfedern angreift, ganz so als handelte es sich um einen eindringenden Rivalen. Ein ausgestopftes Rotkehlchen ohne die roten Brustfedern ignoriert es dagegen. Beim Blaukehlchen wurden ähnliche Beobachtungen gemacht, hier wird das Revierverhalten durch den Blauton des Brustgefieders aktiviert. 2

Ehe wir uns nun darüber amüsieren, mit welcher Leichtigkeit man Tiere allein durch Schlüsselreize zu absurden Verhaltensweisen animieren kann, sollten wir uns zweierlei klarmachen. Erstens zeitigt das Instinktverhalten der Tiere in den allermeisten Fällen die gewünschte Wirkung. Da nur gesunde Küken das typische »Tschiip-tschiip« von sich geben, ist es sinnvoll, dass Truthennen mit mütterlichem Verhalten auf den Ruf reagieren. Mit ihrer Reaktion auf diesen einen Reiz liegen sie fast immer richtig – es muss schon ein Wissenschaftler mit seinen Taschenspielertricks daherkommen, um die Reaktion ins Absurde zu führen. Und zweitens haben auch wir Menschen unsere Instinktprogramme. Auch diese funktionieren in aller Regel zu unserem Vorteil, doch auch unsere Schlüsselreize lassen sich mit Tricks hinters Licht führen, die uns dazu bringen, ein Programm zum falschen Zeitpunkt abzuspulen.

In einem Experiment demonstrierte die Sozialpsychologin Ellen Langer, wie diese Automatismen bei uns Menschen funktionieren. Es ist bekannt, dass wir einer Bitte eher nachkommen, wenn uns der Bittsteller einen Grund nennt. Wir wissen einfach gern, warum wir etwas tun sollen. Langer belegte das, indem sie die Wartenden vor einem Fotokopierer in der Bibliothek um einen Gefallen bat: »Entschuldigung, ich habe nur fünf Seiten zu kopieren. Könnten Sie mich bitte vorlassen, weil ich es eilig habe?« Die Bitte in Kombination mit einer Begründung war fast immer erfolgreich: 94 Prozent der Gefragten ließen sie vor. Anders, als sie keine Begründung anführte: »Entschuldigung, ich habe nur fünf Seiten zu kopieren. Könnten Sie mich bitte vorlassen?« In diesem Fall stimmten nur 60 Prozent zu. Auf den ersten Blick macht die zusätzliche Information im Halbsatz »weil ich es eilig habe« den Unterschied.

Doch eine dritte Formulierung der Bitte zeigte, dass das gar nicht der Fall war. Nicht der ganze Halbsatz war entscheidend, sondern nur das einleitende Wörtchen »weil«. In ihrer dritten Variante der Bitte gab Langer keinen Grund an, sondern verwendete nur das Wörtchen »weil« und wiederholte dann das Offensichtliche: »Entschuldigung, ich habe nur fünf Seiten zu kopieren. Könnten Sie mich bitte vorlassen, weil ich ein paar Kopien machen muss?« Diesmal wurde sie in 93 Prozent der Fälle vorgelassen, obwohl sie gar keinen Grund genannt hatte. Wie das »Tschiip-tschiip« das mütterliche Verhalten der Truthenne auslöste, selbst wenn es von einem ausgestopften Iltis kam, löste Langers »weil« eine automatische Zustimmung aus, selbst wenn darauf gar keine Begründung folgte. Klick & ab. 3

In weiteren Untersuchungen zeigte Langer zwar, dass wir in vielen Situationen keineswegs mechanisch reagieren, doch sie und viele andere Verhaltensforscher sind überzeugt, dass wir das in den meisten Fällen eben doch tun. Nehmen wir nur das sonderbare Verhalten der Kunden, die sich auf den Türkisschmuck stürzten, nachdem der Preis fälschlicherweise verdoppelt worden war. Dieses Verhalten ist nur dann verständlich, wenn wir es als einen Fall von Klick & ab verstehen.

Die Kunden meiner Bekannten aus dem Schmuckladen, überwiegend betuchte Touristen, die wenig von Halbedelsteinen verstanden, wendeten bei der Kaufentscheidung ein Prinzip der Vereinfachung an: das Stereotyp »teuer = gut«. Untersuchungen zeigen, dass wir oft auf dieses Stereotyp zugreifen, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, die Qualität einer Ware einzuschätzen. Die Kunden, die »guten« Schmuck kaufen wollten, hielten den Türkisschmuck für deutlich wertvoller und begehrenswerter, obwohl sich rein gar nichts daran verändert hatte – er war lediglich teurer geworden. Der Preis wurde zum ausschließlichen Schlüsselreiz für Qualität, und eine dramatische Verteuerung hatte eine dramatische Steigerung der Verkäufe unter den auf Qualität bedachten Kunden zur Folge.

Erfahrungsbericht 1.1

Von einem Doktoranden der Wirtschaftswissenschaften

In meinem Ort gibt es einen Laden für Antikschmuck, und dessen Besitzer erzählte mir, wie er die Lektion »teuer = gut« lernte. Ein Mann aus seinem Freundeskreis suchte ein besonderes Geburtstagsgeschenk für seine Verlobte. Also zeigte ihm der Juwelier eine Halskette, die er in seinem Laden für 500 Dollar verkaufte, die er seinem Freund aber gern für 250 Dollar überlassen wollte. Als der Mann die Kette sah, war er begeistert. Doch als ihm der Juwelier den Preis nannte, machte er ein langes Gesicht und nahm Abstand, weil er seiner Zukünftigen etwas »wirklich Hübsches« schenken wollte.

Tags darauf dämmerte dem Juwelier, was passiert war. Er rief seinen Freund an und sagte ihm, er habe eine andere Halskette, die er ihm zeigen wolle. Diesmal nannte er ihm den Ladenpreis von 500 Dollar. Die Kette gefiel seinem Freund so gut, dass er sie sofort kaufen wollte. Doch ehe er den Geldbeutel zückte, sagte ihm der Juwelier, dass er ihm die Kette als Hochzeitsgeschenk für 250 Dollar überlassen würde. Der Freund war begeistert. Nun erschien ihm der Preis von 250 Dollar nicht anstößig, sondern er war im Gegenteil hocherfreut und dankbar.

Anmerkung des Autors: Wie bei den Käufern des Türkisschmucks handelte es sich bei diesem Mann um jemanden, der etwas qualitativ Hochwertiges suchte und daher die vermeintliche Billigware verschmähte. Neben der Regel »teuer = gut« gibt es in unserem Denken die komplementäre Regel »billig = schlecht«. Nicht umsonst bedeutet das Wort »billig« nicht nur preisgünstig, sondern auch minderwertig.

VEREINFACHUNG DURCH ABKÜRZUNG

Es ist leicht, sich über das Kaufverhalten der Touristen zu mokieren, doch wenn wir genauer hinsehen, kommen wir vielleicht zu einem gnädigeren Urteil. Diese Menschen waren mit dem Glaubenssatz »Qualität hat ihren Preis« groß geworden und hatten erlebt, wie er sich ein ums andere Mal bewahrheitete. Irgendwann wurde daraus die Regel »teuer = gut«. Dieses Stereotyp hatte ihnen in der Vergangenheit gute Dienste geleistet, denn normalerweise ist ein Objekt umso teurer, je größer sein Wert ist – ein höherer Preis steht also für bessere Qualität. Als sie nun hochwertigen Schmuck kaufen wollten, ohne etwas von Halbedelsteinen zu verstehen, griffen sie verständlicherweise auf die leicht verfügbare Eigenschaft »Preis« zurück, um den Wert der Schmuckstücke einzuschätzen.

Indem sie den Preis zu ihrem einzigen Kriterium machten, nahmen sie unbewusst eine Abkürzung. Statt sich gründlich mit sämtlichen Einzelheiten auseinanderzusetzen, die den Wert eines Schmuckstücks aus Türkis ausmachen, vereinfachten sie ihre Entscheidung, indem sie sich auf eine einzige Eigenschaft stützten, an der sich ihrer Ansicht nach die Qualität jedes beliebigen Objekts erkennen lässt. Sie zählten darauf, dass sie am Preis alles ablesen konnten, was sie wissen mussten. Weil jemand »½« mit »2« verwechselt hatte, ging ihre Wette in diesem Fall nicht auf. Doch auf lange Sicht ist die Verwendung von Abkürzungen dieser Art der vernünftigste Ansatz.

Jetzt verstehen wir auch das verblüffende Ergebnis des eingangs beschriebenen Experiments, in dem ein Energydrink, der angeblich die geistige Leistungsfähigkeit steigerte, wirkungsvoller war, wenn die Versuchsteilnehmer mehr dafür bezahlt hatten. Die Wissenschaftler erklärten das Ergebnis mit dem Stereotyp »teuer = gut«: Die Teilnehmer gingen von der Annahme aus, dass ein Getränk für 1,89 Dollar besser wirkte als eines für 0,89 Dollar, und diese Erwartung bestätigte sich erstaunlicherweise. Ein ähnliches Phänomen wurde in einem anderen Experiment beobachtet, in dem Versuchsteilnehmer ein Schmerzmittel einnehmen sollten und dann kleine Stromschläge erhielten. Der Hälfte der Teilnehmer sagte man, die Schmerzmittel kosteten 10 Cent pro Gabe, der anderen Hälfte nannte man einen Preis von 2,50 Dollar. Alle erhielten sie dasselbe Medikament, doch diejenigen, die glaubten, das teurere Medikament erhalten zu haben, berichteten über eine wirkungsvollere Unterdrückung des Schmerzes der Stromschläge. 4

Stereotype Automatismen dieser Art lassen sich überall in unserem Alltag beobachten, denn in vielen Fällen handelt es sich um die effizienteste Verhaltensweise, und oft bleibt uns auch gar nichts anderes übrig. Wir leben in einer furchtbar komplizierten Welt, die sich vermutlich schneller verändert und komplexer ist als alles, was dieser Planet jemals gesehen hat. Um in dieser Welt bestehen zu können, sind wir auf Vereinfachungen und Abkürzungen angewiesen. Wir können nicht jeden Menschen, jedes Ereignis oder jede Situation, denen wir im Alltag begegnen, bis ins kleinste Detail verfolgen und analysieren. Dazu haben wir weder die Zeit noch die Energie oder die Kapazitäten. Also müssen wir auf unsere Stereotype und Faustregeln zurückgreifen und Dinge nach einigen wenigen wesentlichen Eigenschaften einordnen, um ohne langes Nachdenken reagieren zu können, wenn sich der eine oder andere Schlüsselreiz präsentiert.

Mit freundlicher Genehmigung von Dansk International Designs

Abb. 1.1: Kaviar und Kunsthandwerk

Die Botschaft, die mit dieser Anzeige vermittelt werden soll, ist natürlich »teuer = gut«.

Manchmal führt dies zu Verhaltensweisen, die einer Situation nicht angemessen sind, denn selbst die besten Stereotype und Schlüsselreize greifen nicht immer und überall. Diese Schwächen nehmen wir jedoch in Kauf, weil uns kaum etwas anderes übrig bleibt. Ohne Vereinfachungen würden wir beim Einordnen, Bewerten und Abwägen stecken bleiben, während der Moment des Handelns an uns vorüberrast. Es ist absehbar, dass wir uns in Zukunft sogar noch stärker auf diese Stereotype verlassen müssen. Um mit den immer zahlreicheren und vielfältigeren Reizen fertigzuwerden, die auf uns einstürzen, sind wir immer stärker auf unsere Abkürzungen angewiesen.

Psychologen haben eine ganze Reihe mentaler Abkürzungen gefunden, mit denen wir uns im Alltag die Entscheidungsfindung erleichtern. Diese sogenannten Heuristiken funktionieren ganz ähnlich wie unsere Regel »teuer = gut« und ermöglichen eine Vereinfachung des Denkens, die uns in den meisten Fällen gute Dienste leistet, uns aber hin und wieder auch teuer zu stehen kommt. Im Zusammenhang dieses Buchs interessieren uns vor allem diejenigen Heuristiken, die uns sagen, wann wir das, was man an uns heranträgt, tun oder glauben sollten. Nehmen wir zum Beispiel die Abkürzung »Wenn Fachleute das sagen, dann muss es richtig sein«. Wie wir in Kapitel 5 sehen werden, haben wir die geradezu besorgniserregende Neigung, Aussagen und Anweisungen vermeintlicher Autoritäten unhinterfragt zu akzeptieren. Statt die Argumente von Experten zu durchdenken und uns von ihnen überzeugen zu lassen (oder auch nicht), sehen wir uns diese Argumente häufig nicht einmal an und lassen uns allein vom Expertenstatus überzeugen. Diese Tendenz zur automatischen Reaktion auf einen einzigen Aspekt ist ein Fall von Klick & ab – ein klarer Gegensatz zur kontrollierten Reaktion, die auf Grundlage einer gründlichen Auswertung aller verfügbaren Informationen erfolgt.

Umfangreiche Untersuchungen im Labor haben gezeigt, dass wir eher kontrolliert mit Information umgehen, wenn wir das Bedürfnis verspüren, sie sorgfältig auszuwerten, und wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Andernfalls greifen wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zur einfacheren Klick & ab-Entscheidung. In einem Experiment hörten zum Beispiel Studierende den Vortrag eines Redners, der die Einführung einer Abschlussprüfung für alle Bachelorstudiengänge verlangte. Einige der Teilnehmer wären davon persönlich betroffen gewesen, weil sie die Information erhielten, dass diese Prüfung schon im kommenden Jahr und damit vor dem Ende ihres Studiums eingeführt werden sollte. Sie hatten natürlich ein besonderes Interesse daran, die Argumente gründlich abzuklopfen. Andere Teilnehmer des Experiments wären dagegen nicht betroffen gewesen, weil der Vortrag, den sie hörten, die Einführung der Abschlussprüfung in eine ferne Zukunft verlegte; sie hatten daher wenig Interesse daran, sich im Einzelnen mit der Argumentation auseinanderzusetzen. Entsprechend eindeutig waren die Ergebnisse des Experiments: Diejenigen Teilnehmer, die nicht betroffen gewesen wären, ließen sich in erster Linie vom Status des Redners als Bildungsexperte überzeugen; sie verwendeten die Regel »Wenn Fachleute das sagen, dann muss es richtig sein« und machten sich keine weiteren Gedanken über die Überzeugungskraft der Argumente. Die vermeintlich Betroffenen ignorierten dagegen den Expertenstatus des Redners und ließen sich in erster Linie von der Qualität der Argumentation überzeugen.

Da Klick & ab-Reaktionen gefährlich sein können, haben wir offenbar eine Art Schutzvorrichtung. Wenn ein Thema für uns relevant ist, verzichten wir auf die verführerische Einfachheit, aus den verfügbaren Informationen einen einzigen Schlüsselreiz herauszugreifen und ausschließlich auf diesen zu reagieren. Die Schutzvorrichtung greift sicherlich häufig. Mich beruhigt das allerdings nur bedingt. Erinnern wir uns daran, dass wir nur dann kontrolliert und mit eigenständigem Denken reagieren, wenn wir das Bedürfnis und die Möglichkeit dazu haben. Es mehren sich jedoch die Hinweise, dass unser moderner Alltag mit seinem Tempo kontrollierte Entscheidungen kaum noch zulässt, selbst wenn für uns persönlich viel auf dem Spiel steht. Mal ist die Frage zu kompliziert, mal die Zeit zu knapp, die Ablenkungen zu groß, die Emotion zu aufwühlend oder die geistige Erschöpfung zu übermächtig, und wir sind kognitiv einfach nicht imstande, einem Thema unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn es sich um ein wichtiges Thema handelt, sehen wir uns gezwungen, eine Abkürzung zu nehmen.

Nirgends wird dies auf dramatischere Weise deutlich als in einem Phänomen, das in der Luftfahrt als »Kapitänitis« bekannt ist. Die Unfallermittler von Luftfahrtbehörden stellen fest, wie häufig ein ganz offensichtlicher Fehler eines Flugkapitäns von anderen Offizieren übergangen wird und schließlich in die Katastrophe führt. Obwohl es um Leben und Tod geht, greifen die Angehörigen der Mannschaft auf die Regel »Wenn Fachleute das sagen, dann muss es richtig sein« zurück und unternehmen nichts, um einen verhängnisvollen Fehler des Kapitäns zu korrigieren. 5

© Cohen/Liaison Agency

Abb. 1.2: Die katastrophalen Folgen der »Kapitänitis«

Wenige Augenblicke bevor dieses Flugzeug in der Nähe des National Airports von Washington, D. C., in den Potomac stürzte, unterhielten sich Pilot und Co-Pilot darüber, ob ein Start mit vereisten Tragflächen klug sei. Das Gespräch wurde vom Flugschreiber aufgezeichnet.

Co-Pilot: Dieser Wert kann nicht stimmen.

Pilot: Doch, der stimmt.

Co-Pilot: Nein, das glaube ich nicht. [Sieben Sekunden Pause] Okay, vielleicht stimmt er ja doch.

Pilot: Ich bin mir sicher.

[Geräusche des Aufpralls, bei dem der Pilot, der Co-Pilot und 67 Fluggäste ums Leben kamen.]

PROFITJÄGER UND GESCHÄFTEMACHER

Obwohl unser Verhalten von zahlreichen automatischen Mustern bestimmt wird und diese in Zukunft immer wichtiger werden, wissen die meisten von uns erstaunlich wenig über sie. Was vermutlich genau daran liegt, dass sie so reflexhaft ablaufen. Aber was auch immer die Ursache sein mag, müssen wir wissen, was das für uns bedeutet: Sie machen uns nämlich zum leichten Opfer von allen, die verstehen, wie sie funktionieren.

Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie verwundbar wir sind, bemühen wir noch einmal die Verhaltensforschung. Die Forscher mit ihren Aufnahmen vom »Tschiip-tschiip« der Truthahnküken und den roten Brustfedern der Rotkehlchen sind natürlich nicht die Einzigen, die erkannt haben, wie sich Verhaltensprogramme aktivieren lassen. Es gibt Tierarten, die mithilfe der Nachahmung, der sogenannten Mimikry, Schlüsselreize anderer Tiere kopieren, um diese dazu zu bringen, das richtige Programm im falschen Moment abzuspulen. Dieses Programm nutzen sie dann für ihre Zwecke aus.

So haben zum Beispiel die gefräßigen Weibchen einer Glühwürmchenart (Photuris) einen tödlichen Trick erfunden, um die Männchen einer anderen Glühwürmchenart (Photinus) in die Falle zu locken. Photinus-Männchen haben verständlicherweise wenig Interesse daran, einem hungrigen Photuris-Weibchen zu nahe zu kommen. Doch in ihrer Jahrmillionen langen Evolution haben die Jägerinnen eine Schwäche ihrer Beute ausgemacht – ein besonderes Blinken, mit dem die Photinus-Weibchen ihren Männchen ihre Paarungsbereitschaft signalisieren. Die Killerin ahmt dieses Blinken nach und tut sich dann an den Männchen gütlich, die ihr Balzprogramm starten und daraufhin nicht der Geliebten, sondern dem Tod in die Arme fliegen.

Auf fast jeder Ebene des Lebens gibt es Mimikry, sogar bei den primitivsten Krankheitserregern. Clevere Bakterien und Viren ahmen bestimmte Eigenschaften nützlicher Hormone oder Nährstoffe nach, um sich Zutritt zu Wirtszellen zu verschaffen. Auf diese Weise bringen Erreger von Krankheiten wie Tollwut, Pfeiffersches Drüsenfieber oder einem gewöhnlichen Schnupfen gesunde Zellen dazu, ihnen bereitwillig Tür und Tor zu öffnen. 6

Auch wir Menschen kennen die Mimikry in Form von Profitjägern, die Schlüsselreize nachahmen, um unsere reflexhaften Reaktionen zu aktivieren. Anders als die angeborenen Verhaltenssequenzen bei nichtmenschlichen Tieren stammen unsere automatischen Programme oft aus erlernten psychologischen Prinzipien oder Stereotypen. Sie können unterschiedlich stark sein, doch in der Regel beeinflussen sie unser Handeln in ganz erstaunlichem Maße. Wir haben diese Automatismen derart früh erlernt und werden seither so umfassend von ihnen gesteuert, dass wir kaum wahrnehmen, welchen Einfluss sie auf unsere Entscheidungen haben. Andere erkennen diese Prinzipien jedoch als Hebel, über die sie automatischen Einfluss auf uns ausüben können. Ein Beispiel ist das Prinzip der sozialen Bewährtheit, das besagt, dass wir das glauben beziehungsweise tun, was andere in unserer Umgebung glauben oder tun. Nach diesem Prinzip handeln wir zum Beispiel, wenn wir Kundenmeinungen lesen oder Sterne zählen, ehe wir im Internet etwas kaufen. Doch auf den Bewertungsseiten der Anbieter bekommen wir es mit einer ganz eigenen Art der Mimikry zu tun – Menschen, die Bewertungen fälschen. Zum Glück gibt es Möglichkeiten, echte von falschen Kritiken zu unterscheiden.

E-Box 1.1

So erkennen Sie gefakte Online-Rezensionen mit 90-prozentiger Sicherheit

Ein neues Computerprogramm identifiziert falsche Rezensionen mit unglaublicher Präzision

von Jessica Stillman, Inc.com@EntryLevelRebel

Wenn wir im Internet Produkte kaufen, ob privat oder geschäftlich, lassen wir uns bei unserer Kaufentscheidung vermutlich stark von Kundenbewertungen leiten. Wir sehen uns die Meinung früherer Käufer an, entscheiden uns für das Produkt mit den fünf Sternen statt viereinhalb oder buchen das Hotel, das von den Gästen in besonders hohen Tönen gelobt wird.

Natürlich ist uns klar, dass diese Bewertungen falsch sein könnten oder dass der Anbieter beziehungsweise ein böswilliger Konkurrent dafür bezahlt haben könnte. Umso erfreulicher, dass Wissenschaftler der Cornell University nun ein Computerprogramm entwickelt haben, das Fake-Rezensionen erkennen soll.

Woran können wir erkennen, dass sich hinter der Fünfsternebewertung eines Hotelzimmers in Wirklichkeit eine schimmelige Rumpelkammer verbirgt oder dass ein umjubelter Toaster schon nach der dritten Scheibe den Geist aufgibt? Die Wissenschaftler raten zu Misstrauen, wenn die Kundenbesprechung …

… kaum Details enthält. Es ist schwer, etwas zu beschreiben, was man nicht selbst kennt, weshalb gefakte Bewertungen oft allgemein bleiben und nicht in Einzelheiten gehen. »Echte Hotelbewertungen verwenden oft konkrete, mit dem Hotel in Zusammenhang stehende Begriffe wie ›Badezimmer‹, ›Rezeption‹ oder ›Preis‹. Fälscher schreiben eher über den allgemeinen Zusammenhang und verwenden Begriffe wie ›Urlaub‹, ›Geschäftsreise‹ oder ›mein Mann‹.«

… mehr Pronomen der ersten Person enthält. Wer den Eindruck der Authentizität vermitteln möchte, spricht häufiger von sich selbst. Deshalb kommen in gefakten Rezensionen die Worte »ich« oder »mir« häufiger vor.

… mehr Verben als Substantive enthält. Auswertungen zeigen, dass gefälschte Bewertungen mehr Verben enthalten, weil die Verfasser anstelle echter Erfahrungen oft angenehme (oder unangenehme) Geschichten erzählen. Echte Bewertungen enthalten mehr Substantive.

Diese subtilen Signale reichen nicht aus, um sämtliche Fake-Bewertungen zu enttarnen, doch zusammen mit anderen Hinweisen – zum Beispiel verifizierte Käufer oder verräterische Zeitstempel – helfen sie, die Vertrauenswürdigkeit einer Rezension besser einzuschätzen.

Anmerkung des Autors: Vorsicht, Mimikry! Onlineversandhändler führen einen ständigen Kampf gegen falsche Rezensionen. Dem sollten wir uns anschließen. Einige Zahlen zeigen, warum. Von 2014 bis 2018 nahm die Bedeutung der Bewertungen in allen Bereichen zu (so stieg zum Beispiel der Anteil der Kunden, die vor dem Kauf die Bewertungen lasen, von 88 auf 92 Prozent), während gleichzeitig das Vertrauen in Unternehmen mit positiven Bewertungen von 72 auf 68 Prozent sank. Mimikry untergräbt also das Vertrauen in den Wert der Abkürzungen, auf die wir uns verlassen wollen.

Einige Menschen wissen sehr genau, wo sich die Hebel der automatischen Beeinflussung befinden und wie sie sie betätigen können, um ihre Ziele zu erreichen. Sie haben ein erstaunlich gutes Händchen dafür, andere von etwas zu überzeugen. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in der Art, wie sie ihr Anliegen vortragen und die Hebel bedienen. Manchmal reicht schon ein gut gewähltes Wort, um ein starkes psychologisches Prinzip anzusprechen und eines unserer automatischen Verhaltensprogramme zu aktivieren. Profitjäger lernen sehr schnell, wie sie sich unsere Tendenz zunutze machen können, reflexhaft nach diesen Prinzipien zu reagieren.

So auch meine Bekannte, die Schmuckhändlerin. Beim ersten Mal half ihr der Zufall auf die Sprünge, doch schon bald nutzte sie unsere stereotype Gleichsetzung von »teuer = gut« regelmäßig und gezielt aus. Während der Hochsaison versucht sie nun, ihre Ladenhüter loszuschlagen, indem sie ihren Preis deutlich heraufsetzt. Ihrer Ansicht nach ist das ein wunderbar rentabler Trick. Wenn die ahnungslosen Touristen darauf hereinfallen, wie dies häufig der Fall ist, macht sie einen hübschen Gewinn. Und wenn es nicht funktioniert, kann sie es später immer noch als »Sonderangebot« deklarieren und zum ursprünglichen Ladenpreis an Schnäppchenjäger verkaufen; damit nutzt sie deren Gleichsetzung von »teuer = gut« in Bezug auf den überhöhten Preis aus. 7

JUDO

Judo ist eine japanische Kampfsportart, bei der Sie sich gegen einen Gegner zur Wehr setzen, indem Sie nur ein Minimum Ihrer eigenen Kraft aufwenden. Stattdessen nutzen Sie die Schwerkraft, die Hebelwirkung, den Schwung, die Trägheit und andere natürliche Kräfte. Auf diese Weise können Sie sogar körperlich überlegene Gegner bezwingen. Genauso gehen die Geschäftemacher vor, wenn sie sich die allgegenwärtigen Hebel der automatischen Beeinflussung zunutze machen. Mit minimalem Aufwand können sie diese Prinzipien gegen uns einsetzen. Damit verschaffen sie sich einen gewaltigen zusätzlichen Vorteil: Sie können uns manipulieren, ohne dass der Eindruck der Manipulation entsteht. Selbst die Opfer meinen, spontan und selbstständig zu ihrer Entscheidung gekommen zu sein; sie bemerken gar nicht, dass sie durch die Machenschaften derjenigen manipuliert wurden, die von ihrer Entscheidung profitieren.

Ein Beispiel. In der menschlichen Wahrnehmung gibt es das sogenannte Kontrastprinzip, das einen Einfluss darauf hat, wie wir den Unterschied zwischen zwei Dingen wahrnehmen, die uns nacheinander präsentiert werden. Wenn sich das zweite Objekt geringfügig vom ersten unterscheidet, dann ist dieser Unterschied in unserer Wahrnehmung größer als in Wirklichkeit. Wenn wir beispielsweise zuerst einen leichten und dann einen schweren Gegenstand heben, erscheint uns der zweite schwerer, als wenn wir ihn als Erstes gehoben hätten. Das Kontrastprinzip ist in der Psychophysik bestens erforscht und trifft auf alle möglichen Wahrnehmungsbereiche zu. Wenn wir als ernährungsbewusste Menschen beim Mittagessen den Kaloriengehalt eines Cheeseburgers schätzen sollen, geben wir diesen höher an (in einer Untersuchung um 38 Prozent), wenn wir zuvor den Kaloriengehalt eines Salats schätzen sollen. Im Vergleich zum Salat scheint die Bulette nun noch mehr Kalorien zu haben. Und wenn wir uns auf einer Party mit einem attraktiven Menschen unterhalten und ein weniger attraktiver zu uns stößt, erscheint uns dieser zweite noch unattraktiver als unter anderen Umständen. Einige Forscher warnen deshalb, dass die unrealistisch schönen Schauspieler und Models, die uns von den Medien vorgeführt werden, die potenziellen Partner in unserer Umgebung weniger attraktiv erscheinen lassen. Sie zeigten, dass die zunehmende Begegnung mit hypersexualisierten Models in den Medien die sexuelle Attraktivität unserer realen Partner schmälert. 8

Meinen Studenten veranschauliche ich das Kontrastprinzip gerne mit Folgendem: Nacheinander setze ich sie jeweils vor drei Eimer, von denen einer kaltes, einer lauwarmes und der dritte heißes Wasser enthält. Zunächst sollen sie die eine Hand in den Eimer mit kaltem und die andere in den Eimer mit heißem Wasser stecken. Dann sollen sie beide gleichzeitig in das lauwarme Wasser halten. Ihr verwirrter Blick spricht Bände: Obwohl beide Hände in demselben Eimer stecken, empfindet die Hand, die zuvor im kalten Wasser war, das Wasser als heiß, während die andere Hand, die zuvor im heißen Wasser war, es als kalt wahrnimmt. Ein und dasselbe Objekt – in diesem Fall das lauwarme Wasser – kann also ganz unterschiedlich wahrgenommen werden, je nachdem, was ihm voranging. Das trifft auf alles Mögliche zu, sogar auf Zensuren – wie der folgende Brief einer Studentin an ihre Eltern belegt, der vor einigen Jahren auf meinen Schreibtisch flatterte.

Der Kontrastprinzip-Trick einer Studentin

Liebe Eltern,

tut mir leid, dass ich mich seit Beginn des Studiums nicht gemeldet habe. Das möchte ich jetzt nachholen, aber vorher habe ich eine Bitte: Setzt euch erst mal. Bitte lest erst weiter, wenn ihr euch hingesetzt habt.

Also. Inzwischen geht es mir schon wieder ganz gut. Der Schädelbruch und die Prellungen, die ich mir zugezogen habe, als ich kurz nach Semesterbeginn aus dem Fenster des brennenden Wohnheims gesprungen bin, sind einigermaßen verheilt. Ich bin bereits nach zwei Wochen wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden und kann auch schon fast wieder normal sehen, und diese entsetzlichen Kopfschmerzen bekomme ich auch nur noch einmal am Tag. Zum Glück hat ein Tankwart, der an der Tankstelle gegenüber vom Wohnheim arbeitet, das Feuer und meinen Sprung aus dem Fenster beobachtet und die Feuerwehr und den Notarzt gerufen. Er hat mich im Krankenhaus besucht, und weil ich nicht wusste, wo ich unterkommen soll, weil das Wohnheim ja völlig ausgebrannt war, hat er mich nachher bei sich in seiner Wohnung aufgenommen. Also, eigentlich ist es ja mehr so ein Kellerraum, aber wirklich ganz schnuckelig. Er ist ein lieber Kerl, wir sind total verliebt und wollen heiraten. Ein Datum für die Hochzeit haben wir noch nicht, aber es sollte auf jeden Fall passieren, bevor man mir die Schwangerschaft ansieht.

Ja, Mama und Papa, ich bekomme ein Kind! Ich weiß, wie sehr ihr euch ein Enkelchen gewünscht habt, und bin mir sicher, dass ihr euch mit derselben Liebe und Hingabe um es kümmern werdet wie damals um mich. Dass sich unsere Hochzeit noch ein bisschen verzögert, liegt daran, dass mein Freund eine kleinere Infektion hat, wegen der wir unsere Bluttests nicht bestanden haben, und weil ich nicht aufgepasst habe, habe ich sie mir auch eingefangen.

So. Nachdem ich euch auf den neuesten Stand gebracht habe, muss ich euch etwas gestehen: Das Wohnheim ist nicht abgebrannt, ich hatte keinen Schädelbruch und keine Prellungen, ich war nicht im Krankenhaus, ich bin nicht schwanger, ich bin nicht verlobt, ich habe keine Infektion, und ich habe auch keinen Freund. Ich bin nur in Geschichte und Chemie durchgefallen und möchte, dass ihr das richtig einordnen könnt.

In Liebe

Eure Tochter Sharon

Anmerkung des Autors: In Geschichte und Chemie mag Sharon keine Leuchte sein, aber Psychologie besteht sie mit Auszeichnung.

Sie können darauf wetten, dass der Hebel des Kontrastprinzips nicht ungenutzt bleibt. Er hat den großen Vorteil, dass er nicht nur wirkt, sondern dass er obendrein kaum zu entdecken ist. Wer ihn einsetzt, kann davon profitieren, ohne den Eindruck der Manipulation zu erwecken.

Modegeschäfte machen es vor. Nehmen wir an, ein Mann kommt zu einem Herrenausstatter, um sich einen Anzug und einen Pullover zu kaufen. Wenn Sie der Verkäufer wären, was würden Sie ihm als Erstes zeigen, damit er möglichst viel Geld bei Ihnen ausgibt? Kaufhausangestellte lernen, ihren Kunden zuerst den teuren Artikel zu verkaufen. Vielleicht rät Ihnen Ihr gesunder Menschenverstand, mit dem billigeren Artikel anzufangen, weil dem Mann nach dem Kauf des teuren Anzugs die Lust auf weitere Ausgaben vergangen sein könnte. Doch die Modeverkäufer wissen es besser. Sie haben aus dem Kontrastprinzip gelernt: Beginnen Sie mit dem Anzug, denn wenn Sie dann zu den Pullovern kommen, wirken selbst teure Stücke vergleichsweise günstig. Das gilt auch für Accessoires wie Hemden, Schuhe und Gürtel zum neuen Anzug. Auch wenn unser gesunder Menschenverstand widerspricht, bestätigen Untersuchungen die Wirkung des Kontrastprinzips.

Verkäufer sollten in jedem Fall mit dem teuren Artikel beginnen. Andernfalls lassen sie nicht nur den Hebel des Kontrastprinzips ungenutzt, sondern im Gegenteil, er wirkt sogar gegen sie. Wenn sie mit dem billigeren Artikel beginnen und dann zum teuren kommen, wirkt der teure gleich doppelt teuer – keine wünschenswerte Konsequenz für den Verkäufer. So wie uns dasselbe Wasser je nach der zuvor gefühlten Temperatur heiß oder kalt erscheinen kann, kann uns ein und derselbe Artikel teurer oder günstiger vorkommen, je nach dem Preis des Artikels, den wir zuvor gesehen haben.

© The New Yorker

Abb. 1.4: »Eine leuchtende Idee«

Die Anwendungsmöglichkeiten des Kontrastprinzips sind schier unendlich.

Aber nicht nur Modeverkäufer machen sich das Kontrastprinzip zunutze. Bei meinen Undercoverrecherchen bin ich ihm auch im Immobilienhandel begegnet. Während meiner Einweisung begleitete ich ein Wochenende lang einen Makler – nennen wir ihn Phil – auf seinen Besichtigungstouren, damit er mir einige seiner Tricks vorführte. Mir fiel sofort auf, dass Phil neuen Kunden zunächst einige wenig ansprechende Häuser zeigte. Als ich ihn darauf ansprach, lachte er. Er nannte sie seine »Strohhäuser«. Der Makler behielt bewusst ein oder zwei unattraktive und überteuerte Objekte im Angebot. Diese waren gar nicht zum Verkauf bestimmt, sondern sollten den Kunden nur gezeigt werden, um die eigentlichen Immobilien des Maklers besser aussehen zu lassen. Nicht alle Mitarbeiter des Maklers arbeiteten mit diesem Trick, doch Phil nutzte ihn gern und häufig. Er beschrieb mir, wie die Augen der Kunden aufleuchteten, wenn er ihnen nach den unattraktiven Strohhäusern sein eigentliches Portfolio präsentierte. »Nachdem sie sich ein paar Bruchbuden angeschaut haben, sieht das Haus, das ich ihnen zugedacht habe, gleich noch besser aus.«

Autohändler nutzen das Kontrastprinzip, indem sie sich mit dem Kunden erst auf den Preis des Neuwagens einigen und ihm dann ein Extra nach dem anderen anbieten. Wenn man gerade einige Zehntausend Euro für ein Auto hingeblättert hat, scheinen ein paar Hundert Euro mehr für eine bessere Stereoanlage kaum noch ins Gewicht zu fallen. Genau wie der Aufpreis für die getönten Scheiben, die Alufelgen oder die griffigeren Reifen, die der Händler nun nacheinander vorschlägt. Der Trick besteht darin, die Extras unabhängig voneinander zu präsentieren, sodass jeder Aufpreis neben dem erheblich höheren Grundpreis des Wagens läppisch erscheint. Gewiefte Autohändler können bezeugen, dass so manches Schnäppchen durch die vielen vermeintlich kleinen Extras richtig teuer werden kann. Während sich der Kunde dann beim Blick auf den unterzeichneten Kaufvertrag fragt, wie das passieren konnte, und die Schuld nur bei sich selbst suchen kann, steht der Händler mit dem stillen Lächeln eines Judomeisters daneben.

Erfahrungsbericht 1.2

Von einem Wirtschaftsstudenten der University of Chicago

Während ich im Abflugbereich auf das Boarding wartete, sagte ein Mitarbeiter der Fluggesellschaft durch, dass der Flug überbucht sei. Wer von den Passagieren bereit sei, einen späteren Flug zu nehmen, bekomme eine Gutschrift von 10000 Dollar. Das war natürlich als Witz gemeint und sollte die Leute zum Lachen bringen. Das ist ihm auch gelungen. Aber als er dann sagte, dass er in Wirklichkeit nur eine Gutschrift von 200 Dollar anbieten konnte, hat niemand die Hand gehoben. Er musste das Angebot zweimal aufstocken, erst auf 300, dann auf 500 Dollar, bevor sich ein paar Freiwillige meldeten. Ich habe damals gerade Ihr Buch gelesen, und mir ist klar geworden, dass er zwar ein paar Lacher geerntet, aber nach dem Kontrastprinzip einen Kapitalfehler begangen hat. Im Vergleich zu den 10000 waren die paar Hundert Dollar ein Almosen. Das war ein teurer Spaß. Er hat die Fluggesellschaft pro Freiwilligen 300 Dollar mehr gekostet.

Anmerkung des Autors: Hätten Sie Vorschläge, wie der Mitarbeiter der Fluggesellschaft das Kontrastprinzip zu seinem Vorteil hätte nutzen können? Was halten Sie davon, wenn er als Witz zunächst 2 Dollar geboten und dann das wahre – und jetzt deutlich attraktiver klingende – Angebot von 200 Dollar genannt hätte? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er damit sowohl auf seine Lacher als auch auf seine Kosten gekommen wäre.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Verhaltensforscher haben beobachtet, dass sich viele Tierarten oft nach starren mechanischen Mustern verhalten. Diese instinktiven Handlungsabfolgen sind deshalb so interessant, weil sie gewisse Ähnlichkeit mit reflexhaften Reaktionen (Klick & ab) beim Menschen haben. Bei Menschen und anderen Tieren werden automatische Verhaltensmuster oft durch einen einzigen Aspekt der in der jeweiligen Situation verfügbaren Informationen ausgelöst. Mithilfe dieses Schlüsselreizes können wir uns für eine Handlungsoption entscheiden, ohne alle verfügbaren Informationen gründlich auswerten zu müssen.

  • Der Vorteil der Abkürzungen ist ihre Effizienz und Wirtschaftlichkeit; mit einer automatischen Reaktion auf einen in der Regel informativen Schlüsselreiz sparen wir Zeit, Energie und Hirnkapazitäten. Der Nachteil ist allerdings, dass wir auf diese Weise anfällig für absurde und kostspielige Fehler werden; indem wir unsere Entscheidung aufgrund eines einzigen Aspekts der verfügbaren Informationen treffen, wird die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums größer, vor allem, wenn wir reflexhaft und ohne zu denken reagieren. Diese Wahrscheinlichkeit wird noch größer, wenn jemand die Schlüsselreize zu seinen Gunsten manipuliert, um das gewünschte Verhalten im unpassenden Moment zu aktivieren.

  • Ein großer Teil des Überzeugungsprozesses (der uns dazu bringen soll, dem Anliegen anderer nachzukommen) lässt sich durch unsere Vorliebe für automatische Reaktionen erklären. Die meisten von uns haben eine Reihe von Schlüsselreizen, also konkrete Signale, die uns sagen, dass eine Entscheidung korrekt und von Vorteil ist. Jeder dieser Schlüsselreize kann allerdings auch als Hebel verwendet werden, um uns von etwas zu überzeugen, das überhaupt nicht in unserem Interesse ist.

  • Kontrastierende Wahrnehmungen – die Tendenz, die Unterschiede zwischen Objekten größer wahrzunehmen als sie sind – werden von Überzeugungsprofis besonders gern als Hebel eingesetzt. So zeigen zum Beispiel Immobilienmakler ihren potenziellen Kunden erst ein oder zwei unattraktive Objekte, ehe sie ihnen ein attraktiveres Haus präsentieren, das nun deutlich verlockender erscheint, als es dies ohne diesen Trick gewesen wäre. Ein Vorteil dieses Hebels ist, dass er sich meist unbemerkt einsetzen lässt.

2

GEGENSEITIGKEIT

Eine Hand wäscht die andere

Deine Hand sei nicht offen, wenn’s ums Nehmen geht, und nicht geschlossen, wenn’s ans Geben geht.

– Jesus Sirach, 4:31

Vor einigen Jahren unternahm ein Professor ein kleines Experiment. Er verschickte Weihnachtskarten an eine Reihe wildfremder Menschen. Er erwartete zwar eine gewisse Reaktion, doch das Ergebnis verblüffte selbst ihn: Er erhielt eine wahre Flut von Weihnachtskarten von Menschen, die ihn nicht einmal dem Namen nach kannten. Die Mehrheit der Schreiber fragte nicht einmal, wer er denn war. Sie hatten eine Weihnachtskarte erhalten, also schickten sie eine Antwort – Klick & ab!

Das Experiment ist zwar nicht repräsentativ, doch es demonstriert die Wirkung eines der mächtigsten Einflusshebel in unserer Gesellschaft: das Prinzip der Gegenseitigkeit. Dieses Prinzip verlangt von uns, Gefälligkeiten zu erwidern. Wenn uns eine Frau einen Gefallen tut, sollten wir ihr im Gegenzug ebenfalls einen Gefallen tun. Wenn ein Mann uns ein Geburtstagsgeschenk schickt, dann sollten wir uns an seinen Geburtstag erinnern und ihm ebenfalls eines schicken. Wenn ein befreundetes Ehepaar uns zu seiner Party einlädt, sollten wir es auch zu unserer einladen. Sie könnten nun einwenden, dass die Erwiderung von Weihnachtskarten, Geburtstagsgeschenken und Einladungen kein ausreichender Beweis für die Macht dieses Gebots ist – aber täuschen Sie sich nicht: Es kann unser Verhalten auf bemerkenswerte Art und Weise beeinflussen. Wissenschaftler, die als Spendensammler für gemeinnützige britische Organisationen arbeiteten, sprachen Banker auf dem Weg ins Büro an und baten sie um eine beträchtliche Spende – ein Tagesgehalt, was je nach Position über 1000 Euro betragen konnte. Wenn sie den Bankern ein Tütchen mit Süßigkeiten in die Hand drückten, ehe sie ihr Anliegen vortrugen, spendeten diese im Schnitt doppelt so viel.

Dieses Prinzip gilt sogar für ganze Nationen. Die Magna Charta des Jahres 1215 verwendete es, um zu klären, wie Länder bei Kriegsausbruch mit Händlern aus verfeindeten Nationen verfahren sollten: »Widerfährt den unsrigen dort kein Schaden, so soll auch jenen in unserm Lande keiner geschehen.« Die Gegenseitigkeit ist nicht nur ein Prinzip, sondern ein Gebot, das uns zu späterer Erwiderung von Gefälligkeiten, Geschenken, Einladungen, freundlichen Gesten und so weiter verpflichtet. Das geht so weit, dass in den Redewendungen vieler Sprachen Dank und Schuldigkeit Hand in Hand gehen: »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet«, sagt man im Deutschen, im Englischen ist much obliged ein Synonym für »danke«, und im Portugiesischen sagt man dafür obrigado, wörtlich »verpflichtet«. Wie weit diese Verpflichtung reicht, deutet das japanische Wort für »danke« an: Sumimasen bedeutet buchstäblich »das wird nicht enden«.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit zieht sich durch die gesamte menschliche Kultur. Alvin Gouldner und andere Soziologen berichten, dass es in ausnahmslos allen Gesellschaften bekannt ist und das gesamte Miteinander durchdringt. Der Archäologe Richard Leakey ist der Ansicht, dass hochentwickelte Systeme der wechselseitigen Verpflichtung geradezu das Wesen menschlicher Kulturen ausmachen. Erst die »ehrwürdigen Netzwerke der Verpflichtung«, mit denen unsere Vorfahren Beute und Fähigkeiten miteinander teilten, hätten uns zu Menschen gemacht, so Leakey. Kulturanthropologen wie Lionel Tiger und Robin Fox beschreiben dieses »Netz der Schuld« als einzigartigen Anpassungsmechanismus des Menschen, der Arbeitsteilung, den Austausch von Gütern und Dienstleistungen sowie die Entstehung wechselseitiger Abhängigkeiten ermöglicht, mit denen sich Menschen zu hocheffizienten Gruppen zusammenschließen.

Das Gefühl künftiger Verpflichtungen ist eine entscheidende Voraussetzung gesellschaftlicher Fortschritte, wie sie Tiger und Fox beschreiben. Ein gemeinsames und starkes Gefühl der Wechselseitigkeit war ein Motor der gesellschaftlichen Evolution, denn es bedeutete, dass ein Mensch anderen etwas (Nahrung, Energie oder Fürsorge zum Beispiel) geben und sich dabei sicher sein konnte, dass diese Gabe nicht verloren war. Erstmals in der Geschichte der Evolution konnte ein Individuum eine Ressource teilen, ohne sie zu verlieren. Das senkte die Hemmung vor Formen des Austauschs, die mit einer Vorleistung eines der Beteiligten beginnen. So wurden hochentwickelte und koordinierte Systeme der gegenseitigen Unterstützung, des Austauschs von Geschenken, der Verteidigung und des Handels möglich, die den betreffenden Gesellschaften erheblichen Nutzen brachten. Angesichts der zahlreichen Vorteile für eine Kultur ist es also kein Wunder, dass unsere gemeinsame Sozialisation das Prinzip der Gegenseitigkeit so tief in uns verankert. 1

Verpflichtungen reichen zwar in die Zukunft, doch nicht unbegrenzt weit. Vor allem bei kleinen Gefälligkeiten scheint sich das Bedürfnis nach Erwiderung im Laufe der Zeit abzuschwächen. Bei bedeutsamen Geschenken kann es sich jedoch erstaunlich lange halten. Ein gutes Beispiel für die Reichweite wechselseitiger Verpflichtungen dieser Art sind die Hilfsgelder von 5000 Dollar, die zwischen Mexiko und Äthiopien flossen. 1985 herrschte in Äthiopien gewaltiges Leid, die Wirtschaft war am Boden, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung war nach Jahren der Dürre und des Bürgerkriegs zusammengebrochen. Tausende Menschen verhungerten. Unter diesen Umständen hätte sich niemand gewundert, wenn Mexiko dem notleidenden Land 5000 Dollar gespendet hätte. Umso mehr staunte ich, als ich las, dass die Hilfszahlung in die andere Richtung geflossen war. Vertreter des äthiopischen Roten Kreuzes hatten nämlich beschlossen, mit dieser Summe den Opfern des schweren Erdbebens zu helfen, das Mexiko-Stadt im September 1985 erschüttert hatte.

Wenn ich eine menschliche Verhaltensweise nicht verstehe, fühle ich mich geradezu getrieben, ihr auf den Grund zu gehen – das ist wohl eine Art Berufskrankheit. In diesem Fall gelang es mir, die Hintergründe ausfindig zu machen. Ein Journalist, der genauso verblüfft war wie ich, hatte die Äthiopier um Aufklärung gebeten. Ihre Antwort war ein weiterer Beleg für das Gebot der Gegenseitigkeit: Trotz der gewaltigen Not im eigenen Land überwiesen sie das Geld für die Erdbebenopfer, weil Mexiko 1935, als die Italiener in Äthiopien einfielen, Hilfe geschickt hatte. Als ich das erfuhr, war mir alles klar. Das Bedürfnis, diese Gefälligkeit zu erwidern, überwand kulturelle Unterschiede, gewaltige Entfernungen, lange Jahrzehnte, Hungerkatastrophen und unmittelbares Eigeninteresse. Trotz aller Widrigkeiten und über ein halbes Jahrhundert später triumphierte die Verpflichtung.

Wenn Sie meinen, dass es sich hier um eine einmalige Angelegenheit handelt, die vielleicht den äthiopischen Gepflogenheiten geschuldet ist, habe ich eine weitere Geschichte für Sie. Im Jahr 2015 gründete der damals 94-jährige britische Verleger Lord Arthur George Weidenfeld die Operation Safe Haven, die christliche Familien aus den von der Terrormiliz Islamischer Staat besetzten Regionen des Nahen Ostens rettete und in anderen Ländern in Sicherheit brachte. Beobachter begrüßten die Hilfe, kritisierten jedoch ihren eingeschränkten Schwerpunkt und fragten, warum der Lord nicht auch die ebenfalls verfolgten Drusen, Alawiten und Jesiden unterstützte.

Man hätte meinen können, dass der Gönner vielleicht nur seinen Glaubensbrüdern helfen wollte, doch Weidenfeld war Jude. Er war 1938 mit einem Kindertransport von Österreich nach England gekommen, der von christlichen Gruppen organisiert worden war, um jüdische Kinder vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu retten. Seine Erklärung unterstreicht erneut die Bedeutung des Gebots der Gegenseitigkeit: »Ich kann nicht die ganze Welt retten, doch auf der christlichen und jüdischen Seite habe ich eine Schuld zu begleichen.« Die Gegenseitigkeit kann Leben retten und ein Leben lang wirken. 2

Erfahrungsbericht 2.1

Von einer Angestellten des Bundesstaates Oregon

Bei der Einarbeitung hat mir meine Vorgängerin gesagt, dass mir die Arbeit mit meinem Chef bestimmt gefallen wird, weil er so ein netter und großzügiger Mensch sei. Sie hat mir erzählt, dass er ihr zu verschiedenen Anlässen immer wieder Blumen und andere Sachen geschenkt habe. Sie hat gekündigt, weil sie schwanger war und zu Hause bleiben wollte, sonst hätte sie die Stelle gern noch länger behalten.

Ich habe die Stelle jetzt seit sechs Jahren und habe mit meinem Chef dieselbe Erfahrung gemacht. Zum Geburtstag hat er ein Geschenk für mich, und zu Weihnachten schenkt er mir und meinem Sohn etwas. Vor zwei Jahren habe ich die höchste Beförderungsstufe erreicht. Hier gibt es keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr für mich, und ich habe nur noch die Möglichkeit, einen staatlichen Test zu machen und mich in einer anderen Abteilung erneut zu bewerben oder mir eine Stelle in der freien Wirtschaft zu suchen. Aber ich verspüre einen inneren Widerstand. Mein Vorgesetzter geht bald in Pension, und vielleicht kann ich mich dann wegbewerben, aber momentan fühle ich mich verpflichtet zu bleiben, weil er so nett zu mir gewesen ist.

Anmerkung des Autors: Beachten Sie die Wortwahl der Frau: Sie »kann« sich wegbewerben, wenn ihr Vorgesetzter in Rente geht. Seine kleinen Geschenke haben in ihr ein Gefühl der Verpflichtung wachgerufen, das es ihr unmöglich macht, sich eine besser bezahlte Stelle zu suchen. Das ist eine interessante Lektion für Führungskräfte, die sich loyale Mitarbeiter wünschen. Doch in dieser Geschichte steckt eine Lektion für uns alle: Kleinigkeiten können große Wirkung entfalten, zumal wenn sie mit den großen Regeln des Lebens zusammenhängen. In dem Buch Yes! von Noah J. Goldstein, Steve J. Martin und mir finden Sie sechzig solcher kleinen Dinge, die eine große Wirkung auf das menschliche Verhalten haben.

WIE FUNKTIONIERT DAS PRINZIP?

Das Prinzip der Gegenseitigkeit verschafft menschlichen Gesellschaften einen echten Wettbewerbsvorteil, weshalb diese sehr darauf bedacht sind, ihre Mitglieder darin zu schulen. Wir alle haben von Kindesbeinen an gelernt, es zu befolgen, und wissen, dass seine Missachtung mit Strafen und Ausgrenzung geahndet wird. Da Menschen, die nehmen, ohne zu geben, generell mit Widerwillen bedacht werden, tun wir fast alles, um nur ja nicht in den Ruf eines Schnorrers zu geraten. Und das wiederum nutzen jene aus, die von unserem Gefühl der Verpflichtung profitieren wollen.

Um zu verstehen, wie das Prinzip der Gegenseitigkeit als Hebel ausgenutzt werden kann, wollen wir uns ein Experiment des Psychologen Dennis Regan ansehen. Ein Versuchsteilnehmer sollte zusammen mit einem anderen die Qualität einiger Kunstwerke beurteilen. Dieser andere, nennen wir ihn Joe, gab sich nur als Versuchsteilnehmer aus und war in Wirklichkeit ein Mitarbeiter Regans. Das Experiment wurde in zwei Varianten durchgeführt. In einigen Fällen erwies Joe den echten Versuchsteilnehmern eine kleine Gefälligkeit. In einer kurzen Pause verließ Joe den Raum und kam mit zwei Flaschen Cola zurück, eine für sich und eine für seinen vermeintlichen Mitstreiter, und sagte: »Ich habe den Versuchsleiter gefragt, ob ich mir was zu trinken kaufen kann, und da habe ich Ihnen auch gleich was mitgebracht.« In der zweiten Variante des Experiments brachte Joe keine Getränke und kam nach einer kurzen Abwesenheit mit leeren Händen zurück. Ansonsten verhielt sich Joe in beiden Situationen gleich.

Nachdem die beiden die Gemälde beurteilt und der Versuchsleiter den Raum verlassen hatte, war es an Joe, seinen Mitstreiter um eine Gefälligkeit zu bitten. Er erzählte, er verkaufe Lose für eine Tombola, bei der es ein Auto zu gewinnen gebe. Wenn er die meisten Lose verkaufe, bekäme er 50 Dollar. Joe bot dem Teilnehmer die Lose zu 25 Cent das Stück an: »Ich bin für alles dankbar, aber je mehr Sie kaufen, desto besser.« Interessanterweise verkaufte Joe deutlich mehr Lose an diejenigen Teilnehmer, denen er zuvor eine Cola spendiert hatte. In dem Gefühl, dass sie ihm etwas schuldig waren, kauften sie doppelt so viele Lose wie die anderen, denen er kein Getränk mitgebracht hatte. Das Regan-Experiment ist eine ziemlich einfache Demonstration des Prinzips der Gegenseitigkeit, doch es zeigt einige wichtige Aspekte des Prinzips, die uns verraten, wie es nutzbringend eingesetzt werden kann.

Die Macht des Prinzips

Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist deshalb ein derart starker Einflusshebel, weil es so unglaublich wirkungsvoll ist. Mit seiner Hilfe lässt sich auch in Situationen eine Zustimmung erreichen, in denen sie andernfalls sicher verweigert würde. Ein zweites Ergebnis des Experiments zeigt, dass es auch andere Faktoren überstimmen kann, die sonst bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen. Regan ging es nämlich nicht nur um die Gegenseitigkeit, er wollte auch herausfinden, inwieweit die Sympathie einen Einfluss darauf hat, ob wir der Bitte eines anderen Menschen entsprechen oder nicht. Um zu ermitteln, welchen Einfluss die Sympathie auf die Zahl der gekauften Lose hatte, sollten die Teilnehmer mehrere Fragen zu Joe beantworten, aus denen hervorging, wie sympathisch sie ihn fanden. Dabei stellte er fest, dass die Teilnehmer umso mehr Lose kauften, je sympathischer sie Joe fanden. Doch das war nicht das eigentlich Erstaunliche, wahrscheinlich hätte jeder von uns vermutet, dass wir jemandem eher einen Gefallen tun, wenn wir ihn sympathisch finden. Das eigentlich Interessante war, dass in den Versuchen, in denen Joe den Teilnehmern ein Getränk gebracht hatte, der Zusammenhang zwischen Sympathie und Überzeugung vollkommen in den Hintergrund trat. Für diejenigen, die ihm einen Gefallen schuldeten, war es gleichgültig, ob sie ihn mochten oder nicht – sie spürten eine Verpflichtung, seine Gefälligkeit zu erwidern. Die Teilnehmer, denen er nicht sonderlich sympathisch war, kauften genauso viele Lose von ihm wie diejenigen, die ihn sympathisch fanden. Das Prinzip der Gegenseitigkeit war so stark, dass es den ansonsten so wichtigen Faktor Sympathie vollkommen ausblendete.

Machen wir uns klar, was das bedeutet. Menschen, denen wir ansonsten aus dem Weg gehen würden – aufdringliche Verkäufer, unangenehme Bekanntschaften, Vertreter missliebiger Organisationen –, verbessern ihre Chancen, uns von etwas zu überzeugen, wenn sie mit einer kleinen Aufmerksamkeit auf uns zukommen. Ein weiteres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit verdeutlicht diesen Aspekt. Im Kampf gegen die afghanischen Taliban standen die amerikanischen Geheimdienste vor einem Problem: Sie benötigten Hinweise der Bevölkerung auf die Aktivitäten und den Aufenthalt der Taliban, doch viele Afghanen waren nicht bereit, mit ihnen zu kooperieren. Das hatte zwei Gründe: Zum einen mussten sie die Rache der Taliban fürchten, und zum anderen lehnten sie die Anwesenheit und Ziele der Amerikaner in ihrem Land sowie die Amerikaner selbst ab. Ein CIA-Offizier, der während seiner Arbeit mit einem Patriarchen auf beides gestoßen war, beobachtete, dass dieser durch seine Doppelrolle als Stammesführer und Ehemann von vier jüngeren Frauen erschöpft wirkte. Beim nächsten Besuch brachte er ein kleines Geschenk mit, das er dem Patriarchen unauffällig in die Hand drückte: vier Viagra-Pillen, eine für jede Frau. Eine Woche darauf zeigte sich, wie »potent« das Geschenk gewesen war, denn nun lieferte der Patriarch »eine Fülle von Informationen über die Bewegungen der Taliban und ihre Nachschubrouten«.

Vor einigen Jahren machte ich eine ähnliche, wenngleich nicht ganz so folgenschwere Erfahrung. Auf einem Langstreckenflug erhielt ich einen Gangplatz in einer Dreierreihe. Eigentlich sitze ich lieber am Gang, doch ich tauschte mit einem Mann mit Fensterplatz, der sagte, während eines fünfstündigen Flugs am Fenster bekäme er Platzangst. Er drückte mir seine tiefe Dankbarkeit aus. Statt, wie ich es gelernt hatte, die Gefälligkeit herunterzuspielen und zu behaupten, das sei doch nicht der Rede wert (was ja nicht stimmte, weil ich ja selbst lieber am Gang sitze), erwiderte ich: »Gern geschehen, wenn Sie in meiner Situation wären, würden Sie sich genauso verhalten.« Er versicherte mir, dass dem so sei.

Der Rest des Flugs war verblüffend. In ihrer Unterhaltung bemerkten die beiden Männer neben mir, wie viel sie gemeinsam hatten: Beide hatten im selben Viertel von Atlanta gewohnt, beide waren NASCAR-Fans, beide sammelten Waffen, und beide hatten dieselben politischen Ansichten. Man konnte spüren, dass da eine Freundschaft aufkeimte. Doch wann immer der Mann am Gang etwas anzubieten hatte – Nüsschen, Kaugummi, den Sportteil der Zeitung –, bot er es erst mir an und reichte es mir oft direkt unter der Nase seines neuen Kumpels vorbei. Es war egal, wer neben ihm saß, wer mehr mit ihm gemeinsam hatte und mit wem er sich unterhielt – das Entscheidende war, dass er mir etwas schuldig war.

Wenn sich also jemand bei Ihnen für eine nicht unbedeutende Gefälligkeit bedankt, dann würde ich Ihnen dringend raten, diesen Dank nicht mit einer der üblichen Floskeln wie »Keine Ursache« oder »Lassen Sie’s gut sein« abzutun und damit das Prinzip der Gegenseitigkeit auszuhebeln. Stattdessen würde ich Ihnen empfehlen, Ihren (wohlverdienten) Einfluss zu wahren und zum Beispiel zu sagen: »Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, hätten Sie dasselbe für mich getan.« Der Nutzen dürfte erheblich sein. 3

Erfahrungsbericht 2.2

Von einer Managerin aus Rochester, New York

Als Abteilungsleiterin mache ich normalerweise am späten Nachmittag Feierabend, aber einmal war ich länger geblieben, um einen wichtigen Bericht abzuschließen. Als ich nach Hause fahren wollte, rutschte mein Auto auf dem vereisten Parkplatz in einen Graben. Es war spät, kalt und dunkel, und alle meine Mitarbeiter waren schon längst gegangen. Aber ein Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung half mir und zog mich mit seinem Wagen wieder aus dem Graben.

Etwa zwei Wochen später hörte ich, dass dieser Mitarbeiter wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Unternehmenspolitik einen Verweis bekommen hatte. Ich kannte den Mann eigentlich nicht, aber ich ging trotzdem zum Direktor, um ein gutes Wort für ihn einzulegen. Seither haben mehrere Mitarbeiter den Charakter des Mannes infrage gestellt, aber ich fühle mich ihm gegenüber verpflichtet und bin bereit, mich für ihn einzusetzen.

Anmerkung des Autors: Wie im Regan-Experiment scheinen die persönlichen Eigenschaften des Mannes weniger Einfluss auf die Entscheidung dieser Managerin zu haben als die einfache Tatsache, dass er ihr geholfen hat. Klick & ab.

Unterschiedlichste Organisationen haben gelernt, die Macht der kleinen Gefälligkeiten zu nutzen, um eine Zustimmung zu erhalten, die sie sonst wohl nicht bekämen. So haben zum Beispiel Meinungsforscher festgestellt, dass ihre Fragebögen häufiger ausgefüllt werden, wenn sie ein kleines Geldgeschenk (einen Silberdollar oder einen Scheck über 5 Dollar) beilegen, als wenn sie das Geschenk erst nachträglich geben. Eine Untersuchung ergab, dass ein 5-Dollar-Geschenkscheck bei der Umfrage einer Versicherung wirkungsvoller war als das Versprechen von 50 Dollar bei Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens. Kellner haben die Erfahrung gemacht, dass sie deutlich mehr Trinkgeld bekommen, wenn sie der Rechnung ein paar Drops oder Minzbonbons beilegen; in Restaurants mit vielen ausländischen Besuchern war dies unabhängig von der Nationalität der Gäste zu beobachten. In einer Untersuchung in McDonald’s-Restaurants in Brasilien und Kolumbien zeigten meine Kollegen Steve J. Martin und Helen Mankin, welche hübschen Auswirkungen kleine Geschenke haben können. Wenn Familien kamen, bekamen die Kinder als Geschenk einen Luftballon – in der Hälfte der Restaurants erhielten ihn die Kinder zum Abschied, in der anderen Hälfte bei der Ankunft. Wenn die Kinder den Ballon beim Betreten des Restaurants bekamen, gaben die Familien im Durchschnitt 25 Prozent mehr aus. Interessanterweise stieg auch der Konsum des Kaffees um 20 Prozent – ein Getränk, das wohl kaum für die Kinder bestimmt war. Warum? Weil ein Geschenk für mein Kind immer auch ein Geschenk für mich ist, wie ich Ihnen als Vater bestätigen kann.

Ganz allgemein wissen Unternehmer, dass die Kunden nach einem Geschenk bereit sind, Waren zu kaufen und Dinge zu tun, die sie andernfalls nicht in Betracht gezogen hätten. 4

E-Box 2.1

© Robert Cialdini/Influence At Work

Anmerkung des Autors: Zur Feier seines vierzigjährigen Bestehens im Jahr 2011 verschenkte Starbucks im Internet Gutscheine für eine Geschenkkarte. Um das Gefühl der Verpflichtung zu verstärken, das mit dem Geschenk einherging, sollten Kunden, die es annahmen, dem Unternehmen in den sozialen Medien danken. Eine ausführliche Erörterung, wie Gegenseitigkeit in den sozialen Medien funktioniert, finden Sie im Internet unter vimeo.com/137374366.

PS: Die Geschenke waren nicht nur umsonst, sondern auch nur begrenzt verfügbar, das heißt, neben dem Prinzip der Gegenseitigkeit nutzte die Kaffeekette auch das der Knappheit, das wir in Kapitel 6 kennenlernen werden.

Politik

Die Politik ist ein weiterer Bereich, in dem das Prinzip der Gegenseitigkeit seinen übermächtigen Einfluss zeigt. Auf jedem Level begegnen wir Taktiken, die auf Gegenseitigkeit zielen:

  • An der Spitze tauschen gewählte Politiker Gefälligkeiten aus, die zu merkwürdigen Koalitionen führen können. Wenn Abgeordnete gegen ihre erklärten Interessen stimmen, dann steckt dahinter oft eine Verpflichtung. So wunderten sich Beobachter darüber, wie viele Programme der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson zu Beginn seiner Amtszeit Mitte der 1960er-Jahre durch das Parlament bekam; selbst Abgeordnete, die ausdrücklich dagegen waren, stimmten im Kongress dafür. Genaue Analysen (zum Beispiel Robert Caros Johnson-Biografie, 2012) zeigten, dass Johnson dies weniger seinem politischen Geschick verdankte als vielmehr den zahlreichen Gefälligkeiten, die er anderen während seiner langen Zeit als Abgeordneter im Repräsentantenhaus und im Senat erwiesen hatte. Als Präsident konnte er binnen kurzer Zeit eine beachtliche Zahl von Gesetzen durchboxen, indem er eine Gegenleistung für diese Gefälligkeiten verlangte. Umgekehrt könnte dies eine Erklärung dafür sein, warum es späteren Präsidenten wie Jimmy Carter, Bill Clinton, Barack Obama oder Donald Trump so schwerfiel, im Kongress die nötigen Mehrheiten für ihre Programme zu finden. Sie kamen nicht aus dem Establishment von Washington und hatten im Wahlkampf immer wieder darauf gepocht, dort niemandem etwas schuldig zu sein. Doch ihre politischen Schwierigkeiten, insbesondere bei der Gesetzgebung zu Beginn ihrer Amtszeit, könnten damit zusammenhängen, dass umgekehrt auch niemand ihnen etwas schuldig war.

  • Auf einer anderen Ebene äußert sich die Macht der Gegenseitigkeit im Versuch von Unternehmen und Einzelpersonen, Politiker und Juristen mit Geschenken und Gefälligkeiten zu bedenken, und in den gesetzlichen Beschränkungen für solche Geschenke und Gefälligkeiten. Die zahlreichen Verpflichtungen, die selbst mit den rechtmäßigen Parteispenden einhergehen, verraten den wahren Zweck der Unterstützung eines bestimmten Kandidaten. Die Motive der Spender, die bei wichtigen Wahlen gleich mehrere Kandidaten unterstützen, sind nur unschwer zu erraten. Wer noch Zweifel hat, dass Parteispenden mit handfesten Erwartungen verbunden sind, muss nur die bemerkenswert offenherzige Antwort des Unternehmers Roger Tamraz bei einer Kongressanhörung zur Reform der Parteienfinanzierung auf sich wirken lassen. Auf die Frage, ob er mit dem Ertrag seiner Spende von 300000 Dollar zufrieden sei, erwiderte er lächelnd: »Nächstes Mal gebe ich 600000.«

Diese Art von Ehrlichkeit hat in der Politik Seltenheitswert. Meist weisen Spender und Empfänger die Vorstellung weit von sich, man könnte mit Wahlkampfspenden, Reisen oder Eintrittskarten zum Super Bowl die Meinung von »pflichtbewussten und gewissenhaften Politikern« beeinflussen. Der Leiter eines Lobbyunternehmens erklärte gar, es gebe keinen Anlass zur Sorge, denn »diese Politiker sind intelligente, reife und erfahrene Männer und Frauen, die zu den Besten ihrer jeweiligen Zunft gehören und in ihrer Ausbildung gelernt haben, in ihrem Urteil kritisch und wachsam zu sein«. Welcher Politiker wollte da widersprechen? Sie beteuern im Gegenteil immer wieder ihre völlige Unabhängigkeit von sämtlichen Einflüssen, denen wir Normalsterblichen unterliegen. Daran ließ auch ein Abgeordneter meines Bundesstaats keinen Zweifel, als er seine Verpflichtungen gegenüber seinen Spendern beschrieb: »Sie bekommen dafür genauso viel wie alle anderen, nämlich gar nichts.«

Entschuldigen Sie, wenn ich lache. »Pflichtbewusste und gewissenhafte« Wissenschaftler wissen es besser. Auch deshalb, weil sie als »intelligente, reife und erfahrene Männer und Frauen« gelernt haben, dass sie für Gefälligkeiten genauso empfänglich sind wie alle anderen Menschen auch. Ein Beispiel ist die Kontroverse um Kalziumantagonisten, die bei der Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt werden. Bei einer Befragung stellte sich heraus, dass 100 Prozent der Wissenschaftler, die diese Präparate in ihren Untersuchungen und Veröffentlichungen befürwortet hatten, zuvor von den Herstellern Unterstützung in Form von Reisen, Forschungsgeldern oder Arbeitsverträgen erhalten hatten, wohingegen nur 37 Prozent der Kritiker auf diese Weise alimentiert worden waren. Wenn Wissenschaftler, »die in ihrer Ausbildung gelernt haben, in ihrem Urteil kritisch und wachsam zu sein«, nicht gegen den Sog der Gefälligkeiten gefeit sind, dürfen wir vermuten, dass es Politikern nicht anders ergeht. Und mit dieser Annahme hätten wir recht. Reporter der Nachrichtenagentur AP fanden beispielsweise heraus, dass die Abgeordneten, die im Wahlkampf die größten Summen von Lobbygruppen erhalten hatten, siebenmal so häufig zugunsten der großzügigsten Gruppe abstimmten. Das hatte zur Folge, dass diese Lobbyisten in 83 Prozent der Fälle ihre Interessen durchsetzten. Das traf auch auf Abgeordnete in Steuerausschüssen zu, die große Spenden aus der Wirtschaft erhalten hatten: Die betreffenden Unternehmen kamen in der Folge in den Genuss spürbarer Steuererleichterungen. Politiker glauben gern, sie seien ausgenommen von Regeln, die für andere Menschen gelten – deswegen parken sie ja so gern im Halteverbot. Aber sie in diesem Glauben auch noch zu bestätigen, gerade im Falle des Prinzips der Gegenseitigkeit, ist nicht nur lächerlich, sondern nachgerade unverantwortlich. 5

Die Geschichte internationaler Verhandlungen ist voller Beispiele dafür, wie sich mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit potenziell gefährliche Konflikte entschärfen lassen. Eine dieser Einigungen könnte die Welt gerettet haben, wurde aber aus politischen Gründen nie bekannt. Am 22. Oktober 1962 kam der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten plötzlich in die Nähe des Siedepunkts. In einer Fernsehansprache verkündete Präsident John F. Kennedy, amerikanische Aufklärungsflugzeuge hätten auf Kuba den heimlichen Aufbau von Abschussrampen beobachtet, mit denen sowjetische Atomraketen auf die Vereinigten Staaten gerichtet werden sollten. Er forderte den sowjetischen Staats- und Regierungschef Nikita Chruschtschow auf, die Raketen abzuziehen, und verhängte eine Seeblockade über weitere sowjetische Schiffe auf dem Weg nach Kuba, die so lange aufrechterhalten werden sollte, bis die Sowjetunion ihre bereits installierten Raketen wieder abgezogen hätte. Chruschtschow erwiderte, dass der Konvoi, der sich auf dem Weg nach Kuba befand, diese »Piraterie« ignorieren werde; außerdem werde die Sowjetunion jeden Versuch, die Blockade durchzusetzen, als Akt der Aggression werten, der sofort zum Krieg führen werde – aber nicht zu irgendeinem Krieg, sondern zu einem Atomkrieg, der vermutlich ein Drittel der Erdbevölkerung ausgelöscht hätte. Dreizehn Tage lang bangte die Menschheit, während sich die Führer der beiden Weltmächte Auge in Auge gegenüberstanden. Dann knickte Chruschtschow unter dem harten Verhandlungsstil von John F. Kennedy ein und sagte zu, die Raketen abzuziehen. Zumindest war das die Geschichte, die man uns über das Ende der Kubakrise erzählte.

Doch seit die Dokumente der Zeit nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen, wissen wir, dass die Geschichte ganz anders ablief. Kennedy verdankte seinen Sieg nicht seiner Unnachgiebigkeit, sondern seiner Bereitschaft, die Jupiter-Raketen der Vereinigten Staaten aus der Türkei und Italien abzuziehen, wenn Chruschtschow im Gegenzug die Raketenstellungen der Sowjetunion auf Kuba abbaute. Weil das jedoch Kennedys Beliebtheit geschadet hätte, machte er es zur Bedingung, diesen Handel zu verschweigen – er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er gegenüber der Sowjetunion zu Zugeständnissen bereit war. Es ist bedauerlich, dass das, was damals die Welt wirklich gerettet hat – die Macht der Gegenseitigkeit –, nicht die verdiente Anerkennung erhält, und dass stattdessen mit der Kompromisslosigkeit eine Eigenschaft gerühmt wurde, die damals die Welt genausogut hätte zerstören können. 6

Library of Congress, © by Karl Hubenthal

Abb. 2.1: Showdown in der Castro-Schlucht

Die zeitgenössische Karikatur entspricht der damals gängigen Interpretation des Endes der Kubakrise: Chruschtschow zieht den Schwanz ein, weil Kennedy nicht bereit ist, sich dem drohenden Feind zu beugen. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall: Die Gefahr eines Atomkriegs wurde durch einen großen Kompromiss abgewendet, der den Abzug von Atomraketen beinhaltete – durch beide Seiten.

Unterhalb der staatlichen Ebene unterstreicht eine Schilderung des Sozialpsychologen Lee Ross die Vorzüge des Gebens und Nehmens gegenüber einem kompromisslosen Ansatz. Zwei Brüder (Ross’ Cousins) sind Besitzer einer kanadischen Supermarktkette für Haustierbedarf. An ihren Verkaufsstandorten müssen die Brüder Lagerhallen anmieten. Einer der beiden Brüder berichtet: »Weil ich weiß, wie viel Miete der Quadratmeter in jeder Stadt kosten darf, besteht meine Strategie darin, ein faires Angebot zu machen und in der Verhandlung keinen Cent davon abzurücken. Deswegen führt mein Bruder sämtliche Verhandlungen für uns.«

Die Gratisprobe, die keine ist

Die Macht der Gegenseitigkeit kennt man natürlich auch im Handel. Aus der schier endlosen Liste der Beispiele wollen wir ein bekanntes herausgreifen. Die Gratisprobe ist eine bewährte Vermarktungsmethode. In den meisten Fällen geben die Hersteller potenziellen Kunden eine kostenlose Probe eines Produkts, damit sie sehen können, ob es ihnen zusagt. Dahinter steckt natürlich der legitime Wunsch der Hersteller, der Öffentlichkeit die Qualität ihres Produkts zu präsentieren. Das Schöne an der Gratisprobe ist allerdings, dass sie auch ein Geschenk ist und als solches das Prinzip der Gegenseitigkeit aktiviert. Der Hersteller kann sich damit die natürliche Hebelwirkung des Geschenks zunutze machen, auch wenn er vordergründig lediglich zu informieren scheint.

In einem Süßwarenladen in Südkalifornien untersuchten Wissenschaftler das Kaufverhalten von Kunden, die beim Betreten des Geschäfts ein Geschenk erhielten, und verglichen es mit dem Verhalten anderer, die nichts bekamen. Die Beschenkten kauften 42 Prozent häufiger als die übrigen Kunden. Es könnte natürlich sein, dass ihr Kaufverhalten nicht dem Prinzip der Gegenseitigkeit geschuldet ist. Vielleicht schmeckte ihnen ja das, was sie zur Probe erhalten hatten, so gut, dass sie etwas davon kaufen wollten. Doch die Beschenkten kauften nicht nur von dem Produkt, das sie probiert hatten, sondern auch von anderen Süßigkeiten. Selbst wenn ihnen die Gratisprobe nicht sonderlich gemundet hatte, fühlten sie sich dennoch verpflichtet, die Gefälligkeit zu erwidern und irgendetwas zu kaufen.

In Supermärkten werden Gratisproben besonders gern verteilt. Vielen Kunden fällt es schwer, ein Häppchen von einem lächelnden Verkäufer anzunehmen, zu probieren, den Zahnstocher oder Becher zurückzugeben und dann einfach weiterzugehen. Also kaufen sie etwas von dem Produkt, auch wenn es ihnen gar nicht sonderlich geschmeckt hat. Die Zahlen der Einzelhandelskette Costco zeigen, dass Produkte von Bier über Käse und Pizza bis hin zu Lippenstiften enorm von Gratisproben profitieren und dass die Zuwächse fast ausschließlich auf das Konto von Kunden gehen, die die Probe angenommen haben. In seinem Klassiker Die geheimen Verführer (1957) schildert Vance Packard eine besonders wirkungsvolle Variante dieser Verkaufstechnik: Eine Supermarktkette aus Indiana verkaufte innerhalb weniger Stunden eine halbe Tonne Käse, indem sie den Käse aufbaute und die Kunden einlud, sich ein kostenloses Stückchen abzuschneiden.

© Alan Carey/The Image Works

Abb. 2.2: Buenos nachos

Einige Lebensmittelkonzerne warten nicht mal mehr so lange, bis die Menschen den Laden betreten haben, um ihnen ihre Gratisproben anzubieten.

E-Box 2.2

Anmerkung des Autors: In diesem Onlineangebot zeigen sich zwei Gründe für die Wirkung der Gratisprobe: Erstens können sich Leser mithilfe des Gratiskapitels einen besseren Eindruck von diesem Buch verschaffen, und zweitens handelt es sich um ein Geschenk, das in den Lesern das Bedürfnis wecken könnte, es zu erwidern. Wie es der Zufall will, kenne ich den Autor, und als ich ihn nach seinen Motiven für diese Anzeige fragte, erklärte er, es gehe ihm natürlich ausschließlich um Ersteres. Im Grunde ist er ein aufrichtiger Kerl, aber als Psychologe weiß ich, dass wir oft das glauben, was uns am besten in den Kram passt. Deswegen habe ich so meine Zweifel.

Amway, ein Hersteller und Direktverkäufer von Reinigungsmitteln und Hygieneprodukten, verwendet eine andere Spielart der Gratisprobe in seinem Direktvertrieb. Das Unternehmen, das als Garagenladen begann und inzwischen zu einem internationalen Konzern mit einem Jahresumsatz von 8,8 Milliarden Dollar geworden ist, arbeitet mit einem ganzen Korb von Amway-Produkten – Möbelpolitur, Waschmittel, Shampoo, Deo, Insektenspray, Fensterreiniger etc. –, die den Kunden mit einer eigenen Kiste oder Tasche ins Haus gebracht werden. Das vertrauliche Amway-Handbuch weist die Verkäufer an, diesen Korb »24, 48 oder 72 Stunden bei den Kunden zu lassen, kostenlos und ganz und gar unverbindlich. Sagen Sie ihnen lediglich, Sie möchten, dass sie die Produkte ausprobieren … Es ist ein Angebot, das sie nicht ausschlagen können.« Nach der Probezeit sollen die Verkäufer die Kunden aufsuchen, um ihre Bestellung aufzunehmen. Da die wenigsten Kunden innerhalb so kurzer Zeit auch nur eines der Produkte aufgebraucht haben, können die Verkäufer den Korb zum Kunden nebenan mitnehmen und das Spiel von vorn anfangen. Viele Amway-Mitarbeiter haben mehrere Körbe, die gleichzeitig durch ihren Verkaufsbezirk zirkulieren.

Natürlich ahnen Sie inzwischen, dass die Kunden, die den Korb angenommen und einige der Produkte ausprobiert haben, in die Falle der Gegenseitigkeit getappt sind. Aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus bestellen sie Produkte, die sie angebrochen und teilweise aufgebraucht haben, und natürlich weiß man das auch bei Amway. Selbst in einem derart erfolgreichen Unternehmen wie Amway hat der Korb ordentlich Wellen geschlagen. Bezirksleiter berichten der Zentrale vom enormen Erfolg:

Unglaublich! Wir haben noch nie eine derartige Aufregung erlebt! Die Produkte verkaufen sich rasant, und wir haben gerade erst damit angefangen. Regionale Verkäufer haben mit dem Korb unglaubliche Verkaufssteigerungen erzielt. (Ein Vertriebsleiter aus Illinois)

Die beste Verkaufsidee aller Zeiten! Im Durchschnitt bestellen die Kunden etwa die Hälfte des Korbs, wenn er abgeholt wird. Mit einem Wort: gigantisch! Eine derartige Reaktion hat das Unternehmen noch nie erlebt! (Ein Vertriebsleiter aus Massachusetts)

Die Amway-Verkäufer staunten über die verblüffende Wirkung des Korbs. Sie und ich sollten sich inzwischen jedoch nicht mehr darüber wundern.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit bestimmt auch viele zwischenmenschliche Situationen, in denen es nicht um Geld und Geschäfte geht. Interessant ist hier die Geschichte einer Frau, die ihr Leben rettete, indem sie ein Geschenk und die damit einhergehende Verpflichtung nicht annahm, sondern ausschlug. Im November 1978 rief Sektenführer Jim Jones die Angehörigen seiner Sekte in Jonestown, Guyana, zum Massenselbstmord auf, woraufhin die meisten der Anwesenden eine vergiftete Limonade tranken und starben. Diane Louie widersetzte sich der Aufforderung und flüchtete aus der Siedlung in den Urwald. Später erklärte sie sich das damit, dass sie bereits früher, als sie krank gewesen war, Gefälligkeiten von Jones ausgeschlagen hatte. »Ich habe gewusst, wenn er mir diese Privilegien gegeben hätte, hätte er mich in der Hand gehabt. Aber ich wollte ihm nichts schuldig sein.« Vielleicht hatte sie sich das 2. Buch Mose zu sehr zu Herzen genommen, wo es heißt: »Du sollst dich nicht durch Geschenke bestechen lassen; denn Geschenke machen die Sehenden blind und verdrehen die Sache derer, die im Recht sind.« 7

Persönliche Geschenke

Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist stark, doch es lässt sich noch weiter verstärken: indem das Geschenk auf die Bedürfnisse oder Vorlieben des Empfängers zugeschnitten und damit persönlich gemacht wird. Eine befreundete Unternehmensberaterin erzählte mir, wenn sie einem für seine schlechte Zahlungsmoral bekannten Kunden eine Rechnung schicke, lege sie ihm immer ein persönliches Geschenk bei. Der Mann sei in der Branche berüchtigt, weil er sich mit der Zahlung bis zu sechs Monate Zeit lasse, doch seit sie ihm kleine Geschenke mitschicke – hochwertiges Schreibpapier, Pralinen oder einen Geschenkgutschein –, zahle er doppelt so schnell. Unlängst habe sie dann eine Postkarte aus einem Kunstmuseum beigelegt, auf der ein Kunstwerk zu sehen war, wie es der Mann selbst sammelt. Seither bezahle er seine Rechnungen postwendend. Kollegen sind beeindruckt und wollen wissen, wie sie das anstellt, doch sie behält ihr Geheimnis lieber für sich.

Um die Wirkung eines Geschenks zu steigern, kann man es nicht nur auf die Vorlieben, sondern auch auf die aktuellen Bedürfnisse des Empfängers zuschneiden. In einem Fast-Food-Restaurant durchgeführte Untersuchungen zeigen, wie wirkungsvoll dies sein kann. Einige der Gäste wurden beim Betreten des Restaurants persönlich begrüßt, andere erhielten zusätzlich einen hübschen Schlüsselanhänger. Diejenigen, die das Geschenk erhalten hatten, gaben 12 Prozent mehr aus, ganz wie vom Prinzip der Gegenseitigkeit vorhergesehen. Eine dritte Gruppe erhielt neben der freundlichen Begrüßung einen kleinen Joghurt. Obwohl der Joghurt genauso viel wert war wie der Schlüsselanhänger, war er noch wirkungsvoller und brachte die Kunden dazu, 24 Prozent mehr auszugeben. Warum? Weil die Gäste das Restaurant mit dem Bedürfnis nach Essen betraten und das Geschenk ihrem Bedürfnis entsprach.

Vor einigen Jahren schickte mir mein Kollege Brian Ahearn einen Artikel aus einem Verkaufsmagazin, in dem der Manager einer internationalen Hotelkette ganz erstaunt über die Ergebnisse eines teuren neuen Programms der Kette berichtete, das den Gästen einen reibungslosen Aufenthalt gewährleisten sollte. Nicht etwa diejenigen Gäste waren die zufriedensten und treusten, deren Aufenthalt reibungslos verlief, sondern diejenigen, die eine Panne erlebt hatten, derer sich die Mitarbeiter sofort angenommen hatten. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Zum einen könnten die Gäste, die Zeuge der effizienten Reaktion der Mitarbeiter wurden, die Gewissheit mitnehmen, dass die Organisation auch in Zukunft gut funktionieren wird. Das bezweifle ich nicht, doch ich glaube, dass noch etwas anderes im Spiel ist: Die Reaktion könnte von den Gästen als »besondere und persönliche Dienstleistung« des Hotels wahrgenommen worden sein. Dem Prinzip der Gegenseitigkeit zufolge hat damit auch das Hotel Anspruch auf etwas Besonderes, und zwar in Form einer besseren Bewertung und Treue.

In Vorträgen vor Unternehmern schildere ich gern die Verblüffung des Hotelmanagers und meine Erklärung dafür. Auf einer dieser Veranstaltungen bestätigte sich meine Erklärung, als der Direktor des Tagungshotels aufstand und einen Vorfall schildert, der sich wenige Stunden zuvor ereignet hatte. Eine Besucherin wollte mit ihren beiden Kindern Tennis spielen, doch die Kinderschläger des Hotels waren gerade an andere Gäste verliehen. Also schickte der Direktor einen Mitarbeiter in ein Sportgeschäft vor Ort, um zwei weitere Schläger zu kaufen und sie der Mutter 20 Minuten nach ihrer Enttäuschung zu überreichen. Später suchte die Frau den Direktor in seinem Büro auf und sagte: »Ich habe gerade die gesamte Großfamilie für das Wochenende des 4. Juli hier eingebucht, weil Sie so großzügig waren.«

Wenn das Hotel die beiden Schläger vorrätig gehabt und so der Frau einen reibungslosen Ablauf ermöglicht hätte, dann hätte diese das nicht als Geschenk oder besondere Dienstleistung wahrgenommen, die besondere Dankbarkeit oder Treue in Form einer weiteren Buchung verdient hätte. Bei ihrer Beurteilung des Hotels hätte sie sich nicht einmal an die Schläger erinnert. Interessant, oder?

Durch die Personalisierung wird die Reaktion auf eine Panne als persönliches Geschenk wahrgenommen. Damit kommt der Hebel der Gegenseitigkeit ins Spiel, und das wiederum erklärt, warum ausgerechnet eine Panne zu mehr Zufriedenheit und Treue führen kann. Ein von vornherein reibungsfreier Ablauf wird also weniger erfreulich wahrgenommen als einer, der von einer Reibung befreit wird. 8

Das Prinzip schafft unerwünschte Verpflichtungen

Wir haben schon angesprochen, dass uns dank der Hebelwirkung der Gegenseitigkeit auch unbekannte, unliebsame oder unerwünschte Menschen durch Gefälligkeiten dazu bringen können, ihren Wünschen zu entsprechen. Das hängt mit einem weiteren Aspekt des Prinzips zusammen. Andere können in uns ein Gefühl der Verpflichtung wecken, indem sie uns ungefragt einen Gefallen tun. Das Prinzip besagt schließlich nur, dass wir nach einer Gefälligkeit in der Schuld des anderen stehen, aber nicht, dass wir die erhaltene Gefälligkeit auch selbst erbeten haben. So berichtet beispielsweise eine amerikanische Veteranenvereinigung, dass ein einfaches Anschreiben mit der Bitte um Spenden eine Erfolgsquote von etwa 18 Prozent hat. Wird dem Anschreiben jedoch ein nicht erbetenes Geschenk beigelegt (zum Beispiel gedruckte Adressaufkleber), ist die Erfolgsquote mit 35 Prozent fast doppelt so hoch. Wenn wir selbst um den Gefallen gebeten haben, sehen wir uns zwar oft noch stärker in der Schuld, doch dieses Gefühl kann auch bei Gefälligkeiten entstehen, die wir nicht erbeten haben.

Wenn wir uns die soziale Funktion des Prinzips der Gegenseitigkeit ansehen, verstehen wir auch, warum das so ist. Es dient nämlich dazu, den Aufbau wechselseitiger Beziehungen zwischen Menschen zu fördern, weshalb ein Mensch eine solche Beziehung anstoßen kann, ohne befürchten zu müssen, dadurch etwas zu verlieren. Wenn das Prinzip seinen Zweck erfüllen soll, muss auch eine nicht erbetene erste Gefälligkeit in der Lage sein, eine Verpflichtung zu schaffen. Da die Kultur von wechselseitigen Beziehungen profitiert, übt sie erheblichen Druck aus, um zu gewährleisten, dass das Gebot tatsächlich funktioniert. Nicht umsonst sagt der französische Anthropologe Marcel Mauss, der sich mit dem sozialen Druck des Gebens beschäftigte, dass wir die Verpflichtung haben, Geschenke zu machen, anzunehmen und zu erwidern.

Die Verpflichtung, eine Gefälligkeit zu erwidern, ist zwar das Kernstück des Prinzips der Gegenseitigkeit, doch wenn sich dieses Gebot so einfach ausnutzen lässt, dann liegt das an der Verpflichtung, eine Gefälligkeit anzunehmen. Wenn wir eine Gefälligkeit annehmen müssen, haben wir weniger Einfluss darauf, in wessen Schuld wir stehen, und das gibt den anderen den Hebel in die Hand. Um zu verstehen, wie das funktioniert, kommen wir noch einmal zurück auf eines unserer früheren Beispiele. Im Regan-Experiment hatten die Teilnehmer Joes Gefälligkeit, die sie zum Kauf von Losen veranlasste, nicht erbeten. Joe hatte den Raum verlassen und war mit einer Flasche Cola für sich und seinen Mitstreiter zurückgekehrt. Kein einziger Teilnehmer lehnte das Geschenk ab. Das wäre ja auch peinlich gewesen: Joe hatte Geld ausgegeben, ein Getränk war in dieser Situation eine angemessene Gefälligkeit, zumal Joe auch eines für sich gekauft hatte, und schließlich wäre es unhöflich gewesen, Joes aufmerksame Geste zurückzuweisen. Trotzdem weckte die Annahme des Geschenks ein Gefühl der Verpflichtung, was in dem Moment klar wurde, in dem Joe seine Lose aus der Tasche zog. Beachten Sie die Asymmetrie: Der Einzige, der in dieser Situation freie Entscheidungen traf, war Joe. Er wählte die erste Gefälligkeit, und er wählte die Form der Erwiderung. Man könnte jetzt sagen, dass die Versuchsteilnehmer beide Male die Möglichkeit hatten, Joes Angebot zurückzuweisen, doch das wäre sehr schwer gewesen. Hätten die Versuchsteilnehmer abgelehnt, hätten sie gegen den kulturellen Strom der Gegenseitigkeit anschwimmen müssen.

Natürlich hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass auch unerbetene Gefälligkeiten ein Gefühl der Verpflichtung erzeugen. Wie oft bekommen wir nicht mit der Post kleine Geschenke – personalisierte Adressaufkleber, Postkarten oder Schlüsselanhänger – von gemeinnützigen Organisationen, die im Begleitbrief um Spenden bitten? Allein im vergangenen Jahr habe ich fünf solcher Briefe bekommen, von Veteranenvereinigungen, Waisenhäusern und Kliniken. In den Begleitbriefen stand immer das Gleiche: Die Beigaben seien ein Geschenk der Organisation, und eine Spende solle nicht als Bezahlung verstanden werden, sondern als Gegengeschenk. Im Anschreiben des Waisenhauses stand, man habe die Postkarten nicht beigelegt, damit ich sie bezahle, sondern um meine »Großzügigkeit anzuregen«. Es ist klar, warum ich die Karten als Geschenk betrachten soll und nicht als Ware: Unerwünschte Produkte müssen wir nicht kaufen, aber wir stehen unter großem sozialem Druck, selbst unerwünschte Werbegeschenke zu erwidern. 9

Erfahrungsbericht 2.3

Von einem Studenten

Als ich voriges Jahr zu Thanksgiving von der Uni nach Hause gefahren bin, habe ich den Hebel der Gegenseitigkeit am eigenen Leib gespürt. Ich hatte eine Reifenpanne, und eine Krankenschwester bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Obwohl ich ihr mehrmals sagte, dass ich vierzig Kilometer in der Gegenrichtung wohnte, bestand sie darauf, mir zu helfen, und wollte auch kein Geld annehmen. Aufgrund dieser Weigerung fühlte ich mich ausgesprochen unwohl.

In den nächsten Tagen übertrug sich diese Unruhe auch auf meine Eltern. Das Prinzip der Gegenseitigkeit und das Unwohlsein, das eine nicht erwiderte Gefälligkeit auslöst, verursachten eine gewisse Neurose. Wir versuchten die Frau ausfindig zu machen, um ihr Blumen zu schicken, doch ohne Erfolg. Ich glaube, wenn wir sie gefunden hätten, dann hätten wir ihr jeden Wunsch erfüllt. Aber weil wir keine Möglichkeit hatten, die Gefälligkeit zu erwidern, wählte meine Mutter den einzigen Ausweg, den sie noch sah: Beim Essen an Thanksgiving schloss sie die Frau in unser Gebet ein und bat Gott, ihr die Gefälligkeit zu vergelten.

Anmerkung des Autors: Diese Anekdote zeigt nicht nur, dass unerbetene Gefälligkeiten das Prinzip der Gegenseitigkeit auslösen, sondern sie sagt auch etwas über die Verpflichtungen aus, die mit diesem Gebot einhergehen: Sie bleiben nicht auf die Personen beschränkt, die am ursprünglichen Austausch beteiligt waren, sondern beziehen auch Angehörige ihrer jeweiligen Gruppen mit ein. Die Familie des Studenten fühlte sich ebenfalls in der Schuld, und wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie diese auch mit einer Gegenleistung für die Angehörigen der Krankenschwester begleichen können (siehe Goldstein u. a., 2007). Untersuchungen zeigen außerdem, dass diese gruppenbasierte Gegenseitigkeit auch Misshandlung einschließt: Wenn uns der Angehörige einer Gruppe Schaden zufügt und wir keine Vergeltung an diesem üben können, nehmen wir unsere Rache eben an einem anderen Angehörigen derselben Gruppe (siehe Hugh-Jones, Ron und Zultan, 2019).

Asymmetrische Erwiderungen

Das Prinzip der Gegenseitigkeit hat eine weitere Eigenschaft, die sich ausnutzen lässt. Eigentlich sollte es zwar den gleichen Austausch zwischen Partnern ermöglichen, doch es lässt sich auch verwenden, um entschieden ungleiche Ergebnisse hervorzubringen. Das Gebot verlangt, dass eine Handlung mit einer ähnlichen beglichen wird: Auf eine Gefälligkeit folgt eine Gegengefälligkeit, aber kein Vergessen und schon gar kein Angriff – allerdings sind die Spielräume groß. Eine kleinere erste Gefälligkeit kann das Gefühl bewirken, zu einer erheblich größeren Erwiderung verpflichtet zu sein. Da das Gebot einem Beteiligten gestattet, die erste Gefälligkeit und die Form der Erwiderung zu wählen, können uns Menschen, die es auszunutzen wissen, leicht manipulieren, in einen unfairen Austausch einzuwilligen.

Ein Beleg ist erneut das Experiment von Dennis Regan. Erinnern wir uns, dass Joe einigen Teilnehmern eine Flasche Cola mitbrachte und sie dann bat, ihm Lose zum Preis von 25 Cent abzukaufen. Die Untersuchung wurde in den 1960er-Jahren durchgeführt, als eine Flasche Cola 10 Cent kostete. Die Versuchsteilnehmer, denen er die Cola mitgebracht hatte, kauften ihm durchschnittlich zwei Lose ab, einige kauften bis zu sieben. Joe machte also ein gutes Geschäft – seine Investition brachte eine Rendite von 500 Prozent!

In Joes Fall entsprechen 500 Prozent allerdings gerade einmal 50 Cent. Bleibt die Frage: Kann das Prinzip der Gegenseitigkeit wirklich große Unterschiede zwischen einer Gefälligkeit und ihrer Erwiderung bewirken? Unter den richtigen Umständen sehr wohl. So machte zum Beispiel eine meiner Studentinnen eine Erfahrung, an die sie sich nur ungern erinnerte:

Vor etwa einem Jahr wollte mein Auto nicht anspringen. Während ich auf dem Parkplatz gestanden und verzweifelt den Schlüssel gedreht habe, ist ein Mann gekommen und hat es schließlich geschafft, den Wagen wieder zum Laufen zu bringen. Ich habe mich bedankt, und er ist gegangen; ich habe ihm noch nachgerufen, er solle sich an mich wenden, wenn er mal was brauche. Einen Monat später hat der Mann dann bei mir geklingelt und mich gefragt, ob ich ihm mal für zwei Stunden mein Auto leihen könne, weil seines in der Werkstatt war. Ich habe mich ihm gegenüber verpflichtet gefühlt, aber ich war mir auch unsicher, denn das Auto war neu, und er hat ziemlich jung ausgesehen. Später habe ich herausgefunden, dass er noch keine achtzehn war und keine Versicherung hatte. Jedenfalls habe ich ihm das Auto geliehen, und er hat es zu Schrott gefahren.

Wie kam eine intelligente junge Frau dazu, einem wildfremden Menschen ihr neues Auto zu leihen, weil er ihr einen Monat zuvor einen kleinen Gefallen getan hatte? Oder allgemeiner gefragt, wie kann es sein, dass eine relativ kleine erste Gefälligkeit oft mit einer deutlich größeren Gegenleistung erwidert wird? Die meisten von uns empfinden es als hochgradig unangenehm, in der Schuld eines anderen Menschen zu stehen. Es ist eine Bürde, die wir gern ablegen würden. Die Gründe sind nicht schwer nachzuvollziehen. Weil gegenseitige Verpflichtungen in menschlichen Gesellschaftssystemen eine derart zentrale Rolle spielen, haben wir gelernt, uns unwohl zu fühlen, wenn wir bei anderen in der Kreide stehen. Würden wir die Notwendigkeit übergehen, eine Gefälligkeit zu erwidern, würden wir die Kette der Gegenseitigkeit zerreißen, und unser Wohltäter würde es sich in Zukunft zweimal überlegen, ob er uns noch einmal hilft. Das ist nicht im Interesse der Gesellschaft. Folglich werden wir von Kindesbeinen an konditioniert, emotional unter der Last von Verpflichtungen zu leiden. Das ist der einzige Grund, eine Gefälligkeit mit einer größeren zu erwidern: Wir wollen uns von der psychischen Last der Schuld befreien. Ein japanisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: »Nichts ist teurer als etwas, was nichts kostet.«

© Mark Parisi/offthemark.com

Abb. 2.3: Das Geschäft mit dem schlechten Gewissen

Selbst die geizigsten Menschen spüren das Gebot der Gegenseitigkeit. Kellner können das Prinzip aber auch nutzen, um Gäste zu großzügigeren Trinkgeldern zu animieren. Eine Studie ergab, dass Kellner, die den Gästen die Rechnung mit einem Bonbon präsentieren, ihre Trinkgeldeinnahmen um 3,3 Prozent steigern, und wenn sie pro Gast zwei Bonbons aufs Tablett legen, steigt das Trinkgeld sogar um 14 Prozent (Strohmetz u. a., 2002).

Es gibt aber noch einen weiteren Grund. Wer gegen das Prinzip der Gegenseitigkeit verstößt und von anderen nimmt, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, etwas zurückzugeben, der macht sich in der Gruppe nicht beliebt. Ausgenommen sind lediglich Menschen, die durch ihre Umstände oder Fähigkeiten daran gehindert werden. In allen anderen Fällen reagieren wir mit entschiedener Abneigung auf alle, die sich nicht an das Gebot der Gegenseitigkeit halten. Wir bezeichnen sie als Schnorrer, Schmarotzer oder Nassauer und gehen ihnen nach Möglichkeit aus dem Weg. Sie sind derart unbeliebt, dass andere sogar zu einem ungleichen Austausch mit ihnen bereit sind, nur um nichts mehr mit ihnen zu tun zu haben.

Dieses Zusammenspiel aus innerem Unbehagen und der möglichen äußeren Beschämung kann eine schwere psychische Bürde sein. Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir im Namen der Gegenseitigkeit mehr zurückgeben, als wir erhalten haben. Genauso wenig verwundert es, dass wir selbst in Notlagen oft keine Gefälligkeiten erbitten, weil wir fürchten, dass wir sie nicht erwidern können. Der psychische Preis könnte größer sein als der materielle Nutzen.

Die Furcht vor anderen Formen des Verlusts könnte uns außerdem dazu bewegen, bestimmte Geschenke und Vergünstigungen auszuschlagen. Frauen berichten oft von dem unguten Gefühl der Verpflichtung, wenn sie von einem Mann ein teures Geschenk erhalten oder zum Essen eingeladen werden. Dieses Gefühl kann schon ein relativ billiges Getränk erzeugen. Eine meiner Studentinnen brachte dies in einem Aufsatz zum Ausdruck: »Nach einigen schlechten Erfahrungen lasse ich mir von Männern, die ich in einem Klub kennenlerne, keine Getränke mehr spendieren, weil ich nicht möchte, dass einer von uns beiden meint, ich sei ihm zu Dank in Form von sexuellen Handlungen verpflichtet.« Diese Befürchtung ist nicht unbegründet, wie Untersuchungen zeigen. Wenn die Frau ihre Getränke nicht selbst bezahlt, sondern sich einladen lässt, dann kommen andere (Männer wie Frauen) zu dem Schluss, dass sie sexuell verfügbarer für ihn ist.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit trifft auf die meisten Beziehungen zu. In langfristigen Beziehungen wie Familien oder Freundschaften ist sie in ihrer Reinform – als gleichberechtigter Austausch von Geschenken oder Gefälligkeiten – allerdings weder nötig noch wünschenswert. In diesen »Gemeinschaften« ist etwas anderes gegenseitig, nämlich die Bereitschaft, dem anderen das zu geben, was er oder sie braucht, wann immer er oder sie es braucht. In dieser Form der Gegenseitigkeit müssen wir nicht mehr nachrechnen, wer mehr oder weniger gegeben hat, vorausgesetzt, alle Beteiligten halten sich an das allgemeine Gebot. 10

Erfahrungsbericht 2.4

Von einem Amerikaner in Australien

Wir sind vor einiger Zeit nach Australien ausgewandert. Meiner fünfjährigen Tochter ist es schwergefallen, sich an die neue Kultur zu gewöhnen und neue Freunde zu finden. Als ich neulich mit ihr und meiner Frau einen Spaziergang durch unser Viertel unternahm, versuchte sie, »Geschenke« in die Briefkästen der Nachbarn zu werfen. Es waren Zeichnungen mit Wachsmalkreide, die sie zu einem Brief gefaltet hatte. Ich fand das harmlos und hatte eher Sorgen, dass sich die Nachbarn ärgern könnten. Ich hatte Angst, wir könnten als die »heimlichen Briefkastenverschmutzer« bekannt werden. Dann sind allerdings ein paar komische Sachen passiert. In unserem Briefkasten haben wir Karten gefunden – gekaufte Grußkarten, die pro Stück zwischen 3 und 5 Dollar gekostet haben müssen. Es folgten Süßigkeiten und Spielsachen. Wenn ich nicht gerade Ihr Buch gelesen hätte, wäre ich nie darauf gekommen, was dahintersteckt – die Macht der Gegenseitigkeit ist unglaublich. Inzwischen hat sie Freunde, mit denen sie jeden Tag im Park gegenüber spielt.

Anmerkung des Autors: Mir gefällt diese Geschichte, weil sie mehrere Aspekte des Prinzips der Gegenseitigkeit demonstriert – sie kann ungleiche Formen des Austauschs anstoßen und dauerhafte soziale Beziehungen stiften, mehr noch: Schon kleine Kinder erkennen darin eine Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen.

GEGENSEITIGE ZUGESTÄNDNISSE

Es gibt eine weitere Möglichkeit, das Prinzip der Gegenseitigkeit als Einflusshebel zu nutzen. Diese Methode ist subtiler, doch in vielerlei Hinsicht effektiver als der direkte Weg, über eine Gefälligkeit eine Gegenleistung zu erzwingen. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie gut diese Methode funktioniert.

Vor ein paar Jahren sprach mich auf der Straße ein elf- oder zwölfjähriger Steppke an. Er stellte sich vor und sagte, er verkaufe Eintrittskarten für den jährlichen Zirkus der Pfadfinder, der am folgenden Samstag stattfinde. Die Karten sollten 5 Dollar kosten. Ich lehnte ab. »Gut«, erwiderte er. »Wenn Sie keine Eintrittskarte wollen, möchten Sie mir vielleicht ein paar Schokoriegel abkaufen? Sie kosten einen Dollar das Stück.« Also kaufte ich ihm zwei Schokoriegel ab. In diesem Moment wurde mir klar, dass hier etwas Hochinteressantes passiert war. Das wusste ich, weil ich a) keine Schokoriegel mag, b) Dollar mag, c) nun zwei seiner Schokoriegel in der Hand hielt, während er d) mit zwei meiner Dollars fortging.

Um mir einen Reim darauf zu machen, was in meinem Austausch mit dem Pfadfinder passiert war, ging ich in mein Büro und rief meine Assistenten zusammen. Im Gespräch wurde uns klar, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit hinter meiner Zustimmung zum Kauf der Schokoriegel stecken musste. Demzufolge hat ein Mensch, der sich uns gegenüber in einer bestimmten Art und Weise verhält, ein Recht auf eine vergleichbare Erwiderung. Wie wir bereits gesehen haben, ergibt sich aus diesem Gebot unter anderem die Verpflichtung, eine Gefälligkeit zu erwidern. Und weil Nachgeben auch Geben ist, verpflichtet sie uns offenbar auch, Zugeständnisse zu erwidern. Im Gespräch mit meinen Assistenten wurde mir klar, dass mich der Pfadfinder in genau diese Lage gebracht hatte. Seine Aufforderung, seine Schokoriegel für einen Dollar zu kaufen, war eine Art Zugeständnis von seiner Seite: Er präsentierte sie mir als Möglichkeit, aus dem Kauf der Eintrittskarten herauszukommen. Um dem Prinzip der Gegenseitigkeit zu entsprechen, musste ich nun meinerseits ein Zugeständnis machen. Und dieses bestand darin, dass ich von meiner ablehnenden Haltung abrückte und zustimmte, als er von der größeren zur kleineren Bitte wechselte, obwohl ich in Wirklichkeit weder an den Eintrittskarten noch an den Schokoriegeln interessiert war.

Es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Einflusshebel eine Anfrage überzeugender machen kann. Wenn ich mich zum Kauf bewegen ließ, dann nicht deshalb, weil mir das angebotene Objekt gefallen hätte, sondern weil mir der Kauf auf eine Weise präsentiert worden war, die das Gebot der Gegenseitigkeit ausnutzte. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass ich keine Schokoriegel mag: Der Pfadfinder hatte ein Zugeständnis gemacht – Klick & ab –, und ich erwiderte mit einem Zugeständnis. Der Instinkt, ein Zugeständnis zu erwidern, ist nicht so stark, dass er in jeder Situation und bei allen Menschen greift – das schafft keiner der in diesem Buch beschriebenen Hebel. Doch in meinem Austausch mit dem Pfadfinder war er stark genug, dass ich am Ende verblüfft mit zwei Schokoriegeln in der Hand dastand.

Aber warum sollten wir uns verpflichtet fühlen, ein Zugeständnis zu erwidern? Die Antwort ist wieder einmal der Nutzen für die Gesellschaft. Jede menschliche Gruppe hat ein Interesse daran, dass ihre Angehörigen an der Umsetzung gemeinsamer Ziele arbeiten. Doch in vielen sozialen Interaktionen beginnen die Teilnehmer mit Forderungen, die den anderen unannehmbar erscheinen. Daher muss die Gesellschaft dafür sorgen, dass wir unsere anfänglichen nicht zu vereinbarenden Vorstellungen hintanstellen können, um einen für alle sinnvollen Kompromiss zu finden. Das schaffen wir durch Verfahren, die Kompromisse fördern, und dazu gehören auch gegenseitige Zugeständnisse.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit erreicht beiderseitige Zugeständnisse auf zweierlei Weise. Die erste ist offensichtlich: Sie übt Druck auf den Empfänger eines Zugeständnisses aus, sich nun ebenfalls zu bewegen. Die zweite ist weniger offensichtlich, aber entscheidend: Weil der Empfänger zur Erwiderung verpflichtet ist, kann der andere ein erstes Zugeständnis machen und damit den für alle vorteilhaften Prozess des Austauschs anschieben. Wer würde schließlich ein erstes Opfer bringen wollen, wenn es keinerlei soziale Verpflichtung gäbe, ein Zugeständnis zu erwidern? Damit würde man doch das Risiko eingehen, auf etwas zu verzichten und nichts dafür zurückzubekommen! Doch dank dieses Gebots können wir unserem Gegenüber mit einem guten Gefühl das erste Opfer bringen, denn dieser ist verpflichtet, im Gegenzug ebenfalls etwas zu opfern.

Auf Ablehnung folgt Nachgeben

Da die Kompromissfindung dem Gebot der Gegenseitigkeit unterliegt, können wir ein erstes Zugeständnis als Teil einer hochgradig wirksamen Überzeugungstechnik zum Einsatz bringen. Diese einfache Technik könnte man als »Auf Ablehnung folgt Nachgeben« bezeichnen. Nehmen wir an, Sie tragen mir ein Anliegen vor. Um meine Zustimmung wahrscheinlicher zu machen, könnten Sie mir erst ein größeres Anliegen vortragen, das ich vermutlich ablehnen werde. Im zweiten Schritt tragen Sie mir das kleinere Anliegen vor, um das es Ihnen in Wirklichkeit von Anfang an ging. Wenn Sie Ihr Anliegen geschickt vortragen, werde ich Ihre zweite Version als Zugeständnis wahrnehmen und das Bedürfnis verspüren, das Zugeständnis zu erwidern – und zwar mit meiner Zustimmung zu Ihrer zweiten Bitte.

Hatte der Pfadfinder mich auf diese Weise manipuliert, ihm seine Schokoriegel abzukaufen? War das Angebot der Eintrittskarte bloß ein Trick gewesen, um mir die Schokoriegel anzudrehen? Als jemand, der die Pfadfinderabzeichen seiner Kindheit bis heute in hohen Ehren hält, hoffe ich sehr, dass das nicht der Fall war. Aber ob die Abfolge »großes Anliegen – kleines Anliegen« nun geplant war oder nicht, sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Und weil sie funktioniert, wird »Auf Ablehnung folgt Nachgeben« auch ganz gezielt eingesetzt. Als Erstes wollen wir verstehen, wie sich diese Technik als zuverlässige Überzeugungstechnik verwenden lässt. Dann sehen wir uns anhand konkreter Beispiele an, wie sie bereits eingesetzt wird. Und schließlich wenden wir uns einigen weniger bekannten Aspekten zu, die diese Technik zu einer der einflussreichsten Überzeugungsmethoden überhaupt machen.

Als ich nach meinem Erlebnis mit dem Pfadfinder meine Assistenten zusammenrief, um das Geschehene zu verstehen (und das Beweismaterial aufzuessen), hatten wir die Idee zu einem Experiment. Wir wollten überprüfen, wie wirkungsvoll es ist, wenn man nach der Ablehnung eines ersten großen Anliegens zum kleineren, eigentlichen Anliegen kommt. Dabei ging es uns um zweierlei: Erstens wollten wir sehen, ob dieser Kniff nur bei mir funktionierte oder auch bei anderen. In meinem Fall hatte er zwar verfangen, aber ich bin eben auch jemand, der auf alle möglichen Tricks hereinfällt. Wir wollten also wissen, ob diese Technik bei so vielen Menschen funktioniert, dass sie eine nützliche Überzeugungstechnik sein könnte. Wenn ja, dann sollten wir in Zukunft die Augen nach ihr offenhalten.

Und zweitens wollten wir mit dem Experiment herausfinden, wie stark diese Überzeugungstechnik ist. Bringt sie auch bei wirklich großen Anliegen Erfolg? Mit anderen Worten, müssen die kleineren Anliegen, die auf eine Ablehnung folgten, wirklich klein sein? Wenn wir mit unseren Mutmaßungen recht hatten, musste das zweite Anliegen keineswegs klein sein, sondern lediglich kleiner als das erste. Wir vermuteten vielmehr, dass es darauf ankommt, beim Nachgeben vom größeren zum kleineren Anliegen den Eindruck eines Zugeständnisses zu vermitteln. Wenn das stimmte, konnte das zweite Anliegen also objektiv durchaus groß sein – solange es kleiner war als das ursprüngliche, müsste die Methode trotzdem funktionieren.

Nach einigen Überlegungen beschlossen wir, die Technik mit einem Anliegen zu erproben, dem vermutlich nur wenige Menschen zustimmen würden. Getarnt als Mitarbeiter einer »Beratungsstelle für jugendliche Straftäter« sprachen wir Studenten an, die über den Campus gingen, und fragten sie, ob sie bereit wären, jugendliche Straftäter bei einem Ausflug in den Zoo zu begleiten. Wir gingen davon aus, dass kaum jemand bereit wäre, freiwillig und unentgeltlich die Verantwortung für jugendliche Straftäter zu übernehmen. Wie zu erwarten, lehnte die große Mehrheit (83 Prozent) der Angesprochenen ab. Doch als wir die Frage abwandelten, erhielten wir ein ganz anderes Ergebnis. Ehe wir sie fragten, ob sie als Begleitpersonen für einen Ausflug in den Zoo zur Verfügung stünden, trugen wir ihnen ein deutlich größeres Anliegen vor: Wir fragten sie, ob sie bereit wären, zwei Jahre lang zwei Stunden pro Woche Freiwilligenarbeit mit jugendlichen Straftätern zu leisten. Indem wir den Zooausflug als Nachgeben von unserem ursprünglichen Anliegen präsentieren, schoss unsere Erfolgsquote in die Höhe: Mit einem Mal waren dreimal so viele Studenten bereit, die jugendlichen Straftäter in den Zoo zu begleiten.

Sie können wetten, dass eine Strategie, mit der sich die Zustimmung zu einem mit erheblichen Kosten verbundenen Anliegen verdreifachen lässt (in unserem Experiment von 17 auf 50 Prozent), auch im wirklichen Leben zahlreiche Anwender findet. Bei Tarifverhandlungen treten Gewerkschafter zum Beispiel oft mit Maximalforderungen an, deren Durchsetzung sie niemals erwarten würden, um dann nachzugeben und damit der Gegenseite echte Zugeständnisse abzuringen. Man könnte also annehmen, dass diese Taktik umso wirkungsvoller ist, je größer die Ausgangsforderung war, weil dann der Spielraum für vermeintliche Zugeständnisse größer ist. Das trifft allerdings nur sehr bedingt zu. Wenn die Ausgangsforderung derart extrem ist, dass sie als völlig überzogen wahrgenommen wird, dann geht die Taktik nach hinten los, wie Wissenschaftler der israelischen Bar-Ilan-Universität feststellten. In diesem Fall wird die Seite, die mit der Extremforderung antritt, als böswillig wahrgenommen, und ihr folgendes Nachgeben wird nicht als Zugeständnis aufgefasst, weshalb es auch nicht erwidert werden muss. Geschickte Verhandlungsführer werden ihre Ausgangsforderung also nur so weit übertreiben, dass sie Raum für kleinere gegenseitige Zugeständnisse haben und so das erwünschte letzte Angebot der Gegenseite erhalten. 11

Erfahrungsbericht 2.5

Von einem deutschen Softwareentwickler

Nach meinem Studium der Elektrotechnik habe ich vier Jahre lang im Energiesektor gearbeitet. Danach habe ich gekündigt, um meinen Traum wahrzumachen und eine neue Laufbahn als Softwareentwickler zu beginnen. Als Autodidakt fing ich in einem mittelständischen Unternehmen mit zehn Mitarbeitern an. Nach zwei Jahren wollte ich eine Gehaltserhöhung. Es gab nur ein Problem: Der Eigentümer ist bekannt dafür, dass er keine Gehaltserhöhungen gibt. Also bin ich folgendermaßen vorgegangen.

Als Erstes habe ich den Eigentümer vorbereitet, indem ich ihm mitgeteilt habe, wie viele Überstunden ich mache und vor allem, welche Gewinne ich dem Unternehmen bringe. Dann habe ich gesagt: »Ich glaube, ich bin kein durchschnittlicher Mitarbeiter. Ich leiste mehr als ein durchschnittlicher Mitarbeiter und hätte gern das marktübliche Gehalt für jemanden in meiner Position (mein Gehalt war damals 30 Prozent unter dem Durchschnitt). Das wären XXXX Euro im Monat.« Er antwortete schroff: »Nein.« Ich schwieg fünf Sekunden lang, dann sagte ich: »Gut. Könnten Sie mir pro Monat XXX Euro mehr bezahlen und mir einen Tag Homeoffice geben?« Er stimmte zu.

Mir war klar, dass er mir das marktübliche Gehalt nicht zahlen würde. Aber mir ging es um eine spürbare Gehaltserhöhung und einen Tag Homeoffice, um mehr Zeit mit meiner Verlobten verbringen zu können. Ich ging mit zwei Dingen nach Hause: a) einer Gehaltserhöhung von 23 Prozent und b) neuem Spaß an »Auf Ablehnung folgt Nachgeben«.

Anmerkung des Autors: Wie so viele andere Überzeugungsstrategien nutzt auch diese das Kontrastprinzip. Die ursprüngliche Forderung ließ die zweite nicht nur als Zugeständnis erscheinen, sondern auch als deutlich kleiner.

Gegenseitige Zugeständnisse und das Geheimnis von Watergate

Einen Grund für den Erfolg der Taktik »Auf Ablehnung folgt Nachgeben« haben wir bereits kennengelernt: Sie fällt unter das Gebot der Gegenseitigkeit. Doch dass sie so wirkungsvoll ist, hat auch noch andere Gründe. Zum einen hängt sie mit dem in Kapitel 1 erörterten Kontrastprinzip zusammen. Dieses Prinzip erklärt zum Beispiel, warum jemand bereit ist, mehr Geld für einen Pullover auszugeben, wenn er gerade einen Anzug gekauft hat: Nach dem teureren Artikel erscheint der billigere mit einem Mal noch günstiger. Auch die Methode »Auf Ablehnung folgt Nachgeben« macht sich das Kontrastprinzip zunutze, denn das zweite Anliegen wirkt im Vergleich zum ersten noch kleiner. Wenn ich mir 10 Dollar von Ihnen leihen will, kann ich die Bitte kleiner erscheinen lassen, wenn ich Sie erst um 20 Dollar anpumpe. Damit nutze ich gleichzeitig die Hebelwirkung der Gegenseitigkeit und des Kontrastprinzips. Meine zweite Bitte erscheint als Zugeständnis, das erwidert werden muss, und vor allem wirkt die Summe von 10 Dollar kleiner, als wenn ich sofort um sie gebeten hätte.

Das Zusammenspiel von Gegenseitigkeit und Kontrastprinzip ist ein mächtiger Hebel, der in der Sequenz Ablehnung-Nachgeben erstaunliche Wirkung entfalten kann. Es könnte die wahre Erklärung für eine der erstaunlichsten politischen Fehlentscheidungen der jüngeren Geschichte sein: den Einbruch in die Büros der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten im Watergate-Gebäude in Washington, der schließlich den Sturz von Präsident Richard Nixon zur Folge hatte. Als Jeb Stuart Magruder, einer der Beteiligten, von der Festnahme der Einbrecher erfuhr, reagierte er wie vor den Kopf geschlagen: »Wie konnten wir nur so dumm sein?« Eine berechtigte Frage.

Um zu verstehen, wie dumm der Einbruch für die Nixon-Regierung war, wollen wir uns ein paar Tatsachen ansehen:

  • Die Idee stammte von G. Gordon Liddy, der die Spionageaktivitäten des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten (CREEP) leitete. Unter den Angehörigen der Nixon-Regierung galt Liddy als unzuverlässig, es gab Zweifel an seiner psychischen Stabilität und Urteilsfähigkeit.

  • Liddys Vorschlag war kostspielig und verlangte 250000 Dollar in bar, deren Herkunft nicht nachvollziehbar sein durfte.

  • Ende März, als CREEP-Leiter John N. Mitchell und seine Assistenten Magruder und Frederick LaRue dem Einbruch zustimmten, standen die Chancen für Nixons Wiederwahl ausgezeichnet. Der Demokrat Edmund Muskie, der laut Umfragen als Einziger eine Chance auf einen Sieg gegen Nixon hatte, hatte in den Vorwahlen der Demokraten schlecht abgeschnitten, und es sah ganz so aus, als würde mit George McGovern derjenige Demokrat das Rennen machen, der am leichtesten zu besiegen war. Ein Wahlsieg der Republikaner schien sicher.

  • Der Einbruch war eine riskante Operation und verlangte die Mitwirkung und Diskretion von zehn Männern.

  • Die Partei der Demokraten und ihr Vorsitzender Lawrence O’Brien, dessen Büro im Watergate-Gebäude mit dem Einbruch verwanzt werden sollte, verfügte nicht über Informationen, die Nixon genug hätten schaden können. Und an die wären die Demokraten auch nicht gekommen, es sei denn, die Regierung hätte ausgesprochene Dummheiten begangen.

Obwohl also alles gegen dieses Vorhaben sprach, wurde der teure, riskante, sinnlose und möglicherweise fatale Vorschlag eines Mannes mit bekanntermaßen zweifelhaftem Urteilsvermögen angenommen. Wie kam es, dass intelligente und politisch versierte Männer wie Mitchell und Magruder etwas derart Dummes anstellten? Die Antwort könnte eine wenig bekannte Tatsache sein: Der Einbruch in die Watergate-Büros war nicht Liddys erster Vorschlag. Im Gegenteil, es war ein gewaltiges Zugeständnis gegenüber zwei früheren Vorschlägen von wahrhaft gigantischen Ausmaßen. Bei dem ersten, den Liddy zwei Monate zuvor in einem Treffen mit Mitchell, Magruder und John Dean vortrug, handelte es sich um eine Operation, die eine Million gekostet hätte und (neben der Verwanzung der Watergate-Büros) ein Spionageflugzeug, Einbrüche, Entführungen und Überfälle sowie eine Yacht mit »erstklassigen Callgirls« zur Erpressung demokratischer Politiker vorsah. Eine Woche später trug Liddy demselben Gremium einen zusammengestrichenen Plan vor, der nur noch 500000 Dollar kosten sollte. Nachdem diese beiden ersten Vorschläge abgelehnt worden waren, legte er Mitchell, Magruder und diesmal LaRue seinen auf 250000 Dollar abgespeckten Plan vor. Der Plan war kaum weniger hirnrissig als seine Vorgänger, doch diesmal wurde er genehmigt.

© Dennis the Menace/Hank Ketcham und Field Enterprises; Foto von G. Gordon Liddy: UPI

Abb. 2.4: Gordon und Dennis

Ob verschiedene Zwecke dasselbe Mittel heiligen? Man könnte es fast meinen.

Könnte es sein, dass sich John Mitchell, ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, genauso leicht und mit derselben Taktik zu einem schlechten Geschäft verführen ließ wie ich, ein leichtgläubiger Einfaltspinsel – ich von einem Pfadfinder, der Schokoriegel verkaufte, und er von einem Hasardeur, der in politischen Katastrophen handelte?

Die Aussage von Magruder, die unter Watergate-Ermittlern als die zuverlässigste Darstellung des entscheidenden Gesprächs mit Liddy gilt, gibt aufschlussreiche Hinweise. In seinem Buch An American Life (1974) berichtet er: »Niemand war besonders angetan von dem Projekt.« Doch »nachdem er mit der riesigen Summe von 1 Million Dollar begonnen hatte, schienen die 250000 Dollar ein akzeptabler Betrag zu sein (…) Wir wollten ihn nicht mit leeren Händen wegschicken.« Mitchell hatte das Gefühl, »dass wir Liddy wenigstens ein bisschen was lassen sollten«. Er »segnete es ab, im Sinne von: ›Geben wir ihm halt eine Viertelmillion und sehen uns an, was er findet.‹« Neben Liddys ersten Forderungen schien die Viertelmillion nur noch »ein bisschen was«, ein sinnvolles Zugeständnis. Magruders rückblickende Beschreibung von Liddys Vorgehen ist eine der besten Schilderungen der Taktik »Auf Ablehnung folgt Nachgeben«, die ich kenne: »Wenn er gleich zu uns gekommen wäre und gesagt hätte: ›Ich will in das Büro von Larry O’Brien einbrechen und es verwanzen‹, dann hätten wir das vermutlich sofort abgelehnt. Stattdessen kam er mit diesem komplizierten Plan aus Callgirls, Entführungen, Überfällen, Sabotage und Spionage. (…) Er hatte einen riesigen Packen verlangt, aber er war schon zufrieden, wenn er nur die Hälfte oder ein Viertel bekam.«

Genauso bemerkenswert ist, dass sich nur LaRue gegen den Plan aussprach, auch wenn er später einlenkte. Mit gesundem Menschenverstand kam er zu dem offensichtlichen Schluss: »Das ist das Risiko nicht wert.« Er muss sich gewundert haben, warum seine Kollegen Mitchell und Magruder das nicht genauso sahen wie er. Natürlich könnte es viele Gründe geben, warum LaRue das Vorhaben Liddys anders einschätzte als seine beiden Kollegen, aber eines fällt auf: Von den dreien hatte nur LaRue nicht an den früheren Gesprächen teilgenommen, in denen Liddy seine noch ambitionierteren Pläne entrollt hatte. Vielleicht war LaRue nur deshalb in der Lage, den dritten Vorschlag objektiv als die Dummheit zu sehen, die er war, während die beiden anderen unter dem Einfluss der Gegenseitigkeit und des Kontrastprinzips standen.

Kopf und Zahl gewinnen

Oben habe ich erwähnt, dass die Taktik »Auf Ablehnung folgt Nachgeben« zwei verstärkende Faktoren hat. Den ersten, das Kontrastprinzip, haben wir bereits erörtert. Bei dem zweiten Faktor handelt es sich nicht um ein psychologisches Prinzip; er ergibt sich vielmehr eher aus der Abfolge, in der das Anliegen vorgetragen wird. Nehmen wir noch einmal an, dass ich mir 10 Dollar von Ihnen borgen möchte. Wenn ich mit 20 Dollar anfange, kann ich eigentlich nicht verlieren. Wenn Sie zustimmen, habe ich doppelt so viel, wie ich eigentlich will. Und wenn Sie ablehnen, kann ich nachgeben und Sie um die 10 Dollar bitten, die ich eigentlich haben will, und verbessere durch die Wirkung der Gegenseitigkeit und des Kontrastprinzips meine Erfolgsaussichten. So oder so profitiere ich: Wenn die Münze auf Kopf fällt, gewinne ich, und wenn Zahl kommt, verlieren Sie.

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