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Kennwort: Schwarzer Ritter

hier erhältlich:

Zu viel Champagner, zu viele riskante Abenteuer mit Fremden, denen Lust alles und die Seele nichts bedeutet - jetzt ist Molly tot. Die schöne Anwältin Kate Logan ermittelt. Zusammen mit ihrem Geliebten Mitch Calhoon gerät sie in einen gefährlichen Dschungel von Internet-Sex, organisiertem Verbrechen und korrupter Justiz. Hier will jeder seine dunklen Geheimnisse bewahren. Um jeden Preis. Auch um den eines Menschenlebens.


  • Erscheinungstag: 30.05.2016
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955765613
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christiane Heggan

Kennwort: Schwarzer Ritter

Roman

Image

MIRA® TASCHENBUCH


MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Deutsche Taschenbucherstausgabe

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Moment of Truth

Copyright © 2001 by Christiane Heggan

erschienen bei: Mira Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam

Konzeption/Reihengestaltung: fredeboldpartner.network, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Casarsa /iStock

eBook-Herstellung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN eBook 9783955765613

www.mira-taschenbuch.de

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PROLOG

Das einstöckige Motel, das einzige Gebäude an der wenig befahrenen Landstraße, zeichnete sich weiß gegen den nachtschwarzen Himmel im Norden Virginias ab. Nur der in regelmäßigen Abständen aufleuchtende rote Neonschriftzug „Zimmer frei“ zuckte durch die alles umhüllende Dunkelheit.

Geräuschlos bog der dunkle Mercedes auf den Parkplatz des Motels ein und rollte in eine Parklücke. Der Mann hinter dem Steuer ließ den Motor im Leerlauf brummen, während er die Umgebung in Augenschein nahm. Sein Blick blieb am Fenster von Zimmer 12 am Ende des Gebäudes hängen. Ein Gefühl der Erregung verdrängte seine Müdigkeit. Er war sich immer noch nicht sicher, ob dieses Treffen eine gute Idee war. Er hatte nicht genügend Zeit gehabt, um Auskünfte über das Mädchen einzuholen und sich davon zu überzeugen, dass sie war, was sie zu sein behauptete – ein Chatroom-Junkie auf der Suche nach ein paar Stunden voller wildem, hemmungslosem Sex.

Sie hatte sich zum ersten Mal vor zwei Wochen im Spinnennetz eingeloggt, aber vom ersten Moment an, als sie sich unter dem Pseudonym Guinevere angemeldet hatte, übte sie einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Obwohl sie, wie sie gestand, ein Neuling im Sex-Chatroom war, hatte sie doch eine Menge Erfahrung auf dem Gebiet des erotischen Small Talks. Manchmal gab sie sich sogar regelrecht verdorben, und das erregte ihn über alle Maßen.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie ausgerechnet ihn ausgesucht, um ganz offen und schamlos mit ihm zu flirten. Sie machte ihm klar, dass sie ein gemeinsames Karma hatten wegen ihrer jeweiligen Decknamen – Guinevere und Der Schwarze Ritter. Kaum hatten sie in der ersten Nacht im Chatroom Kontakt aufgenommen, war sie auch schon mit ihm in einen privaten Bereich gegangen und hatte ihm vorgeschlagen, sich zu treffen, um ein paar Spiele zu machen und ein bisschen Spaß zu haben. Immer wieder hatte er versucht, sie abzuwimmeln, aber sie war hartnäckig geblieben. Sehr hartnäckig sogar.

Deshalb hatte er das Spinnennetz während der vergangenen Woche nicht besucht. Diese Frau bedrängte ihn nämlich in einer Art und Weise, wie er es zuvor noch niemals erlebt hatte, und das bereitete ihm Unbehagen. Er hatte das Spinnennetz vor drei Jahren entdeckt und es sich zur Regel gemacht, genaue Erkundigungen über die Frauen einzuholen, mit denen er sich persönlich treffen wollte. Guinevere hatte sich allerdings geweigert, ihm etwas über sich selbst zu erzählen. Das Geheimnis um ihre Identitäten, hatte sie behauptet, sei ein wesentlicher Teil des Nervenkitzels – warum hätte man sich sonst treffen sollen? Das Einzige, was sie von sich preisgab, war die Tatsache, dass sie in Delaware lebte und bereit war, auch woanders hinzufahren.

Seine Gleichgültigkeit ihren wiederholten Bitten gegenüber hatte sie nur entschlossener werden lassen. Erst gestern hatte sie ihn unbarmherzig gequält, ihn einen bösen Jungen gescholten und beschuldigt, sich ihr zu verweigern. Sehr zum Vergnügen der anderen Anwesenden im Chatroom hatte sie ihm gnadenlos detailliert mitgeteilt, was sie mit ihm anstellen wollte, wenn sie endlich einander gegenüberstünden. Sie hatte mit ihm gesprochen, als seien sie bestens miteinander bekannt, als wüsste sie um seine Wünsche und seine Begierden.

Sein gesunder Menschenverstand hatte ihm geraten, sie nicht länger zu beachten und in einen anderen Chatroom zu wechseln. Da draußen gab es schließlich jede Menge Frauen, die bereit waren, sich mit ihm unter Bedingungen zu treffen, die er bestimmte. Dieses Mädchen war einfach zu wild, zu sehr auf Abenteuer aus. Aber gleichzeitig hatte die Gefahr, die von ihr ausging, seinem Begehren ganz neue Dimensionen eröffnet. Sein Widerstand zerbröckelte nach und nach, als ihre Botschaften immer heißer wurden und Bilder heraufbeschworen, die es ihm geradezu unmöglich machten, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf diese erregenden Worte.

Er holte tief Luft. Es gibt keinen Grund zur Sorge, beruhigte er sich. Der Ort, den er schon öfters ausgewählt hatte, war vollkommen sicher. Hier stiegen meistens Fernfahrer ab, die viel zu müde waren, um sich auch nur im Geringsten darum zu scheren, was im Nebenzimmer passierte.

Sein Blick wanderte noch einmal über den Parkplatz, und er fragte sich, welche der drei Limousinen wohl ihr gehören mochte. Keine hatte ein Nummernschild von Delaware. Das bedeutete, dass sie entweder einen Wagen gemietet oder ausgeliehen hatte, um hierher zu fahren. Er nickte anerkennend. Sie war ebenfalls vorsichtig, und das beruhigte ihn. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass jene Frauen, die am meisten zu verlieren hatten, die geringsten Schwierigkeiten machten.

Ein Schauer der Vorfreude durchrieselte ihn, als er den Motor abstellte. Er stieg aus dem Wagen und lief hastig über den Parkplatz.

Die Vorhänge von Zimmer 12 waren bis auf einen Spalt in der Mitte zugezogen. Es reichte aus, um ihm einen Eindruck vom Zimmer und seiner Bewohnerin zu vermitteln. Er hielt den Atem an, als er sie erblickte. Sie war da und drehte ihm den Rücken zu. Sie trug nur einen schwarzen Stringtanga sowie schwarze Lederstiefel und ging lässig im Zimmer umher. Ihr langes platinblondes Haar bedeckte zur Hälfte ihr Gesicht.

Wie angewurzelt blieb er stehen und sog den Anblick ein: ihre sinnlichen Hüften, den perfekt gerundeten Hintern, die langen, wohl geformten Beine. Er wartete darauf, dass sie sich umdrehte, damit er den Rest von ihr sehen konnte, aber das tat sie nicht. Ob sie wohl ahnt, dass ich sie beobachte? fragte er sich. Hatte sie die Vorhänge nur deshalb nicht ganz zugezogen?

Er überlegte, ob er sie warten lassen und damit klar machen sollte, wer hier das Sagen hatte, aber als sie sich vorbeugte, um eine Flasche Champagner aus dem Sektkühler zu nehmen, der am Fußende des Bettes stand, durchfuhr es ihn wie ein heftiger, aber ihm wohl vertrauter Schock, dass er nicht hier war, um harmlose Spielchen zu spielen.

Dann ging er endlich zur Tür und öffnete sie. „Guten Tag, Guinevere.“

Sie fuhr herum, und als er den entsetzten Ausdruck auf ihrem Gesicht wahrnahm, blieb sein Herz beinahe stehen. Er versuchte, etwas zu sagen, aber er konnte kein Wort hervorbringen.

Obwohl sie genauso erschrocken war wie er, erholte sie sich schnell und reagierte, wie es typisch war für sie. Sie warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus.

„Sei still.“ Wenigstens hatte er seine Stimme zurückgefunden, wenn auch noch nicht seine Gelassenheit. Er schloss die Tür und bemühte sich um einen energischen Tonfall. „Willst du das ganze Haus aufwecken?“

Sie warf ihr Haar – eine Perücke, wie er jetzt feststellte – über die Schultern. Sie wirkte nicht im Geringsten eingeschüchtert. „Willst du mir etwa vorwerfen, dass ich mich amüsiere? Das ist wirklich unglaublich!“ Sie stützte die Hände in die Hüften, während sie ihn langsam von oben bis unten musterte. „Gar nicht mal so schlecht, die Verkleidung.“ Sie legte einen Finger an die Oberlippe. „Der Errol-Flynn-Schnäuzer gefällt mir besonders. Das gibt dir ein gewisses … je ne sais quoi.“

„Halt den Mund und hör zu“, sagte er scharf. „Ich gehe jetzt durch diese Tür, und du ziehst dich an und tust dasselbe. Dieses Treffen hat niemals stattgefunden, ist das klar?“

„Ganz und gar nicht, José.“ Sie ließ ein ordinäres Lachen hören. „Das ist zu gut, um darauf zu verzichten.“ Langsam kam sie auf ihn zu. Unter anderen Umständen hätte ihn die Art, wie sie es tat, erregt. Aber im Moment spürte er nur nackte, kalte Angst.

„Warte nur, bis die Chatter vom Spinnennetz erfahren, wer der Schwarze Ritter ist“, sagte sie verächtlich. „Du, mein Freund, bist bestimmt wochenlang das Thema Nummer eins.“

„Du wirst keinem gegenüber auch nur ein Sterbenswort davon sagen!“

„Und mir den ganzen Spaß verderben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Ich kann es kaum erwarten, dass ganz Washington erfährt, was für eine Art Perversling du bist.“

Sie begann, kichernd um ihn herumzulaufen. „Wer hätte gedacht“, sagte sie mit ihrer leisen, verführerischen Stimme, „dass tief in deiner puritanischen Seele so ein heißes Feuer lodert.“ Sie fuhr ihm mit der Hand über den Rücken. „Aber mir gefällt das, weißt du.“ Er spürte ihren Mund an seinem Ohr. „Das macht mich an“, flüsterte sie.

Er stieß sie von sich. „Zieh dich an.“

„Aber warum? Gefällt dir diese kleine Nummer nicht?“ Sie drehte sich vor ihm im Kreis und klimperte mit den Augenlidern. „Das habe ich extra für dich gekauft.“ Ihre Stimme wurde spöttisch. „Du bist erregt, stimmt’s? Komm, gib’s doch zu. Du willst mich. Ich kann es in deinen Augen lesen, an der Art, wie du atmest.“

Sie kam näher und presste ihre Brust gegen seine. Ihr Mund war nur Millimeter von seinem entfernt, rot, verführerisch und tödlich. Es war ihm peinlich, dass er davon erregt wurde.

„Ich habe ein paar von den Spielsachen mitgebracht, von denen ich dir erzählt habe.“ Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe. „Willst du sie mal ausprobieren?“

Er folgte ihrem Blick zu einem Stuhl, auf dem sie verschiedene Fesselungsrequisiten – Seile, Handschellen, Augenmasken – ausgebreitet hatte.

„Was ist los mit dir, Liebling? Hast du einen Knoten in der Zunge?“ Ihr verführerischer Blick verriet pure Lust. „Das käme uns doch jetzt wirklich sehr ungelegen.“

Sein Mund war trocken. Das Blut pochte so laut in seinen Ohren, dass er glaubte, sie würden platzen.

„Ach, komm schon“, neckte sie ihn. „Sei kein Spielverderber. Wir sind doch hierher gekommen, um ein bisschen Spaß zu haben, oder?“ Sie blinzelte ihm übertrieben aufdringlich zu. „Wenn du wirklich so gut bist, wie ich vermute, dann werde ich dich wärmstens weiterempfehlen. Nichts ist so effektiv wie eine gute Mundpropaganda. Vielleicht rufe ich sogar die Post an. Denen würde eine so saftige Story wie diese hier gefallen, glaubst du nicht auch?“

Der Gedanke, seinen Namen in fetten Lettern auf der Titelseite der Washington Post zu sehen, verursachte ihm Übelkeit. Dieses Miststück würde ihn vernichten. Die ganzen Jahre harter Arbeit für nichts und wieder nichts; sein Traum so unerreichbar wie ein ferner Planet.

Eine andere Frau hätte vernünftige Argumente akzeptiert – oder Geld. Aber die hier nicht.

Er war sich vollkommen im Klaren darüber, dass der einzige Weg aus diesem Schlamassel nur über ihre Leiche führte.

Ganz offensichtlich hatte sie nicht die geringste Ahnung von seinen Gedanken, während sie ihn aufmerksam betrachtete und ihren Zeigefinger in den Mund steckte. Es wäre so leicht, seine Hände um diesen schlanken Hals zu legen und zuzudrücken, bis sie ihren letzten Atemzug getan hätte. Leicht, aber riskant. Instinktiv würde sie sich wehren, versuchen, seine Finger zu lösen, ihm möglicherweise sogar das Gesicht zerkratzen, so dass Blut und Hautfetzen unter ihren Fingernägeln zurückblieben.

Er musste eine andere Lösung finden. Während sein Gehirn fieberhaft arbeitete, blieben seine Augen an der Champagnerflasche auf dem Nachttisch hängen.

Sie bemerkte seinen Blick und lächelte. Das Spiel würde beginnen. „Warum lässt du nicht den Korken knallen? Ich hole die Gläser.“

Als sie sich von ihm abwandte, begann sein Herz zu hämmern. Das war seine Chance. Er durfte sie nicht verpassen. Ohne eine Sekunde zu zögern, ergriff er den Hals der Champagnerflasche, bog den Arm zurück, als ob er einen Baseballschläger benutzen wollte, und schlug mit all seiner Kraft auf ihren Hinterkopf.

Er hörte das hässliche Geräusch, als das Glas mit dem Schädel der Frau zusammentraf. Im selben Moment gaben die Beine unter ihr nach, und sie sah aus wie eine Puppe, deren Glieder auseinander fielen. Mit dem Gesicht nach unten stürzte sie auf das Bett. Als er auf sie hinunterschaute, war sein stoßweises Atmen das einzige Geräusch in der Stille des Zimmers. Blut begann aus ihrem Mund zu fließen und sickerte durch den billigen gelben Bettbezug.

War sie tot? Er war sich nicht sicher und konnte den Blick nicht von ihr wenden. Er spürte bereits erste Anzeichen von Panik. Was, wenn sie nur bewusstlos war? Wenn er noch einmal zuschlagen musste?

Instinktiv wollte er weglaufen, aber er zwang sich, die Flasche hinzustellen. Vorsichtig näherte er sich dem Bett, ging noch einen Schritt näher. Er beugte sich über sie. „Molly?“ Als keine Antwort kam, griff er in das falsche Haar, drehte ihren Kopf um und fuhr entsetzt zurück.

Leblose blaue Augen starrten ihn an.

Er wusste nicht mehr, wie lange er so gestanden hatte, während er darauf wartete, dass das Zittern seines Körpers aufhörte und sein Gehirn wieder zu arbeiten begann. Als es schließlich so weit war, war sein erster Impuls wegzulaufen. Rasch. Aber jetzt noch nicht. Sondern erst, wenn er sich um ein paar Details gekümmert hatte.

Ruhiger geworden, zog er ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte alles ab, was er berührt hatte oder glaubte, berührt zu haben – den Nachttisch, den Stuhl mit den Sex-Utensilien und natürlich die Champagnerflasche.

Als er damit fertig war, schickte er einen letzten prüfenden Blick durch den Raum, wobei er versuchte, den reglosen Körper auf dem Bett zu ignorieren. Doch selbst als Tote war die Frau wie ein Magnet, zog ihn an sich, zwang ihn, hinzuschauen. Der Anblick ließ ihn schaudern. Aus dieser Perspektive schien sie ihn mit ihren weit geöffneten Augen geradewegs anzustarren und ihn zu verspotten.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich den Blick von ihr wenden konnte und den Raum verließ. An der Tür blieb er so lange stehen, bis er die Klinken, innen und außen, sorgfältig abgewischt hatte. Als er sich vergewissert hatte, dass niemand vor der Tür stand, trat er hinaus und verschwand in die Nacht.

1. KAPITEL

Zwei Jahre später

„Kate!“ Als der Richter sich von seiner Bank erhob und mit wallender Robe den Saal verließ, schloss Melanie Riley sie in die Arme und drückte Kate Logan an sich. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben ein Wunder vollbracht.“

Kate erwiderte die Umarmung. Sie war erleichtert, dass sie genau das Urteil bekommen hatten, das sie sich gewünscht hatten. Sie sah, wie Melanies Exehemann aus dem Gerichtssaal stürmte. „Das ist allein Ihr Verdienst, Melanie. Sie waren fantastisch im Zeugenstand. Sie strahlen ja richtig vor Liebe zu Ihrer Tochter. Der Richter hat das erkannt und entsprechend geurteilt.“

Melanie ließ Kate los und wischte eine Träne fort. „Aber Sie waren es, die in der Vergangenheit meines Exmannes gewühlt und ihn als den Tyrannen entlarvt haben, der er wirklich ist. Wenn Sie das nicht getan hätten, wäre ihm möglicherweise auch ein Sorgerecht an Pru zugesprochen worden.“

„Aber er hat es nicht bekommen“, erwiderte Kate fröhlich und nahm ihre Mandantin beim Arm. „Warum also lassen wir nicht einfach diese beiden letzten Wochen hinter uns und verschwinden von hier? Ich bin sicher, dass Sie von diesem Gerichtssaal die Nase voll haben.“

„Das stimmt, aber zuerst …“ Sie griff in ihre Handtasche und holte einen dünnen Briefumschlag hervor.

Kate machte eine abwehrende Handbewegung. „Stecken Sie Ihr Geld weg, Melanie. Das hier geht auf meine Rechnung.“

Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf. „Nein, Kate. Ich habe Ihnen versprochen, jede Woche ein bisschen zu zahlen, und genau das werde ich auch tun.“

Obwohl Kate selbst knapp bei Kasse war, hatte sie nicht vor, Geld von einer allein erziehenden Mutter zu nehmen, die schwer arbeiten musste, um ihre kleine Tochter zu ernähren. Melanies Ehemann, ein echter Mistkerl, hatte sie sitzen lassen, als Prudence noch ein Baby war. Vor drei Monaten war er dann wieder aufgetaucht und hatte ihr gedroht, um das Sorgerecht für ihre Tochter zu prozessieren, wenn Melanie nicht das Haus verkaufen würde, das ihr gehörte, und ihm die Hälfte des Erlöses gab.

Familienrecht war nicht gerade ihr Fachgebiet, aber als die junge Mutter, die als Sekretärin im selben Gebäude arbeitete wie sie, in ihr Büro gekommen war und so verängstigt ausgesehen hatte, konnte Kate es nicht übers Herz bringen, ihre Bitte abzulehnen.

„Ich habe eine bessere Idee“, sagte sie, als Melanie versuchte, ihr den Umschlag in die Hand zu drücken. „Warum stecken Sie das Geld nicht in das neue Kinderzimmer für Prudence? Das, was Sie neulich bei Hechts gesehen haben? Ich weiß doch, wie sehr Sie es sich wünschen.“

„Aber all die Zeit, die Sie investiert haben …“

Kate brachte sie mit einer Geste zum Schweigen und schob sie zum Ausgang. „Hat Ihnen noch keiner gesagt, dass Sie niemals mit Ihrem Anwalt diskutieren sollen?“

Zum ersten Mal zeigte sich ein breites Lächeln auf Melanies Gesicht. „Doch. Ihre Sekretärin.“

„Sie sollten auf sie hören. Frankie weiß schließlich, wovon sie spricht.“

Melanie seufzte resigniert und ließ den Umschlag wieder in ihre Tasche fallen. „Nun gut, Kate. Wie Sie wünschen. Aber ich werde es nicht vergessen“, fügte sie mit erhobenem Zeigefinger hinzu. „Ich werde schon irgendwie einen Weg finden, um mich für all das zu revanchieren, was Sie für mich getan haben.“

„Ich möchte nur, dass Sie und Prudence glücklich sind“, erwiderte Kate. Und sie meinte es ehrlich. Schließlich war sie selbst eine allein erziehende Mutter und konnte nicht umhin, Melanies innere Stärke und ihre stolze Haltung zu bewundern.

Vor dem Gerichtsgebäude umarmten sich die beiden Frauen noch einmal und versprachen, in Kontakt zu bleiben. Melanie winkte ihr zu, als sie zu ihrem Wagen ging, und Kate eilte in ihr Büro in der Nähe des L’Enfant Plaza. Obwohl das Wetter Ende März noch ziemlich rau sein konnte, waren die vergangenen Tage ausgesprochen mild gewesen. Deshalb wimmelte es auf den Straßen von Washington auch von Leuten, die die warmen Sonnenstrahlen genossen, und von Touristen, die die Kirschblüte bewunderten.

Wie üblich um diese Tageszeit war weit und breit kein Taxi in Sicht. Sie war froh, dass sie klug genug gewesen war, bequeme Schuhe anzuziehen, und machte sich kurz entschlossen zu Fuß auf den Weg zur Seventh Street.

Als Kate die National Mall, den mit Gras bewachsenen Kiesweg zwischen dem Capitol und dem Lincoln Memorial, überquerte, schaute sie auf ihre Uhr. Es war fast Mittag, und das bedeutete, dass es auf den Virgin Islands ein Uhr war. Wenn sie jetzt auf der Yacht anrief, würde sie Alison noch erwischen, bevor sie sich mit ihrem Vater und dessen neuer Frau zum Lunch niederließ.

Sie wählte die vierzehnstellige Nummer auf ihrem Handy, die sie sich während der vergangenen zehn Tage eingeprägt hatte. Beim dritten Signal nahm Alison den Hörer ab.

Aus einer Entfernung von 1800 Meilen hörte sie die Stimme ihrer Tochter laut und deutlich. „Hallo?“

„Wie geht’s meinem kleinen Mädchen?“

„Oh, Mom, ich wünschte, ich könnte länger hier bleiben. Es macht so viel Spaß.“

Kate spürte einen leichten Stich der Enttäuschung. Sie hatte gedacht, dass Alison sich nach Hause sehnen würde, nachdem sie zehn Tage fort war von allem, was ihr vertraut war. Aber die Aussicht, zurückzukehren, schien ihr nicht besonders verlockend. Beschämt über ihre Selbstsucht, machte Kate sich Vorwürfe. Warum sollte sich eine Dreizehnjährige auf der Reise ihres Lebens nicht amüsieren?

„Ich freue mich, dass es dir so gut gefällt, Schatz“, sagte sie und versuchte, fröhlich zu klingen. „Was hast du denn heute Morgen gemacht?“

„Der Kapitän hat uns nach Mosquito Island gebracht. Da sind wir geschwommen und haben Muscheln gesucht. Und nach dem Mittagessen wollen wir mit Motorrollern über die Insel fahren. Dad und Megan haben die Roller reserviert.“

Kate hörte selbst die Besorgnis in ihrer Stimme. „Aber setz einen Sturzhelm auf.“

Alison lachte. „Aber Mom. Auf den Virgin Islands trägt man keine Sturzhelme.“

Kate wollte gerade fragen, ob sie mit Eric sprechen könnte, ließ es aber dann doch lieber bleiben. Das Letzte, was sie wollte, waren Spannungen zwischen ihr und ihrer Tochter. Davon hatte es schließlich genug gegeben während der Zeit, als sie sich von Eric hatte scheiden lassen, wofür Alison sie allein verantwortlich gemacht hatte.

„Wie kommst du denn mit Megans Nichte zurecht?“ fragte Kate stattdessen. Die Sechzehnjährige, deren Eltern in London lebten und arbeiteten, war erst vor drei Tagen zu ihnen aufs Schiff gekommen. Kate hatte befürchtet, der Teenager könnte ein wenig zu alt für Alison sein, die mit ihren dreizehn Jahren leicht zu beeindrucken war. Megan hatte ihr jedoch versichert, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Candace sei ein sehr verantwortungsbewusstes Mädchen und absolut vertrauenswürdig.

„Candace ist echt cool, Mom. Hab ich dir schon gesagt, dass sie drei Sprachen beherrscht? Und sie kann wirklich alles – Sporttauchen, Wasserski fahren, Parasailing …“

„Du wirst nicht Parasailing machen, Alison.“ Dieses Mal sprach Kate mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. „Und du wirst auch nicht tauchen.“

„Ich weiß. Dad hat mir schon gesagt, dass ich noch zu jung dafür bin. Aber Wasserski ist doch okay, oder? Wir wollen das morgen machen, an unserem letzten Tag. Ich ziehe auch eine Schwimmweste an“, fügte sie hastig hinzu.

Kate verkniff sich eine weitere Spaß verderbende Antwort. Obwohl Eric als Ehemann versagt hatte, war er ein guter Vater und Megan eine zuverlässige junge Frau. Sie würden schon aufpassen, dass Alison nichts passierte.

„Na gut“, sagte sie und bemühte sich, sorglos zu klingen. „Aber sei vorsichtig.“

Wenn sie auch nur eine Schramme im Gesicht hat, Eric, bist du ein toter Mann.

„Klar, bin ich.“ Kate hörte, wie die Stimme ihrer Tochter wieder aufgeregter wurde. „Ich habe dir ein Geschenk gekauft. Auch für Mitch, aber sag ihm nichts, hörst du? Es soll eine Überraschung sein.“

Kate lächelte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Alison und Mitch in den vergangenen vier Monaten einen Draht zueinander gefunden hatten. Aber dann waren sie die besten Freunde geworden. „Meine Lippen sind versiegelt.“

„Ich muss jetzt los, Mom. Das Mittagessen ist fertig. Mein Lieblingsgericht – Hummer. Der Kapitän hat sie heute Morgen gefangen. Wusstest du, dass die Hummer in der Karibik keine Scheren haben?“

„Nein.“ Im Stillen strich Kate den Hackbraten von der Karte, den sie zur Feier von Alisons Rückkehr am Mittwoch Abend zubereiten wollte. Sie würde sich etwas Interessanteres ausdenken müssen. Obwohl sie noch keine Ahnung hatte, was wohl gegen frisch gefangene Hummern aus der Karibik bestehen könnte. „Ich wünsch dir für morgen einen tollen Tag, Alison. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, Mom.“

Nachdem Alison eingehängt hatte, presste Kate das Handy ein paar Sekunden lang an ihre Brust. Es war albern, aber plötzlich hatte sie Sehnsucht. Ihr kleines Mädchen wurde rasend schnell erwachsen und jeden Tag selbstständiger, besonders jetzt, da sie so viel Zeit mit Megan verbrachte. Es war nicht so, dass Kate Erics neuer Frau die Rolle verübelte, die sie in Alisons Leben spielte. Megan war ein gutherziger Mensch, und sie liebte Alison. Aber es ließ sich nicht verleugnen, dass der luxuriöse Lebensstil der frisch Vermählten die Dreizehnjährige zu beeinflussen begann. War sie in der Vergangenheit sparsam mit ihrem Taschengeld umgegangen, so gab sie es nun ziemlich sorglos aus, denn sie wusste, wenn sie nichts mehr hatte, würde Megan ihr einfach mehr geben. Tatsächlich war die junge Frau so großzügig, dass Kate das Gefühl hatte, dem einen Riegel vorschieben zu müssen – was Alison ihr natürlich sehr verübeln würde.

Und als Eric und Megan das Mädchen eingeladen hatten, sie auf ihrer zehntägigen Kreuzfahrt um die Virgin Islands zu begleiten, hatte Kate Dutzende von Gründen angeführt, warum sie ihre Tochter nicht gehen lassen wollte. Keiner davon hatte Alison überzeugt. Und Eric übrigens auch nicht.

Schließlich war es Mitch gewesen, der sie sanft darauf hingewiesen hatte, dass ihre Weigerung Alison nur weitere Gründe für Auseinandersetzungen liefern würde.

Mitch hatte Recht gehabt. Sie hatte sich wie eine Glucke benommen. Übervorsichtig und vielleicht ein kleines bisschen eifersüchtig auf die Beziehung, die sich zwischen Alison und Megan zu entwickeln begann.

Apropos Mitch … Kate verdrängte Alison aus ihren Gedanken und wählte Mitchs Nummer im Polizeihauptquartier. Der Klang seiner Stimme, als er sich mit „Calhoon“ meldete, hob ihre Stimmung beträchtlich. „Hallo, Schönheit.“

„Selber hallo.“ Sie konnte sich vorstellen, wie er mit dem Stuhl nach hinten kippelte und sich mit den Fingern durch sein hellbraunes Haar fuhr, um die widerspenstige Strähne, die ihm in die Stirn fiel, zurückzuschieben. „Wie ist die Verhandlung gelaufen?“

„Wir haben gewonnen, und du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“

„Du willst feiern.“

„Und zwar ganz groß. Abendessen bei mir?“

Seine Stimme klang schelmisch. „Warum lassen wir das Essen nicht ausfallen und kommen sofort zum Feiern?“

„Du bist schlimm, Calhoon.“

„Was erwartest du vor mir? Schließlich habe ich dich in den letzten beiden Wochen kaum gesehen.“

Kate seufzte, als ihr Blick auf ein junges Paar fiel, das schmusend auf einer Bank saß. „Das lag an dem Fall, aber der ist ja nun vorbei. Von jetzt an werde ich mehr Zeit haben.“

„Wo Alison übermorgen zurückkommt? Das bezweifle ich.“

„Ein Grund mehr, aus heute Abend das Beste zu machen, meinst du nicht?“ fragte sie mit ihrer verführerischsten Stimme.

„Wenn du weiter so sprichst, komme ich sofort in dein Büro und werde dich leidenschaftlich auf deinem neuen Teppich lieben. Wir könnten es als längst fällige Einweihung des Zimmers betrachten.“

„Hör auf“, sagte sie, als sie den amüsierten Gesichtsausdruck der Passanten bemerkte, die ihr entgegenkamen. „Du machst mich ja ganz wild hier mitten auf der National Mall.“

„Habe ich dich jetzt so richtig angetörnt?“

„Ja. Nein. Ach, du bist unmöglich.“

„Na gut, diesmal lass ich dich noch in Ruhe. Aber empfang mich an der Tür in dem kleinen Ding, das du das letzte Mal angehabt hast, als ich bei dir war.“

Kate spürte, wie sie errötete, als sie sich an den roten Seidenbody erinnerte, den sie sich aus einer Laune heraus bei Victorias Secrets auf der Connecticut Avenue gekauft hatte. Von dieser verführerischen Seite an ihr, die sie bis zu diesem Zeitpunkt sorgsam verborgen gehalten hatte, war Mitch ausgesprochen angetan. „Vielleicht mach ich dir diesmal die Tür auf – und habe nichts an.“

Er lachte. „Immer diese leeren Versprechungen.“

Sie verabschiedete sich und ließ das Handy in ihre Handtasche fallen. In Gedanken war sie schon bei einem potenziellen Klienten, den sie um vier Uhr treffen sollte. Ed Gibbons, der beschuldigt wurde, seinen Geschäftspartner getötet zu haben, saß im städtischen Gefängnis und behauptete, keinerlei Erinnerung an diese Schießerei zu haben. Nach seiner eigenen Schilderung hatte er sich plötzlich in Peter Brinks Büro wiedergefunden – mit einer 38.er Pistole, seiner Pistole, – in der Hand, obwohl er keine Ahnung hatte, wie die aus seinem Safe zu Hause in die New Hampshire Avenue 600 geraten war.

Da er mit seinen beiden vorherigen Anwälten nicht zufrieden war, hatte er sie gefeuert und überlegte nun, Kate zu engagieren. Und das hing davon ab, ob sie ihn dazu bringen konnte, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Bisher hatte er sich geweigert, über diese Möglichkeit auch nur nachzudenken.

Sie hoffte, dass Gibbons nicht auch dieses Treffen – wie schon das vorherige – absagen würde. Je eher sie die Verhandlung beginnen konnten, umso früher würde sie ihren Vorschuss bekommen.

Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass Geld in ihrem Leben so wichtig geworden war. Das hätte wirklich nicht passieren dürfen. Das Medieninteresse war groß gewesen, als sie die Sozietät Fairchild Baxter verlassen hatte, und die kurzzeitige Berühmtheit hatte in ihr die Hoffnung genährt, sich einen soliden Klientenstamm aufbauen zu können. Unglücklicherweise war es für viele wichtiger, von einer bekannten Kanzlei vertreten zu werden, selbst wenn sie in einen Skandal verwickelt war, als sich einer kompetenten Anwältin anzuvertrauen. Und dann waren da noch Douglas Fairchilds alte Freunde, die ihrem früheren Schwiegervater unbeirrbar die Treue hielten und es Kate sehr übel nahmen, dass sie den Ruf eines Mannes beschmutzt hatte, den sie seit langem bewunderten.

Douglas’ Entlarvung war einer der Tiefpunkte in ihrem Leben gewesen. Der angesehene Anwalt war neben ihrem Vater der einzige Mensch gewesen, zu dem sie aufgeblickt hatte. Es war ein vernichtender Schlag für sie, als sie vor vier Monaten herausgefunden hatte, dass er und eine Halbweltdame aus Washington die Ermordung von zwei Frauen in Auftrag gegeben hatten und damit beinahe Alisons Tod verursacht hätten. Nachdem Douglas festgenommen worden war, hatte sie keine andere Wahl gehabt, als die Firma zu verlassen, obwohl Douglas’ Partner, Charles Baxter, sie gerne behalten hätte und ihr als Anreiz sogar die Teilhaberschaft anbot.

Aber Kate hatte sich entschlossen, ihre eigene Kanzlei zu eröffnen, denn sie konnte sich der vollen Unterstützung ihrer Familie und Freunde sicher sein. Sogar Rose Fairchild, ihre ehemalige Schwiegermutter, die sich nach der Festnahme ihres Mannes aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, war auf ihrer Seite gewesen und hatte ihr versichert, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Rose wollte ihr die Kanzlei sogar finanzieren.

„Du hast so viel für mich getan, Kate. Nun lass mich doch auch einmal etwas für dich tun. Schließlich sind wir immer noch eine Familie.“

Kate hatte freundlich abgelehnt und der Frau versichert, dass sie ihr Geld nicht nötig habe. Das war natürlich eine Lüge.

Es gab Zeiten, da wünschte sie sich, sie hätte einen anderen Beruf gewählt. Auf dem Gebiet des Strafrechts gab es viele Konkurrenten, besonders hier in der Hauptstadt des Landes. Doch schon bei ihrem ersten Seminar an der juristischen Fakultät der Georgetown Universität vor vierzehn Jahren hatte sie gewusst, dass dieses schwierige Fach ihre Bestimmung werden würde.

Beim Examen hatte sie zu den Besten ihres Faches gezählt und hätte sich jede Kanzlei in Washington aussuchen können. Stattdessen hatte sie sich für das überarbeitete und unterbezahlte Team im Büro des Bezirksstaatsanwalts entschlossen. Damals war sie noch voller Ideale gewesen und fest entschlossen, etwas in einem System zu bewirken, das ihrer Ansicht nach manchmal unfair war.

„Ich möchte für die Menschen da sein“, hatte sie ihrem Vater gesagt. „Deshalb muss ich Kriminelle hinter Gitter bringen, anstatt für ihre Freiheit zu kämpfen.“

Ihr Vater hatte sie verstanden – im Gegensatz zu Eric Logan, den sie schon während des Studiums geheiratet hatte. Es wollte ihm nicht in den Kopf, warum sie sich für eine solch unbefriedigende, schlecht bezahlte Arbeit entschieden hatte, zumal sein Stiefvater ihr eine fürstlich dotierte Position in seiner angesehenen Kanzlei angeboten hatte.

Schließlich war der Druck zu groß geworden. Sie war naiv genug zu glauben, dass ein höheres Gehalt ihre angeschlagene Ehe retten würde, und nahm Douglas’ Angebot an. Doch schon bald musste sie feststellen, dass Geld nicht das Allheilmittel war, das sie sich erhofft hatte.

Und nun hatte sie einen weiteren Meilenstein in ihrem Leben erreicht, einen, auf dem neue Herausforderungen lagen und unter dem neue Fallgruben lauerten. Da sie keinen Geschäftspartner in ihrer Kanzlei hatte, war die Miete der größte Kostenfaktor. Vermutlich wäre es vernünftiger gewesen, etwas Günstigeres zu suchen, aber sie hatte dem kleinen, gut ausgestatteten Büro an der Maryland Avenue nicht widerstehen können, zumal es nur wenige Häuserblocks vom Gerichtsgebäude entfernt lag, wo sie viel Zeit verbrachte.

Optimistisch, wie sie war, glaubte sie, dass die Geschäfte irgendwann besser würden. Alles, was sie benötigte, war ein spektakulärer Fall, um potenziellen Mandanten zu beweisen, dass sie den Herausforderungen auch alleine gewachsen war, ohne eine große, angesehene Kanzlei im Rücken. Und da sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hatte sie in der vergangenen Woche zugestimmt, CNN ein Interview zu geben. Die sieben Minuten waren schnell vorbei, aber sie reichten aus, die Höhepunkte ihrer Karriere zu erwähnen – einschließlich des Falls mit der Halbweltdame aus Washington. Doch unglücklicherweise rannten ihr die Leute nicht die Tür ein – abgesehen von Edward Gibbons.

Sie hatte den Skulpturengarten fast erreicht, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um. Eine attraktive junge Frau stand direkt hinter ihr. Sie hatte hellbraunes Haar, das in weichen Locken ihr Gesicht einrahmte, und haselnussbraune Augen, die Kate mit einer Mischung aus Hoffnung und Besorgnis anschauten. Sie trug ein elegantes graues Kostüm, eine rosafarbene Seidenbluse und graue Pumps, die nicht fürs Spazierengehen geeignet waren. Ihren Hals schmückte eine Kette mit einem originell geformten goldenen Kreuz.

Kate hielt die Hand vor Augen, weil die Sonne sie blendete. „Ja“, sagte sie, „ich bin Kate Logan.“

„Ich weiß, dass dies eine sehr ungewöhnliche Art ist, Sie anzusprechen.“ Die Frau trat einen Schritt näher. „Ich habe zuerst in Ihrem Büro angerufen, doch Ihre Sekretärin sagte mir, dass Sie im Gericht wären und sie nicht wusste, wann Sie zurückkommen würden. Ich wollte Sie aber auf keinen Fall verpassen, deshalb habe ich beschlossen, ins Gerichtsgebäude zu gehen und dort auf Sie zu warten. Ich hätte Sie schon früher angesprochen, allerdings sind Sie so schnell gegangen, dass ich Sie aus den Augen verloren habe – bis jetzt.“

„Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Mein Name ist Jessica Van Dyke. Und ich brauche Ihre Hilfe ganz dringend.“

Soviel war klar: Die Frau stand offensichtlich unter großer Anspannung. „Wollen wir uns nicht in meinem Büro unterhalten? Es ist nur fünf Minuten von hier entfernt.“

Die Frau schaute erst in die eine und dann in die andere Richtung über die Mall. „Eigentlich würde ich lieber hier bleiben.“ Sie deutete auf eine leere Bank. „Wollen wir uns nicht dort hinsetzen?“

Kate zuckte mit den Schultern. Sie hatte schon ungewöhnlichere Anfragen gehabt. „Meinetwegen.“ Auf der Bank sah sie der jungen Frau ins Gesicht. „Was kann ich für Sie tun, Miss Van Dyke?“

Die Frau befeuchtete ihre Lippen. „Wird das unter uns bleiben?“

„Diskretion ist mein zweiter Name“, erwiderte Kate und hoffte, die Frau zum Lächeln zu bringen. „Aber damit Sie ganz sicher sein können – warum geben Sie mir nicht einen Dollar?“

„Wie bitte?“

„Sagen wir, der Dollar ist mein Vorschuss. Auf diese Weise bin ich an das Anwaltsgeheimnis gebunden, das mir verbietet, irgendetwas von unserem Gespräch preiszugeben.“

„Gut.“ Miss Van Dyke suchte in ihrer Handtasche und fand eine zerknüllte Dollarnote, die sie Kate reichte.

Kate warf sie in ihre Handtasche. „Also, was haben Sie für Probleme?“

„Ich bin nicht meinetwegen gekommen“, sagte die junge Frau zögernd. „Es geht um meinen Verlobten. Er … die Polizei glaubt, dass er jemanden umgebracht hat.“

„Ist er festgenommen worden?“

„Nein.“ Sie sah Kate in die Augen. „Er ist geflohen, bevor sie ihn festnehmen konnten.“

Ein Verlobter auf der Flucht. Kein Wunder, dass sie so nervös war. „Woher kennen Sie mich?“ fragte Kate freundlich.

„Ich habe das Interview gesehen, das Sie vergangene Woche auf CNN gegeben haben. Ich und auch mein Verlobter glauben, dass Sie die Richtige sind, um … diesen Fall zu übernehmen.“ Mit ernstem Gesichtsausdruck beugte sie sich nach vorn. „Er hat es nicht getan, Mrs. Logan. Ich weiß, was Sie jetzt denken – dass ich beeinflusst bin, weil ich ihn liebe, aber das stimmt nicht. Natürlich liebe ich ihn“, beeilte sie sich hinzuzufügen. „Aber das hat nichts mit meiner Überzeugung zu tun. Mein Verlobter ist wirklich unschuldig.“

Kate hatte diesen Ausdruck schon vorher gesehen – eine Mischung aus bedingungsloser Liebe und absolutem Vertrauen. Das Problem war nur, wie sie oft hatte feststellen müssen, dass eine solche blinde Zuneigung mehr als häufig nicht gerechtfertigt war.

„Wenn er unschuldig ist, warum ist er denn nicht geblieben, um sich zu verteidigen?“

„Er hatte Angst. Er wusste nicht, was er tun sollte, also ist er fortgelaufen.“

Der Überlebensinstinkt. Auch damit war Kate vertraut. „Wer war das Opfer?“

„Seine frühere Frau.“ Sie sah Kate an, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ihr Name war Molly. Molly Buchanan.“

Kate erstarrte. „Sagten Sie Buchanan?“

„Ja. Mein Verlobter ist Todd Buchanan.“

Kate holte tief Luft. Dieser „Fall“ war soeben ein bisschen komplizierter geworden. Denn Molly Buchanan war Mitch Calhoons Schwester gewesen.

2. KAPITEL

Kate brauchte ein paar Sekunden, um sich von dem Schock zu erholen. Sie hatte Mitch noch nicht gekannt, als seine Schwester gestorben war, aber als Rechtsanwältin hatte sie den Fall, wie jeder Anwalt in und um Washington, mit professioneller Neugier verfolgt.

Todd Buchanan, ein bekannter Sportjournalist vom Fernsehen, war der jüngste Sohn des Obersten Bundesrichters Lyle Buchanan und der Bruder von Terrence Buchanan, einem ehemaligen Professor für internationales Recht an der Juristischen Fakultät von Georgetown und mittlerweile Dekan an der Jefferson Universität.

Todd war als Klugscheißer berüchtigt, ein reicher Junge mit einem Hang zu Schwierigkeiten und der Angewohnheit, den Namen seines Vaters zu benutzen, wenn er in der Klemme steckte, was ziemlich häufig der Fall war. Deshalb war es auch keine große Überraschung, als die Polizei ihn vor zwei Jahren vorlud, nachdem die Leiche seiner Frau in einem Motel im Norden Virginias entdeckt worden war.

Bei Fairchild Baxter war man allerdings davon überzeugt gewesen, dass die Polizei ein wenig zu eifrig darum bemüht gewesen war, Todd den Mord anzuhängen, und nicht alle Fakten berücksichtigt hatte. Vielleicht eine kleine Revanche für all die Exzesse, die sich der ehemalige Playboy in den vergangenen Jahren geleistet hatte.

Als Kate sich wieder gefangen hatte, räusperte sie sich. „Da Sie das Interview auf CNN gesehen haben“, sagte sie, „wissen Sie ja, dass Mitch Calhoon und ich befreundet sind.“ Sie machte eine Pause. „Sehr eng befreundet.“

„Ja. Und offen gesagt, Ihre Beziehung zu Mitch ist der Grund, warum Todd zunächst etwas dagegen hatte, dass ich zu Ihnen komme.“ Sie lächelte. „Gott sei Dank hat er seine Meinung geändert.“

Da habe ich aber Glück, dachte Kate selbstironisch.

„Ich glaube sogar“, fuhr Jessica fort, „dass Ihre Beziehung zu Mitch eher von Vorteil als ein Hindernis ist.“

„Wieso?“

„Wenn Todd Sie von seiner Unschuld überzeugen kann, werden Sie Ihrerseits Mitch überzeugen können. Das kann ich mir jedenfalls vorstellen.“

„Zu viel der Ehre, Miss Van Dyke. Ich kannte Mitch noch nicht, als seine Schwester umgebracht wurde, aber ich weiß, dass er und Todd sich ziemlich feindselig gegenüber stehen.“

„Aber nur von Mitchs Seite. Todd hat immer nur Gutes über Mitch gesagt.“ Jessica machte eine Pause. „Bis auf seine unfairen Anschuldigungen an dem Tag, als Todd zum Verhör musste.“

„Deswegen können Sie ihm kaum Vorwürfe machen. Wenn ich mich recht erinnere, waren die Beweise gegen Todd ziemlich belastend. Und als er flüchtete …“

„… hat er es nur schlimmer gemacht“, stimmte Jessica zu. „Todd sieht das inzwischen auch ein. Aber es waren nur Indizienbeweise. Es gab keine Fingerabdrücke am Tatort, und der Motelangestellte konnte ihn nicht identifizieren. Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war die Tatsache, dass die Person, vermutlich ein Mann, aus Zimmer 12 kam. Die Beschreibung des Verdächtigen – mittelgroß, mittleres Gewicht – trifft auf Tausende von Menschen allein in Washington zu.“

Kate musste lächeln. Sie fand es immer wieder amüsant, wenn Klienten versuchten, das Recht zu interpretieren. Die meisten hatten überhaupt keine Ahnung, wovon sie redeten. Aber Jessica Van Dyke gehörte nicht zu ihnen. Diese Frau hatte ihre Hausaufgaben gemacht, und im Großen und Ganzen hatte sie auch Recht. Die Polizei hatte den Motelangestellten mehrfach verhört, ihn jedoch nicht dazu bringen können, seine Aussagen zu ändern.

Jessica beobachtete sie aufmerksam, während sie mit ihrem Kreuz spielte. „Stimmen Sie mir zu?“

„Bis zu einem gewissen Punkt.“

Hoffnung flackerte in den hübschen haselnussbraunen Augen auf. „Dann werden Sie also Todds Fall übernehmen?“

„Miss Van Dyke, ohne mit Ihrem Verlobten persönlich gesprochen zu haben, fürchte ich …“

„Darum kümmere ich mich schon.“ Sie griff in die Ledertasche, die sie zwischen sich und Kate auf die Bank gelegt hatte, und holte eine Videokassette hervor. „Ich habe dieses Video von Todd gemacht, kurz bevor ich hierher gekommen bin“, sagte sie, während sie es Kate reichte. „Bitte schauen Sie es sich an. Hören Sie, was er zu sagen hat. Und dann treffen Sie Ihre Entscheidung.“

„Bitte“, wiederholte sie, als Kate keine Anstalten machte, das Band zu nehmen. „Das Einzige, was ich von Ihnen möchte, sind zwanzig Minuten von Ihrer Zeit. Wenn Sie das Band angeschaut haben und immer noch der Meinung sind, dass Sie Todd nicht verteidigen können, nehme ich das nächste Flugzeug, und Sie werden mich nie wiedersehen. Wenn Sie aber glauben, dass Todd unschuldig ist, und seinen Fall übernehmen, erhalten Sie sofort einen Vorschuss von hunderttausend Dollar auf Ihr Konto. Wenn das nicht genug ist, dann nennen Sie mir Ihr Honorar, und wir zahlen es. Geld ist kein Problem.“

Kate hatte vier lange Monate gewartet, um diese Worte zu hören. Und nun, als sie endlich jemand aussprach, zögerte sie plötzlich, hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, diesen Fall zu übernehmen, und ihrer Sorge um Mitch. Wie konnte sie die Verteidigung eines Mannes übernehmen, den er für den Mörder seiner Schwester hielt? Einen Mann, den er lange Zeit selber verfolgt hatte?

„Wenn es Ihnen so wichtig ist, den Namen Ihres Verlobten vom Mordverdacht zu befreien, warum haben Sie dann so lange gewartet, ehe Sie sich an einen Anwalt gewendet haben? Offensichtlich wissen Sie doch schon seit einiger Zeit über Todds Situation Bescheid.“

„Nachdem Todd mir von Molly erzählt hatte, war mein erster Gedanke, einen Anwalt zu engagieren. Aber Todd wollte davon nichts wissen. Er war sicher, dass niemand ihm glauben würde. Dann haben wir das Interview auf CNN gesehen, das Sie vor kurzem gegeben haben, und wussten sofort, dass Sie anders sind.“ Ihre Augen leuchteten plötzlich auf. „Man könnte sagen, dass der Zeitpunkt, zu dem das Interview kam, ein Zeichen von oben war.“

„Ein Zeichen?“

Die junge Frau lächelte sie unbefangen an. „An dem Tag, als ich Sie im Fernsehen gesehen habe, habe ich erfahren, dass ich ein Baby bekomme. Todd und ich werden Eltern.“

Sprachlos schaute Kate sie an. Kein Wunder, dass Jessica den Namen ihres Verlobten reinwaschen wollte. Welche Frau würde schon ein Kind auf die Welt bringen wollen, über dessen Schicksal eine dunkle Wolke schwebte?

Jessica beendete das Gespräch, indem sie die Kassette auf die Bank legte und sich erhob. „Ich wohne im Mayflower Hotel“, sagte sie. „Und das ist meine Handy-Nummer.“ Sie gab Kate einen Zettel, auf dem das Hotel-Logo stand. „Mein Flugzeug geht um halb zehn heute Abend. Ich hoffe, dass ich bis dahin etwas von Ihnen gehört haben werde.“

Kate nahm die Kassette, steckte sie in ihre Aktentasche und stand ebenfalls auf. „Aber ich verspreche nichts“, sagte sie.

„Selbstverständlich.“ Bevor sie ging, lächelte Jessica ihr noch einmal zu.

„Dieser verdammte, dreckige, hinterlistige Hund.“

Kate stand vor der Tür zu ihrem Büro im obersten Stock des Bellevue-Gebäudes und zuckte zusammen, als sie hörte, dass auf die Worte ihrer Sekretärin das Klirren von Glas folgte. Noch ein Freund, der abserviert worden war, dachte Kate und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Francine Morgano, besser bekannt als Frankie, war eine der besten Rechtsanwaltsgehilfinnen, die Kate jemals gehabt hatte. Sie war intelligent, tüchtig, ging ganz in ihrem Job auf und für ihre Chefin durchs Feuer. Sie hatte nur einen Fehler: Ihr Geschmack, was Männer anging, war schrecklich.

Weil Kate solche Ausbrüche gewohnt war, ließ sie auch dieser ziemlich kalt. Als sie das Empfangszimmer betrat, sah sie gerade noch, wie Frankie die gerahmte Fotografie ihres letzten Lovers in den Papierkorb schmetterte.

Sie lehnte sich gegen Frankies Schreibtisch und nahm ein paar Zettel aus dem Postkorb, auf die Frankie Mitteilungen und Wünsche der Anrufer notiert hatte. „Ärger mit Roméro?“ fragte sie, während sie die rosafarbenen Papiere durchsah.

Frankie warf ihr einen bösen Blick zu. Sie war keine Schönheit im klassischen Sinne, aber ihr Gesicht hatte einen exotischen Ausdruck, der die Blicke der Männer unweigerlich auf sich zog. Ihre Augen waren von einem hellen, fast durchscheinenden Blau. Sie hatte schmale, kühn geschwungene Augenbrauen und einen herzförmigen Mund, der stets in einem lebhaftem Rot angemalt war. Wie immer hatte sie ihr schwarzes Haar zu einem festen Zopf geflochten, den sie täglich mit einem anderen Kamm zusammenhielt. Heute war er aus Perlmutt.

„Erwähnen Sie nie wieder den Namen von diesem Mistkerl“, warnte sie.

Als Kate verständnisvoll nickte, schlug Frankie mit der Faust auf den Schreibtisch. „Wussten Sie, dass er sich hinter meinem Rücken mit seiner Exfreundin getroffen hat?“

Kate, die Roméro nie kennen gelernt hatte, schüttelte den Kopf.

„Ich habe ihn beim Mittagessen erwischt. In einem kleinen gemütlichen Lokal, wo er mit niemandem außer mir hingehen wollte. Das hat er mir sogar geschworen.“

„Das tut mir Leid.“ Kate meinte es ehrlich. „Ich hatte gedacht, dass es diesmal länger dauern würde.“

„Er wohl auch, da bin ich mir sicher.“ Frankie schnaubte verächtlich. „Er hatte ja auch allen Grund dazu. Ich habe ihm das Essen gekocht, die Hemden gewaschen und die Rechnungen bezahlt, wenn wir ausgegangen sind. Und was ist der Dank von diesem kleinen Stinker? Er vögelt seine Exfreundin aus der Schulzeit!“

Wütend trat sie gegen den Papierkorb, der in hohem Bogen durch den Raum flog. „Jedenfalls habe ich meine Lektion gelernt. Für mich ist das Kapitel Männer abgeschlossen.“

Kate lächelte. Ehe sie Fairchild Baxter zusammen mit Frankie verlassen hatte, waren die unglücklichen Liebesabenteuer der Sekretärin stets das Gesprächsthema Nummer eins in der Kanzlei gewesen. Glücklicherweise hatte ihr häufiger Liebeskummer keinen Einfluss auf ihre Arbeit. Frankie war sowieso immer dann am besten in ihrem Job, wenn sie litt.

Nun schien sie ihre persönlichen Probleme zur Seite zu schieben und schaute Kate an. „Genug von meinem verkorksten Liebesleben. Wie ist es denn heute gelaufen?“

Kate las eine der Nachrichten und seufzte frustriert. Sie war von Ed Gibbons. „Der Richter hat zu Gunsten von Melanie entschieden“, antwortete sie. „Sie hat das volle Sorgerecht für ihre Tochter bekommen. Der Vater darf sie alle zwei Monate sehen – allerdings nur, wenn jemand dabei ist. Ich wette, dass er kein einziges Mal auftauchen wird. Alles, was er von Melanie wollte, war Geld. Prudence war ihm immer ziemlich egal.“

Ein leichter Schauder durchfuhr Frankie. „Dieser Mann jagt mir Angst ein. Ich bin froh, dass Melanie ihn los ist.“ Sie wartete auf eine Reaktion von Kate. Als sie nichts sagte, hob sie die Augenbrauen und stellte ihr die Frage, mit der sie gerechnet hatte. „Hat Melanie Sie bezahlt?“

„Sie hat es versucht. Aber ich habe es nicht zugelassen.“

Frankie wedelte mit den Armen durch die Luft. „Und wieso nicht? Sie haben ihr doch schon die Gebühren erlassen. Warum haben Sie sich nicht an die Abmachung gehalten, die Sie beide vereinbart haben – jede Woche hundert Dollar, bis Sie Ihr ganzes Honorar haben?“

„Weil sie zwei Jobs hat und jeden Cent braucht, um den Privatdetektiv zu bezahlen, den ich engagiert habe, damit er Erkundigungen über ihren Ehemann einzieht. Mit anderen Worten: die Frau ist pleite.“

Frankie rollte mit den Augen. „Und Sie schwimmen im Geld?“

„Ich weiß, dass es im Moment ein bisschen eng ist …“

„Ein bisschen eng?“ Frankie nahm einen Stapel Rechnungen von ihrem Schreibtisch und hielt sie hoch. „Die Miete für diesen Palast ist fällig am 15. Auch die Rechnungen für die Möbel, die Computer und das Telefon. Wenn Sie nicht zufällig eine gute Fee kennen, die ein paar Nullen auf Ihr Bankkonto zaubert, stecken wir ganz schön in der Scheiße.“

„Das wird schon werden. Ed Gibbons’ Scheck mit dem Vorschuss muss jeden Tag eintreffen.“

„Da würde ich mich nicht drauf verlassen.“ Frankie deutete mit dem Kinn auf die Nachricht, die Kate immer noch in den Fingern hielt. „Dollars gegen Doughnuts. Das da bedeutet einen neuen Aufschub.“ Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Sehen Sie den Tatsachen ins Gesicht, Boss. Der Mann ist ein Irrer. Dem geht einer ab, wenn er Anwälte zum Narren hält.“

Ehe Kate etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: „Vorhin hat eine Frau angerufen. Sie wollte Sie unbedingt sprechen, deshalb habe ich sie zum Gericht geschickt. Haben Sie sie getroffen?“

„Ja. Sie hat mich auf der Straße angesprochen.“

Frankie sah sie erwartungsvoll an. „Potenzielle Mandantin?“

„Ihr Verlobter möglicherweise. Ihm wird ein Mord vorgeworfen, den er nicht begangen haben will.“

Frankies Stimmung hob sich sichtlich. „Hat er Geld?“

„Nach den Worten von Miss Van Dyke spielt Geld keine Rolle.“

„Das ist Musik in meinen Ohren.“ Frankie beugte sich nach vorn. „Wen hat der Knabe denn kaltgemacht?“

„Das Opfer war seine frühere Frau.“

„Aus der Gegend?“

„Alexandria, aber der Mord geschah in Fairfax.“ Sie wartete auf eine Reaktion. Als nichts kam, setzte sie hinzu: „Die Frau war Molly Buchanan.“

Frankies große runde Augen wurden noch ein wenig größer. „Mitchs Schwester?“

Kate nickte. „Miss Van Dyke glaubt, dass ihr Verlobter unschuldig ist. Sie will mir einen Vorschuss über hunderttausend Dollar geben, wenn ich den Fall übernehme.“

Frankie stieß einen langen Pfiff aus. „Hundert Riesen. Wow! Dann spielen Sie ja in der ersten Liga, Boss.“

„Ja, aber …“ Kate schaute die restlichen Notizen an – insgesamt vier Zettel. „Ich habe ihr noch keine Zusage gegeben.“

„Sie machen sich Gedanken wegen Mitch.“

„Da habe ich auch allen Grund zu, finden Sie nicht?“

„Ich weiß nicht“, meinte Frankie zuversichtlich. „Mitch ist ein verständnisvoller Mann. Geschäft und Privatleben sind für ihn zwei total verschiedene Sachen.“

Ihr Optimismus klang wirklich ansteckend. Das Problem war nur: Kate glaubte kein Wort davon.

3. KAPITEL

Kate saß in einem der tiefen, mit blauem Stoff bezogenen Polstersessel in ihrem Büro und beobachtete, wie das Bild auf dem Fernsehschirm einige Male verschwamm und wieder scharf wurde, ehe es sich stabilisierte. Hätte sie nicht gewusst, dass der braun gebrannte, muskulöse Mann mit dem langen blonden Haar Todd Buchanan war, hätte sie ihn niemals erkannt. Nicht nur sein Aussehen hatte sich verändert, auch seine ganze Haltung. Nach sechs Jahren als Sportreporter beim Fernsehen hatte sich keiner vor der Kamera wohler fühlen oder natürlicher geben können als Todd Buchanan. Doch auf diesem Band wirkte er ausgesprochen verunsichert und schaute immer wieder an der Kamera vorbei, vermutlich zu Jessica, während er eine möglichst bequeme Position auf dem Sofa suchte.

„Hallo.“

Kate musste lächeln, als sie sein linkisches Grinsen sah. Er erinnerte sie an sich selbst, wenn sie gefilmt wurde.

„Wenn Sie erst mal hier angelangt sind“, fuhr er fort, „dann wissen Sie wohl, wer ich bin und dass man mich verdächtigt, meine Frau Molly umgebracht zu haben.“ Er zog seine Jeans glatt, ehe er wieder aufschaute. Im Hintergrund hörte Kate ein leises Soufflieren. Dann nickte Todd, räusperte sich und sprach mit einer lauteren, selbstsichereren Stimme weiter. „Also gut, fangen wir an. Ich habe so etwas noch nie getan, also bitte haben Sie Nachsicht mit mir.“

Er schaute geradewegs in Kamera. Sein Gesichtsausdruck war ernst. „Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen mir und Molly nicht mehr so gut lief. Nun ja, zuerst schon, aber nach etwa einem Jahr veränderte sie sich und schien das Interesse an unserer Ehe zu verlieren. Sie ging abends oft aus und wollte mir nicht sagen, wohin oder mit wem. Sie versicherte mir, dass sie mich nicht betrog, aber als ich eines Abends ihre Handtasche durchsuchte, fand ich eine Packung Kondome und wusste, dass sie log.“

Er blickte auf seine verschränkten Hände hinunter und verstummte. Dieses Mal wurde ihm nichts von der anderen Seite der Kamera zugeflüstert. Einige Sekunden später schaute Todd wieder entschlossen auf. „Was unsere Haushälterin der Polizei erzählt hat, ist wahr. Molly und ich haben uns oft gestritten. Wir hatten auch am Nachmittag vor dem Mord einen Streit. Einen ziemlich hässlichen, an dessen Ende ich Molly sagte, dass ich sie umbringen würde, wenn sie nicht aufhörte, sich wie eine Nutte aufzuführen.“

Sein Gesichtsausdruck blieb ruhig. „Das war nicht als Drohung gemeint. Die Worte rutschten mir vor Wut einfach heraus, ohne dass ich darüber nachgedacht habe und natürlich ohne damit zu rechnen, dass genau diese Worte wenig später gegen mich verwendet werden würden.“

Wieder entstand eine Pause. Diesmal schaute er mit einem entschuldigenden Ausdruck zur Seite. „Bei allem, was Sie über mich gehört haben, gibt es da etwas, das Sie vielleicht noch nicht wissen – nicht viele Leute wussten es. Ich war verrückt nach Molly. Deshalb wollte ich mich auch nicht von ihr scheiden lassen. Ich habe immer gehofft, dass das, was sie da tat, nur eine Phase war und vorüber gehen würde. Ich habe mich geirrt. Es wurde noch sogar schlimmer. Wenn Sie mir nicht glauben, dann reden Sie mit ihrer besten Freundin Lynn Flannery. Sie kannte Molly besser als sonst irgendjemand. Nur seien Sie ein wenig vorsichtig und nehmen Sie nicht alles für bare Münze, was sie über mich erzählt. Diese Frau hasst mich. Sobald sie von Mollys Tod erfuhr, war sie fest entschlossen, mich als den Täter hinzustellen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie ein paar wichtige Informationen über Molly verschwiegen hat, die die Polizei zum wirklichen Mörder hätten führen können.

Sie fragen sich vielleicht, warum Molly nicht selbst die Scheidung eingereicht hat.“ Er lachte leise. „Die Wahrheit ist, ihr war unsere kranke Beziehung genauso wichtig wie mir, zum Teil, weil es sie antörnte, mich leiden zu sehen, zum Teil, weil sie sich an das Geld und das gute Leben gewöhnt hatte.“

Ein paar Sekunden vergingen. „Nach einiger Zeit habe ich so getan, als ob es mir egal sei, und habe selber angefangen, auszugehen, aber ich habe sie nie betrogen. Nicht einmal an jenem Tag, als ich ausgerastet bin und diese Sachen zu ihr gesagt habe.“ Er ließ ein trockenes Lachen hören. „Ich wünschte bei Gott, ich hätte sie betrogen. Dann hätte ich wenigstens ein Alibi. Stattdessen bin ich mit einem Freund weggegangen. Wir haben unsere übliche Runde gedreht – Kneipen und Stripschuppen.

Ich habe keine Ahnung, wie ich hinterher nach Hause gefahren bin, aber ich habe es geschafft. Molly war nicht daheim, doch das war nichts Ungewöhnliches. Ich ging ins Bett, ohne mich auszuziehen, und um acht Uhr am nächsten Morgen weckte mich die Haushälterin und sagte mir, dass die Polizei unten auf mich wartete und mit mir reden wollte. Auf diese Weise habe ich erfahren, dass Molly ermordet worden war.“

Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, zögerte und fuhr schließlich mit rauerer Stimme fort: „Man hat sie mit eingeschlagenem Schädel im Zimmer eines Motel an einer einsamen Landstraße gefunden. Derjenige, der sie getötet hat, hatte alle Spuren beseitigt. Die einzigen Fingerabdrücke, die die Polizei gefunden hat, waren von Molly und dem Zimmermädchen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wo ich gewesen war, nachdem ich meinen Freund verlassen hatte. Also nahmen die Polizisten mich zum Verhör mit.

Von Anfang an haben sie mich wie einen Mörder behandelt. Das hat mich nicht überrascht. Ich bin für die Polizisten von Nord-Virginia lange Zeit ein rotes Tuch gewesen. Jetzt konnten sie es mir sozusagen heimzahlen. Ich wusste, dass ich sofort ins Gefängnis musste. Also habe ich meinen Freund Jake angerufen und ihn gebeten, für mich zu lügen, was die Uhrzeit anbetraf, um die wir die letzte Bar verlassen hatten. Er konnte es nicht, und das hat mich natürlich noch schuldiger aussehen lassen.“

Wieder senkte er den Blick. „Ich weiß, dass ich mich ziemlich dumm benommen habe. Mein Vater hat mich in dem Glauben erzogen, dass die Gerechtigkeit früher oder später siegen wird. Ich denke, in dieser Nacht damals hatte ich zu viel Angst, um daran zu glauben. Ich habe alles nur noch schlimmer gemacht und meine Eltern tief verletzt.“ Er hielt inne. „Und meinen Bruder. Er hat sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet und daran geglaubt, dass er schließlich dafür belohnt werden würde, und ich …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe ihm alles vermasselt.“

Kate wusste, worauf er anspielte. Drei Wochen vor Mollys Ermordung hatte der neu gewählte Präsident der Vereinigten Staaten Terrence Buchanan gefragt, ob er sein Sicherheitsberater werden wollte. Als die Nachricht vom Mord an Molly und Todds Verschwinden bekannt wurde, hatte Terrence auf das Amt verzichtet.

Todds Blick wurde weich, als er erneut an der Kamera vorbeischaute. „Das einzig Positive, was aus diesem Schlamassel herauskam, war Jessica. Sie ist eine wundervolle Frau – in jeder Beziehung.“ Er lachte ein wenig verunsichert. „Und sehr überzeugend. Aber das wissen Sie ja schon.“

Er wurde wieder ernst. „Ich weiß, dass Sie in einer verzwickten Lage sind – wegen Mitch. Er ist nicht leicht zu nehmen, und er hat Molly geliebt. Aber Sie sind meine letzte Hoffnung, Mrs. Logan.“

Offenbar war er am Ende angelangt und nickte der Person hinter der Kamera zu. Der Bildschirm wurde dunkel.

Lange blieb Kate schweigend sitzen und starrte auf den Fernsehapparat, während das Band zurücklief. Nach elf Jahren als Anwältin konnte sie einen Lügner eine Meile gegen den Wind riechen. Etwas in ihr hatte sich gewünscht, dass Todd log, denn wenn er es getan hätte, wäre ihr die Entscheidung sehr viel leichter gefallen. Wenn sie etwas nicht leiden konnte, war es ein Mandant – oder ein möglicher Mandant -, der sie anlog.

Aber Todd Buchanan hatte sie überrascht. Er hatte die Fakten schlicht und einfach dargestellt und, falls ihr Instinkt sie nicht im Stich ließ, wahrheitsgemäß. Das konnte nur eins bedeuten: Jemand anders hatte Molly Buchanan umgebracht.

Kate gehörte nicht zu denjenigen, die impulsive Entscheidungen fällten. Sie nahm sich vor, mehr Informationen zu sammeln. Die würde sie bei Nexis finden, dem Internet-Zeitungsarchiv, in dem man mit einem Mausklick praktisch alles, was jemals über eine Person oder eine Sache geschrieben worden war, nachlesen konnte.

Sie ging zu ihrem Schreibtisch und startete den Computer. Nach wenigen Sekunden klickte sie sich durch ein paar Artikel, von denen die meisten aus den großen Zeitungen wie Washington Post, New York Times und Chicago Tribune stammten. Normalerweise erregte der Mord an einer jungen Frau kaum überregionales Interesse, selbst wenn sie zu einer reichen Familie gehörte. Aber wenn diese junge Frau die Schwiegertochter eines Obersten Bundesrichters der Vereinigten Staaten war und der Sohn des Richters unter Mordverdacht stand, nahmen die Reporter rasch die Witterung einer aufregenden Story auf.

Wie sie erwartet hatte, wurden alle Einzelheiten erwähnt, die das bestätigten, was ihr von dem Fall in Erinnerung geblieben war. Die Polizei hatte nicht nur Todd, sondern auch Lynn Flannery vernommen, eine Möbeldesignerin, deren Geschäft auf der K Street lag. Molly hatte dort in den letzten beiden Jahren ihres Lebens gearbeitet und sich um Marketing und Werbung gekümmert. Zuvor hatte sie sich in allen möglichen Bereichen versucht: Werbetexterin, Public Relation, Verkauf. 1996 hatte sie ihre eigene PR-Agentur eröffnet, aber nach einem Jahr ohne nennenswerten Erfolge wieder etwas Neues angefangen.

Ihre Hobbys waren ebenso unterschiedlich wie zahlreich. Während ihrer Schulzeit war sie Meisterschaftsschwimmerin, eine versierte Reiterin und eine fähige Ruderin. Die Heirat mit einem der begehrtesten Junggesellen Washingtons hatte sie nicht etwa gezähmt, sondern im Gegenteil ihre Lust auf Abenteuer nur noch mehr angestachelt.

Kate klickte weiter und las den beeindruckenden Lebenslauf von Richter Buchanan. Lyle J. Buchanan war zunächst Richter am Appellationsgericht, bevor er zum Obersten Bundesgericht berufen wurde, und er hatte den zweifelhaften Ruhm, der meist gehasste Richter in der Geschichte dieser Institution zu sein. Er war ein beinharter Konservativer, der seine Überzeugungen von seinem verstorbenen Vater, einem Bezirksrichter, und seinem Großvater geerbt hatte. Seine freimütigen Äußerungen zur Abtreibung, Schulgebeten und Rechten von Homosexuellen hatten für viel Ärger gesorgt und so viele Morddrohungen provoziert, dass der Direktor des FBI nicht nur einen, sondern gleich zwei FBI-Agenten zu seinem Schutz rund um die Uhr abgestellt hatte. Drei Monate später wurde ihm ihre Anwesenheit zu lästig, und er hatte alle beide mit dem Argument entlassen, er könne sehr gut auf sich alleine aufpassen. Bis jetzt war es ihm auch gelungen.

Kate las weiter. Der Detective, der Mollys Ermordung aufklären sollte, war Frank Sykes, ein ehemaliger Angehöriger der Polizei von Fairfax County. Außerdem war er ein Freund von Mitch, was bedeutete, dass es ungewiss war, ob er kooperieren würde oder nicht.

Es gab noch andere Hürden. Die Buchanans waren dabei nicht die niedrigsten. Der Anwalt, den sie für Todd besorgt hatten, war einer der brillantesten Prozessführer an der Ostküste und Teilhaber einer Spitzenkanzlei, in der mehr als 250 Rechtsanwälte arbeiteten. Kate konnte sich die Reaktion der Buchanans gut vorstellen, wenn sie erfahren würden, dass Todd die Anwältin einer Ein-Frau-Kanzlei engagiert hatte.

Die letzte Hürde war kaum weniger Furcht einflößend.

Mitch.

Mit einem sorgenvollen Seufzer stand Kate auf, ging zum Fenster und schaute auf die berühmte Kuppel des Capitols. In dieser Stadt hatte ihre Romanze mit Mitch begonnen – nicht sehr erfolgversprechend, denn sie standen auf entgegengesetzten Seiten. Sie hatte versucht, ihren Exmann vor dem Gefängnis zu bewahren, während Mitch genau das Gegenteil wollte.

Aber selbst unter diesen Umständen war die Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten, nicht zu übersehen. Kate konnte sich noch genau an seinen ersten offiziellen Besuch bei ihr zu Hause erinnern – seine Vermutung, dass sie Eric helfen würde, seine hintergründigen Warnungen und die Art, wie ihre Blicke aneinander haften blieben.

Seit diesem kalten Dezembertag war so viel geschehen, und doch konnte sie sich jede Einzelheit ihrer beginnenden Beziehung ins Gedächtnis zurückrufen. Und an ihre erste gemeinsame Nacht, als er sie auf seine Arme genommen und sie in ihr Schlafzimmer getragen hatte. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hörte sie das Scheppern von Töpfen und Pfannen und roch den Duft von brutzelndem Speck.

Während sie Mitch in ihrer Küche das Frühstück zubereiten sah, spürte sie, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Wann hatte ein Mann zum letzten Mal für sie gekocht?

Erst einige Tage später hatte er von Molly gesprochen, dass ihr Tod seine Mutter beinahe umgebracht hätte und wie er den Mörder seiner Schwester gejagt hatte. Er war an zahlreichen Orte gewesen im festen Glauben, dass Todd dorthin geflohen sein könnte, und immer in der Hoffnung, ihn zu finden.

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