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Jeden Tag gehörst du mir

Als Buch hier erhältlich:

Kate liebt ihre Freiheit. Sie hat den attraktiven Irish Look: lange glatte dunkle Haare, helle Haut, dunkle Augen. Die Achtundzwanzigjährige will das Leben in vollen Zügen genießen. Sie mag Stockton Heath, ihren Heimatort in der Nähe von Manchester. Bis die Freiheit vorbei und die Kleinstadt kein Zuhause mehr ist, weil die Angst um sich greift. Ein Mörder geht um, der Frauen tötet. Frauen, die eines gemeinsam haben: Alle sehen auf erschreckende Art aus wie Kate.

"Es ist schwierig, nach der Lektüre, wenn die Lichter aus sind, einzuschlafen."
Evening Standard


  • Erscheinungstag: 13.11.2017
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959677400
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG: THE FAB FOUR

Früher waren sie zu viert gewesen.

Kate, May, Gemma und Beth.

Irgendwann hatten ihre Eltern begonnen, sie The Fab Four zu nennen, weil sie immer im Quartett auftraten, genau wie die Beatles. Wobei der Spitzname vielleicht auch ein wenig damit zu tun hatte, dass sie sich damals so verdammt fabelhaft vorgekommen waren. Sie hatten das ganze Leben noch vor sich. Was sollte schon schiefgehen?

Vier beste Freundinnen. Unzertrennlich seit dem ersten Vorschultag. Alles hatten sie gemeinsam erlebt: die aufregende Grundschulzeit, die Teenager-Dramen in der Highschool, das Studium und dann die ersten wackeligen Schritte auf der Karriereleiter. Sie hatten für die gleichen Bands geschwärmt und die absurdesten Modetrends mitgemacht. Sie hatten erste Küsse bekommen und letzte, heiße Tränen vergossen und zusammen gelacht. Und mit jedem neuen Lebensabschnitt war ihre Freundschaft stärker geworden. Unzerstörbar. Das jedenfalls hatten sie gedacht.

Bis sich auf einmal alles geändert hatte.

Noch immer konnte Kate sich lebhaft an den Abend erinnern, an dem sie bemerkt hatte, dass es ein Problem gab. Sie hatte nur nicht begriffen, wie ernst die Lage war und wie schnell so etwas gehen konnte. Aber sie hatte gespürt – das hatten sie alle –, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.

Kurz darauf hatte sie begriffen, was das war. Aber da war es schon zu spät gewesen.

Sie hatten Beth bereits verloren.

KAPITEL 1

Sie musste hier raus.

In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, während sie gegen die bittere Mischung aus Verwirrung, Reue und Scham anschluckte. Aber das war der eine Gedanke, der alle anderen überlagerte: Sie musste so schnell wie möglich verschwinden. Sofort.

Sie wäre jetzt überall gern gewesen, dachte Kate Armstrong. Nur nicht da, wo sie sich gerade befand.

Da gab es allerdings ein Problem. Wie sollte sie hier rauskommen? Denn der Mann, in dessen Bett sie lag – hieß er Rick? Mike? Mack? Nicht einmal daran konnte sie sich erinnern –, war weg. Seine Hälfte des Betts war leer. Was bedeutete, dass sie keine Chance hatte, unbemerkt zu entkommen. Er war wach und irgendwo da draußen, in diesem türkischen Ferienapartment. Also würde sie ihm gegenübertreten müssen, wenn sie die Haustür erreichen wollte.

Es sei denn, es gab hier irgendwo ein geeignetes Fenster. Klar, das würde unsicher wirken, fast schon panisch. Wenn er zurückkam und das leere Bett mitsamt einem offenen Fenster entdeckte, würde er das garantiert seltsam finden. Aber das war ihr egal.

Sie setzte sich im Bett auf und zog dann hastig das Laken hoch, als ihr klar wurde, dass sie nackt war. Nackt im Bett eines Fremden. Sie sah sich um. Ihr Blick war getrübt, als würde eine milchige Schicht über allem liegen. Was vermutlich daran lag, dass sie die Kontaktlinsen noch immer trug. Das würde auch erklären, warum sich ihre Augen so geschwollen anfühlten und schmerzten. Aber immerhin konnte sie das Fenster erkennen und was sich dahinter befand. Mist. Das Apartment befand sich weder im Erdgeschoss noch im ersten Stock. Denn da draußen, vor der Scheibe, waren die Astspitzen irgendwelcher Bäume zu sehen. Wenn sie sich nicht den Hals brechen wollte, kam dieser Fluchtweg also nicht infrage.

Okay, dann musste sie ihm also gegenübertreten. Rick, Mike oder Mack.

Ja, er hieß Mike. Nun kehrten die Erinnerungen an den letzten Abend langsam zurück. Sie hatte ihn in einem dieser Clubs getroffen, als sie zur Bar gegangen war, um Drinks für Gemma und May zu kaufen. Während sie auf die Getränke wartete, tauchte plötzlich so ein dauergebräunter Italiener neben ihr auf, der ihr zuerst den Arm um die Taille schlang, um dann sein bestes Stück an ihrem Hintern zu reiben. Gleichzeitig flüsterte er ihr irgendwelche unverständlichen Dinge – vermutlich auf Italienisch – ins Ohr. Es gelang ihr, sich seinem Griff so weit zu entwinden, dass sie sich umdrehen und dem Typen ins Gesicht sehen konnte. Prompt setzte er ein Lächeln auf, das er vermutlich für extrem charmant hielt. Sie spürte, wie seine Hand über ihre Hüfte glitt.

Und das war der Moment, in dem dieser Mann – Mike – auftauchte. „Hey“, begrüßte er sie. Dann legte er eine Hand auf ihre Schulter und lächelte. „Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.“

Er musste bemerkt haben, dass sie belästigt wurde. Also war er gekommen, um ihr zu helfen.

„Kein Problem“, versuchte sie ebenso locker zu erwidern, als würden sie sich schon ewig kennen. „Ich hab schon mal Getränke bestellt. Was willst du?“

„Ein Bier.“ Er schaute den Italiener an, als hätte er ihn gerade erst registriert. „Und wer ist dein Freund hier?“

„Niemand, wir waren zufällig zur gleichen Zeit an der Bar. Außerdem wollte er gerade gehen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch und winkte dem Grabscher zu. „Arrivederci!“

Der Italiener musterte den anderen Mann – seinen schlanken, durchtrainierten Körper, die leicht angespannten Muskeln. Dann zuckte er mit den Schultern, drehte sich wortlos um und verschwand.

„Danke“, wandte Kate sich an ihren Retter. „Der war ziemlich lästig.“

„Kein Problem. Ich wollte gerade an die Bar, als ich bemerkt habe, dass etwas nicht stimmt. Sie sahen so aus, als wäre Ihnen die Situation unangenehm. Aber ist ja alles gut gegangen. Okay, dann hole ich mir jetzt mal mein Bier. Schönen Abend noch.“

„Oh, darf ich Sie einladen?“, erwiderte sie schnell. „Als Dankeschön?“

So hatte die Sache begonnen, dachte Kate nun. Und irgendwie hatte der Abend dann hier geendet. In dem Bett, in dem sie sich jetzt befand. Nackt. Mit trockenem Mund und bohrenden Schmerzen in den Schläfen.

Sie starrte auf die Äste vor dem Fenster, während sie versuchte, die Bruchstücke, die ihr Gedächtnis noch hergab, zu einem Ganzen zusammenzufügen. Sie erinnerte sich daran, wie sie neben Mike die Straße entlanggestolpert war. Dann waren sie vor der Tür zu einem Apartmenthaus stehen geblieben. Sie hatte ihn geküsst. Irgendwann später hatte Mike sie bei der Hand genommen und sie in ein Schlafzimmer geführt. Wo er begonnen hatte, sie auszuziehen – auch daran erinnerte sie sich noch.

Sie schloss die Augen und stöhnte. Wie konnte das sein? Das war gar nicht ihre Art. Sie war keine Frau, die einfach mit fremden Männern nach Hause ging, um dann Sex mit ihnen zu haben. So etwas hatte sie noch nie gemacht. Egal, wie betrunken sie gewesen war.

Aber war es wirklich so gewesen? Hatten sie Sex gehabt? Aus dem Nebel in ihrem Kopf tauchte ein Bild auf. Dann ein paar Wortfetzen: Sie hatte ihn nach Kondomen gefragt.

„Sicher?“, hatte er zurückgefragt. „Willst du es wirklich? Wir müssen das nicht tun.“

Aber sie war sich sicher gewesen. Gestern Nacht zumindest war sie sich völlig sicher gewesen. Ganz im Gegensatz zu heute. Denn heute gab es nur eins, was sie mit Sicherheit wusste: Dass sie sich wünschte, gestern Nacht Nein gesagt zu haben. „Nein. Lass uns noch warten.“ Oder: „Nein, ich muss jetzt gehen. Meine Freundinnen machen sich bestimmt schon Sorgen um mich.“

Aber seltsamerweise – jetzt fiel es ihr wieder ein – war er derjenige gewesen, der Nein gesagt hatte. Er hatte den Kopf geschüttelt, sie noch mal geküsst und dann erklärt: „Ich glaube, du hast ganz schön viel getrunken. Gehen wir erst mal schlafen. Dann kannst du morgen sehen, ob du noch derselben Meinung bist.“

Empört hatte sie erwidert, dass es ihr ganz hervorragend ginge. Besten Dank auch! Aber das war wohl der Alkohol gewesen, der da aus ihr gesprochen hatte. Sie war definitiv nicht mehr klar im Kopf gewesen und Gott sei Dank hatte Mike ihren Zustand nicht ausgenutzt.

Aber wieso war sie derart betrunken gewesen? Eigentlich hatte sie doch gar nicht so sehr über die Stränge geschlagen. Okay, Wein zum Essen. Danach ein paar Gin Tonics in diesem Club. Aber das führte normalerweise noch nicht dazu, dass sie so sehr die Kontrolle verlor. Allerdings waren die Barkeeper im Club ziemlich großzügig beim Einschenken gewesen. Das musste es sein.

Ab jetzt würde sie bis zum Ende des Urlaubs vorsichtig sein. So etwas durfte nicht noch einmal passieren.

Das Ende des Urlaubs. Momentan wäre sie am liebsten sofort nach Hause geflogen, statt noch zwei Nächte in Kalkan zu verbringen. Dabei hatte sie sich so auf die Erholung gefreut.

Gemma, May und sie waren vor fünf Tagen hier angekommen. Sie und ihre Freundinnen hatten spontan eine Woche Urlaub gebucht, nachdem Phil und sie sich getrennt hatten. Phil. Der Mann, von dem sie jahrelang gedacht hatte, er wäre ihre große Liebe und der perfekte Partner. Bis irgendwann die Zweifel gekommen waren, ob sie beide wirklich so gut zusammenpassten. Also hatte sie die Beziehung beendet. Die Entscheidung war ihr nicht leicht gefallen. Sie war ganz und gar nicht sicher gewesen, dass sie das Richtige tat. Und gerade jetzt kam es ihr wie eine extrem schlechte Idee vor. Denn wozu hatte das alles geführt? Doch nur dazu, dass sie hier in diesem Bett saß, mit wild klopfendem Herzen, heftigen Kopfschmerzen und dem Wissen, haarscharf am ersten One-Night-Stand ihres Lebens vorbeigeschrammt zu sein. Beinahe hätte sie in volltrunkenem Zustand Sex mit einem wildfremden Mann gehabt, von dem sie nicht mal wusste, ob sie ihn wirklich mochte. Es war nur nicht dazu gekommen, weil dieser Unbekannte sich glücklicherweise wie ein Gentleman verhalten hatte.

Verdammt, sie hatte Phil monatelang warten lassen, bevor sie mit ihm geschlafen hatte. Das war ihr normales Tempo in solchen Dingen. Und bei Phil hatte sich all das Warten gelohnt. Wobei ihr zugegebenermaßen die Vergleichsmöglichkeiten fehlten. Denn Phil war der erste und immer noch einzige Mann, mit dem sie Sex gehabt hatte. Sie beide hatten sich bereits auf der Highschool kennengelernt und waren auch während des Studiums zusammengeblieben. Phil hatte einen Platz an der Uni Bristol bekommen, während sie in Durham studierte. Was bedeutete, dass mehr oder weniger ganz England zwischen ihnen lag. Ein Härtetest für ihre Beziehung, aber sie hatten sich nicht getrennt. Sie waren zusammengeblieben und nach dem Studium zurück nach Stockton Heath gezogen, die kleine Stadt, in der sie beide aufgewachsen waren. Dort hatten sie sich Jobs gesucht, ein Haus gemietet und die nächsten Schritte ihres Erwachsenenlebens geplant: Heirat und Kinder.

Bis zu dem Tag, an dem Kate sich schließlich eingestehen musste, dass sie noch nicht so weit war. Egal, wie sehr sie dagegen ankämpfte – das Gefühl, gar nicht richtig gelebt zu haben, war immer stärker geworden. Sie hatte sich damit getröstet, dass sie immer noch zu Phil zurückkehren konnte, irgendwann, wenn der Zeitpunkt richtig war. Das hatte ihr die Trennung ein wenig erleichtert.

Im Gegensatz zu Phil. Er kam nicht so gut damit klar, dass sie nicht mehr zusammen waren. Besser gesagt: Er kam extrem schlecht damit klar. Ständig rief er sie an, am frühen Morgen oder mitten in der Nacht, meistens betrunken. Seit er bei seinem Freund Andy hauste, hatte sich Phils Alkoholkonsum extrem gesteigert und auch sonst schien er total von der Rolle zu sein. Einmal hatte er sie aus einem Club in Bristol angerufen, ein anderes Mal aus dem Haus einer Frau, mit der er gerade ein Date hatte. Soweit Kate seinem betrunkenen Wortschwall entnehmen konnte, hatte Phil ihr bei diesem Anruf mitgeteilt, dass er völlig über sie hinweg war, weil er nämlich eine andere Frau gefunden hatte.

„Ach ja? Und wieso rufst du mich dann um zwei Uhr nachts aus ihrem Badezimmer an?“ Natürlich war ihr klar gewesen, dass es unklug war, Phil zu provozieren. Aber sie hatte schon geschlafen, als der Anruf kam, und war entsprechend müde und gereizt gewesen.

„Warum ich dich anrufe? Das fragst du mich allen Ernstes? Fick dich!“, hatte er erwidert. Seine Stimme hatte gezittert, als würde er gleich anfangen zu weinen. „Fick dich, Kate!“

Also, ja. Insgesamt konnte man wohl sagen, dass Phil die Sache mit der Trennung nicht besonders positiv aufgenommen hatte. Was einer der Gründe für diesen Urlaub war. Zu Hause in Stockton Heath war Phil ständig präsent. Und nach so vielen Jahren Beziehung hatte sie jetzt einfach das Bedürfnis nach ein wenig Abstand und Ruhe. Also war sie mit ihren Freundinnen in die Türkei geflogen.

Ihre Freundinnen! Bestimmt waren Gemma und May schon völlig außer sich vor Sorge. Kate beugte sich über den Bettrand und schaute auf die am Boden verstreuten Kleider hinunter: ein kurzes rotes Sommerkleid, schwarze Spitzenunterwäsche, hochhackige Riemchensandaletten. Vor dem Urlaub war sie extra noch einkaufen gegangen, um die passende Kleidung für lange Nächte am Strand und in den Clubs zu haben.

Tja, die letzte Nacht war definitiv lang gewesen. Viel zu lang. Wäre sie doch nur mit May und Gemma zurück ins Hotel gegangen, dann wäre all das nicht passiert. Aber es war passiert. Und jetzt musste sie zusehen, wie sie hier rauskam.

Neben dem roten Kleid lag ihre Tasche. Sie griff danach und zog ihr Telefon hervor. Phil hatte offenbar ein paar Mal angerufen. Schon wieder. Außerdem gab es einige verpasste Anrufe von Gemma und May sowie eine Reihe von Textnachrichten.

2:02 Uhr, Gemma:

Wo bist du?

2:21 Uhr, May:

Verdammt, Kate, melde dich! Machen uns Sorgen!

2:25 Uhr, wieder eine Nachricht von Gemma:

Bist du mit diesem Typen mitgegangen? Du musst dich melden, Kate! Jetzt!

Zu ihrer Verblüffung entdeckte Kate, dass sie um 2:34 Uhr geantwortet hatte.

Alles in Ordnung. Bin mit Mike (Typ aus Club) unterwegs. Er ist nett! Macht euch keine Sorgen! Wir sehen uns morgen.

Gott, sie musste gestern wirklich extrem betrunken gewesen sein. Nicht mal an diese Nachricht konnte sie sich erinnern. Und wann sie die an Gemma geschickt hatte, war ihr ebenfalls schleierhaft. Bevor sie mit Mike zu seinem Apartment gegangen war? Als sie schon hier gewesen war? Egal. Sie hatte jetzt wichtigere Probleme. Hastig tippte sie eine neue Nachricht:

Bin auf Rückweg. Alles unschön. Erzähle ich gleich.

Sie stellte die Füße auf den kalten Fliesenboden und griff nach ihren Kleidern. Okay, damit begann jetzt der wirklich unangenehme Teil. Sie musste Mike gegenübertreten und möglichst schnell von hier verschwinden.

Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Kate holte tief Luft und drückte sie auf. Wie in den meisten Ferienwohnungen bildeten Küche und Wohnzimmer einen großen Raum, von dem das Bad und zwei weitere Räume abgingen. Die Tür zu dem zweiten Zimmer war geschlossen. Vermutlich schlief dahinter einer von Mikes Freunden. Umso mehr Grund, schleunigst das Weite zu suchen.

Sie ging zwei Schritte in Richtung der Tür. Dann entdeckte sie ihn. Er saß auf dem Sofa, barfuß, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen ein iPad. Jetzt hob er den Kopf und lächelte ihr zu. „Hi, Kate. Gut geschlafen?“

KAPITEL 2

„Ja, danke“, sagte Kate. Im nächsten Moment ärgerte sie sich über die Lüge. Warum hatte sie das Bedürfnis, höflich zu sein, statt einfach die Wahrheit zu sagen?

„Möchtest du etwas trinken? Orangensaft? Kaffee, Tee?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Oder vielleicht lieber ein Bier?“

„Was?“, stieß sie hervor. Ihre Stimme war nur ein leises Krächzen. Sie räusperte sich. „Soll das ein Witz sein?“

„Ja“, sagte er und lachte. „Soll es.“

Sie spürte, wie sie errötete. „Oh, klar. Tut mir leid. Ich bin noch nicht so ganz in Form heute Morgen.“

„Ich auch nicht. Die Drinks gestern waren ganz schön heftig.“ Er trank den Kaffee aus und stand auf. „Ich glaube, ich brauche noch eine Tasse. Willst du auch eine?“

Nein, wollte sie nicht. Obwohl Mike und sie letztendlich doch keinen Sex gehabt hatten, hatte sie nicht das Bedürfnis, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Sie war müde und verkatert. Vor allem aber schämte sie sich für ihren Auftritt gestern Nacht. Andererseits war das ja nicht Mikes Schuld. Er hatte sich unter den Umständen mehr als nett verhalten. Daher wollte sie ihn jetzt nicht vor dem Kopf stoßen. Und eine Tasse Kaffee klang tatsächlich gut.

„Gern“, sagte sie. „Aber nur, wenn der Kaffee schon fertig ist. Ich muss gleich los.“

„Kein Problem. Wenn du verabredet bist, dann geh ruhig.“ Seine Art zu sprechen ließ kaum einen Hinweis darauf zu, woher er kam. Nur seine Vokale klangen etwas flacher. Also stammte er vermutlich aus dem Norden – Lancashire, vielleicht. „Du musst nicht aus Höflichkeit bleiben, wenn du nicht willst.“

„Nein, nein“, erwiderte Kate verlegen. „Ein Kaffee wäre wirklich toll. Danke.“

Er ging barfuß über den Kachelboden zur Küche hinüber und füllte zwei Tassen. Heute Morgen trug er Leinenhosen und dazu ein khakifarbenes T-Shirt. Vermutlich war er etwa zehn Jahre älter als sie, also Ende dreißig. Er war nicht breitschultrig, aber sein Körper war muskulös. Seine Bewegungen waren präzise, fast schon elegant. Mike war durchaus attraktiv, nur eben auf diese zurückgenommene Lehrer-Art. Damit war er das absolute Gegenteil von Phil, der den gedrungenen, breitschultrigen Körper eines Rugby-Spielers hatte und alles war, nur nicht präzise und elegant. Seine Freunde zogen Phil immer damit auf, dass er der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen war. Er selbst behauptete, einfach mehr Kraft zu haben, als ihm guttat. Egal, welche Auffassung nun stimmte – seine Kraft war eine der Sachen gewesen, die Kate an ihm geliebt hatte.

Mike griff nach einem Milchkarton, der offen auf der Küchenplatte stand. „Möchtest du?“

„Ja, bitte.“

Er goss einen Schluck Milch hinein und reichte ihr die Tasse. „Leider ist es keine frische Milch. Die haben hier nur dieses ultrahocherhitzte Zeug. Aber der Kaffee ist stark und aromatisch.“

Der Kaffee war gut. Kate trank gleich noch einen zweiten Schluck. Sie wünschte nur, sie könnte ihn mehr genießen. Zum Beispiel in einem der Cafés am Strand, zusammen mit ihren Freundinnen, während sie auf das Meer hinausschauten.

„Schmeckt’s?“, fragte Mike.

„Ja“, erwiderte sie. „Danke.“

Eine peinliche Pause entstand. Kate trank noch einen Schluck Kaffee.

Schließlich brach Mike das Schweigen. „Woher kommst du, Kate? Zu Hause, in England, meine ich.“

Sie wollte es ihm nicht sagen. Wollte nicht, dass er irgendetwas über sie wusste. Es lag nicht an ihm, er war wirklich nett. Unter anderen Umständen hätte sie ihn vermutlich gemocht. Aber sie wollte die letzte Nacht einfach nur vergessen.

„Aus Stockton Heath“, sagte sie schließlich. „Eine ganz kleine Stadt. Eigentlich eher ein Dorf. In der Nähe von Warrington, in Cheshire.“

Er runzelte die Stirn. „Das kann doch nicht sein, oder?“

„Doch. Wieso?“

„Haben wir letzte Nacht darüber gesprochen?“

„Soweit ich weiß, nicht.“

„Verrückt. Dann habe ich es dir noch gar nicht gesagt.“

Kate hätte nicht gedacht, dass ihr Mund noch trockener werden könnte. Sie trank einen Schluck Kaffee. „Was hast du mir noch nicht gesagt?“

„Wo ich wohne.“

Sie unterdrückte das Bedürfnis, laut loszuschreien. „Wo wohnst du denn?“

„Wir sind Nachbarn. Ich lebe ein Dorf weiter. In Moore.“

KAPITEL 3

Sie starrte ihn an. „Wirklich, du wohnst in Moore?“

„Ja.“ Er lachte. „Ursprünglich komme ich aus Newton. Aber seit einiger Zeit lebe ich in Moore. Wo in Stockton Heath wohnst du denn? Ich bin da öfter mal.“

Sie sagte vage, dass sie quasi im Zentrum wohnte. Zum Glück lebte Mike einige Meilen entfernt. Das war nicht viel, aber immerhin.

„Wirklich verrückt, oder?“, fuhr er fort. „Ich meine, wie groß ist die Chance, jemanden hier zu treffen, der genau aus derselben Ecke kommt? Ich kann das echt nicht glauben.“

Das ging ihr ebenso. Wie viel Pech konnte man haben? Diese Sache wurde immer schlimmer. Sie wollte Mike nie wiedersehen. Schon gar nicht vor ihrer eigenen Haustür. Es war wirklich kaum zu fassen. Noch dazu hatte sie gerade das Gefühl, dass er ihr vage bekannt vorkam. Wobei das vermutlich nur Einbildung war, weil sie jetzt wusste, dass sie ihm theoretisch schon mal über den Weg gelaufen sein konnte.

„Bist du dort aufgewachsen?“, fragte er und lächelte sie an.

Sie nickte. „Ich bin in Stockton Heath geboren.“

Er lehnte sich mit dem Ellbogen auf die Küchentheke. „Ich mag die Gegend. Es ist ja nicht viel los. Aber das gefällt mir. Irgendwie fühlt man sich da sicherer. Der ganze Wahnsinn in der Welt scheint meilenweit entfernt zu sein. Auch wenn so eine Dorfidylle manchmal etwas langweilig sein kann.“

Kate spürte, wie ihre Gereiztheit zunahm. Stockton Heath war keineswegs langweilig. An den Wochenenden oder freitags war sogar ziemlich viel los. Aber, gut, Mike war älter und ging vermutlich nicht so oft aus wie sie. Trotzdem. Bevor sie in die Türkei geflogen war, hatte Stockton Heath im Fokus der gesamten Presse gestanden.

„Tja“, sagte sie. „Letzte Woche war es nicht so ruhig. Sie haben eine Leiche gefunden.“

Alle in der Umgebung waren geschockt gewesen, als gemeldet wurde, dass eine Frau tot aufgefunden worden war. Ermordet. Ein Hundebesitzer hatte die Leiche in einem Gebüsch nahe dem Reservoir entdeckt. Bei der Toten handelte es sich um eine Frau namens Jenna Taylor. Sie war erwürgt worden, und Gerüchten zufolge gab es auch Anzeichen für eine Vergewaltigung. Zu dem letzten Punkt hatten sich die Medien nur vage geäußert, was den Eindruck verstärkt hatte, dass etwas sehr Schlimmes vorgefallen war.

„Ja, habe ich mitbekommen“, sagte Mike. „Allerdings war ich schon eine Woche hier, als es passiert ist. Im Urlaub lese ich nur selten die Lokalnachrichten. Irgendwann will man ja auch abschalten. Aber einer der Freunde, mit denen ich hier bin, hat einen Artikel darüber gelesen. Er meinte, dass sie den Täter noch immer nicht gefunden haben.“

„Soweit ich weiß“, sagte Kate, „haben sie inzwischen den Freund verhaftet.“

„Kanntest du die Frau?“, fragte Mike. „Sie war ungefähr in deinem Alter, oder?“

„Ja, stimmt.“ Kate drehte die Kaffeetasse in ihren Händen. „Aber ich kannte sie nicht. Sie ist erst vor ein paar Jahren aus Liverpool nach Stockton Heath gezogen. Sonst wären wir zusammen zur Highschool gegangen.“

Sie spürte, wie die Kopfschmerzen stärker wurden. Es gab da noch etwas. Aber darüber wollte sie mit Mike bestimmt nicht sprechen. Es war schon nervig genug, dass ihre zwei Freundinnen sie mindestens zehn Mal darauf hingewiesen hatten: Jenna Taylor und sie hätten Schwestern sein können. Sie hatten das gleiche glatte lange Haar und die gleichen dunklen Augen. Auch ihr schmaler Körperbau war ähnlich. Was natürlich bloß ein Zufall war. Aber es war die Art von Zufall, den man nicht nett fand, sondern verstörend.

Mike schüttelte den Kopf. „Unglaublich. Kaum fliege ich mal in den Urlaub, bricht zu Hause sofort die Hölle los.“

Kate verzog den Mund zu einem halben Lächeln. Sie hatte genug von höflichen Phrasen und von dem ganzen Gespräch. Sie trank den letzten Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf die Küchenplatte. „Danke“, sagte sie. „Und jetzt muss ich leider los.“

Mike nickte. „Treffen wir uns später noch mal?“

Sie zögerte. Eine Sekunde lang fühlte sie sich verpflichtet, Ja zu sagen. Aber im letzten Moment gelang es ihr, sich zu stoppen. Sie musste nicht höflich sein. Gut, er hatte sich anständig verhalten. Aber sie schuldete Mike nichts. „Ich denke nicht“, sagte sie. Automatisch begann sie, nach einer Ausrede zu suchen. Aber was sollte das sein? Eine andere Verabredung? Sollte sie behaupten, dass sie ihre beiden Freundinnen nicht schon wieder allein lassen wollte? Nein, das war doch alles Blödsinn. „Ich denke nicht“, wiederholte sie daher nur.

„Okay“, entgegnete Mike. „Verstehe. Deiner Miene entnehme ich, dass wir uns auch an keinem der anderen Abende wiedersehen werden?“

Kate schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie. „Tut mir leid.“ Sie ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke.

„Weißt du, wie du von hier zurückkommst?“, erkundigte sich Mike. „Du bist mit deinen Freundinnen da, oder? Wo wohnt ihr denn?“

Sie wollte ihm den Hotelnamen nicht nennen. „In der Hafengegend.“

„Wenn du aus der Haustür kommst, musst du nach rechts gehen. Es ist nicht weit von hier. Ich kann dir aber auch gerne ein Taxi bestellen.“

„Nein“, sagte sie. „Nein, danke. Ich gehe zu Fuß. Die frische Luft wird mir guttun.“

„Okay“, sagte Mike mit einem leicht schiefen Lächeln. „Mach’s gut. Vielleicht laufen wir uns ja irgendwann in Stockton Heath mal über den Weg.“

Oder auch nicht, dachte Kate. Hoffentlich nicht.

KAPITEL 4

Phil Flanagan unterschrieb auf der vorgezeichneten Linie. Als Projektmanager war er verantwortlich für das Wohnbauprojekt, um das es hier zu gehen schien. Ganz klar war Phil nicht, was in dem Antrag stand, denn dazu hätte er den Text erst mal genauer lesen müssen. Was er nicht getan hatte. In seinem derzeitigen Zustand fiel es ihm schwer, Interesse für seinen Job aufzubringen. Oder für irgendwelche andere Dinge in seinem Leben.

Wozu auch? Es war sowieso alles belanglos, seit Kate weg war. Sie hatte mit ihm Schluss gemacht. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, befand sie sich jetzt auch noch im Urlaub. In der Sonne, am Strand, halb nackt den Blicken fremder Männer ausgesetzt. Männer, die abends dann in diesen Clubs für angeheiterte Urlauber seelenruhig ihre dreckigen Hände nach ihr ausstrecken würden und … nein. Er konnte den Gedanken daran einfach nicht ertragen. Konnte nicht ertragen, sich das vorzustellen.

Aber er konnte auch nicht damit aufhören. Ununterbrochen produzierte sein Gehirn diese Bilder: Kate, die im Bett lag, neben ihr irgendein Mann. Ineinander verschlungene Gliedmaßen, die sich sonnengebräunt von den weißen Laken abhoben. Es war die reinste Folter. Und es war der Grund, warum ihm zum ersten Mal in seinem Leben die Arbeit völlig gleichgültig war.

Phil starrte die Unterschrift an, die er soeben produziert hatte. Schon immer hatte er seinen Namen gehasst. Diese lächerliche Alliteration, wenn man den Namen nur aussprach und nicht las. Phil Flanagan, „fff-fff“, es klang als wäre man außer Atem. Deshalb war sein Plan gewesen, sich einen neuen Namen zuzulegen. An seinem Hochzeitstag. Dann konnte er Kate damit beeindrucken, was für ein moderner Mann er war. Jemand, der kein Problem damit hatte, den Namen seiner Frau zu tragen, weil er sie liebte, weil er stolz auf sie war. Und gleichzeitig konnte er seinen eigenen Namen loswerden. Zwei Fliegen mit einer Klappe.

Nur dass aus diesem Plan wohl leider nichts werden würde. Denn Kate hatte keineswegs vor, ihn zu heiraten. Stattdessen hatte sie ihn verlassen. Weil sie nämlich – verdammtes Klischee – Raum brauchte. Raum für sich selbst. Um einfach mal spüren zu können, wie sich ihr Leben ohne ihn anfühlte, ohne eine Beziehung. Natürlich war all dieses Gespüre völliger Schwachsinn. Er jedenfalls konnte ganz genau sagen, wie sich das anfühlte. Und zwar in zwei knappen Worten: total beschissen.

Seit Kate nicht mehr da war, bestand sein Leben nur noch aus einer zähen Abfolge von Minuten, Stunden und Tagen. Ständig fragte er sich, was sie gerade machte, wo sie war. Vergnügte sie sich am Strand mit irgendeinem schmierigen Ausländer? Er holte tief Luft. Sofort stürmten die Bilder wieder auf ihn ein, während im Hintergrund, wie eine hängengebliebene Platte, die immer gleiche Frage ertönte: Warum? Warum hatte Kate das getan?

Und was zum Teufel sollte er jetzt tun?

Sein ganzes Leben war auf Kate ausgerichtet gewesen. Alles war bereits geplant: nächstes Jahr die Hochzeit, dann Kinder, Enkelkinder, Ruhestand.

Tja. Nun würde es anders kommen. Und diese Erkenntnis fraß sich ätzend wie Säure durch seine Eingeweide.

Der Verdacht, dass irgendetwas nicht so ganz stimmte, war ihm zum ersten Mal vor ein paar Wochen gekommen. Genauer gesagt an dem Tag, als er vorgeschlagen hatte, dass sie mit der Hochzeitsplanung beginnen könnten. Kate und er waren nicht verlobt. Nicht offiziell, jedenfalls. Aber sie würden heiraten, daran bestand kein Zweifel. Deshalb war es doch nur sinnvoll, die wesentlichen Punkte schon mal durchzusprechen: Wo? Wen sollten sie einladen? Wie viel durfte es kosten?

„Okay“, hatte Kate erwidert. „Vielleicht sollten wir wirklich irgendwann mal anfangen, uns ein paar Gedanken darüber zu machen.“

Er hatte Papier und Stift geholt und begonnen, eine Liste zu erstellen. „Am sinnvollsten ist es vermutlich, zuerst den Ort zu klären, an dem die Feier stattfinden soll. Wenn wir das herausgefunden haben, können wir weiter planen. Ich schreibe mal Lowstone Hall auf. Und das Brunswick Hotel, falls wir doch lieber die modernere Variante wollen.“

„Ja“, hatte Kate gemurmelt. „Lass uns mal drüber nachdenken.“

„Also soll ich den beiden schon mal eine Anfrage schicken, wann es freie Termine gibt?“

„Ich, ähm … Das muss ich mir noch überlegen. Ich bin in nicht sicher.“

„Nicht sicher? Wieso das denn? Wir haben doch über beide Orte schon mal vor ein paar Monaten gesprochen. Was hat sich da geändert?“

Sie war seinem Blick ausgewichen. „Nichts. Ich muss … Lass mich einfach mal in Ruhe darüber nachdenken, okay?“

Natürlich hatte er sich über Kates Verhalten gewundert. Aber auf das, was eine Woche später folgte, war er trotzdem nicht vorbereitet gewesen.

„Phil“, hatte sie gesagt. „Es gibt da etwas, über das wir reden müssen.“

Und dann war es losgegangen. Sie hatte ihm erklärt, dass sie eine Pause brauchte. Weil sie beide schon ewig zusammen waren, seit ihrer Teenager-Zeit. Manchmal änderten sich die Dinge eben. Und Menschen änderten sich auch. Weshalb sie jetzt nicht mehr so genau wusste, ob er noch der richtige Mann für sie war. Was sie brauchte, war Zeit. Zeit für sich selbst. Damit sie bewusst leben konnte, statt wie eine Schlafwandlerin einfach einen Schritt nach dem nächsten zu machen. Denn sonst würde sie vielleicht eine Entscheidung treffen, die sie später bereute.

„Es ist also eine Pause?“, hatte er nachgehakt. „Und wie lange soll die dauern?“

„Vielleicht ist es eine Pause“, hatte sie erwidert. „Vielleicht auch nicht.“

„Aber wenn es eine Pause ist – wie lange dauert die dann?“

„Ich weiß es nicht, Phil. Das kann ich nicht sagen.“

Es hatte sich angefühlt, als würde ihm sein ganzes Leben aus den Händen gleiten. „Okay, du musst mir keine exakte Zahl nennen. Aber eine ungefähre Größenordnung. Von welchem Zeitraum sprechen wir hier? Eine Woche? Ein Monat?“

„Mehr, vermutlich. Sechs Monate? Ich weiß es einfach nicht.“ Sie hatte ihn angesehen, mit Tränen in den Augen. „Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir sagen, dass es für immer ist. Dann musst du nicht ständig darüber nachgrübeln.“

„Nein“, hatte er hervorgestoßen. „Das ist nicht besser für mich. Das ist viel schlimmer.“

Und so standen die Dinge nun also: Er hauste – planlos, ziellos, mit den Nerven am Ende – in der heruntergekommenen Wohnung seines Freundes Andy. Und sie vergnügte sich an einem türkischen Strand.

Neben ihm auf dem Tisch begann sein Smartphone zu vibrieren. Er sah nach, wer der Anrufer war. Michelle. Die Frau, mit der er sich letztes Wochenende getroffen hatte. Er hatte Kate während des Dates angerufen. Heimlich, aus dem Badezimmer. In seinem betrunkenen Zustand hatte er ihr alles berichtet, um ihr klarzumachen, dass es für ihn gar kein Problem war, mit seinem Leben klarzukommen und andere Frauen zu treffen. Denn wenn sie das erfuhr, würde Kate garantiert traurig werden. Sie würde ihren Fehler erkennen und sagen: „Komm zurück! Verlass diese Frau, Phil, und komm zurück zu mir!“

Leider war es dann doch nicht so abgelaufen.

Noch schlimmer als diese Tatsache war allerdings die Erkenntnis, die er am nächsten Morgen gehabt hatte. Denn während er mit seinem Tee auf Michelles Sofa saß, hatte er sie angesehen und gedacht: Verdammt, sie sieht aus wie Kate. Wie eine blasse Kopie von Kate. Am Abend davor hatte er das gar nicht bemerkt. Kein Wunder. Nach sechs Pints und einigen Gläsern Whisky-Cola hatte er insgesamt eher wenig begriffen.

Und nun rief Michelle ihn also an. Er würde ihr sagen, dass sie sich nicht mehr treffen konnten. Klar, er mochte sie. Warum auch nicht, sie war eine ziemlich nette Frau. Aber die Sache würde zu nichts führen. Jedenfalls nicht zu einer Beziehung, so viel war ihm nach dem letzten Treffen klar. Michelle war für ihn das, was Frauenzeitschriften als „Rebound-Sex“ bezeichneten: der Versuch, mithilfe eines anderen Menschen kurzfristig die eigenen Probleme zu vergessen. Mehr war da nicht. Und selbst wenn er Lust gehabt hätte, es noch mal zu versuchen, wusste er, dass es Michelle gegenüber nicht fair wäre.

Er griff nach seinem Telefon. „Michelle. Wie geht’s dir?“

„Super! Und dir?“

„Tja, mir geht’s auch ganz gut.“

„Hast du schon Pläne für heute Abend? Sollen wir uns treffen?“ Es gelang ihr nicht ganz, das nervöse Zittern ihrer Stimme zu unterdrücken.

Er holte tief Luft, um ihr zu sagen, was er ihr sagen musste: Nein, heute Abend kann ich leider nicht. Und ich denke, dass es keine gute Idee ist, wenn wir uns weiterhin treffen. Es liegt nicht an dir, Michelle. Es liegt an mir. Aber dann fiel ihm ein, dass Andy am Abend ein Treffen mit seinen Arbeitskollegen hatte. Und er sah sich selbst, wie er allein in Andys Wohnung saß. Vermutlich würde er ein Glas oder zwei trinken, um wenigstens irgendeine Art von Beschäftigung zu haben. Aber zu zweit machte das wesentlich mehr Spaß. Und was war schon dabei? Es war ja nur ein gemeinsamer Drink. Das musste noch lange nichts heißen.

„Klar“, hörte er sich selbst sagen. „Gerne. Wo sollen wir hingehen?“

„Wie wäre es mit dem Mulberry Tree?“, fragte Michelle. „Um sieben?“

Kurz nach sieben öffnete Phil die Tür zum Mulberry Tree. Der Pub lag im Zentrum von Stockton Heath und war entsprechend beliebt. Als er sich umsah, entdeckte er in einer Ecke Michelle, die einen Tisch ergattert hatte. Vor ihr stand ein halb leeres Glas Wein.

„Hi. Noch einen?“, sagte Phil und deutete auf den Weißwein.

Michelle nickte. „Ich war schon etwas früher hier. Weil ich mit dem Bus gekommen bin“, setzte sie rasch hinzu. „Es gab nur die Möglichkeit, zehn Minuten früher anzukommen oder eine halbe Stunde zu spät.“

Stimmt, sie hatte kein Auto und auch keinen Führerschein. Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass sie letztes Mal eine Geschichte über ihre verpatzten Fahrprüfungen erzählt hatte. Nach dem dritten Mal hatte sie schließlich aufgegeben.

„Bin gleich wieder da“, erklärte er.

Während Phil an der Bar stand und auf die Getränke wartete, nutze er die Gelegenheit, um Michelle zu mustern. Sie war schätzungsweise ein paar Zentimeter kleiner als Kate. Ihr Gesicht war runder und ein wenig fülliger. Aber die grundsätzliche Ähnlichkeit war nicht zu bestreiten. Genau wie Kate hatte sie dunkle Haare, die ihr lang und glatt über die Schultern fielen. Dazu kamen die dunklen Augen, mit denen sie ihn interessiert, aber nie ohne eine gewisse Zurückhaltung betrachtete. Verdammt! Um Kate endlich zu vergessen, waren Dates mit ihrem Double vermutlich nicht die schlaueste Strategie.

Er zahlte und trug die Getränke hinüber zum Tisch. „Hier kommt dein Weißwein.“ Er setzte sich und hob sein Glas. „Cheers.“

Michelle stieß mit ihm an. „Hast du die Nachrichten gesehen? Ein Mörder in Stockton Heath. Unfassbar, oder?“

In den letzten Tagen hatte Phil die Nachrichten ignoriert. Sein eigenes Unglück reichte ihm völlig. Auf das der anderen konnte er da gut verzichten.

„Was ist denn passiert?“, fragte er höflichkeitshalber, um dann hinzuzusetzen: „Ich habe aufgehört, derartige Vorfälle zu verfolgen. Dadurch wird die Welt nur noch dunkler, als sie ohnehin schon ist.“

„Wow, du bist kein Fan von positivem Denken, oder?“, sagte Michelle mit einem Lächeln, das sie vermutlich für leicht neckend hielt. „Jedenfalls haben die Cops jetzt den Freund verhaftet.“ Sie beugte sich ein wenig vor, um dann mit konspirativ gesenkter Stimme zu verkünden: „Am Ende war es ja immer der Freund. Oder der Ehemann. Vermutlich hat sie mit einem anderen geschlafen. Irgendetwas in der Art.“ Kopfschüttelnd fuhr sie fort: „Diese Art von Gewalt – so etwas passiert nur, wenn sehr starke Gefühle im Spiel sind, weißt du?“

„Schon möglich“, entgegnete Phil. „In der Hinsicht bin ich kein Experte.“

„Na, das möchte ich doch hoffen!“ Wieder dieses Lächeln. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. „Aber du hast recht, genug von den düsteren Themen. Erzähl lieber mal, wie es dir geht.“

„Gut. Es geht mir gut.“

„Das war schon alles?“, fragte Michelle. „Es geht dir gut?“

Phil starrte sie schweigend an. Plötzlich fühlte er sich ungeheuer erschöpft. Was sollte er schon sagen? Die Wahrheit? Wohl kaum. Schätzungsweise würde Michelle es nicht allzu gut aufnehmen, wenn er ihr gestand, dass er nicht mehr schlief, sondern die Nächte mit obsessiven Gedanken an seine Exfreundin verbrachte. Eine Exfreundin, die mehr oder weniger genauso aussah wie die Frau, mit der er gerade ein Date hatte. Wobei dieses Date in Wahrheit nur als eine Art Ablenkungsmanöver dienen sollte.

Nein, all das konnte er Michelle schlecht gestehen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass das mit der Ablenkung leider nicht so richtig klappte und er deshalb nur einen Wunsch verspürte: aufzustehen und zu gehen.

„War ein harter Tag bei der Arbeit“, rang er sich schließlich ab.

„Wo genau arbeitest du eigentlich? Und als was?“, fragte sie.

Gott, sie wusste nicht mal irgendetwas über seinen Job. Sie wusste gar nichts über ihn. Nein, es ging nicht. Er konnte das nicht, war nicht bereit, mit einem fremden Menschen ganz von vorn anzufangen.

„Ich muss gehen“, sagte er. „Ich fühle mich nicht gut.“

Stirnrunzelnd sah Michelle ihn an. „Aber ich bin doch gerade erst gekommen. Es war eine lange Fahrt. Ich musste zwei verschiedene Buslinien nehmen!“

„Tut mir leid. Es liegt nicht an dir. Ich habe mich schon den ganzen Tag über nicht wohlgefühlt. Vermutlich ein Infekt. Der geht gerade im Büro um. Jetzt scheint es mich auch erwischt zu haben. Wahrscheinlich hätte ich unser Date absagen und gleich nach der Arbeit ins Bett gehen sollen.“ Er griff nach seinem Geldbeutel, zog einen Zwanzig-Pfund-Schein hervor und legte ihn auf den Tisch. „Nimm dir ein Taxi für den Heimweg. Auf meine Kosten. Tut mir wirklich leid, Michelle.“

„Ich will dein Geld nicht!“

Er ignorierte sie und stand auf. Alles um ihn herum schien sich zu drehen. Er fühlte sich schwach und die Übelkeit war inzwischen keine bloße Ausrede mehr.

„Alles okay?“ Michelles Empörung hatte sich in Besorgnis verwandelt. „Du bist wirklich etwas blass um die Nase.“

Er winkte ab. „Geht schon“, murmelte er und verließ dann fluchtartig den Pub.

KAPITEL 5

Erleichtert öffnete Kate die Tür zu ihrem Hotelzimmer. Sie sah sich um. May und Gemma schliefen immer noch.

Es gab zwei Doppelbetten in dem großen Raum. Kate und May teilten sich eines der Betten, während Gemma das andere für sich hatte. Was wie eine nette Geste wirkte, war in Wahrheit Eigennutz. Die Erfahrung hatte Kate und May gelehrt, dass man neben Gemma kein Auge zubekam. Sie war gelinde gesagt eine ziemlich aktive Schläferin. Im Verlauf der Nacht begann sie, langsam aber stetig die andere Seite des Betts zu erobern, was ihre Opfer zuverlässig aus dem Schlaf riss. Selbst ein Seitentausch half da wenig. Denn sobald man sich aufgerafft hatte und in der anderen Betthälfte lag, machte Gemma sich auf den Rückweg.

Gemmas Freund, ein Mathelehrer namens Matt, behauptete, dass er im Schnitt fünf Nächte pro Woche auf das Wohnzimmersofa auswandern musste. Neuerdings vermerkte er seine Schlafarrangements auf einer Strichliste, die er laut eigenen Angaben hervorragend für den Statistikunterricht nutzen konnte. Ein Witz, der Kate nicht ganz überzeugte. Die Wahrheit war wohl eher, dass Matt so unter dem Schlafmangel litt, dass er inzwischen völlig besessen von dem Thema war.

Nachdem sie sich ins Badezimmer geschlichen hatte, zog Kate sich aus und stellte sich unter die Dusche. Die gesamte Ablage war vollgestellt mit Duschgels und Haarpflege-Produkten. Blinzelnd griff sie nach ihrem Teebaumöl-Shampoo. Laut Phil war das alles nur stinknormale Seife in schicker Verpackung, weshalb man auch gleich die billigste Variante von Tesco kaufen konnte. Vermutlich stimmte das. Nur hatte Phil mal wieder nicht kapiert, worum es eigentlich ging. Denn viel wichtiger als eine genaue Analyse der Inhaltsstoffe war das Ritual. Das Gefühl, sich zu pflegen, sich selbst etwas Gutes zu tun.

Schließlich stieg sie aus der Dusche und hüllte sich in eines der großen Badelaken. Sie waren aus ägyptischer Baumwolle und fühlten sich verführerisch weich auf der Haut an. Es waren diese kleinen Dinge, die einen Hotel-Aufenthalt zu einem besonderen Erlebnis machten. Frische Handtücher jeden Tag. Betten, die man nicht selbst machen musste. Kaffee und Frühstückstoast nur einen Telefonanruf entfernt.

Zurück im Zimmer betrachtete sie ihre friedlich schlummernden Freundinnen. May war die Ordentliche. Bis auf die sorgsam gefalteten Kleidungsstücke vom Abend war ihre Zimmerhälfte aufgeräumt und leer. Bei Gemma dagegen herrschte das pure Chaos. Der Boden war übersät mit Unterwäsche. Auf den Stuhllehnen tummelten sich halb umgestülpte Jeans. Ein einzelner Schuh hatte es sogar bis in ihr Bett geschafft und lag jetzt auf dem zweiten Kopfkissen.

Die beiden waren schon immer absolute Gegensätze gewesen. May, die Frau mit dem Plan – überlegt, präzise, stets pünktlich. Und Gemma, die fröhlich in den Tag hineinlebte, ohne zu ahnen, dass es einen Plan geben könnte oder irgendwelche Zeitvorgaben, die man einhalten sollte, wenn man zu einem Treffen kam.

Kate lächelte. Ihre unterschiedliche Art, die Macken und Eigenheiten, die jede von ihnen besaß, hatten ihrer Freundschaft nichts anhaben können. Sie liebten sich, auch wenn sie sich gern gegenseitig aufzogen oder ab und zu mal stritten.

Sie öffnete die Minibar und griff nach einer der winzigen, völlig überteuerten Flaschen mit Orangensaft.

Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, drehte sie sich um. May streckte sich, schlug die Augen auf und blinzelte, als sie Kate entdeckte. „Oh“, sagte sie und gähnte. „Orangensaft. Von der feinen Sorte.“

„Ich habe Durst“, verteidigte sich Kate.

„Ich auch.“ May streckte eine Hand aus. „Darf ich?“

„Da ist nicht besonders viel in der Flasche.“

„Komm schon, nur ein bisschen. Ich fühle mich etwas dehydriert heute Morgen.“

Kate trank einen Schluck und reichte May dann die halbleere Flasche. „Hier, der Rest ist für dich. Trink aus.“

May griff zu und trank. „So“, sagte sie dann. „Du hast dich gestern also entschieden, mal ein neues Hotelzimmer auszuprobieren?“

„Ja, offenbar“, erwiderte Kate. „Heute Morgen beim Aufwachen war mir erst mal völlig unklar, wo ich überhaupt bin.“

„Und habt ihr beide …?“

„Nein.“ Kate schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Versuch gestartet, aber er meinte, dass ich zu betrunken sei und wir lieber schlafen sollten.“

„Wow. Aber ein netter Typ, immerhin. Die meisten Männer hätten die Situation vermutlich ausgenutzt.“

„Ja, vermutlich schon. Trotzdem war das insgesamt kein nettes Erlebnis. Wobei ich mich sowieso nur an Bruchteile erinnern kann.“

„Klingt gar nicht nach dir.“

„Ich weiß. Aber gestern habe ich viel zu viel getrunken. Ihr müsst auf mich aufpassen, May, damit das nicht noch mal passiert.“

„Wir hätten dich ja gestoppt. Aber ihr beide wart plötzlich weg.“ May stellte die Flasche auf dem Nachttisch ab. „Natürlich haben wir uns Sorgen um dich gemacht. Hätte ja sein können, dass er sich als Psycho entpuppt oder irgendwelche merkwürdigen Vorlieben hat. Aber dann hast du geschrieben. Also haben wir beschlossen, dich deinem Vergnügen zu überlassen.“

„Wie gesagt, er war auch nett. Ich war diejenige, die völlig betrunken mit ihm ins Bett wollte. Gott, ich kann kaum glauben, wie ich mich benommen habe.“

„Wirst du dich noch mal mit ihm treffen?“

„Nein“, erwiderte Kate. „Er hat mich gefragt, aber ich kann das nicht. Ich will einfach nur vergessen, was gestern passiert ist.“

„Dann sollten wir den Club ab jetzt wohl meiden, falls er jeden Abend dort hingeht. Und ansonsten müssen wir uns vorher eben umsehen, wenn wir in ein Restaurant oder eine Bar wollen. Damit du ihn nicht noch mal triffst.“

Kate seufzte. „Tja. Leider betrifft das nicht nur den Urlaub. Denn rate mal, wo er wohnt.“

„Was? Wo denn? In London?“

„Nein, näher.“

„Manchester?“

„Noch näher.“

„Dann muss er ja in unserer Gegend leben.“

„Richtig.“ Kate ließ sich auf das Bett sinken. „Er wohnt in Moore.“

May starrte sie an. „In Moore? Du meinst unser Moore?“

„Ja, genau das meine ich.“

„Das ist doch ein gottverdammter Scherz, oder?“

Hilflos zuckte Kate mit den Schultern. „Ich wünschte, es wäre so.“

„Wie absurd ist das denn? Er könnte von überall herkommen, aber dann stellt sich raus, dass er ausgerechnet im Kaff nebenan wohnt? Bist du ihm schon mal begegnet?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, obwohl er mir irgendwie bekannt vorkam. Kann natürlich sein, dass ich auf der Straße mal an ihm vorbeigelaufen bin. Aber bewusst habe ich ihn nie wahrgenommen. Er ist auch etwas älter, also geht er abends vielleicht nicht unbedingt dorthin, wo wir sind.“

„Wie alt ist er denn?“

„Ende dreißig, schätze ich mal. Ich habe ihn nicht gefragt.“

„Ein Sugardaddy.“ May grinste. „Nicht schlecht, Kate.“

„Hör auf“, erwiderte Kate. „Mir ist gar nicht nach Scherzen zumute. Vielleicht werde ich das irgendwann mal witzig finden. Aber jetzt finde ich es einfach nur schrecklich.“

„Und was macht er hier in der Türkei?“

„Urlaub, genau wie wir. Er ist schon eine Woche vor uns angekommen, zusammen mit seinen Freunden.“

Sie zuckte zusammen, als das Hoteltelefon klingelte.

May riss die Augen auf. „Denkst du, das ist er?“

„Hoffentlich nicht“, stieß Kate hervor. „Ich habe ihm den Namen unseres Hotels nicht verraten. Oh! Glaubst du, er ist mir gefolgt und steht jetzt unten an der Rezeption?“

„Ich gehe dran“, erklärte May. „Wenn er das ist, sage ich, dass ich dich nicht kenne und dass es ein Irrtum sein muss. Okay?“

Kate nickte.

May griff nach dem Hörer. „Hallo“, sagte sie. Dann schwieg sie eine Weile, während sie der Person am anderen Ende zuhörte. „Für dich“, sagte sie schließlich und reichte ihrer Freundin den Hörer.

„Ist er es?“, flüsterte Kate.

„Nein“, raunte May und verdrehte die Augen. „Es ist Phil.“

KAPITEL 6

„Phil“, sagte Kate. „Was ist los? Wieso rufst du hier im Hotel an und lässt dich von der Rezeption zur mir durchstellen? Ist etwas passiert?“

„Ich muss mit dir sprechen.“ Seine Stimme klang angespannt, mindestens zwei oder drei Töne höher als sonst. „Auf dem Handy konnte ich dich nicht erreichen. Ich dachte, du hast vielleicht schlechten Empfang.“

„Ja, der Empfang hier ist nicht besonders gut“, log sie. „Vorhin habe ich gesehen, dass ich ein paar Anrufe von dir verpasst habe.“ Ein paar, dachte sie, traf es nicht mal ansatzweise. Es waren Dutzende. „Aber ich hatte noch keine Zeit zurückzurufen.“

„Oh“, entgegnete er. „Verstehe.“

„Phil“, wiederholte sie betont ruhig. „Weshalb rufst du an? Ist irgendetwas passiert?“

„Nein. Ich wollte nur … mit dir reden. Hören, ob alles okay ist.“

„Mir geht es gut, Phil.“ Sie konnte spüren, wie ihre Schultern sich verspannten. „Ich bin erwachsen und kann selbst auf mich aufpassen.“

„Natürlich, das weiß ich. Aber …“

„Und wie bist du überhaupt an diese Nummer gekommen?“, unterbrach sie ihn.

„Ich habe deine Eltern gefragt, in welchem Hotel du wohnst.“

Die Antwort war schnell gekommen, zu schnell. Sie kannte Phil genau und sie konnte an seiner Stimme hören, wenn er log. Außerdem war sie ziemlich sicher, dass sie weder mit ihrem Vater noch mit ihrer Mutter darüber gesprochen hatte, in welchem Hotel sie abgestiegen waren. Phils Dreistigkeit nervte sie. Das ganze Gespräch nervte sie.

„Bist du sicher?“, fragte sie daher. „Soweit ich mich erinnere, habe ich mit meinen Eltern nie über das Hotel gesprochen. Also: Woher hast du die Nummer?“

Er schwieg. „Ich habe mich durchgefragt“, murmelte er schließlich.

„Durchgefragt? Bei wem?“

„Bei den Hotels.“

Kate starrte in den Spiegel, der gegenüber vom Bett hing. Ihr eigenes Gesicht blickte ihr entgegen – wütend, verstört. „Verstehe ich das richtig: Du hast alle Hotels hier in Kalkan angerufen und nach mir gefragt?“

„Nein!“, entgegnete er empört. „Natürlich nicht. Ich wusste ja, dass du am Hafen wohnst. Also habe ich nur bei diesen Hotels angerufen und darum gebeten, zu dir durchgestellt zu werden.“

„Ach so. Nur bei den Hotels am Hafen.“ Plötzlich fühlte sie sich schrecklich müde. Wieso konnte er sie nicht in Ruhe lassen, wenigstens eine Woche lang? Nur eine einzige Woche, damit sie ihren Urlaub genießen konnte. War das wirklich zu viel verlangt? „Tja, danke für den Anruf“, erklärte sie. „Aber jetzt muss ich leider los. Wir sind nämlich gerade auf dem Weg zum Frühstück.“ Sie warf einen Blick auf Gemma, die quer im Bett lag – eine Wange gegen das Kissen gepresst, den Mund halb geöffnet, während sie leise schnarchte. „May und Gemma stehen schon an der Tür und warten auf mich.“

May schnaubte und lachte leise. Kate warf ihr einen warnenden Blick zu.

„Ich wollte nur kurz mit dir reden. Du fehlst mir.“

„Okay, Phil. Können wir das verschieben? Wie gesagt, die anderen warten. Wir haben Hunger.“

„Du meldest dich später?“

„Klar.“

„Versprichst du es?“

„Ja, ich verspreche es“, sagte sie, obwohl ihr klar war, dass sie dieses Versprechen nicht halten würde. Aber was sollte sie tun? Wenn sie nicht eine längere Diskussion mit Phil beginnen wollte, blieb ihr kaum eine andere Wahl.

Erleichtert legte sie den Hörer zurück auf die Gabel.

Im gleichen Moment schlug Gemma die Augen auf. „Wer war das?“, fragte sie und richtete sich im Bett auf.

„Phil“, sagte Kate. „Er hat in sämtlichen Hotels angerufen, um mich zu finden.“

„Im Ernst?“ Gemma runzelte die Stirn. „So langsam finde ich das etwas seltsam. Klar, die Trennung hat ihn hart getroffen. Aber dir so nachzuschnüffeln, ist doch nicht mehr normal. Er muss sich dringend mal zusammenreißen.“

„Ich weiß“, erwiderte Kate. „Aber er meint es nicht böse. Du kennst doch Phil. Er …“

„Hör auf, ihn in Schutz zu nehmen.“ Gemmas Stimme klang plötzlich scharf. „Was er tut, ist nicht okay. Das sollte ihm klar sein, schon allein wegen der Sache mit Beth.“

Einen Moment sagte niemand etwas. „Na ja“, unterbrach Kate schließlich das bedrückte Schweigen. „Ich finde nicht, dass man das vergleichen kann. Bei Beth damals, da war es eine ganz andere Dimension.“

„Nur haben wir das am Anfang nicht begriffen, oder?“, sagte Gemma. „Vielleicht wäre es nie dazu gekommen, wenn wir nicht so verdammt lange gezögert hätten.“

„Wir waren jung“, versuchte May sie zu beruhigen. „Wir wussten es nicht besser.“

„Aber jetzt wissen wir es.“ Gemma schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und genau deshalb finde ich, dass es keine Entschuldigung für Phils Verhalten gibt. Er muss damit aufhören.“ Sie schaute Kate an. „Okay, lassen wir das. Tut mir leid. Ich wollte den Morgen nicht mit einer Diskussion über deinen Exfreund beginnen. Schließlich gibt es andere spannende Themen. Zum Beispiel die letzte Nacht. Also, wo zur Hölle warst du, du teuflische Verführerin?“

Kate bückte sich, sammelte eine Handvoll der überall verstreuten Klamotten zusammen und warf sie ihrer Freundin entgegen. „Zieh dich an. Dann verrate ich dir meine düsteren Geheimnisse beim Frühstück. Und danach gehen wir an den Strand. Schließlich sind das unsere letzten beiden Urlaubstage. Die sollten wir genießen.“

KAPITEL 7

Sie war zurück. Der Moment war gekommen, dem Phil seit einer gefühlten Ewigkeit entgegengefiebert hatte. Während sie weg war, hatte er unablässig an Kate gedacht, jeden Tag, jede Minute. Nur mit Mühe hatte er sich davon abhalten können, sie stündlich anzurufen. Aber irgendwie war es ihm gelungen, sich auf einige wenige – na ja, vielleicht auch ein paar mehr – Anrufe am Abend zu beschränken.

Leider hatte Kate keinen dieser Anrufe entgegengenommen, sodass er sich schließlich gezwungen gesehen hatte, sie aufzuspüren, indem er jedes einzelne Hotel in Kalkan anrief und dort bei der Rezeption nachfragte. Die Recherche war aufwendiger gewesen als gedacht. Denn dummerweise schien Kalkan vor Hotels quasi überzuquellen. Dabei war der Ort gar nicht so groß, jedenfalls nicht gemäß Google Earth. Drei bis vier Mal täglich hatte Phil die Karte aufgerufen, um dann virtuell durch die Straßen zu spazieren, in der idiotischen Hoffnung, Kate auf einem der Bilder zu entdecken. Und das, obwohl ihm völlig klar war, dass Google Earth keine Live-Aufnahmen präsentierte, sondern die Bilder mehrere Monate alt waren. Mindestens. Trotzdem hatte er sich Kate auf diese Weise näher gefühlt. Außerdem hatte er so noch ein paar Hotels entdeckt, die ihm vorher entgangen waren.

Und jedes dieser Hotels war voll mit Männern. Männer, die ihren Urlaub in vollen Zügen genießen wollten. Zum Beispiel mithilfe einer Affäre mit einer hübschen Engländerin, die sich erst kürzlich von ihrem langjährigen Freund getrennt hatte und daher sehr labil war. Ein leichtes Opfer, das zwischen Anmachsprüchen und echten Gefühlen nicht unterscheiden konnte. Denn dazu fehlte ihr die Erfahrung.

Nur einmal im Verlauf dieser endlosen sieben Tage war es Phil gelungen, ihre Stimme zu hören. Sofort hatte er eine unglaubliche Erleichterung verspürt. Sie war noch da, sie war noch immer am Leben. Und, ja, okay, die Verbindung zwischen ihnen war vielleicht nicht mehr ganz so eng wie früher, aber sie bestand noch immer. Das jedenfalls hatte er gedacht, bis Kate kommentarlos aufgelegt hatte. Danach war alles noch schlimmer gewesen als zuvor.

Ja, es war eine lange Woche gewesen. Aber nun war sie vorüber. Kate. War. Zurück. Er hatte ihren Rückflug im Internet verfolgt, hatte beobachtet, wie das kleine gezeichnete Flugzeug über die Landkarte kroch, vom Dalaman Airport bis nach Manchester. Und als die Maschine schließlich angekommen war, hatte er die Homepage des Flughafens aufgerufen und noch einmal auf der Liste der gelandeten Flüge nachgesehen, nur um ganz sicher zu sein.

Natürlich, rein logisch betrachtet war damit nur klar, dass die Maschine angekommen war. Ob Kate sich darin befunden hatte, war eine andere Frage. Also hatte er sich sein Rad geschnappt – schlafen konnte er jetzt sowieso nicht – und sich auf den Weg zu ihrem Haus gemacht. Es war fast Mitternacht, daher standen die Chancen nicht schlecht, dass Kate inzwischen den Koffer geholt, den Zoll passiert und den Heimweg angetreten hatte. Vielleicht war sie schon angekommen. Er fuhr schnell und registrierte befriedigt, dass er dadurch nicht außer Atem geriet. In letzter Zeit nahm er so oft wie möglich das Rad, wenn er irgendwohin musste. An der frischen Luft schienen sich seine Gedanken zu klären und etwas Sport war immer gut. Bei seinen Fahrten mied er für gewöhnlich die Hauptstraße und nutzte stattdessen die vielen kleinen Pfade, Gassen und Alleen, die von den meisten Einwohnern des Städtchens ignoriert wurden. Daher kam es nur ganz selten vor, dass er irgendeiner Menschenseele begegnete. In seinem derzeitigen Zustand bevorzugte er die Einsamkeit.

Heute war der Mond verhangen von dichten Wolken. Trotzdem hatte Phil kein Problem, den Weg zu finden. Wenig später bog er in seine Straße ein. Seine ehemalige Straße, um genau zu sein.

Und da war es. Ihr Auto. Direkt vor dem Haus. Der Beweis, der absolute Beweis, dass sie zurück war.

Die Fenster im oberen Stockwerk waren hell erleuchtet. Das Schlafzimmer befand sich an der Vorderseite des Hauses. Jenes Haus, aus dem er ausgezogen war, obwohl sie die Beziehung beendet hatte. Er hatte ihr das angeboten, weil er gehofft hatte, ihr auf diese Weise zu zeigen, was für ein gelassener, großzügiger Mensch er war. Doch inzwischen bereute er sein Angebot. Denn es hatte nichts bewirkt, außer dass er jetzt bei Andy auf dem Sofa schlief.

Reglos stand er da und starrte hinauf. Nach einer Weile erschien eine Gestalt am Fenster. Gleich darauf wurden die Rollos heruntergelassen. Die Rollos, die Kate und er gemeinsam gekauft und angebracht hatten.

Obwohl ihm klar gewesen war, was er sehen würde, hatte er beim Anblick der Gestalt kurz nach Luft geschnappt. Alles, worauf er gewartet hatte, war jetzt Realität. Kate war in Sicherheit. Sie war zu Hause. Sie war zurück.

Nun konnte er die Dinge wieder in Ordnung bringen. Und genau das würde er auch tun.

Er würde tun, was immer nötig war, um dieses Ziel zu erreichen.

KAPITEL 8

Ein ohrenbetäubendes Scheppern riss Kate aus dem Schlaf. Es klang, als würde jemand mit dem Klöppel unablässig gegen eine altmodische Metallglocke schlagen. Dieser Weckton ihres Smartphones machte den Tagesbeginn nicht allzu angenehm. Aber leider war er die einzige Möglichkeit, dass sie um sechs Uhr früh auch wirklich aufwachte.

Sie öffnete die Augen. Ein paar Sekunden hatte sie Mühe, sich daran zu erinnern, wo sie war. Zu Hause. An einem Montagmorgen.

Sie starrte an die Decke. Ihre Augen fühlten sich geschwollen an. Sie war sehr viel müder, als sie an einem normalen Montag gewesen wäre. Der erste Tag nach dem Urlaub war immer ein Kampf. Einen Tag vorher war das Leben noch gewesen, wie es sein sollte: entspannt und sorgenfrei, mit neuen Erfahrungen und neuen Menschen. Und jetzt, die Rückkehr in den Alltag, eingeleitet vom Schrillen des Weckers um sechs Uhr früh. Und dieser Urlaub war anstrengend gewesen. All die langen Nächte, der viele Alkohol und dazu das Schlafen in fremden Betten (in einem Fall sogar in einem fremden Bett mit einem fremden Mann). Natürlich hatte sich dann noch der Rückflug verspätet, weshalb sie erst gegen Mitternacht zu Hause angekommen war.

Nur um feststellen zu müssen, dass ihr Haustürschlüssel weg war.

Bevor sie in die Türkei geflogen war, hatte sie den Schlüssel vom Bund abgelöst, weil sie all die anderen Schlüssel sowieso nicht brauchen würde. Dann hatte sie ihn in eins der Seitenfächer ihrer Tasche gelegt, in der Erwartung, ihn dort wiederzufinden, wenn sie aus dem Urlaub zurückkehrte. Doch da war er nicht. Aber wo war er dann? Im schwachen Schein der Innenbeleuchtung hatte sie die gesamte Tasche auf dem Vordersitz des Autos ausgeleert.

Kein Schlüssel.

Also hatte sie mühsam den Koffer hervorgezogen und den Inhalt ebenfalls quer über die Sitze verteilt.

Nichts. Kein Schlüssel.

Völlig entnervt und übermüdet hatte sie schließlich die Suche aufgegeben und die Autotür zugeknallt. Wodurch Carl aufgewacht war, der Besitzer des Nachbarhauses.

Der fünfzigjährige Ingenieur war prompt heruntergekommen, um festzustellen, was es mit dem ganzen Lärm auf sich hatte. „Brauchst du Hilfe?“, hatte er sich erkundigt.

„Ich habe meinen Schlüssel verloren. In der Türkei. Er muss irgendwie aus der Tasche gefallen sein.“

„Oh. Soll ich für dich ins Haus einbrechen?“

„Weißt du, wie man so was macht?“

„Klar, das ist ganz einfach. Du musst mir nur sagen, welches deiner Fenster du opfern willst. Und schon sind wir drin.“

Zehn Minuten später war sie tatsächlich im Haus gewesen. Bevor er gegangen war, hatte Carl ihr netterweise noch versprochen, gleich am Morgen einen Freund anzurufen, der das kaputte Küchenfenster reparieren würde.

Trotzdem hatte es danach noch ewig gedauert, bis sie eingeschlafen war. Und jetzt war die Nacht vorbei und sie musste zur Arbeit. Zurück zur Routine: Erst die Fahrt auf der verstopften M56 nach Manchester. Dann der Job in der Anwaltskanzlei, eine solide, angesehene Firma, die ihr ein faires Gehalt und gute Karrieremöglichkeiten bot im Tausch gegen ihre Seele und einen Großteil ihrer Lebenszeit. Zurück zu Michaela, ihrer 42-jährigen Chefin, die der Auffassung war, sie hätte mehr verdient als die Position in der Kanzlei. Weil sie nämlich gearbeitet, gearbeitet und noch mehr gearbeitet hatte. Kinderkriegen war zuerst keine Option gewesen und dann hatte sich herausgestellt, dass es zu spät war.

Kate war Michaela ein Dorn im Auge, weil sie als jüngere Kollegin schon eine Stufe unter ihr stand. Und es war durchaus möglich, dass sie noch weiter aufsteigen, womöglich sogar Partnerin in der Kanzlei werden konnte. Schlimmer noch: Mit Mitte dreißig würde Kate dann noch genügend Zeit bleiben, um Kinder zu bekommen und das Leben zu führen, das laut Michaela eigentlich ihr zugestanden hätte.

Kurz: Es war eine Rückkehr zu den alltäglichen Querelen.

Entsprechend langsam verließ Kate ihr Bett. Sie fühlte sich noch immer wie erschlagen. Ein Flug von der Türkei nach England verursachte keinen Jetlag. Trotzdem war ihre innere Uhr nach dieser Woche anders eingestellt. In Kalkan hätte sie sich jetzt im Bett umdrehen und noch ein paar Stunden weiterschlafen können. Aber der Urlaub war vorbei.

Sie tappte den Flur entlang zum Badezimmer. Ihre Füße waren gebräunt, nur in der Mitte befand sich ein weißes V, dort, wo die Riemen ihrer Sandalen entlanggelaufen waren. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie mit May und Gemma über den Bazar geschlendert war. Es hatte dort alle möglichen Fakes gegeben, von gefälschten Designertaschen bis hin zu falschem Goldschmuck. Ihr absoluter Favorit waren jedoch die echten falschen Uhren gewesen.

Sie hatte laut gelacht, als sich ein junger Türke mit einem ansteckenden Lächeln vor ihnen aufgebaut und auf seinen Stand gedeutet hatte. „Kommen Sie herein, schöne Ladys. Nur ein Blick. Echte falsche Uhren. Die allerbesten von Kalkan.“

Noch immer lachend waren sie ihm gefolgt, und Gemma hatte tatsächliche eine Rolex gekauft. Eine echte falsche Rolex, die sie Matt schenken wollte. Kate war kurz versucht gewesen, auch eine Uhr zu kaufen. Für Phil. Es gab da eine TAG Heuer, die er geliebt hätte. Aber, nein, das ging nicht. Sie musste konsequent bleiben, sonst würde Phil nur noch verwirrter werden. Und das konnte sie auf keinen Fall gebrauchen. Es war schon schwer genug, mit ihm klarzukommen, so, wie er sich momentan verhielt.

Es dauerte, bis das Wasser der Dusche warm wurde. Einen Moment lang befürchtete Kate, dass der Boiler kaputt war. Verdammt, ich muss Phil bitten, sich das anzusehen, schoss es ihr durch den Kopf. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass Phil nicht mehr hier wohnte. Sie konnte ihn nicht um Hilfe bitten. Also würde sie irgendeine Firma anrufen müssen. Vermutlich gab es auch einen Garantievertrag für den Boiler, die Frage war nur, wo der sich befand. Vielleicht in der Schublade der Küchenanrichte? Bis jetzt hatte sich Phil um diese Dinge gekümmert. Notfalls würde sie eben doch anrufen müssen und … Plötzlich wurde das Wasser warm. Erleichtert verschob sie das Garantie-Problem in einen hinteren Winkel ihres Bewusstseins. Darum würde sie sich demnächst kümmern. Irgendwann mal, wenn sie Zeit hatte.

Nach einer schnellen Dusche trocknete sie sich ab und ging zurück ins Schlafzimmer. Es war seltsam, diese Stille im Haus. Phil war Frühaufsteher. Wenn sie aus der Dusche kam, war er normalerweise schon unten in der Küche und hatte das Radio angestellt. Deshalb war sie es gewohnt, beim Anziehen und Schminken im Hintergrund das leise Murmeln zu hören, während der verführerische Duft von frischem Kaffee die Treppe hinaufstieg.

Aber heute nicht. Heute war das Haus ganz still und keinerlei Duftschwaden kamen ihr aus der Küche entgegen.

Im Urlaub mit ihren Freundinnen war ihr alles ganz leicht vorgekommen. Sie hatten viel gelacht und jeden Tag war etwas Neues passiert. Sie hatte nur selten über die Trennung nachgedacht.

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